Medikamentöse Therapie bei Morbus Alzheimer

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Medikamentöse Therapie bei Morbus Alzheimer
Medikamentöse Therapie bei Morbus Alzheimer - wider den therapeutischen Nihilismus
Medikamentöse Therapie bei Morbus Alzheimer
wider den therapeutischen Nihilismus
Dr. Dr. med. Friedemann Ficker
Ärztlicher Direktor des St. Marien Kreiskrankenhauses
Dresden
Tonbandprotokoll erstellt von Simone Stridde, überarbeitet von Dr. Elisabeth Zapfe und Jochen Wagner
Herr Dr. Schulz hatte schon auf die Wichtigkeit der Frühdiagnose verwiesen. Ich darf ihm
mit einem Patientenbeispiel bestätigen, das mir letzten Montag passiert ist:
Eine Ehefrau stellt ihren 66-jährigen Mann vor, Doktor der Kernphysik, der bis vor einem
Jahr im Kernforschungszentrum Bossendorf in Dresden gearbeitet hat. Der Mann fiel bereits vor einem Jahr dadurch auf, dass er immer weniger sprach und die Literatur nur noch
danach durchschaute, wer von seinen Kollegen verstorben war. Ansonsten konnte er sich
zu Hause sich kaum noch betätigen. Die Allgemeinmedizinerin, die ihn damals gesehen
hat, meinte: "Das ist Pensionierungsschock, er hat noch nichts zu tun, er wird seine Aufgaben noch finden." Sie behandelte ihn nicht, obwohl er damals schon den Geburtstag
seiner Frau nicht mehr erinnerte und auch nicht den Tag, an dem er sich zur Untersuchung vorstellte. Als dann zu Hause das Haus umgebaut werden sollte - der Dachboden
wurde für die Kinder ausgebaut - schnitt er etwa 100 Holzlatten: Alle zu kurz! Man meinte,
es läge an seiner Brille. Aber in Wirklichkeit er war nicht mehr in der Lage, die richtige
Länge zu bestimmen und auf die Latten zu übertragen. Das veranlasste seine Frau, ihn
einer Nervenärztin vorzustellen. Dort wurde ein sogenannter Minimental-Status ermittelt,
mit dem die geringste geistige Leistungsfähigkeit bestimmt wird. Resultat: ein Wert von 15,
was einer mittelschweren Demenz entspricht. Und die Kollegin verordnet 10 Tropfen Memantine zum Abend, weil er früh um halb fünf aufsteht, das Frühstück bereiten will, alle 5
Minuten seine Frau fragt, wo denn die Marmelade, die Butter und die Brötchen sind, so
dass sie dann ausflippt und sagt: "Wieso kann ich eigentlich nicht bis um acht schlafen?"
Erst jetzt soll die Diagnostik gestellt werden. Noch (am 13. September) wird gesagt:
"Wahrscheinlich Morbus Alzheimer", und der nächste Vorstellungstermin wäre der 11. November gewesen. So sieht konkret in der Landeshauptstadt Dresden - nicht etwa irgendwo
in einem Dorf an der polnischen Grenze - die Betreuung der Alzheimerpatienten aus! Die
Vorsitzende der Deutschen Alzheimergesellschaft hat vorige Woche hier in Berlin gemeint:
"In der Demenzbehandlung sind wir noch ein Entwicklungsland." Wenn man einem solchen Patienten nicht behandelt, bei dem die kognitiven Funktionen ebenso wie die Merkfähigkeit und später auch die funktionelle Autonomie, kann ich das nur bestätigen.
Am Anfang sank entsprechend den eingetretenen Defiziten die Stimmung, die sich interessanterweise inzwischen wieder zur Normalität bewegt. Er ist jetzt etwa an der Stelle,
wo er lächelnd sagt: "Alzheimer, was soll das schon, ich muss mich damit abfinden." Also
ist auch seine Kritikfähigkeit schon massiv gemindert. Ich habe den Mann am Donnerstag
in unsere Klinik aufnehmen lassen, wo wir haben eine Station für Demenzkranke haben.
Er wird hochdosiert mit einem Medikament "Piracetam" zur Förderung der Hirndurchblutung behandelt und außerdem hochdosiert mit einem Gingko-Präparat. Zudem wird er sofort mit einem dieser neuen Antidementiva behandelt.
