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Heft
12. Jahrgang
September 2008
MDK3 Forum
Das Magazin der Medizinischen Dienste der Krankenversicherung
In dieser Ausgabe
Es fährt ein Bus
nach nirgendwo –
Die Haltestellen-Therapie
Seite 17
MDS fordert Register
für Medizinprodukte
Seite 24
Familienhebammen –
Hebamme und
noch ein bisschen mehr
Seite 28
Stationäre Versorgung
Früh- und Neugeborener
Seite 33
ISSN 1610-5346
Gesundheitspolitik in der EU
Grenzenlos
gesund?
Editorial
Liebe Leserinnen und Leser,
Gesundheit in Europa ist das Thema unserer aktuellen Ausgabe.
Die Bürger der Europa-Nationen stehen dem internationalen Angebot überwiegend offen gegenüber. Das ist kaum überraschend,
denn beim Nachbarn bekommt man manchmal Leistungen angeboten, die in der Heimat ein Engpass sind – und das gelegentlich
auch noch preiswerter.
Allerdings fehlen rechtliche Rahmenbedingungen, die den Gesundheitsgrenzgänger von unnötigen Sorgen befreien könnten. So
ist weder das Recht auf die freie Wahl solcher Dienstleistungen
noch die länderübergreifende Finanzierung bzw. Erstattung ausreichend geregelt.
Ideenreichtum kann man auf der Seite der Dienstleister konstatieren. Deutsche Krankenhäuser bessern Ihre Bettenbilanz mit
Patienten aus den Niederlanden auf, die eine neue Hüfte brauchen. Pflegedienste aus Osteuropa würden sich gern in Berlin
oder Frankfurt niederlassen. Grauen Star bekommt man als
Brite sehr günstig in der Türkei operiert. Fehlende Rahmenbe­
dingungen führen zu zweifelhaften Struk­turen und einem un­
überschaubaren Schwarzmarkt für Gesundheitsleistungen.
Die EU-Kommission will’s nun richten. Mit einer Richtlinie
w­ollen die Brüsseler Beamten die längst überfällige Sicherheit für
die Eurobürger herstellen. Allerdings würde man über die reine
Kostenerstattung hinaus auch gern noch einheitliche Leistungsangebote definieren und Qualitätsstandards festlegen, Haftungsfragen klären.
Die Liberalisierung des Gesundheitmarktes würde enorme wirtschaftliche Chancen für alle Beteiligten eröffnen.
Die Diskussion wird wohl nicht so rasch abzuschließen sein –
es geht um Geldflüsse von vielen Milliarden Euro pro Jahr.
Lesen Sie in dieser Ausgabe über bisherige Erfahrungen und
A­usblicke für die Gesundheitsregion Europa.
Ihr
Dr. Ulf Sengebusch
MDK-Forum 3/2008
Inhalt
5
Schwerpunkt
Gesundheitspolitik in der EU
Grenzenlos gesund?
2
Zur Behandlung ins Ausland?
5
Möglichkeiten grenzüberschreitender
Gesundheitsversorgung in der Europäischen Union
„Letztlich entscheidet der Patient“
9
Interview mit Julia Schröder
Schon bald mehr Pflegekräfte aus Osteuropa?
12
Erstes europäisches Unikrankenhaus
10
Kräfte bündeln zum europäischen Spitzenniveau
12
Europaweite Standards für
die Arzneimittelsicherheit 14
Kranken- und Pflegeversicherung
Psychotherapeutische Versorgung in Deutschland
Trotz Verbesserungen noch Defizite
17
Die Haltestellen-Therapie
16
Es fährt ein Bus nach Nirgendwo
17
Versandapotheken fürchten um ihre Zukunft
18
KKH und MDK starten das Projekt
„Patientensicherheit“
19
„Uniklinik auf hoher See“
20
Interview mit dem Schiffsarzt Dr. Werner Kalbfleisch
Gesundheits- und Sozialpolitik
Kalkuliertes Schweigen
22
MDS fordert Register für Medizinprodukte
Wenn die Hüfte nicht hält, was sie verspricht
28
26
Deutscher Präventionspreis 2008 für Kindertagesstätten
„Gesund aufwachsen“
Familienhebammen
Hebamme und noch ein bisschen mehr
24
26
28
Wahlkampf in den USA
32
Eine Chance für die Reform des
maroden US-Gesundheitssystems?
30
„Juristischer Notfallkoffer“ 32
MDK im Dialog
33
MDK Baden-Württemberg
Stationäre Versorgung Früh- und Neugeborener
33
Menschen und Nachrichten
Geschäftsführer-Wechsel beim MDK im Saarland
35
Total E-Quality für MDK Rheinland-Pfalz
35
Buchbesprechung
36
MDK-Gemeinschaft auf der Medica 2008
37
Veranstaltungshinweise der MDK-Gemeinschaft
37
1
MDK-Forum 3/2008
Schwerpunkt
Gesundheitspolitik in der EU
Grenzenlos gesund?
Von Petra Spielberg
I
mmer noch müssen Patienten, die sich zu einer Behandlung im EU-Ausland entschließen, mitunter große Schwierigkeiten überwinden. Bürokratie,
Misstrauen in die ärztliche
Kunst ausländischer Spezialisten sowie abschlägige Bescheide
für die Übernahme der Kosten
einer Behandlung im Ausland
können die Freizügigkeit der
Patienten behindern. Und das,
obwohl ihnen dieses Recht
nach dem EG-Vertrag z­usteht.
Der Europäische Gerichtshof
(EuGH) in Luxemburg hat dies
ebenso wie die grundsätzliche
Pflicht der Krankenkassen, die
Kosten für eine Auslandsbehandlung zu übernehmen,
mehrfach bestätigt.
Vor sechs Jahren stellten Ärzte
bei Marie Fjellerup Brustkrebs
fest. Die Operation und die anschließende Chemotherapie verliefen erfolgreich. Drei Jahre
später aber hatten sich in Leber
und Hüfte der Dänin Metastasen
gebildet. Die Ärzte vom Herlev
Klinikum bei Kopenhagen behandelten Marie Fjellerup erneut mit Chemotherapien. Doch
der Krebs schritt voran. Die Bitte der Patientin, es mit einer anderen Therapie zu versuchen,
wurde abgelehnt.
Marie Fjellerup wandte sich in
ihrer Verzweiflung schließlich an
die Krebsspezialisten der Universitätsklinik Frankfurt am Main.
Dort riet man ihr zu einer Kombination aus Chemo- und Laserinduzierter Thermotherapie. Die
zuständige dänische Behörde
lehnte jedoch eine Übernahme
der Kosten für die Auslandsbehandlung ab. Marie Fjellerup
verkaufte ihr Auto und lieh sich
von Freunden Geld, um sich privat in Frankfurt behandeln zu
lassen. Im Oktober 2006 begannen die Ärzte der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität mit der
Therapie.
Das Wunder geschah. Nach wenigen Monaten verschwanden
die Metastasen. Seit Sommer
letzten Jahres ist der Krebs nicht
wieder zurückgekehrt. Auch der
bürokratische Kleinkrieg mit den
dänischen Behörden fand ein
glückliches Ende. Die zuständige
Kommune kam, vom Erfolg der
Behandlung überzeugt, schließlich doch noch für die Kosten
auf. „Ich hoffe, dass meine Er­
fahrung auch anderen Patienten
Mut macht, sich im Ausland behandeln zu lassen, wenn sie in
MDK-Forum 3/2008
2
ihrer Heimat nicht die medizinische Versorgung bekommen
können, die sie sich wünschen“,
sagt Marie Fjellerup heute.
BSE brachte die Wende in der
Gesundheitspolitik
In mehr als der Hälfte der 27 EULänder, so eine Kommissionsbeamtin, werde das Recht auf Auslandsbehandlung aber nach wie
vor mit Füßen getreten. Heißt das
z­ugleich, dass die Staaten eine
grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung für überflüssig
halten? Nein! Denn der Schutz
der G­esundheit der knapp 480
Millionen EU-Bürger über Ländergrenzen hinweg hat in den
letzten Jahren enorm an Bedeutung g­ewonnen.
Ein kleiner Rückblick macht dies
deutlich: Bei der Gründung der
Europäischen Gemeinschaft
(EG) im Jahr 1957 spielte das
Thema Gesundheit so gut wie
keine Rolle. Ausnahme bildeten
Maßnahmen zum Schutz von Arbeitnehmern. Mit Beginn der
90er Jahre unternahmen die
EG-Länder erste zaghafte Anläufe, auch auf gesundheitspolitischem Gebiet enger zusammen
zu arbeiten. So verpflichteten
sich die Regierungen der Gemeinschaft mit dem Vertrag von
Maastricht im Jahre 1992 erstmals, gemeinsame Anstrengungen zur vorbeugenden Bekämpfung bestimmter Krankheiten,
wie Aids und Krebs zu unternehmen.
„Auf den Treffen der für Gesundheit und Soziales zuständigen Minister spielten gesundheitliche Themen dennoch
weiterhin keine große Rolle“,
Schwerpunkt
sagt Hans Stein, damals Ministerialrat im Bundesministerium
für Gesundheit in Bonn.
Die große Wende kam Mitte
der 90er Jahre. Auslöser war die
BSE-Krise, die von Großbritannien aus den europäischen
K­ontinent erfasst hatte. Schlagartig wurde den politisch Verantwortlichen in der EG klar,
dass die immer enger werdenden
wirtschaftlichen Verflechtungen
und die zunehmende Mobilität
der Arbeitnehmer auch mit erhöhten Gesundheitsgefahren
einhergehen.
Gesundheitsschutz ist fester
Bestandteil der EU-Politik
Ein weiteres Zusammenwachsen
der Wirtschaftsgemeinschaft war
ohne gezielte Maßnahmen zum
Gesundheitsschutz der Bevöl­
kerung nicht mehr denkbar. Die
Zuständigkeiten und Auf­gaben
der Gemeinschaft in der Gesundheitspolitik wurden daher stetig
ausgeweitet und vertraglich festgeschrieben. Ferner richtete die
Europäische Kommission 1999
eine neue für Gesund­heit und
Verbraucherschutzthemen zuständige Abteilung ein: die
G­eneraldirektion Sanco.
Inzwischen ist der grenzüberschreitende Gesundheitsschutz
ein fester Bestandteil der EUPolitik. Die Maßnahmen beschränken sich dabei nicht auf
den eng umrissenen gesundheitspolitischen Aktionsradius
der EU, der in erster Linie auf
die Prävention von Krankheiten
und die Koordinierung und
Kontrolle der zwischenstaatlichen Aktivitäten abzielt. Auch
andere Politikfelder, wie die Arbeits- und Beschäftigungspolitik,
die Unternehmenspolitik, die
Wettbewerbs- und Binnenmarktpolitik sowie die Forschungspolitik mischen beim Gesundheitsschutz mit. Beispiele hierfür sind
Maßnahmen zur Bekämpfung
des Alkohol- und Nikotinmissbrauchs, gemeinschaftsweite
Programme gegen Infektionser-
krankungen oder Krebs sowie
Initiativen gegen die zunehmende Fettleibigkeit der Europäer.
Ferner regeln Gesetze, welche
Qualitäts- und Sicherheitsstandards innerhalb der EU für Bluttransfusionen oder für den Umgang mit menschlichen Gewe­ben und Zellen gelten. Ein
entsprechendes Regelwerk für
Organtransplantationen ist in
Vorbereitung. Darüber hinaus
gibt es EU-weit gültige Pestizidgrenzwerte für B­abynahrung
und solche für den Chemikalien­
gehalt in Kinderspielzeug. Eine
weitere Verordnung regelt die
Versorgung von Kindern mit
Arzneimitteln usw. usf.
Nicht alles macht indessen Sinn.
„Manchmal“, so der CDU-Europaabgeordnete Peter Liese,
„schießt die EU-Kommission mit
ihren Vorschlägen übers Ziel
h­inaus.“ Beispiel: Der jüngste
Änderungsvorschlag der Behörde
zur EU-Strahlenschutzrichtlinie.
Die geplante Verschärfung des
Gesetzes zum Schutz von Arbeitnehmern vor elektromagnetischen
Feldern hätte nach Meinung von
Ärzten den diagnostischen
Einsatz der Magnetresonanz­
therapie in der Medizin unmöglich gemacht. Der zuständige
EU-Kommissar Vladimir Spidla
lenkte glücklicherweise ein und
verschob die Neufassung.
Großes Gefälle zwischen den
Versorgungsniveaus
Der einzelne Bürger kriegt von
all dem meist wenig mit. Für ihn
zählt in der Regel nur, dass er im
Krankheitsfall eine optimale medizinische Betreuung erhält und
das möglichst nahe an seinem
Wohnort. Doch wie gut und wie
schnell ein Patient versorgt wird,
hängt – bei allen Bemühungen,
den Gesundheitsschutz in der
EU zu verbessern – entscheidend
davon ab, wo er lebt.
Denn die Kluft zwischen den
g­esundheitlichen Versorgungs­
niveaus der einzelnen EU-Länder ist nach wie vor groß. In Bul-
3
garien und Rumänien beispiels­weise, den jüngsten EU-Mitglie­dern, sterben etwa dreimal so
viele Menschen an Herzkreis­
lauferkrankungen wie im EUDurchschnitt. Ähnlich hoch sind
die Zahl der Krebstoten sowie
die Sterblichkeitsraten bei Säuglingen und jungen Müttern.
Szenario prophezeit einheitliche Minimalversorgung für alle
Der Grund: Welche Leistungen
in welcher Qualität und zu welchem Preis zur Verfügung stehen,
bestimmen die Regierungen der
Länder. Die EU darf hier nicht
mitreden. Das führt zu unterschiedlichen medizinischen Standards, beispielsweise bei der Behandlung von Brustkrebspatien­tinnen. „In Polen wird den er­krankten Frauen in 98 Prozent
der Fälle die vom Tumor befallene Brust amputiert. In Frankreich
dagegen b­ehalten drei Viertel der
Patientinnen ihre Brust“, berichtet Karin Jöns. Die SPD-Europaabgeordnete setzt sich seit Jahren
intensiv für eine Verbesserung der
Krebsversorgung in der EU ein.
Glaubt man hingegen den Er­
gebnissen einer Studie des europäischen Beratungsunternehmens Health Consumer Power­­house (HCP), dann wird sich die
medizinische Betreuung in der
EU in wenigen Jahren so weit
angeglichen haben, dass auf Kosten der gesetzlichen Krankenkassen überall nur noch eine Basisversorgung zu vergleichbaren
Qualitätsstandards zur Verfügung
steht. Das jedenfalls prophezeien
die befragten 130 Patientenorganisationen aus 24 europäischen
Ländern. Auch werde es für die
meisten EU-Bürger im Jahr 2020
selbstverständlich sein, notwendige medizinische Leistungen im
Ausland nachzufragen, so ein weiteres Ergebnis der HCP-Studie.
Noch aber sieht die Realität
a­nders aus. Noch entfällt nur
knapp ein Prozent aller Leistungen der Sozialversicherungssysteme in der EU auf Patienten
MDK-Forum 3/2008
Schwerpunkt
aus dem Ausland. Am meisten
nachgefragt werden nach einer
Umfrage der TK Baden-Württemberg Arzneimittel, gefolgt von
Kuren, Heil- und Hilfsmitteln
sowie Zahnersatz. Erst dann folgen ambulante Leistungen und
Krankenhausbehandlungen.
Am häufigsten nutzen Patienten,
die in einer so genannten Euregio, dem Grenzgebiet zwischen
zwei oder mehr europäischen
Seit März 2008 im Amt:
Androulla Vassiliou, EU-Kommissarin für Gesundheit aus Zypern
Ländern, leben, medizinische
Leistungsangebote im Ausland.
In einer solchen Euregio, wie die
im deutsch-niederländisch-belgischen Dreiländereck, garantieren
Kooperationsabkommen zwischen niedergelassenen Ärzten,
stationären Einrichtungen und
den Kostenträgern dies- und jenseits der Grenzen einen reibungslosen Ablauf der medizinisch bedingten Auslandsaufenthalte.
Mehr Rechte für die Patienten
Gründe für die geringe Inanspruchnahme von medizinischen
Leistungen fern der Heimat sind
zum einen sprachliche und psychologische Barrieren. Zum anderen blockiert die Weigerung von
Kassen, eine Genehmigung für
stationäre Leistungen zu erteilen
MDK-Forum 3/2008
beziehungsweise die Kosten für
Auslandsbehandlungen zu übernehmen, die Freizügigkeit der Patienten. Zahlreiche Beschwerden
bei den europäischen Verbraucherzentralen belegen dies.
Nach dem Willen der EU-Kommission soll damit bald Schluss
sein. Anfang Juli hat die Behörde
einen Richtlinienvorschlag vorgelegt, der die Rechte der P­atienten in der EU stärken soll. Danach sollen die staatlichen Kostenträger grundsätzlich dazu verpflichtet werden, die Kosten für
ambulante oder stationäre Auslandsbehandlungen zu übernehmen – und zwar in Höhe der heimischen Erstattungssätze. Grund­lage hierfür bilden die U­rteile des
EuGH zur Patienten­mobilität.
Der Vorschlag sieht weiterhin vor,
die Information der Versicherten
über die medizinischen Versorgungsangebote und die Qualität
der Leistungen zu verbessern. Ansprechpartner hierfür sollen nationale Kontakt­stellen sein.
Doch damit nicht genug. Denn
die EU-Kommission will mit dem
Regelwerk zugleich die Modernisierung der Gesundheitssysteme
vorantreiben. So sollen sich die
Mitgliedsländer unter anderem
dazu verpflichten, Standards für
die Qualität und Sicherheit medizinischer Behandlungen zu erstellen. Die Kommission will es
sich zudem vorbehalten, zusammen mit Vertretern der Länder
eine Liste „stationärer und hoch
spezialisierter sowie kostenintensiver“ Leistungen zu erstellen,
für deren grenzüberschreitende
Inanspruchnahme die Patienten
möglicherweise eine Vorabgenehmigung einholen müssten.
Auch soll die Richtlinie innova­
tiven Medizintechnologien und
t­elemedizinischen Anwendungen
zu mehr Akzeptanz verhelfen.
Harmonisierung nein –
Annäherung ja
Dies alles soll nicht auf dem
Wege der Harmonisierung geschehen, wie EU-Gesundheits-
4
kommissarin Androulla Vassiliou
nicht müde wird zu betonen,
wohl wissend, dass die EU damit
ihren vertraglich festgeschriebenen Handlungsspielraum in der
Gesundheitspolitik überschreiten
würde. Zweifelsohne aber soll
die Richtlinie dafür sorgen, dass
sich die gesundheitlichen Versorgungsniveaus weiter annähern.
Inwieweit es wirklich dazu
kommt, lässt sich noch nicht
a­bsehen. Denn die von Europaabgeordneten und EU-Regierungen geäußerte Kritik, der
Kommissionsvorschlag unterhöhle den Solidaritätsgedanken
und gefährde die Stabilität der
Gesundheitssysteme, lässt erahnen, dass die Mitgesetzgeber
e­inige Vorschriften noch ab­
mildern werden.
Ebenfalls zweifelhaft ist, ob das
geplante Regelwerk die geforderte Rechtssicherheit bei Auslandsbehandlungen bringen
wird. Details des Vorschlags,
wie die geplante Definition
s­tationärer Leistungen und die
damit verbundene Option, Vorabgenehmigungen zu verlangen,
könnten vielmehr zu neuen
Rechtsunsicherheiten führen.
„Am Ende muss wieder der
EuGH entscheiden“, so Hans
Stein.
Es liegt nun an den europäischen Mitgesetzgebern, all dies
klar zu regeln und dabei allzu
starken Ambitionen der EUKommission, sich in einzel­
staatliche gesundheitspolitische
Kompetenzen einzumischen,
e­inen Riegel vorzuschieben.
Der Versuch, den Zug in Richtung Angleichung der Gesundheitssysteme aufzuhalten, würde
hingegen das weitere Zusammenwachsen der EU-Staaten
in Frage stellen.
Petra Spielberg,
Fachjournalistin für
Gesundheits- und Sozialpolitik
Redaktion Wiesbaden/Brüssel
E-Mail: [email protected]
www.europa-transparent.eu
Schwerpunkt
Zur Behandlung ins Ausland?
Möglichkeiten grenzüberschreitender Gesundheitsversorgung
in der Europäischen Union
Von Ewout van Ginneken und Prof. Dr. Reinhard Busse
E
ine von der Europäischen
Kommission im Jahr 2007
in Auftrag gegebene Studie ergab: 53 Prozent der Einwohner
der 27 EU-Staaten und 40 Prozent der Deutschen stehen einer Behandlung im Ausland
offen gegenüber. Doch wie sieht
die Praxis aus? Die Möglichkeiten für Patienten, sich in einem
EU-Mitgliedsland behandeln
zu lassen und die Kosten erstattet zu bekommen, sind in
den letzten Jahren deutlich
ausgeweitet worden. Im Juli
hat die EU-Kommission den
Vorschlag für eine neue Richtlinie zur „Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversor­gung“ vorgelegt. Damit will
sie einen verbindlichen Rechtsrahmen für die Inanspruchnahme von medizinischen Leistungen im europäischen Ausland
schaffen.
Als Gründe für die Bereitschaft,
eine Behandlung im Ausland auf
sich zu nehmen, wird angegeben, dass eine bestimmte Leistung im Heimatland nicht verfügbar ist, dass man sich von der
Auslandsbehandlung eine bessere Qualität verspricht – wichtig
vor allem für Bürger aus neuen
Mitgliedstaaten wie der Slowakei, Polen und Bulgarien – oder
dass man auf einen schnelleren
Zugang hofft. Fünf Prozent der
Deutschen gaben an, in den
letzten 12 Monaten eine Behandlung im Ausland erhalten
zu haben. Das ist ein Prozent
mehr als im EU-Durchschnitt.
Und für 61 Prozent der Deutschen könnte eine preiswertere
Behandlung ein Grund sein, um
sich im Ausland behandeln zu
lassen. Durchschnittlich geben
dieses Motiv nur 48 Prozent der
EU-Bürger an. Man könnte den
Deutschen daher ein hohes Interesse an grenzüberschreitenden
Gesundheitsdienstleistungen unterstellen.
ist. Die versicherte Person kann
so von einem vereinfachten Vorgang der Leistungserbringung
profitieren, ohne vorherige
G­enehmigung des Versicherers.
A­llerdings sind die Patienten
nicht verpflichtet, die EHIC zu
benutzen.
Bedingungen für eine
Behandlung im Ausland
Auf der anderen Seite wird die
EHIC noch immer nicht überall
akzeptiert. Eine Umfrage der
Techniker Krankenkasse von
2003 zum Beispiel zeigte, dass in
Frankreich nur etwa 10 Prozent
und in Österreich 30 Prozent der
Techniker-Versicherten eine
EHIC nutzen konnten – sei es,
weil sie sie nicht mit hatten, sei
es, weil sie nicht akzeptiert wurde. Es gibt außerdem Mitgliedsstaaten (z.B. die Niederlande),
wo Versicherte nicht automatisch eine EHIC bekommen,
sondern dafür einen gesonderten Antrag stellen müssen.
