Tango Buenos Aires - Tanzen in Hamburg
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Tango Buenos Aires - Tanzen in Hamburg
g Zwischen Hamburg und Haiti Im Takt der Leidenschaft: Tango in Buenos Aires Eine Sendung von Bettina Peulecke -----------------------------------------------------------------------------Sendung: Sonntag, 13.12.2009, 07.30-08.00 Uhr sowie 09.30-10.00 Uhr Redaktion: Wolfgang Heinemann Zur Verfügung gestellt vom NDR. Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf nur für private Zwecke des Empfängers benutzt werden. Jede andere Verwendung (z. B. Mitteilung, Vortrag oder Aufführung in der Öffentlichkeit, Vervielfältigung, Bearbeitung, Übersetzung) ist nur mit Zustimmung des Autors zulässig. Die Verwendung für Rundfunkzwecke bedarf der Genehmigung des NDR. Musik 1, „Tanguera“, live, ca. 0`20“ freistehen lassen, dann unter Einblendung: O-Ton 1, Adriana A:“Buenos Aires es la Mekka... E: ...esta en el Tango.“ Lg: 0`22“ Übersetzerin: Buenos Aires ist das Mekka des Tango. Ich bin viel gereist und habe auch in Europa getanzt, aber hier ist der Tango etwas ganz Besonderes, weil wir von Geburt an damit verbunden sind, es ist unsere Kultur. Eine gewisse Ordnung ist wichtig, um in dem ganzen Chaos dieser Stadt überleben zu können, und die gibt der Tango. Musik wieder hochziehen, dann unter Text Autorin: Adriana Doré ist gebürtige „Portena“, eine Einwohner von Buenos Aires. Sie ist Tangolehrerin. Musik 2 , „Permisso“ Ciudad Baigon, ca. 0`20“ freistehen lassen, dann unter Einblendung: O-Ton 2, Hernán A:“Ya llegamos a... E:...otros gestos.“ Lg.: 0`23“ 1 Übersetzer: Nach unzähligen Diskussionen sind wir jetzt an einem Punkt angelangt, an dem wir sagen, wir sind der Tango. So spielt man ihn heute, wir sind echt. Der große Anibal Troilo war auch authentisch, zu seiner Zeit. Aber die Zeiten haben sich geändert, wir sind ein Abbild dieser Stadt, mit anderer Sprache und anderen Gesten. Musik wieder hochziehen, dann unter Text Autorin: Hernán Cabrera ist Pianist, Komponist und Kopf des in klassischer Formation auftretenden 12köpfigen Tango Orchesters „Ciudad Baigon“. Keiner der Musiker ist über 30, alle kommen aus Buenos Aires. Musik 3 „El Choclo“, De Luigi Tanguera, ca. 020“ freistehen lassen, dann unter Einblendung: O-Ton 3, Nicole Nau 0`15“ Ich sehe im Tango nicht so sehr viel von Hingabe, für mich ist er nicht passiv, sondern im Gegenteil etwas ganz Aktives, Kämpferisches, Lustvolles. Es ist eine Freude, wenn man sich gemeinsam in der Musik bewegt. Das ist schon eine wunderbare Herausforderung. Sprecher: Nicole Nau ist Deutsche, sie stammt aus Düsseldorf und ist ein international gefeierter Star. Carlos Menem, der ehemalige Präsident Argentiniens, nannte sie die beste Tangotänzerin der Welt. Es gibt sogar eine Briefmarke mit ihrem Konterfei. Vor mehr als 20 Jahren kam sie in die Hafenstadt am Rio de la Plata. 