Nachgelagerte Besteuerung von Alterseinkünften: Das trojanische

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Nachgelagerte Besteuerung von Alterseinkünften: Das trojanische
Nachgelagerte Besteuerung von Alterseinkünften:
Das trojanische Pferd der Befürworter einer Konsumsteuer
von
Wolfgang Wiegard
Alle reden von der nachgelagerten Besteuerung. Und fast alle wollen sie. Bei dieser
Form der Besteuerung von Alterseinkünften werden sämtliche Beiträge zur Gesetzlichen
Rentenversicherung (GRV) und ggf. auch zur privaten Altersvorsorge aus unversteuertem Einkommen geleistet; im Gegenzug unterliegen spätere Rentenzahlungen in vollem
Umfang, d. h. mit Kapitalrückfluss und Zins- oder Ertragsanteil der Einkommensbesteuerung.
In den Steuerwissenschaften - der Finanzwissenschaft, der betriebswirtschaftlichen und
der juristischen Steuerlehre - besteht eine seltene Einmütigkeit über die Notwendigkeit
einer nachgelagerten Besteuerung. Auf Seiten der Finanzwissenschaft hat sich der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium der Finanzen (1986) schon früh für eine
nachgelagerte Besteuerung von Alterseinkünften ausgesprochen. Der Sachverständigenrat hat sich dem in mehreren Gutachten angeschlossen (Jahresgutachten 1993, Ziffer
312; 1999, Ziffer 379). Prominente und einflussreiche Finanzwissenschaftler wie Andel,
Rürup und viele andere haben wiederholt für diese Besteuerungsform plädiert. Dies gilt
auch für die meisten Steuerrechtswissenschaftler wie Kirchof, Lang, Söhn oder Tipke
und Vertreter der betriebswirtschaftlichen Steuerlehre.
Auch in der Politik ist die Forderung nach einer nachgelagerten Besteuerung populär.
Vorbehaltslos wird sie von der FDP und den Grünen/ Bündnis 90 vertreten. Positiv hat
sich ebenfalls der Vorsitzende der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion Merz geäußert. Zwar
wurde dieser Vorschlag vom SPD-Parteivorstand als „Schnapsidee“ abgetan (FAZ,
4.4.2000, S. 4) und von führenden CSU-Vertretern als „verfrühter Aprilscherz“ (Handelsblatt, 3.4.2000, S. 3) bezeichnet. Aber das war im April diesen Jahres. Schon im
Mai wankte die Front der Skeptiker. So hat Bundesfinanzminister Eichel Anfang Mai
öffentlich bekundet, dass er einen Übergang zur nachgelagerten Besteuerung plant. Zu
guter Letzt ist auf eine für Ende diesen oder Anfang nächsten Jahres zu erwartende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu verweisen, von der allgemein erwartet
wird, dass sie dem Gesetzgeber eine nachgelagerte Besteuerung bei den Alterseinkünften vorgeben wird.
1
Wenn sich Wissenschaft und Politik einig sind - und das ist ja nun nicht gerade der Regelfall -, kann mit ziemlicher Sicherheit davon ausgegangen werden, dass die steuerliche
Behandlung von Alterseinkünften demnächst im Sinne einer nachgelagerten Besteuerung neu geregelt wird. Wovon allerdings nicht unbedingt ausgegangen werden kann ist,
dass alle Beteiligten auch wissen, worauf sie sich da einlassen. Die Konsequenzen einer
nachgelagerten Besteuerung sollen anhand eines kleinen Beispiels erläutert werden.
Sämtliche Schlussfolgerungen bleiben auch unter realistischeren Annahmen gültig. Gerade deshalb genügt ein einfaches Beispiel.
