Der Wirtschaftsstandort Schweiz und seine Regionen im

Transcription

Der Wirtschaftsstandort Schweiz und seine Regionen im
Monatsthema
Der Wirtschaftsstandort Schweiz und seine Regionen
im internationalen Wettbewerb
Nachdem in den 90er Jahren des
vergangenen Jahrhunderts einige
Strukturschwächen identifiziert
lich ist der relative Aussenhandelsüberschuss
überproportional angewachsen. Das ist ein
eindrücklicher Beweis der internationalen
Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz.
Während der Wohlstand über Einkommen oder Vermögen pro Kopf gemessen
wird, ist der zentrale Indikator für wirtschaftliche Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft
das BIP pro Kopf. Wie aus Grafik 1 ersichtlich ist, lag diese Grösse im Jahr 2009 für die
Schweiz fast ein Viertel über dem westeuropäischen Durchschnitt. Kaufkraftbereinigt
existieren allerdings einige Regionen auf der
Welt – wie Hong Kong, Massachusetts oder
Singapur –, die noch besser dastehen. Alternativ könnte man das BIP auch pro Erwerbs-
In der Rangliste der wohlhabenden Länder Europas liegt die Schweiz hinter dem
Spezialfall Luxemburg und dem ölreichen
Norwegen auf dem dritten Platz. Für ein
rohstoffarmes Land wie die Schweiz ist das
ein sehr schönes Ergebnis, das selbst unter
Berücksichtigung des starken Frankens, also
der relativ hohen Preise in unserem Land,
Bestand hat. Das bedeutet, dass sich die
Schweizer Bevölkerung Güter und Dienstleistungen leisten kann wie kaum in einem
anderen Land. Dieser Wohlstand ist Ausdruck einer hohen wirtschaftlichen Leistungs- oder Wettbewerbsfähigkeit. Am einfachsten zeigt sich dies am Aussenhandel:
Während der Importanteil der Schweizer
und auch behoben worden sind,
weist die Schweiz in der ersten
Dekade dieses Jahrhunderts im
westeuropäischen Vergleich eine
erfreuliche Entwicklung auf. Auch
aus der grossen Finanz- und Wirtschaftskrise geht die Schweiz
relativ gestärkt hervor. Und doch
ist nicht alles einfach gut: Die
Schweiz könnte aus der hervor­
ragenden Ausgangslage mehr
Grafik 1
machen.
BIP pro Kopf, 2009
70
60
50
40
30
20
10
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Prof. Dr. Urs Müller
Direktor und Chefökonom,
BAKBASEL
Martin Eichler
Senior Economist,
Mitglied der Geschäfts­
leitung, BAKBASEL
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Anmerkung: BIP nominal (zu laufenden Preisen, PPP-Wechselkurse)
in US$, pro Kopf.
Volkswirtschaft bei 42% vom Bruttoinlandsprodukt (BIP) liegt, beträgt der Exportanteil
54%. Im vergangenen Jahr erwirtschaftete
die Schweiz somit einen Aussenhandelsüberschuss von 12% vom BIP – sie hat also für 65
Mrd. Franken mehr exportiert als importiert.
Dabei ist auch bemerkenswert, dass die Exporte in den letzten drei Dekaden nominell
jeweils um rund einen Prozentpunkt pro Jahr
stärker gewachsen sind als die Importe. Folg-
tätigen berechnen, wobei die Schweiz wesentlich schlechter abschneidet und nur noch
im westeuropäischen Mittelfeld liegt. Dies
hängt mit der im internationalen Vergleich
hohen gesamtwirtschaftlichen Beschäftigungsquote zusammen. Gründe dafür sind
(neben den Grenzgängern), dass die Arbeitslosenrate relativ gering ist und die Frauenerwerbsquote wie auch das Pensionierungsalter
in der Schweiz relativ hoch sind. Die hohe
20 Die Volkswirtschaft Das Magazin für Wirtschaftspolitik 5-2011
Quelle: BAKBASEL, IBD 2010 / Die Volkswirtschaft
Monatsthema
Grafik 2
Leistungsfähigkeit wird weniger durch eine
hohe Produktivität als vielmehr durch einen
überdurchschnittlich hohen Arbeitseinsatz
erreicht.
