Lieber sterben als töten
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Lieber sterben als töten
Bericht | Text: Michael Heß | Fotos: Stadtarchiv Münster Lieber sterben als töten Vor 70 Jahren starb der Löwe von Münster Beinahe ein Dreivierteljahrhundert sind die finsteren Jahre der Nazis vorbei. Dennoch gibt es in Münster eine historische Verbindung. Denn warum das katholische Münster für die Nazis stets ein schwieriges Pflaster war, ist auch dem damaligen Münsteraner Bischof Clemens August von Galen zu verdanken. An den 1946 verstorbenen und 2005 selig gesprochenen Bischof erinnert ~-Redakteur Michael Heß. Ehern steht sie etwas unscheinbar im Schatten der Bäume zwischen Dom und Klarissenkloster: die Statue des Kardinals Galen, der noch heute als “Löwe von Münster” gilt. Großen persönlichen Mut bewies er als Bischof von Münster im Dritten Reich und blieb doch ein konservatives Kind seiner Zeit. Noch heute gibt er Anlass darüber nachzudenken, was den Mut auslöst, selbst unter Lebensgefahr für seine Überzeugungen einzustehen. Der spätere Mut war ihm nicht in die Wiege gelegt, das Konservative schon. Am 16. März 1878 wurde er auf Burg Dinklage (etwa 100 Kilometer nördlich von Münster) als elftes von dreizehn Kinder des Reichstagsabgeordneten (für die katholische Zentrumspartei) Ferdinand Graf von Galen sowie der geborenen Gräfin von Spee geboren. Getauft wurde er auf den Namen Clemens Augustinus Joseph Emmanuel Pius Antonius Hubertus Marie Graf von Galen. Münsters “Kanonenbischof” Christoph Bernhard von Galen (auch als “Bombenbernd” bekannt; 1606 bis 1678) war sein Großonkel in sechster Generation. Familiäre Bindungen gab es auch zum Sozialreformer Wilhelm Emmanuel von Kettler (1811 bis 1877). Die Kindheit prägten Religiosität und Askese, was der Lebensfreude nicht zuträglich war. Das Abitur legte Galen 1896 ab, die Abiturzeitung beschrieb ihn als “ein Mann ohn’ Suff und Liebe, liebt nicht der Welt Getriebe”. Kurz vor der Jahrhundertwende entschloss er sich zum Priesterberuf, trat 1899 in das Innsbrucker Jesuiten-Konvikt ein, wechselte 1903 nach Münster und empfing dort am 28. Mai 1904 die Priesterweihe. In den folgenden Jahren besetzte Galen mehrere Stellen als Domvikar, Kaplan sowie Pfarrer in Berlin und in Münster, in das er 1929 als Pfarrer von Sankt Lamberti zurück kehrte. Am 18. Juli 1933 wurde er einstimmig zum Bischof von Münster gewählt. Im Alter von 55 Jahren zum Bischof gewählt zu werden zeugt nicht unbedingt von einer steilen Karriere. Zumal Galen ins Amt nur durch den Verzicht anderer, bereits gewählter Kandidaten gelangte. Einen Fingerzeig auf den Grund liefert sein Wahlspruch “Nicht Menschenlob, nicht Menschenfurcht soll uns bewegen” (“Nec laudibus, nec timore”). Die asketisch-religiöse Erziehung prägte ihn ein Leben lang. Er galt als schroff und unnahbar. Mit Kritik tat er sich schwer. Ihn zum Geständnis eines Irrtums zu 22 bewegen galt als quasi unmöglich. Diese Strenge gegen sich selbst und Andere erkennt man bereits beim Betrachten seiner Portraits. Auch politisch bezog er andere Positionen als zu erwarten war. Galen war erzkonservativ und stand der Deutschnationalen Volkspartei DNVP (diese war Koalitionspartner in der ersten Naziregierung 1933) näher als dem Zentrum, das seit Bismarck als politischer Arm des deutschen Katholizismus galt. Sozialer Fortschritt war ihm im Rahmen der katholischen Soziallehre geboten, politische Progressivität dagegen nicht. Galen war durch und durch ein Mann der Kirche seiner Zeit und unterschied sich darin von Pfarrer Dietrich Bonhoeffer (ermordet am 9. April 1945 im KZ Flossenbürg). Unter den gesellschaftlichen Bedingungen der Weimarer Republik wäre Galen heute lediglich den Historikern bekannt geblieben. Galens Amtsantritt erfolgte aber keine sechs Monate nach der Machtergreifung der Nazis und er hatte sich bereits mit den regressiven Inhalten des Konkordates vom 20. Juli 1933 auseinanderzusetzen (dieses regelte die Beziehungen zwischen dem Deutschen Reich und dem Vatikan). Erst vor diesem historischen Hintergrund konnten Galens spezifische Charakterzüge zum Löwen von Münster reifen. Allerdings galt auch für Galen, dass Niemand als Held geboren wird. Die bis heute kontroverse Beurteilung seiner historischen Rolle ist im Umstand begründet, dass Galen politisch sehr konservativ war, um deshalb das Religiöse nicht zu relativieren. Einerseits begrüßte Galen Handlungen der Nazis wie die Einführung der Wehrpflicht 1935 oder die Besetzung des entmilitarisierten Rheinlandes 1936 deutlich. Den Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 befürwortete er in einem Rundschreiben vom 14. September uneingeschränkt und bediente sich dabei im Nazijargon: Die Pest des Boschwismus. Andererseits setzte er sich schon seit seinem Amtsantritt für eine