2 Der Grund war eine Show, die sie damals in Deutschland gesehen hat, und bei der ihr sofort klar war: O-Ton 4, Nicole Nau 0`40“ Das möchte ich können! Ich glaube, ich war noch keine drei Stunden draußen aus der Show, da war ich schon Im Reisebüro und habe mir das Ticket für Buenos Aires gekauft. Am nächsten Tag bin ich dann geflogen, für sechs Wochen Urlaub. Bei meiner Ankunft war ich vollkommen entsetzt, denn das hatte überhaupt nichts mit dem zu tun, was ich auf der Bühne gesehen hatte. Da war einfach wundervolle Musik, und alles glamourös, hier aber war alles dreckig und stank. Das ganz Chaos und Durcheinander fand ich fürchterlich. Und wenn man hier vom Flughafen in die Stadt fährt, dann sieht das eher tot, schmuddelig und dreckig aus. Und dann dachte ich, was mache ich hier bloß sechs Wochen? Sprecher: Das war 1988, doch Nicoles anfängliche Skepsis wich schlagartig grenzenloser Begeisterung, als sie einen Tanzlehrer und Orte fand, an denen sie ihre neue Leidenschaft ausleben konnte. Von da an gab es für sie kein Zurück mehr. Musik kurz hoch als Trenner, dann weiter unterlegen, Kreuzblende mit Atmo 1 Autorin: Seit ihrer Ankunft hat sich Buenos Aires kaum verändert. Noch immer bietet die europäischste Metropole Südamerikas auf dem Weg ins Stadtzentrum einen ziemlich trostlosen Anblick: eintönige, heruntergekommene Fassaden von Sozialwohnungsbauten, ein Erbe aus der Ära Peron. Anders dagegen die noblen 3 Viertel wie Palermo und Recoletta. Sie machen deutlich, warum Buenos Aires um die Jahrhundertwende als das „Paris Lateinamerikas“ gegolten hat. Die ebenso vornehme wie vornehmlich französische Architektur erzählt noch immer von den guten, alten Zeiten: den fernen Jahren, in denen Argentinien zu den zehn reichsten Ländern der Welt gezählt hat, als die Rinderbarone in der Pampa ihr Vieh züchteten und in der Stadt prunkvolle Palais bauen ließen. Natürlich von namhaften europäischen Baumeistern, mit eigens aus Europa importierten Materialien wie englischen Eisensäulen und italienischem Marmor. Der Kamin in der Stadtresidenz der wohlhabenden Familie Errazuriz wurde zum Beispiel beim Bildhauer Auguste Rodin höchst persönlich in Auftrag gegeben. Heute ist die ehemalige Stadtvilla das Museum für Dekorative Kunst, und allein ihre Inneneinrichtung stellt so manches Ausstellungsstück in den Schatten. Atmo 1, Plaza de Mayo Sprecher: Die Prachtstraße „Avenida de Mayo“ im historischen Stadtkern verbindet den Kongress mit der Plaza de Mayo. Hier steht das Regierungsgebäude, die „Casa rosada“, das berühmte rosafarbene Haus, von dessen Balkon aus die schillernde Präsidentengattin Eva Peron, besser bekannt als „Evita“, ihrem Volk zugewinkt hat. Ihrer Begeisterung für eine Sache oder ihrem Ärger über politische und soziale Missstände lassen die Argentinier von je her auf der Straße freien Lauf. Zentraler Sammelpunkt für Demonstrationen jeder Art ist der Hauptplatz vor dem Regierungsgebäude. Wenn sich die Massen auf dem Maiplatz versammeln, was in der Regel mindestens einmal pro Woche der Fall ist, wird das ohnehin herrschende Verkehrschaos in der 14 Millionen Metropole verdoppelt, weil die Hauptzufahrtsstraßen gesperrt werden. Abgeriegelt, allerdings vergleichsweise organisiert, wird auch die Straße „Defensa“, jeden Sonntag, wenn dort Flohmarkt ist. 4 Atmo 2, Straße Defensa Autorin: Von der Mitte des Maiplatz abgehend, ist die „Defensa“ so etwas wie die Hauptschlagader des Antiquitäten- und Tango-Viertels San Telmo. In Richtung Süden, parallel zum Fluss verlaufend, führt sie zur „Plaza Dorrego“, wo es von schönem Art Deco-Schmuck bis hin zu ramponierten Grammophonen allerlei Kuriositäten zu kaufen gibt. Hier ist natürlich nichts alt, sondern selbstverständlich antik! Früher war dieser „Mercado“ auf die „Plaza Dorrego“ beschränkt. Heute sitzen die fliegenden Händler an der ganzen Straße Defensa entlang, Pantomimen verharren reglos in Hauseingängen, und Musiker verleiten die Fußgänger zum Stehen bleiben: Musik 4, Ciudad Baigon, live Autorin: Meist stehen sie an der Ecke „Defensa“ und „Mexico“: 12 junge Musiker in TShirt, ausgewaschenen Jeans und ausgelatschten Turnschuhen. Vier Bandoneons, drei Violinen, Viola, Cello, Kontrabass, Klavier und Sänger, das ist die klassische Formation eines Tango-Orchesters. Aber das „Orchestra típica Ciudad Baigon“ spielt nicht nur perfekt die alten Meister, sondern die Musiker versuchen, dem Publikum mit eigenen Stücken den modernen Tango nahe zu bringen. Sie haben sich nach einem Song des populären argentinischen Rockmusikers Indio Solarí benannt: „Ciudad Baigon“. Und so klingt ihre Musik auch: ein bisschen rockig. Für den Pianisten, Komponisten und Kopf des Orchesters, Hernán Cabrera, ist das nur logisch: 5 O-Ton 5, Hernán A:“Crecimos con el... E...un sonido nuestro.“ Lg.: 0`20“ Übersetzer: Wir sind schließlich mit Rockmusik aufgewachsen, natürlich haben wir auch immer mal wieder die alten Tangos gehört. Aber es ist doch klar, dass die Rockmusik ihre Spuren hinterlassen hat. Sie hat uns beeinflusst und dazu beigetragen, dass diese Generation, dass wir jetzt unseren eigenen Sound haben. Musik 4, Ciudad Baigon, live Autorin: 1913 verkündete der argentinische Botschafter in Paris: Zitator: „Der Tango ist in Buenos Aires ein Tanz, der allein schlecht beleumundeten Häusern und Kneipen der übelsten Sorte vorbehalten ist. Er wird nie in den Salons der guten Gesellschaft oder von distinguierten Personen getanzt.“ Autorin: Letzteres war eine glatte Lüge, denn es gab durchaus so genannte distinguierte Personen, meist natürlich Männer, die das Ambiente der verruchten Gesellschaft von Kleinkriminellen und käuflichen Damen ausgesprochen reizvoll fanden. Denn dort wurde er geboren, der Tango, in den Kaschemmen und Bordellen der Hafenviertel San Telmo und im benachbarten „La Boca“. Argentinien war ein Einwandererland par excellence. Zu Abertausenden kamen die Menschen Mitte des 19. Jahrhunderts, hauptsächlich aus Italien und Spanien. 6 Das tangotypische Instrument, das Ziehharmonika ähnliche Bandoneon, kam aus Deutschland. Shantys singende Seeleute brachten die Erfindung des Akkordeonbaumeisters Heinrich Band aus Krefeld mit an den Rio de la Plata. Seitdem ist der „Blasebalg“, wie die Argentinier ihn liebevoll nennen, für sie so etwas wie für die Österreicher die Zither. Sprecher: 1870 wütete eine Gelbfieberepidemie in der Stadt, und wer es sich leisten konnte, zog raus aus San Telmo in den Norden. Die Viertel Recoletta, Palermo und Belgrano sind heute die urbanen Nobelgegenden. Das etwas marode, aber gleichermaßen malerische San Telmo ist mit seinen vielen Tango-Shows eher traditionell geblieben. Palermo hingegen ist ausgesprochen hip. Musik 5, „Libertango“, Ultratango Autorin: Hier lebt Adriana Doré für und vom Tango. Die 37jährige gibt Tanzunterricht, hauptsächlich Ausländern. Mehr als 100.000 Europäer zieht es jährlich in die argentinische Hauptstadt. Der Tango-Tourismus floriert, und Adriana Doré profitiert davon. Ihr kommt es gerade recht, dass der Tango sich wachsender Beliebtheit erfreut, denn es ist noch gar nicht so lange her, da galten die Propheten im eigenen Lande erstaunlicher weise nicht besonders viel: O-Ton 6, Adriana A:“Para hacer algo... E.:...que se quanto.