Die Bedingungen, zu denen sich
EU-Bürger im Ausland behandeln
lassen können, sind in der Verordnung Nr. 1408/71 des Europäischen Wirtschaftsrates festgelegt
und in folgende Fälle unterteilt:
Akutversorgung, die während
e­ines zeitlich begrenzten Aufenthalts notwendig wird und die
eine Europäische Krankenver­
sicherungskarte (EHIC) erfordert.
Sie hat den Auslandskrankenschein E111 ersetzt. Patienten
werden behandelt, als wären sie
in dem behandelnden Land
v­ersichert. Das heißt, es gelten
der nationale Leistungskatalog,
die nationalen Tarife, Qualitätsbestimmungen und Gewährleistungsprinzipien.
Versorgung, die gezielt im Ausland geplant wird und die
durch einen Auslandskrankenschein E112 vom nationalen
Versicherer genehmigt werden
muss. Auch hier gilt: Patienten
werden behandelt, als wären sie
in dem behandelnden Land versichert.
Die EHIC soll es den Leistungserbringern erleichtern, möglichst
schnell festzustellen, ob der Karteninhaber gesetzlich abgesichert
5
Will ein Patient eine geplante Behandlung gemäß der Verordnung
1408/71 im Ausland durchführen
lassen, muss er eine Genehmigung
in Form des europäischen Standardformulars E112 vorlegen. Mit
diesem Schein bestätigt der Krankenversicherer, dass er die Kosten
für die Behandlung übernehmen
wird. Obwohl der E112-Schein in
allen Ländern identisch ist, ist der
Genehmigungsprozess auf nationaler Ebene geregelt. Dies hat zur
Folge, dass Unterschiede im Prozess, der Anzahl genehmigter Behandlungen, der Entscheidungsebene, in den Fristen und in den
Zielvorgaben auftreten.
Die Genehmigung einer
“geplanten” Behandlung ist
MDK-Forum 3/2008
Schwerpunkt
­ nwahrscheinlich, wenn die Beu
handlung nicht im Leistungskatalog des Heimatlands enthalten ist
und/oder deutlich teurer ist. Hierdurch können Patienten verleitet
sein, einen Fall von Akutversorgung vorzutäuschen und Gebrauch von ihrer EHIC zu machen. Es existieren zum Beispiel
Berichte über skandinavische
„Touristen“, die unterwegs in
Deutschland ein plötzlicher Zahnschmerz befiel und die so den aus
ihrer Sicht großzügigen deutschen
Leistungskatalog ausnutzten.
Geplante Behandlung: Welche
Wartezeiten im Heimatland
müssen Patienten tolerieren?
Der Europäische Gerichtshof
(EuGH) hat entschieden, dass
eine Behandlung im Ausland
nicht verweigert werden darf,
wenn sie im Heimatland zwar
im Leistungskatalog enthalten
ist, aber dort innerhalb eines
„medizinisch vertretbaren
Zeitrahmens“ nicht erbracht
werden kann. Wie soll man aber
den „medizinisch vertretbaren
Zeitrahmen“ definieren? Aufsehen erregte im Jahr 2006 der Fall
der Britin Yvonne Watts. Sie litt
an Hüftarthrose und hatte dauerhaft Schmerzen. Sie wollte sich
im Ausland behandeln lassen
und suchte um Genehmigung
nach. Die zuständige Krankenkasse lehnte ab, da sie der Meinung war, diese Operation selber
„rechtzeitig“ erbringen zu können. Yvonne Watts ließ die Operation dennoch in Frankreich
durchführen und forderte gerichtlich die Rückerstattung der entstandenen Kosten.
Aus dem EuGH-Urteil im Fall
Watts geht hervor, dass die Wartezeit eine medizinisch akzeptable Zeitspanne nicht überschreiten
darf, die dem Zustand und den
Bedürfnissen des Patienten Rechnung trägt. Keine konkrete Zeitangabe also, aber dennoch eine
Wartezeit, die vom individuellen
Zustand des Patienten abhängt.
Dieses Urteil verursachte in
m­anchen Mitgliedsstaaten einige
MDK-Forum 3/2008
Turbulenzen, da Wartelisten,
auch wenn sie eventuell national
definierte Höchst-Wartezeiten
beinhalten (wie im Fall Watts),
vor Gericht kein Hindernis für
die Genehmigung einer Behandlung im Ausland sind. Die Kosten müssen hierbei, unabhängig
von ihrer Höhe, voll erstattet
werden. Dies könnte künftig den
positiven Effekt haben, dass diese Mitgliedsstaaten ihre Wartelisten-Problematik aktiver angehen.
Der Fall Kohll/Decker
und seine Folgen
Lange Zeit wurde allgemein
a­ngenommen, dass die Verordnung 1408/71 den Zugang zu
grenzüberschreitenden Gesundheitsdienstleistungen ausreichend
reguliert. Dies erwies sich durch
das EuGH-Urteil im berühmten
Kohll/Decker-Fall von 1998
nachhaltig als Irrtum. Der EuGH
bestätigte in seinem Urteil, dass
das Recht auf freien Güter- und
Dienstleistungsverkehr auch auf
gesetzlich be­zahlte Gesundheitsdienstleistungen und -waren
A­nwendung findet. Allerdings
wurde dem Wesen der Gesund­
heits­dienstleistungen insofern
Rechnung getragen, als dass Einschränkungen in diesem Bereich
unter bestimmten Umständen
b­erechtigt sein können.
Die oben genannten EuGHU­rteile schufen veränderte Rahmenbedingungen für die Ab­
sicherung im Ausland, die nicht
mehr auf dem freien Personenverkehr (vgl. 1408/71), sondern
auf dem freien Waren- und
Dienstleistungsverkehr basieren.
Gesundheitsdienstleistungen
zählen somit als wirtschaftliche
Aktivität – ohne Berücksichtigung der Einrichtung (Krankenhaus etc.) oder der Form des nationalen Systems (Rücker­­stattung
oder Sachleistung).
Urteile des EuGH im Überblick
Zusammengefasst beinhalteten
die Urteile des EuGH folgende
Festlegungen:
6
Ambulante Dienstleistungen im
Ausland werden auf das Niveau
des Heimatlandes begrenzt und
bedürfen keiner vorherigen Genehmigung. Die Notwendigkeit,
das finanzielle Gleichgewicht
oder die Qualität des Gesundheitssystems stabil zu halten,
reicht nach Ansicht des EuGH
als Argument für die Ablehnung
von Auslandsbehandlungen nicht
aus. Das Gericht begründete dies
damit, dass der Versicherungsschutz auf das Niveau des Heimatlandes begrenzt ist. Damit sei
die Wahrscheinlichkeit eines extremen Anstiegs der Grenzüberschreitungen für ambulante
Dienstleistungen sehr gering.
Der Zugang zu Krankenhausleistungen kann tatsächlich genehmigungspflichtig sein, damit
die Mitgliedsstaaten ein ausgewogenes und zugängliches Krankenhaussystem aufrecht erhalten
können. Hier gilt, dass eine Behandlung im Ausland nur verwehrt werden kann, wenn die
gleiche oder eine vergleichbare
Behandlung ohne unangemessene Verzögerung im Heimatland
ermöglicht werden kann. Bezüglich stationärer Krankenhausleistungen akzeptierte der EuGH
also Zugangsbeschränkungen
für den Verkehr von Gesundheitsdienstleistungen.
Weiterhin Probleme bereitet
a­llerdings die Definition einer
„unangemessenen Verzögerung“
oder des „medizinisch vertret­
baren Zeitrahmens“ für Krankenhausbehandlungen, die erheblich zwischen den einzelnen
Mitgliedsstaaten variiert. Darüber hinaus sind die Begriffe
„nicht-stationär“ oder „ambulant“ zum einen und „stationäre“ oder „Krankenhausversorgung“ zum anderen auf
europäischer Ebene nicht eindeutig definiert. Es können daher nationale Unterschiede in
der Interpretation der EuGHUrteile auftreten, die Patienten
motivieren können, Genehmigungen für die Erstattung der
Kosten auf dem Gerichts­wege
Schwerpunkt
zu erstreiten, wenn die betreffenden Leistungen in ihrer
H­eimat nicht im Leistungs­
katalog enthalten sind.
Die Kommission versucht
Rechtssicherheit zu schaffen
Daher hat die EU-Kommission
Anfang Juli 2008 einen Richtlinienentwurf mit dem Ziel verabschiedet, den rechtlichen
Rahmen grenzüberschreitender
Gesundheitsversorgung zu definieren. Dies geschah, nachdem
der Versuch gescheitert war,
Gesundheitsdienstleistungen
in der allgemeinen Dienstleis-
tungsrichtlinie von 2006 zu
v­erankern.
Zwar ändert die vorgeschlagene
Richtlinie wenig an den bereits
bestehenden Möglichkeiten.
Aber sie versucht, bezüglich
Rückerstattungen, Patientenrechten, Haftung und Verfahrensgarantien mehr Sicherheit
zu schaffen. Ob dies eine höhere
Patientenmobilität zur Folge
hat, ist unklar (siehe Interview
mit der Europareferentin Julia
Schröder S. 9). Die neue Richtlinie erkennt ausdrücklich die parallel weiter existierende Verordnung 1408/71 an, und die Frage
ist, ob die Patienten diesen Weg
Der gesetzliche Rahmen für grenzüberschreitende Versorgung
Der Einfluss der Europäischen Union auf die Gesundheitspolitik im Zuge der
europäischen Integration hat nie eine wirklich wichtige Rolle gespielt. Wie im
Artikel 152 des Europäischen Gründungsvertrags festgelegt, hat die Gemeinschaft die Verantwortlichkeit der Mitgliedsstaaten für die Organisation und
Durchführung von Gesundheitsdienstleistungen und medizinischer Versorgung zu respektieren. An diesem Grundsatz haben auch die zurückliegenden
Reformen nichts verändert.
Zwar wurden im Vertrag von Maastricht (1992) die Kompetenzen der EU
bezüglich der Gesundheitspolitik offiziell erweitert, indem ein Schutz der
Gesundheit aller EU-Bürger auf hohem Niveau zugesichert wird. Trotzdem:
Dieser Bereich ist nach wie vor vom Subsidiaritätsprinzip abgedeckt und
geschützt (Artikel 5 des EG-Vertrags). Dennoch gibt es eine beträchtliche
Summe europäischen Rechts ohne direkten Gesundheitsbezug, das aber
erhebliche Auswirkungen auf die Finanzierung, Regelung und Erfüllung von
Gesundheitsdienstleistungen in der EU hat.
Auf Grund des Territorialprinzips war die Sicherstellung der Gesundheitsversorgung traditionell auf die Grenzen des jeweiligen Landes beschränkt.
Wenn eine Versorgung im Ausland benötigt wurde, galt dies als Privatangelegenheit und die Kosten waren individuell zu tragen. 1958 wurde dann
eine Regelung getroffen, welche die Ansprüche auf soziale Sicherheit von
Gastarbeitern und deren Familien innerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums wahren sollte. Basierend auf dem Recht des freien Personenverkehrs
wurde so ein Ausnahmefall vom Territorialprinzip geschaffen.
Dieser Rahmen, später festgelegt in der Verordnung Nr. 1408/71 des europäischen Wirtschaftsrats (EWR), wurde im Laufe der Jahre auf nahezu alle
EU-Bürger erweitert, da für einen gemeinsamen europäischen Markt auch
ein gesamteuropäischer Arbeitsmarkt notwendig ist.
7
nicht bevorzugen werden (oder
sollten).
Aushandlung grenzübergreifender Verträge möglich
Um die Palette komplett zu
m­achen, muss noch eine dritte
Möglichkeit erwähnt werden,
wie Patienten Gesundheitsdienstleistungen im Ausland in Anspruch nehmen können und erstattet bekommen. Abseits der
EWR-Verordnung 1408/71 können nämlich grenzübergreifende
Verträge direkt ausgehandelt
werden. In diesen Fällen sichert
ein Kostenträger, z.B. eine
K­rankenkasse, eine Behandlung
im Partnerland zu. Dabei wird
in der Regel nicht das volle
L­eistungsvolumen, das von der
EWR-Verordnung 1408/71 ab­
gedeckt ist, vereinbart, sondern
ein begrenztes Leistungsprogramm zu einem vorher vereinbarten Preis und möglicherweise
in einem begrenztem Zeitraum.
Innerhalb dieser Verträge wird
der Verwaltungsaufwand vom
Kostenträger und Leistungserbringer getragen, wodurch sich
der Patient lediglich noch in ein
fremdes Land begeben muss.
A­nfang 2006 gab es 13 stationäre
und fünf ambulante Zusammenarbeiten, in denen deutschen Patienten die Möglichkeit geboten
wurde, im Ausland behandelt zu
werden, vornehmlich in Österreich. Das ist das Ergebnis eines
europäischen Forschungsprojekts
am Lehrstuhl für Management
im Gesundheitswesen an der TU
Berlin aus dem Jahr 2006. In den
Niederlanden, wo in der Vergangenheit öfter Wartelistenprobleme aufgetreten sind, gibt es relativ viele solcher Verträge, hauptsächlich mit deutschen und
belgischen Leistungserbringern.
Zur Behandlung ins Ausland:
eine Zwischenbilanz
Es gibt generell drei unterschiedliche Rahmenbedingungen, unter
denen Behandlungen im Ausland erstattet werden können:
MDK-Forum 3/2008
Schwerpunkt
d­arstellt, bleibt fraglich, da die
Benutzung der EHIC parallel
möglich (und eventuell attraktiver) ist. In w­elchem Maße
die neue EU-Richtlinie einen
Anstieg der grenzüberschreitenden Versorgung bedeutet
ist unklar.
Seit dem 1. Juni 2004 ersetzt die Europäische Krankenversicherungskarte
(European Health Insurance Card – EHIC) das zuvor gültige Formular E 111.
Die Karte kann mittlerweile bei fast allen Krankenkassen – häufig auch online – angefordert werden. Die EHIC weist europaweit einheitliche Merkmale
auf, zum Beispiel das EU-Emblem und die Anordnung der Textfelder. Die Vorlage der Karte reicht aus, um sich in allen EU-Staaten sowie in Island, Liechtenstein, Norwegen und in der Schweiz im medizinischen Notfall ambulant
oder stationär behandeln zu lassen. Wenn Versicherte sich aus bestimmten
Gründen bewusst für eine Behandlung im Ausland entscheiden, muss mit der
Krankenkasse zuvor geklärt werden, ob die Kosten hierfür übernommen
werden. Dies gilt auch für Chroniker, wenn die Krankheit eine besondere
medizinische Überwachung notwendig macht und den Einsatz besonderer
Techniken oder Geräte erfordert (z.B. bei Dialysebehandlungen).
1. Die Verordnung 1408/71
(EHIC und E112): Patienten
werden behandelt, als wären
sie in dem behandelnden
Land versichert. EHIC-Missbrauch könnte dazu führen,
dass Ausländer den deutschen
Leistungskatalog nutzen, um
Behandlungen auf Kosten ihrer heimatlichen Krankenkasse erstattet zu bekommen.
Dass dies umgekehrt stattfindet, ist eher unwahrscheinlich,
da der deutsche Leistungskatalog relativ umfangreich ist.
Für geplante Behandlungen
ist eine Genehmigung nötig,
die nicht verweigert werden
darf, wenn die Behandlung im
Leistungskatalog enthalten ist
und eine unangemessene Verzögerung im Heimatland auftritt. In Deutschland, wo Probleme mit Wartezeiten im
MDK-Forum 3/2008
Vergleich mit europäischen
Nachbarstaaten eher selten
vorkommen, ist nicht mit einem nennenswerten Anstieg
der Patientenmobilität zu
rechnen. Allerdings könnten
P­atienten die EHIC benutzen,
um einer Zuzahlung für stationäre B­ehandlungen zu entgehen, wenn diese im Ausland
nicht existieren. Diese Option
gilt natürlich nur in Grenz­
nähe.
2. Das zweite Rahmenwerk wurde nach den Kohll/DeckerUrteilen (1998) geschaffen.
Es vereinfacht vornehmlich die
ambu­lanten Behandlungen, die
ohne G­enehmigung möglich
sind. Inwiefern dieser Rahmen
ein ausreichendes Regelwerk
bezüglich Rechten, Haftung
und Verfahrensgarantien
8
3. G
renzübergreifende Verträge:
Sie sind – wenn überhaupt
vorhanden – ohne Frage die
s­icherste Wahl, aber beschränkt auf ein begrenztes
Leistungsprogramm. Ein Mobilitätsanstieg auf Grund dieser Möglichkeit ist nicht zu
erwarten.
Die klaren Gewinner einer
S­tärkung der grenzüberschreitenden Versorgung sind die
B­ürger. Ob dies eine höhere
Mobilität zur Folge hat und in
welche Richtung sich diese bewegt (also ob aus Deutschland
raus oder aus dem EU-Ausland
nach Deutschland hinein), wird
nicht zuletzt vom Angebot und
der wahrgenommenen Qualität
abhängen. Eine finanzielle Belastung ergibt sich allenfalls für
solche Systeme, die von ihren
Bürgern als schlecht wahrgenommen werden und/oder in
denen lange Wartezeiten die
R­egel sind.
Ein Ansporn also für das deutsche Gesundheitssystem, seinen
Leistungskatalog weiter am
a­ktuellsten evidenzbasierten
medizinischen Stand zu orientieren, Wartezeiten gering zu
halten und die Leistungen auf
hohem Qualitätsniveau und
großer Patientenzufriedenheit
anzubieten. Dies erfordert aber
auch, diese Dimensionen
e­rstens zu messen und zweitens
transparent darzustellen.
Ewout van Ginneken
Prof. Dr. Reinhard Busse
Lehrstuhl für Management
im Gesundheitswesen
Technische Universität Berlin
E-Mail:
ewout.vanginneken@
tu-berlin.de
Schwerpunkt
„Letztlich entscheidet der Patient“
Interview mit Julia Schröder von der Europavertretung
der Deutschen Sozialversicherung zur neuen EU-Richtlinie
N
eue Hüfte in Paris, Knie-OP
in den Niederlanden? Eine
neue EU-Richtlinie, die seit Juli
2008 als Vorschlag von der EUKommission vorliegt, will den
Gang zum Arzt im Nachbarland
einfacher machen. J­ulia Schröder, Referentin für europäische
Gesundheitspolitik bei der Europavertretung der deutschen Sozialversicherung in Brüssel, hat
dem MDK-Forum eine Einschätzung gegeben, wie sich die
Richtlinie auswirken könnte.
? MDK-Forum: Erwarten Sie,
dass sich künftig mehr Deutsche
im Ausland behandeln lassen?
!
Julia Schröder: In Deutschland gibt es nicht besonders viele Patienten, die sich im Ausland
behandeln lassen. Auslandsbehandlungen machen gerade mal
? MDK-Forum: Frau
S­chröder, bietet die neue EURichtlinie ganz neue Wege für
die Behandlung im A­usland?
!
Julia Schröder: Nein. Im
Grunde würde sich mit der EURichtlinie, zumindest für die
deutschen Patienten, nicht viel
ändern. Schon vor dem Entwurf
der Richtlinie gab es die Möglichkeit, für eine Behandlung ins
Ausland zu gehen. Neu ist, dass
sich Versicherte stationäre Krankenhausaufenthalte nicht mehr
vorher von der Krankenkasse genehmigen lassen müssen.
Hierdurch ergeben sich jedoch
auch Nachteile. Denn im Ausland
wird der Versicherte als Privat­
patient behandelt und erhält die
Kosten im Nachhinein unter Umständen nicht komplett zurück.
Denn die Behandlungskosten
werden von den Krankenkassen
nur bis zur Höhe der deutschen
Sätze erstattet. Das wissen viele
nicht und bleiben eventuell am
Ende auf hohen Eigenanteilen
sitzen. Deshalb ist es ratsam, eine
Behandlung vorher mit der Krankenkasse abzuklären – auf diese
Weise lassen sich Kostenrisiken
vermeiden.
Julia Schröder, Europavertretung der
Deutschen Sozialversicherung
ein Prozent aus. Hauptsächlich
gibt es zwei Faktoren, die eine
Behandlung in einem anderen
Land attraktiv machen: Wenn
die Qualität der Versorgung im
eigenen Land nicht besonders
gut ist oder wenn es lange Wartelisten gibt. Auf Deutschland
t­reffen beide Faktoren nicht zu.
Hinzu kommt, dass Sprachunterschiede häufig hohe Barrieren
sind. Mehr Zuspruch findet die
Auslandsbehandlung natürlich
in Grenzregionen. Dort kommt
es auch vor, dass Krankenkassen
unterein­ander oder mit Krankenhäusern Verträge schließen.
? MDK-Forum: Kann denn
das deutsche Gesundheitssystem
von der neuen Patienten-Freiheit
profitieren? Entsteht dadurch
vielleicht ein neuer Wettbewerb?
! Julia Schröder: Vorteile
könnten zum Beispiel die Krankenhäuser haben, weil sie mit aus-
9
ländischen Patienten die Bettenauslastung steigern könnten. Auch
die Krankenkassen, die zu einem
nicht unerheblichen Teil in die
Krankenhausfinanzierung eingebunden sind, hätten natürlich ein
Interesse daran. Auch hier ist jedoch kein großer Umschwung zu
erwarten, außer vielleicht für wenige hochspezialisierte Kliniken.
Einen verstärkten Wettbewerb erwarte ich daher nicht. Den Krankenversicherungen bringt es keine
lohnenswerten Vorteile, Patienten
ins Ausland zu „schicken“, weil
die Preisunterschiede für eine qualitativ gleichwertige Versorgung
nicht so groß sind und zusätzliche
Kosten, wie beispielsweise Fahrtkosten hinzugerechnet werden
müssen. Und letztendlich entscheidet der Patient immer selber,
ob er sich im Ausland behandeln
lassen möchte oder nicht.
? MDK-Forum: Wie geht es
nun weiter mit der Richtlinie?
!
Julia Schröder: Viele europäische Länder, insbesondere
Staaten mit Wartelisten, werden
Vorbehalte gegen die neue Richtlinie haben. Zudem sind viele
Punkte noch nicht geklärt. So erlaubt die Richtlinie den Mitgliedsstaaten zum Beispiel, das System
der Vorabgenehmigungen wieder
einzuführen, wenn das finanzielle
Gleichgewicht des Sozialversicherungssystems oder die Planbarkeit
des Krankenhaussektors durch
unkontrollierte Patientenströme
gefährdet wird. Ob eine solche
Entwicklung nachgewiesen werden kann und wie dies nachgewiesen werden muss, ist noch
v­öllig unklar.
