PDF - Kölner Philharmonie

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PDF - Kölner Philharmonie
Piano 1
Kristian Bezuidenhout
Mittwoch
28. September 2011
20:00
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Ihr Husten stört Besucher und Künstler. Wir halten daher für Sie an den Garderoben
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gern bei der Auswahl geeigneter Plätze, von denen Sie den Saal störungsfrei (auch
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Piano 1
Kristian Bezuidenhout Hammerklavier
Mittwoch
28. September 2011
20:00
Pause gegen 20:50
Ende gegen 22:00
19:00 Einführung in das Konzert durch Christoph Vratz
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PROGRAMM
Wolfgang Amadeus Mozart 1756 – 1791
Sonate für Klavier G-Dur KV 283 (189h) (1775)
Allegro
Andante
Presto
Präludium (Fantasie) und Fuge C-Dur KV 394 (383a) (1782)
für Klavier
Adagio – Andante
Fuga. Andante Maestoso
Menuett D-Dur (Fragment) KV 355 (576b)
für Klavier
(Ergänzt vermutlich von Maximilian Stadler)
Kristian Bezuidenhout spielt das Menuett
ohne das von Maximilian Stadler komponierte Trio
Gigue G-Dur KV 574 (1789)
für Klavier
Allegro
Fantasie d-Moll (Fragment) KV 397 (385g) (angeblich 1782)
für Klavier
Pause
Wolfgang Amadeus Mozart
Zwölf Variationen Es-Dur über die Romanze »Je suis Lindor«
KV 354 (299a) (1778)
für Klavier
Thema. Allegretto
Var. I–XII
Sonate für Klavier B-Dur KV 333 (315c) (1783)
(»Linzer Sonate«)
Allegro
Andante cantabile
Allegretto grazioso
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ZU DEN WERKEN DES HEUTIGEN KONZERTS
Lyrisches, Barockes, Geheimnisvolles
und Spielerisches
Zu Mozarts Klaviermusik
Klaviersonaten G-Dur KV 283 und B-Dur KV 333
Wolfgang Amadeus Mozart schrieb 18 Klaviersonaten, die im
Gegensatz zu Haydns und Beethovens Beiträgen zu dieser Gattung nicht experimentell, sondern eher Gelegenheitskompositionen sind, worauf auch ihre geringere Anzahl hinweist: Haydn
schrieb über 60 höchst unterschiedliche Klaviersonaten, Beethoven 36. Bei Mozart zeigt sich eine gewisse normative Herangehensweise beim Komponieren: Alle seine Klaviersonaten sind
dreisätzig, meist in der Abfolge schnell-langsam-schnell. Auch
scheint bei ihm ein anderes Vorbild durch. Folgen Haydn und
Beethoven nämlich dem schrofferen, kontrastierenden Sonaten- und Fantasiestil Carl Philipp Emanuel Bachs, schlägt sich in
Mozarts Sonaten der kantablere, vorhaltsreiche lyrische Stil des
»Londoner« Johann Christian Bachs nieder.
Die Klaviersonate G-Dur KV 283 gehört zu den Jugendwerken
Mozarts. Der 18-Jährige schrieb sie 1775 vermutlich in München,
wo er sich für Probenarbeiten zu seiner neuen Oper La finta giardiniera aufhielt. Die G-Dur-Sonate scheint noch deutlich von Joseph
Haydn inspiriert. Allen drei Sätzen liegt die Sonatenform und ihr
rhetorischer Dreischritt von Exposition (Vorstellung kontrastierender Themen), Durchführung (Themenverarbeitung) und Reprise
(variierte Wiederholung der Exposition) zugrunde. Originell sind
vor allem die überraschenden harmonischen Wendungen in der
Durchführung des sonst so schlichten C-Dur-Andantes. Der erste
Allegro-Satz lebt vom Kontrast seines menuettartigen Hauptthemas und seiner an rhythmisch-metrischen Spielereien reichen
Seitengedanken. Das Presto-Finale ist traditionell ein virtuos-heiterer Kehraus.
Die Klaviersonate B-Dur KV 333, »Linzer Sonate« genannt, komponierte Mozart in seinen ersten Wiener Jahren, da er sich sowohl
als Virtuose als auch als Instrumentallehrer in den Kreisen der
Aristokratie und des gehobenen Bürgertums etablieren wollte.
