Mit der Patina der jahre
Transcription
Mit der Patina der jahre
Wibke Weber Mit der Patina der Jahre Neue Hörproduktionen zum 80. Geburtstag von Ursula Wölfel Ihre Bücher haben eine außerordentlich lange Halbwertzeit. Einmal gelesen, wirken sie nach und werden an die nächste Generation weitergegeben. Woran das liegt? Vielleicht daran, dass Ursula Wölfel, die in diesem Monat ihren 80. Geburtstag feiert, eine Schriftstellerin der leisen Töne ist, eine, die sich keinen literarischen Moden unterwirft, die ihre Helden nicht wie Supermänner agieren lässt, es aber umso mehr versteht, einfache, klare und einfühlsame Geschichten zu erzählen. Ursula Wölfel (geb. 16. 9. 1922) gehört zu den Großen der Kinder- und Jugendliteratur. Seit über 40 Jahren steht ihr Name für literarische Qualität, »solide und zuverlässig in politischer, moralischer und pädagogischer Hinsicht« (Gundei Mattenklott in Zauberkreide). Dabei erscheint ihr Werk reich an Genres: vom psychologischen Kinderbuch über die politisch engagierten Kurzgeschichten (Die grauen und die grünen Felder) bis hin zu den Lach- und Suppengeschichten und den historischen Romanen. Sie hat die Entwicklung der Kinder- und Jugendliteratur maßgeblich beeinflusst. Kein Wunder also, dass ihre Bücher immer wieder ausgezeichnet wurden. 1991 erhielt sie für ihr Gesamtwerk den Sonderpreis des Deutschen Jugendliteraturpreises. Wölfels herausragende Bedeutung, vielleicht auch ihr 80. Geburtstag, mag die Deutsche Grammophon (DG) bewogen haben, die Autorin für den Tonträgermarkt (wieder) zu entdecken. 2001 kamen gleich vier Kassettenproduktionen in den Handel: Fliegender Stern, Joschis Garten, Der rote Rächer und Die Glückskarte. Ebenfalls bei der DG erschienen Mond, Mond, Mond (Aufnahme: 1980) und Feuerschuh und Windsandale (Aufnahme: 1974). Es war einmal... Seltsam anachronistisch wirken die Wölfel-Produktionen zwischen Benjamin Blümchen, Krimi-Serien wie Die drei ??? und Harry Potter. Anachronistisch, weil die Helden und ihre Probleme einer anderen Zeit entstammen. Wölfel schrieb Der rote Rächer und Fliegender Stern bereits 1959; Feuerschuh und Windsandale, Joschis Garten und Mond, Mond, Mond stammen aus den 60er Jahren. Ihr Thema hieß damals: kindliche Entwicklungskrisen. Sie schildert Kinder, die sich erst durch Reifungsprozesse von Isolation, Einsamkeit, seelischen Nöten und Minderwertigkeitskomplexen befreien können. Auch ihr historischer Roman Die Glückskarte, der in die großbürgerliche Welt des 19. Jahrhunderts entführt, mutet heute seltsam an. In Mond, Mond, Mond widmet sich Wölfel einem zeitgeschichtlichen Thema: dem Schicksal der Sinti und Roma während des nationalsozialistischen Regimes. Nicht mehr zeitgemäß, ein bisschen altmodisch und verstaubt — so der erste Eindruck. Zudem macht es die raue, markante Stimme von Hans Peter Hallwachs — er liest die Klassiker Der rote Rächer und Fliegender Stern — nicht einfach, sich in die Lesungen hineinzufinden. Vor allem der schnelle, wenig einfühlsame Leseduktus von Der rote Rächer ist gewöhnungsbedürftig und erfordert — zumindest am Anfang — konzentriertes Zuhören. Ganz anders in Fliegender Stern. Hier ist die Lesung stimmungsvoll gelungen, das Tempo gut gewählt, und die Klangfarbe von Hallwachs' Stimme passt gut zum wilden Indianerleben. Mond; Mond, Mond, Die Glückskarte und Feuerschuh und Windsandale liegen als Hörspiele vor, alle ansprechend inszeniert. Dialoge und Erzählpassagen wechseln sich ab, unterlegt mit Geräuschen und Musik, die die Atmosphäre der Geschichten unterstreichen. Während Feuerschuh und Windsandale bereits für Kinder ab vier Jahren empfohlen wird, richten sich die anderen beiden Hörspiele an ältere Kinder. Gerade rur die Altersgruppe ab zehn Jahren hält der Tonträgerrnarkt wenig gute Produktionen bereit. Das Hörspiel Mond, Mond; Mond mit seinem zeitgeschichtlichen Hintergrund fällt da positiv auf. Dagegen sind Joschis Garten (gut interpretiert von Eckart Dux) und Fliegender Stern, ebenfalls laut Cover erst ab zehn, durchaus schon rur jüngere Kinder geeignet. ...und wirken noch immer Der zweite Höreindruck? Wie Wölfels Geschichten wirken auch die Hörspiele und Lesungen nachhaltig. Und wie Wölfels Sprache, so sind auch die akustischen Realisationen behutsam und schlicht, frei von Action, künstlicher Dramatik und Effekthascherei. Sie sind unspektakulär und werden daher nicht weiter auffallen. Malte Dahrendorf sprach in seiner Laudatio auf Ursula Wölfel anlässlich der Verleihung des Deutschen Jugendliteraturpreises 1991 davon, dass die Leser von Wölfels Büchern oft erst später merkten, was sie da eigentlich gelesen hatten. Dasselbe gilt auch für die hier vorgestellten Lesungen und Hörspiele. Man muss bereit sein, sich auf Wölfels Geschichten einzulassen. Und man muss in der heutigen schnelllebigen Zeit schon genau zuhören, um ihre Botschaft zu vernehmen. Jedes ihrer Bücher hat eine solche Botschaft. »Ich kann einfach nicht schreiben ohne eine Botschaft«, sagte Ursula Wölfel einmal in einem Interview. Daher sind es Wölfels Bücher wert, auch nach 40 Jahren noch gelesen und gehört zu werden. Feuerschuh und Windsandale. Hörspiel von Kurt Vethake. Hamburg: Phonogramm 1974. MC: ISBN 3-8291-0181-3. 47 Min. 6.45 €. Ab 4. Fliegender Stern. Ungekürzt gelesen von Hans Peter Hallwachs. Hamburg: Universal Music 2001. 2 MCs: ISBN 3-8291-1144-4. 92 Min. 9.45 €. Ab 10. Die Glückskarte. Hörspiel von Imke Novak. Hamburg: Universal Music 2001. MC: ISBN 3-8291-0985-7. 56 Min. 6.45 €. Ab 10. Joschis Garten. Gelesen von Eckart Dux. Hamburg: Universal Music 2001. MC: ISBN 3-8291-1146-0. 75 Min. 6.50 €. Ab 4. Mond.Mond,Mond. Hörspiel von Marei Obladen. Hamburg: Metronome Musik 1980. MC: ISBN 3-8291-0977-6. 47 Min. 6.45 €. CD: ISBN 3-8291-0976-8. 47 Min. 8.45 €. Ab 9. Der rote Rächer und die glücklichen Kinder. Ungekürzt gelesen von Hans Peter Hallwachs. Hamburg: Universal Music 2001. 2 MCs: ISBN 3-8291-1145-2. 120 Min. 9.50 €. Ab 10.