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02 Montag, 22. September 2014 Antworten Steuerreform und PKW-Maut – das waren zwei der Themen, über die Niedersachsens Finanzminister Peter-Jürgen Schneider im Interview mit unseren Lesern sprach. Andre Dolle (links) und Armin Maus haben das Gespräch aufgezeichnet. Der lange Weg durchs All – Die Raumsonde Rosetta hat ihr Ziel, den Kometen Chury, erreicht. Aber wie ist sie überhaupt so weit gekommen? Und wie hält sie Kontakt zur Erde? Cornelia Steiner hat recherchiert und beantwortet die Fragen unserer Leser. Leser fragen, die Redaktion recherchiert Leser fragen Peter-Jürgen Schneider „Wird Niedersachsen schon bald wieder Studiengebühren erheben?“ fragt Henrik Schaper (18), Politik-Student aus Münster, aufgewachsen in Salzgitter. „Halten Sie die PKW-Maut für ein sinnvolles Mittel, um die Straßen zu sanieren?“ „Wann kommt der Bürokratieabbau endlich bei den Steuerpflichtigen an?“ fragt Viktoria Beljakow (25), Studentin der Ostfalia, Studiengang Recht, Finanzen und Steuern. fragt Jens Düe (45), Steuerberater und Wirtschaftsprüfer aus Braunschweig. „Ein erhöhter Spitzensteuersatz ist denkbar“ Finanzminister Schneider erklärt unseren Lesern, wie er sich eine sozial gerechte Steuerreform vorstellt und was er von der Maut hält. Braunschweig. Mit der aktiven Politik hatte der Salzgitteraner Peter-Jürgen Schneider (SPD) schon abgeschlossen, da wurde er Schatten-Finanzminister im Wahlkampfteam des heutigen Ministerpräsidenten Stephan Weil. Rot-Grün gewann die Wahl in Niedersachsen – und Finanzfachmann Schneider erhielt mit 65 Jahren den wichtigen Ministerposten. Drei Leser unserer Zeitung befragten ihn unter anderem zur Abgabe auf Wertpapiergeschäfte, zum Länderfinanzausgleich, zur AfD und zur Maut. Henrik Schaper: Wie planen Sie, den Wegfall der Studiengebühren in Niedersachsen für die Hochschulen zu kompensieren? Die Studiengebühren machten pro Jahr 130 Millionen Euro aus. Das Geld haben wir aus dem Haushalt eingespart. Wir haben alle Ministerien mit einer Sparauflage versehen, um die Millionen für die Hochschulen zu erwirtschaften. Die Mittel für die Hochschulen haben wir dynamisch gestaltet. So war das auch der Fall, als es noch Studiengebühren gab. Gibt es mehr Studenten, gibt es auch mehr Geld. Für die Hochschulen ist das eine komfortable Lösung. Schaper: Wird Niedersachsen wieder Studiengebühren erheben? Professor Jürgen Hesselbach, der Präsident der TU Braunschweig und Vorsitzender der niedersächsischen Landeshochschulkonferenz, hat in dieser Zeitung behauptet, dass die Studiengebühren wiederkommen. Dazu kann ich aber sagen: Eine rot-grüne Landesregierung wird Studiengebühren nicht wieder einführen. Jens Düe: Die Digitalisierung hält Einzug in die Finanzverwaltung. Man hat den Eindruck, dass der bürokratische Aufwand auf den Steuerpflichtigen lastet. Wann kommt der Bürokratieabbau bei ihnen an? Bürokratie ist immer auch eine gefühlte Bürokratie. Wir sind in enger Abstimmung mit den Steuerberater-Verbänden. Die Weiterentwicklung von IT-Strukturen ist komplex , weil es einer Koordinierung zwischen Bund und Ländern bedarf. Zwischendurch müssen Änderungen im Steuergesetz eingepflegt werden. Das ist eine Dauerbaustelle. Wir wollen beim Bürokratieabbau vorankommen. Aber nicht alle bürokratischen Merkmale sind dem Staat zuzuschreiben. Bei der Kirchensteuer zum Beispiel setzen wir das um, was die Kirchen gerne hätten. Von 2015 an leiten Banken die Kirchensteuer auf Kapitalerträge automatisch an den Fiskus weiter. Ich bin, wie viele andere auch, an Vereinfachungen interessiert. Aber im gleichen Atemzug fordern die, die Vereinfachungen wollen, Ausnahmen, etwa