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Was wir noch schaffen können, weiß ich nicht. Er kommt zu spät. Und viele unserer Patienten - pro Woche vier bis fünf - kommen zu spät zur Behandlung. D.h., die Symptome
dieser Patienten bauen dann mit Verlust der funktionellen Unabhängigkeit, mit Verhaltensstörungen entsprechend diesem gemessenen Standard, diesem Minimental-Wert ab, bis
letztlich dann die Unterbringung im Pflegeheim und der Tod eines Patienten aufgrund dieser nicht behandelten Erkrankung vor uns steht.
Problematisch ist vor allem, dass die Alzheimersche Erkrankung bereits 20 bis 30 Jahre
besteht, bevor wir die ersten Symptome erkennen. Angenommen, wir träfen uns 90-jährig
in einer Altentagespflegestätte wieder, dann werden 50 % von uns Alzheimer haben - 50
% nicht. Die 50 %, die Alzheimer haben, hatten bereits 40-jährig die ersten Plaques im
Gehirn. Wenn wir im Alter Alzheimer haben sollten, hat diese Krankheit schon jetzt begonnen. Dieses präklinische Stadium, beginnt also etwa 30 bis 40 Jahre vor dem Tod. Erste
Symptome gibt es erst etwa 15 Jahre vor dem Tod. Die Angehörige merken: "Er ist nicht
mehr so flott wie früher, er hat seine Hobbies aufgegeben, er wird gereizter, er ist nicht
mehr der, den wir kennen." Er möchte das aber nicht wahrhaben. Doch bevor jemand zur
Behandlung kommt, ist meist bereits ein mittelschweres Demenzstadium eingetreten, so
wie ich das an dem Beispiel des Kernphysikers erläuterte. Und dann hat der Patient im
Schnitt noch 5 bis 7 Jahre zu leben.
Wenn wir den Patienten früher diagnostizieren und behandeln könnten, hätten wir vielleicht die Chance, dass sich der Krankheitsverlauf verlangsamt. In sofern wird es also relevant, wann wir den Patienten diagnostizieren.
Nach gestellter Diagnose Demenz vom Typ Alzheimer lebt der Patient im Schnitt noch 6,6
Jahre. Bei Menschen mit Schlaganfällen, mit der sog. "vaskulären Demenz", tritt dagegen
der Tod bereits nach 5,5 Jahren ein. Diese Zeitspanne, zwischen Diagnosestellung und
Tod, gilt es zu verlängern.
Wie nah sehr haben wir uns selber der Demenzschwelle bereits angenähert? In einer wirren Anordnung müssten wir in anderthalb Minuten die Zahlen von 1 bis 39 finden. Diejenigen, die jünger als 30 Jahre alt sind, müssten zudem bei 39 beginnen und das ganze
rückwärts tun.
Wenn wir also keine Behandlung machen, wird der Patient deutlich früher sterben, als
wenn wir eine Behandlung früh beginnen. Durch "Early Treatment", haben wir zumindest
die Chance, dass wir dieses Krankheitsbild verlängern, wenigstens aber das Leben ein
Stück lebenswerter erhalten. In diesem frühen Stadium ist die Alzheimer-Krankheit durch
nicht-pharmakologische Intervention zu behandeln: also den Patienten anregen, ihn aktivieren; bei beginnender Gedächtnisstörung Gedächtnistrainingsprogramme mit ihm machen. Später, wenn die Alzheimer-Erkrankung fortgeschritten ist, wird Gedächtnistraining
nichts mehr nutzen; das hilft nur in frühen Stadien.
Patienten kann z.B. durch Sport und Bewegung anregen und aktivieren. Ich biete z.Zt. für
Alzheimer-Patienten eine Kunsttherapie an: Patienten malen! Ich habe eine Ausstellung in
meiner Klinik, und zeige damit, dass es noch machbar ist, auch Alzheimer-Patienten über
Kunsttherapie zu aktivieren.
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Hinzu kommt natürlich die Pharmakotherapie, insbesondere die Medikation von Verhaltensstörungen, und die "Unterstützung und Schulung der pflegenden Angehörigen". Wenn
wir für die Alzheimer-Erkrankung Ziele der Therapie setzen, sind das bei leichter Demenz:
• Verbesserung und Stabilisierung der noch vorhandenen guten, aber abnehmenden
kognitiven Leistungsfähigkeit,
• Erhalt bzw. Wiederherstellung der Selbständigkeit,
• Erhalt der Alltagskompetenz.