Die Fragen stellte Friederike
Geisler, MDK Niedersachsen
MDK-Forum 3/2008
Schwerpunkt
Schon bald mehr Pflegekräfte
aus Osteuropa?
Von Andrea Steidle
G
erade einmal ein Jahr ist es
her, dass der Billiganbieter
McPflege den deutschen Pflegemarkt aufmischte. Mit osteuropäischem Personal wollte das
Unternehmen Pflegedienstleistungen anbieten. Nach zehn Tagen stellte es seine Arbeit wieder ein, doch die Debatte über
ausländische Pflegekräfte wird
nicht so schnell verstummen.
Im kommenden Frühjahr steht
die deutsche Bundesregierung
erneut vor der Entscheidung:
Die Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit für die der
EU im Jahr 2004 beigetretenen
Mitgliedsstaaten aufheben –
oder diese abermals um zwei
Jahre (bis 2011) verlängern?
Für den Pflegesektor könnte eine
Aufhebung der Sperre spürbare
Auswirkungen haben. Immer
wieder gibt es beispielsweise Anfragen polnischer Pflegedienste,
die gern auch in MecklenburgVorpommern oder anderen angrenzenden deutschen Regionen
arbeiten würden. Generell ist der
Aufbau einer Pflegedienst-Niederlassung in Deutschland zwar
möglich. Polnische Bürger können jedoch bislang nur eingestellt
werden, wenn sich für den angebotenen Arbeitsplatz kein deutscher Arbeitnehmer finden lässt.
Grundlage dieser Regelungen ist
das „Gesetz über den Arbeitsmarktzugang im Rahmen der
EU-Erweiterung“ vom 23. April
2004. Durch eine bewusste Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit, die seit 2004 bereits
ein Mal verlängert wurde, soll vor
allem der Niedriglohnsektor in
Deutschland geschützt werden.
Zum Kabinettsbeschluss (Verlängerung der Beschränkung) erklär-
MDK-Forum 3/2008
te im Jahr 2006 das Bundesministerium für Arbeit und Soziales:
„Angesichts der Situation auf
dem deutschen Arbeitsmarkt
muss der Zugang von Beschäftigten aus den neuen EU-Ländern
weiterhin gesteuert werden“.
Kehrseite der Medaille: Vor allem
im Niedriglohnsektor – egal ob
auf dem Bau oder in der Pflege –
boomt die Schwarzarbeit.
Andere EU-Staaten sind hier
deutlich offener und experimentierfreudiger: Großbritannien und
Irland haben ihre Arbeitsmärkte
nach Angaben der Deutschen
Gesellschaft für Auswärtige Politik schon frühzeitig geöffnet. Mit
Beginn seiner EU-Ratspräsidentschaft hat am 1. Juli 2008 auch
Frankreich nachgezogen und die
bislang bestehenden Barrieren
fallen gelassen. Neben Deutschland hält innerhalb der EU lediglich Österreich an der Beschränkung fest.
Gut ausgebildete Kräfte für
den deutschen Pflegesektor?
Mit einer verstärkten Zuwanderung von Pflegekräften aus den
EU-Beitrittländern rechneten viele Experten 2004, dem Jahr der
EU-Osterweiterung. „Da die Pflegekräfte aus diesen Ländern teilweise eine Ausbildung auf Hochschulniveau vorweisen können,
wird die Plfege in Deutschland
interessiert sein, diese gut ausgebildeten Mitarbeiter zu rekrutieren“, prognostizierte beispielsweise Ricarda Klein, Pflegedirektorin
am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf und Vorstandsvorsitzende des Verbandes der
PflegedirektorInnen der Unikliniken, in einem Beitrag für die
Zeitschrift „Heilberufe“.
10
Im Februar 2008 kamen in Hannover Experten zu einem „Europa-Forum“ mit dem Titel „Pflege
grenzenlos in Europa – ausländische Arbeitnehmer zwischen
Schwarzarbeit und Arbeitnehmerfreizügigkeit 2009“ auf Einladung des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste
(bpa) zusammen, um über die
Europäisierung der Pflege und
das Problemfeld Schwarzarbeit
zu diskutieren. bpa-Präsident
Bernd Meurer trat dafür ein, die
bevorstehende Öffnung des Pflege-Arbeitsmarkt nicht nur negativ
zu sehen (siehe Interview).
Staatssekretär befürwortet Verlängerung der Beschränkung
Momentan deutet alles auf eine
voraussichtliche weitere Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit hin. Kajo Wasserhövel, ehemaliger Staatssekretär im
Bundesministerium für Arbeit
und Soziales, warnte vor einer
unbeschränkten Öffnung des
deutschen Arbeitsmarktes. Er
vertrat auf dem „Europa-Forum“
die Ansicht, dass mit der Legalisierung illegaler Beschäftigungsverhältnisse längst nicht alle Probleme gelöst seien. Laut eines
„Newsletters“ der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik
e.V. plädiert Wasserhövel eindeutig für eine Verlängerung der Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit über 2009 hinaus.
Ganz anders die Grünen: Sie
sprachen sich in einem Positionspapier vom 23. August 2007 eindeutig gegen die weitere Beschränkung der Arbeitnehmerfrei­­zügigkeit aus, „um Missstände
und illegale Praktiken bei der Beschäftigung von Arbeitnehmern
Schwerpunkt
aus den neuen Mitgliedsstaaten
zu vermeiden.“
Der Bundesverband der kommunalen Senioren- und Behinderteneinrichtungen (BKSB), der 80
kommunale Träger von Einrichtungen aus dem gesamten Bundesgebiet mit über 21.000 Pflegeplätzen vertritt, will die Öffnung
des Arbeitsmarktes für ausländi-
sche Pflegekräfte an bestimmte
Bedingungen geknüpft wissen.
Auf unsere Nachfrage sagte der
Bundesvorsitzende Otto B. Ludorff: „Wir müssen in Deutschland dafür sorgen, dass die
Schwarzarbeit zurückgedrängt
wird und tarifliche Löhne gezahlt
werden. Dies kann über eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung
beispielsweise des Tarifvertrages
Interview mit
Bernd Meurer (bpa)
MDK-Forum: Und welche Folgen hätte die Aufhebung der Beschränkung für den deutschen Pflegesektor?
?
MDK-Forum: Herr Meurer, soll
die Arbeitnehmerfreizügigkeit über
2009 hinaus beschränkt bleiben?
Bernd Meurer: Der bpa hält
e­inen Wegfall der Beschränkung der
Freizügigkeit vorrangig aus zwei Gründen für erwägenswert: Einerseits gelingt es dem inländischen Arbeitsmarkt
immer weniger, die erforderlichen Pflegefachkräfte und Pflegekräfte zur Verfügung zu stellen. Hier könnten ggf.
z­usätzliche Anreize und verbesserte
Rahmenbedingungen deutlich zur Attraktivität der Berufe beitragen. Andererseits wird derzeit auf dem Wege gesetzeswidriger Konstruktionen die
Einschränkung der Freizügigkeit ausgehöhlt und damit insbesondere der
Schwarzarbeit in Haushalten mit Pflegebedürftigen Vorschub geleistet. Als
Gefahren der Freizügigkeit werden ein
befürchteter Lohnverfall und ein in den
Herkunftsländern entstehender Pflegekraftmangel betrachtet.
?
MDK-Forum: Wie muss man
sich die Beschäftigung ausländischer
Pflegekräfte gegenwärtig vorstellen?
!
Bernd Meurer: Hier sind drei
Fallkonstruktionen zu unterscheiden:
1. Eine Pflegekraft wird als Einzelunter-
Andrea Steidle ist
Mitarbeiterin im Fachgebiet
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
beim MDS
E-Mail: [email protected]
?
Präsident des Bundesverbandes
privater Anbieter sozialer Dienste
!
für den öffentlichen Dienst erfolgen. Anschließend können dann
auch die Grenzen für Pflegekräfte
geöffnet werden.“
Bernd Meurer, Präsident des bpa
nehmer in der Bundesrepublik tätig.
2. Eine Pflegekraft wird für Arbeitgeber
in der Bundesrepublik tätig.
3. Eine Pflegekraft wird von Unternehmen aus neuem EU-Staat entsandt.
Im ersten Fall besteht gegenwärtig das
Problem der Scheinselbständigkeit;
häufig liegt eine wirtschaftliche und soziale Abhängigkeit von einem Unternehmen aus dem neuen EU-Staat vor.
Im zweiten Fall wird eine Arbeitsgenehmigung von der Bundesagentur für Arbeit erst nach einer Vorrangprüfung erteilt. Im dritten Fall stehen die Probleme
der Dienstleistungsfreiheit, das Verbot
der Arbeitnehmerüberlassung und die
Scheinselbstständigkeit im Vordergrund.
Gerade in diesem Feld wird mit befristeten Werkverträgen gearbeitet, an
deren Ende das Personal lediglich
ausgetauscht wird.
Alle drei möglichen Konstruktionen
werden derzeit häufig missbräuchlich
verwendet. Faktisch wird dabei versucht, Schwarzarbeit als legales Beschäftigungsverhältnis darzustellen.
11
! Bernd Meurer: Dann könnten
alle Kräfte, die bisher illegal in deutschen Haushalten mit Pflegebedürftigen beschäftigt sind, ganz legal bei
Pflegeeinrichtungen angestellt werden. Für die Kräfte bedeutet das nicht
nur eine erhebliche Risikoverminderung, sondern stellt vor allem einen
ökonomischen Anreiz dar.
Es wird zu einem Wettbewerb von legalen mit bisher illegalen Beschäftigungsverhältnissen kommen. Viele illegale Haushaltshilfen werden sich
fragen, warum sie über eine Agentur
für einen sehr geringen Verdienst ohne
jegliche Absicherung illegal arbeiten
sollen, wenn sie auch ganz legal mit
sozialer Absicherung und besserem Verdienst beschäftigt sein können. Ein positiver Effekt dabei wird auch sein, dass
die inländ­ischen Pflegeeinrichtungen
den Fach­kräftemangel und den
Hilfskräfte­mangel besser bewältigen
werden können, weil auf entsprechende Arbeitskräfte aus den neuen EULändern zurückgegriffen werden kann.
Deshalb hält der bpa eine gezielte Bekämpfung der Schwarzarbeit oder eine
Aufhebung der Begrenzung der Arbeitnehmerfreizügigkeit vor 2011 für
zweckdienlich. Die Pflegebedürftigen
werden davon profitieren.
Die Fragen stellte Andrea Steidle
MDK-Forum 3/2008
Schwerpunkt
Erstes europäisches Unikrankenhaus
Kräfte bündeln zum europäischen
Spitzenniveau
Von Friederike Geisler
E
uropa verschmilzt – und
das nicht nur politisch. Neben der einheitlichen Währung
und der Abschaffung der Grenz­
kontrollen gibt es vielfältige
Formen der europäischen Zusammenarbeit. Sehr konzen­
triert kommen diese Kooperationen in den so genannten
„Euregios“ oder Europaregionen vor. In der „Euregio MaasRhein“ an der deutsch-holländischen Grenze entsteht zurzeit
eine Kooperation der besonderen Art: Die beiden Unikliniken Aachen und Maastricht
wollen das erste europäische
Unikrankenhaus auf den Weg
bringen.
Schon seit langem arbeiten die
beiden Häuser sehr eng zusammen. Beispielsweise leitet der
Niederländer Michael Jacobs
die Gefäßchirurgien beider Kliniken und pendelt zwischen den
30 Kilometer voneinander entfernten Standorten hin und her.
sagt Prof. Henning Saß, Vorstandsvorsitzender der Uniklinik
Aachen. Gemeinsam mit seinem
niederländischen Kollegen Guy
Peeters hat er die Zusammenarbeit ins Leben ge­rufen.
Auf dem Weg zur Fusion sind für
die deutschen und niederländischen Kollegen noch einige Hindernisse aus dem Weg zu räumen:
„Durch die kulturellen und regionalen Unterschiede müssen viele
Fragen geklärt werden“, erklärt
Saß, „das betrifft zum Beispiel das
Steuerrecht, das Entlohnungssystem oder auch das Arbeitsrecht.
Hier gibt es zum Teil ganz unterschiedliche Regelungen. Da die
Gesundheitsversorgung im Ausland jedoch rechtlich immer einfacher wird, werden unsere Patienten auch keine Probleme haben,
sich auf der anderen Seite der
Grenze behandeln zu lassen.“
Kooperation eröffnet mehr
Möglichkeiten
Durch die enge Kooperation und
auch die angestrebte Fusion ergeben sich viele Vorteile, sowohl für
die Kliniken als auch für die Patienten. Aachen und Maastricht
wollen mit Hilfe der Kooperation
die Kräfte beider Häuser bündeln
und so euro­pä­isches Spitzenniveau erreichen. „Wir haben viel
mehr Möglichkeiten, wenn wir
zusammen arbeiten, allein schon,
weil beiden Häusern dann mehr
Mittel zur Verfügung stehen“,
sagt Saß. „So können wir zum
Beispiel teure medizinische Geräte leichter a­nschaffen und werden
attraktiver für Spezialisten. Auch
in die Forschung können wir
dann i­ntensiver investieren.“
Von den Verbesserungen pro­
fitieren letztendlich auch die
Als ein Gutachten der Unternehmensberatung Roland Berger die
Privatisierung einzelner Unikliniken in NRW ins Spiel brachte,
warben die Protagonisten des
Projekts mit Nachdruck um Unterstützung für die Zusammenarbeit – und bekamen grünes
Licht aus Düsseldorf, die Sache
weiter voranzutreiben.
Dass der Plan umgesetzt werden
kann, ergab eine Machbarkeitsstudie, die von den Kliniken in
Auftrag gegeben wurde: „Die Studie hat uns bestätigt, dass die Union unserer beiden Häu­ser ökonomisch und rechtlich mach­bar ist“,
MDK-Forum 3/2008
Prof. Henning Saß ist Vorstandsvorsitzender des Aachener Uniklinikums.
Gemeinsam mit seinem niederländischen Kollegen Guy Peeters hat er die
Zusammenarbeit der Krankenhäuser ins Leben gerufen
12
Kranken- und Pflegeversicherung
P­a­tienten. Sie erhalten eine ver­
besserte Versorgung, auch auf
Spezialgebieten. In der deutschniederländischen Grenzregion
nutzen die Patienten schon jetzt
das Angebot der Klinik „auf der
anderen Seite“. Im vergangenen
Jahr kamen etwa 2.400 niederländische Patienten nach Aachen
und ließen sich in der deutschen
Uniklinik behandeln.
Ein Partikel-Therapiezentrum
auf der Grenze
Künftig soll zwischen den beiden Häusern noch ein dritter
Standort entstehen. Im Technologiepark Avantis, genau auf
d­­er deutsch-niederländischen
G­renze, planen die Kooperationspartner ein Partikel­therapie­
zentrum. Mit Hilfe der Strahlen­
behandlung sollen dort in
Zukunft Krebspatienten therapiert werden. Das Zentrum
wird rechtlich gesehen eine
Tochter der Gesellschaft und
kostet z­wischen 120 und 150
Millionen Euro. In vier Jahren
sollen dort erstmals Patienten
bestrahlt werden.
Zu dem Partikeltherapiezentrum
wird sich in einigen Jahren auch
eine Herz-Gefäß-Klinik gesellen.
Darüber müssen noch die Aufsichtsräte abstimmen. Für die
Patienten würde das aber keinen längeren Anfahrtsweg bedeuten, erklärt Saß: „Die
P­atienten würden weiterhin in
der Klinik ihrer Wahl versorgt,
im Technologiepark würde es
dann ein zusätz­liches Angebot
mit den Spezialkliniken geben.“
Durch den Stand­ort auf der
Grenze hat Avantis einen besonderen Status. In dem Gebiet
gilt sowohl deutsches als auch
niederlän­disches Recht, was den
Bau eines bilateralen Zentrums
erleichtern könnte.
Friederike Geisler ist
Mitarbeiterin der Stabsstelle
Unternehmenskommunikation
beim MDK Niedersachsen
E-Mail:
[email protected]
Grenzüberschreitende Gesundheitsangebote
Chance für die europäische Integration
„Die europäische Integration schaffen wir von den Rändern aus
und nicht von den Zentren“, ist Martin Guillermo, Geschäfts­
führer der „Arbeitsgemeinschaft Europäischer Grenzregionen“
(AGEG) mit Sitz im westfälischen Gronau, überzeugt. Für den
g­ebürtigen Spanier spielt die grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung in diesem Prozess eine wichtige Rolle.
Angefangen hat alles zwischen Enschede und Gronau. Dort wurde 1958 als
erste Europaregion die EUREGIO gegründet. Dieser Kommunalverband umfasst das südwestliche Gebiet Niedersachsens, das Münsterland und Teile der
östlichen Niederlande. Nach und nach kamen weitere Europa­regionen entlang des Rheins mit deutscher Beteilung dazu; nach der Wiedervereinigung
auch Verbünde mit Regionen in Polen, Tschechien und Slowenien. Insgesamt
gibt es in Deutschland entlang der Grenzen heute 27 regionale Koopera­tionen
mit Nachbarstaaten. Europaweit sind es insgesamt 115 formale E­uropa­
regionen, von denen 90 in der AGEG organisiert sind.
„Grenzregionen haben eigene Probleme. Zum Beispiel gibt es dort in der
R­egel weniger Dienstleistungs- und also auch Gesundheitsangebote als in den
Zentren“, beschreibt Guillermo die strukturellen Defizite der Randre­gionen.
Natürlich soll durch die grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung die Zusammenarbeit zwischen den Ländern gefördert werden. Ziel ist aber auch, so
Guillermo, durch die gemeinsame Nutzung von Einrichtungen und Ressourcen
Synergieeffekte zu erzielen. Zugleich soll damit die Bevölkerung leichter Zugang zu hochwertigen Versorgungsangeboten erhalten. Und: „D­amit halten
wir die Bevölkerung in den Randregionen“, ist Guillermo sicher.
„Die Zusammenarbeit der Krankenhäuser in Aachen und Maastricht ist
ein gutes Beispiel für die Richtung, die diese Entwicklung nehmen kann“,
sagt Guillermo. In der französisch-spanischen Grenzregion Cerdagne bzw.
Cerdanya soll es 2010 sogar ein Krankenhaus geben, das von vornherein
ein französisch-spanisches Kooperationsprojekt ist. Erst im Jahr 2006 wurde mit dem „Europäischen Verbund für territo­riale Zusammenarbeit“
(EVTZ) auch der rechtliche Rahmen geschaffen, um solche grenzübergreifenden Kooperationen zu erleichtern. Der EVTZ setzt sich aus Mitgliedsstaaten, regionalen und lokalen Gebietskörperschaften und/oder Einrichtungen des öffentlichen Rechts zusammen. Er besitzt Rechtspersönlichkeit
und verfügt über Rechts- und Geschäftsfähigkeit.
„Langfristig wird die grenzüberschreitende Zusammenarbeit in den Grenzregionen zu einer Angleichung der medizinischen Versorgungsstandards in R­ichtung
der höheren Standards führen und für die Bürger den Zugang zu Einrichtungen
im Nachbarland erleichtern“, meint Guillermo. An eine voll­ständige Integration
der Gesundheitssysteme glaubt er jedoch nicht, dazu seien die Systeme zu unterschiedlich. „Wenn es gelingt zum Nutzen der Bürger grenzübergreifende
praktische Lösungen zu finden, ist dies aber auch nicht notwendig.“
(gr)
13
MDK-Forum 3/2008
Schwerpunkt
Europaweite Standards für
die Arzneimittelsicherheit
D
ie Regelungswut der Europäischen Union kennt
kaum Grenzen. Von der G­röße
des Treckersitzes bis zum
Krümmungsgrad der Banane –
für alles gibt es Richtlinien
oder Vorschriften. So ist es
kaum zu verstehen, dass es bis
heute keine verbindliche Richtlinie für den sicheren Umgang
mit Medikamenten gibt. Der
Europarat unternahm dazu einen ersten Vorstoß.
Eine Schädigung des Patienten
bei der Arzneimitteltherapie
kann auf zweifache Weise eintreten. Zum einen sind dies
u­nerwünschte Arzneimittel­
wirkungen (UAW), zum anderen die so genannten Arznei­
mittelirrtümer. Der Europarat
hatte im Jahr 2004 ein interna­
tionales Expertenteam beauftragt, für die Europäischen Re­
gie­rungen Empfehlungen zur
Vermeidung von Medikationsirrtümern und Gesundheitsschäden durch f­alsche Medikamentenanwendung zu erarbeiten.
Ende 2007 legte der Sachverständigenrat zur Arzneimittel­
sicherheit des Europarates seine
Ergebnisse vor.
Einer der Experten war der
D­irektor der Krankenhaus­apo­
theke des Universitätsklinikums
Jena, Dr. Michael Hartmann.
„Unser Ziel war es, vorbeugende
Maßnahmen zur Erhöhung der
Sicherheit bei der Arzneimittelanwendung zu empfehlen. Bei
der Vermeidung von Medikations-Irrtümern gibt es an vielen
Stellen noch Verbesserungsbedarf.“ Dem Europarat haben die
Sachverständigen gleich an
ganzes Bündel an praktischen
Sicherheitsmaß­nahmen zur Vermeidung von Fehlern im Medikationsprozess empfohlen.
MDK-Forum 3/2008
Konkrete Maßnahmen
empfohlen
„Es geht zum Beispiel darum,
Medikamenten-Beipackzettel
künftig verständlicher zu gestalten“, so Hartmann, „oder einer
Verwechslung vorzubeugen, die
sich durch die Verwendung stark
ähnlicher Arzneimittelnamen ergibt.“ Hier bestehe großer Handlungsbedarf, da durch den weltweiten Vertrieb von Medika­menten sich die Arznei-Namen
immer weiter angleichen, um in
einer globalisierten Welt in allen
Sprachen gleich gut verstanden
werden zu können. Allein zwei
Drittel aller Verschreibungsfehler
könnten vermieden werden,
wenn elektronische Verschreibungssoftware benutzt würde.
Europäische Studien haben dies
nachgewiesen.
Werden Medikamente für jeden
Patienten von der Apotheke individuell abgepackt (so genannte
unit-doses), reduzieren sich die
Medikamentenirrtümer. Diese
Art der Arzneimitteldistribution
ist in Deutschland und Europa
noch nicht weit verbreitet. Besondere Aufmerksamkeit ist bei der
Anwendung von Hochrisikomedikamenten erforderlich. Diese
sollten auf e­iner Krankenhausstation nur in applikationsfertiger Form verabreicht werden.
Zur S­icherheit erheblich beitragen können auch elektronische
K­ontrollsysteme wie Barcodes.
Der Sachverstän­digenrat sprach
sich auch dafür aus, klinische
Pharmazeuten bei der Arzneimitteltherapie verpflichtend mit
einzubeziehen. Während im
e­uropäischen Durchschnitt
0,93 Apotheker auf 100 Krankenhausbetten kommen, sind es
hierzulande 0,3 Apotheker.
