Wider die Verharmlosung von Völkermord

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Wider die Verharmlosung von Völkermord
NAMIBIA: VÖLKERMORDEBATTE
Wider die Verharmlosung von Völkermord
GEGEN GESCHICHTSREVISIONISMUS IM SPIEGEL
Die offizielle Anerkennung des während
des Kolonialkrieges in Deutsch-Südwestafrika (1904-1908) verübten Völkermordes
durch Deutschland ist überfällig. Nicht zuletzt haben dies Reaktionen auf die jüngste
Armenien-Resolution des Bundestages gezeigt. Umso mehr muss es verwundern und
irritieren, wenn ein sonst für Seriosität und
Regionalkenntnis bekannter Journalist wie
Bartholomäus Grill im Spiegel über sechs
Seiten Thesen propagiert, die auf fragwürdiger Grundlage diesen Völkermord leugnen („Gewisse Ungewissheiten“, Der Spiegel
24/2016).
Selektive Umdeutung
Es geht dabei nicht um die legitime Debatte über den Begriff des Völkermordes und
seine Anwendbarkeit. Vielmehr reaktiviert
der Spiegel in einer sehr sensiblen Frage,
die sowohl das deutsch-namibische als auch
das deutsch-türkische Verhältnis betrifft,
hier eine spätestens seit 2003 widerlegte
Position. Grill bemüht dazu die selektive,
posthume Umdeutung der namibischen
Historikerin Brigitte Lau durch den südwestafrikanischen Farmer Hinrich SchneiderWaterberg, der sich immer wieder mit diesem Thema zu Wort meldet. Dessen Thesen
laufen auf eine pauschale Leugnung des
Geschehens hinaus, dem unstrittig Zehntausende zum Opfer gefallen sind. Sie wurden schon längst als kolonial-apologetisch
entlarvt. Es ist schwer vorstellbar, dass im
16 afrika süd 4|2016
Spiegel etwa in ähnlicher Form Holocaustrelativierenden oder den armenischen Genozid leugnenden Argumenten derart breiter Raum gegeben würde. Der einseitige
Artikel fällt um mehr als zehn Jahre hinter
den Wissensstand und die aktuelle Diskussion zurück, ohne eine neue Erkenntnis anzubieten. Stattdessen wärmt Grill methodisch
fragwürdige und theoretisch veraltete Argumente auf, die ein politisch konservativreaktionäres Bild der Ereignisse zeichnen.
So zitiert Grill Schneider-Waterberg mit
der Behauptung: „Es gab keinen Plan der
deutschen Kolonialmacht, das Volk der Herero auszurotten.“ Grill selbst widerspricht
dem später mit der Aussage, „der blutrünstige Heerführer (General von Trotha) war
von der Wahnidee eines Rassenkrieges gegen die ‚Neger‘ besessen, er hegte eindeutig
genozidale Absichten.“ So sieht es auch die
moderne Genozidforschung. Für diese ist –
ganz im Sinne der Völkermordkonvention
der Vereinten Nationen – die Intention der
Vernichtung zentral, nicht aber das Vorliegen eines ausgearbeiteten Planes oder Opferzahlen. Wenn also der oberste Kommandeur in der Kolonie „genozidale Absichten“
verfolgte, wie Grill selbst einräumt, und die
Macht besaß, dies – z.B. durch Erlass und
Durchführung einer „Vernichtungsbefehls“
– auch einzulösen, liegt Genozid vor.
Auch das wiederholt im Artikel aufgegriffene Argument, die deutschen Truppen
seien entkräftet gewesen, die Herero zudem
nicht hilflos, widerlegt nicht das Vorliegen
eines Genozids. Die Genozidforschung hat
das durch eine Analogie mit dem Holocaust entstandene Bild einer allmächtigen
deutschen Militärmaschinerie und völlig
hilfloser Opfer schon lange aufgegeben. Die
aktuelle Diskussion sieht in der relativen
Schwäche der kaiserlichen Schutztruppe
sogar ein Element, das die Bereitschaft zum
Völkermord gefördert hat. Die Herero verteidigten Land und Leben gegen Invasoren.
Doch sie schonten nachweislich Frauen und
Kinder sowie Missionare. Die kaiserliche Armee unterschied dagegen nicht zwischen
Frauen, Kindern, Greisen oder wehrfähigen
Männern auf der anderen Seite.
Das ebenfalls erneut wiedergekäute Argument, der Erlass von Trothas vom 2. Oktober
1904 sei „nur neun Wochen lang gültig“ gewesen, ist Augenwischerei. Als er aufgehoben wurde, war die Tat geschehen, und Generalstabschef Schlieffen lobte bei diesem
Anlass ausdrücklich Trothas Absichten. Unrichtig ist in diesem Zusammenhang auch
der Vorwurf, die Genozidforschung unterschlage den Tagesbefehl, nach dem Frauen
und Kinder lediglich durch Schüsse über
ihre Köpfe hinweg in die wasserlose Steppe
gejagt werden sollten. Dort erwartete sie der
Tod durch Verdursten. Die vorgebliche Abschwächung ist als scheinbare Verharmlosung ausgesprochen zynisch.
Das Fazit des Artikels, es stünden sich zwei
Gruppen von Fachleuten unvereinbar gegenüber, ist irreführend. Es gibt einen gesicherten Forschungsstand und eine Position
der Verleugnung, die diesen nicht zur Kenntnis nimmt. In Analogie käme wohl niemand
im Spiegel auf die Idee, der akademischen
Holocaust- und NS-Forschung die Meinungen verharmlosender Amateure oder
Leugner entgegenzustellen, um daraus eine
Spaltung der historischen Wissenschaft zu
konstruieren, die sich angeblich unvereinbar gegenüberstehe. Die Positionen sind in
der Tat unvereinbar: Das eine ist historische
Aufklärung, das andere geschichtsklitternde
Verklärung kolonialer Herrschaft und Apologie.
>> Reinhart Kößler, Henning Melber, Heidemarie Wieczorek-Zeul und Jürgen Zimmerer
Prof. Dr. Reinhart Kößler ist Direktor a.D. des
Arnold-Bergstraesser-Instituts in Freiburg; Prof.
Dr. Henning Melber ist Direktor em. der Dag
Hammarskjöld Stiftung in Uppsala; Heidemarie
Wieczorek-Zeul ist Bundesministerin für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
a.D.; Prof. Dr. Jürgen Zimmerer ist Professor
für Afrikanische Geschichte an der Universität
Hamburg und Präsident des International
Network of Genocide Scholars (INoGS).

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