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Sie entstand wahrscheinlich im November 1783 in Linz, wo das
Ehepaar Mozart auf der Rückreise von Salzburg nach Wien Station machte.
Das Werk besticht durch ausgeglichene Proportionen und eine
abgerundete Melodik, die alle Sätze prägt. Eine »idyllische Naturschilderung«, die Darstellung einer »idealen Landschaft« erblicken viele Exegeten deshalb in diesem Werk. Die Sonatenform
erfüllt sich in den ersten beiden Sätzen dementsprechend assoziativ, kantabel und fortspinnend, also nicht durch Prozess, Kontrast und Dramatik. Das Finale ist ein Rondo, dessen Besonderheit
darin besteht, dass es als stilisiertes Konzertfinale gestaltet ist: Das
»Orchester-Ritornell« steht den Episoden des »Soloinstruments«
gegenüber, das sogar eine umfassende Solokadenz erhält. Zyklische Einheit schafft vor allem das für den Beginn der Sonate typische Vorhaltsmotiv in fallenden Sekunden, das alle Hauptthemen
der Sonate kennzeichnet.
Die helle, heitere Grundatmosphäre der Sonate geht Hand in Hand
mit der Charakteristik seiner zugrunde liegenden Tonarten: B-Dur,
das die beiden Rahmensätze prägt, stehe für »heitere Liebe, gutes
Gewissen, Hoffnung, Hinsehnen nach einer bessern Welt«, so
Christian Friedrich Daniel Schubart. Und über Es-Dur, der Tonart
des Mittelsatzes, schreibt er: »der Ton der Liebe, der Andacht, des
traulichen Gesprächs mit Gott«.
Präludium und Fuge C-Dur KV 394,
Menuett D-Dur KV 355 und Gigue G-Dur KV 574
Seit dem Frühjahr 1782 beschäftigte sich Mozart – inspiriert von
Besuchen im Hause seines Freundes und Förderers Baron Gottfried van Swieten, der ihn mit entsprechenden Werken Johann
Sebastian Bachs und Georg Friedrich Händels bekannt machte
– intensiv mit der höheren Kunst des Kontrapunkts: der Fugentechnik. Die erste Frucht seiner neuen kompositorischen Leidenschaft – Präludium und Fuge C-Dur KV 394 – schenkt er im April
1782 seiner Schwester Nannerl. Im beiliegenden Brief schreibt er:
»Hier schicke ich Dir ein Präludio und eine dreistimmige Fuge […].
Die Ursache, daß diese Fuge auf die Welt gekommen, ist wirklich
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meine liebe Constanze. Baron van Swieten, zu dem ich alle Sonntage gehe, hat mir alle Werke des Händels und Sebastian Bach
(nachdem ich sie ihm durchgespielt) nach Hause gegeben. Als
die Constanze die Fugen hörte, ward sie ganz verliebt darein; sie
will nichts als Fugen hören, besonders aber nichts als Händel
und Bach. Weil sie mich nun öfters aus dem Kopfe Fugen spielen
gehört hat, so fragte sie mich, ob ich noch keine aufgeschrieben
hätte? Und als ich ihr nein sagte, so zankte sie mich recht sehr,
daß ich eben das Künstlichste und Schönste in der Musik nicht
schreiben wollte, und gab mit Bitten nicht nach, bis ich ihr eine
Fuge aufsetzte, und so ward sie.«
Mit barocken Formen beschäftigte sich Mozart immer wieder. So
stellt etwa sein Menuett D-Dur KV 355, wahrscheinlich komponiert in Wien 1789 oder 1790, ein recht merkwürdiges Exemplar
des historischen Tanzes dar. Zwar erklingen gelegentlich auch
die erwarteten freundlich-heiteren Tonfälle, doch es dominieren
düstere Farben und schmerzvolle Seufzermotivik. Typisch für den
späten Stil Mozarts sind die dicht aufeinanderfolgenden chromatischen Wendungen und die oft krass dissonante Stimmführung.
Auch das mehrmals erscheinende B-A-C-H-Motiv lässt vermuten,
dass Mozart dieses Stück als Trauermusik für Carl Philipp Emanuel
Bach komponiert hat, der am 14. Dezember 1788 gestorben war.