“ Lg.: 0`19“ 7 Übersetzerin: Als wir vor etwa 13 Jahren anfingen, in der „Glorietta“ zu tanzen, unsere Milongas zu veranstalten, da haben uns die Anwohner angezeigt, wegen Lärmbelästigung! Inzwischen gehört der Tango zum kulturellen Welterbe und was weiß ich nicht noch alles... Sprecher: Die „Glorietta“ ist ein offener, weißer Holzpavillon im Parque Belgrano, gleich gegenüber der Bahnstation Barrancas de Belgrano. Im Sommer finden hier - wie in vielen Parkanlagen und auf Plätzen wie der „Plaza Dorego“ in San Telmo Milongas, Tanzveranstaltungen, unter freiem Himmel statt. Atmo 3, La Glorietta Autorin: Es ist Freitag, kurz vor Mitternacht. Milongas fangen um diese Zeit erst an und gehen bis in die frühen Morgenstunden. Auf der runden, vielleicht 15 Meter im Durchmesser großen Tanzfläche vergnügen sich eng umschlungene Paare. Die Teilnehmer sind zwischen 20 und 80. Füllige Rentner in Anzug und Krawatte, mit gegelten Haaren - so weit noch vorhanden -, führen grazile, junge Frauen in Jeans und Sandalen oder eng anliegenden Roben und Schwindel erregenden Absätzen scheinbar schwerelos. Der Tanz hat hier nicht viel mit schmissigen Beinen und Bandscheibenvorfallverdächtigen Verrenkungen zu tun, er ist eher sinnlich als erotisch. Ob hübsch oder hässlich, alt oder jung, Glatze oder Dauerwelle, diese Dinge sind hier nicht so wichtig. Im Mittelpunkt steht der Tanz. Die Protagonisten nehmen kaum etwas anderes wahr als den Einklang ihrer Körper mit der Musik. Es ist eine Parallelwelt... Musik 6, „Por una cabeza“, live 8 Sprecher: Dennoch müssen die Partner ja erst einmal zueinander finden, bevor sie eine so genannte Tanda, eine Runde von fünf Tänzen, zusammen absolvieren. Und das funktioniert in Buenos Aires ausschließlich über Blickkontakt und dem folgenden „Cabezeo“, dem Kopfnicken, das Einverständnis signalisiert. Das Auffordern ist Männersache. Autorin: Thimon von Berlepsch, ein Zauberer, ist frisch aus Berlin eingetroffen. Auch er will die Magie des Tango an seinem Ursprungsort erleben und hat schon an seinem zweiten Abend den Weg in die „Glorietta“ gefunden: O-Ton 7, Thimon 0`24“ Normalerweise ist es unter Argentiniern ein bisschen schwierig, da muss man sich erst einmal ganz vorsichtig Augenkontakt verschaffen. Wenn die Damen dann rüber schauen und einem süß zulächeln, dann weiß man, man kann da hingehen und sie auffordern. Ich bin ja blutiger Anfänger, habe jetzt aber auch eine Anfängerin ausgemacht, die offenbar Ausländern ist. Und da kann ich jetzt auch etwas entspannter rüber gehen, und sie auffordern, und dann wird das schon funktionieren. Autorin: „Der vertikale Ausdruck eines horizontalen Verlangens“; so sah George Bernard Shaw den Tango. Auch wenn eine Milonga bei weitem kein reiner Ball der einsamen Herzen ist. Manchmal darf es ruhig auch ein bisschen mehr sein, weiß Mechthild Scheinpflug aus Stuttgart. Sie kommt seit Jahren für ein paar Monate nach Buenos Aires, um Tango zu tanzen, sie spricht die Sprache und kennt die Regeln: 9 O-Ton 8, Mechthild 0`31“ Es ist sicherlich auch eine Kontaktbörse. Wenn man mit jemandem tanzt, und es macht sehr viel Spaß, und er ist ein guter Tänzer, dann tanzt man auch schon mal mehrere Tandas hinter einander. Und wenn man sich