Der von der BAK Basel Economics entwickelte Performance Index deckt verschiedene
Aspekte der Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft ab und misst nicht nur einen Zustand, sondern auch die Dynamik. Grafik 2
zeigt, dass die ausgewählten Vergleichsregionen im Schnitt besser abschneiden als Westeuropa; dieser Vorsprung fällt aber seit zehn
Jahren etwa gleich gross aus. Demgegenüber
lag die Schweiz bis 2003 aufgrund der mässigen Wachstumsraten in den 90er Jahren im
Mittelfeld. Die relativ hohen Zuwächse bei
BIP und Beschäftigung haben seither zu einer systematischen Steigerung geführt. Damit steht die Schweiz heute als sehr wettbewerbsfähig da (vgl. Kasten 2).
BAK Performance Index
Schweiz
Westeuropa
Peergroup
107
106
105
104
103
102
101
100
99
2000
2001
2002
2003
2004
Anmerkung: Index, westeuropäischer Durchschnitt = 100,
Peergroup: Vergleichsregionen ohne asiatische Regionen.
2005
2006
2007
2008
2009
Grafik 3
BIP Wachstum 2000–2009
Produktivität
Erwerbsbeteiligung
Bevölkerung
In %
12
10
8
6
4
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–2
Anmerkung: BIP real (zu fixen Preisen, PPP-Wechselkurse)
und BIP-Komponenten, Veränderung in % p.a.
Quelle: BAKBASEL, IBD 2010 / Die Volkswirtschaft
Kasten 1
Auswahl der Vergleichsregionen
Zur empirischen Einordnung der Schweiz hat
BAK Basel Economics (BAK Basel) einige Vergleichsländer und -regionen ausgewählt, die bezüglich Grösse und Wahrnehmung als Konkurrenten unseres Landes gelten können. Zum Teil sind
Mittelmässige Produktivität
Quelle: BAKBASEL, IBD 2010 / Die Volkswirtschaft
es Nachbarn, zum Teil starke Volkswirtschaften in
Nordeuropa. Dazu kommen ein US-Bundesstaat,
drei Standorte in Ostasien sowie für einen allgemeinen Vergleich Westeuropa.
21 Die Volkswirtschaft Das Magazin für Wirtschaftspolitik 5-2011
Das bedeutet jedoch nicht, dass das
Wachstum in der Schweiz viel höher ausfallen würde als in unseren Konkurrenzregionen. Zwar liegt der Wert der Schweiz mit
1,5% im Schnitt der Jahre 2000–2009 leicht
über dem Wert Westeuropas (1,2%). Die
wirklich starken Regionen weisen indes ein
deutlich höheres Wachstum auf (siehe Grafik
3). Dabei fällt auf, dass das Wachstum in der
Schweiz primär von der steigenden Bevölkerung und entsprechend höheren Beschäftigung getragen wird, während asiatische und
einige europäische Konkurrenzstandorte primär dank Produktivitätszuwächsen florieren.
Beunruhigend ist dies (noch) nicht, da diese
Volkswirtschaften von einem tieferen Niveau
aus gestartet sind; es führt aber dazu, dass
der Weltmarktanteil der Schweiz kontinuierlich abnimmt.
Beunruhigender ist ein Vergleich der Produktivitätsgewinne der Schweiz mit jenen in
Finnland, Schottland oder selbst Westeuropa.
Hier tut sich eine Schwäche der Schweiz
kund. Die Produktivität, hier gemessen als
BIP pro Erwerbstätigen, liegt sowohl bezüglich Niveau als auch Wachstum nur etwa im
westeuropäischen Mittel, aber tiefer als in
Nordamerika und bezüglich Wachstum
deutlich tiefer als in den aufstrebenden asiatischen Standorten. Die Produktivität ist jedoch der langfristige Schlüssel zur Wettbewerbsfähigkeit einer Volkswirtschaft. Weshalb
werden wir nicht produktiver?