Der Lebenszyklus einer Person wird in drei Perioden gleicher Länge unterteilt. In den
beiden ersten Perioden wird ein (Arbeits-)Einkommen von jeweils 100.000 DM bezogen. Der Einkommensteuersatz betrage 30 Prozent, der Beitragssatz zur Rentenversicherung 20 Prozent. Von einer progressiven Besteuerung wird (zunächst) ebenso abgesehen
wie von einer Aufspaltung der Rentenbeiträge in einen Arbeitnehmer- und einen Arbeitgeberanteil. Bei der nachgelagerten Besteuerung (vgl. Spalte 1 der Tabelle, siehe S. 8)
können die Rentenbeiträge in voller Höhe (jährlich 20.000 DM) von der Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer abgezogen werden, so dass sich die Einkommensteuerschuld auf 24.000 DM pro Jahr beläuft (0,3 x 80.000 DM). Für Konsumzwecke verbleiben jährlich 56.000 DM. In der dritten, der Ruhestands-Periode kommt es zur Rentenauszahlung. Vereinfachend sei angenommen, dass sich die Rentenbeiträge mit 10 Prozent jährlich verzinsen. Dann belaufen sich die Rentenzahlungen auf 46.200 DM1, die in
der Tabelle in einen Kapitalrückfluss- und einen Ertragsanteil aufgeteilt wurden. Die
Rentenzahlungen unterliegen in vollem Umfang der Einkommensteuer, so dass
13.860 DM an Steuern abzuführen sind und 32.340 DM für den Kauf von Konsumgütern ausgegeben werden können. Das sind rund 58 Prozent der jährlichen Konsumausgaben während der Erwerbsphase.
In der zweiten Spalte ist zum Vergleich die geltende steuerliche Behandlung von Beiträgen zur und Auszahlungen aus der Gesetzlichen Rentenversicherung abgebildet. Man
liegt wohl nicht allzu falsch mit der Annahme, dass etwa 75 Prozent der Beiträge zur
GRV aus unversteuertem Einkommen stammen2. Die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer während der Erwerbsphase beträgt dann 85.000 DM pro Jahr und die
jährliche Steuerzahlung 25.500 DM. Von den Rentenzahlungen wird der Ertragsanteil
besteuert, während der Kapitalrückfluss steuerfrei bleibt.
In der dritten und vierten Spalte sind die entsprechenden Zahlungsströme für den Fall
einer vorgelagerten Besteuerung ausgewiesen. Die Beitragsleistungen für die Altersvorsorge sind dann nicht abzugsfähig, so dass sich die jährliche Einkommensteuerschuld
während der Erwerbsphase auf 30.000 DM beläuft. Der Kapitalrückfluss bleibt dann in
jedem Fall unversteuert. Dies entspricht der vorgelagerten Form des sog. Korrespondenzprinzips, demzufolge intertemporale Einkommensübertragungen einmal, aber auch
nur einmal besteuert werden dürfen. Die beiden Varianten des vorgelagerten Korrespondenzprinzips in den Spalten (3) und (4) der Tabelle unterscheiden sich nun danach,
ob der Ertragsanteil der Rentenzahlung besteuert wird oder nicht. In der dritten Spalte
1
Sie berechnen sich über 20.000 x 1.1 + 20.000 x (1.1)2 = 46.200.
Der Arbeitgeberanteil zählt zu den Betriebsausgaben und ist vollständig steuerfrei. Der Arbeitnehmeranteil kann nach § 10 Abs. 3 EStG im Rahmen bestimmter Höchstbeträge als Sonderausgaben geltend
gemacht werden. Der genaue Betrag hängt von Einzelfall ab.
2
2
ist dies der Fall mit einer Steuerzahlung von 1.860 DM. Bei einer Rentenbesteuerung
nach dem vorgelagerten Korrespondenzprinzip mit Ertragsanteilsbesteuerung werden
Ersparnisse für die Altersvorsorge genauso behandelt, wie alle übrigen Ersparnisse im
geltenden Steuerrecht auch.
In der vierten Spalte ist nun noch der Fall des vorgelagerten Korrespondenzprinzips bei
gleichzeitiger Nichtbesteuerung auch des Ertragsanteils dargestellt. Sämtliche Rentenzahlungen bleiben also unversteuert. Diese Variante wird zwar von niemandem explizit
gefordert, erweist sich aber für die spätere Argumentation als hilfreich.