Ich habe vor einem Jahr im Oktober einen früheren Cellisten der Philharmonie Dresden
mit einem beginnenden Alzheimer in Behandlung bekommen. Er war 63 und musste frühzeitig aus dem Orchester ausscheiden und hatte ein Jahr lang sein Cello nicht mehr in die
Hand genommen. Dank der positiven Wirkung der Medikamente hielt ich ihn ab April/Mai
dazu an, wieder Cello zu spielen. Und dieser Mann, der ein Jahr lang nicht mehr gespielt
hatte, hat vergangenen Mittwoch bei uns in der Klinik im Rahmen einer Veranstaltung mit
Prof. Maurer, dem Chef der Psychiatrie in Frankfurt, der das Buch "Alzheimers Leben"
herausgegeben hat, gemeinsam ein Doppelcellokonzert gegeben. Nicht ganz astrein, aber
bemerkenswert und beeindruckend. Zum Nachweis, dass es sich lohnt, bei frühen Formen
der Demenz mit Aktivierung zu beginnen und natürlich auch Pharmakotherapie einzuleiten, können Sie am kommenden Welt-Alzheimer-Tag, dieses Doppelcellokonzert um 19
Uhr im "mdr Sachsenspiegel" sehen.
Auch bei fortgeschrittener Demenz ist es wichtig, neben der geistigen und körperlichen
Aktivierung des Patienten, Pflegeerleichterungen anzubieten um so die Pflegebedürftigkeit
vorerst zu vermeiden.
Was uns heute an die Wand gemalt wird, was es alles an Pharmakotherapie der Alzheimer-Erkrankung gibt, so handelt es sich meist um Möglichkeiten, die heute noch gar nicht
realisierbar sind:
• Man versucht, Medikamente gegen diese Plaques zu finden, die jeweils etwa hundert
Nervenzellen verklumpen lassen.
• Man spricht heute davon, hochdosiert Vitamin E und einen sogenannten MAO BHemmer einzusetzen und Östrogene zu geben, um Nervenzellverluste auszugleichen.
Was wir zur Zeit können, sind
• Cholinesterase-Hemmer, auf die komme ich später noch mal zurück.
• Für Frauen: Östrogene. Frauen kriegen etwa 5 bis 7 Jahre später eine Alzheimersche
Erkrankung als die Männer. (Dafür kriegen die Frauen früher ihre Depressionen - also
irgendwo gibt es einen gerechten Ausgleich auf dieser Welt.) Aber: Es wird heute in
den USA bereits mit Östrogenen behandelt, und auch jetzt mit östrogen-ähnlichen Stoffen für Männer, damit auch dort ein zusätzlicher Therapieeffekt für das männliche Geschlecht eintreten kann.
Die Ursachen der Demenz sind vielfältig. Wir wissen sehr viel, aber wir wissen eigentlich
noch gar nichts. Wir wissen nur, welche Faktoren alle in diese Problematik hineinspielen:
• Die Anhäufung von Kalzium-Ionen (Wie schon der Volksmund sagt, "verkalken" die
Zellen im wahrsten Sinne des Wortes.),
• der zerebrale Stoffwechsel ist beeinträchtigt,
• Gefäße werden verschlossen,
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• die Zellmembranen werden defekt,
• im Gehirn werden zu wenig Überträgerstoffe produziert, (Darauf komme ich noch zurück.),
• Radikale werden freigesetzt,
• weiße Blutkörperchen pappen zusammen und
• die Durchblutung verändert sich.
Das alles sind Faktoren, die letztlich auch zur Alzheimer-Demenz führen. Wir kennen diese Hypothesen, und es gibt Wissenschaftler, die auf die eine oder die andere dieser Hypothesen fixiert sind:
• So ist eine Glutamat-Hypothese ist z.Zt. wieder aktualisiert.
• Die Sauerstoffradikal-Hypothese besagt, dass Sauerstoff- und Wasserstoffradikale im
Gehirn schädigend wirken, wogegen sgn. Radikalenfänger wie z.B. Vitamin E eingesetzt wird, weil es heute schon machbar ist.
• Der Abbau von Neurotransmittern, die im Gehirn zu wenig produziert werden, können
auf Basis von Medikamenten, die uns etwa seit 3 bis 4 Jahren zur Verfügung stehen,
verlangsamt werden.
Angenommene Ursachen der Alzheimer-Erkrankung sind auch
• Umweltfaktoren, also die Frage der Lösungsmittel,
• Hirnschädigung durch Hirntrauma,
• die mögliche genetische, die Erbbelastung,
• dann aber auch einfach Fragen des Alterns, dass also sich die Hirnprozesse gegenseitig stören und gegenseitig negativ beeinflussen, so dass eine sogenannte "Pathologische Reihe" entsteht, die letztlich zum Hirnzelluntergang führt.
