Schweizer AGB-Recht im transportrechtlichen Umfeld

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Schweizer AGB-Recht im transportrechtlichen Umfeld
Symposium der Deutschen Gesellschaft für Transportrecht
über "Aktuelle Fragen des Transportrechts"
Schweizer AGB-Recht im
transportrechtlichen Umfeld
Giovanna Montanaro
Das AGB – Recht
> keine umfassende Kodifikation des AGB - Rechts
> einzelne Bestimmungen in Spezialgesetzen, z.B.
>
>
>
>
Pauschalreiserecht (Art. 4 PRG)
Miet- und Pachtrecht (Art. 256 Abs. 2 lit. a und 288 Abs. 2 lit. a OR)
Versicherungsrecht (Art. 33 und 35 VVG)
Konsumentenverträge (Art. 8 UWG)
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Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB)
> keine Legaldefinition
> Definition gemäss Bundesgericht:
«Allgemeine Vertragsbedingungen oder vorgeformte Vertragsinhalte sind
vertragliche Bestimmungen, die im Hinblick auf typische Verträge von Privaten
standardmässig vorformuliert sind und insbesondere der Rationalisierung des
Vertragsschlusses dienen […].»
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Geltung der AGB und ihre Schranken
> keine grundsätzliche AGB – Kontrolle
aber:
> Konsens- oder Geltungskontrolle
> Auslegungskontrolle
> Inhaltskontrolle
> Unterschiede bei Konsum- und Nichtkonsumentenverträge
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Konsens- oder Geltungskontrolle (I)
> Vorrang von Individualabreden
> Geltung von AGB nur bei Vereinbarung durch die Parteien
(Willensübereinstimmung)
> sog. Ungewöhnlichkeitsregel
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Konsens- oder Geltungskontrolle (II):
Vorrang von Individualabreden
> Vorrang von Individualabreden
Umschreibung Individualabrede gemäss Bundesgericht:
«… ob es ohne Verhandlung über den Vertragsinhalt im Wesentlichen
bei der vom Urheber geschaffenen Fassung geblieben ist oder ob der
Urheber mit dem Vertragspartner zumindest in einer Weise über den
Inhalt verhandelt hat, dass das Verhandlungsergebnis einem
individuellen ausgehandelten Einzelvertrag gleichgestellt werden
kann.»
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Konsens- oder Geltungskontrolle (III):
Übernahme der AGB
> Übernahme der AGB
> ausdrücklich
> Hinweis auf AGB bei Vertragsabschluss
> Möglichkeit der Kenntnisnahme in zumutbarer Weise
> tatsächliche Kenntnisnahme nicht nötig = sog. Globalübernahme
> stillschweigend (konkludent)
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Konsens- oder Geltungskontrolle (IV):
stillschweigende Übernahme
> BGE 77 II 154 ff.
Steiner
Frank
Instruktion
• Steiner und Frank seit Jahren
Vertragspartner
• vier grosse Tranporte
• vorgedruckte Auftragsformulare von Frank
mit Hinweis auf AGB
• vorgedruckte Offertformulare von Frank mit
Hinweis auf AGB und Abdruck AGB auf
Rückseite
Instruktion
Kersten
Instruktion
Tuxen
keine Erklärung
Ostrup
> Frage: stillschweigende Übernahme?
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Konsens- und Geltungskontrolle (V):
die sog. Ungewöhnlichkeitsregel
> Ungewöhnlichkeitsregel: nicht kodifiziert
> bei sog. Globalübernahme von AGB
> objektiv: geschäftsfremder Inhalt, d.h.
> wesentliche Änderung des Vertragscharakters
> erheblich ausserhalb des gesetzlichem Rahmens des Vertragstypus
> Beeinträchtigung der Rechtsstellung
> subjektiv:
> was vernünftigerweise erwartet werden kann
> individuelle Beurteilung
> Hinweis auf ungewöhnliche Klausel
> Klausel findet Anwendung
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Konsens- und Geltungskontrolle (VI):
die sog. Ungewöhnlichkeitsregel
> Appellationsgericht Basel, Entscheid v. 14. Januar 1985
B LTD
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•
D SA
Transport von Akten von Basel nach USA
AWB unterzeichnet
allgemeine Freizeichnung auf der Vorderseite
Ausschluss für Verspätungsschäden in AGB
Sendung traf verspätet ein
Klage von B gegen D wegen Verspätungsschaden
> Frage: Ausschluss für Verspätungsschäden ungewöhnlich?
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Konsens- und Geltungskontrolle (VII):
die sog. Ungewöhnlichkeitsregel
> KGer Neuchâtel, 7. Mai 1984
> sog. Kurierklausel:
"Son considérés comme transport par courrier, tous transports
effectués, sous surveillance personnelle et permanente, par des
personnes emportant les objets assurés sur elles ou comme bagages à
main, pour autant qu'elles n'agissent pas en qualité de transporteur.
L'assureur ne répond de la perte et de l'avarie que si elles sont la
conséquence direct d'un accident caractérisé selon art. 2 des CGAT
1968, ou d'une agression.
[…]"
> Frage: Klausel ungewöhlich?
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Auslegungskontrolle (I)
> Grundsatz:
> gleiche Regeln wie bei individuell ausgehandelten Verträgen
> tatsächlicher, übereinstimmender Wille
> Auslegung nach Vertrauensprinzip:
«… wie sie der Adressat nach dem Wortlaut und Zusammenhang sowie
den gesamten Umständen verstehen durfte und musste.»