Ein sinnvoller Vergleich dieser vier Verfahren zur Rentenbesteuerung kann nur anhand
der Barwerte von Steuerzahlungen und Konsumausgaben vorgenommen werden. Diese
sind für einen Diskontsatz von 10 Prozent im unteren Teil der Tabelle angegeben. Dabei
zeigt sich zunächst einmal der bekannte Sachverhalt, dass bei einem Übergang von der
geltenden Rentenbesteuerung zur nachgelagerten Besteuerung zwar über einige Zeit mit
geringeren Steuereinnahmen zu rechnen ist, dass der Fiskus insgesamt (d. h. in Barwerten) aber mit höheren Einnahmen aus der Einkommensteuer rechnen kann. Die während
einer Übergangsfrist auftretenden Steuerausfälle könnten über eine Nettokreditaufnahme
überbrückt werden, die dann problemlos aus den späteren Steuermehreinnahmen bedient
und getilgt werden könnte. Derartige Zwischenfinanzierungen wären allerdings nicht
möglich, wenn, wie gelegentlich gefordert3, eine Nettokreditaufnahme grundgesetzlich
untersagt wäre. Aber das bedeutet nur, dass solche auf Randlösungen zielende Vorschläge nicht besonders sinnvoll sind.
Der untere Teil der Tabelle zeigt aber auch, dass eine nachgelagerte Besteuerung in
Barwerten völlig äquivalent ist mit einem von niemandem explizit geforderten (und von
den meisten wohl eher abgelehnten) völligen Verzicht auf Besteuerung der Alterseinkünfte in Verbindung mit einer Nicht-Abzugsfähigkeit von Vorsorgeaufwendungen.
Diese Form der Besteuerung entspricht einer vollständigen steuerlichen Freistellung von
Zinseinkünften, also einer zinsbereinigten Einkommensteuer, wie sie auf Rat der Steuerexperten Rose, Wagner und Wenger in Kroatien eingeführt wurde und mit beträchtlicher Medienresonanz auch für Deutschland empfohlen wird. Tatsächlich plädieren Rose
und seine Mitstreiter bei der Rentenbesteuerung nicht für eine Zins-, sondern eine Sparbereinigung4. Aber das ist nur ein anderer Ausdruck für eine nachgelagerte Besteuerung.
Eine zinsbereinigte Einkommensteuer ist nun (in Barwerten) wiederum äquivalent zu
einer Konsumbesteuerung. Und damit schließt sich der Kreis. Die nachgelagerte Besteuerung von Alterseinkünften passt sich steuersystematisch nahtlos in ein Konsumsteuersystem ein, stellt aber im Rahmen der traditionellen Einkommensteuer nach der
Reinvermögenszugangstheorie einen Fremdkörper dar.
Der Sachverständigenrat scheint das anders zu sehen. In seinem jüngsten Gutachten
weist er in der Ziffer 379 ausdrücklich darauf hin, dass beide Aspekte der Rentenbesteuerung, das (vor- oder nachgelagerte) Korrespondenzprinzip und die Ertragsanteilsbesteuerung, dem „System der Einkommensteuer“ entsprechen. Während das Korrespondenzprinzip im System der Einkommensteuer eine Besteuerung entweder der Bei3
4
Vgl. etwa Zimmermann (1999).
Vgl. etwa Rose (1999, S. 109).
3
tragsleistungen (vorgelagert) oder der Beitragsrückflüsse (nachgelagert) erfordert, müssen die Ertragsanteile (Zinserträge) „im System der Einkommensteuer in jedem Fall
besteuert werden“ (Ziffer 379). De facto entspricht die nachgelagerte Besteuerung aber
einem vorgelagerten Korrespondenzprinzip mit steuerlicher Freistellung der Zinserträge. Wie das in ein System der klassischen Einkommensteuer passen soll, verstehe wer
kann.
Genauso missverständlich ist das immer wieder vorgebrachte Argument, dass die nachgelagerte Besteuerung keinerlei steuerliche Vergünstigung darstelle, sondern einer Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit entspreche. Auf dieses Argument wird noch zurückzukommen sein. Aber man muss sich schon entscheiden: Entweder verlangt eine
Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit eine steuerliche Erfassung oder aber eine steuerliche Freistellung von Zinseinkünften. Für beide Ansichten gibt es gute Gründe. Wer
im Lebenseinkommen einen geeigneten Indikator für die steuerliche Leistungsfähigkeit
sieht, wird folgerichtig für eine Freistellung von Zinseinkünften und damit letztlich eine
Konsumbesteuerung eintreten (müssen). Wer hingegen meint, dass sich Leistungsfähigkeit im jährlichen Einkommen manifestiert, hat keine andere Wahl als für eine Besteuerung von Zinseinkünften zu plädieren. Was allerdings ökonomisch nicht so recht zusammen passt, ist die oftmals von ein und demselben Politiker (oder auch Ökonomen)
gleichzeitig aufgestellte Forderung nach einer konsequenten Besteuerung von Zinseinkünften und einer nachgelagerten Besteuerung von Alterseinkünften. Dahinter müsste
dann schon eine besonders trickreiche und geheimnisvolle Begründung stecken. Zu befürchten ist allerdings schlicht und einfach, dass die Konsequenzen einer nachgelagerten
Besteuerung nicht von allen Befürwortern voll durchschaut werden.