für Subventionen, und dies kann die technische Umsetzung verkomplizieren. Peter-Jürgen Schneider Geboren wurde Schneider (67) in Salzgitter. Vor mehr als 40 Jahren begann er dort mit der Kommunalpolitik. Der gelernte Elektromechaniker und Gewerkschafter kam 1986 in den Landtag. Er schied 1997 aus und wurde Braunschweiger Regierungspräsident. Viktoria Beljakow: Die Europäische Zentralbank hat jüngst den Leitzins auf 0,05 Prozent gesenkt. Macht Ihnen die Zinsentwicklung Sorgen? Ich sehe die Entwicklung aus drei verschiedenen Blickwinkeln: Als Privatmann finde ich das ausgesprochen schlecht. Derzeit liegen die Zinsen weit niedriger als die Inflationsrate. Als Finanzminister finde ich niedrige Zinsen hingegen gut. Wenn wir den Zinssatz von 2004 jetzt noch hätten, müssten wir für unsere Kredite fast eine Milliarde Euro mehr aufwenden, als wir das jetzt tun. Fast jede Woche läuft ein Kredit aus, und wir bekommen einen zu günstigeren Zinsen. Als Aufsichtsratsvorsitzender der Norddeutschen Landesbank sehe ich das aber kritischer. Banken und Versicherer leiden unter einer immer niedrigeren Zinsmarge. Die jetzige Zinssenkung der EZB hat einen symbolischen Effekt. Sie wird keine reale wirtschaftliche Wirkung erzielen. Düe: Was sagen Sie denn dazu, dass sich Staaten über den Leitzins auf Kosten der Bürger bereichern? Das kann man so sehen, wäre aber am Ende eine eindimensionale Betrachtung. Die EZB macht das nicht aus Spaß, sondern aus dem Bemühen heraus, die Wirtschaftsentwicklung in Gang zu bringen, von der letztlich alle profitieren, auch die Sparer, die derzeit unter dem niedrigen Zinsniveau leiden. In Südeuropa gibt es nach wie vor Probleme. Das schwappt zu uns herüber. Die Peiner Träger etwa leiden unter Überkapazitäten in Südeuropa. Beljakow: Deutschland strebt ab 2015 einen ausgeglichenen Haushalt an. Ist das realistisch angesichts europaweiter Krisen? Das ist eine Frage, die im Moment schwierig zu beantworten ist. Natürlich stellen die internationalen Krisen ein Risiko dar. Allerdings sind die Möglichkeiten da, der Bundeshaushalt ist hierbei allerdings deutlich flexibler als unser Landeshaushalt. Ein Landeshaushalt ist zu einem großen Teil ein Personalhaushalt. Wir haben Nach der Wahl Gerhard Glogowskis zum Ministerpräsidenten wechselte Schneider an die Spitze der Staatskanzlei, nach dem Wechsel zu Sigmar Gabriel blieb er im Amt. Nach der SPD-Niederlage bei der Landtagswahl 2003 zog sich Schneider aus der Politik zurück und wurde Arbeitsdirektor der Salzgitter AG, an der das Land zu 26,5 Prozent beteiligt ist. Seine politischen Kontakte zur SPD hielt er aufrecht. Schneider ist seit Februar 2013 Finanzminister in Niedersachsen. Niedersachsens Finanzminister Peter-Jürgen Schneider (SPD) im Pressehaus unserer Zeitung. die Lehrer, die Polizeibeamten, die Finanzbeamten – einschließlich der Pensionen. Das sind große, unbewegliche Etatposten, die man nicht über Nacht abbauen kann. Wir haben 40 Prozent Personalkosten, der Bund nur 12 Prozent. Wir werden spätestens ab 2020 auch ohne Schulden auskommen. Die Nettokreditaufnahme wird in den kommenden Jahren schrittweise bis 2020 auf Null gesenkt. Dies geschieht im Sinkflug – und nicht mit einem Crashkurs. Düe: Ein Faktor bei den Länderfinanzen ist der Finanzausgleich. Kann dieser auf Dauer gesund sein? Wir freuen uns alle, dass wir die Deutsche Einheit haben. Aber die neue Republik mit 16 Bundesländern war gerade in den Anfangsjahren nicht mehr so wohlhabend wie die alte mit elf Ländern. Dafür ist der Solidaritätszuschlag eingeführt worden. Auch nach 25 Jahren ist die Differenz der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit groß. Es