Wahl der Jugend- und Auszubildendenvertretung in einem Betrieb

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Wahl der Jugend- und Auszubildendenvertretung in einem Betrieb
ArbG Köln v. 27.4.2015 – 15 BV 315/14
Wahl der Jugend- und Auszubildendenvertretung in einem Betrieb mit Spartenbetriebsrat
Es gibt keine gesetzliche Regelung oder Zwangsläufigkeit, dass die Struktur der Jugend- und Auszubildendenvertretung der Struktur des Betriebsrats folgen muss. Die Struktur der JAV richtet sich allein
danach, wie am besten eine effektive und kontinuierliche Aufgabenerfüllung sichergestellt werden
kann.
(Leitsätze der Schriftleitung)
ArbG Köln, Beschluss v. 27.4.2015 – 15 BV 315/14 –
Zum Sachverhalt
I. Die Beteiligten streiten um die Anfechtbarkeit der Wahl der Jugend- und Auszubildendenvertretung.
Die Antragstellerin ist eine Gewerkschaft, die in den Betrieben der Beteiligten zu 3) und 4) vertreten ist.
Die Beteiligte zu 2) ist die am 13.10.2014 gewählte Jugend- und Auszubildendenvertretung. Die
Beteiligte zu 3) ist ein Unternehmen in einer weit verzweigten Unternehmensstruktur. Sie ist nach
produkt- bzw. projektbezogenen Geschäftsbereichen organisiert mit den Sparten Head-Quarter (HQ),
Technik und Netze, Network (N) sowie Kundenservice-Center (KSC). Für diese drei Sparten (HQ, N und
KSC) wurden Spartenbetriebsräte gewählt, zuletzt im Frühjahr 2014. Ob dies im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr.
2 BetrVG ordnungsgemäß erfolgt ist, insbesondere ob ein Tarifvertrag existiert, der die Wahl in den
Sparten vorsieht, ist zwischen den Beteiligten streitig. Jedenfalls existierte ein Tarifvertrag aus dem
Jahre 2006 (Bl. 74 ff. d.A., Anlage B 1), der die Wahl von Betriebsräten in Sparten vorsieht. In § 5 dieses
Tarifvertrages heißt es allerdings wörtlich:
"Der Tarifvertrag tritt mit Unterzeichnung in Kraft. Er gilt für die Amtsperiode bis 2010 und kann mit
einer Frist von drei Monaten frühestens zum 01.03.2010 gekündigt werden. Die Nachwirkung ist
ausgeschlossen".
Mit dem Antrag, der am 27.10.2014 beim Arbeitsgericht Köln eingegangen ist, verfolgt die
antragstellende Gewerkschaft das Ziel, dass die Wahl der Jugend- und Auszubildendenvertretung für
unwirksam erklärt wird.
Die antragstellende Gewerkschaft trägt vor, es seien bei der Wahl zu der JAV wesentliche
Wahlvorschriften verletzt worden. Es sei nämlich der Betriebsbegriff missachtet worden. Außerdem
hätten an der JAV-Wahl auch Auszubildende teilgenommen, die gar nicht Auszubildende der Beteiligten
zu 3) seien, sondern solche der Beteiligten zu 4). Hieraus rechtfertige sich der ursprünglich gestellte
Hilfsantrag, der sich gegen die Beteiligte zu 4) gerichtet habe. Die Beteiligte zu 3) sei ein Unternehmen
in einer weit verzweigten Unternehmensgruppe. Die Auszubildenden würden zwar alle ihre
Ausbildungsverträge mit der Beteiligten zu 3) abschließen. Tatsächlich würden sie aber vorwiegend in
der Sparte, die ihrem Ausbildungsinhalt entspreche, eingesetzt.