Im übrigen stellt die nachgelagerte Besteuerung im Rahmen des geltenden Steuerrechts
nicht nur deshalb eine steuerliche Vergünstigung dar5, weil der Zinsanteil der Sparbeiträge zur Altersvorsorge de facto nicht besteuert wird. Bei einer progressiven Einkommensteuer vermindert sich der Barwert der gesamten Steuerzahlungen auch deshalb,
weil durch die nachgelagerte Besteuerung Einkommen aus den Erwerbsjahren mit in der
Regel hohen Grenz- und Durchschnittssteuersätzen in die Ruhestandsphase mit geringeren Einkommen und deshalb auch geringen Steuersätzen verlagert wird. Wenn dann
noch für oberhalb des Grundfreibetrags liegende Geringverdiener ein Zulagensystem
beim Aufbau einer privaten, nachgelagert besteuerten Altersvorsorge gefordert wird,
impliziert das eine solch massive Förderung einer speziellen Sparform, dass die Lenkungswirkung der Kapitalmärkte erheblich beeinträchtigt werden dürfte.
Bislang wurde nur auf einige Konsequenzen einer nachgelagerten Besteuerung hingewiesen, die zu ihrer Rechtfertigung vorgebrachten Argumente aber nur gestreift. Besonders klar ist die Begründung für eine nachgelagerte Besteurung in dem schon oben erwähnten Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen dargelegt. Kernpunkt der Argumentation ist das Leistungsfähigkeitsprinzip. Sofern
Beiträge zur Altervorsorge als Zwangsbeiträge erhoben werden, bewirkt dies eine Einschränkung der Verfügungsmacht der Beitragszahler und mindert ihre Leistungsfähigkeit. Diese erhöht sich dann erst bei Zufluss der späteren Rentenzahlung, die dement5
Noch einmal: Nur in einem generellen Konsumsteuersystem oder einem (äquivalenten) zinsbereinigten
Einkommensteuersystem wäre die nachgelagerte (sparbereinigte) Besteuerung von Alterseinkünften nicht
als Vergünstigung, sondern als systemgerecht einzustufen.
4
sprechend auch in vollem Umfang zu versteuern ist6. Eine solche Einschränkung der
Verfügungsmacht sieht der Beirat auch bei solchen Aufwendungen zur Altersvorsorge,
„für die ohne gesetzlichen Zwang eine soziale Verpflichtung zum Aufbau einer Grundsicherung für das Alter angenommen werden kann“ (1986, S. 11). Dies wird an späterer
Stelle (S. 47) dahingehend konkretisiert, dass private Leibrentenversicherungen ebenfalls nachgelagert zu besteuern sind.