Die dreistimmige Gigue G-Dur KV 574 dagegen verrät deutlich die
Vorbilder Johann Sebastian Bach und Georg Friedrich Händel und
ihre kunstvolle polyphone Aufwertung barocker Tänze. Mozart
schrieb sie 1789 in Leipzig auf der Rückreise von Berlin dem Hoforganisten Karl Immanuel Engel ins Notenbuch. Aus dem Stegreif,
versteht sich.
Fantasie d-Moll KV 397
Mozarts d-Moll-Fantasie gibt auf allen Ebenen Rätsel auf, sowohl
was ihre Entstehung und Überlieferung als auch ihren Inhalt
betrifft. Eventuell entstand sie um 1782 in Wien, vielleicht aber
auch erst in den Jahren 1786 bis 1788. Da kein Autograph und keine
briefliche Äußerung Mozarts über dieses Werk überliefert sind,
bleibt als einzige Quelle der Erstdruck, der 13 Jahre nach Mozarts
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Tod, wahrscheinlich auf Grundlage eines fragmentarischen Autographs oder einer unvollständigen Abschrift, erschien. Die letzten
zehn Takte der heute üblichen Spielfassung wurden vom Verleger
ergänzt, weswegen es im Dunkeln bleibt, welchen Umfang Mozart
für das Werk tatsächlich vorgesehen hatte.
Dem Fantasie-Stil verpflichtet, in dem sich der Gestus des Improvisierens widerspiegelt, weist das pianistische Kleinod alle Merkmale auf, wie sie von Carl Philipp Emanuel Bach in seiner Schrift
Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen (1753/62) für die
»Freie Fantasie« formuliert wurden: Häufung von Akkord- und Passagenwerk, die partielle Auflösung der Takteinteilung, plötzliche
Tempo- und Affektwechsel, extreme Überraschungsharmonik,
Rezitativmelodik und ein klagender Affekt in Adagio-Abschnitten. Der Fantasie-Stil rechtfertigt vor allem formale Ungeheuerlichkeiten wie das plötzliche Abbrechen musikalischer Gedanken und das Einbrechen von völlig Neuem, was in den anderen
Instrumentalgattungen dieser Zeit gegen alle Regeln verstieß. In
Mozarts d-Moll-Fantasie münden die präludierenden, gebrochenen Akkorde des Beginns direkt in den schwermütigen, dissonanzenreichen Adagioteil. Immer wieder werden die schmerzvollen Gedanken plötzlich unterbrochen von Presto-Läufen oder
Generalpausen mit Fermaten. Völlig überraschend geht es dann
abschließend in einen beschwingten und fröhlichen D-Dur-Teil.
Die Ästhetik des schriftlich fixierten Fantasierens steht für die
Selbst-Befreiung von Ordnung und Zwang im Dienste der Unmittelbarkeit des subjektiven Ausdrucks, weswegen diese Gattung
dazu prädestiniert war, emotionale Befindlichkeiten auf das Papier
zu bringen. So war die Fantasie im 18. Jahrhundert ein bevorzugtes Medium, um den Tod verstorbener Musiker zu betrauern. Carl
Philipp Emanuel Bachs letztes Klavierwerk, seine fis-Moll-Fantasie Carl Philipp Emanuel Bachs Empfindungen aus dem Jahr 1787
soll sogar eine Trauermusik auf den eigenen Tod sein.
Bei Mozart ist es der Adagio-Teil mit seiner trauermarschartigen
Lamento-Begleitung, seiner Seufzer-Melodik und absinkenden
Chromatik, der eine äußerst betrübte Stimmung vermittelt. Bleibt
die Frage nach dem Anlass der Totenklage. Es kämen dafür je nach
Datierung, so der Musikforscher Siegbert Rampe, drei Todesfälle
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in Frage: Johann Christian Bach (1782), Leopold Mozart (1787) oder
Carl Philipp Emanuel Bach (1788). Vermutlich wird sich diese Frage
aber niemals klären.