gefällt, kommt man hinterher ins Gespräch, und dann kommt vielleicht berühmte Frage: Vamos a tomar un café? Gehen wir noch einen Kaffee trinken? Das heißt dann in der Regel schon mehr als das. Das kann, muss aber nicht passieren. O-Ton 9, Atmo unter Text... Autorin: Thimon von Berlepschs erste Tanda war zumindest ein Teilerfolg. Er ist zuversichtlich, was den weiteren Verlauf des Abends angeht... O-Ton 9, wieder hochziehen, Thimon 0´10“ “Atmo, Musik...ich mach mich dann mal auf die Suche... Atmo 4, Begrüßung eines Paares bei der WM, 0`10“ stehen lassen, bei Applaus unter Text Sprecher: Die Damen und Herren, die hier tanzen, kennen sich schon länger. Die alljährlich in Buenos Aires statt findende Tango-Weltmeisterschaft ist weniger Kontaktbörse als vielmehr Karrieresprungbrett für Profis: 427 Paare aus 25 Ländern sind angereist, um in den zwei Kategorien, dem Bühnen oder „Escenario“ und dem Salon-Tango, ihre Künste zu zeigen. Dieses Jahr holten Japaner den Titel im „Salon“, die Trophäe in der manchmal eher an 10 Akrobatik als ans Tanz erinnernden Kategorie. „Escenario“ ging jedoch - wie immer - an ein argentinisches Paar. Um die WM herum gibt es verschiedene öffentliche Veranstaltungen, Ausstellungen, Konzerte und natürlich Tangounterricht für alle: Atmo 5, Tangounterricht, uno, dos, tres... Sprecher: Zufällig sind Patricia und Gustavo in das leer stehende Kaufhaus „Harrod´s“ gestolpert, in dem etwa zehn Paare einige erste Schritte wagen. Denn keiner von den beiden knapp 20jährigen Portenos hat bisher je das Tangotanzbein geschwungen: O-Ton 10, Patrizia und Gustavo A:“Bastante gente que... E..: a ver.“ Lg.: 0`08“ Übersetzerin: Eine ganze Menge Leute tanzen mittlerweile, aber ich habe es noch nie versucht! Sprecher: Tanzen ist eine Sache, Musik hören eine andere. Die 23jährige Mariella hat sich zum Tanzen bisher noch nicht durchgerungen, aber sie hört gern Tango: O-Ton 11, Mariella A:“No, igual yo escucho... E:...normal escuchar Tango.“ 11 Lg.:0`17“ Übersetzerin: Mir gefällt zum Beispiel „Bajo Fondo“, aber ich höre auch einige der alten Sachen, zum Beispiel Carlos Gardel oder Astor Piazolla. Wenn früher jemand erzählt hat, er höre Tango, hat man ihn gleich als altmodisch beschimpft. Heute ist es eher normal, Tango zu hören. Musik 7, „Santa Maria de Buen Ayre“, Gotan Project Sprecher: Mit dem Musikerprojekt „Bajo Fondo“ hat der argentinische Komponist und Oscarpreisträger für Filmmusik, Gustavo Santoloalla, ein sehr junges Publikum angesprochen, ihre Musik ist der Electrotango. Der hat nicht mehr viel zu tun mit der Melancholie und Leidensbereitschaft der ursprünglichen Einwanderergeneration. Seine Texte haben nichts Trauriges an sich wie so viele Tangolieder der alten Garde. Der Electrotango entspricht eher dem Lebensgefühl der vermeintlichen Gewinner: der Generation von gut situierten Portenos, die es finanziell geschafft haben, trotz oder gerade wegen immer wiederkehrender, hausgemachter Krisen. Autorin: Pablo Nieto hat Tangogeschichte studiert. Er ist ein wichtiger Mann in den Milongas von Buenos Aires. Dort tanzen alle sozusagen nach seiner Pfeife beziehungsweise seinen Platten. Pablo ist Tango-Disk Jockey, er tanzt zwar auch, liebt aber vor allem die Musik und gibt sich nicht besonders viel Mühe, seine etwas ablehnende Haltung gegenüber dem Electrotango zu verbergen: 12 O-Ton 12, Pablo Nieto A:“Todo lo que E...Yoga por bailliarines.