Untersuchung tiefgetauchter Waterjets

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Untersuchung tiefgetauchter Waterjets
Schmiechen: Beitrag zum STG-Vortrag
Untersuchung tiefgetauchter Waterjets
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Prof. Dr.-Ing. Michael Schmiechen
Bartningallee 16, 10557 Berlin
Telephon: 030 392 71 64
e-mail: [email protected]
www.m-schmiechen.homepage.t-online.de
Schiffbautechnische Gesellschaft
101. Hauptversammlung
Hamburg 22.-24.11.2006
Berlin, 20.11.2006
Schriftlicher Beitrag zum Vortrag
Untersuchung tiefgetauchter Waterjets
von Dr. Dirk Jürgens, Voith Turbo Marine, Heidenheim,
und Dipl.-Ing. Hans-Jürgen Heinke, SVA Potsdam.
Propulsoren gehören immer noch zu den beliebtesten Objekten von Erfindern. Dabei ist der
Erfolg immer garantiert. Was man auch immer wie im Wasser bewegt, Propulsion lässt sich
nicht verhindern. Das ist der erste Hauptsatz der Propulsionstheorie. Und der zweite Hauptsatz lautet: Die so irgendwie erzeugte Propulsion hat meistens keinen schlechten Wirkungsgrad.
Massgebend für die Beurteilung ist der hydraulische oder Pumpen-Wirkungsgrad des Propulsors, das Verhältnis von Propulsions-Wirkungsgrad und 'idealem' oder Strahl-Wirkungsgrad.
Leider fehlen dazu in den Veröffentlichungen gewöhnlich die notwendigen Daten. Honi soit
qui mal y pense! Von Schiffbauern wird dieser Wirkungsgrad fast nie benutzt, lieber streuen
sie sich gegenseitig Sand in die Augen, wie ich in meinem Beitrag zu dem 'Leid'-Rad von
Grim schon 1966 gezeigt habe.
In dem vorliegenden Fall bezieht sich meine Analyse auf Daten in dem Vortrag 'LINEAR-Jet:
A propulsion system for fast ships' von M. Bohm und D. Jürgens, PRADS, The Hague, September 20-25, 1998, (S. 717-725), "in dem die Grundidee und Versuchsergebnisse diskutiert
werden. / Unsere aktuellen Arbeiten basieren auf dem damals erreichten Stand." So wörtlich
im Anschreiben. Wie auch in einem anderem Fall stand der aktuelle Vortrag leider noch nicht
zur Verfügung.
Eine Zwischenbemerkung an die Adresse der STG: Ich erinnere mich, dass früher die Manuskripte schon in den Sommer-Ferien abgeliefert werden mussten, damit die Vorabdrucke
rechtzeitig für gründliche Diskussionen zur Verfügung standen. Während meine Kinder schon
am Strand buddelten, sass ich noch im Lesesaal des Kurhauses von Kellenhusen und schrieb
meine Aufsätze zu Ende, natürlich noch ohne Laptop und Internet-Anschluss.
Der Linear-Jet ist tatsächlich nichts anders als ein Mantel-Propeller mit einer vollständigen
Pumpenstufe, wie ich ihn in vielen Arbeiten seit spätestens 1978 empfohlen und untersucht
habe, die seit 1998 auch vollständig auf meiner Website zu finden sind. Von all den genannten, z. T. auch mit öffentlichen Mitteln geförderten Arbeiten findet sich in den Quellenangaben von Bohm und Jürgens keine Spur. Die Frage ist, wie lange wir uns den Luxus noch leiMS 20.11.06 19:45 h
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sten wollen, Dinge nicht zur Kenntnis zu nehmen, bloss weil wir sie nicht selber erfunden haben? Oder weil wir angeblich keine Zeit haben oder gar keine Lust mehr zum Lesen und zum
'Nach'-Denken.