14
Medikamente – für jeden Patienten
individuell abgepackt
In nationale Standards umsetzen
Der Europarat hat mittlerweile
die Vorschläge des Sachverständigenrates seinen Regierungen
zur Umsetzung empfohlen.
„Wir hoffen, dass sich dies in
den nächsten Jahren zu nationalen Standards entwickelt. In vielen Ländern gibt es schon eigene
Initiativen, die Patientensicherheit auf diesem Gebiet zu erhöhen“, sagt Dr. Hartmann. Zum
Beispiel seien in Spanien und
Großbritannien Institute gegründet worden, die sich auf die Sicherheit der Arzneimitteltherapie
konzentrierten. Arzneimittel­
sicherheit sei auch eine Frage
der Sicherheitskultur und da
habe Deutschland noch Nachholbedarf, meint Dr. Hartmann.
Meldepflicht für unerwünschte
Arzneimittelwirkungen
Die EU-Kommission will die
A­rzneimittelsicherheit in Zukunft strikter überwachen, damit
mögliche Risiken rasch erkannt
und beseitigt werden könnten,
kündigte der deutsche EU-Kommissar Günter Verheugen an.
Schwerpunkt
Was Verheugen vorhat, steht im
Zusammenhang mit der Pharmakovigilanz, der Überwachung der
Arzneimittelsicherheit in Bezug
auf UAWs. „Das sind unerwünschte Arzneimittelwirkungen, zum
Beispiel gesundheitsschädliche
und unbeabsichtigte Wirkungen
eines Medikamentes, die in Dosierungen auftreten, welche beim
Menschen zur Prophylaxe, Diagnostik oder Therapie üblich
sind“, erklärt Dr. Hartmann.
Noch werden in Europa Arzneimittelnebenwirkungen nicht einheitlich gemeldet und registriert.
In Zusammenarbeit mit der Europäischen Arzneimittelagentur
(EMEA) wurde eine EU-Datenbank für die Pharmakovigilanz
eingerichtet. Verdachtsfälle unerwünschter Arzneimittelwirkungen sollen so schneller und
einfacher registriert werden
können. In mehreren Pharmakovigilanz-Zentren in Deutschland werden systematisch Patientenakten durchforstet, um auf
Auffälligkeiten zu UAWs zu stoßen. Diese Auswertungen sollen
zum Beispiel Medizinern Anhaltspunkte liefern, häufiger
UAWs zu melden.
Preise noch unterschiedlich
Während das Zulassungsverfahren von Arzneimitteln in Europa
schon seit langem einheitlich geregelt ist, gibt es bei den Preisen
weiterhin Wildwuchs. „Wir haben in Europa ein völlig unterschiedliches Preisniveau.“ Das
überrascht den Pharmazeuten
aus Jena: „Seit Jahren gibt es
den freien Warenverkehr und
eine gemeinsame Währung, aber
zu einer Preisanpassung hat das
nicht geführt. Es lohnen sich
im­mer noch Reimporte.“
(dt)
Pharmakovigilanz: EU-Kommission will Arzneimittelsicherheit stärken
Noch in diesem Jahr will die EU-Kommission den Entwurf einer Richtlinie vorlegen, mit der das
g­eltende System für die Arzneimittelüberwachung effizienter gestaltet und gestärkt werden soll.
Bereits heute muss jedes EU-Mitgliedsland Berichte und Erkenntnisse über unerwünschte Nebenwirkungen von Arzneimitteln elektronisch an eine Datenbank bei der Europäischen Arzneimittel­
agentur (EMEA) weitergeben, die Eudravigilance. Die Datenbank zur Überwachung der Arzneimittel­
sicherheit (Pharma­kovigilanz) ist in Deutschland beim Bundesinstitut für Arzneimittel (BfArM)
angesiedelt; eine weitere Datenbank existiert beim für Impfstoffe und Blutprodukte zuständigen
Paul-Ehrlich-Institut.
„Die pharmazeutische Gesetzgebung in der EU ist kompliziert. Das gilt auch für die laufende Überwachung der
S­icherheit von Arzneimitteln“, sagt Dr. Ulrich Hagemann, beim BfArM zuständig für Pharmakovigilanz. „Das BfArM
unterstützt deshalb die jetzt angestrebte Stärkung der Pharmakovigilanz ausdrücklich.“ Die unterschiedliche Umsetzung der Vorschriften in den Mitgliedsstaaten führt zu aufwändigen und uneinheitlichen Meldepflichten für die Hersteller. Außerdem sind die Entscheidungsverfahren auf EU-Ebene mehr als kompliziert.
Richtlinien-Entwurf für Oktober 2008 angekündigt
Ziel der aktuellen Reformbemühungen ist es daher, so Hagemann, bürokratische Hindernisse zu beseitigen und
Aufgaben und Zuständigkeiten in der Pharmakovigilanz klarer zu fassen. Von ganz dringenden Fällen abgesehen
dauere die Bewertung von Substanzen im Schnitt zu lange. Hagemann ist optimistisch, dass der von der EU-Kommission gemachte Verfahrensvorschlag mit arbeitsteiliger Herangehensweise und Vermeidung von Doppelbewertungen zur Beschleunigung beitragen kann. Außerdem sollen die Entscheidungsverfahren in der EU effizienter gestaltet werden, d­amit rasche und tragfähige Entscheidungen getroffen und für alle betroffenen Arzneimittel auf
allen Märkten um­gesetzt werden können.
Trotz ausführlicher Studien vor der Zulassung lässt sich das Sicherheitsprofil eines neuen Arzneimittels nie vollständig
ermitteln. Daher tauchen neue und andere Fragen auf, sobald ein Arzneimittel auf dem Markt und in den Versorgungsalltag eingeführt ist. Deshalb will die EU-Kommission in ihrem aktuellen Vorstoß auch einen klaren rechtlichen
Rahmen schaffen, der Hersteller zu Arzneimittelsicherheitsstudien nach der Zulassung verpflichtet.
Der Entwurf für die geänderte Richtlinie soll noch in diesem Herbst veröffentlicht werden. Dann müssen das EU-Parlament und der EU-Ministerrat zustimmen. Es wird nach Hagemanns Einschätzung voraussichtlich bis 2010 dauern, dass
die nationalen Parlamente, hier also der Deutsche Bundestag, diese Richtlinie in nationales Recht überführt hat. (gr)
15
MDK-Forum 3/2008
Kranken- und Pflegeversicherung
Psychotherapeutische Versorgung in Deutschland
Trotz Verbesserungen noch Defizite
Von Andrea Steidle
I
n der stationären und ambulanten psychotherapeutischen Versorgung gibt es – trotz
Ausbaus in den vergangenen
zwei Jahrzehnten – weiterhin
viel Handlungsbedarf. Zu diesem Ergebnis kommen die Autoren des vom Robert Koch-Institut im Juli herausgegebenen
Themenheftes „Psychotherapeutische Versorgung“ der
„Gesundheitsberichterstattung
des Bundes“.
Die Autoren vom Uniklinikum
Hamburg-Eppendorf, Holger
Schulz, Dina Barghaan, Timo
Harfst und Uwe Koch, nehmen
die Versorgung psychisch Kranker in Deutschland unter die
Lupe. Neben der Versorgung
durch Ärzte und Therapeuten
wurden auch die Angebote von
Ambulanzen, psychotherapeutischen Beratungsstellen, Tageskliniken, Krankenhäusern und Rehabilitationseinrichtungen
analysiert.
Positives Fazit: Die Versorgung
psychisch Kranker in Deutschland ist deutlich besser geworden.
Das liegt an der besseren Qualifikation der Fachärzte durch gestiegene Weiterbildungsanforderungen bzw. durch das Psycho­thera­peutengesetz bei Psycho­logischen Psychotherapeuten und
Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten. Doch in der Gesamtsicht überwiegt die Kritik an
der aktuellen Versorgungslage.
Deutliches West-Ost- und SüdNord-Gefälle
So zeigte sich in der Versorgungsdichte ein „eklatantes“
West-Ost-Gefälle, ebenso ein
deutliches Stadt-Land-Gefälle:
Außer in Berlin ist der Anteil an
MDK-Forum 3/2008
Psychotherapeutinnen und -therapeuten in den neuen Bundesländern weniger als halb so groß
wie im früheren Bundesgebiet.
Auf 100.000 Einwohner über 18
Jahre kamen in Ost-Deutschland
maximal neun P­sychologische
Therapeuten bzw. Therapeutinnen; zum Vergleich: In Berlin
waren es 49,5 (Angaben aus
dem Berichtsjahr 2004). Lediglich in der stationären Kinderund Jugendlichenpsychiatrie ist
in den neuen Ländern die Bettendichte fast doppelt so hoch.
Auch auf ein spürbares NordSüd-Gefälle macht das Institut
aufmerksam: So gab es etwa in
Baden-Württemberg, Bayern und
Hessen fast doppelt so viele ärztliche Psychotherapeutinnen und
-therapeuten wie in den nördlichen Bundesländern (Ausnahmen: Hamburg, Bremen und
abermals Berlin).
Den Großteil der Versorgung der
GKV-finanzierten Psychotherapie
nimmt die Gruppe der Psychologischen Psychotherapeutinnen
und -therapeuten wahr, die auch
rein statistisch überwiegt: Auf
knapp 10.000 Ärztinnen und
Ä­rzte, die über die Zusatzbezeichnung „Psychotherapie“ verfügen,
kamen am 31.12.2004 bundesweit ca. 12.400 Psychologische
Psychotherapeutinnen und -therapeuten (Quelle: Kassenärztliche Bundesvereinigung).
Interessantes Ergebnis bei den Behandlungsformen: Trotz nachgewiesener guter Wirksamkeit und
gesundheitsökonomischer Effizienz in der ambulanten Psychotherapie konnte sich beispielsweise
die Behandlungsform „Gruppentherapie“ bislang kaum etablieren.
Das RKI vermutet, dass dies zum
16
In der ambulanten Psychotherapie
konnte sich die Gruppentherapie bislang kaum etablieren
Teil auf die bis vor kurzem noch
inadäquate Honorierung ambulanter gruppentherapeutischer
Leistungen zurückzuführen sei.
Im stationären Bereich ist die Behandlungsform „Gruppentherapie“ hingegen Standard.
Dünne Datenbasis erschwert
gezielte Planung
Bemängelt wird auch die bisherige Datenbasis zu wesentlichen
versorgungsrelevanten Fragestellungen. Diese sei zurzeit nur „sehr
eingeschränkt vorhanden“, resümieren die Autoren. So würden
wichtige empirische Grundlagen
für eine „rational begründete Versorgungsplanung“ im Bereich der
Versorgung psychisch Kranker
bislang fehlen.
Das Themenheft Nr. 41 finden Sie
im Internet unter www.rki.de/gbe
Andrea Steidle ist
Mitarbeiterin im Fachgebiet
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
beim MDS
E-Mail: [email protected]
Kranken- und Pflegeversicherung
Die Haltestellen-Therapie
Es fährt ein Bus nach Nirgendwo
Von Friederike Geisler
I
n Langenhagen sitzen
D­emenzkranke an einer
Haltestelle, an der nie ein Bus
halten wird. Das Altenzentrum
Eichenpark ist alles andere als
eine langweilige verstaubte
U­nterkunft für alte Menschen.
Eine ungewöhnliche Therapie
hilft Bewohnern und Betreu­e­r­innen bei der Bewältigung des
Heim-Alltags.
Helene B. sitzt auf der Bank neben dem Bushaltestellenschild.
„Sonnenallee“ steht in großen
weißen Lettern darauf geschrieben, unten an der Säule ist ein
Fahrplan befestigt. Als es sich
die 80-Jährige auf der Bank bequem gemacht hatte, stand die
Sonne noch im Zenit – nun ist
sie schon ein ganzes Stück gewandert, ein Bus ist jedoch weit
und breit nicht in Sicht. Jeder
andere hätte mittlerweile die
Geduld verloren und sich wieder auf den Weg gemacht, Helene B. ist noch die Ruhe selbst –
denn sie hat inzwischen wieder
ver­gessen, warum sie auf dieser
Bank sitzt. Und ein Bus wird
nicht kommen.
Haltestellen bringen Ruhe
Die Bushaltestelle steht im Garten
des Altenzentrums Eichenpark in
Langenhagen bei Hannover. Sie
dient nicht nur als Dekoration,
sondern erfüllt einen therapeutischen Zweck für die demenzkranken Bewohner. Isabel Garcia, die
Leiterin des Demenz-Wohnbereichs, hat sie als Spende erhalten,
nachdem sie durch einen
Z­eitungs­artikel auf die Idee ge­
kommen ist: „Darin wurde von
dem erfolgreichen Einsatz solcher
Haltestellen in Heimen b­erichtet
und von der positiven Wirkung,
die sie auf Demente haben.“
Der gewohnte Gang zum Bus
Die Wirkung bezieht sich auf die
deutliche Verhaltensänderung der
Bewohner: „Die Demenzkranken
in unserem Bereich kommen
durch einen gerichtlichen Beschluss zu uns und viele wehren
sich gegen die neue Umgebung.
Es kam oft vor, dass Bewohner
aggressiv gegen die Tür schlugen,
weil sie nach Hause oder zum
Bus wollten. Diese Unruhe überträgt sich natürlich auch auf die
anderen.“ Mit Hilfe der Haltestellen können die Betreuer dieser
Unruhe begegnen. Allein die Vorstellung, sie würden zum Bus gehen – so wie sie es gewohnt sind
– nimmt ihnen die Unruhe und
bietet ihnen eine sinnvolle Beschäftigung. „Dass kein Bus
kommt, stört die Bewohner nicht
weiter, sie haben es nach einer
Weile durch ihre Krankheit vergessen, weil das Kurzzeitgedächtnis bei Demenz nicht mehr richtig funktioniert. An das, was
längere Zeit zurück liegt, können
sich Demente hingegen oft noch
erinnern, das betrifft auch den
Gang zur Bushaltestelle. Sie fühlen sich in diese Zeit zurück versetzt. Diese gewohnte Situation
auf der Bank führt oft dazu, dass
man sich ein bisschen unterhält
und gemeinsam Zeit verbringt.
Man merkt ihnen dabei richtig
an, dass sie nicht mehr so aufgewühlt sind und sich entspannen“,
sagt Garcia.
Isabel Garcia und ihre Kolleginnen haben besonders gute Erfahrung mit der so genannten
„Validation“ gemacht: „Es macht
vieles einfacher, wenn man die
Bewohner unterstützt, etwa
wenn sie vorhaben für ihre Familie ein Festmahl zu kochen. Dazu
kommt es letztendlich sowieso
17
Die Bewohner des Demenz-Bereichs
haben Gefallen an den Pseudo-Haltestellen gefunden. Das Warten auf den
Bus ist eine gewohnte Tätigkeit
nicht und wenn ich anfange, ihnen zu erklären, dass ihre Familie
nicht hier ist und sie besser keine
gefährlichen Küchengeräte benutzen sollten, werden sie nur
unruhig.“ Die Bewohner leben
ein Stück weit in der Vergangenheit, auf diese Weise sind sie zufrieden und fühlen sich geborgen.
Mit den Haltestellen-Attrappen
verhält es sich ähnlich.
Die Mitarbeiter der EichenparkDemenzabteilung sind von der
Haltestellen-Therapie begeistert.
Dass sie wegen der Bus-Schilder
oft belächelt wird, stört Isabel
Garcia nicht weiter: „Für uns und
vor allem für die Bewohner sind
die Haltestellen eine Bereicherung. Die Wirkung dieser Therapie ist deutlich sichtbar und das
ist es, was zählt.“
Friederike Geisler ist
Mitarbeiterin der Stabsstelle
Unternehmenskommunikation
beim MDK Niedersachsen
E-Mail:
[email protected]
MDK-Forum 3/2008
Kranken- und Pflegeversicherung
Versandapotheken fürchten
um ihre Zukunft
Von Friederike Geisler
I
n den vergangenen Jahren
hat sich der ApothekenMarkt stark gewandelt. Zu den
klassischen Apotheken mit
Verkaufsraum haben sich „virtuelle“ Arzneimittel-Händler
gesellt, die ihre Waren über das
Internet verkaufen. Diese Versandapotheken haben jedoch
mit einigen Schwierigkeiten zu
kämpfen, weil sich der Handel
über das Internet vom Verkauf
über die Ladentheke unterscheidet und viele Kritiker
d­arin eine Gefahr sehen.
Johannes Mönter, Inhaber von
Sanicare, der größten Versand­
apotheke in Deutschland, erklärt das Dilemma: „Wir würden
g­erne expandieren und unseren
Mitarbeiterstab von gut 760 weiter aufstocken, doch wir müssen
abwarten, wie die Politik über
unsere Zukunft entscheidet.“ M­­it
der Entscheidung meint er den
aktuellen Vorstoß aus Bayern
und Sachsen. Der bayerische
Gesundheits- und Verbraucher-
Im Lager einer Versandapotheke
verpackt eine Mitarbeiterin die
Arzneimittel
MDK-Forum 3/2008
schutzminister Otmar Bernhard
(CSU) möchte den Versandhandel mit rezeptpflichtigen Medikamenten verbieten, weil immer
öfter über den Verkauf solcher
Arzneimittel ohne Rezept berichtet würde. Zudem kommt
Bernhard beim Internethandel
die Beratung zu kurz: „Das Antibiotikum aus der Apotheke zusammen mit den Herztropfen
aus dem Netz kann eine schwere
Vergiftung verursachen.“
Versandapotheken von außereuropäischem Internethandel
trennen
Auf Sanicare träfen diese
A­nschuldigungen nicht zu, sagt
Mönter: „Wir können unsere
Kunden genauso beraten, wie
die Apotheke vor Ort. Knapp
200 pharmazeutische Mitarbeiter stehen für Fragen bereit. Der
Großteil unserer Kunden wendet sich mit chronischen Krankheiten an uns, wer kurzfristig
Medikamente braucht, geht weiterhin zur klassischen Apotheke.“ Auch der Verkauf von verschreibungspflichtigen Medika­menten ohne Rezept sei bei
Sanicare ausgeschlossen: „Wir
verlangen immer ein Rezept, das
ist vorgeschriebener Standard.
Außerdem stehen die Versand­
apotheken unter ständiger Beobachtung durch Aufsichtsbehörden, Krankenkassen und
Verbraucher – ein illegaler Handel mit Medikamenten w­ürde
sofort auffallen.“ Mönter weist
hierzu auf die klare Definition
von Versandapotheken hin:
„Deutsche Versandapotheken
müssen sehr strenge gesetzliche
Kriterien einhalten. Es sind öffentliche Apotheken mit einer
speziellen Zusatzerlaubnis. Es
18
gibt im Ausland zweifelsohne
auch dubiose Internet-Händler,
die eine Gefahr für die Arzneimittelsicherheit bedeuten. Im
Zusammenhang mit einer deutschen Versandapotheke ist allerdings noch nie ein Fall der Arzneimittelfälschung aufgetreten.
Das bestätigt das BKA. Deutsche Versandapotheken werden
von Kritikern gerne bewusst mit
dubiosen Händlern in einen
Topf geworfen – man muss da
jedoch klar trennen.“
Krankenkassen stehen hinter
den Versandapotheken
Viele Krankenkassen arbeiten
mittlerweile mit Versandapotheken eng zusammen. Wolfgang
Schmeinck, Vorstandsvorsitzender des BKK-Bundesverbandes,
hält den Versand von Arzneimitteln für eine sinnvolle und sichere
Alternative. Seiner Auffassung
nach müsse der Versandhandel
schon deswegen e­rhalten bleiben, weil er Verbesserungen
herbeigeführt habe.
Am Ende hat der Patient die
Entscheidungshoheit über den
Medikamenten-Kauf. Ob die
Gesetzes­initiative aus Bayern
und Sachsen Erfolg hat, ist offen.
Die SPD-geführten Bundesländer zeigen sich skeptisch und im
Unionslager gibt es auch keine
einheitliche Linie.
Weitere Informationen zu Sanicare unter: www.sanicare.de
Friederike Geisler ist
Mitarbeiterin der Stabsstelle
Unternehmenskommunikation
beim MDK Niedersachsen
E-Mail:
[email protected]
Kranken- und Pflegeversicherung
KKH und MDK starten das Projekt
„Patientensicherheit“
D
as Team steht im Operationssaal bereit. Doch bevor
der Chirurg das Messer anlegt,
geht er eine Liste durch: Stimmen Sie mir alle zu, dass es sich
bei dem Patienten um Herrn
Schmidt handelt? Stimmen Sie
mir zu, dass wir einen Eingriff
an seinem rechten Lungenflügel
vornehmen wollen? Was vielleicht auf Außenstehende etwas
ungewöhnlich wirkt, möchte die
Weltgesundheitsorganisation
(WHO) als Standard im Krankenhaus einführen, um die Patientensicherheit zu erhöhen –
Standards, die bei der Luftfahrt
gang und gäbe sind.
Risiko- und FehlermanagementSysteme, die dabei helfen sollen,
Behandlungsfehler zu vermeiden,
gibt es schon in vielen Kliniken.
Ein wichtiger Faktor wird dabei
jedoch außen vor gelassen: der
Faktor Mensch. Die MDK Niedersachsen und Baden-Württemberg beschäftigen sich im Rahmen
der Recherchen für das MDKForum schon seit einiger Zeit mit
dem Thema Patientensicherheit
und starten zusammen mit der
Kaufmännischen Krankenkasse
(KKH) ein konkretes Projekt.
Im Vordergrund dabei steht der
Faktor Mensch bei der Fehlervermeidung.
Medizin und Luftfahrt
In der Luftfahrt spielt der „Human Factor“ was die Sicherheit
angeht eine große Rolle. Bei der
Fehler-Analyse haben die Akteure festgestellt, dass zum Beispiel
die Kommunikation im Team bei
vielen Vorfällen ausschlaggebend
ist. Aus diesem Grund kommen
die Teilnehmer des Projektes „Patientensicherheit“ auch aus der
Luftfahrt: Hans Härting, Flugkapitän von Austrian Airlines, und
Workshop am 2. Juli 2008 beim MDK Niedersachsen in Hannover.
V.l. Mike Hänsel (ISIMED), Tobias Bansen (KKH), Dr. Boris Robbers
(Niedersächsisches Sozialministerium), Hans Härting (Austrian Airlines),
Daniela Friedrich (KKH), Dr. Viktor Oubaid (DLR)
Prof. Norbert Pateisky vom Allgemeinen Krankenhaus in Wien
beraten in ihrem Unternehmen
„Assekurisk Kliniken“, indem sie
die Sicherheitsmaßnahmen von
Luftfahrt-Unternehmen auf die
Medizin übertragen.
