Grosse Messe in c

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Grosse Messe in c
Grosse Messe in c-Moll KV 427
Möglicherweise schrieb Mozart die c-Moll-Messe als Dankmesse für die Heirat mit
seiner Frau Constanze. Vielleicht verdankt sich die Grundtonart (c-Moll bzw. C-Dur)
dieser Tatsache. Mozart scheint beweisen zu wollen, dass mit einem einfachen Akkord grosse Musik zu machen sei: Er beginnt mit einem durch alle Stimmen geführten c-Moll-Akkord. Mozart treibt die Kunst der Variation fast auf die Spitze: Kleine
Sequenzen werden in immer neuer Weise angeführt oder in immer neue Kontexte
gestellt.
Im Aufbau des Gottesdienstes gehören Kyrie und Gloria in den Eingangsteil: Am Anfang steht eine Bitte um Erbarmen, im festlichen Gottesdienst folgt das Gotteslob,
das Gloria.
Das Kyrie (Herr, erbarme dich) ist durchkomponiert als Begrüssung des Herrschers,
kraftvoll, glänzend, bewegt. Das Volk scheint den Weg zu säumen und den Ruf weiterzugeben – von Stimme zu Stimme, von Solostimme zu Chor, von einer Sequenz
zur anderen. Der ruhige Rhythmus der Erhabenheit wechselt mit dem Goldglanz der
Koloraturen. Im Moll verneigt sich das Volk huldvoll vor dem Herrscher. Eine gewisse
Schwere bleibt jedoch präsent, die sich am Anfang in einer schwerfälligen Abwärtsbewegung zeigt – als würde das Volk sich aus der Last des Alltags aufmachen zu
seinem Retter und sich flehend an ihn wenden. Das „Kyrie“ beginnt häufig tief und
schwingt sich dann in die Höhe. Diese Bewegung von unten nach oben, vom einfachen Volk zum Herrscher, von der Misere des Alltags zum himmlischen Glanz wird
immer wieder hörbar – auch im sanfteren Anruf des Christus.
Die Stimmung wechselt im Gloria – von Moll zu Dur. Ein gewaltiger, triumphaler, ja
fast triumphalistischer Beginn. Der fugenartige Einsatz zeichnet nach, wie das Lob
aufgenommen und weitergegeben wird. Die Rhythmen scheinen sich zu überschlagen, kurz im „Deus“ zu kulminieren, bis sie im „Et in terra pax“ (und Friede auf Erden)
zur Ruhe kommen. Grundlage des Friedens ist gemäss der Interpretation der Musik
der gute Wille des Menschen, „bonae voluntatis“. Kurz bricht der Jubel wieder auf;
erneut stellt sich Friede ein.
Das „Laudamus te, glorificamus te“ und „adoramus te“ (wir loben dich, wir preisen
dich, wir beten dich an) hat Mozart seiner eigenen Frau zugedacht, die als Sopranistin diese Sequenz singen durfte. Dieser Teil ist lieblich, fast als ein Tanz gestaltet, mit
opernhaften Momenten durchsetzt. Und klingt nicht auch Haydns Schöpfungslob
deutlich nach?
Der dem Chor übertragene Dank, „Gratias agimus tibi“ ist dramatisch, majestätisch
gestaltet. Die Menge erschaudert vor Gott, der fast übergross erscheint.
Im „Dominus Deus“ liegt die Betonung auf der Zweiheit zwischen Gott dem Vater und
dem Sohn „Filius Patris“, die in einen Dialog einmündet. Die Melodien werden zum
Teil parallel geführt, antworten aufeinander, verschlingen sich ineinander, sodass der
Zuhörer Sopran und Altstimme kaum mehr unterscheiden kann. Auffallend sind die
weit über die Oktav hinausgehenden Sprünge, in denen sich Vater und Sohn, Himmel und Erde zu berühren scheinen: Gleichheit bei bleibender Verschiedenheit.