Zwölf Variationen Es-Dur über die Romanze
»Je suis Lindor« KV 354
Neben der Fantasie und der Klaviersonate gibt es zu Mozarts Zeit
eine weitere sehr beliebte Gattung, die vor allem für Virtuosen eine
große Rolle spielte: die Klaviervariation. Ein Thema – oft bekannt
aus Opern oder als Lied – wird vorgestellt und dann in mehreren,
möglichst originellen Variationen auseinandergenommen, verwandelt und durch eigene Reflexionen kommentiert: eine Technik,
die neben der kontrapunktisch-fugenhaften und diskursiv-sonatenhaften Herangehensweise als ein drittes bedeutendes Prinzip
der klassischen Themenverarbeitung angesehen werden muss.
Für die Variationenfolge gilt: Es gibt kein Schema, an das man sich
halten muss. Die Möglichkeiten reichen von lockerer Reihung bis
zum kunstvoll durchgearbeiteten Zyklus.
Mozarts zwölf Variationen über »Je suis Lindor«, eine damals in
Frankreich offenbar sehr berühmte Romanze von Antoine-Laurent Baudron, komponiert als Bühnenmusik zu Pierre Augustin
Caron de Beaumarchais’ 1775 uraufgeführter Komödie Le Barbier
de Séville, die Mozart während seines Aufenthalts in Paris 1778 kennengelernt haben muss, sind ein Musterbeispiel der transparenten
und spielerischen Variationskunst.
Mozart soll diese Variationen unter anderem 1781 bei einem Wettstreit mit seinem Konkurrenten Muzio Clementi am kaiserlichen
Hof in Wien gespielt haben, so heißt es in diversen Publikationen,
wobei man einschränkend sagen muss, dass ein Improvisationsgenie wie Mozart sicherlich nichts zweimal genau gleich gespielt
hat.
Das Thema ist lapidar und eingänglich. Es steht in Es-Dur, das
über den ganzen Zyklus beibehalten wird, sieht man von der MollVariation (Nr. 9) ab. Die Veränderung des Themas betreibt Mozart
bis zum Finale systematisch und übersichtlich mit einer Fülle
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klarer, sparsam eingesetzter, mal rein virtuoser, mal den Charakter verändernder Mittel. Mal wird die Melodie virtuos in quirlige
16-tel-Bewegungen aufgelöst (Var. 1), dann die Bassstimme (Var.
2). Plötzlich verändert sich die Stimmung (Var. 3) oder die Melodie
verflüssigt sich im Präludierstil (Var. 4). Oktavtremoli in der rechten
Hand (Var. 5 und 10) und jeweils anschließend in der linken (Var. 6
und 11) sorgen für den virtuosen Drive. Und in Variation 7 wird Bach
und seinem imitatorischen Inventionsstil gehuldigt. Als leise hinterfragendes Menuett mit anschließender fantasieartiger Öffnung
gibt sich Variation 8. Variation 9 dagegen ist ein Trauergesang in
Moll und Variation 12 ein sehr kunstvoll verziertes Molto Adagio.
Verena Großkreutz
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Das Fortepiano als Garten Eden
Diskographische Anmerkungen
zu Mozarts Klaviersonatem
Sie sind ein wenig wie Stiefkinder. Mancher Pianist, der Mozarts
Klavierkonzerte liebt und munter aufführt, zuckt bei den Klaviersonaten zusammen. Wie, diese Vorstufen zu den großen Konzerten? Dabei hat jeder, der einmal Klavier gespielt hat, an einer von
Mozarts Sonaten gesessen, gelitten, sich müde geübt; denn an
diesen Werken mit ihrer apollinischen Klarheit und ihrer quecksilbrigen Leichtigkeit kann man sich leicht verheben.
Die Zahl der Pianisten, die diese 18 Sonaten in ihrer Gesamtheit
eingespielt haben, ist vergleichsweise klein. Selbst ein Nestor wie
Alfred Brendel hatte bereits zwei Zyklen der Klavierkonzerte vorgelegt, als er sich erstmals, auf der Zielgeraden seiner aktiven Laufbahn, an eine Einspielung der Mozart-Sonaten wagte (Philips/Universal). Brendel zeigt sich keineswegs altersmilde, sondern spielt
mit Größe, Witz und Schwung, in den langsamen Sätzen entfaltet
er einen versonnenen Andante-Zauber. Transparenz durch Reifung.