wird auch über 2020 hinaus ein Transfersystem geben müssen. Es gibt Bundesländer, die haben nur 50 Prozent der Wirtschaftskraft anderer Länder. Dem im Grundgesetz verankerten Gedanken der Solidargemeinschaft und den geforderten gleichwertigen Lebensverhältnissen muss entsprochen werden. Schaper: Wann werden die Steuer- Foto: Florian Kleinschmidt zahler über den Abbau der kalten Progression entlastet? begegnen, die sich aus dem Hochfrequenzhandel ergeben. Es ist zwar eine Frage der Steuergerechtigkeit, dass Tariferhöhungen auch bei den Menschen ankommen und nicht gleich durch die kalte Progression real wieder aufgezehrt werden. Steuerentlastungen dürfen aber nicht auf Kosten notwendiger Investitionen und der zwingend notwendigen Haushaltskonsolidierung gehen. Diese Meinung vertritt auch die Bundesregierung. Zur Gegenfinanzierung einer Steuerreform wäre aber eine Erhöhung des Spitzen-Steuersatzes von 42 auf 45 Prozent oder eine Beteiligung der Länder an Einnahmen aus dem Solidaritätszuschlag denkbar. Dann würden die Länder in die Lage versetzt, sich am Abbau der kalten Progression zu beteiligen. Beljakow: Halten Sie die PKWMaut für ein sinnvolles Mittel, um die Straßen zu sanieren? Schaper: Die SPD hat im Europawahlkampf eine Finanztransaktionssteuer auf Wertpapiergeschäfte gefordert. Was würde diese dem Land Niedersachsen bringen? Das sind Nostalgiker. Bedauerlicherweise gar nichts. Das wird eine Einnahme des Bundes. Elf Staaten in Europa sind bereit, die Finanz-Steuer umzusetzen. Der Bund rechnet ab 2018 mit einer mittleren einstelligen Milliardensumme. Es hat nach der Finanzkrise gedauert, um die Steuer auf den Weg zu bringen. Sie ist notwendig, um Gefahren zu Wir können in Dänemark, in Belgien oder den Niederlanden fahren, ohne etwas zu zahlen. Ich halte es für groben Unfug, in einem zusammenwachsenden Europa über eine Maut nachzudenken. In Westniedersachsen gibt es zu Recht einen Aufruhr, dass der wirtschaftliche Grenzverkehr belastet würde. Außerdem würde ein bürokratisches Monster geschaffen. Die CSU wollte im Landtagswahlkampf punkten. Das Thema hat sich verselbständigt. Düe: Wie sehen Sie die Eurokritiker der AfD? Düe: Nostalgiker mit zwölf Prozent Zustimmung in der Bevölkerung. Die AfD ist eine Bewegung, die aus allen Gesellschaftsschichten von tiefbraun bis anständigen Bürgern Protestwähler einsammelt. Es sieht doch so aus: Europa hat einen großen Binnenmarkt geschaffen, mit dem Euro eine gemeinsame Währung. Gerade wir Deutschen sind die großen Gewinner des gemeinsamen Marktes. Wir sind das große Industrieland im Herzen Europas. Die AfD hingegen will die D-Mark zurück. Das ist ökonomischer Unfug. Düe: Ist die AfD dann eine Erscheinung, die wieder verschwindet? Das weiß man nicht. Die Partei kann sich etablieren. Vielleicht besteht bei manchem Bürger eine Sehnsucht nach Klarheit. Die AfD gibt schlichte Antworten auf komplizierte Fragen. Sie prangert Missstände nur an, statt Lösungen anzubieten. Genau das ist aber die Aufgabe der Politik. Den Finger in die Wunde zu legen, ist die Aufgabe der Medien. Schaper: Die SPD wollte klare Prioritäten bei den Ausgaben setzen. Wo ist das bisher geschehen? Ganz klar in der Bildung. Wir haben den Hochschulbereich besser ausgestattet. Wir haben auch in den Schulen ganz erhebliche Mittel investiert, Stichworte Ganztagsschulen und Inklusion. Außerdem haben wir in Krippen und Kindertagesstätten investiert. Das ist unser klares Profil. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist wirtschaftlich notwendig und eine unserer großen Zukunftsaufgaben. Junge Mütter müssen die Chance haben, wieder in den Beruf zurückzukehren. Redaktion: Andre Dolle