Ein weiterer Partner im Projekt
Patientensicherheit ist das Deutsche Luft- und Raumfahrtzen­
trum (DLR). Dr. Viktor Oubaid
ist dort im Bereich Pilotenauswahl beschäftigt. Zusammen
mit Mike Hänsel vom Interdisziplinären Simulatorzentrum Medizin (ISIMED) an der TU Dresden
hat er bereits ein Projekt durchgeführt, bei dem die Personal-Auswahlverfahren der Luftfahrt auf
die Medizin übertragen wurden
und das OP-Team mit Hilfe eines
Patientensimulators trainierte.
Von der Theorie zur Praxis
Unterstützt wird das Projekt
vom Niedersächsischen Sozialministerium. Bei der ersten Sitzung der Projektgruppe Anfang
Juli 2008 haben die Teilnehmer
verabredet, zwei Modell-Krankenhäuser zu suchen, die ihre
Maßnahmen der Patientensicherheit ausbauen wollen. Dazu ge-
19
hören professionelle Personalauswahl und Personalentwicklung
mit den Instrumenten des DLR,
die Arbeit an den Prozessen mit
entsprechenden Trainings und
anschließender Auditierung
durch die Assekurisk und die
Einbindung des Krankenhauspersonals in das Trainingsprogramm am Patientensimulator
von ISIMED.
Das Projekt steht noch in den
Start­löchern. Über die Fortschritte wird weiterberichtet.
(dt)
Audio-Tipp
Hans Härting, Flugkapitän bei Aus­
trian Airlines, überträgt die Methoden der Luftfahrt auf die Medizin.
Zusammen mit Prof. Norbert Pateisky vom Allgemeinen Krankenhaus
in Wien arbeitet er in Kliniken an
Sicherheitsstandards. Hören Sie
dazu ein Experten-Interview auf
der Internetseite www.mdk-niedersachsen.de in der „Mediathek“.
Der Audio-Beitrag hat eine Länge
von 3 Min. 51 Sek.
MDK-Forum 3/2008
Kranken- und Pflegeversicherung
„Uniklinik auf hoher See“
Interview mit dem Schiffsarzt Dr. Werner Kalbfleisch
D
r. Werner Kalbfleisch, Jahrgang 1951, ist niedergelassener Allgemeinarzt in Staig bei
Ulm. Der seit Jahren erfahrene
und weit gereiste Schiffsarzt betreibt eine Agentur für die Vermittlung von Schiffsärzten und
ist Konzessionär der medizinischen Einrichtungen auf Kreuzfahrtschiffen.
diesem Fall eben auch für das
Hospital. Das Hospital gehört
normalerweise in die Regie der
Reederei, weil es essentiell für
den Schiffsbetrieb ist: Ab 75 Personen darf ein Schiff nur auslaufen, wenn ein Arzt an Bord ist.
? MDK-Forum: Herr Dr.
Kalbfleisch, Sie sind Allgemeinarzt in einer großen Landpraxis.
Wie wird man zum Schiffsarzt?
Fernweh, Jugendträume?
! Dr. Werner Kalbfleisch:
Vor sechs Jahren gab es noch
keine spezielle Ausbildung. Prinzipiell konnte jeder Arzt den Job
übernehmen. Manche Reedereien
! Dr. Werner Kalbfleisch: Ich
würde eher sagen Zufall. Es war
Zufall, die richtigen Leute in einer tollen Umgebung bei einem
interessanten Gespräch kennen
zu lernen. Dabei bekommt man
Informationen über Arbeitsplätze
an Bord, wobei man zwangsläufig auch das Thema Schiffsmedizin streift. Dann kam die gezielte Frage, ob ich bereit wäre, auf
einem Schiff als Schiffsarzt zu
fahren. Mutig wie ich war habe
ich natürlich zugesagt. Eines Tages kam das Fax, das mir die Leitung eines Hospitals auf einem
Schiff übertrug. Ich bin das Risiko eingegangen, auch das materielle Risiko, man muss Material,
Medikamente und so weiter einkaufen, man pachtet quasi das
Hospital auf dem Schiff.
? MDK-Forum: Sie mussten als
Schiffsarzt das Hospital pachten?
! Dr. Werner Kalbfleisch: Ja,
ein Schiff ist ein kompliziertes
f­inanzielles Gebäude. Es gehört
meistens einer Fondsgesellschaft,
die es an eine Reederei verchartert oder verleast. Die Reederei
vergibt dann Konzessionen z.B.
für das Catering, die Restaura­
tion, für Beautysalons und in
MDK-Forum 3/2008
? MDK-Forum: Wie war Ihre
Ausbildung zum Schiffsarzt?
S­icherheit an Bord vermittelt
werden. Dies beinhaltet außer
dem Umgang mit Panik an Bord
auch ganz profane Dinge, z.B.
die Frage, aus welcher Höhe ich
mit einer Schwimmweste ins
Wasser springen kann, ohne mir
das Genick zu brechen.
? MDK-Forum: Wie sah Ihre
Jungfernfahrt als Schiffsarzt aus?
! Dr. Werner Kalbfleisch:
Auf meiner Jungfernfahrt hat
mich gleich der stärkste Sturm
des Jahrzehnts e­rwischt. Inklusive eigener Seekrankheiten habe
ich dann alles en bloc erlebt.
Während der ersten sechs Wochen an Bord habe ich begonnen,
über das Forum „Reise­medizin“
Kollegen zu suchen, die Interesse
an der Schiffsmedizin haben. Inzwischen verfüge ich über ein
Netzwerk von 250 Ärzten, die
ich gezielt einsetzen kann. Ich
selbst bin mehr der Hintergrundmanager und gehe nur gelegentlich in einer Werft oder zwischendurch zur Supervision an Bord.
? MDK-Forum: Frage zur medizinischen Qualifikation: Wie
sind die Voraussetzungen in Ihrer Agentur geregelt?
Dr. Werner Kalbfleisch, Schiffsarzt
h­aben völlig wahllos Ärzte eingestellt, weil sie froh waren, über­
haupt welche zu bekommen. In
der Zwischenzeit hat sich viel
g­etan, die Voraussetzungen und
Kriterien sind klar definiert. Umfassendes medizinisches Wissen
und entsprechende Erfahrungen,
die auch das gesamte Spektrum
der Notfallmedizin und der
Zahnmedizin mit einschließen,
sind Grundbedingungen. Zusätzlich benötigt man ein so
g­enanntes Basic-Safety-Training,
in dem die Grundbegriffe für
20
! Dr. Werner Kalbfleisch:
Ganz wichtig ist eine umfassende
Fachausbildung, z.B. Allgemeinmedizin, Innere Medizin oder
Anästhesie, denn Voraussetzung
sind Kenntnisse im Bereich der
Notfallmedizin. Man muss bedenken, dass ein Schiffshospital
die Uniklinik auf hoher See ist.
Es gibt keine andere medizinische Versorgungsstruktur im Umfeld und es gibt regelmäßig Notfälle an Bord, vom Herzinfarkt
über Lungenembolie bis hin zu
Polytraumen. Schiffsmedizin ist
im Gegensatz zur Darstellung im
Gesundheits- und Sozialpolitik
Fernseher kein Repräsentationsjob sondern harte K­nochenarbeit.
Und schon gar kein Job, den man
– wie manche meinen – noch
übernehmen kann, wenn man
sich aus dem Klinik- oder Praxis­
alltag zur Ruhe gesetzt hat.
? MDK-Forum: Wie sieht der
Arztalltag an Bord aus? Ist er
mit einer Allgemeinpraxis vergleichbar?
! Dr. Werner Kalbfleisch:
Er unterscheidet sich deshalb
e­rheblich, weil an Bord kein
materieller Druck auf dem Arzt
lastet, kein Ärger mit Abrechnungen und sinkenden Punktwerten. Der Arzt an Bord muss
zwei Sprechstunden ab­halten,
die sich am Tagesablauf der Passagiere einschließlich der Ausflüge orientieren. Es kann sein,
dass an manchen Ausflugstagen
die Morgensprechstunde bereits
um sieben Uhr beginnt. Sind die
Passagiere von Bord, hat man im
Grunde genommen Frei­zeit mit
Rufbereitschaft. Man kann auch
Passagiere an Land begleiten, allerdings muss die medizinische
Versorgung an Bord garantiert
sein. Daher verbleibt an Bord
immer eine ausgebildete Krankenschwester oder ein Rettungs­­
assistent, der notfallmedizinisch
fit ist. Dann gibt es eine stark in
Anspruch genommene Nachmittags- oder Abendsprechstunde
mit dem g­esamten Spektrum der
Allgemeinmedizin.
? MDK-Forum: Mit welchen
Krankheitsbildern haben Sie es
vornehmlich zu tun und sind
schwerwiegende Notfälle die
große Ausnahme?
! Dr. Werner Kalbfleisch:
Notfälle sind keineswegs die
Ausnahme, sie sind sogar häufig.
Man muss sich vorstellen, dass
der Altersdurchschnitt an Bord
inzwischen bei etwa 70 Jahren
liegt. Auf einer meiner letzten
Reisen war der Altersdurchschnitt
bereits über 75. Sie haben quasi
ein ganzes Dorf mit multimorbiden Menschen zu versorgen.
Dass dann jeden Tag etwas passieren kann, ist selbstverständlich.
Dazu kommt die Unvernunft
mancher Menschen, die auch bei
Sturm auf Stühle klettern, stürzen
und sich die Knochen brechen.
Viele Passagiere haben Diabetes
und Bluthochdruck. Dann vergessen sie ihre Medikamente zuhause oder nehmen sie falsch.
Es geht zu wie in einer Allgemeinpraxis. Ein Passagier
kommt hustend an Bord und
nach fünf Tagen hat man ein
überdimensionales abgeschlossenes Wohnmobil mit einer
Bronchitis-Endemie.
Am schlimmsten allerdings sind
Durchfallerkrankungen, an denen nach irriger Meinung von
Passagieren immer das „Schiff“
schuld ist. Auch wenn die Passagiere sie vom Landausflug importieren. Alle Häfen haben das
Schreck­gespenst Norovirus und
schauen deswegen genau auf die
Listen mit Durchfallerkrankungen. Ist die Erkrankungshäufigkeit zu hoch, darf man gar nicht
einlaufen, deswegen ist Durchfall an Bord fast schlimmer als
ein Brand.
? MDK-Forum: Bewegen sich
die Schiffe, die Sie versorgen,
mehr in Küstennähe oder auch
auf dem offenen Meer?
! Dr. Werner Kalbfleisch: Es
ist abhängig von der Saison. Im
Frühjahr und Herbst ist es mehr
der Küstenbereich. Aber es geht
selbstverständlich auch immer
wieder auf Weltreise und da kann
es sein, dass man vier bis fünf
Tage unterwegs ist, ohne dass
man von außen Hilfe holen
kann. Und dann ist immer noch
abzuschätzen, ob die Versorgung
im Schiffshospital nicht besser ist
als in einem Buschhospital. Alle
Kollegen an Bord haben die Mög­
lichkeit, mit mir über moderne
Kommunikationsmedien Kontakt
aufzunehmen, und ich wiederum
habe Fachkollegen im Hintergrund, die entsprechenden konsiliarischen Rat geben können.
21
? MDK-Forum: Wie sieht die
finanzielle Situation für Schiffsärzte aus? Lohnt es sich oder ist
es mehr als Hobby zu sehen?
! Dr. Werner Kalbfleisch:
Was mich betrifft, ist es äußerst
lukrativ für mein Finanzamt.
Generell ist es unterschiedlich
zu sehen: Wenn Sie nur kurze
Zeit – mindestens sechs Wochen
– mitfahren, haben Sie freie Fahrt
und Logis und können auch eine
Begleitperson mitnehmen. Wenn
Sie zu den Stamm­ärzten gehören,
die mehrere Monate an Bord
sind, dann sind die Einkünfte frei
verhandelbar. Diese Einkünfte
sind dann vergleichbar mit denen
eines Krankenhausarztes in entsprechender Position.
?
MDK-Forum: Die Schiffe
werden immer größer, das Publikum immer anspruchsvoller. Das
jüngste Beispiel hierzu ist die
Queen Mary II. Wie sieht die
Z­ukunft für Schiffsärzte und Ihre
Agentur aus?
!
Dr. Werner Kalbfleisch:
Die Zukunft ist rosig, aber die
Bettenkapazitäten steigen immer
weiter ins Unermessliche. Ob es
noch Spaß macht, auf einem
Riesendampfer, der 250 Meter
lang ist und 2.500 Passagiere
b­eherbergt, zu fahren, sei dahin
gestellt. Die medizinische Versorgung muss immer mehr auf
den Massenbetrieb eingestellt
werden. Neue Herausforderungen sind dies allemal.
? MDK-Forum: Ein Sprichwort besagt, dass man vor
G­ericht und auf hoher See in
Gottes Hand sei. Wie ist Ihre
Einschätzung hierzu?
!
Dr. Werner Kalbfleisch: Ich
würde allemal ein Schiff vorziehen, das von mir betreut wird.
Die medizinische Versorgung an
Bord hat heute einen Standard,
der mit dem an Land unbedingt
vergleichbar ist.
Die Fragen stellte
Dr. Uwe Sackmann
MDK-Forum 3/2008
Gesundheits- und Sozialpolitik
Kalkuliertes Schweigen
Von Steffen Habit
R
uhe vor dem Sturm: Während die Spitzen der Großen
Koalition ihren Sommerurlaub
genossen, tüftelten Berlins Beamte fleißig an den Details der
Gesundheitsreform. Hinter verschlossenen Türen. Bis zur
Landtagswahl in Bayern Ende
September soll die unliebsame
Reform nicht in den Schlagzeilen auftauchen, heißt es aus den
Parteizentralen in Berlin und
München. Erst danach werden
wohl weitere unangenehme Details wie die Höhe des Beitragssatzes ans Licht kommen – und
damit endgültig die heiße Phase
vor dem Start der Reform einläuten.
Entspannt und erholt zeigte sich
Gesundheitsministerin Ulla
Schmidt kürzlich in München.
Natürlich war die SPD-Ministerin
nicht in die Isar-Metropole gekommen, um für die Reform zu
werben. Bayern ist für Schmidt
vermintes Gebiet – nicht nur wegen der CSU-Staatsregierung. Im
Freistaat kämpfen selbst die Sozialdemokraten gemeinsam mit der
Kassenärztlichen Vereinigung
Bayerns (KVB) gegen den Gesundheitsfonds. Statt über sperrige Begriffe wie den morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich oder das neue Insol­venzgesetz der Kassen zu diskutieren,
ließ sich die Ministerin lieber von
KVB-Chef Axel Munte Projekte
zur Qualitätssicherung präsentieren. Trotz der Differenzen entdeckten Schmidt und Munte
schnell Gemeinsamkeiten. Mit
der Qualitätsinitiative habe sich
Munte bei den Medizinern sicher
nicht nur Freunde gemacht, wollte Schmidt wissen. „Ach, bei vielen bin ich sowieso verhasst“, entgegnete Munte achselzuckend.
Oh, das kenne sie, s­agte die Ministerin und musste schmunzeln.
MDK-Forum 3/2008
Wahlkampf-Getöse
Später ging es dann doch kurz
um die Reform. Lästige Journalistenfragen. Bayerns Ministerpräsident Günther Beckstein (CSU)
hatte Schmidt mal wieder Totalversagen bei den Vorbereitungen
für den Gesundheitsfonds vorgeworfen – und mit dem Boykott
der Reform gedroht. Nichts als
Wahlkampf-Getöse, schließlich
hat die CSU dem umstrittenen
Projekt in Berlin zugestimmt. So
beließ es Schmidt bei den üblichen Antworten: Die Vorbereitungen seien im Zeitplan, die
bayerische Staatsregierung stets
informiert worden – und natürlich werde die Zusage eingehalten, dass die Krankenkassen im
Freistaat 2009 um maximal 100
Millionen Euro zusätzlich belastet werden. Wie die Konvergenzklausel konkret umgesetzt wird
und wann das Gesundheitsministerium endlich handfeste Zahlen
vorlegt – Schweigen.
22
Der Staat auf der Arbeitgeberbank der Ärzte
Einen ersten Vorgeschmack auf
die künftige Staatsmedizin in
Deutschland bekamen die Krankenkassen trotz Sommerpause zu
spüren. Gegen den erbitterten
Widerstand der Vorstände setzte
die Große Koalition eine kräftige
Anhebung der Honorare für die
niedergelassenen Ärzte durch.
Rund 2,7 Milliarden Euro stehen
den Medizinern im nächsten Jahr
zusätzlich zur Verfügung. Das
entspricht einem Plus von etwa
zehn Prozent – manch Arbeitnehmer kann von einer solchen
Gehaltserhöhung nur träumen.
Die Krankenkassen waren bei
den Verhandlungen nur Zuschauer. Auf der „Arbeitgeberbank“ saß quasi die Bundes­
regierung. Schon vor den
Gesprächen hatten Gesundheitsministerin Schmidt und
M­inisterpräsident Beckstein
Gesundheits- und Sozialpolitik
d­en Ärzten großzügige Zusagen
gemacht. Mindestens 2,5 Milliarden Euro müssten für die Mediziner herausspringen. Am Ende
waren es sogar 2,7 Milliarden
Euro. Mit dem Geldregen hat
Schwarz-Rot wenige Monate vor
dem Start der Reform die Ärzte
milde gestimmt. Für die gesetzlich Versicherten wird der Abschluss jedoch teuer.
Harmloser Morbi-RSA
Der neue bundesweit einheitliche Beitragssatz wird 2009 auf
mindestens 15,3 Prozent klettern – vermutlich sogar auf
1­5,5 Prozent. Derzeit liegt der
Satz im Schnitt bei 14,92 Prozent. Kostentreiber ist neben
den höheren Ärztehonoraren
auch eine kräftige Finanzspritze
für die klammen Krankenhäuser. Knapp drei Milliarden Euro
hat Schmidt den Kliniken zusätzlich versprochen. Dazu
kommt der Aufbau der neuen
Finanzreserve für den Gesundheitsfonds. Gerade Versicherte
günstiger Krankenkassen werden einen Schock bekommen,
wenn sie im Januar ihre Lohnabrechnung in den Händen halten. Dabei ist es noch nicht lange her, dass Spitzenpolitiker der
Großen Koalition Kassenbeiträge über 15 Prozent als „wilde
Spekulation“ bezeichneten. Inzwischen hat die Realität die
Aussagen eingeholt.
Zu Recht wild spekuliert wird
derzeit dagegen über die Auswirkungen des morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs
(Morbi-RSA). Mitarbeiter des
Bundesversicherungsamts in
Bonn füttern seit Wochen Großrechner mit Diagnose-Daten
von rund 70 Millionen Versicherten. Ziel ist es zu berechnen, wie viel welche Krankenkasse durch den geplanten
Finanzsausgleich aus dem Gesundheitsfonds bekommt. Nach
dem neuen Verfahren erhalten
Kassen Zuschläge für Versicherte, die an bestimmten, fest definierten Krankheiten leiden. Ein
entsprechender Katalog von 80
Krankheiten wurde nach monatelangem Streit festgelegt. Der
neue Morbi-RSA soll einen gerechteren Ausgleich zwischen
den Kassen gewährleisten. Kritiker bezweifeln dies: Sie fürchten,
viele Kassen würden ihre Mitglieder für die Statistik bewusst
als krank einstufen, um Zuschläge aus dem Fonds zu kassieren. Der Chef der Barmer,
J­ohannes Vöcking, wies den
Vorwurf vehement zurück:
„Nach wie vor gilt, der Gesunde
ist das bessere Risiko.“ Auch das
Bundesversicherungsamt wird
nicht müde zu betonen, dass
das neue milliarden­schwere
Umverteilungsverfahren aus­
reichend gegen Manipulation
geschützt sei.
Weihnachtsgeld soll
Kassenbilanzen retten
Trotz Schweige-Gelübde –
manch unliebsame Zahl ließ
sich nicht unter den Tisch kehren. Anfang September musste
Ulla Schmidt einräumen, dass
die Kassen tief in den roten
Zahlen stecken. Allein im ersten
Halbjahr summierte sich das
Defizit auf 940 Millionen Euro.
Im vergangenen Jahr erzielten
die Kassen in den ersten sechs
Monaten noch einen Überschuss von gut 300 Millionen
Euro. Ende 2007 konnten sich
die Vorstände über ein dickes
Plus von 1,8 Milliarden Euro
freuen. Die miserablen Halb­
jahreszahlen zeigen, dass die
Sparbemühungen weitgehend
ins Leere laufen: In allen Bereichen legten die Ausgaben stärker zu als die Einnahmen. Dies
ist umso bedenklicher als die
Beiträge aufgrund der günstigen
Lohn- und Beschäftigungsentwicklung kräftig sprudelten.
Viele Experten fragen sich daher besorgt: Was droht den Kassen, wenn auch noch der Wirtschaftsaufschwung im nächsten
Jahr zusammenbricht?
Bis Ende des Jahres sollen die
Kassen wieder eine schwarze
23
Null schreiben. Das Wundermittel heißt Weihnachtsgeld. Es wird
nicht lange wirken. Schon heute
laufen den Kassen bei den Arzneimitteln die Kosten davon.
Jetzt rächt sich, dass die Große
Koalition bei der Reform fast
ausschließlich die Einnahmeseite
im Blick hatte. Wo und wie im
Gesundheitswesen dagegen sinnvoll Geld gespart werden kann –
vor dieser unliebsamen Aufgabe
hat die Regierung kapituliert.
Eigene Gesundheitsreform
nicht verstanden?
Stillschweigen um jeden Preis,
lautete die Devise für den Sommer. Nicht jeder in der Koalition hat sich daran gehalten. Dies
zeigen etwa die ungeschickten
Äußerungen von Familienministerin Ursula von der Leyen
(CDU). Sie empfahl im Interview, teure Kassen im nächsten
Jahr zu boykottieren. Offenbar
hat die Ministerin die Reform
nicht verstanden – oder wollte
sie nicht verstehen. Schließlich
ist es die Bundesregierung, die
künftig den bundesweit einheitlichen Beitragssatz festsetzt.
Auch beim Zusatzbeitrag ist der
Spielraum der Kassen aufgrund
der komplizierten gesetzlichen
Regelung minimal. Mit der Gesundheitsreform hat SchwarzRot die Kassen an die kurze
Leine genommen. Die Verantwortung für die Beitragshöhe
trägt die Politik.
Die Ruhe vor dem Sturm ist
Kalkül. Wichtige Details – und
ihre vermutlich teils katastrophalen Auswirkungen – sollen
möglichst spät bekannt werden.
Damit vermeiden Gesundheitsministerin Ulla Schmidt und
Kanzlerin Merkel lautstarken
Protest – und die Gefahr, dass
doch noch ein Bündnis der Kritiker die Reform auf den letzten
Metern stoppt.