• Schließlich mangelt es im Gehirn vor allem an einem Überträgerstoff, dem Acetylcholin. Man bezeichnet das auch als "Cholinerges Defizit". Wir verfügen im Gehirn über
etwa 40 Überträgerstoffe. Bei Depressionen fehlen beispielsweise Zachotonin (?) und
Noradrenalin. Bei Wahnerkrankungen und bei Schizophrenen wird dagegen zuviel
Dopamin produziert. Ein Mangel an Melatonin führt zu Schlafstörungen.
Für die Merkfähigkeit, für die Gedächtnisfunktionen braucht man den Überträgerstoff Acetylcholin, der bei Alzheimererkrankung vermindert ist. Seit 3 bis 4 Jahren sind wir in der
Lage, diese Verminderung auszugleichen. D.h., wir sind angetreten, einen dieser Defizite
zu beheben.
Dabei müssen wir aber einiges mit bedenken. Prof. Kurz aus München, Klinik rechts der
Isar, hat anhand einer Graphik die Möglichkeiten veranschaulicht, wie wir einer Krankheit
begegnen können:
•
Prävention:
Man erfasst den Patienten mit seinen Störungen und man kann vorbeugend wirken
(gibt es für Alzheimer noch nicht)
•
Remission
Hier wird etwas, was gestört ist, zu 80 Prozent wieder zurückgeführt (geht bei Alzheimer auch nicht)
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•
Stop der Progression
Hier wird das weitere Fortschreiten der Krankheit verhindert (auch das geht bei Alzheimerkranken noch nicht)
•
Verzögerung des Fortschreitens
Das ist das was derzeit bei Alzheimer geht, und das müssen wir wenigstens tun.
Durch die Behandlung mit Acetylcholinesterase-Hemmern, so der wissenschaftliche Name, kann der Patienten zunächst in einen Status zurückgeführt werden, der dem von vor
etwa einem bis einem halben Jahr entspricht. Ich kann so z.B. diesen Kernphysiker wieder
in den Zustand zurückversetzen, wie er vielleicht im Februar diesen Jahres bestanden hat.
D.h., ich erreiche mindestens ein halbes - ich würde heute sagen, sogar bis ein Jahr – zusätzliches lebenswertes Leben, trotz der Alzheimer-Krankheit. Und bei diesem Cellisten
der Dresdner Philharmonie, konnte ich bisher ein Jahr lebenswertes Leben zurückholen.
Dann läuft leider dieser Prozess parallel zu dem Verlauf, wie er sonst verlaufen wäre. Aber
es geht uns um diesen Gewinn von einem halben bis einem Jahr, und wir sind angetreten,
für diesen Gewinn etwas zu tun.
Damit gilt jetzt dieser Witz zum Glück nicht mehr: "Ham Sie was gegen Alzheimer?" "Könn'se vergessen!"
Wir haben was gegen Alzheimer, wir können behandeln und wir sollten allen unseren Kollegen sagen: Bei jeder Demenz gibt es die Notwendigkeit, mindestens Nootropika, also
hirnstoffwechselregulierende Medikamente anzubieten und einzusetzen. D.h., dass man
also diesen Nihilismus: "Ich kann sowieso nichts tun!" dringendst verlassen muss! Es lässt
sich etwas behandeln. Die Machbarkeit und die prozentualen Chancen auszuloten, ist
schwierig, aber es darf nicht weiterhin dieser Nihilismus Fuß fassen, der ja jetzt auch a
conto der ökonomischen Position immer mehr um sich greift: „Man kann ja eh nichts tun
und ich gerate als Arzt an die Grenze meiner Deckelung, und damit übersehe ich vielleicht
das, was ich behandeln müsste.“
Die Behandlung erfolgt heute also mit einem Acetylcholinesterase-Hemmer. Dieses Ferment, das im Gehirn diese Acetylcholine spaltet, wird gebremst. In dem Spalt zwischen
der einen Nervenzelle und der anderen bleibt dadurch das knappe Acetylcholin länger erhalten. Das geht aber nur, wenn die entsprechenden acetylcholinergen Bahnen noch vorhanden sind, also überhaupt noch die Gleise da sind, auf denen der Zug rollen kann.