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Das „qui tollis peccata mundi“ (der hinwegnimmt die Sünde der Welt) deutet in seiner
Schwere aus, dass der Mensch für die begangenen Sünden immer neu um Gottes
Erbarmen flehen muss. Der unter der Sündenlast dahinschreitende Mensch schleppt
sich voran, fast als wäre er auf einem Todesmarsch. Auffällig ist der abrupte Wechsel
zur Bitte um Erbarmen – genau auf dem Wort „mundi“ – als fiele die Welt vor Gott auf
die Knie. Flehentlich wendet er sich erst leise, schüchtern, dann intensiv flehend an
Gott: „suscipe deprecationem nostram“ (nimm an unser Gebet) und fällt in die
Schwere zurück. Vielleicht wird auch der Kreuzweg Jesu hier versinnbildlicht, der im
Kreuz die menschliche Schuld auf sich nimmt? Das „Qui sedes ad dexteram patris“
(der sitzt zur Rechten des Vaters) schwingt sich auf – bis zum göttlichen Thron und
mündet ein in ein erneutes Flehen um Gnade, „miserere nobis“, das kräftig anhebt
und fast in Erschöpfung endet. Die Doppelchörigkeit verweist auf den Doppelchor
des Sanctus: Während der sündige Mensch um Gnade flehen muss, preist der Doppelchor der Engel (Jes 6,3) Gottes Heiligkeit; Engel und Menschen bilden eine Antipode.
Das „quoniam tu solus sanctus“ (denn Du allein bist heilig) ist die triumphierendste
Stelle des Gloria, denn es gibt den Grund dieses Gebetes an. Diese zentrale Aussage wird wieder den beiden Sopranstimmen zugeordnet – nun verstärkt um den Tenor. Es entsteht ein Dialog dreier Personen, der den Dialog der drei göttlichen Personen abbilden könnte, obwohl in dem Falle natürlich die Besetzung durch Frauenstimmen erstaunt. Das Fazit dieses Lobpreises „Jesu Christe“, „Du, Jesus Christus“,
wird dem Chor übertragen, gerade so als würden nun alle Gläubigen in das Lob einstimmen.
Das „cum sancto spiritu in gloria Dei patri“ (mit dem Heiligen Geist zur Ehre Gottes
des Vaters) greift das überschwängliche Kyrie wieder auf und jubelt im „gloria“, während der Geist „cum sancto spiritu“ jeweils über den Wassern zu schweben scheint
(Gen 1,12). So wie der Chor gar nicht aufhören kann, das Lob Gottes zu singen, so
mischen sich die drei Solostimmen ebenfalls ein, bevor der Chor den Jubel abschliesst mit einem dominanten Amen.
Im Gottesdienst folgt an dieser Stelle das Tagesgebet, das der Priester spricht; dann
wird ein Text aus dem Alten Testament oder den Briefen des Neuen Testaments verlesen und ein Teil des Evangeliums. Auf diesen Glaubensinhalt antwortet die Gemeinde, indem sie ihr „ich glaube“ (Credo) spricht.
Das triumphierende C-Dur des Gloria wird im Credo weitergeführt. Die fünf Stimmen
treten überzeugt geeint auf. Einen Augenblick verweilt der Jubel staunend beim „Unsichtbaren“, bevor das starke Bekenntnis noch einmal ausgesprochen wird. Nun wird
der Glaube an den Sohn bekannt – im gleichen Rhythmus wie der Glaube an den
Vater. Das „Credo“ der Bassstimmen stellt die stabile Basis dar für den Glauben an
das Übernatürliche, an den vor aller Zeit aus dem Vater geborenen Sohn. Die beiden
Menschengruppen, die vorher um göttliche Gnade gefleht haben, stärken sich nun
gegenseitig im Glauben an die zentralen christlichen Glaubensaussagen. Jesus
Christus ist Gott von Gott „Deum de Deo“, Licht vom Licht „lumen de lumine“, wahrer
Gott vom wahren Gott „Deum verum de Deo vero“, gezeugt, nicht geschaffen „genitum, non factum“ und eines Wesens mit dem Vater „consubstantialem Patri“. Die einander antwortenden Chöre scheinen die Antwort des Sohnes auf den Vater zu
symbolisieren. Durch ihn ist alles geschaffen „per quem omnia facta sunt“. Das
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Schöpfungslob klingt hier an. Noch einmal fügt Mozart ein „Credo“ ein, um die dritte
Strophe des Bekenntnisses einzuführen: „Wegen unserer Sünden und wegen unseres Heils ist er vom Himmel herabgestiegen“. Dass Gott Mensch, ja Fleisch wird (im
Fachbegriff: Inkarnation), stellt die Mitte des christlichen Bekenntnisses dar. Hierbei
verweilt Mozart in einer kleinen Episode, in einer durch alle Stimmen durchgeführten
Abwärtsbewegung. Die Zartheit des „et incarnatus est“ ist dem Sopran zugeschrieben: Es wird eine fast weihnachtliche Stimmung herbeikomponiert.