Gute Rahmenbedingungen
Im Folgenden werden kurz die wichtigsten Standortfaktoren der Schweizer Wirtschaft im internationalen Vergleich dis­
Monatsthema
Grafik 4
Kontinentale Erreichbarkeit
Veränderung 2000–2008
25
Österreich
Finnland
20
Lombardei
15
Dänemark
Schottland
10
Baden-Württemberg
Provence-Alpes-Côte d’Azur
5
Schweiz
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60
70
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Erreichbarkeit, Niveau 2008
Anmerkung: Index, Durchschnitt aller Regionen 2002 = 100,
Niveau 2008 und Veränderung in Indexpunkten 2000–2008.
Quelle: BAKBASEL, IBD 2010; IVT / Die Volkswirtschaft
kutiert. Zunächst wird in Grafik 4 die
Erreichbarkeit dargestellt. Gemessen wird,
wie schnell aus einer Region alle anderen europäischen Regionen erreicht werden können, wobei die Zielregionen jeweils mit ihrem BIP gewichtet werden. Ein hoher
Erreichbarkeitswert besagt, dass innert kurzer Zeit «viel BIP» erreicht werden kann.
Dass die Schweiz hier sehr gut abschneidet,
liegt angesichts der zentralen Lage in Europa
und der guten Verkehrsinfrastruktur und
-verbindungen auf der Hand. Deutlich besser schneiden lediglich Grossstadtregionen
wie Paris, London oder Frankfurt ab. Umgekehrt haben eher peripher gelegene Regionen
wie etwa Schottland oder Finnland trotz guter Flugverbindungen nur mässige Werte. Interessant sind Veränderungen der Erreichbarkeit in der Periode 2000–2008. Viele
andere Regionen haben sich deutlich verbessert und den Abstand zur Schweiz verringern
können. In Finnland sind es bessere Flugverbindungen, während Österreich von besseren
Verbindungen nach Osteuropa profitiert,
dessen Wirtschaft zudem gewichtiger wird.
Unbestritten ist eine Führungsposition
der Schweiz im europäischen Steuerwettbewerb. Sowohl bei der Besteuerung von Unternehmen als auch von hoch qualifizierten
Beschäftigten – mit einem Nettoeinkommen
von 100'000 Euro pro Jahr – liegt der Durchschnitt der Schweizer Kantone unter den relevanten Konkurrenzstandorten in Europa
und Nordamerika. Tiefere Steuerbelastungen
weisen einzig einige Konkurrenzstandorte in
Ostasien auf. Würden anstelle des Durchschnitts Werte für einige Tiefsteuerkantone
betrachtet, wäre die Steuersituation noch
komfortabler. Der Vorsprung der Schweiz
gegenüber anderen Standorten könnte sich
angesichts der Schuldenlage in vielen westlichen Staaten gar noch ausweiten.
Kasten 2
Wie die Wettbewerbsfähigkeit messen?
Die Untersuchung der Wettbewerbsfähigkeit einer Wirtschaft bedarf einer sorgfältigen und vielschichtigen Analyse. Einige zentrale Kennzahlen
sind jedoch hilfreich für einen ersten Überblick und
unterstützen die Strukturierung einer detaillierten
Analyse. BAK Basel Economics hat zu diesem Zweck
eine Benchmarking Index Family entwickelt, bestehend aus drei aufeinander abgestimmten Indizes,
welche die zentralen und international vergleich­
baren Indikatoren der Wettbewerbsfähigkeit zusammenfassen:
Eine wettbewerbsfähige Wirtschaft zeichnet sich
durch eine erfolgreiche bisherige Entwicklung (Performance Index), durch eine hohe Anziehungskraft
auf hochqualifiziertes Humankapital und Unternehmen (Attractiveness Index) und durch eine zukunftsträchtige Wirtschaftsstruktur (Structural Potential
Index) aus.