Auch Walter Gieseking hat erst in späteren Jahren, 1953/54 als
knapp 60-Jähriger, die Mozart-Sonaten (im Rahmen einer Einspielung sämtlicher Solo-Klavierwerke) auf Schallplatte festgehalten
(EMI). Seine Lesart hat nichts von ihrer Gültigkeit verloren, er spielt
mit lateinischer Klarheit und Grandezza, lyrisch ohne jede Verzärtelung – frei von allen Sonderbarkeiten, die etwa die kauzigen GlennGould-Aufnahmen auszeichnen (Sony). Dennoch gelingt es Gould,
etwa bei der oft belächelten »facile«-Sonate, dieses Stück zu enttarnen: als rätselhaft dürre Betrugsmusik für Klavierlehrer, die ihren
Schülern das Schwerste als das Leichteste verkaufen wollen. Nicht
so exzentrisch wie Gould, aber ebenfalls aus der Sicht eines Eigenbrödlers hat Friedrich Gulda die Sonaten auf alten Bändern festgehalten, die erst ein Vierteljahrhundert nach ihrer Entstehung 1980 in
modernisierter Klangtechnik auf CD veröffentlicht werden konnten.
Es ist der vielleicht härteste aller Mozart-Zyklen. Ein Mozart, der
Kristallkugeln fliegen lässt. Bei Gulda steckt stets grimmiger Witz
und lächelnde Gewalt drin – direkter, schonungsloser hat man die
Sonaten wohl nicht wieder gehört.
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Wie Gieseking hat auch Carl Seemann Mozarts Sonatenwerk in
den 50er Jahren komplett festgehalten (DG/Universal). Man mag
im ersten Moment stöhnen: Ist das trocken. Doch Seemann bietet einen ungemein gradlinigen, schlanken, in mancherlei Ohren
eben auch spröden Mozart. Doch sein Spiel lebt von einer versteckten Beredtheit, die Seemanns untrügliches Gespür für Rhythmus, Melodieformung sowie die Bedeutung der Begleitung in der
linken Hand hervorhebt.
Erstaunlich hoch ist die Quote der Pianistinnen, die sich an Mozarts
Sonaten gewagt haben: Neben Mitsuko Uchida und Alicia de
Laroccha haben Ingrid Haebler und Maria João Pires ihre Sicht
auf Mozart jeweils zweimal festgehalten – Zyklen, die in ihrer späteren Variante in beiden Fällen einen geschärften Blick verraten,
bei Haebler (1. Version Philips/Universal, 2. Version Denon) in Form
von teils mutig gedehnten Tempi, überragend in der Formung der
Linien, aber ohne Mozarts musikalische Hitze – ein bisschen vergleichbar mit Claudia Arrau; bei Pires (1. Brilliant, 2. DG/Universal)
dank einer frischeren Bewusstseinsstufe, bei der sich alte Erfahrungen mit neuen Erkenntnissen mischen.
Zu den Enzyklopädisten unter den Pianisten zählen auch Daniel
Barenboim (EMI) und András Schiff (Decca/Universal), wobei letzterem unbedingt der Vorzug einzuräumen ist, obwohl er diese
Werke heute, mehr als dreißig Jahre nach seiner Einspielung als
junger Debütant bei einem großen Label, anders und kerniger
spielen würde. In jüngster Zeit sind vermehrt Aufnahmen auf historischen Instrumenten in den Fokus gerückt. Ob sich Andreas
Staiers bisherige Einspielungen (harmonia mundi) eines Tages zu
einem Zyklus runden werden, bleibt abzuwarten. Siegbert Rampe
jedenfalls hat den kompletten Mozart auf Cembalo, Clavichord
und Fortepiano inzwischen abgeschlossen (MDG/codæx) – eine
höchst beachtliche Aufnahme. Kristian Bezuidenhout hat die ersten zwei Folgen vorgelegt (harmonia mundi): hinreißend lebendige Interpretationen, bei denen das Fortepiano zum Garten Eden
wird. Wer hörend durch diese Klangwelten spaziert, wird reichlich
entlohnt.