Sie vertrete die Auffassung, dass die JAV entsprechend der Spartenbetriebsräte ebenfalls in Sparten
hätte gewählt werden müssen. Die Betriebsräte seien in Sparten gewählt worden, da nach ihrer
Auffassung die tarifliche Regelung von 2006 nach wie vor gelte. Das ergebe sich aus der Auslegung. Zum
einen sei die Regelung in § 5 des Tarifvertrages widersprüchlich. Zum zweiten habe es aber einen
nachfolgenden Tarifvertrag aus dem Jahre 2013 gegeben, der zwar nicht die Sparten als solche, wohl
aber die Zuordnung von Mitarbeitern zu diesen Sparten regele. Aus dieser Regelung ergebe sich
jedenfalls das Einvernehmen der Betriebsparteien, dass die Spartenregelung im Tarifvertrag von 2006
nach wie vor gelte. Jedenfalls sei aber die Spartenbildung nicht offensichtlich unzulässig. Es sei also von
dem Status quo der gewählten Betriebsräte auszugehen.
Da die Zuordnung der Auszubildenden zu den einzelnen Sparten unterblieben sei, sei von einer
Missachtung des Betriebsbegriffs auszugehen. Die JAV sei zentral in der Sparte HQ gewählt worden. Auf
der Wählerliste hätten aber 22 Wählerinnen und Wähler gestanden, die dieser Sparte nicht zurechenbar
seien, weil sie ihrem Ausbildungsberuf entsprechend in anderen Sparten ihre Schwerpunkte hätten. Es
sei aber dringend notwendig, dass die Struktur der JAV der Struktur der Betriebsräte folge. Sonst seien
die JAV-Mitglieder gehalten, zu den verschiedenen Betriebsratssitzungen anzureisen. Das sei angesichts
des Ausbildungsziels ihrer Tätigkeit nicht zu verantworten. Der ursprünglich gestellte und im
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Anhörungstermin vor der Kammer zurückgenommene Hilfsantrag sei seinerzeit für den Fall gestellt
worden, dass die JAV unternehmensübergreifend auch für die Beteiligte zu 4) gewählt worden sei.
Diesen Antrag halte sie aber nicht weiter aufrecht.
Die Antragstellerin beantragt zuletzt, die Wahl der Jugend- und Auszubildendenvertretung im Unternehmen der Beteiligten zu 3) wird für unwirksam erklärt.
Die Beteiligten zu 2), 3) und 4) beantragen, den Antrag abzuweisen.
Die JAV trägt vor, einen Tarifvertrag oder eine Betriebsvereinbarung gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG
existiere nicht, sei jedenfalls unbekannt. Tatsächlich seien aber die Betriebsräte für die Standorte/
Sparten in Bochum, Kerpen und Köln separat gewählt worden. Ob das rechtlich richtig sei, sei nicht
ausgemacht. Zuletzt habe es einen entsprechenden Tarifvertrag gegeben für die Betriebsratswahl 2010.
Eine Verlängerung dieser Vereinbarung sei nicht ersichtlich. Der Betriebsbegriff sei nicht verkannt
worden. Es sei nämlich zutreffend, wenn die Auszubildenden der Zentrale in Köln zugeordnet würden.
Dort sei die JAV zu wählen gewesen, dort sei der Stammbetrieb der Auszubildenden:
Die Verträge würden mit der Zentrale abgeschlossen.
Alle Auszubildenden liefen über die Kostenstelle Zentrale.
Alle Schulungen, Unterweisungen und Fahrten würden von der Zentrale aus vorgenommen.
Einstellungen und Entlassungen erfolgten über die Zentrale.
Entscheidungen über die erfolgreiche Absolvierung der Probezeit fielen in der Zentrale.
Die strategische Planung der Ausbildung erfolge über die Zentrale.
Über die Zentrale würden die Zeugnisse erstellt.
Der Ansprechpartner für IHK, Schule und Handwerkskammer sitze in der Zentrale.
Die Prüfungsvorbereitung werde in der Zentrale organisiert.
Der Ansprechpartner der Ausbildungsbeauftragten sitze in der Zentrale.
Die Zentrale entscheide, wie viele Azubis überhaupt eingestellt würden.
Bewerbungen von Azubis würden nur in der Zentrale angenommen, dort finde das Assessment-Center
statt.
Alle Azubis hätten an der Betriebsratswahl in der Sparte Zentrale teilgenommen.