Nun ist das Leistungsfähigkeitsprinzip in der Finanzwissenschaft keineswegs unumstritten; bekanntlich hat es Littmann (1970) schon vor langer Zeit mit einem herzlichen
Lebewohl verabschiedet. Hier soll aber akzeptiert werden, dass eine Besteuerung nach
der Leistungsfähigkeit „ein verfassungsrechtlich zwingendes Besteuerungsprinzip“ darstellt und „Verfassungsrecht ... strikten Vorrang vor jeder abweichenden ökonomischen
Beurteilung/ Wertung“ hat (Söhn, 1994, S. 379). Dann kann man aber immer noch bezweifeln, dass Zwangsbeiträge zur Rentenversicherung die Verfügungsmacht oder Leistungsfähigkeit eines Beitragszahlers einschränken. Stellen wir uns dazu vor, dass es
weder eine gesetzliche Rentenversicherung noch einen staatlichen Zwang für eine private Altersvorsorge gibt. Rationale Individuen werden dann freiwillig in ausreichendem
Maße für ihr Alter vorsorgen. Angenommen eine Person spart aus freien Stücken pro
Jahr 20.000 DM für ihren Alterskonsum. Warum sollte sich ihre Leistungsfähigkeit ändern, wenn der Staat sie plötzlich zwingt, genau diese 20.000 DM als Altersvorsorge
zurückzulegen? Ihre Situation hat sich doch in keiner Weise geändert. Selbst wenn ihr
der Gesetzgeber vorschreiben würde, statt 20.000 nunmehr 25.000 DM für die Altersvorsorge aufzuwenden, bedeutet das nicht notwendigerweise eine Minderung ihrer Leistungsfähigkeit. Bei vollkommenen Kapitalmärkten könnte sie jedes Jahr einen Kredit
über 5000 DM aufnehmen und diesen dann später nebst Zinsen aus ihren unerwünscht
hohen Alterseinkünften zurückzahlen. Nun sind gerade Geringverdiener aus mancherlei
Gründen kreditrationiert und Rentenansprüche im allgemeinen nicht beleihbar. Warum
allerdings eine nachgelagerte Besteuerung ein adäquates Instrument zur Korrektur von
Unvollkommenheiten auf den Kreditmärkten sein soll, wurde bislang noch nicht überzeugend dargelegt. Zu prüfen bleibt dann noch das Argument, dass einzelne Individuen
strategisch auf eine ausreichende Altersvorsorge verzichten und stattdessen auf die Beanspruchung von Sozialhilfe im Alter spekulieren. Hier hat jedoch Homburg (2000) in
einem gerade erschienenen Aufsatz gezeigt, dass dies kein Grund für die Erhebung von
Zwangsbeiträgen zur Sozialversicherung sein kann.
Wir wollen jetzt trotzdem einmal akzeptieren, dass die Erhebung von Zwangsbeiträgen
die Leistungsfähigkeit mindert und diese deshalb von der Bemessungsgrundlage der
Einkommensteuer abzuziehen sind. Wenn man dann im Rahmen einer nachgelagerten
Besteuerung eine zur klassischen Einkommensteuer passende Steuerbelastung und Steuerwirkung erreichen möchte, müssten nicht nur die Rentenzahlungen vollständig besteuert werden (also Beitragsrückfluss und Ertragsanteil), zusätzlich wäre der Ertragsanteil
noch einmal gesondert der Einkommensbesteuerung zu unterwerfen. Man könnte dies
als die der Einkommensteuer immer wieder vorgeworfene Doppelbesteuerung der Sparerträge interpretieren. Aus der Tabelle wird die behauptete Äquivalenz ersichtlich, wenn
die Steuerschuld bei der nachgelagerten Besteuerung um (0,3 x 6.200 =) 1.860 DM erhöht wird. In Barwerten würde die Einkommensteuerschuld einer nachgelagerten Be6
Dieselbe Argumentation findet sich auch in der juristischen Literatur; man vgl. etwa Seer (1996).
5
steuerung mit zweifacher Belastung des Ertragsanteils exakt mit derjenigen in der dritten
Spalte übereinstimmen. Und wir hatten oben schon darauf hingewiesen, dass die Anwendung des vorgelagerten Korrespondenzprinzips mit Ertragsanteilsbesteuerung steuersystematisch der klassischen Einkommensteuer entspricht.
Abschließend bleibt anzumerken, dass dieser Beitrag keinesfalls als Plädoyer gegen eine
nachgelagerte Besteuerung aufgefasst werden sollte. Es sollte lediglich darauf hingewiesen werden, dass diese Form der Besteuerung von Alterseinkünften steuersystematisch
zu einem Konsumsteuersystem passt, nicht aber in ein System der klassischen Einkommensteuer gehört. Nun gibt es allokationstheoretisch gute Gründe für den Übergang von
einer Einkommensteuer zu einer Konsumbesteuerung. Letztere ist neutral im Hinblick
auf die intertemporale Konsumallokation, während die traditionelle Einkommensteuer
die intertemporale Konsumwahl verzerrt. Aber das gilt nur bei einem konsequenten
Wechsel zu einem Konsumsteuersystem.
Die Einführung einer nachgelagerten Besteuerung läuft hingegen auf eine unterschiedliche Besteuerung alternativer Sparformen hinaus, für die es keinen überzeugenden Grund
gibt. Sparen für die Altersvorsorge wird durch eine de facto steuerliche Freistellung des
Ertragsanteils gefördert; andere Sparformen unterliegen dagegen einem verstärkten
steuerlichen Zugriff (etwa aufgrund der Halbierung des Sparerfreibetrags). Dabei ist die
steuerliche Behandlung von Zinseinkünften schon jetzt das reinste Chaos; man vgl. nur
die Übersicht bei Wagner (1999).
