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Kino 14 NUMMER 269 DONNERSTAG, 21. NOVEMBER 2013 Gangster in Frankreich Kino kompakt DER MOHNBLUMENBERG Zeichentrick ganz klassisch Luc Bessons neuer Film „Malavita“ Klar, auch im japanischen Zeichentrickstudio Ghibli gibt es Computer. Doch die Macher von Filmen wie „Ponyo“ oder „Chihiros Reise ins Zauberland“ setzen bewusst auf klassische Animationstechnik: Mit der Hand werden im Tokioter Studio viele Szenen Bild für Bild gezeichnet und abfotografiert. Klassisch und damit umso reizvoller wirkt deshalb auch das neue GhibliWerk „Der Mohnblumenberg“. Regisseur Goro Miyazaki („Die Chroniken von Erdsee“) erzählt darin eine heiter-melancholische Geschichte um zwei Teenager, die 1963 in Yokohama die Liebe entdecken und ein Familiengeheimnis lüften – zauberhaft leicht inszeniert nach dem Vorbild einer MangaSerie. (dpa) **** Start in Augsburg und Neu-Ulm VON HARALD WITZ O ICH UND DU Die Geheimnisse einer Familie Die Mitschüler hänseln ihn und seine Mutter nervt. Lorenzo (Jacopo Olmo Antinori) will nur noch in Ruhe gelassen werden. Eines Tages versteckt sich der 14-Jährige in einem Keller, wo er hofft, endlich nach Herzenslust Musik hören zu können. Doch mitten in der Nacht taucht seine Halbschwester Olivia (Tea Falco) auf. Die junge Erwachsene wohnt schon seit Jahren nicht mehr zu Hause. Mit dem Geschwisterdrama „Ich und du“ meldet sich Bernardo Bertolucci nach zehnjähriger Regiepause wieder zurück – mit Themen wie Drogen und Inzest, die immer wieder in seinen Filmen auftauchen. Zuletzt war von dem Altmeister „Die Träumer“ zu sehen. (dpa) *** Start noch nicht in der Region O ASCHENBRÖDEL Märchen für Groß und Klein Der kleine Paul zieht mit seinen Eltern in die große Stadt. Zusammen mit seinem Märchenbären stößt Paul dort auf einen verwunschenen Ort: die Märchenhütte. Hier haben die Geschichten der Brüder Grimm ein Zuhause. „Aschenbrödel und der gestiefelPaul mit Bär te Kater“ ist ein 60-Minuten-Film für Groß und Klein. Die Rolle des Paul übernimmt der 2007 geborene Ezra Finzi an der Seite seines Vaters Samuel Finzi. (dpa) **** Start in Augsburg, Neu-Ulm und Ingolstadt O Weiter sehenswert ● Exit Marrakech **** Vater-Sohn-Geschichte von Caroline Link mit Ulrich Tukur ● Das Mädchen Wadjda **** Eine Kindheit in Saudi-Arabien mit nur einem großen Wunsch ● Captain Phillips **** Tom Hanks als gekidnappter Schiffslenker, der über sich hinauswächst Unsere Wertungen * sehr schwach ** mäßig *** ordentlich **** sehenswert ***** ausgezeichnet I Bei uns im Internet ● Alle Programme Die Filme sämtlicher Kinos der Region ● Trailer Eindrücke der aktuellen Filme vermitteln unsere Trailer. ● Tickets gewinnen Wir verlosen täglich Eintrittskarten fürs Kino. I Direkt ins Kino-Special unter augsburger-allgemeine.de/kino Zerbrechliche Kämpfernatur: Katniss Everdeen (Jennifer Lawrence) stellt sich gegen schier unbezwingbare Feinde. Foto: StudioCanal Eine traumatisierte Heldin kämpft Catching Fire Im zweiten Teil der Romantrilogie „Die Tribute von Panem“ stellt sich Hauptperson Katniss Everdeen gegen ein ganzes System. Ausblick auf das große Finale VON MARTIN SCHWICKERT Aus der Welle der Franchise-Unternehmen, die Jugendbuch-Bestseller auf der Kinoleinwand ihrer lukrativen Zweitverwertung zuführen, ragt die Verfilmung von Suzanne Collins’ „Die Tribute von Panem“ deutlich heraus. Hier geht es nicht um Zaubertricks, Zeitreiseprobleme oder die Qual der Wahl zwischen Vampir und Werwolf, sondern um ein realistisches Zukunftsszenario, das die ökonomischen und gesellschaftlichen Tendenzen unserer Gegenwart auf kulturpessimistische Weise weiterdenkt. In dem faschistoiden Staat, wo im Kapitol eine elitäre Klasse dem luxuriösen Leben frönt, während die Menschen in den anderen zwölf Distrikten in Armut leben, spiegelt sich das ökonomische Gefälle in der globalisierten Gesellschaft. Die „Hungerspiele“ sind in ihrer voyeuristischen Dekadenz eine Weiterentwicklung des Reality-TV à la „Big Brother“ und „Dschungelcamp“ angelegt. In dieses wohlbekannte und gleichzeitig verfremdete Setting stellt „Die Tribute von Panem“ eine starke, jugendliche Hel- din, die zunächst nur ums eigene Überleben, später jedoch um sehr viel mehr zu kämpfen hat. Jennifer Lawrence spielt die Identifikationsfigur Katniss Everdeen, die mit ihrem Weggefährten Peeta (Josh Hutcherson) als Siegerin der Hungerspiele zum Star im Kapitol, aber auch zur Symbolfigur der Rebellion in den zwölf Distrikten aufgestiegen ist. Im ganzen Land regt sich Widerstand gegen das diktatorische Regime. Mit dem 75. Jubiläum der Hungerspiele schickt Präsident Snow (Donald Sutherland) die Sieger der vorherigen Jahre noch einmal in die Arena und will mit dem neuen Spielleiter Plutarch Heavensbee (Philip Seymour Hoffman) an der rebellischen Vorbildfi- gur ein tödliches Exempel statuieren. War der erste Teil damit beschäftigt, die Funktionsweise des totalitären Panem-Regimes zu erklären, konzentriert sich der zweite Teil auf die innere Reifung der jungen Heldin, die erkennt, dass das System, in dem sie lebt, ihr den ersehnten Frieden nie geben wird. Charakterstudie einer traumatisierten Heldin Was zunächst mit dem erneuten Eintritt in die Arena wie ein typischer Wiederholungszwang eines Sequels aussieht, entwickelt sich jedoch zwischen den zahlreichen Actioneinlagen zur interessanten Charakterstudie einer traumatisierten Heldin, die sich nach den erlitte- Die Romanvorlage ● Original „Die Tribute von Panem“ (engl. Titel „The Hunger Games“) ist eine fiktionale Anti-Utopie in drei Teilen, geschrieben von der US-Amerikanerin Suzanne Collins, 51. Neben der Verfilmung existiert seit 2012 auch ein Onlinespiel zur Trilogie. ● Plagiatsvorwürfe Kritiker werfen der Geschichte ihre große Ähnlichkeit mit dem japanischen Roman „Battle Royale“ und Stephen Kings „The Running Man“ vor. Die New York Times schrieb 2011 gar von einem „ungeschminkten Plagiat“. (sari-) nen Erfahrungen neu justieren muss. Jennifer Lawrence erweist sich in diesem zweiten Teil noch deutlicher als Idealbesetzung, weil sie Fragilität und Kämpfernatur glaubwürdig ausbalanciert. Auch die verschiedenen Bedrohungsszenarien vom Giftgasnebel bis hin zur Rotation des Bodens unter den Füßen dienen auf metaphorische Weise der Traumabewältigung. In der Arena muss die Einzelkämpferin Allianzen mit anderen Tributen eingehen und sich zu einer teamfähigen Persönlichkeit entwickeln, die am Ende ihren Pfeil nicht gegen andere, sondern in den künstlichen Himmel richtet und das System zum Abstürzen bringt. Innerhalb der Romantrilogie ist „Catching Fire“ als Zwischenglied und dramatische Schleuse angelegt. Regisseur Francis Lawrence hat die Aufgabe, die Spannung zu halten und