2013_05_30 Eric Clapton

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2013_05_30 Eric Clapton
Eric Clapton,
Andy Fairweather-Low & The Lowraiders (Support Act)
D-Berlin, O 2-Arena, 30. Mai 2013
Je kürzer die Soli, umso besser
Eric Clapton begeht sein 50-jähriges Jubiläum als Bühnen-Gitarren-Bluesrock-Profi. In der
O2-Halle verzichtet Clapton auf jede Vertraulichkeit und Charisma. Dafür glänzte er mit
Energie und Fingerspitzengefühl.
Vielleicht sollte man einfach aufhören, Eric Clapton zur Popmusik zu zählen. Verzichten wir
von vorneherein darauf, ihn als Teil eines sich ständig verändernden, entwickelnden,
lebendigen Kontinuums zu betrachten. Dem stand er immerhin für einen kurzen Moment ab
1966 mit Cream als Gott vor, um danach noch ein paar Jahre als mitunter ziemlich cooler
Südstaaten- und dann Westcoastrocker zu arbeiten, bevor er sich ins historische Nirwana
sogenannt zeitloser Rockmusik verabschiedete, um in den letzten zwanzig Jahren
mehrheitlich als Interpret von klassischem Blues-, Soul- und Folkmaterial zu wirken.
Daher musste man sich auch nicht wundern, dass von seinem gerade erschienenen Album
„Old Sock“ nur ein Titel, Lead Bellys „Goodnight Irene“, auf seinem Gastspiel am
Donnerstag in der ausverkauften Friedrichshainer Ozwohalle zu hören war. Es fügt seiner
traditionalistischen Sammlung nur 13 weitere Fremdtitel hinzu. Ebenso unaufgeregt verhielt
er sich zum speziellen Anlass seiner Tour: Clapton begeht derzeit sein 50-jähriges Jubiläum
als Profi, was er performerisch ignorierte. Mit freundlicher Distanz verzichtete er auf jede
Vertraulichkeit mit dem vom ersten Ton an begeisterten Publikum oder andere charismatische
Anwandlungen; auch in der Garderobe – schwarzes Polohemd, bequeme Jeans, nützliche
Brille – vertat er diese konsequente Haltung.
Andererseits unterscheiden sich seine Auftritte – wenn ich nach den dreien gehe, die ich
gesehen habe - strukturell ohnehin nicht wesentlich, man findet in seinem Werk keine
rätselhaften Nischen oder verdrängten Leidenschaften. Er gibt „Layla“ mal im Original, mal,
wie heute wieder, akustisch; er bringt Robert Johnsons Cream-Gassenhauer „Crossroads“
laut. Er spielt „Wonderful Tonight“ sehr sacht, damit sich die Paare bei den Händen fassen,
und „Cocaine“ spät, damit die Herren zum Abschied laut „Cocaine“ schreien können.
Dazwischen hört man eine wohlausgewogene Mischung aus Bluescovern und Stücken im Stil
der frühen Siebziger, seiner musikalisch ergiebigsten Zeit.
An diese wiederum erinnerte er diesmal mit einer unerwarteten Energie und
Fingerspitzengefühl. Weniger übrigens, wie viele sicher finden, im wörtlichen Sinne seiner
flinken Finger. Denn auch wenn Clapton seinen Ruhm auf dem Weltmeistertitel in der
solistischen Langstrecke begründete, wird er umso besser, je kürzer er die Soli hält. Nicht
etwa, dass er mit 68 langsamer, weniger flüssig oder schlafwandlerisch sicher spielen würde.
Es liegt daran, dass man die Sportart längst aus dem olympischen Programm gestrichen hat,
weshalb sie sich vor der klassisch-zeitlosen Intention als schrilles Signal einer sehr
vergangenen Mode sperrt.
Konsequente Garderobe: schwarzes Polohemd, bequeme Jeans, nützliche Brille.
Foto: dpa
Historisch korrekte Stumpfheit
Seine bevorzugte Rockklassik beruhte wiederum auf der relativ jungen Variante des
südstaatlich soulgesättigten 70er-Rock, der den harten Bluesrock seiner Jugend bei den
Yardbirds und Cream vorteilhaft verdrängte. Mit Paul Carracks Hammondorgel, der
großartigen Steelgitarre von Greg Leisz, einem präzisen zweiten Gitarristen und zwei
ausgezeichneten Sängerinnen setzte er schwerpunkthaft auf Atmosphäre statt auf sogenannte
und später per Titel formulierte „Blues Power“. Er begann mit freundlicher akustischer
Gitarre, um schnell bei einigen gospelnd bis funky dynamisierten elektrischen Derek and the
Dominoes-Nummern zu einer flüssig enthärteten, trotzdem ansprechend rauen Version von
Creams „Badge“ zu landen. Recht unerwartet bescherte Carrack (ein britischer
Allzweckstudioveteran), dem Publikum mit seinem „It Ain’t Easy“ einen sehr ansprechenden
Soulmoment als Sänger.