Wenn der Patient zu spät kommt, sind die Gleise weg und es nützt gar nichts, einen Zug
zu haben: Der fährt nicht mehr! Deshalb der Appell an die Frühdiagnose, damit überhaupt
noch begehbare Wege wieder beschritten werden können.
"Cognex" war der erste Acetylcholinesterase-Hemmer der vor 4 Jahren auf dem Markt
kam. Es hatte gute Erfolge, aber wirkte nur bei 40 %. Zudem hatte es bei vielen Patienten
starke Lebernebenwirkungen. Die Leberwerte gingen um das zehnfache hoch. So ist es
erfreulich, dass es heute Acetylcholinesterase-Hemmer der 2. Kategorie gibt. Diese Medikamente haben die Wirkstoffe "Rivastigmin"(1) und "Donepecil"(2), mit den Handelsnamen
"Aricept"(2) und "Exelon"(1). Man darf ja für Medikamente nicht direkt werben, aber ich denke, für Laien ist es wichtig, nicht den Wissenschaftsnamen zu hören. Sie wollen wissen:
"Was sollte mein Vater kriegen?", also "Aricept" oder "Exelon". Es ist z.Zt. ein drittes Medi-
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kament, das in Österreich erprobt wird, auf dem Weg nach Deutschland, "Galantamin", so
dass wir dann drei verfügbare Cholinesterase-Hemmer hätten, die dem Patienten in
Deutschland zur Verfügung stehen.
Sie sehen hier eine Übersicht, wo man am Rand eine Verbesserung dieses
Der Mini-Mental-Status ist ein Test zur Messung der geringsten geistigen Leistungsfähigkeit. Da werden z.B. die Orientierung zum Tag geprüft und es müssen verschiedene Dinge
benannt werden. Da muss man auch von 100 so schnell wie möglich von 100 beginnend
in Siebenerschritten rückwärts zählen, also 100 – 93 – 86 – 79 – 72 – 65 – 58 – 51 usw..
Dieser Test liefert als Ergebnis einen Zahlenwert. Man kann nun die Wirksamkeit der Medikamente anhand steigender Testwerte nachweisen. So erhöht sich beispielsweise nach
24 Wochen dank des Medikamentes "Donepecil" das Testergebnis im Mittel um einem
halben bis einem Punkt. Da Demenzkranke i.d.R. pro Jahr vier Punkte abbauen, bedeutet
das, dass dieses Medikament den Zustand zurückholt, der vor einem Viertel bis einem
halben Jahr bestand. Dieses Medikament ist gut verträglich, macht also kaum Nebenwirkungen. Man schädigt also nicht noch zusätzlich den Patienten durch Störungen, etwa im
Magen-Darm-Trakt, so dass es relativ rasch aufgenommen wird und gut für den Patienten
verträglich ist.
Eine große Problematik bei der Alzheimer-Erkrankung besteht darin, dass es neben Gedächtnis-, Merkfähigkeits- und Orientierungsstörungen auch eine Reihe nicht-kognitiven
Störungen gibt, sogenannte Verhaltensstörungen. Zu nennen sind hier vor allem Agitiertheit, Unruhe, Getriebenheit und Wahnvorstellungen, meistens der sog. "Bestehlungswahn". Wenn Ihre Angehörigen eine andere Wahnform entwickeln sollten, also beispielsweise Verarmungswahn, Schuldwahn, Krankheitswahn, dann steckt dort meistens eine
Altersdepression dahinter und keine Altersdemenz. Wenn aber ein Bestehlungswahn da
ist, liegt die Diagnose Alzheimer schon sehr nahe. Weitere nicht-kognitive Störungen sind
Depressionen, Ängstlichkeit, Schlaflosigkeit, Tag-Nacht-Rhythmusstörungen und Halluzinationen. Auch hiergegen wirken diese neuen Cholinesterase-Hemmer, speziell gegen
Apathie, Depression und Angstzustände. Sie bewirken auch eine Abnahme von Angst,
motorischen Unruhe und der Halluzinationen.