“ Lg.:0`20“ Übersetzer: Die ganze Bewegung des Electrotango ist ausschließlich etwas für die gehobene Mittelklasse und die Reichen, für die Leute mit Markenklamotten und dem neusten Handy. Die machen dann so Sachen wie Pilates oder Yoga für TangoTänzer. Musik kurz hoch und dann weiter unterlegen Autorin: Ein derartiges Angebot gibt es hauptsächlich für Menschen, die auf der anderen Seite des Flusses leben: in Puerto Madero. Das ist der jüngste, modernste und teuerste Stadtteil von Buenos Aires, wo Stararchitekten wie Sir Norman Foster bauen, ein Fünfsterne-Hotel mit Möbeln des Designers Phillip Starck steht und wo auf den Speisekarten der Restaurants selten einheimisches Bier zu finden ist. Sprecher: Als Nicole Nau Anfang der 80er Jahre von Düsseldorf nach Buenos Aires kam, war Puerto Madero brachliegendes Schwemmland. Anfangs lernte die Deutsche zwar Tango tanzen und brachte es zu höchstem künstlerischen Niveau. Aber als sie ihren jetzigen Tanz- und Lebenspartner Luis Pereira kennen lernte, fing sie noch einmal vor vorne an, denn Louis hatte ihr unverblümt gesagt, sie könne überhaupt kein Tango tanzen! Gemeinsam tanzen, choreographieren und leiten sie heute die Tangoshow im traditionsreichen „Cafe de los Angelitos“: 13 O-Ton 13, Nicole Nau 0`31“ Es ist ein Café, in dem sehr viel Poesie geschrieben wurde und Tangogeschichte geschehen ist. Das ursprüngliche „Café de los Angelitos“ war auch hier an dieser Straßenecke. Es war ein kleines Tangocafe, in der Empore gab es Musik mit dem „Orchestra de las Senoritas“, und es hat etwas davon, dass man hier natürlich nicht irgendeine Show hinstellen kann. Uns war sehr klar, dass wir hier alles anders machen müssen. Atmo 6, Cafe Autorin: Im „Café de los Angelitos“ an der Ecke Rivadavia und Rincon, unweit vom Kongressgebäude im Stadtzentrum, erzählen Nicole Nau und Louis Pereira Abend für Abend auf der Bühne die Geschichte des Tango. Vor einem puristischen, sehr eleganten Bühnenbild gibt es in der Show auch immer wieder Verweise auf die folkloristischen Elemente des Tangos, auf das Volkstümliche: O-Ton 14, Nicole Nau 0`20“ Der Tango hat viel mehr mit Argentinien und dem Landesinneren zu tun, als oft angenommen wird. Man bleibt zu oft in dieser Rotlichtmilieuecke hängen und in den Geschichten zwischen Mann und Frau. Aber Tango wird ja vom Volk gemacht. Und das sind nicht nur Männer und Frauen, das sind ja auch Familien, die singen und tanzen und musizieren. Atmo 7, Musik, Absage „Café de los Angelitos“ Sprecher: Ende 2007 wurden laut einer Studie 300 Tangoveranstaltungen pro Woche registriert, an 120 Orten, mit 3.500 Besuchern. Das Angebot hat sich in fünf Jahren verzehnfacht. Allein in den Milongas geben laut der überregionalen 14 Tageszeitung „La Nacion“ knapp zwei Millionen Menschen 6,5 Millionen Euro aus. Aber es geht auch anders: Es gibt zum Beispiel öffentliche Milongas auf der Avenida de Mayo, die nicht einen Peso kosten. Oder aber die GratisMilongas in den „Barrios“, den Vorstadtvierteln, in die sich besser niemand verirrt, der sich nicht ziemlich gut auskennt. Und es gibt einen Radiosender, der den ganzen Tag nichts anderes spielt als Tango: Atmo 8, Radio 2x4, Ansage Tarantino, Musik Autorin: Louis Tarantino ist Moderator bei „2x4“, früher hieß der Sender „Tango FM“. Wenn Louis nicht vorm Mikrofon sitzt, tanzt er auf Milongas oder unterrichtet an der Tango-Akademie. Der Tango ist Louis´ Leidenschaft. Nichtsdestotrotz stellt er klar, dass die Vorstellung vieler Ausländer, in Buenos Aires werde an jeder Ecke Tango getanzt, völlig falsch ist. O-Ton 15, Louis A: „Igual con respecto... E:...sabe que es.