– Der Performance Index erfasst die Wettbewerbsfähigkeit der Vergangenheit über die Messung
der bisherigen Wirtschaftsentwicklung und
schliesst sowohl eine Niveau- (Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf, Gewicht 50%) als auch eine
Wachstumskomponente (BIP- und Erwerbstätigenwachstum, Gewicht je 25%) ein. Das Niveau
zeigt an, wie viel Wohlstand in der Region produziert wird, während das Wachstum den Fortschritt misst.
– Der Attractiveness Index erfasst die Fähigkeit einer Region, Unternehmungen und Humankapital
anzulocken bzw. vorhandene Ressourcen zu halten. Befragungen zeigen regelmässig, dass für
die Standortwahl von Unternehmen Steuerbelastung, Verfügbarkeit von Arbeitskräften, Erreichbarkeit, Innovationskraft und Regulierung der
Märkte besonders wichtig sind. Für natürliche
Personen kommt insbesondere noch Lebensqualität hinzu. Der Attractiveness Index fasst Indikatoren aus den oben genannten Bereichen zusammen – soweit verfügbar und international vergleichbar.
– Der Structural Potential Index erfasst das in den
gegenwärtigen Strukturen inhärente Potenzial
für die zukünftige Entwicklung.
Der Structural Potential Index lässt sich wiederum
in drei Teilbereiche gliedern:
1. Industry Structure Potential untersucht die vorhandene Branchenstruktur bezogen auf künftige
Wachstumsaussichten. Die Branchen zeigen ein
stark unterschiedliches Wachstumspotenzial;
gleichzeitig weisen die Regionen erhebliche Unterschiede in der Branchenstruktur auf. So bieten
ausgeprägte regionale Konzentrationen von
Branchen mit hohen erwarteten Wachstumsraten
das Potenzial, die zukünftigen Wachstumsaus-
22 Die Volkswirtschaft Das Magazin für Wirtschaftspolitik 5-2011
sichten der Region nachhaltig positiv zu gestalten.
2. Capacity to Compete untersucht die Produktivitäten der sich im interregionalen Wettbewerb befindenden Branchen und fasst die internationale
Wettbewerbsfähigkeit der exportorientierten
Branchen einer Region zusammen. Branchen mit
Produktivitätsvorsprüngen gegenüber konkurrierenden Regionen vermögen längerfristig ihre
Wertschöpfung über den interregionalen Wettbewerb auszuweiten.
3. Political Structure Potential misst die politischen
Rahmenbedingungen. Zur Umsetzung werden Indikatoren zum Anteil der Schattenwirtschaft am
BIP, zur wahrgenommenen Korruption und zur
Kompetenzverteilung innerhalb der Staatsebenen herangezogen.
Alle drei Indizes der Benchmarking Index Family
(Performance, Attractiveness und Structural Potential
Index) sind methodisch gleich konstruiert, wobei
der Wert 100 den westeuropäischen Mittelwert wiedergibt und 10 Indexpunkte einer Standardabweichung aller westeuropäischen Regionen entsprechen.
Monatsthema
Grafik 5
BAK Taxation Index, 2009
Besteuerung Hochqualifizierte in %, 2009
60
Finnland
Lombardei
50
Provence-Alpes-Côte d’Azur
Westeuropa
Dänemark
Baden-Württemberg
40
Massachusetts
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Shanghai
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Schweiz
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Hongkong
Singapur
10
0
0
5
10
15
20
25
30
35
40
Besteuerung Unternehmen in %, 2009
Anmerkung: Effektive Durchschnittssteuerbelastung (in %) für eine
fiktive Investition bzw. eine fiktive Person.
Quelle: BAKBASEL, IBD 2010; ZEW / Die Volkswirtschaft
Grafik 6
Innovation: Patente und Forschungsqualität der Universitäten
Shanghai Index (Scores pro Kopf), 2009
0.05
Massachusetts
0.04
0.03
Schweiz
Schottland
0.02
Dänemark
BadenWürttemberg
Finnland
Westeuropa
0.01
Österreich
Provence-AlpesCôte d’Azur Lombardei
0.00
0.0
0.1
0.2
0.3
0.4
0.5
0.6
Patente (pro Kopf), 2004–2006
Anmerkung: Shanghai Index in Punkten pro Kopf;
Patente pro Kopf (Durchschnitt 2004–2006).