den Charakteren neue Facetten abzuringen, souverän gemeistert, ohne sich dem Größer-SchnellerLauter-Zwang zu ergeben, an dem die meisten Sequels kranken. Auf seine Adaption des letzten Romans darf man gespannt sein. **** Start in vielen Kinos in der Region O Was ist nur aus dem Gangsterfilm geworden? Allein Martin Scorsese und Robert De Niro definierten für eine ganze Generation von Kinogängern, wie unerbittlich und knallhart die amerikanische Mafia tickt. Doch nach und nach sind die taffen Gangster mehr und mehr zur Parodie verkommen. In Luc Bessons Verfilmung des augenzwinkernden Bestsellers „Malavita – The Family“ des Italo-Franzosen Tonino Benacquista flüchten die Mobster sogar ins ferne Frankreich, um ein ruhiges Leben führen zu können. Nun, der bekannte New Yorker Pate Giovanni Manzoni (Robert De Niro) und seine Familie beziehen ihr neues Domizil in der provinziellen Normandie nicht freiwillig. Manzonis Aussagen haben den New Yorker Oberboss Don Luchese (Stan Carp) hinter Gitter gebracht – und seine Familie ist, hier ganz Mafia, ziemlich nachtragend. Das Zeugenschutzprogramm des FBI hat die Manzonis nach Europa verfrachtet. Doch von alten Angewohnheiten können sie nur schwer lassen. Unterstützung von Altmeister Martin Scorsese Luc Besson, mit simpel gestrickten Actionthrillern weltweit erfolgreich, versucht sich an der Gangstersatire. Dafür hat er sich sogar Unterstützung bei Altmeister Martin Scorsese geholt, auf dessen Vermittlung hin nicht nur De Niro, sondern auch eine ganze Schar bekannter Mafia-Gesichter aus Film und Fernsehen angeheuert haben (u.a. Vincent Pastore, Jon Freda). Bessons Drehbuch (gemeinsam mit Michael Caleo) und Inszenierung setzen zunächst einmal ganz auf den heiteren Cultural Clash, bei dem beide Seiten sämtliche Klischees bedienen. Da jagt die patriotische Mama Maggie (Michelle Pfeiffer) erzürnt einen Supermarkt in die Luft und schockt den lokalen Pfarrer mit der Beichte. Doch Besson findet keine Balance zwischen der satirischen Überzeichnung und der offenen, bisweilen exzessiven Gewalt. Sein Film macht zu Beginn höllischen Spaß, bleibt aber in den breiten Fahrwassern der vorhersehbaren Standardkomödie. *** Start in vielen Kinos der Region O Unentwirrbares Begehren Erste Liebe, erstes Mal Venus im Pelz Roman Polanski präsentiert kluges Kammerspiel Scherbenpark Von einer Jugend im Getto VON FRED DURAN „Unentwirrbar“ – keine der Bewerberinnen, die zum Vorsprechen kamen, konnte dieses Wort fehlerfrei aussprechen. Alles Schnepfen und viel zu jung, meint Regisseur und Bühnenautor Thomas Novacheck (Mathieu Amalric), der seine Adaption der Novelle von Leopold Sacher-Masoch aus dem Jahr 1870 in einem kleinen Pariser Theater selbst inszenieren will. Dann spült der Regen eine letzte Bewerberin (Emmanuelle Seigner) herein. Das Kaugummi kauende, ordinär wirkende Wesen scheint nicht für die Rolle der russischen Adligen Vanda, die den unterwerfungswilligen Severin von Kusiemski verführt und erniedrigt, infrage zu kommen. Aber als sie den ersten Satz spricht, ist Thomas überwältigt und glaubt, seine Vanda gefunden zu haben. Im fortgeschrittenen Alter zieht sich Roman Polanski, 80, mit seinen Filmen in überschaubare Innenräume zurück. In „Venus im Pelz“ hat Polanski das Ensemble auf zwei Personen verkleinert, die den kleinen Off-Theatersaal nicht verlassen. Aber gerade