Im Hinblick auf das Weitere wird im Folgenden, um Verwechslungen zu vermeiden, der Begriff 'Mantel', im Sinne von 'Strömungskanal', duct, statt 'Düse' benutzt. In einem Strömungskanal kann es Teile geben, die sich in Richtung der Strömung verengen, sogenannte Düsen, in
denen die Strömung beschleunigt wird, und Teile, die sich in Richtung der Strömung erweitern, sogenannte Diffusoren, in denen die Strömung verzögert wird. Dieser Sprachgebrauch
ist nicht neu, sondern in der Strömungsmechanik 'seit eh und je' üblich. Der 'alte' Name Düsen-Propeller statt Mantel-Propeller rührt daher, dass die Mäntel innen meistens tatsächlich
Düsen sind, wie es auch sinnvoll ist.
Ich habe immer wieder ausdrücklich auf den entscheidenden Vorteil von Mantel-Propellern
hingewiesen: Damit lassen sich fast ideale Propeller-Strömungen realisieren, weil die RandSingularitäten offener Propeller 'im Prinzip' vermieden werden können, wegen des endlichen
Spaltes in der Praxis leider nicht ganz. Dieser Vorteil wird schon bei Mänteln ohne Schub
wirksam. Und ich habe auch immer wieder ausdrücklich betont, dass Mäntel ohne Schub optimal sind, weil sie im Falle freifahrender Propulsoren stetig beschleunigte Strömungen ermöglichen und minimale Übergeschwindigkeiten um die Mäntel und damit minimale Reibungsverluste und, hinter dem Schiff, minimale Sogwerte zur Folge haben.
Während ich gezeigt habe, wie selbst Nachstrom-angepasste Mantel-Propeller unter vollständiger Berücksichtigung aller Wechselwirkungen mit den elementaren Hilfsmitteln der Hydromechanik als Pumpen entworfen und behandelt werden können, wird der Linear-Jet nur
als freifahrender Propulsor betrachtet und unter Verzicht auf die einfachen Grundvorstellungen mit Hilfe der vornehmeren Wirbeltheorie behandelt.
Alle wesentlichen Verhältnisse lassen sich in dem vorliegenden Fall besonders leicht überblicken, weil der freifahrende Propulsor 'äusserlich' fast ein idealer Propulsor ist. Sein äusserer oder Strahl-Wirkungsgrad
η T J ≡ T V P / P J ≡ (T A + T C) V P / P J = 2 / (1 + (1 + c E ) 1 / 2 )
hängt also nur ab von dem Energie-Belastungsgrad
c E ≡ ∆e / (ρ V P 2 / 2) = ∆p / (ρ V P 2 / 2)
und ist unabhängig von der Bauart. Details und weiterführende Hinweise und verschiedene
Skizzen der im Folgenden diskutierten Strömungen finden sich u. a. in meinem Beitrag zum
Jubiläum der Eröffnung der VWS 1903.
Da der Drucksprung an der Pumpenstufe, dem actuator A, bestehend aus Rotor (rotor R) und
Stator (stator S), unabhängig ist von dem Querschnitt der Pumpenstufe, hängt die Aufteilung
des Schubes auf Pumpenstufe und 'Gehäuse', dem casing C, bestehend aus Mantel (duct D)
und Nabe (hub H), ausschliesslich von dem Querschnitt der Pumpenstufe ab, nicht aber von
den Formen des Mantels und der Nabe, wenn nur darauf geachtet wird, dass die Strömung bei
keinem Betriebszustand abreisst.
Die Darstellung der Ergebnisse in dem üblichen Freifahrt-Diagramm, das auf den einfach zu
messenden Rotor- und Gesamt-Schüben basiert, liefert leider ein völlig falsches Bild der Verhältnisse, wie die folgende Auswertung zeigt. Nach dem vorliegenden Freifahrt-Diagramm
(Figure 6, S. 722) weist das untersuchte Propulsor-Modell im Auslegungspunkt scheinbar verschwindenden Mantel-Schub auf. Global scheint der Linear-Jet also 'richtig' ausgelegt zu sein.