Steffen Habit ist
Politikredakteur
beim Münchner Merkur
MDK-Forum 3/2008
Gesundheits- und Sozialpolitik
MDS fordert Register für Medizinprodukte
Wenn die Hüfte nicht hält,
was sie verspricht
Von Caroline Jung
W
elcher Herzschrittmacher ist
für diesen Patienten geeignet? Welches künstliche Kniegelenk nutzt dem Patienten am
meisten? Welche Risiken bestehen bei welchem Produkt? Vor
diesen Fragen stehen Ärzte und
Patienten, wenn es um die Entscheidung für ein bestimmtes
Implantat geht. Gesicherte Entscheidungsgrundlage? Fehlan­
zeige. Das könnte sich ändern,
wenn es in Deutschland wie in
anderen Ländern Register für
Implantate gäbe. Über die Erfahrungen anderer Ländern mit Registern und die Möglichkeiten,
sie auch hierzulande einzuführen, diskutierten Ärzte, Krankenkassen, Anbieter und Patienten
beim Exper­tenforum „Moni­
toring von Medizinprodukten –
Welchen Nutzen haben Register?“, zu dem der Medizinische
Dienst des Spitzenverbandes
Bund der Krankenkassen e.V.
(MDS), am 25. August einge­
laden hatte.
Dr. Peter Schräder von der Bundesgeschäftsstelle Qualitätssicherung
(BQS) stellte die Vorarbeiten zum
deutschen Endoprothesenregister vor
MDK-Forum 3/2008
Um die Qualität zumindest der
häufigsten und wichtigsten Medizinprodukte unter Alltagsbedingungen zu erfassen, forderte Prof.
Dr. Jürgen Windeler, Leitender
Arzt des MDS, die Einführung
von verbindlichen Registern: „Wir
sind es den Patienten schuldig,
dass wir auch bei Medizinprodukten den Sicherheitsstandard
anstreben, den wir bei Arzneimitteln längst erreicht haben. Register können die notwendigen
D­aten liefern, um schnell und
z­uverlässig gefährliche Medizinprodukte zu identifizieren“.
Marktzugang in Deutschland
relativ einfach
In Deutschland können Medizinprodukte wie etwa Herzschrittmacher oder künstliche Hüftgelenke vergleichsweise einfach auf
den Markt gebracht werden. Ein
Zulassungsverfahren wie bei Arzneimitteln, das die Unbedenklichkeit und Wirksamkeit prüft, existiert für Medizinprodukte nicht.
Voraussetzung für die Marktfähigkeit ist lediglich das CE-Kennzeichen. Dafür werden in erster Linie die technischen Eigenschaften
der Produkte überprüft. Weiter
gehende Regelungen gibt es für
den Einsatz im Krankenhaus
nicht; für die V­erordnung durch
den niedergelassenen Arzt gelten
andere Regeln.
„Bei der Einführung neuer Medizinprodukte weiß man über die
Produkte, ihre Auswirkungen auf
Patienten und mögliche Gefahren­potentiale relativ wenig“, sagte
Martin Stockheim, Fachgebietsleiter Medizinprodukte beim
MDS. „Register erlauben es, Pro-
24
dukte unter Real-Life-Bedingungen zu verfolgen und so über belastbare Informationen zu
A­nwendung und R­isiken d­ieser
Produkte zu verfü­­gen“.
Er sprach sich dafür aus, Register
vorrangig für höherklassige Medizinprodukte einzuführen. Das
sind aktive Implantate oder Produkte, die 30 Tage oder länger
im Körper verbleiben. Hierzu
gehören z.B. Herzschrittmacher,
Gelenk­endoprothesen oder Intraokularlinsen. Jährlich werden
etwa 1,1 Millionen dieser Implantate eingesetzt.
Register müssen qualitative
Mindestvoraussetzungen erfüllen
Einig waren sich die Experten,
dass Register ein nahezu ideales
Instrument zur Erfassung der Versorgungsrealität sind. Als systematische Datensammlung könnten sie klinische Studien ergänzen.
Voraussetzung ist allerdings, dass
sie bestimmte Anforderungen erfüllen. „Zu den Qualitätskriterien
von Registern gehört zu allererst
die Vollzähligkeit der Fälle. Darin
unterscheiden sie sich von klinischen Studien, auch von prospektiven Langzeitstudien“, sagte PD
D­r. Rolf Lefering, stv. Leiter am
I­nstitut für Forschung in der Operativen Medizin der Uni­versität
Witten/Herdecke. W­eiter sollten
die er­hobenen Daten vollständig
und richtig sein. „Eine unabhängige Trägerschaft muss ebenfalls
als Qualitätskriterium angesehen
w­erden“, so Lefering.
Klar definierte Qualitätsricht­
linien für Register forderte Dr.
Thomas Fetsch, Geschäftsführer
Gesundheits- und Sozialpolitik
des Instituts für klinisch-kardiovaskuläre Forschung in München aufgrund seiner Erfahrungen mit klinischen Registern in
der Kardiologie. Patienten können in mehrfacher Hinsicht von
Registern profitieren, ist Fetsch
überzeugt. So erlaubten qualitativ hochwertige Register nicht
nur Aussagen zu Effektivität
und Sicherheit, sondern könnten auch Aussagen zur Anwendbarkeit eines Medizinprodukts
in der klinischen Realität liefern
und Auswirkungen auf die Lebensqualität der betroffenen Patienten erfassen.
Register international bereits
etabliert
Die Erfahrungen aus anderen
Ländern – etwa aus den USA
oder aus Schweden – zeigen, dass
Register einen direkten Einfluss
auf die Versorgungsqualität haben.
So sinkt in Schweden, das seit
1979 ein Endoprothesen-Register
betreibt, seit Jahren die Anzahl
der „Reparatureingriffe“ (Zweiteingriffe oder Revisionen) bei
Hüftendoprothesen-Implantaten.
Dr. Thomas Eisler vom Sahlgrenska University Hospital in Göteborg, zählt zu den Registererfolgen des Weiteren die Anerken­nung von Risikofaktoren, einheitliche Operationstechniken und
wenige, aber gut dokumentierte
Implantate.
Für Dr. Kalon Ho, Direktor für
Qualitätssicherung in der Abteilung für Kardiologie des Beth
I­srael Deaconess Medical Center
in Boston, der ausführlich die
Regularien für Register in den
USA vorstellte, ist es ein Erfolg,
dass die Überwachung notfalls
Rückrufaktionen ermöglicht,
wenn Probleme mit einem Medizinprodukt auftauchen.
Konzept für
Endoprothesenregister steht
Und in Deutschland? Im Jahr
2007 wurden hierzulande
152.338 Hüftgelenks-Totalendoprothesen bei Arthrose des Hüft-
gelenks und 44.058 Endoprothesen bei Hüftgelenksfraktur
im­plantiert. Außerdem wurden
136.262 Knie-EndoprothesenOperationen durchgeführt. Das
geht aus den Daten der Bundesgeschäftsstelle Qualitätssicherung
(BQS) in Düsseldorf hervor. Deshalb hat der Gemeinsame Bundesausschuss die BQS mit der
Entwicklung eines Konzepts für
ein deutsches Endoprothesen-­
Register beauftragt. Die Entwicklung dieses Konzepts sei bereits
weit fortgeschritten, berichtete
PD Dr. Peter Schräder, Leiter des
Geschäftsbereiches Wissenschaft
und Strategie der BQS.
Ziel des Konzepts der BQS ist es
laut Schräder, valide Aussagen
über die Ergebnisse von Krankenhäusern, Operationstechniken
und Endoprothesenkonzepten zu
machen. Außerdem solle ein
Frühwarnsystem zum Erkennen
von Innovationsrisiken und nicht
zufrieden stellenden Ergebnissen
aufgebaut werden. „Patient und
Produkt zusammen­zuführen ist
das Herzstück eines Medizinprodukte-Registers“, sagte Schräder.
„Eigentlich liegen die meisten Daten, die wir benötigen, vor. Wir
müssen sie bloß zusammenführen.“ Schräger zeigte sich optimistisch, dass noch in diesem Jahr
die BQS dem Gemeinsamen
Bundesausschuss ein Konzept
zum Aufbau einer Endoprothesen-Referenzdatenbank vorlegen
wird.
Register sind sinnvoll
Warum gibt es in Deutschland
bislang Register zu Medizinprodukten – wenn überhaupt – nur
regional und auf freiwilliger Basis? Patienten müssten sich bisher weitgehend darauf verlassen,
dass das, was ihnen implantiert
wird, schon in Ordnung sei, beschrieb Susanne Mauersberg
von der Verbraucherzentrale
Bundesverband die Situation
der Patienten in Deutschland. Sie
plädierte dafür, Patienten Zugang
zu einem Register zu gewähren,
um ihnen den Vergleich verschie-
25
dener Produkte zu ermöglichen.
„Vielfalt ohne Transparenz nutzt
nichts“, sagte Mauersberg.
Überraschend positiv positionierte sich Björn Kleiner vom
Bundesverband Medizintechnologie (BVMed) zur Frage von
Registern: „Wir setzen uns für
ein Endoprothesenregister ein!“
Bislang sei das EndoprothesenRegister an Datenschutzproblemen gescheitert. Die Firmen
wollten die Testung ihrer Produkte im Versorgungsalltag.
A­llerdings müsse man sorgfältig
auswählen, für welche Produkte
man Register auflegt. „Hier darf
man nicht nach dem Gießkannenprinzip verfahren.“
Angesichts solcher Äußerungen
muss die GKV fürchten, dass die
Hersteller künftig weniger als
bisher in valide Studien im Vorfeld von Markteinführungen investieren wollen. „Wir sind auch
dafür, dass die Hürde bei der Nutzenbewertung höher gelegt wird“,
unterstrich Dr. Axel Meeßen vom
GKV-Spitzenverband. Er plädierte
für eine „Optimierung mit Augenmaß“. Register seien ein Baustein
in der sektorübergreifenden Qualitätssicherung neben anderen.
„Ganz oben muss der Patientenschutz stehen“, betonte Jürgen
Windeler (MDS). „Mit Registern
könnten Sicherheit und Qualitätsstandards bei Medizinprodukten entscheidend verbessert werden.“ Er forderte darüber hinaus,
alle Instrumente zur Bewertung
von Wirksamkeit und Risiken
konsequent auch bei Medizinprodukten einzusetzen. Diese Bewertung sollte möglichst schon vor
der Markteinführung erfolgen.
Nach der Markteinführung könne
die Unbedenklichkeit eines Produktes mit Hilfe von Registern
langfristig beobachtet werden.
Caroline Jung
Fachgebietsleiterin
„Selbstverwaltungsangelegenheiten”
beim MDS
E-Mail: [email protected]
MDK-Forum 3/2008
Gesundheits- und Sozialpolitik
Deutscher Präventionspreis 2008 für Kindertagesstätten
„Gesund aufwachsen“
Von Andrea Steidle
G
esund aufwachsen – Ganzheitliche Förderung der körperlichen, seelischen und sozialen Entwicklung von Vor­schul­kindern“, so hieß das Leitthema
des diesjährigen Deutschen Präventionspreises. An der Ausschreibung beteiligten sich knapp
300 Bewerber – die meisten von
ihnen Kindertagesstätten. Dreizehn Einrichtungen waren letztlich nominiert, doch nur sechs
von ihnen wurden mit dem begehrten Preis ausgezeichnet.
Der Deutsche Präventionspreis
wird bereits seit 2004 jedes Jahr
an vorbildliche Projekte und
Maßnahmen im Bereich der
G­esundheitsförderung und Prävention vergeben. Träger war in
diesem Jahr erstmals die Manfred
Lautenschläger Stiftung gGmbH;
bis einschließlich 2007 wurde der
Wettbewerb noch gemeinsam getragen vom Bundesministerium
für Gesundheit (BMG), der Bertelsmann Stiftung und der Bundeszentrale für gesundheitliche
Aufklärung (BzgA).
Prämiert wurden Betreuungs­
einrichtungen, denen es gelingt,
die gesunde Entwicklung der ihnen anvertrauten 3- bis 6-jährigen Kinder ganzheitlich zu fördern und die Facetten „Bildung“
und „Gesundheit“ möglichst gut
kombinieren. Wichtige Bewerbungskriterien waren auch:
Niedrigschwellige Familienbzw. Elternarbeit, Vernetzung
im Sozialraum und mit kommunalen Diensten sowie Aktivierung des ehrenamtlichen Engagements.
„Beispielhafte Einzelinitiative“
Zu den Preisträgern 2008 gehört
beispielsweise die Städtische
Kindertagesstätte Sonnenhaus
im westfälischen Hamm (in der
Kategorie „Beispielhafte Einzelinitiativen“). Von den 76 Kindern der Einrichtung kommt
knapp ein Drittel aus Familien
Kindertagesstätte Sonnenhaus: Preis beflügelt und macht stolz
Susanne Müller, Leiterin der ausgezeichneten KiTa Sonnenhaus
in Hamm, sprach mit MDK-Forum
über die Resonanz auf den Deutschen Präventionspreis 2008 und
ihr individuelles Konzept.
?
MDK-Forum: Frau Müller, Ihre
Einrichtung hat in diesem Jahr den
Deutschen Präventionspreis erhalten.
Wie war die Resonanz darauf?
!
Susanne Müller: Wir h­atten
reichlich Resonanz. Die Eltern haben
uns beispielsweise stolz mit einem
roten Teppich am Bahnhof empfangen. Es haben uns viele gratuliert, die
unsere Arbeit kennen und sich mit uns
über die Auszeichnung gefreut haben.
Die Presse vor Ort hat es veröffentlicht
und es gibt auch jetzt immer noch
Gratulanten, auch von offizieller Seite.
MDK-Forum 3/2008
? MDK-Forum: Erhalten Sie nun
mehr Anmeldungen als vorher?
!
Susanne Müller: Unsere Einrichtung war bereits vorher stark frequentiert. Meist haben wir bis zu
100 Anmeldungen für ein KiTa-Jahr
und konnten nur jeweils 15 bis 20
Kinder aufnehmen. Auffällig ist jedoch, dass sich die Bewerber für
Praktika nun aufgrund der positiven
Presse bewusst für unsere Einrichtung entscheiden.
?
MDK-Forum: Bekommen Sie
denn sonst nicht so viel Anerkennung?
!
Susanne Müller: Die Elementarpädagogik hat in der breiten Öffentlichkeit ja nicht immer einen positiven Ruf. Dabei leisten wir mit
unserer Bildungsarbeit Grundvoraus-
26
setzungen und eine gute Vorbereitung für die schulische Laufbahn der
Kinder, geben elementare Kenntnisse
für das Leben mit auf den Weg und
sind für Familien unterstützend, begleitend und beratend tätig.
?
MDK-Forum: Nicht jede KiTa
hat einen eigenen Yoga-Kurs. Wie
kam diese Idee und ihre Umsetzung
zustande?
!
Susanne Müller:
Der Vater eines Kindes hat beruflich
und privat viel mit Sport und Kindern
zu tun. Er ist unter anderem PhysioFitness-Trainer und „Fit Kidz Instructor“. In diesem Rahmen hat er auch
eine Ausbildung zum Yogalehrer gemacht und ein Konzept für Kinder
entwickelt – das Bärenyoga. Für dieses Konzept waren wir das Erpro-
Gesundheits- und Sozialpolitik
in schwierigen Lebenslagen, 40
Prozent der Familien haben einen Migrationshintergrund. Da
nicht wenige Kinder in instabilen
Familienverhältnissen leben, bemüht sich das Sonnenhaus-Team
ganz besonders um familienähnliche Strukturen in den insgesamt vier Gruppen.
Das Ziel Gesundheitsförderung
ist auch in der Konzeption der
Einrichtung niedergelegt und so
wird die Verpflegung der Kinder
täglich selbst in der KiTa zubereitet. Die Kinder werden in alle
hauswirtschaftlichen Belange,
wie Tischdecken, Gestaltung des
Frühstückstisches, Aufbau und
Zubereitung des Buffets, mit einbezogen. Weitere Bausteine des
gesunden Miteinanders: In der
Turnhalle der Einrichtung lädt
u.a. eine Trampolin-AG auch bei
schlechtem Wetter zum Toben
ein und die Kinder nehmen an
Bambini- und Babyschwimmkursen teil. Am 12. Juni wurde die
Kindertagesstätte Sonnenhaus
bungsfeld. Nun hat das Angebot einen festen Platz bei uns und der
Vater führt es ehrenamtlich ein Mal
pro Woche mit unseren Kinder durch.
?
MDK-Forum: Sie sagten, dass
Ihre KiTa auch an­erkannter Bewegungskindergarten ist. Welche Kriterien mussten Sie hierzu erfüllen?
! Susanne Müller: Bewegung ist
seit Bestehen der Einrichtung ein
wichtiger Bereich bei uns. Wir führen
schon lange das Minisportabzeichen
durch, besuchen wöchentlich die Turnund Schwimmhallen der benachbarten Grundschule und führen eigene
Turntage durch. Neben vielen zusätzlichen Bewegungsangeboten (wie
Trampolinschein, Rollbrettführerschein usw.) wollten wir diese Aktionen endlich unter einem adäquaten
außerdem durch den Landes­
sportbund zum „anerkannten
Bewegungskindergarten“ zertifiziert. Doch auch Ruhe und Entspannung kommen nicht zu
kurz: Dazu trägt unter anderem
ein spezieller Yoga-Kurs für Kinder bei. Detailliertere Informationen finden Sie im neben stehenden Interview der Leiterin der
Kindertages­stätte Sonnenhaus.
Hier die Preisträger des Jahres
2008 im Überblick – gegliedert
nach Kategorien:
„Kindertagesstätten mit besonderen kommunalen Bezügen“:
• Städtische Tageseinrichtung für
Kinder, Daimlerstraße, Stuttgart
• Kindertagesstätte Stettiner
Straße, Bremerhaven
„Beispielhafte Einzelinitiativen“:
• Städtische Kindertagesstätte
Sonnenhaus, Hamm, Westfalen
• AWO Kindertagesstätte und
Familienzentrum Mittendrin,
Aachen
Begriff bündeln. Dazu fehlte uns allen nur die erforderliche Ausbildung.
Schließlich haben sich alle Kolleginnen zu einer speziellen Ausbildung
entschlossen, so dass wir nun 16 anerkannte Übungsleiter für das Kleinkind- und Vorschulalter sind. Zusätzlich mussten wir uns z.B. sportliche
Kooperationspartner suchen, die mit
uns einen Vertrag eingehen, um die
Kinder für den Vereinssport und weitere Bewegungs­angebote zu sensi­
bilisieren. Hiermit unterstützen wir
die Erziehung zu e­iner dauerhaft
g­esundheitsbewussten Lebensweise.
?
MDK-Forum: Wie hoch ist der
Stellenwert von Gesundheit für die
Kinder aus Ihrer Sicht?
!
Susanne Müller: Sehr hoch!
Wir sehen uns als gesundheitsprä-
27
Ehrenpreisträger:
• Städtische Tageseinrichtung
für Kinder, Plutostraße,
Gelsenkirchen
• AWO Kindertagesstätte,
Rostock
Weitere Informationen zum
Präventiomspreis unter:
www.deutscherpraeventionspreis.de
Andrea Steidle ist
Mitarbeiterin im Fachgebiet
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
beim MDS
E-Mail: [email protected]
ventive und -fördernde Kindertagesstätte in den Bereichen Ernährung,
Bewegung und Entspannung. Dies
stets unter dem Aspekt der psychosozialen Gesundheitsförderung. Dieses Profil wollen wir auch in Zukunft
erhalten. Denn das Motto ist: „ Wer
Bildung will, muss Gesundheit fördern“. Nur so können wir in der jetzigen Zeit etwas bewirken – angesichts zunehmender Kinderarmut,
zunehmender Stressbewältigung und
Überforderung von Eltern. Die Kinder
sollen sich den Herausforderungen
ihres zukünftigen Lebens stellen können. Dazu gehört eine gesunde und
positive Lebenseinstellung, bei der
die Kinder spüren, was sie alles können und wie viel sie wert sind.
Mit Susanne Müller sprach
Andrea Steidle
MDK-Forum 3/2008
Gesundheits- und Sozialpolitik
Familienhebammen
Hebamme und ein bisschen mehr
von Friederike Geisler
D
ie Tätigkeit der Hebamme
ist wahrscheinlich einer der
ältesten Berufe überhaupt. Von
der Unterstützung der Frau bei
Schwangerschaft, Geburt und
Stillzeit wird schon im Alten
Testament berichtet. Die Familienhebamme gibt es noch
nicht ganz so lang. Doch gewinnt der Beruf zunehmend an
Bedeutung, da ihr Aufgabenfeld über das einer normalen
Hebamme weit hinausgeht und
vor allem die psychosozialen
Probleme junger Familien im
Fokus hat. In Bochum versammelten sich im Juni 2008 über
100 Hebammen und Familienhebammen zur ersten Familienhebammen-Fachtagung.
Organisiert wurde das Treffen
unter anderem von der ersten
F­amilienhebammen-Beauftragten
des Landesverbandes der Hebammen in Nordrhein-Westfalen,
J­ennifer Jaque-Rodney, die zu
den Pionierinnen des Berufs in
NRW zählt. Zunächst klärten
die Referenten der Tagung, die
vom Vorstand des Landesverbandes der Hebammen in NRW,
Angelika Josten und Agathe
B­lümer, moderiert wurde, das
B­erufsbild der Familienhebammen für die zum Teil fachfremden Zuhörer. Dabei wurde deutlich, dass die – hauptsächlich von
Frauen ausgeführte – Tätigkeit
zwar dem klassischen Hebammen-Beruf ähnelt, jedoch weitaus
mehr bedeutet.
Familienhebammen suchen zum
größten Teil Familien oder alleinerziehende Mütter auf, die
neben der Schwanger­schaft
noch mit psychosozialen oder
medizinischen Problemen zu
kämpfen haben. Beispiele dafür
sind Teenager-Schwangerschaften, Suchtkranke, von Gewalt
bedrohte Frauen oder auch
durch eine Krankheit belastete
Frauen. In den meisten Fällen
suchen Betroffene von selbst die
Hilfe der Familien­hebamme, oft
schaltet sich aber auch ein Amt
ein. Bei der Betreuung arbeiten
Familienhebammen eng mit ver-
Familienhebammen begleiten werdende Mütter und junge Familien mit psychosozialen Problemen während der Schwangerschaft und ein Jahr nach der Geburt
MDK-Forum 3/2008
28
schiedenen Partnern zusammen:
dem Frauen- und Kinderarzt,
den Ämtern und auch caritativen Einrichtungen. Sie unterstützen die Frauen von der
Schwangerschaft bis zum Ende
des ersten Lebensjahres des Kindes. Sie sind Ansprechpartnerin,
begleiten zu B­ehörden- und
Arztbesuchen und helfen den
Müttern nach der Geburt, eine
Bindung zu i­hrem Kind aufzubauen.