Diese Störungen sind die schlimmsten, die zu Hause auftreten und welche die Angehörigen tolerieren müssen. Man kann diese Störungen alleine durch diese CholinesteraseHemmer (Aricept, Exelon) bekämpfen. Der Nervenarzt muss entscheiden, ob er ggf. zusätzlich auch noch andere Medikamente einsetzt, beispielsweise sogenannte Neuroleptika. Aber bitte, bitte, nicht mehr Haloperidol, sondern neue, sog. moderne Neuroleptika,
wie z.B. das Medikament Risperdal. Gering dosiert auch ein Medikament namens Zyprexa, oder Medikamente wie Eunerpan und Melperon, die Verhaltensstörungen des Patienten kompensieren. Neuerdings kommt ein neues Medikament Diapredex auf uns zu, was
sich mit gegen diese Verhaltensstörungen des Patienten richtet. Und das muss bei jedem
Alzheimer-Kranken mit eingesetzt werden. Nicht überdosiert, sondern normdosiert. Alte
Menschen brauchen weniger von diesen Medikamenten, so dass man dann mindestens
mit zwei bis drei Zügeltherapien, die kognitive Störung, die Tag-Nacht-Rhythmusstörung
und die Verhaltensstörung versucht zu beherrschen, zu kompensieren.
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Bei einer Untersuchung zur Wirksamkeit des ersten Cholinesterase-Hemmers Cognex
wurde nachgewiesen, dass Patienten, die keine Medikamente bekamen, im Mittel nach ca.
300 Tagen in einem Heim aufgenommen werden mussten. Unter Behandlung mit diesen
Cholinesterase-Hemmer in einer Dosierung, von 80-160mg, gelang es, diesen Zeitpunkt
auf etwa 740 Tagen zu verschieben. Anders ausgedrückt, waren diese Patienten im Mittel
440 Tage länger in der Lage, zu Hause zu leben. Das heißt aber auch, dass die Betreuung
zu Hause damit 440 Tage länger geleistet werden musste. Man muss also auch mit den
Angehörigen sprechen, ob sie die Kraft haben, diese Betreuung zu leisten. Wenn man aber diese Verhaltensstörungen kompensiert, ist auch diese Betreuung zu Hause länger
möglich.
Zum Nachweis der Wirksamkeit von Aricept gab es eine gleiche Untersuchung. Ohne Behandlung erfolgte die Heimeinweisung nach 68 Wochen. Mit 5 mg Aricept, also unterdosiert, immerhin erst nach 92 Wochen. Mit 10 mg richtig dosiert, erfolgte die Heimeinweisung erst nach 123 Wochen. Das ist möglich - das ist nachweisbar. Das spricht gegen
diese Haltung, man könne nichts tun, nicht behandeln.
Die neuesten Ergebnisse zeigen, dass ein Therapienutzen, für mind. 4 Jahre eintritt. Patienten, die nicht oder mit sog. Placebos (das sind nicht wirksame Substanzen) behandelt
wurden, zeigen über den gesamten Zeitraum von vier Jahren, dass die Werte für die geistige Leistungsfähigkeit unter denen der Patienten bleiben, die das Medikament erhielten.
Bei den medikamentös behandelten Patienten verbessert sich dieser Anfangswert zunächst unterschreitet diesen aber nach etwa einem halben Jahr wieder. Der Patient bleibt
also über den gesamten Zeitraum kontinuierlich kognitiv leistungsfähiger. Darüber, warum
nach vier Jahren sogar eine deutliche Besserungen eintritt, streiten sich die Wissenschaftler. Sie sehen also, alleine eine solche Studie zeigt: Es lohnt sich!
Ein Text, in dem in vielen Worten einzelne Buchstaben durch einen Platzhalter (Blümchen)
ersetzt wurden, dient ebenfalls zum Test der geistigen Leistungsfähigkeit. Einen solchen
Text können Patienten bereits bei einer beginnenden Alzheimer-Erkrankung nicht mehr
lesen. Ich habe vor anderthalb Jahren einen fünfzigjährigen Beamten behandelt, der dann
nicht diesen Text las, sondern statt dessen die Blümchen zählte.
Neben diesen Acetylcholinesterase-Hemmern werden immer mehr Medikamente gründlich
untersucht und in das Spektrum der Therapie einbezogen:
• So etwa sogenannte Antidementiva. Memantine ist ein Medikament, das gerade voriges Jahr auf dem Welt-Alzheimer-Kongreß in Amsterdam von einem schwedischen
Forscher eine sehr gute Beurteilung bekam - besonders bei Demenzkranken mit TagNacht-Rhythmusstörungen.
•
Auch sogenannte Kalzium-Antagonisten, die ein Verkalken der Hirnzellen verhindern.