Für die Gutverdienerpolituren und Computerbypässe, die sich Musiker seiner ZweistelligeGrammyzahl und 100-Millionen-plus-Peergroup gerne gönnen, wenn sie mit der Zeit gehen
wollen, hatte Clapton ohnehin nur selten Verwendung (hoffentlich hatten wir alle in den
Achtzigern Besseres zu tun, als Claptons gemeinsam mit Phil Collins unternommene
Ausflüge in den Lexuspop zu registrieren).
Umgekehrt konnte Clapton am Donnerstagabend fast durchweg die biergelaunte Muckerfalle
vermeiden, in die andere Bluesrockveteranen gerne treten, und die bei aller studienrätlichen
Eleganz auch Clapton nicht völlig fremd ist. Das zeigte das übliche Paradebeispiel „Cocaine“,
aber auch der zweite, recht ungute Keyboarder. Auch die Zugabe „Sunshine of Your Love“,
ein Klassiker aus Cream-Tagen, rockte historisch bedauerlich korrekt in Stumpfheit und mit
dem genrehaftesten Solo daher.
Nur halb gelang auch seine Version von „Love in Vain“. Während die Rolling Stones den
recht verzeifelten Robert Johnson-Titel einst erfolgreich zum Countryrock umgewidmet
hatten, bewies Clapton nun, dass er als weichlicher Boogie trotz durchaus raffinierter
Gitarrenarbeit deutlich an Ausstrahlung verliert. „Crossroads“ dagegen, auch von Robert
Johnson und ein Cream-Vorführstück, schrubbte er beim letzten Auftritt, 2010 mit Stevie
Winwood, noch mit nostalgisch geschwollenen Muskeln herunter; diesmal durfte das
wuchtige Riff auf eigenartige Weise atmen, durch kluge Drums erleichtert und von der Band
soulig angeschubst, wodurch es einen lässig-sumpfigen Chicagoblues-Groove entfaltete.
Auch „Layla“ - in diesem Zusammenhang nicht zuletzt wegen seiner Verwendung als AutoKaufanreiz gefährdet - klang in der zärtlich nach Moll und Countryswing gewendeten
akustischen Version überaus inspiriert. Überhaupt bewies Clapton im mittleren akustischen
Teil und auf leiseren Titeln wie dem alten Barblues „Drifting“ viel Soul, was mit seiner nicht
eben nuancenstarken Stimme gar nicht leicht ist. Hier wirkten auch die Soli durchaus
sachdienlich.
Zwei Stunden lang spielte er sich auf diese Weise unterhaltsam durch ein Programm, dem
man anhörte, dass es in praktisch unveränderter Form schon einige Dates hinter sich hatte.
Vor ein paar Tagen erst hatte Clapton eine einwöchige Serie in der Royal Albert Hall hinter
sich gebracht. Beides wiederum, festes Repertoire und feste Residenz, stehen für die beste
Darreichungsform dieser Musik. Hübsch anzuhören, handwerklich glänzend - und der Zeit
enthoben wie in Bernsteinharz gegossen.
Text: Markus Schneider / Berliner Zeitung
Gitarrengötterspeisung
Bluesrock forever: Eric Clapton feiert in Berlin sein 50. Bühnenjubiläum.
Als der Blues in den sechziger Jahren an die Themse kam, war der Teufel schon lange nicht
mehr mit im Spiel. Ein Höllenpakt, wie ihn Robert Johnson rund 30 Jahre zuvor zur
Erlangung gitarristischer Fähigkeiten abgeschlossen haben soll und mit Leid für die Familie
und frühem Tod bezahlte, war allein deshalb nicht mehr nötig, weil B.B. King und Chuck
Berry die schwarze Musik erfolgreich elektrifiziert und das weiße London unter Strom gesetzt
hatten. Weit entfernt von Johnsons Mississippi Delta zerrte der Blues, vom Rock’n’Roll
befeuert, an den Saiten unzähliger Bands, doch nur wenige verliehen ihm ein so eigenes
Gepräge wie Eric Clapton.
Bei den Yardbirds, bei John Mayalls Bluesbreakers und vor allem beim Supertrio Cream mit
Jack Bruce und Ginger Baker jagte er Blueslicks durch die Röhrenverstärker, dass auch das
traurigste Herz ins Jubilieren kam.
Das alles ist ein halbes Jahrhundert her. Mit der Legendenbildung hat eine Historisierung
eingesetzt, die Clapton selbst mit seinem Crossroads Guitar Festival in Schach hält, das die
Bluesrockhelden der Gegenwart präsentiert. Und zumindest auf seinen Studioaufnahmen ist
die Kraft von einst oft nur noch eine ferne Erinnerung. Mit „Old Sock“ hat er zuletzt ein
Coveralbum von niederschmetternder Belanglosigkeit veröffentlicht: Das ist nicht mal alter
Schweiß in neuen Strümpfen, es ist gesichtsloses Easy Listening. Wenn man ihn nicht an
seiner kehligen Stimme erkennen würde – als Gitarrist wäre er damit tot.