Die Politik muss sich endlich entscheiden, ob eine traditionelle Einkommensteuer oder
eine (heimliche) Konsumbesteuerung angestrebt wird. Zu befürchten ist, dass nicht immer klar genug gesehen wird, dass die nachgelagerte Besteuerung der Alterseinkünfte
ein (weiterer7) Schritt in Richtung Konsumbesteuerung darstellt. Die Verfechter der
klassischen Einkommensteuer sollten deshalb auf der Hut sein: Die nachgelagerte Besteuerung von Altersrenten ist das trojanische Pferd der gegenwärtig noch sieglosen
Befürworter eines konsumorientierten Steuersystems.
7
Im geltenden Steuerrecht werden Zinserträge bei bestimmten Formen von Kapitallebensversicherungen
und bei betrieblichen Pensionszulagen de facto nicht besteuert. Auch entspricht die Nicht-Besteuerung
fiktiver Mieterträge bei selbstgenutztem Wohneigentum einer Konsumgutlösung.
6
Literatur
Homburg, S. (2000), Compulsory Savings in the Welfare State, Journal of Public Economics 77, 233-239.
Littmann, K. (1970), Ein Valet dem Leistungsfähigkeitsprinzip, in: H. Haller et al.
(Hrsg.): Theorie und Praxis des finanzpolitischen Interventionismus. Fritz Neumark zum 70. Geburtstag, Tübingen, 113-134.
Rose, M. (1999), Systematisierung der Gewinnbesteuerung, in: K. D. Henke (Hrsg.):
Zur Zukunft der Staatsfinanzierung, Baden-Baden, 103-113.
Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (1999),
Jahresgutachten 1999/ 2000.
Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (1993),
Jahresgutachten 1993/ 1994.
Seer, B. (1996), Die Besteuerung der Alterseinkünfte und das Gleichbehandlungsgebot
(Art. 3 Abs. 1 GG), Steuer und Wirtschaft, 323-336.
Söhn, H. (1994), Einkommensteuer und subjektive Leistungsfähigkeit, FINANZARCHIV
56, 104-135.
Wagner, F. (1999), Die Integration einer Abgeltungssteuer in das Steuersystem – Ökonomische Analyse der Kapitaleinkommensbesteuerung in Deutschland und der
EU, Der Betrieb, 1520-1528.
Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium der Finanzen (1986), Gutachten zur
einkommensteuerlichen Behandlung von Alterseinkünften, Bonn.
Zimmermann, H. (1999), Ökonomische Rechtfertigung einer kontinuierlichen Staatsverschuldung?, in: K.-D. Henke (Hrsg): Zur Zukunft der Staatsfinanzierung, BadenBaden, 157-171.
7
Tabelle 1:
Alternative Formen der Rentenbesteuerung
(2)
(3)
(4)
(1)
Nachgelagerte
Besteuerung
Geltendes
Steuerrecht
100.000
20.000
24.000
56.000
100.000
20.000
25.500
54.500
100.000
20.000
30.000
50.000
100.000
20.000
30.000
50.000
100.000
20.000
24.000
56.000
100.000
20.000
25.500
54.500
100.000
20.000
30.000
50.000
100.000
20.000
30.000
50.000
46.200
40.000
6.200
13.860
32.340
46.200
40.000
6.200
1.860
44.340
46.200
40.000
6.200
1.860
44.340
46.200
40.000
6.200
–
46.200
Vorgelagertes Korrespondenzprinzip
mit
ohne
Ertragsanteilsbesteuerung
Periode 1
Lohneinkommen
Rentenbeiträge
Einkommensteuer
Konsumausgaben
Periode 2
Lohneinkommen
Rentenbeiträge
Einkommensteuer
Konsumausgaben
Periode 3
Renteneinkünfte
Kapitalrückfluss
Ertragsanteil
Einkommensteuer
Konsumausgaben
Barwerte
Einkommensteuer
Konsumausgaben
57.272,73
133.636,37
50.219,01
140.690,08
58.809,92
132.099,18
57.272,73
133.636,37