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Auslegungskontrolle (II):
Auslegung nach Vertrauensprinzip
> BGE 82 II 445: Auf dem Schiff noch ungesicherte Panzer fallen beim
Manövrieren ins Meer
> Art. 14 ABVT 1940:
«[…], so haftet der Versicherer dennoch für den Verlust oder
Beschädigung […], wenn sie die unmittelbare Folge eines qualifizierten
Unfalles oder eines Sturzes während der Umladung und, soweit
gedeckt, während der Einladung oder der Ausladung sind.»
> Frage: Wie durfte und musste der VN die Klausel bzw. den Begriff
«Einladung» verstehen?
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Auslegungskontrolle (III)
> Grundsatz:
> gleiche Regeln wie bei individuell ausgehandelten Verträgen
> tatsächlicher, übereinstimmender Wille
> Auslegung nach Vertrauensprinzip
«… wie sie der Adressat nach dem Wortlaut und Zusammenhang sowie
den gesamten Umständen verstehen durfte und musste.»
> Unklarheitenregel, nicht kodifiziert:
> Auslegung einer AGB-Klausel führt nicht zu einem eindeutigen Ergebnis
> Auslegungsregel “in dubio contra stipulatorem” als ultima ratio
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Auslegungskontrolle (IV): Unklarheitenregel
> BGE 126 III 278 ff.
> Polizeibericht v. 8. Oktober 1993: Kenntnis des Diebstahls
> Diebstahl zwischen 15. Juni 1992 und 8. Oktober 1993
> Klage des VN am 5. Oktober 1995
> Klausel zu Verjährung in Versicherungs – AGB:
«… dass Ansprüche gegen den Versicherer erlöschen, wenn sie nicht
innert zweier Jahre nach Eintritt des Schadensereignisses gerichtlich
geltend gemacht werden.»
> Frage: Fristbeginn unklar?
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Auslegungskontrolle (V): Unklarheitenregel
> BGer Urteil v. 2. Mai 1985: Schiffskaskoversicherung
> Deckung gemäss Art. 1 AVB:
> Sachschäden, die durch Unfall oder höhere Gewalt eintreten (Abs. 1)
> Unfallbegriff nicht definiert
> Sachschaden kann auch durch Absinken der Yacht eintreten (Abs. 2)
> Sachverhalt:
> Yacht sank auf Grund
> Schadensursache: zu niedriger Wasserstand im Hafen
> Wasserstand sinkt im Winter
> Böschung ist im Bereich des Bootsstandplatzes abgerutscht, was zu
Aufschwemmung im Bereich der Yacht geführt hat
> Frage: Unfallbegriff unklar? lag Unfall vor?
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Inhaltskontrolle (I)
> Widerrechtlicher Inhalt der AGB – Klausel
> Verstoss gegen öffentliche Ordnung, zwingendes Recht oder bei
Sittenwidrigkeit
> gleich streng wie bei Individualvereinbarung
> AGB – spezifische Inhaltskontrolle
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Inhaltskontrolle (II):
Verstoss gegen zwingendes Recht /1
> BGE 102 II 256 ff.
Concord Watch
Goth
> Sachverhalt:
>
>
>
>
Transport von wertvollen Uhren
Uhren wurden nicht als «valuable cargo» versendet
Unterlassung ist Herrn Turatti, dem Fililalleiter, zuzuschreiben
Unterlassung wird als grobes Verschulden gewertet
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Inhaltskontrolle (III):
Verstoss gegen zwingendes Recht /2
> Art. 8 Abs. 2 AB Spediteurverband 1966
Beschränkung der Haftung auf CHF 25 je Kilo und auf CHF 25’000 je
Schadenereignis
> Art. 100 Abs. 1 OR:
Haftungsausschluss für Organen nur für leichte Fahrlässigkeit zulässig
> Art. 101 Abs. 2 OR:
Haftungsausschluss für Hilfspersonen vollumfänglich möglich
> Frage: Herr Turatti = Hilfsperson oder Organ?
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Inhaltskontrolle (IV):
Verstoss gegen die guten Sitten
> BGE 94 II 197 ff.
Dow Chemical
International
«… ein Verstoss gegen
die guten Sitten könnte
höchstens vorliegen, wenn
besondere Umstände des
Falles, namentlich die Art und
Weise, wie die Freizeichnung
zustande kam, die beanstandete
Freizeichnungsklausel unerträglich
machen würde.»
•
Transport mit einem Rheinschiff
von 9000 Säcken Kunstharz
•
Rheinfrachtbrief: Haftungsausschluss
> Frage: Verstoss gegen die guten Sitten?
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Reederei
Zürich AG
Achiel Pijl
Inhaltskontrolle (V)
> Widerrechtlicher Inhalt der AGB – Klausel
> Verstoss gegen öffentliche Ordnung, zwingendes Recht oder bei
Sittenwidrigkeit
> gleich streng wie bei Individualvereinbarung
> AGB – spezifische Inhaltskontrolle
> Unterschiede bei Konsum- und Nichtkonsumentenverträgen
> B2B – Verträge
• Grundsatz: keine Inhaltskontrolle
• aber: verdeckte Inhaltskontrolle
> B2C-Verträge
• offene Inhaltskontrolle
• Art. 8 UWG, in Kraft seit 1. Juli 2012
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«Battle of Forms»
> 3 Theorien
> sog. Theorie des letzten Wortes
> AGB der Partei, die vertragstypische Leistung erbringt
> Partialkonsens und Partialdissens  Teilnichtigkeit bei sich
widersprechenden Klauseln
> h.L.: letzte Variante
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Zusammenfassend
> kein umfassend kodifiziertes AGB – Recht
> Kontroll-Mechanismen gegen missbräuchliche AGB
> offene Inhaltskontrolle nur bei Konsumentenverträgen
 insgesamt verwenderfreundliche Regeln
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Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Giovanna Montanaro
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