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Aber wenn ich mir die Konstruktion im Einzelnen ansehe, kommen mir doch ernste Zweifel.
Wie Schub-lose, genauer völlig Kräfte-freie Mäntel mit stetig beschleunigter Strömung konstruiert werden können habe ich 1978 beschrieben Und wie sich Schub-lose Mäntel auch bei
grossen Naben konstruieren lassen, habe ich damals wenigstens schon andedeutet. Diese
Mäntel sehen aber ganz anders aus als die dargestellte Form (Figure 1, S. 718).
Wenn man einen reinen 'Rohr'-Propeller konstruiert, dessen theoretischen Grenzfall Föttinger
1918 beschrieben hat, dann ist die Druckabsenkung vor dem Rotor ungefähr doppelt so gross
wie vor einem offenen Ideal-Propeller, wenn es den denn gäbe! Und der ganze Mantel-Schub
entsteht durch Unterdruck, also 'Sog' am vorderen Teil des Mantels. Da nun aber der Mantel
des Linear-Jets angeblich keinen Schub liefert, müsste der Schub am vorderen Teil des Mantels durch einen gleich grossen Widerstand am hinteren Teil des Mantels kompensiert werden. All das kann nicht stimmen und schon gar nicht optimal sein!
Das Problem klärt sich sofort auf, wenn nicht der Schub am Rotor, dem 'Propeller', sondern
der Schub der ganzen Pumpenstufe betrachtet wird. In Ermangelung der notwendigen Daten
nehme ich für das Weitere einfach an, dass dieser Schub halb so gross ist wie der gemessene
Schub am Rotor. Damit ergeben sich nicht ganz unrealistische, vermutlich etwas zu hohe
Werte des hydraulischen Gütegrades um 80 % und damit eine völlig andere Schub-Aufteilung
als das Freifahrt-Diagramm (Figure 6, S. 722) vermuten lässt. Nebenbei bemerkt, erreicht der
hydraulische Wirkungsgad bei offenen Propellern Werte über 86 %.
Patrol boat: Modell-Daten
JP
KTT
ηTP
KTR
KTD
0.75
1.04
0.58
0.83
+0.20
1.00
0.86
0.67
0.78
+0.08
1.25
0.68
0.73
0.71
–0.02
1.50
0.50
0.72
0.64
–0.14
Patrol boat: Auswertung
JP
KTA
cE
ηTJ
ηJP
KTC
0.75
0.42
1.88
0.74
0.78
0.62
1.00
0.39
0.99
0.83
0.81
0.47
1.25
0.35
0.58
0.89
0.82
0.33
1.50
0.31
0.36
0.93
0.78
0.17
Die Aufteilung des Schubes auf Gehäuse (casing: C = D + H) und Pumpenstufe (actuator: A =
R + S) im Auslegungszustand hat also den sehr hohen Wert
KTC / KTA = 0.47 / 0.39 = 1.21 .
Ohne die unnötig hohen Reibungsverluste läge dieser Wert noch höher.
Wie die Tabelle zeigt, ist der Wert des Belastungsgrades im Auslegungs-Zustand, beim Wert
des Propeller-Fortschrittsgrades 1, fast 1. Sieht man einmal von anderen Entwurfs-Kriterien
ab, dann wäre von unseren Vorvätern keiner auf die Idee gekommen, bei einem so kleinen
Belastungsgrad einen Mantel vorzusehen und dann auch noch mit einem so hohen Schub.
Nach einer Abschätzung von Horn wird bei dem gegebenen Wert des Belastungsgrades ein
Mantel-Propeller gerade erst diskutabel und dann tatsächlich auch nur mit einem Stator.
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Je kleiner der Querschnitt der Pumpenstufe, desto kleiner ist aber ihr eigener Schub und desto
grösser ist bei gleichem Durchsatz die Strömungsgeschwindigkeit vor und hinter der Pumpenstufe, desto niedriger ist also das gesamte Druckniveau und desto höher damit die Kavitationsgefahr!