Damit endet das Credo abrupt – die dramatischen Teile wie Kreuzigung und Auferstehung und das Bekenntnis zum Geist in der Kirche fehlen. Der Chor wird hier das
Lob der göttlichen Barmherzigkeit einfügen.
Im Gottesdienst folgen die Fürbitten und die Gabenbereitung, also die Vorbereitung
von Brot und Wein für die Eucharistie, das heilige Abendmahl. In den Gaben drückt
der Mensch seine Hingabe an Gott aus. Das Abendmahlsgebet wird vom sog. Hochgebet eingerahmt. Ein Teil davon ist das Heilig, ein aus dem Alten Testament stammende Text, der mit der neutestamentlichen Verheissung verbunden wird: dass einer
kommt im Namen des Herrn.
Das Sanctus (Heilig) ist doppelchörig durchkomponiert. Der Zusammenklang beider
Chöre betont das dreifache „Heilig“, dann übernimmt jeder Chor den Part eines Engels, der Gott preist. Das Stilelement der Tonrepetition, das Mozart schon im Credo
„credo in unum Deum“ einsetzte, betont zunächst einmal den Text. Doch im „Osanna“ bricht der Jubel erneut aus. Die Koloraturen ziehen sich durch alle Stimmen hin,
die trotz der sich wiederholenden Elemente in grosser Selbständigkeit durchkomponiert sind.
Das „Benedictus qui venit“ (gesegnet sei, der kommt) ist Teil des Heilig-Gebetes; es
wird wieder den Solostimmen zugedacht. Männer und Frauenstimmen antworten einander; die anschliessende Fuge verdichtet sich im „in nomine Domini“ (im Namen
des Herrn), auch in der Wiederholung. Hierin kulminiert der Inhalt: Weil der Christus
im Namen Gottes agiert, ist er des Lobes und der Huldigung würdig. Das „Osanna“
des Chores beschiesst den Satz.
Das Werk Mozarts endet offen. Ein Agnus Dei, die Bitte um Gnade, die sich an das
göttliche Lamm richtet, komponiert Mozart nicht mehr aus.
Dieses Gebet wird nach dem Vater unser/Unser Vater gesprochen. Es geht der
Kommunion voraus, in der der Mensch Gott direkt begegnet. Eben darum bittet er
noch einmal um Gnade und bittet schliesslich um Frieden, der den tiefsten Segen
Gottes ausmacht.
Mariéle Wulf
Misericordias Domini d-Moll KV 222
Der 19-jährige Mozart hielt sich für mehrere Monate in München auf, um die Aufführung seiner ersten grossen Oper auf deutschem Boden, La finta giardinera, zu betreuen. Wenige Tage vor seiner Abreise äusserte Kurfürst Maximilian III. den
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Wunsch, auch einige seiner kontrapunktischen Kompositionen zu hören. So entstand
Mozarts Offertorium de tempore, Misericordias Domini d-Moll, das 1775 im Rahmen
einer feierlichen Messe in der Münchner Hofkapelle aufgeführt wurde. Das anspruchsvolle Werk ist komponiert im strengen kontrapunktischen Kirchenstil und bewegt sich in strahlender Leichtigkeit in immer neuen, kontrapunktischen Kombinationen um einen kurzen Text:
“Misericordias Domini cantabo in aeternum.” (Die Barmherzigkeit des Herrn will ich
besingen in Ewigkeit.)
In einem Brief an seinen Lehrer und Förderer Padre Giambattista Martini in Bologna
schrieb Mozart später: „Ich war gezwungen, die Motette in grosser Eile zu
komponieren, so dass ich noch genug Zeit hatte, eine Kopie für seine Majestät
anfertigen lassen und alle Teile der Partitur auszuschreiben, damit sie während des
Hochamtes am folgenden Samstag aufgeführt werden konnte.” Padre Martini
antwortete ihm: „Ich finde in ihr alles was moderne Musik braucht: gute Harmonien,
reife Modulation, eine angemessene Bewegung der Violinen und einen guten
Geschmack“. Die heutige Aufführung geht zurück auf das Material der Münchner
Uraufführung von 1775.
Henrike Lotz
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