Quelle: BAKBASEL, IBD 2010; Shanghai Jiao Tong University;
OECD REGPAT database, December 2010 / Die Volkswirtschaft
1 Vergleichbare Berechnungen für asiatische Regionen
sind auf Grund fehlender Daten sowie aus methodischen
Gründen nicht möglich. Der Structural Potential Index
ist so konstruiert, dass er explizit für Regionen aus
hochentwickelten westlichen Industrieländern geeignet
ist.
Während die Daten zu Erreichbarkeit und
Steuerbelastung zusammen mit einer hohen
Lebensqualität auf eine hohe Attraktivität
der Schweiz hindeuten, ist für die Entwicklung der Produktivität das Innovationspotenzial entscheidend. Auch hier ist die Position der Schweiz im internationalen Vergleich
komfortabel. Als Massstab für die akademische Forschungskapazität verwenden wir den
Shanghai-Index, der weltweit die Qualität
von Universitäten vergleicht. Während Mas-
23 Die Volkswirtschaft Das Magazin für Wirtschaftspolitik 5-2011
sachusetts mit der weltbesten Universität
(Harvard) und einer Vielzahl weiterer Spitzenuniversitäten einsam das Feld anführt,
liegt die Schweiz dank der besten Hochschule
Kontinentaleuropas (ETH Zürich) und zwei
weiteren Universitäten unter den hundert
besten der Welt (Zürich, Basel) in einer Spitzenposition.
Auch die praktische Forschungskapazität,
die anhand der gewährten Patente pro Kopf
der Bevölkerung gemessen wird, attestiert der
Schweiz gute Werte. Lediglich Regionen wie
Baden-Württemberg, die sehr stark auf Investitionsgüterindustrien ausgerichtet sind,
weisen höhere Werte auf. Ähnlich gute Ergebnisse ergeben sich für die Schweiz auch bei
anderen Indikatoren – wie der Anzahl wissenschaftlicher Publikationen (pro Kopf)
oder der Ausgaben für Forschung und Entwicklung (pro Kopf oder als Anteil vom BIP).
Gesunde Strukturen
Wie sieht jedoch der Blick in die Zukunft
aus? Verliert die Schweiz weiter relativ an Position gegenüber ihren Mitbewerbern und
rutscht ins Mittelfeld der Regionen ab? Oder
waren die letzten Jahre, mit einer im internationalen Vergleich der Industrienationen
überdurchschnittlichen Dynamik, Vorbote
eines neuen Höhenflugs? Zahlreiche Prognose-Institute, auch BAK Basel Economics
selbst, könnten hierzu befragt werden. Stattdessen soll der Blick auf das Potenzial für zukünftige Dynamik gerichtet werden, welches
der Schweizer Wirtschaft heute inhärent ist.
Das strukturell bedingte Potenzial der
Schweiz erscheint insgesamt als ausgezeichnet. Wie der zusammenfassende Structural
Potential Index zeigt, liegt die Schweiz nur
knapp geschlagen von Massachusetts an
zweiter Stelle unter den westlichen Vergleichsregionen (vgl. Grafik 7).1 In dieser
Gruppe starker Regionen – die Lombardei
kommt als einzige Region deutlich unterhalb
des Westeuropäischen Werts von 100 zu liegen – erreicht Baden-Württemberg als drittplazierte Region bereits einen deutlich tieferen Indexwert als die Schweiz.
Das ausgesprochen hohe (wirtschaftliche)
Potenzial, welches den Schweizer Strukturen
innewohnt, basiert dabei nicht auf einem
einzelnen Standbein, sondern wird von unterschiedlichen Säulen gestützt. An erste Stelle zu nennen ist das politisch-wirtschaftlichen System. Stärken des Schweizer Systems
sind die hohe politische Verlässlichkeit sowie
Strukturen, die der Verbreitung von Korruption und Schattenwirtschaft entgegenwirken.