“ Lg.: 0`18“ Übersetzer: Gemessen an den knapp 14 Millionen Menschen in Buenos Aires, ist der Prozentsatz der aktiven „Tangueros“ vergleichsweise gering. Allerdings weiß hier tatsächlich jeder, was Tango ist, auch wenn ihn längst nicht alle tanzen, spielen oder singen. 15 Autorin: „Ein trauriger Gedanke, den man tanzen kann“, so beschreib Enrique Santos Dicepolo, einer der ganz großen Tangokomponisten ihn einmal. Louis Tarantino hebt jedoch vor allem die heitere Seite hervor: O-Ton 16, Louis A:“Si en este... E...el Tango tambien.“ Lg.: 0`20“ Übersetzer: Wenn wir keinen Sinn für Humor hätten, könnten wir in diesem Land nicht überleben. Wir lachen durchaus auch über uns selbst, das ist eine schlichte Überlebensstrategie, es gehört zu unseren Eigenheiten und damit auch zum Tango. Musik 8, „La cumparsita“, live Autorin: In den traditionsreichen Ballsälen von Buenos Aires aus dem 19. und frühem 20. Jahrhundert wie dem Café Tortoni oder der Confitéria Ideal überlebt eine Welt von gestern, die eine Flucht aus dem Alltag von heute leicht macht. Hier gibt es sie noch, die einstige Grandezza, Jugendstilornamente, verstaubte Kronleuchter, livrierte Kellner und eine Tischordnung, auch wenn draußen in der Stadt, in dem Land, alles im Chaos zu versinken droht. 16 Sprecher: Als größter Tangosänger gilt Carlos Gardel. Seine bronzene Statue auf dem Friedhof Chacarita hat immer eine brennende Zigarette im Mund, treue Verehrer sorgen täglich für Nachschub. „Cada dia canta mejor“ - er singt jeden Tag besser, scherzen die Portenos liebevoll - Gardel kam bei einem Flugzeugabsturz 1935 ums Leben, aber im Tango stirbt es sich nicht so einfach. Autorin: „2x4“ nennt sich der Radiosender, nach dem Zweivierteltakt des Tango. Im Tanz wird dieses ganz spezielle Lebensgefühl deutlich. Die typisch argentinische Melange aus melancholischer Launenhaftigkeit und unberechenbarer Lebenslust. Mit einem Schritt versunken in der Vergangenheit, mit dem nächsten draufgängerisch in Richtung einer ebenso verheißungsvollen wie ungewissen Zukunft. Dazwischen ein Stadium des spekulativen Abwägens. Es ist ja schließlich alles schon mal da gewesen: großer Reichtum, bittere Armut, korrupte Politiker, Militärdiktatur, mit Millionen von verschwundenen Opfern, und historische Weltmeisterschaften. In diesem Land, in dem eigens eine Kirche zu Ehren eines Fußballspielers gegründet worden ist, die „Iglesia Maradoniana“, in der Diego Maradona von den Gläubigen als Heiliger verehrt wird! Musik 8, „Mi noche triste“, live, unter Text Autorin Jetzt ist auch der Tango wieder da, und jedes Jahr kommen mehr Menschen in die Metropole am Rio de la Plata, um ihn zu erleben. Denn hier ist er nicht nur ein Tanz, hier ist er Leben und Leidenschaft. Oder wie Adriana Doré es ausdrückt: Tango tanzen kann man auf der ganzen Welt, aber Buenos Aires ist das Mekka! 17 O-Ton 17, Adriana: „El Tango es mundial, pero Buenos Aires es la Mekka!“ Lg.: 0´05“ Musik 8, „Mi noche triste“, live, wieder hochziehen 18