•
Pirazetam ist ein Medikament, das die Blutflußgeschwindigkeit verbessert. Es ist beispielsweise als Synapsan im Handel
•
Neuerdings rücken auch Gingko-Präparate wiederstärker ins Blickfeld. Das ist das,
was der alte Goethe - dessen 250sten, Geburtstag wir jetzt am Feiertag begehen - im
"West-Östlichen Diwan" beschrieben hat. Einer der besten Demenzforscher, Prof. Kanowski, hat die Wirksamkeit dieses Gingko-Präparates untersucht und neuroprotektive
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Funktionen, Verbesserung der Blutflußgeschwindigkeit herausgefunden sowie die
Wirksamkeit als Radikalfänger. Es gibt Hinweise, dass bei Patienten mit fortgeschrittener Alzheimer-Erkrankung, welche andere Medikamente nicht vertragen, durch hochdosierte Gingko-Präparate, ab 240 – 360 mg am Tag, Verbesserungen möglich sind.
Gegen Aminosäure- und Fettsäurestoffwechsel im Gehirn kann man beispielsweise das
Medikament Memantine, einsetzen. Das hat auch etwas mit dem Glutamatstoffwechsel zu
tun. Gegen die Kalziumstörung wirkt der Kalzium-Antagonist Nimotipin; dieses Medikament ist als Nimotop auf dem Markt. Vitamin A, C und E und auch Gingko-Präparate wirken als Radikalenfänger.
Ich meine, dass man eigentlich 4 bis 5 verschiedene Medikamente einsetzen könnte, weil
alle auf verschiedenen Ebenen an die Nervenzelle herankommen. Dazu gibt es allerdings
bisher wenig Übersichten. Und es gibt bisher keine richtigen Hinweise zur Belegung des
Therapieeffektes in diesem Falle. Das müsste mal untersucht werden, ich denke, das sollte sich lohnen.
Nur: Solche Überlegungen stehen gegen die Ökonomie. Das kann letztlich keiner bezahlen. Ich habe eine 62jährige nach außen noch völlig geordnete Frau mit einem MiniMental-State von 8, die weder die Namen ihrer Kinder noch die ihrer 7 Enkelkinder erinnern konnte, auf 5 dieser Medikamente eingestellt, mit dem Ergebnis, dass ihr Nervenarzt
in Freiberg alles abgesetzt hat und ich böse Anrufe bekam: Ich solle ihm bitte Literatur zufügen, warum die Doppelt- oder Drei- oder Vierfachdosis überhaupt wirke. Ich bin überzeugt, die Frau wird in Bälde in schwerste Demenzformen abstürzen.
Die Tagestherapiekosten liegen für Cholinesterase-Hemmer zwischen 7,60 DM und 8,44
DM. Gingko-Präparate kommen dagegen relativ billig weg. Memantine kostet um 4,- DM
pro Tag, Pirazetam kostet 1,50 DM bis 2,10 DM, weil man hier mindestens 4,8 g geben
muss. Der Allgemeinmediziner hat aber nur 200,- DM pro Quartal für einen Alterspatienten. Und nun rechnen Sie das hoch: Bei drei Präparaten ist der Arzt bereits nach 20 Tagen
am Limit. Ich versuche daher jetzt, den Patienten, die in unserer Klinik sind, ein Schreiben
an den Allgemeinmediziner mitzugeben, in dem steht, dass das Besonderheiten seiner
Praxis seien und dass er die Medikamente weiterführen müsse, damit er nicht in Regress
komme. Denn es heißt, dass sich in der Praxis jedes Allgemeinmediziners 30 Demenzpatienten befinden. Dreißig! Und davon sicherlich 25 Alzheimer-Patienten. Und wenn er von
denen wenigstens fünf bis sechs erkennen und richtig behandeln würde, wäre das schon
schön.
Ich möchte noch mal auf die Alzheimer-Tagung vor einer Woche in Berlin verweisen, wo
die Deutsche Alzheimer Gesellschaft e.V. gefordert hat, dass die Pflege- und Krankenversicherung die Kosten zusammenzulegen, um den Demenzkranken gerecht zu werden.
Aber Ihre frühere Gesundheitssenatorin, Frau Bergmann, hat das demonstrativ abgelehnt.