Auch die ausgeprägte Verteilung von Kompetenzen auf kantonaler und kommunaler
Ebene trägt dazu bei. Die Entwicklung einer
Monatsthema
Grafik 7
BAK Structural Potential Index, 2009
115
110
105
100
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Anmerkung: Index, westeuropäischer Durchschnitt = 100.
Quelle: BAKBASEL, IBD 2010 / Die Volkswirtschaft
Grafik 8
BAK Structural Potential Index, 2009
Performance Index
Structural Potential Index
130
125
120
oder der Finanzsektor, denen im kommenden Jahrzehnt in den Industrieländern ein
überdurchschnittliches Wachstumspotenzial
attestiert wird, sind in der Schweiz deutlich
übervertreten. Darüber hinaus sind diese exportorientierten Branchen im Schnitt international ausgesprochen wettbewerbsfähig,
wie anhand der Produktivität gemessen werden kann.
Fasst man Wachstumspotenzial und Wettbewerbsfähigkeit zusammen, ergibt sich ein
positives Bild. Zwar gibt es durchaus einzelne
Bereiche, in denen noch mit weiterem Strukturwandel zu rechnen ist oder in denen die
Wettbewerbsfähigkeit die Wachstumsaussichten eintrübt. Gesamthaft betrachtet verfügt die Schweizer Wirtschaft jedoch über die
strukturelle Ausgangslage, um in den kommenden Jahren eine überdurchschnittliche
Dynamik zu erreichen.
Betrachtet man die Schweizer Grossregionen differenziert, so weisen alle Regionen
ein strukturelles Potenzial oberhalb von 100
(= westeuropäischer Durchschnitt, vgl. Grafik 8) auf. Allerdings unterscheiden sich die
Niveaus erheblich. Basel (Nordwestschweiz)
führt klar, was vorrangig auf die starke Pharmaindustrie in der Region zurückzuführen
ist. Ebenfalls überdurchschnittlich sind die
Grossregionen mit den Wirtschaftsmetropolen Zürich und Genf im Zentrum. Auch
wenn die Schweiz insgesamt gut aufgestellt
ist, so zeigt sich deutlich, dass die hervorragende Position der Schweiz bezüglich des
strukturellen Potenzials stark durch die
Wachstumskerne Basel, Zürich und Genf geprägt wird.
Schlussfolgerungen
115
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105
100
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Anmerkung: Index, westeuropäischer Durchschnitt = 100.
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Quelle: BAKBASEL, IBD 2010 / Die Volkswirtschaft
dynamischen und innovativen Wirtschaft ist
ohne derartige Rahmenbedingungen langfristig kaum denkbar.
Getragen wird das strukturelle Wachstumspotenzial der Schweiz vor allem von der
vorhandenen Branchenstruktur. Branchen
wie Chemie-Pharma, Feinmechanik/Uhren
24 Die Volkswirtschaft Das Magazin für Wirtschaftspolitik 5-2011
Gemessen am BIP pro Kopf der Bevölkerung ist der Wirtschaftsstandort Schweiz gut
im internationalen Wettbewerb positioniert.
Die Produktivität (BIP pro Erwerbstätiger
oder pro geleistete Arbeitsstunde) hingegen
liegt nur im westeuropäischen Mittel, und
auch das Wirtschaftswachstum lag bis vor
kurzem kaum über dem westeuropäischen
Schnitt.
An den Rahmenbedingungen kann dies
nicht liegen: Bei den Themen Erreichbarkeit,
Steuerbelastung und Innovationskapazität
liegt die Schweiz international sehr gut im
Rennen, auch wenn sich der Abstand zu den
Verfolgern etwas verkleinert hat. Und auch
die Branchenstruktur gibt vornehmlich Anlass zum Optimismus. Das Potenzial für eine
überdurchschnittliche Entwicklung der
Schweiz ist vorhanden. Nutzen wir es, indem
wir die Rahmenbedingungen pflegen und ofm
fen sind für Neues.