Was er zu seinem 50-jährigen Bühnenjubiläum allerdings live in die Berliner O2-World
zaubert, ist nicht weniger als eine Transsubstantiation. Saftiger kann man es mit 68 Jahren
nicht treiben, und dass er im Lauf von über zwei Stunden allein drei Versionen von RobertJohnson-Songs unterbringt, zeigt, wo seine Loyalitäten liegen. Vielleicht ginge es weniger
routiniert, aber dafür haben er und seine sechs Begleiter (plus zwei Background-Sängerinnen)
die Maschine in Sekundenschnelle hochgefahren. Insbesondere Drummer Steve Jordan
knüppelt die Band in einen stabilen Groove, und Greg Leisz bringt mit seiner Pedal Steel
Guitar auch die abgespieltesten Nummern noch einmal zum Singen.
Es beginnt mit einem akustischen „Hello Old Friend“ und endet mit einem elektrischen
„Cocaine“. Dazwischen Klassiker wie „Badge“ und „Layla“, wobei vor allem Claptons
akustische Intermezzi von souveräner Lässigkeit leben. Es fehlt nur jedes belebende Wort ans
Publikum: Außer „Thank You“ bekommt es nicht viel zu hören. Organist Paul Carrack darf
bei „Come Rain Or Come Shine“ auch als Sänger glänzen, und der zweite Gitarrist Doyle
Bramhall II ist absolut talentsymmetrisch – bis hin zu seinem Linkshändertum.
Legende zu Lebzeiten. Eric Clapton in der O2-World –
im Hintergrund Drummer Steve Jordan.
Foto: Davids/Darmer
Zum Schicksal solcher Großkonzerte gehört, dass ihnen mit dem letzten Quäntchen Zufall
auch jedes Risiko ausgetrieben worden ist. Die Setlist gilt seit Anfang der Tour im März fast
unverändert. Jedes Stück ist durcharrangiert, kein Extrachorus möglich. Und zwischen den
Stücken huschen dienstbare Geister über die Bühne, um als Operationsassistenten das richtige
Gerät herbeizuschaffen: Schwester, jetzt bitte die Metzenbaumschere mit der Stratocaster und
anschließend den Thermokauter mit der Martin!
Das Ereignishafteste dieser Gitarrengötterspeisung
der 17 000 bleibt mangels Ansage somit fast
unbemerkt. Bei den Zugaben taucht plötzlich
ein weiterer Gitarrist auf, um bei „Sunshine Of
Your Love“ und Joe Cockers „High Time We
Went“ einzusteigen. Anders als Clapton, der in
seinen Dreifingersoli die immer gleichen
pentatonischen Muster bemüht, rast er vierfingrig
über das Griffbrett, immer bemüht, die Musik
melodisch und harmonisch aufzusprengen.
Der Übervirtuose mit Basecap und Holzfällerhemd
ist der New Yorker Kurt Rosenwinkel und –
als Erbe von Pat Metheny und Allan Holdsworth –
mit seinen gut 40 Jahren der stilbildende Jazzgitarrist seiner Generation. Slowhand Clapton gegen
Rockethand Rosenwinkel: Rein mathematisch liegt
Clapton bei diesem Rennen mit 25 Prozent Motorikpotenzial im Rückstand, und müsste er in
Rosenwinkels Band mitspielen, wäre sein Untergang besiegelt. Doch was Clapton kann, das
kann er mit einer Sicherheit und Entschiedenheit und Flüssigkeit, die auch der Mann fürs
Pyrotechnische nicht infrage stellt: Das Rockbrett lässt sich nicht einfach in einen fliegenden
Jazzteppich verwandeln. Rosenwinkel, dieses Jahr zu Claptons Crossroads-Festival
eingeladen, hat dieser Musik nichts Entscheidendes hinzuzufügen – außer seiner explosiven
Lust am Spiel. Rock will be rock. Vielleicht steckt darin ja doch noch ein Teufel – wenn auch
nur im schlichten Detail.
Text: Gregor Dotzauer / Der Tagesspiegel
Setliste
Hello Old Friend, My Father’s Eyes, Tell The Truth, Gotta Get Over, My Woman Got A
Black Cat Bone, Got To Get Better In A While, Come Rain Or Come Shine, Badge, Driftin’
Blues, Layla, It Ain’t Easy (To Love Somebody), Nobody Knows You When You’re Down
And Out, Tears In Heaven, Blues Power, Love In Vain, Crossroads, Little Queen Of Spades,
Cocaine.
Encore: Sunshine Of Your Love, High Time We Went
(Setlist.fm)
OPROW