In den Therapiekonzepten der Demenz, von gestandenen Wissenschaftlern als Leitlinien
veröffentlicht, heißt es,
• dass jede Demenz eine Therapie braucht,
• dass das Therapieziel die positive Beeinflussung des Krankheitsverlaufes und der Erhalt der sozialen Kompetenz sein muss,
• dass es einen individuellen und stadiengerechten Therapieplan geben muss,
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•
•
•
•
•
dass dieser Therapieplan neben der Pharmakotherapie psychotherapeutische Führung
und Soziotherapie beinhalten muss,
dass die Wirksamkeit der Pharmakotherapie bei Demenz wissenschaftlich belegt und
daher unverzichtbar ist,
dass man in frühen Stadien dringend Therapieversuche machen muss
(hier sind dann die vorhin erwähnten Antidementiva aufgezählt, deren Wirksamkeit belegt ist, auch die neueren, also Kalziumkanalblocker und Glutamat-Medikamente),
dass deren Wirksamkeit und Verträglichkeit die Compliance bei Patient und Angehörigem sichern,
dass bei unbefriedigendem Therapieerfolg nach 3 bis 6 Monaten die Umstellung auf
ein Präparat mit einem anderen Wirkprinzip empfohlen wird und nicht das Absetzen!
Und das ist ein Konsens unter deutschen Alzheimer-Forschern! Also es sind nicht Leute,
die dahergehen und sagen: "Tut mal was!", sondern die es belegen können. Für die Betreuer heißt das dann eben auch:
• Umdenken lernen,
• verstehenden Umgang mit Alzheimer-Patienten lernen,
• deren Anamnese und Biographie kennen,
• den Kranken für sich selber sprechen lassen,
• Vorurteile abbauen.
Das ist genau das, was ich so häufig in der Klinik den pflegenden Angehörigen und auch
den Schwestern und Pflegern beibringen muss. Sie kennen vielleicht von der amerikanischen Autorin Naomi Feil die sogenannte "Validation". Das ist eine Methode, mit der man
Menschen, die uns in eine Fremde Realität entrückt sind, dort abholt, wo sie sich befinden,
ihre Gefühle ernst nimmt benennt und bestätigt. Hierfür ist es notwendig, das Wesentliche
in einem demenzkranken Menschen zu erfassen und das Gelernte in der Betreuung und
Pflege umzusetzen.
Aufgrund von Zahlen vom amerikanischen Psychiatriekongress voriges Jahr in Toronto,
haben wir die Hoffnung, dass wir vielleicht im Jahre 2028, in die Lage versetzt sein könnten, schon eine Gentherapie gegen Alzheimer einzusetzen. Das würde bedeuten, dass
man sogenannte Antiamyloide und Antioxidantien zwischen dem 20. und dem 40. Lebensjahr einsetzt, dass man Autoimmun- und Hormonbehandlung gibt, so dass man dann vielleicht dieser Alzheimer-Erkrankung gerecht wird. Für uns ein bissel zu spät. Aber vielleicht
für unsere Kinder und Kindeskinder eine Chance, ohne Alzheimer alt werden zu können.
Aufgrund anderer Erkenntnisse kann man feststellen, dass bei früher Diagnose und früher
Behandlung die weitere Lebenserwartung noch recht beachtlich ist. Wenn ich dagegen
nicht behandle, führt die Krankheit relativ rasch zu, Tod. Wenn ich - und dort sind wir zur
Zeit - die Diagnose erst spät stelle, kann ich vielleicht durch geeignete Medikamente den
Lebensbogen doch etwas verlängern, aber nicht so, wie ich es zu einem frühen Zeitpunkt
gekonnt hätte.
Das allerneueste, was kürzlich in der Zeitung zu lesen war, wird aber erst in 15 Jahren
relevant sein: Man hat bei Ratten Schutzimpfungen gegen diese Amyloide versucht, die
mit als ursächlich für die Alzheimer-Krankheit gelten. Man hat gefunden, dass die so
schutzgeimpften Ratten keine Plaques mehr bekamen, keinen Hirnzelluntergang, und
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dass sogar bestehende Plaques sich aufgelöst haben. Also Sie sehen, es wird weltweit
viel getan, aber wie gesagt, praxisrelevant ist das noch lange nicht.
Fazit:
1. Demenz ist eine Erkrankung und darf kein Tabuthema mehr sein.
2. Behandlung der Demenz muss so früh wie möglich beginnen.
3. Die Behandlung aller schwergradigen Demenzen ist medizinischer Auftrag und ethische Verpflichtung.
4. Beratung und Unterstützung von Angehörigen und Pflegenden sind Bestandteil des
Behandlungskonzeptes.
5. Der Schweregrad der Erkrankung bestimmt das Therapieziel, das Verbleiben im vertrauten Umfeld muss gefördert werden und so lange, wie es geht, aufrechterhalten
werden.
6. Bereits die Verzögerung des Krankheitsverlaufes ist ein therapeutischer Erfolg.