Da es sich bei dem Linear-Jet dem Namen nach ausdrücklich um einen Rohr-Propeller handelt und am Eintritt wegen der 'gelobten' grossen Nabe nicht um einen Diffusor, sondern um
eine Düse handelt, ist schon der zweite genannte Vorteil 'unglaublich': "The nozzle reduces
the stream from the leading edge to the rotor."
Wie denn das? Es ist doch, selbst für jeden Laien sichtbar, genau umgekehrt, auch wenn die
falsche Behauptung am Ende unter dem verheissungsvollen Titel '3.5 Design concept' noch
einmal ausdrücklich wiederholt wird. Schon der hohe Gehäuse-Schub ist bei der gegebenen
Form nur bei hoher Übergeschwindigkeit und Druckabsenkung vor dem Propulsor möglich,
die durch die Düse am Eintritt noch erhöht werden.
Die gleiche Beschreibung findet sich in dem Aufsatz 'Tiefgetauchter Waterjet – Entwicklungsstand und Ausblick' von Heinke und Hellwig auf der Website der SVA: "Der tiefgetauchte Waterjet besteht aus einer Einlaufdüse (Verzögerungsdüse), einem Gehäuse mit einem Rotor und einem nachgeschalteten Stator und einem Düsenauslauf."
Tatsächlich ist die 'Verzögerungsdüse' kein 'Diffusor', wie der Text suggeriert, sondern eine
echte (Beschleunigungs-)Düse. Und der 'Düsenauslauf' ist nicht, wie im Text festgestellt, eine
Düse, sondern die abgebildete Form weist auf den ersten Blick eher einen kurzen Diffusor
auf! Die rechnerische Kontrolle liefert aber praktisch konstanten Querschnitt, also eine Strömung ohne Änderung der Geschwindigkeit.
Echte 'Verzögerungsdüsen', also Diffusoren am Mantel-Eintritt sind meines Wissens nach
dem Krieg nur einmal in Wageningen untersucht worden, und das ohne Erfolg. Das war aber
zu erwarten, denn Diffusor-Strömungen sind nun einmal sehr delikat, wie jeder Ingenieur im
ersten Semester lernt. Das ändert sich nicht dadurch, dass man die Namen einfach vertauscht.
Von den Autoren ist also genau das Gegenteil von dem gemacht worden, was sie beschrieben
haben! Warum ist diese völlig verkehrte Darstellung nicht schon früher jemandem aufgefallen? Bei Vorträgen hört meistens niemand sehr genau zu und Vorabdrucke liest auch niemand
mehr, weil keine mehr zur Verfügung stehen. Und Diskussionsbeiträge schreibt aus dem gleichen Grunde auch niemand mehr. Aber wozu denn auch, wenn die Texte sowieso nichts mehr
mit den Dingen zu tun haben, von denen sie angeblich handeln?
Ich weiss nur, dass meine vielen fundierten, auf den wenigen Prinzipien der Hydromechanik
basierenden Aussagen über Mantel-Propeller von einigen Experten immer nur belächelt wurden, ohne dass je eines der 'angedrohten' Gegenargumente bei mir angekommen ist. Im Interesse der Sache und der STG hoffe ich, dass jetzt endlich eine sachliche Diskussion in Gang
kommt, damit nicht bald andere laut lachen.
Im Hinblick auf die obligaten Missverständnisse, Empfindlichkeiten und verletzten Eitelkeiten wurde mir geraten, viele Sätze zu streichen. Ich zitiere lieber den amerikanischen Mathematiker John Allen Paulos: "Ich wiederhole die meisten dieser Punkte – trotz der Tatsache,
dass die Wiederholung von Unsinn viel eher toleriert wird als die seiner Entlarvung, die meistens als Schimpfen und Ereifern aufgefasst wird."
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