Hieraus folge, dass die Zentrale der Stammbetrieb für alle Auszubildenden sei. Im Übrigen gebe es
keinen Auszubildenden, der nur in einer Sparte im Einsatz sei. Zurzeit gebe es keinen Auszubildenden,
der nicht mindestens an zwei verschiedenen Standorten ausgebildet worden sei. Es sei also auch
praktisch sinnvoll, die Vertretung aller Auszubildenden an einem zentralen Ort, naheliegenderweise an
der Zentrale zu wählen. Würde der antragstellenden Gewerkschaft in ihrer Auffassung gefolgt, so
ergebe sich die Situation, dass eine ganze Reihe von Auszubildenden ohne JAV seien, nämlich zum
Beispiel die Auszubildenden in Villingen-Schwenningen oder in Bochum. Diese Standorte seien mangels
einer hinreichenden Anzahl an Auszubildenden nicht JAV-fähig.
Die Beteiligten zu 3) und 4) erklären, man wolle sich neutral verhalten und nichts weiter zur Sache
vorbringen.
Im Übrigen wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze und ihre Anlagen.
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Aus den Gründen
II. Der Antrag ist zwar zulässig aber nicht begründet.
1. Der Antrag ist statthaft. Auf die Wahl der JAV sind gemäß § 63 BetrVG die §§ 19 und 20 BetrVG, die die
Betriebsratswahl betreffen, entsprechend anwendbar. Die Antragstellerin ist gemäß § 19 Abs. 2 BetrVG
antragsbefugt, weil sie eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft ist. Der Antrag ist gemäß § 19 Abs. 2
BetrVG rechtzeitig, nämlich binnen zweier Wochen seit Bekanntgabe des Wahlergebnisses beim
Arbeitsgericht eingegangen, da das Wahlergebnis am 13.10.2014 bekannt gemacht worden war und der
Antrag am 27.10.2014, also exakt zwei Wochen später, beim Arbeitsgericht Köln eingegangen ist.
2. Der Antrag ist aber nicht begründet. Es fehlt an einem hinreichenden Grund zur Wahlanfechtung
gemäß § 63 Abs. 2 in Verbindung mit § 19 Abs. 1 BetrVG. Ein Verstoß gegen wesentliche Vorschriften
über das Wahlrecht oder über das Wahlverfahren im Sinne des § 19 Abs. 1 BetrVG liegt nicht vor.
a. Der Wahlvorstand hat bei der Wahl zur JAV den Betriebsbegriff nicht verkannt. Weder ergibt sich die
Definition des fraglichen Betriebes aus einem Tarifvertrag noch muss die Struktur der JAV zwingend der
Struktur des Betriebsrats folgen.
(1) Die Definition des fraglichen Betriebes ergibt sich vorliegend nicht aus einem Tarifvertrag.
(a) Ein Tarifvertrag, der die Aufteilung des Unternehmens in Sparten mit Blick auf die JAV-Wahlen regelt,
existiert unstreitig nicht.
(b) Ein Tarifvertrag, der ausdrücklich die entsprechende Aufteilung für die Betriebsratswahlen regelte,
existiert ebenfalls nicht. Der Tarifvertrag aus dem Jahre 2006 regelt in § 5 ausdrücklich, dass eine
Nachwirkung ausgeschlossen sei. Die Tatsache, dass trotz dieser ausdrücklichen Regelung in Sparten
gewählt wurde, führt nicht zur Nachwirkung des Tarifvertrages. Es existiert auch (noch) nicht ein
aktueller Tarifvertrag zur Spartenbildung im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG. Den Tarifvertrag, den die
Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin zum Anhörungstermin vor der Kammer am 27.04.2015
vorgelegt hat, ist von der Arbeitgeberseite noch nicht unterschrieben.
(2) Wurden die Betriebsräte nach Sparten gewählt, muss dies nicht gleichfalls bei den JAV-Wahlen
geschehen. Vielmehr ist eine Interessenabwägung durchzuführen, bei der die Effizienz der
Interessenvertretung für die Auszubildenden durch die JAV im Vordergrund steht.