„Die psychischen Probleme
nicht unterschätzen“
Jennifer Jaque-Rodney wies in
ihrem Vortrag auf den steigenden Bedarf an Familienhebammen hin: „Die zunehmende
V­erarmung, Isolierung und
A­­uf­lösung der herkömmlichen
Familienverhältnisse führt zu
Problemen, die es früher nicht
so häufig gegeben hat. Wenn
man nicht schon im frühen Stadium an den Problemen arbeitet,
kann das schwerwiegende Folgen für das Kind oder auch für
die Mutter haben.“
Auch Prof. Adolf Windorfer,
Vorstandsvorsitzender der Stiftung „Eine Chance für Kinder“
stellte die Wichtigkeit der Betreuung belasteter Familien und
Kinder in den Vordergrund:
„Früher stand eher der gesundheitliche Aspekt im Mittelpunkt,
heute wird auch die MutterKind-Bindung immer entscheidender. In den Medien werden
hauptsächlich Fälle behandelt,
die k­örperlich verwahrloste o­der
misshandelte Kinder zeigen.
Nicht zu unterschätzen sind
j­edoch die Fälle psychischer
V­ernachlässigung. Sie können
schwere Schäden zur Folge
h­aben, wenn das Kind heran-
Gesundheits- und Sozialpolitik
wächst. Genau an dieser Stelle
kann die Familienhebamme
h­ervorragend ansetzen.“
Wenig feste Stellen
Ein Problem, mit dem Familienhebammen in ganz Deutschland
zu kämpfen haben, ist die Sicherung ihrer Existenz. In NRW
gibt es mittlerweile fast 100 vom
Deutschen Hebammen Verband
Interview mit Jennifer
Jaque-Rodney
Familienhebammen-Beauftragte
des Landesverbandes der Hebammen in Nordrhein-Westfalen
? MDK-Forum: Oft wenden sich
hilfebedürf­tige Frauen f­reiwillig an
Sie, es kommt jedoch auch vor, dass
Frauen von Ä­mtern oder caritativen
Einrichtungen an sie verwiesen werden. Wie werden Sie von i­hnen empfangen?
! Jennifer Jaque-Rodney: Es ist
ganz unterschiedlich. Einige Frauen
bringen mir anfangs sehr viel Skepsis
entgegen. Sie können dann noch
nicht richtig einordnen, was ich für
eine Arbeit leisten kann zusammen
mit ihr und ihrer Familie. Es kommt
aber auch immer darauf an, wie man
den Frauen begegnet: Zeigt man sich
ihnen offen und kann auch eine persönliche Verbindung herstellen, gibt
es in den meisten Fällen wenig Probleme. Oft stellt sich dann sogar ein
freundschaftliches Verhältnis ein. Das
ist für unsere Arbeit n­atürlich sehr förderlich. Was immer im Vordergrund
stehen soll ist, dass wir professionell
und fachlich arbeiten zum Wohle von
Mutter, Vater und Kind.
?
MDK-Forum: Was für Voraussetzungen muss eine Familienheb-
ausgebildete Familienhebammen.
Jedoch gibt es im Anschluss nicht
genügend feste Stellen – die meisten arbeiten freiberuflich. „Die
Politiker s­ehen die Wichtigkeit
der Fa­milienhebammen, bringen
aber nicht genügend Mittel auf,
entsprechende Stellen zu schaffen und zu sichern“, sagt JaqueRodney. „Um die Familien,
M­ütter und Kinder bestmöglich
zu versorgen, muss es auch genü-
gend qualifiziertes Personal geben. Das muss auf politischer
Ebene wahrgenommen werden
und zu entsprechenden Maßnahmen führen“.
Friederike Geisler ist
Mitarbeiterin der Stabsstelle
Unternehmenskommunikation
beim MDK Niedersachsen
E-Mail:
[email protected]
amme mitbringen? Nicht jeder ist
geeignet für diese Arbeit, richtig?
!
Jennifer Jaque-Rodney: Eine
F­amilienhebamme muss sich ganz besonderen Herausforderungen stellen.
Man braucht zwar auch das „Handwerkszeug“ einer Hebamme – das ist
die Grundvoraussetzung, um e­inen Zugang zu den Frauen zu bekommen. Unsere medizinischen Kenntnisse sind ein
sehr wichtiger Aspekt bei unserer
A­rbeit. Das a­llein reicht jedoch nicht.
Genau wie jeder, der in einem sozialen
oder betreuenden Beruf arbeitet, muss
man eine gewisse emotionale Stärke
besitzen, um die Frauen mit ihren Kindern langfristig gut begleiten zu können. Dazu gehören auch Einfühlungsvermögen und die Freude daran,
anderen zu helfen. Wichtig ist es auch,
dass man kommunikativ ist, weil
F­amilienhebammen oft in einem Netz
aus verschiedenen Akteuren arbeiten,
mit denen man in engem Kontakt steht.
?
MDK-Forum: Was sind die Probleme, mit denen die Familienhebammen zu kämpfen haben und was ist im
Gegenzug das Schöne an der Arbeit?
! Jennifer Jaque-Rodney: Natürlich ist es nicht so schön, wenn
uns eine Frau nicht an sich heran
lässt. In manchen Fällen können wir
einfach nicht viel machen, weil die
Frau nicht offen für unsere Hilfe ist.
29
Jennifer Jaque-Rodney vom Gesundheitsamt Bochum setzt sich dafür
ein, das Berufsbild der Familienheb­
ammen zu erhalten und auszubauen
Schlimm ist es auch, wenn die Familie keine Fortschritte macht und die
Frau zum Beispiel keine Bindung zu
ihrem Neugeborenen herstellen
kann oder von ihrem Partner nicht
wahrgenommen wird.
Im Gegensatz dazu gibt es natürlich
auch viele schöne Momente, zum Beispiel wenn sich eine Frau mir gegenüber plötzlich ö­ffnet, die vorher noch
skeptisch war. Wenn ich merke, wie
sehr sie mir vertraut und offen über
ihre Probleme reden kann. Es ist auch
ein tolles Gefühl, wenn ich sehe, wie
eine Bindung zwischen der Mutter
und ihrem Kind entsteht. Das ist es,
was ich an meiner Arbeit liebe.
Die Fragen stellte
Friederike Geisler
MDK-Forum 3/2008
Gesundheits- und Sozialpolitik
Wahlkampf in den USA
Eine Chance für die Reform des
maroden US-Gesundheitssystems?
Von Bettina Garber
U
mfragen zufolge ist die Gesundheitsversorgung das
drittwichtigste Thema im Rennen um die Präsidentschaftswahl
im November 2008 in den USA.
Ein Fünftel der wahlberechtigten
Befragten halten es für das wichtigste Thema. Unumstritten ist,
dass in den USA dringender
Handlungsbedarf besteht, das
teure und lückenhafte Gesundheitssystem zu verbessern.
Kein anderes Land der Welt gibt
mehr für die Gesundheitsversorgung seiner Bürger aus. Das Jahresbudget der Vereinigten Staaten liegt bei über zwei Billionen
Dollar oder 7.500 Dollar pro
US-Einwohner. Dennoch belegen die USA nur Platz 37 im internationalen Leistungswettbewerb des Gesundheitswesens.
Die Lebenserwartung der USBürger liegt im weltweiten Vergleich sogar nur an 45. Stelle.
Unzureichender
Versicherungsschutz
Über 47 Millionen Amerikaner
sind nicht krankenversichert –
das bedeutet, dass jeder sechste
US-Bürger ohne jegliche Krankenversicherung lebt. Ein Unfall,
ein unvorhersehbarer Krankheits­
fall in der Familie – und die finan­
zielle Katastrophe nimmt ihren
Lauf. Nicht mehr bezahlbare
Arzt-, Medikamenten- und Krankenhausrechnungen werden zunehmend als Ursache für private
Insolvenzen genannt.
Sowohl der Präsidentschaftskandidat der Demokraten, Senator Barack Obama, als auch
sein republikanischer Opponent
MDK-Forum 3/2008
Senator John McCain haben das
US-Gesundheitswesen als TopThema in ihre Wahlkampagne
aufgenommen.
Obamas Pläne
Barack Obamas Ziel ist eine universelle, bezahlbare und hochqualifizierte Gesundheitsversorgung,
ermöglicht durch einen Mix an
privaten und erweiterten staatlichen Versicherungen (Medicare,
Medicaid), die in einer Art nationaler Gesundheitsversicherungsbörse angeboten werden. Die Regierung übernimmt die Regu­lier­ung. Obama will keine grund­sätzliche Pflichtversicherung,
jedoch müssen Kinder bis zu ihrem 18. Lebensjahr versichert
sein. Arbeitgeber sollen i­hren Mitarbeitern bezahlbare Versicherungen anbieten oder zumindest in
einen gemeinsamen öffentlichen
Versicherungsfonds einen entsprechenden Beitrag einzahlen. Zur
f­inanziellen Unterstützung von
Kleinunternehmen wird es spezielle Regelungen geben, um auch
deren Mitarbeitern eine Krankenversicherung zu ermöglichen.
Familien um 2.500 Dollar
entlasten
Obamas Ziel ist es, die Kosten
für das Gesundheitssystem konsequent zu reduzieren. Jason
Furman, Obamas Experte für
Wirtschaftspolitik im Wahlteam,
sagte gegenüber der New York
Times, dass die Kosteneinsparungen konservativ geschätzt wurden
und relativ kurzfristig umgesetzt
werden können. Bereits nach vier
Jahren oder nur wenig länger hält
er Kostenreduzierungen von
30
Senator Barack Obama, Präsidentschaftskandidat der Demokraten
durchschnittlich 2.500 Dollar im
Jahr für eine Familienversicherung mit vier Personen für realistisch. Zur Finanzierung seiner
Pläne will Obama auch die von
Präsident Georg W. Bush eingeführten Steuerbegünstigungen
von Gutverdienern ab einem
Jahreseinkommen von 250.000
Dollar rück­gängig machen.
Neu – und ganz entscheidend:
Obamas Gesundheitsreform verlangt, dass Versicherungs­gesell­
schaften grundsätzlich Bewerber
akzeptieren müssen, unabhängig
von deren aktuellem Gesundheitszustand oder der früheren
Krankheitsgeschichte.
Gesundheits- und Sozialpolitik
McCains Lösungsvorstellungen
Die Schlüsselworte in McCains
Gesundheitsplan lauten: Individuelle Entscheidungsfreiheit und
individuelle Verantwortung sowie
Kostenreduzierung. McCain sieht
die Lösung für das marode USGesundheitswesen im klassisch
konservativen Ansatz: Nicht der
Staat, sondern jeder Einzelne ist
als Zuschuss gedacht, um sich
selbst eine passende Krankenversicherung zu suchen.
Mehr Wettbewerb
McCains Ziel ist es, den Wettbewerb zwischen den Krankenversicherungsanbietern zu verstärken, um marktgerechte Preise zu
erzielen. So soll zum Beispiel
die bundesstaatliche regionale
Begrenzung der Versicherungen
wegfallen. Versicherungen und
auch Ärzte könnten künftig ihre
Leistungen USA-weit anbieten,
nicht nur innerhalb eines Bundesstaates.
Kritik auf beiden Seiten
Senator John Mc Cain, Präsidentschaftskandidat der Republikaner
für seine Krankenversicherung
verantwortlich. Individuell angepasst am jeweiligen Lebensstil
und der eigenen Einflussnahme
auf die Verbesserung der Gesundheit soll jeder Amerikaner
die Freiheit haben, eine auf die
persönlichen Bedürfnisse maßgeschneiderte, passende Krankenversicherung zu wählen.
McCain setzt auf Steuerverschiebungen. Statt Steuervergünstigungen bei den vom Arbeitgeber angebotenen Kranken­ver­sicherungen soll der Einzelne
Steuergutschriften von jährlich
2.500 Dollar (für Familien 5.000
Dollar) erhalten. Dieses Geld ist
Kritiker nennen Obamas Gesundheitsplan eine Vision. „Die
Idee ist gut, aber wer soll dafür
bezahlen?“, heißt es. Die Kosten
zur Umsetzung seiner Gesundheitsreform werden von Obamas
Team auf cirka 50 bis 64 Milliarden Dollar pro Jahr geschätzt.
Experten gehen eher von jährlichen Ausgaben von 100 Milliarden Dollar aus. Obamas Motto
im gesundheitspolitischen Wahlkampf lautet: “Krankenversicherung für alle bis 2012”. Das setzt
enorme Vorab-Investitionen voraus, die erst durch langfristige
Kosteneinsparungen abbezahlt
werden können. Gesundheitsexperten bezweifeln, dass Einsparungen zur Kostenfinanzierung
in nur vier Jahren realisiert werden können. Die New York
Times bezog sich vor Kurzem in
einem Beitrag dazu auf zahlreiche Analytiker, die selbst einen
Zeitplan von 10 Jahren als noch
nicht realistisch ansehen. Selbst
wenn die Reform zügig greift,
darf man nicht vergessen, dass
auch in Zukunft Millionen Amerikaner voraussichtlich nicht
krankenversichert sein werden
Weiterhin viele Amerikaner
nicht ausreichend versichert
Die Finanzierungsfrage ist auch
der wunde Punkt an McCains
Vorstellungen. Die entscheidende
31
Frage lautet: Wie lässt sich
durch die Steuervergünstigung
für den Einzelnen bei Wegfall
der Begünstigungen für den
A­rbeitgeber noch extra Geld
a­bzweigen, um die Millionen
Nicht-Versicherten einzuschließen? Des Weiteren erscheint die
finanzielle Hilfe für eine Familie
von 5.000 Dollar pro Jahr kaum
ausreichend, wenn man berücksichtigt, dass die K­osten für eine
durchschnittliche, vom Arbeit­
geber getragene Versicherung
zurzeit schon etwa 12.000
D­ollar im Jahr betragen. Eine
bezahlbare Krankenversicherung für die meisten nicht ver­
sicherten Amerikaner wird auch
bei McCains Ideen in noch
w­eiter Ferne liegen.
Gefahr für Ältere und
chronisch Kranke
Die von McCain angestrebte Flexibilität beim Angebot von Versicherungen könnte auch dazu
führen, dass zukünftig eine noch
größere Anzahl von Älteren und
chronisch Kranken ohne Versicherungsschutz leben wird. Für
diese „Risikogruppen“ werden
deutlich höhere Prämien erwartet, als für Junge und Gesunde.
Gesundheitsexperte Robert Laszewski sagt: „Bereits jetzt kostet
eine Krankenversicherung für ein
Ehepaar über 55 mehr als 10.000
Dollar im Jahr. Bei Herz- oder
Diabeteserkrankungen eines
Partners würde dieses Paar wohl
kaum eine tragbare Versicherung
finden.“
Amerika braucht dringend eine
Gesundheitsreform. Selbst für
Durchschnittsverdiener wird eine
gute Gesundheitsversorgung immer weniger bezahlbar. Egal, wer
Präsident wird, er sollte es nicht
länger hinnehmen, dass in einem
so wohlhabenden Land wie in den
USA, fast neun Millionen Kinder
ohne Gesundheitsversicherung
aufwachsen und nur im Notfall
medizinisch versorgt werden.
Bettina Garber ist
freie Journalistin in New York
MDK-Forum 3/2008
Gesundheits- und Sozialpolitik
„Juristischer Notfallkoffer“
G
efahrentechnisch gilt ein
Krankenhaus als Hochrisikobereich. Aber nicht nur medizinische Gefahren und Komplikationsmöglichkeiten lauern,
auch juristische Fallstricke sind
überall gespannt. Für die Bewältigung von juristischen Notfällen hat Dr. Leopold-Michael
Marzi, Leiter der Rechtsabteilung im Allgemeinen Krankenhaus Wien, den „juristischen
Notfallkoffer“ entwickelt.
scher Notfallkoffer“ zu Recht
trägt: Ein deutlich sichtbarer roter
Koffer mit Paragraphen-Zeichen, in dem alle erforderlichen
Informationen für die Handhabung eines juristischen Notfalls
enthalten ist. Jeder Mitarbeiter
hat zu jeder Tages- und Nachtzeit Zugang zum Koffer, auch an
Wochenenden oder spät in der
Nacht, und er kann den zuständigen Ansprechpartner zu allen
Zeiten und unter allen Bedingungen erreichen.
Basisausstattung kann
s­pezifisch erweitert werden
Der Koffer enthält Informationen für
die Handhabung eines juristischen
Notfalls im Krankenhaus
Juristische Vorgehensweise
wenig bekannt
Abteilungen und Krankenhäuser
sind längst nach gängigen und
anerkannten Verfahren zertifiziert, alle Prozesse sind beschrieben. Dennoch sind juristische
Vorgehensweisen meist nur vage
bekannt. Zwar gibt es Kladden,
Notfallpläne und Dienstanweisungen, die – vielfach überaltert
und längst nicht mehr gültig – in
irgendeinem Ordner ein dunkles
Dasein fristen. Oft tragen diese
Ordner und Lose-Blatt-Sammlungen sogar die Aufschrift „Juristischer Notfallkoffer“.
Für „sein“ Krankenhaus, das Allgemeine Krankenhaus in Wien,
hat Dr. Marzi ein Werkzeug entwickelt, das den Namen „Juristi-
MDK-Forum 3/2008
Jeder juristische Notfallkoffer enthält eine Basisausstattung, die
von jeder Abteilung, von jeder
Klinik noch mit speziellen Dingen ergänzt haben kann. Als Beispiel zeigt Dr. Marzi eine Checkliste über das Verhalten im
Schadensfall: Wer wird verständigt? Wer ist zu informieren?
Wie verhalte ich mich gegenüber
dem Patienten? Und wie erreiche
ich den Hausjuristen? Ein weiterer Inhalt ist ein Handbuch
„Recht im Krankenhausalltag“,
indem die allermeisten Fallszenarien abgedruckt sind. Ferner
sind Meldeformulare vorhanden,
Informationen zur optimalen
Dokumentation eines Schadensfalles. Geplant sind auch Formulare zur Meldung von Arzneimittelzwischenfällen.
500 dieser Notfallkoffer sind
im ganzen Allgemeinen Krankenhaus Wien positioniert. Die
Grundregel heißt: Jeder Mit­
arbeiter hat von seinem Arbeitsplatz maximal eine Minute Gehzeit, um einen solchen Koffer zu
erreichen. Alle Koffer sind leicht
zugänglich und stehen nicht in
verschlossenen Schränken.
Die Akzeptanz hätte Dr. Marzi
gerne noch etwas höher angesie-
32
delt, und er vermutet bei Ärzten
Berührungsängste. Am größten
ist die Akzeptanz beim Pflege­
personal. „Die schauen sehr oft
in diesen Koffer, bevor sie ihn
überhaupt brauchen. Ob sie interessierter sind, neugieriger, kann
ich nicht sagen, ich habe noch
keine schlüssige Begründung“.
Sachverhalte richtig darstellen
Einen Meilenstein der besonderen Art stellt dieser Notfallkoffer
auch auf dem Weg zur Einführung eines umfassenden Risikomanagements dar. In der Vergangenheit traf Dr. Marzi oft auf
zwei beinahe typische ärztliche
Verhaltensweisen nach einem
Schadensereignis, wenn entweder jegliche Beteiligung an einem möglichen Schaden vehement abgestritten wurde, oder
– ganz im Gegenteil dazu – vorschnell Zugeständnisse an Patienten gemacht wurden. Mit dem
juristischen Notfallkoffer ist es
jetzt einfacher, einen Sachverhalt richtig darzustellen. Was
danach aus dem Sachverhalt
und aus den Daten gemacht
wird, das sei dann Sache des
Juristen und eventuell auch der
Gerichte. „Nicht alles, was so
aussieht, wie ein Behandlungsfehler, ist auch wirklich einer.“
Dr. Marzi hofft, dass auch dieses
Werkzeug „Juristischer Notfallkoffer“ dazu beitragen wird,
schwere und damit auch kostenintensive Zwischenfälle weiter
zu reduzieren. Aufklärung und
Unterstützung aller Mitarbeiter
im Krankenhaus spielen dabei
eine große Rolle. „Es gibt keine
Berufe, die so viel Verantwortung für andere Menschen tragen und in der Regel so wenig
Rechtsinformationen bekommen,
wie in einem Krankenhaus!“
(sa)
MDK im Dialog
MDK Baden-Württemberg
Stationäre Versorgung
Früh- und Neugeborener
Von Dr. Thomas Böhler, Dr. Beate
Schaeff, Dr. Ingeborg Hornberg und
Dr. Matthias Mohrmann
O
b ein Frühchen ein halbwegs normales Leben führen wird oder niemals laufen
und sprechen lernt – das hängt
entscheidend davon ab, in welchem Krankenhaus es zur Welt
kommt und wie gut dieses auf
seine Versorgung vorbereitet
ist. Deshalb hat der Gemein­
same Bundesausschuss (G-BA)
die Versorgung von Früh- und
Neugeborenen 2005 neu geregelt. Kinder- und Geburtskli­
niken ordnen sich über eine
Selbsteinstufung einer von vier
Versorgungsstufen zu. Die Versorgungsstufe entscheidet darüber, welche Leistungen eine
Kinder- bzw. Geburtsklinik
e­rbringen und abrechnen darf.
Ergebnisse des MDK BadenWürttemberg zeigen, dass ein
hoher Anteil der Kliniken in
Baden-Württemberg, die sich
in das höchste Versorgungslevel eingestuft hatten, die Voraussetzungen dafür nicht erfüllt.
Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat im September 2005 die „Vereinbarung
über Maßnahmen zur Qualitätssicherung der Versorgung
von Früh- und Neugeborenen“
beschlossen. In ihr werden die
Anforderungen an die Struktur-,
Prozess- und Ergebnisqualität
der versorgenden Einrichtungen
geregelt einschließlich der Kriterien für die Aufnahme.
Vier neonatologische
Versorgungsstufen
Sie sieht vor, dass sich neona­
tologische Einrichtungen auf
Grund ihrer Qualitätsmerkmale
einer von vier Versorgungsstufen zuordnen: Perinatalzentren
für Früh- und Neugeborene mit
höchstem und hohem Risiko
(Level 1 und Level 2), perina­
tale Schwerpunkte für Säug­
linge, bei denen absehbar ist,
dass sie unmittelbar nach der
Geburt eine Therapie benötigen
(Level 3), und die Geburtsklinik ohne pädiatrische Abteilung
(Level 4).
Die Landesverbände der gesetzlichen Krankenversicherung in
Baden-Württemberg hatten
d­araufhin die Träger der Kinder­
kliniken und Geburtskliniken
im Land aufgefordert, eine
Selbsteinstufung vorzunehmen.
23 von 31 Kinder- bzw. Geburts­­
kliniken in Baden-Württemberg
haben sich selbst als Perinatalzentrum Level 1 eingestuft. In
einer ganzen Reihe von Fällen
konnte der MDK Baden-Württemberg die Selbsteinstufung als
Perinatalzentrum Level 1 nicht
nachvollziehen.