in der Reduktion offenbart sich hier die ganze Kunst des Altmeisters, der nach seinem letzten Film „Gott des Gemetzels“ nun erneut auf eine Theatervorlage – das gleichnamige Broadway-Stück von David Ives – zurückgreift. Natürlich wird das Theater selbst zum Thema gemacht, das Verhältnis zwischen Regisseur und Schauspielerin unter die Lupe genommen und die Grenzen zwischen Sein und Schein gründlich ausgelotet. Schon bald findet sich Thomas selbst im Part der masochistisch veranlagten Hauptfigur, dringt immer tiefer ins Spiel ein, das ständig unterbrochen wird, um über das eben Gespielte erbittert zu streiten. Im theatralen Raum baut Polanski ein narratives Spiegelkabinett auf, in dem auch die Referenzen auf das eigene Werk nicht fehlen. Mit steigendem, erotischem Aura-Einsatz spinnt Vanda, die von Polanskis Ehefrau Emmanuelle Seigner mit Verve verkörpert wird, den Regisseur in das Stück über die Lust an der sexuellen Unterwerfung ein, bis dieser selbst mit Lippenstift und in High Heels als Vanda über die Bühne stöckelt. Auf engstem Raum zaubert Polanski neue Wendungen aus der duellartigen Figurenkonstellation hervor, vermischt burleske Elemente mit lebensphilosophischem Erkenntnisinteresse zu einem äußerst unterhaltsamen, intelligenten Kammerspiel über den Kampf der Geschlechter und die unentwirrbaren Wege des Begehrens. **** Start in Augsburg und Ulm O Der Schuh einer Verführerin: Thomas (Mathieu Amalric) sucht in Roman Polanskis neuem Film die perfekte Besetzung für sein Theaterstück. Foto: Prokino Filmverleih VON DIETER OSSWALD Für ihr Debüt „Prinzessinnenbad“ gewann Bettina Blümner den Deutschen Filmpreis. Nun verfilmt sie einen Roman von Newcomerin Alina Bronsky. Erzählt wird von Sascha, einem selbstbewussten Mädchen in einer tristen Hochhaussiedlung. Der Teenager will sich am Mörder seiner Mutter rächen, der im Gefängnis sitzt. Nebenbei muss sich Sascha mit weiteren Problemen herumschlagen – ruppigen Jugendlichen, der ersten Liebe und dem ersten Mal. „Okay, wir machen’s jetzt, stöhn aber nicht so laut rum!“ – für Romantik hat die Siebzehnjährige nicht viel übrig. Dem fröhlichen Charme des freundlichen Felix kann freilich auch sie nur schwer widerstehen. Nach einer vergnügten Wasserschlacht kommen sich die Teenager beim Trocknen der nassen Klamotten näher. Jungfilmerin Blümner strickt daraus ein erstes Mal, wie es lakonischer und komischer selten im Kino zu sehen war. „Du solltest erst mal mit anderen Frauen weiter üben“, antworte das Mädchen auf die „Wie war ich?“-Frage danach. Clever ambitionierte Mädchen in schäbigem Spätaussiedler-Getto, dazu als Kontrast das gutbürgerliche Mittelklasse-Milieu – das ist der Stoff, aus dem gerne verschnarchte Sascha (Jasna Fritzi Bauer) mag Felix (Max Hegewald). Foto: Thomas Kost „Tatort“-Episoden gestrickt werden. Dass dieses Jugenddrama sich nicht in den Fallstricken der gängigen Stereotype verfängt, liegt an der entspannten Erzählweise von Bettina Blümner, die sich mit Gespür durch dieses Milieu bewegt. Die Klippen der Klischees umschifft freilich auch ihre erstklassige Besetzung – allen voran Jasna Fritzi Bauer als Sascha, die schon in Christian Petzolds „Barbara“ einen guten Eindruck hinterließ. Auch dank der geschliffenen Dialoge gelingt ein starkes Jugenddrama, so einfühlsam wie unaufdringlich und unterhaltsam. **** Start in Augsburg O