Ob die Betriebsratswahl mit Blick auf den dort angewandten Betriebsbegriff ohne weiteres wirksam
oder rechtlich problematisch durchgeführt worden war, kann hier offen bleiben. Zu Gunsten der
antragstellenden JAV und der gewählten Betriebsräte kann unterstellt werden, dass die Spartenwahl der
Betriebsräte jedenfalls nicht nichtig ist (BAG Beschluss vom 13.03.2013 – 7 ABR 70/11 -). Denn selbst
wenn man die Richtigkeit der spartenbezogenen Betriebsratswahl unterstellt, ist keine Notwendigkeit
ersichtlich, dass die JAV genauso aufgeteilt sein müsse wie die Betriebsräte. Zwar übt die JAV ihre
Beteiligung zu einem großen Teil durch die Beteiligung an den Betriebsratssitzungen aus. Es ist daher
darauf zu achten, dass die Aufgaben effektiv erfüllt werden können. Dabei kann abgewogen werden
zwischen dem Interesse der JAV, möglichst wenig reisen zu müssen, einerseits und dem Interesse der
JAV vor Ort zu sein, wo die Entscheidungen fallen. Jedenfalls fehlt es an einer zwingenden gesetzlichen
Regelung, nach der die JAV-Struktur der Betriebsratsstruktur folgen müsse. Hiernach ist als allgemeiner
Grundsatz von der Zuordnung der Auszubildenden zum jeweiligen Ausbildungsbetrieb nach den
allgemeinen Kriterien auszugehen (vgl. BAG, Beschluss vom 13.03.1991 - 7 ABR 89/89 -): Wird die
betriebliche Berufsausbildung abschnittsweise jeweils in verschiedenen Betrieben des Ausbildungsunternehmens oder eines mit ihm verbundenen Unternehmens durchgeführt, jedoch von einem der
Betriebe des Ausbildungsunternehmens derart zentral mit bindender Wirkung auch für die anderen
Betriebe geleitet, dass die wesentlichen der Beteiligung des Betriebsrats und der JAV unterliegenden, die
Ausbildungsverhältnisse berührenden Entscheidungen dort getroffen werden, so gehört der
Auszubildende während der gesamten Ausbildungszeit dem die Ausbildung leitenden Stammbetrieb an
und ist dort wahlberechtigt zum Betriebsrat und zur Jugend- und Auszubildendenvertretung (LAG Köln,
Beschluss vom 01.04.2010 - 13 TaBV 79/09 -).
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Nach diesen Grundsätzen sind vorliegend alle Auszubildenden der Zentrale zuzuordnen. Das gilt auch
für diejenigen Auszubildenden, die keinen Verwaltungsberuf, sondern einen technischen Beruf erlernen.
Die Ausbildung wird nämlich zentral vom Head-Quarter aus gesteuert. Die Beteiligte zu 2) hat
ausführlich im Einzelnen vorgetragen, welche Entscheidungen und welche Maßnahmen zentral vom
Head-Quarter gefällt und ergriffen werden. Aus den Darlegungen der antragstellenden JAV ergibt sich
nichts anderes. Die Antragstellerin hat auch nicht bestritten, dass sämtliche Auszubildenden zumindest
in zwei unterschiedlichen Betrieben ausgebildet wurden. Die Auszubildenden bei der Beteiligten zu 3)
werden also in die jeweiligen Betriebe eingegliedert und wieder ausgegliedert. Vor diesem Hintergrund
ist es nicht nur sinnvoll, sondern zwingend, dass die JAV zentral gewählt wird, um eine effektive und
dem Gesetzeszweck entsprechende Arbeit der JAV zu ermöglichen. Anderenfalls bestünde nicht nur die
Gefahr, dass in kleineren Betrieben Auszubildende ganz ohne JAV-Vertretung verblieben, sondern es
bestünde auch die Gefahr, dass Auszubildende, die in die JAV eines (Sparten-)Betriebes gewählt worden
sind, ihr Amt verlieren, weil sie den (Sparten-)Betrieb wechseln. Gerade mit Blick auf eine effektive und
insbesondere kontinuierliche JAV-Arbeit überwiegen die praktischen Argumente bei Weitem die
abstrakten Erwägungen der Antragstellerin, die nicht einmal einen ausdrücklichen Niederschlag im
Gesetz finden.
b. Außer der Rüge des vom Wahlvorstand angewandten Betriebsbegriffs hat die antragstellende
Gewerkschaft keine Unwirksamkeitsgründe vorgetragen. Weitere Gründe sind auch nicht ersichtlich.
Nach alle dem war die Wahl der JAV nicht zu beanstanden. Der Antrag der antragstellenden Gewerkschaft war daher abzuweisen.
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