Um Früh- und Neugeborene mit höchstem und hohem Risiko zu versorgen,
müssen Krankenhäuser bestimmte Qualitätsanforderungen erfüllen
33
Gründe für eine fehlende
N­achvollziehbarkeit der Selbsteinstufung lagen (a) in nicht
MDK-Forum 3/2008
MDK im Dialog
ausreichenden baulichen und/
oder per­sonellen Voraussetzungen für die geforderte Versorgungsqualität und (b) in nicht
ausreichenden organisatorischen
Voraussetzungen für die geforderte Versorgung mit Dienstleistungen insbesondere der
Kinder­chi­rurgie und Kinderkardio­logie.
Bauliche und personelle
Voraussetzungen
In vielen Fällen fehlte es an d­en
erforderlichen baulichen und
personellen Voraussetzungen.
Auch wenn Kreißsaal und neonatologische Intensivstation im
gleichen bzw. in miteinander
verbundenen Gebäuden liegen
(und die formalen Voraussetzungen des G-BA damit erfüllt
sind), ist bei längeren Wegezeiten zwischen den Funktionsbereichen im Falle z.B. einer Erstversorgung im Kreißsaal oder
einer Sectio-OP (Kaiserschnitt)
mit langen Abwesenheitszeiten
des diensthabenden Stations­
arztes der Neonatologie zu
r­echnen. Wenn dieser z.B. zu
e­iner Notfallversorgung in den
Kreißsaal abgerufen wird und
gleichzeitig eine Komplikation
bei einem schwer kranken Kind
auf der Intensivstation auftritt,
nimmt die Klink eine poten­tielle Schädigung des Kindes
a­uf der Intensivstation in Kauf.
Idealerweise sollten daher die
Wegezeiten zwischen neona­
tologischer Intensivstation und
Kreißsaal sowie zwischen neonatologischer Intensivstation
und Sectio-OP unter einer
h­alben Minute liegen. Eine
p­ermanente Arztpräsenz ist sicherzustellen und die fachliche
Qualifi­kation der diensthabenden Ä­rzte der Kinderklinik muss
f­ormal und inhaltlich nachvollziehbar sein.
Versorgung mit medizinischen
Dienstleistungen
Die Versorgung kranker und
sehr kleiner Früh- und Neugeborener erfordert in der ersten Zeit
MDK-Forum 3/2008
im Krankenhaus in der Regel
eine intensivmedizinische Behandlung. Daher ist es gerechtfertigt, die Qualitätsanforderungen für die Basisprozedur
„Intensivmedizinische Komplexbehandlung im Kindesalter“ (898c) im Operationen- und Prozedurenschlüssel (OPS 2008)
auch als Qualitätskriterien im
Sinne der Vereinbarung des G-BA
anzuwenden.
Dies bedeutet, dass Dienstleistungen in der Kinderchirurgie
und Kinderkardiologie unter
fachlich kompetenter Leitung eines Kinderchirurgen bzw. Kinderkardiologen zu erbringen
sind. Oder sie müssen so organisiert sein, dass von der neonatologischen Intensivstation jederzeit ein verantwortlicher
Konsiliardienst mit kinderchirurgischer bzw. kinder­kar­diologischer
Kompetenz angefordert werden
kann. Dieser muss spätestens 30
Minuten nach Anforderung am
Krankenbett zur Verfügung stehen und in der Lage sein – ggf.
nach Konsultation eines Hintergrundsdienstes – die Indikation
für diagnostische und therapeutische Interventionen einschließlich notfallmäßiger chirurgischer
Eingriffe zu stellen.
Insbesondere bei nicht transportfähigen Kindern müssen diese Eingriffe im Perinatalzentrum
selbst durchgeführt werden, um
eine belastende, potentiell lebensbedrohliche Verlegung zu
verhindern. Eine vertragliche
Verpflichtung von Kooperations­­partnern zur Übernahme eines
schwer kranken Kindes in die
kooperierende Klinik ist hier
nicht ausreichend. Entsprechende Regelungen wurden auch von
der American Academy of Pediatrics – Committee on Fetus and
Newborn – im Jahr 2004 für
eine Einteilung der neonato­
logischen Versorgungsstufen
i­n den USA empfohlen. Die
V­erfügbarkeit von Kinderchirurgen und Kinderanästhesisten am
Zentrum oder in einer nahe gelegenen Einrichtung („on site or
34
at a closely related institution”)
stellt in diesem Konzept ein
wesentliches Merkmal für die
höchsten Versorgungsstufen dar.
Wirtschaftliche Anreize
Um spezifische, relativ hochpreisige Fallpauschalen abrechnen zu dürfen, muss ein Krankenhaus die Qualitätskriterien
des Perinatalzentrums Level 1
erfüllen. Dies bedeutet, dass der
einmal zugesprochene Status die
Zentren autorisieren wird, Behandlungen durchzuführen, die
sie in der Vergangenheit im Rahmen der fachlich gebotenen,
aber letztlich freiwilligen Regionalisierung in größeren Behandlungszentren haben durchführen
lassen. Es ist nicht zu erwarten,
dass diese Selbstbeschränkung
bestehen bleibt, wenn hohe Investitions- und Vorhaltekosten
am Versorgungsmarkt refinanziert werden können.
Planung statt Wettbewerb
Deshalb ist aus unserer Sicht
eine krankenhausplanerische
Lösung (entweder durch das
Landessozialministerium oder
durch Absprachen der Kostenträger auf Landesebene) noch
immer als die sinnvollste Vorgehensweise, um das System zur
Versorgung kleiner Frühgeborener und kranker Neugeborener
in Deutschland zu gestalten.
Systematische Analysen der
konkreten Versorgungssituation
durch den MDK können die
dazu notwendigen Daten liefern.
Eine Vergütungszusage aufgrund
einer Selbsteinschätzung der
Leistungserbringer sollte, das
zeigen die Ergebnisse des MDK
Baden-Württemberg, noch einmal kritisch hinterfragt werden.
Für das Autorenteam:
PD Dr. med. Thomas Böhler
Facharzt für Kinder- und
Jugendmedizin,
Qualitätsmanagement beim
MDK Baden-Württemberg
E-Mail:
[email protected]
Menschen und Nachrichten
Geschäftsführer-Wechsel beim
MDK im Saarland
Z
um 1. Oktober gibt Dr. med.
Gerhard Minkenberg seine
Funktionen als Geschäftführer und Leitender Arzt des
MDK im Saarland ab. Seine
Nachfolge als Geschäftsführer
übernimmt Jochen Messer, bisher stellvertretender Geschäftsführer beim benachbarten
MDK Rheinland-Pfalz.
Begonnen hat Dr. Minkenberg,
Facharzt für Innere Medizin und
Gastroenterologe, seine Laufbahn
beim Medizinischen Dienst bereits
Anfang 1988 – noch beim Vorgänger des MDK, dem Vertrauensärztlichen Dienst der Landesversicherungsanstalt für das
Saarland. Am 1. Januar 1990 wurde er Leiter der Dienststelle Saarbrücken des MDK im Saarland,
im Oktober 1994 vom Verwaltungsrat des MDK zum Geschäftsführer gewählt und zusätzlich mit der Funktion „Leitender
Arzt“ betraut. In diese Zeit fallen
unter anderem die Dienststellen-
reformen des MDK im Saarland:
So wurden ehemals neun Dienststellen in den Jahren 1995 und
2006/2007 auf eine Dienststelle
in Saarbrücken zurückgeführt.
Zu seinem Nachfolger hat der
Verwaltungsrat des MDK im
Saarland Jochen Messer gewählt.
Messer ist als stellvertretender
Geschäftsführer des MDK Rheinland-Pfalz seit Jahren ein „Insider“ des MDK-Systems. Messer,
Jahrgang 1966, studierte in München an der Bundeswehr-Universität Staats- und Sozialwissenschaften. Als Zeitsoldat war er
Offizier der Psychologischen Verteidigung und in mehreren Chefund Stabsverwendungen.
Nach Beschäftigung und Studium
in der Kreisverwaltung Kaiserslautern und der Fachhochschule
für Öffentliche Verwaltung in
Mayen ist er seit 1999 beim
MDK Rheinland-Pfalz. Hier leitet
er auch künftig in Personalunion
als stellvertretender Geschäftsführer den Fachbereich Verwaltung.
Messer absolvierte nebenberuflich
das Master-Studium „Personalentwicklung“ und ist Total Quality
Management Assessor der European Foundation for Quality Management. Nach etlichen kommunalen Führungstätigkeiten und
Ratsmitgliedschaften fungiert er
heute als Mitglied des gesundheitspolitischen Beraterkreises einer
Landtagsfraktion. Jochen Messer
ist verheiratet, hat zwei Kinder im
Alter von 6 und 3 Jahren. Er liebt
das Kochen und die Musik: Er erlernte die Klarinette am Südwestfunk und ist seit 15 Jahren Vorsitzender eines Musikvereins.
Die Redaktion MDK-Forum
wünscht Dr. Gerhard Minkenberg alles Gute für den Ruhestand und ihrem Redaktionskollegen Jochen Messer viel Erfolg
in seinem neuen Amt!
(se)
Total E-Quality für MDK Rheinland-Pfalz
A
m 28. Mai nahmen der Geschäftsführer des MDK
Rheinland-Pfalz, Dr. Gundo
Zieres und Ute Hornuf, Mitarbeiterin im Referat Personal, das
Prädikat Total E-Quality aus den
Händen der Vorstandsvorsitzenden von TOTAL E-QUALITY
Deutschland e. V. entgegen.
Das Prädikat ist eine Auszeichnung für Organisationen, die sich
nachweislich und langfristig in
ihrer Personalpolitik für die Chancengleichheit von Frauen und
Männern einsetzen. Dieses Ziel ist
erreicht, wenn Begabung, Potenzial und Kompetenz der Geschlechter gleichermaßen (an-)erkannt,
einbezogen und gefördert werden
– ein hoher Anspruch, vor allem
an die Personalpolitik. Bundesregierung und Spitzenverbände
der deutschen Wirtschaft em­
pfehlen ausdrücklich, die Ini­
tiative zu nutzen. Die Jury begründete ihre Entscheidung für
den MDK Rheinland-Pfalz wie
folgt: „Die An­sätze der familienbewussten Personalpolitik und
deren sys­tematisierte Umsetzung
von Chancengleichheit sind
beim MDK Rheinland-Pfalz
sehr viel versprechend.“„Das
Prädi­kat ist Bestätigung dafür,
dass der MDK Rheinland-Pfalz
auf dem richtigen Weg ist und
gleichzeitig Ansporn, diesen
35
e­rfolgreichen Ansatz konsequent weiter zu verfolgen“,
so MDK-Geschäftsführer
Dr. Zieres.
Der MDK Rheinland-Pfalz setzt
sich seit vielen Jahren besonders
für die Gleichbehandlung seiner
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein. Bereits 2005 erhielt er
dafür die Zertifizierung „Audit
Beruf und Familie“. Die Umsetzung zeigt sich in einer starken
Mitarbeiterbindung und qualifizierten Mitarbeitergewinnung.
Frank Jünger leitet
das Referat Personal
beim MDK Rheinland-Pfalz
MDK-Forum 3/2008
Menschen und Nachrichten
Buchbesprechung
Gesundheitssicherung, Gesundheitsversorgung, Gesundheitsmanagement
Grundlagen, Ziele, Aufgaben, Perspektiven
Autor: Prof. Jens-Uwe Niehoff
S
tudiengänge für das Management der Gesundheitsversorgung (Leitung, Organisation, Steuerung der ambulanten
und stationären Versorgung, der
Rehabilitation und der Pflege)
haben sich fest etabliert. Sie gelten heute als eine Voraussetzung
für Berufskarrieren bei praktisch
allen Akteuren des Systems. Das
neue Buch von Jens-Uwe Niehoff ist meines Wissens der erste
Versuch, für das Management
von Gesundheitsdienstleistungen
eben diese Grundlagen darzustellen.
Frei von tages- und parteipolitischen Grabenkämpfen stellt
Niehoff Management als die Bewältigung der Zukunft der Gesundheitsversorgung dar – und
berücksichtigt dabei auch internationale Erfahrungen mit Konzepten, die in Deutschland eben
erst versucht werden oder über
die noch gestritten wird.
Im Kern muss jeder Gesundheitsmanager, so der Autor, eine
Grund­frage beantworten: Ist der
Zugang zu notwendigen und erforderlichen Hilfeleistungen ein
von sozialen, ethnischen, geschlechts- und altersspezifischen
Fragen unabhängiges Grundrecht – oder soll dieser Zugang
über die individuelle Kaufkraft
reguliert werden?
Das Werk nimmt zur Transformation der Gesundheitssicherung und -versorgung grundsätzlich Stellung und begründet
diese als ein Konzept für die
Lehre.
MDK-Forum 3/2008
Dabei berücksichtigt der Autor
sowohl die vielfältigen Facetten
von Marktwirtschaft und Wettbewerb, von Managed Care und
der Überführung von Hilfeleistung
in frei handelbare Produkte.
Aus Sicht des Autors sind wir
derzeit Zeugen eines echten
S­ystemwandels, an dessen Ende
sich ein gänzlich neues System
herausgebildet haben wird.
Um diese zentrale These ordnet
der Autor systematisch seine
Lehrangebote. Sie umfassen
• die Aufgaben des Gesundheitsmanagements,
• die sozialmedizinischen Grundlagen
• die gesundheitswissenschaft­
lichen Leitbegriffe für heutige,
vor allem aber künftige Managementaufgaben,
• eine knappe, vielleicht zu
knappe, Darstellung sozialmedizinischen Elementarwissens
für sozialwissenschaftliche und
gesundheitsökono­mische Gesundheitsmanager
• die Besonderheiten des Managements von Hilfeleistungen speziell aus Sicht,
• die Ideen- und Konfliktgeschichte des deutschen Gesundheitssicherungs- und -versorgungssystems sowie
• eine profunde Auseinandersetzung mit den Gründen, Optionen, Interessen und internationalen Erfahrungen über solche
Transformationen, hierunter
den Erfahrungen aus den USA.
Möglicherweise wird dieses
Buch dem nicht helfen, der mor-
36
MWV–Medizinisch Wissenschaftliche
Verlagsgesellschaft Berlin, 262 Seiten,
34,95 Euro, ISBN 978-3-939069-48-5
gen so handeln möchte wie heute und gestern. Wer aber „seine“
Managementaufgabe als die Gestaltung der Zukunft der „Branche“ begreift und deshalb mehr
als nur betriebswirtschaftliche
und sozialrechtliche Kenntnisse
verfügbar haben möchte, wird
hier bestens bedient.
Dem Buch ist größte Verbreitung
unter allen, die das Gesundheitssystem gestalten, zu wünschen.
Es ist als Wissensgrundlage auch
allen zu empfehlen, die gern
kontrovers diskutieren möchten.
Für Mitarbeiter des MDK, die
sich für gesundheitspolitische
Zusammenhänge interessieren,
ist das Buch ein Muss.
Dr. Rolf-Gerd Matthesius
ist Geschäftsführer des
MDK Berlin-Brandenburg e.V.
MDK-Gemeinschaft auf
der MEDICA 2008
A
uch in diesem Jahr nutzt
die MDK-Gemeinschaft die
Chance, sich im Rahmen der
„Klinikinsel“ auf der Medizinmesse MEDICA als attraktiver Arbeitgeber darzustellen.
Messetäglich wird die MDKGemeinschaft beim „Karriere­
forum“ des Deutschen Ärzteblattes über das Aufgabenspektrum
und die Arbeitsbedingungen
beim MDK informieren. Am
MDK-Messestand können sich
interessierte Medizinerinnen und
Mediziner individuell über das
Aufgabenspektrum eines Arztes
im Medizinischen Dienst informieren. Darüber hinaus geben
Experten aus der gutachterlichen
Praxis des MDK in einem täglich
wechselnden Vortragsprogramm
Einblicke in die Aufgaben und
Arbeitsweise des MDK. Außer-
dem stellt der MDS das bundesweite Fortbildungsprogramm für
Gutachterinnen und Gutachter
vor, zu dem auch die E-LearningPlattform „MD-Campus“ gehört.
Federführend für die Vortrags­
gestaltung und die Messestandbetreuung vor Ort werden in diesem
Jahr Ärzte und Ärztinnen sowie
Personalreferenten der MDK
Bayern, Nordrhein und Westfalen-Lippe sowie des MDS sein.
Sie finden den Stand der MDKGemeinschaft auf der MEDICA
von Donnerstag, 19.11.2008
bis Samstag, 22.11.2008 in der
Halle 7.0 des Düsseldorfer
M­essegeländes.
Sandra Henkel leitet das Fachgebiet Personal/Tarif beim MDS
E-Mail: [email protected]
Veranstaltungshinweise
der MDK-Gemeinschaft
22. Oktober 2008
17. / 18. November 2008
Steuerung innovativer Arzneimittel
und Methoden im Krankenhaus
5. Diskussionsforum 2008 der
SEG 6 „Arzneimittelversorgung“
und SEG 7 „Methoden- und
Produktbewertung“ im
Hilton Hotel, Dortmund
Die Zukunft ist chronisch –
Systemberatung zur Versorgungsgestaltung
Gemeinsame Veranstaltung der
Kompetenz-Centren der MDKGemeinschaft bei der
Kassenärztlichen Vereinigung im
Ärztehaus Hamburg
12. November 2008
Versorgungsmanagement für
pflegebedürftige Kinder
Diskussionsforum 2008 der
SEG 2 „Pflege / Hilfebedarf“ und der
SEG 5 „Hilfsmittel und Medizinprodukte“
im Hotel Maritim, Gelsenkirchen
29. Januar 2009
Demenz in der aktuellen
Versorgungslandschaft
SEG 1 „Rehabilitation / Teilhabe“
Der Veranstaltungsort steht
noch nicht fest
37
Impressum
MDK-Forum · Das Magazin
der Medizinischen Dienste der
Krankenversicherung
Herausgeber:
Medizinischer Dienst
des Spitzen­verbandes
Bund der Krankenkassen e. V.
Verantwortlicher Redakteur:
Dr. Ulf Sengebusch (se), MDK Sachsen
Redaktion:
Martin Dutschek (dt),
MDK Niedersachsen
Christiane Grote (gr), MDS
Wolfgang Nafziger (na),
MDK in Bayern
Dr. Uwe Sackmann (sa),
MDK Baden-Württemberg
Namentlich gekennzeichnete
Artikel geben nicht unbedingt
die Meinung der Redaktion wieder.
Bildredaktion:
Elke Grünhagen, MDS
Erscheinungsweise:
vierteljährlich
Layout:
BestPage Kommunikation
GmbH & Co. KG
45479 Mülheim an der Ruhr
Druck:
asmuth druck + crossmedia
gmbh & co. kg
50829 Köln
Redaktionsanschrift:
Redaktion MDK-Forum
MDS e.V.
Martina Knop
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45141 Essen
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Telefax 0201 8327-3111
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Bildnachweis:
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bpa: S. 11
Dennis Brack/ IPN: S. 31
argus/Scholz: S. 8
Caro/Dr. Angerer: S.
Caro/Hechtenberg: Titel, S. 2
Friederike Geisler,
MDK Niedersachsen: S. 17, 19, 30
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KITA Sonnenschein: S. 28, 29
MDS/bildschön: S. 26
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Privat: S. 9, 20, 31
Klaus Rose/Das Fotoarchiv: S.16
Der Spiegel: S. 18
UKOM/Primoz Lavre: S. 4
Uniklinik Aachen: S. 12
MDK-Forum 3/2008
Die Medizinischen Dienste
ISSN 1610-5346
Baden-Württemberg
Nord
Westfalen-Lippe
MDK Baden-Württemberg
Ahornweg 2
77933 Lahr
Telefon: 07821 938-0
Telefax: 07821 938-200
Geschäftsführer: Karl-Heinz Plaumann
E-Mail: [email protected]
MDK Nord
Hammerbrookstraße 5
20097 Hamburg
Telefon: 040 25169-0
Telefax: 040 25169-509
Geschäftsführer: Peter Zimmermann
E-Mail: [email protected]
MDK Westfalen-Lippe
Burgstraße 16
48151 Münster
Telefon: 0251 5354-0
Telefax: 0251 5354-299
Geschäftsführer: Dr. Holger Berg
E-Mail: [email protected]
Bayern
Nordrhein
MD Bundeseisenbahnvermögen
MDK Bayern
Putzbrunner Straße 73
81739 München
Telefon: 089 67008-0
Telefax: 089 67008-444
Geschäftsführer: Reiner Kasperbauer
E-Mail: [email protected]
MDK Nordrhein
Bismarckstraße 43
40210 Düsseldorf
Telefon: 0211 1382-0
Telefax: 0211 1382-330
Geschäftsführer: Wolfgang Machnik
E-Mail: [email protected]
Hauptverwaltung
Kurt-Georg-Kiesinger-Allee 2
53175 Bonn
Telefon: 0228 3077-0
Telefax: 0228 3077-160
Geschäftsführer: Burkhard Nette
E-Mail: [email protected]
Berlin-Brandenburg
Rheinland-Pfalz
Knappschaft
MDK Berlin-Brandenburg e. V.
Konrad-Wolf-Allee 1-3 TH III
14480 Potsdam
Telefon: 0331 50567-0
Telefax: 0331 50567-11
Geschäftsführer: Dr. Rolf Matthesius
E-Mail: [email protected]
MDK Rheinland-Pfalz
Albiger Straße 19d
55232 Alzey
Telefon: 06731 486-0
Telefax: 06731 486-270
Geschäftsführer: Dr. Gundo Zieres
E-Mail: [email protected]
Pieperstraße 14-18
44789 Bochum
Telefon: 0234 304-0
Telefax: 0234 304-8004
Geschäftsführer: Dr. Georg Greve
E-Mail: [email protected]
Bremen
Saarland
MDS e. V.
MDK im Lande Bremen
Falkenstraße 9
28195 Bremen
Telefon: 0421 1628-0
Telefax: 0421 1628-115
Geschäftsführer: Wolfgang Hauschild
E-Mail: [email protected]
MDK im Saarland
Dudweiler Landstraße 5
66123 Saarbrücken
Telefon: 0681 93667-0
Telefax: 0681 93667-33
Geschäftsführer: Jochen Messer
E-Mail: [email protected]
Lützowstraße 53
45141 Essen
Telefon: 0201 8327-0
Telefax: 0201 8327-100
Geschäftsführer: Dr. Peter Pick
E-Mail: [email protected]
Hessen
Sachsen
MDK Hessen
Zimmersmühlenweg 23
61440 Oberursel
Telefon: 06171 634-00
Telefax: 06171 634-555
Komm. Geschäftsführer: Dr. Gert von Mittelstaedt
E-Mail: [email protected]
MDK im Freistaat Sachsen e. V.
Bürohaus Mitte – Am Schießhaus 1
01067 Dresden
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