Bewahrung katholischer Positionen gegen Maßnahmen des Nazistaates sowie gegen Inhalte des NS-Chefideologen Alfred Rosenberg ein. Ebenso ist seine Mitarbeit an der päpstlichen Enzyklika “Mit brennender Sorge” von 1936 wahrscheinlich. Verkürzt lässt sich Galens Standpunkt so beschreiben, dass für ihn jegliche Obrigkeit von Gott eingesetzt und darum zunächst legitim war. Überschritt die Obrigkeit allerdings eine unter anderem durch die katholische Soziallehre definierte ethische Grenze, war ihre Legitimität nicht mehr gegeben. Kam es zu einer derartigen Situation, hatte die Loyalität unbedingt der Kirche, nicht aber der deligitimierten Obrigkeit zu gelten. Letztendlich hatte für Galen das Gewissen Vorrang vor dem Gehorsam. Vor diesem Hintergrund wird das Handeln des Bischofs plausibel; ein Widerständler im Wortsinne war er trotz Kontakten zu Carl Friedrich Goerdeler (eine zentrale Figur des Putsches vom 20. Juli 1944) jedenfalls nicht. Berühmt wurde Galen vor allem durch seine drei Predigten im Sommer 1941. Am 13. Juli 1941 wendet er sich in Sankt Lamberti gegen die Beschlagnahmung von Ordenshäusern im Rheinland einige Tage zuvor. Sieben Tage später erneuert er in der Überwasserkirche seine Vorwürfe und weist unter anderem auf ein ergebnisloses Telegramm in der Sache an den Führer und Reichskanzler Adolf Hitler hin. Er fordert die Gläubigen auf, standhaft zu bleiben denn man müsse Gott mehr gehorchen als den Menschen. Am 3. August thematisiert er wieder in Sankt Lamberti die Beschlagnahmungen ein drittes Mal, wendet sich zudem aber gegen den Abtransport Geisteskranker aus den kirchlichen Heimen und gegen deren mutmaßliche Tötung. Der entscheidende Hinweis kam von Alexianerbruder Gereon Wittkamp aus Haus Kannen. Damit berührte Galen eines der größten Geheimnisse des NS-Staates: Die am 1. September 1939 begonnenen Aktion T4. Dahinter verbarg sich die Tötung von 70.000 Geisteskranken einschließlich versehrter Teilnehmer des Ersten Weltkrieges in eigens hergerichteten Tötungsstätten wie Hadamar (Limburg), Linz (Österreich) und Zschadrass (Sachsen). Die Sache war so geheim, dass es nicht einmal einen formalen “Führererlass” gab. Natürlich machten sich Krankenpfleger wie Bruder Gereon Gedanken darüber, warum den Abtransporten nach kurzerer Zeit Todesscheine folgten. Ferner teilte Galen in seiner Predigt mit, dass er bei Polizei und Staatsanwaltschaft Anzeige gegen die Verantwortlichen wegen Mordes gestellt habe denn dies sei laut gültigem Strafgesetzbuch gegeben und damit ein Verstoß gegen das fünfte Gebot. Wenn Lebensrecht, so Galen, nur noch von der Produktivität des Betreffenden abhinge, sei Niemand mehr seines Lebens sicher. Vor die Wahl gestellt, zu töten oder zu sterben, solle man lieber sterben. Münsters Bischof war nicht der einzige kirchliche Würdenträger, der protestierte. Neben ihm taten das unter anderem der Limburger Bischof Antonius Hilffrich, der von Rottenburg Johann Sproll und der Berliner Dompropst Bernhard Lichtenberg. Auf evangelischer Seite sind unter anderem der Württemberger Landesbischof Theophil Wurm sowie der Bielefelder Friedrich von Bodelschwingh zu nennen. Die Wortmeldung des Münsteraner Bischofs war allerdings die gewichtigste. Sie wurde im offiziellen Berlin wahrgenommen und unter der Bevölkerung in unzähligen Abschriften verbreitet. Einer dieser Handzettel gelangte in die Hände eines jungen polnischen Geistlichen namens Karol Wojtyla, der 46 Jahre später, nunmehr als Papst Johannes Paul II., Galens Grab im Dom besuchte. Die Nazispitze tobte und sah sich zur Unterbrechung der Aktion T4 gezwungen. Hitlers Sekretär Martin Bormann (eine der übelsten Figuren des Regimes) wollte Galen hängen lassen. Propagandaminister Goebbels plädierte für eine Inhaftierung erst nach dem Endsieg, denn er befürchtet nicht mehr steuerbare Unruhen im Falle einer Verhaftung des Bischofs. Im Gegensatz zur evangelischen “Reichskirche” stellte sich der katholische Klerus, die Bevölkerung hinter sich wissend, gegen die Massenmorde. Galen blieb bis zum Ende des Regimes in Freiheit. Längst galt er als der Löwe von Münster, als moralische Instanz für die Bevölkerung. In seiner Person stand er für die Ambivalenz deutschen Geistes der Zeit: Erzkonservativ und doch ein Teil des “anderen Deutschlands”, das sich den Nazis verweigerte. Seinen Ruhm überlebte er nur sehr kurz. Am 18. Februar 1946 wurde er von Papst Pius II in den Kardinalsstand erhoben. An seinem 68. Geburtstag verlieh im die Stadt die Ehrenbürgerwürde. Es war der Tag seiner Rückkehr in das zerbombte Münster vor 50.000 jubelnden Menschen. Nur sechs Tage später verstarb der mutige Bischof an einem Durchbruch des Blinddarms. Er liegt begraben in der Ludgeruskapelle des Doms, nur wenige Schritte entfernt von der ehernen Statue vor dem Klarissenkloster. # 23