Christoph Vratz
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BIOGRAPHIE
Kristian Bezuidenhout
Kristian Bezuidenhout wurde 1979 in
Südafrika geboren. Er begann sein Studium in Australien, beendete es an der
Eastman School of Music in den USA
und lebt nun in London. Nach seinem
Klavierstudium bei Rebecca Penneys
entdeckte er auch andere Tasteninstrumente für sich und studierte Cembalo
bei Arthur Haas und Hammerklavier in
der Klasse von Malcolm Bilson. Darüber
hinaus arbeitete er eng mit Paul O’Dette zusammen. In dieser Zeit
sammelte Kristian Bezuidenhout in den USA und in Europa in
verschiedenen Barockopern wertvolle Erfahrungen als Continuospieler. Seine ersten bedeutenden Preise gewann er bereits mit 21,
als er 2001 sowohl den Publikumspreis als auch den Ersten Preis
beim Fortepiano-Wettbewerb in Brügge erhielt.
Kristian Bezuidenhout gastiert regelmäßig bei Ensembles wie
dem Freiburger Barockorchester, dem Orchestre des ChampsÉlysées, dem Orchestra of the 18th Century, Concerto Köln, dem
Chamber Orchestra of Europe und dem Collegium Vocale Gent
– oftmals auch als Leiter. Er arbeitete zusammen mit Künstlern
wie Philippe Herreweghe, Frans Brüggen, Christopher Hogwood,
Pieter Wispelwey, Daniel Hope und Viktoria Mullova. Darüber hinaus gibt er regelmäßig Lieder-Recitals unter anderen mit Carolyn
Sampson, Mark Padmore und Jan Kobow.
Neben seinen solistischen Auftritten engagiert sich Kristian Bezuidenhout auch in der Kammermusik und tritt bei Festivals in Barcelona, Boston, Brügge, Innsbruck, St. Petersburg, Venedig und
Utrecht auf; außerdem gastiert er beim Festival de Saintes, beim
Klavierfestival La Roque d’Anthéron, beim Chopin-Festival in Warschau, beim Musikfest Bremen, beim Tanglewood Festival und bei
Mostly Mozart im Lincoln Center. Darüber hinaus spielt er in vielen
der wichtigsten Konzertsälen weltweit, so unter anderem im Amsterdamer Concertgebouw, den Philharmonien in Berlin und Köln,
der Suntory Hall Tokyo, dem Théâtre des Champs Élysées und der
berühmten Carnegie Hall in New York.
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Zu seinen jüngsten Aufnahmen gehören eine CD mit Mozarts
Sonaten für Violine und Klavier, eingespielt mit Petra Müllejans,
und die ersten zwei von zehn geplanten CDs einer Serie mit Kompositionen Mozarts für Tasteninstrumente. Gleich die erste CD
wurde als »Diapason Découverte« ausgezeichnet. Weitere Projekte beinhalten die Klavierkonzerte von Mendelssohn Bartholdy
zusammen mit dem Freiburger Barockorchester und Schumanns
Dichterliebe mit Mark Padmore. Große Anerkennung erhielt auch
die CD mit Beethovens Sonaten für Violine und Klavier, die er
zusammen mit Viktoria Mullova aufgenommen hat.
Kristian Bezuidenhout ist Gastdozent an der Schola Cantorum
in Basel und der Eastman School of Music in den USA. Außerdem berät er das Constellation Center in Cambridge in künstlerischen Fragen. 2007 wurde er mit dem Erwin-Bodky-Preis und dem
Förderpreis des Deutschlandfunks ausgezeichnet. In der Kölner
Philharmonie war Kristian Bezuidenhout zuletzt im April 2010 zu
Gast.
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KÖLNMUSIK-VORSCHAU
September
SO
02
DO
29
18:00
Veronika Eberle Violine
Rotterdams Philharmonisch Orkest
Yannick Nézet-Séguin Dirigent
12:30
PhilharmonieLunch
WDR Sinfonieorchester Köln
Emilio Pomàrico Dirigent
Wolfgang Amadeus Mozart
Konzert für Violine und Orchester
Nr. 3 G-Dur KV 216
KölnMusik gemeinsam
mit dem Westdeutschen Rundfunk
Anton Bruckner
Sinfonie Nr. 8 c-Moll WAB 108
Medienpartner Kölnische Rundschau
Kölner Sonntagskonzerte 1
Eintritt frei
MO
DO
03
29
20:00
Tag der Deutschen Einheit
20:00
Karina Chepurnova Sopran
Katarzyna Mackiewicz Sopran
Oleg Korzh Tenor
Aleksandr Trofimov Tenor
Ton Koopman Cembalo, Orgel
Tini Mathot Cembalo, Orgel
Wolfgang Amadeus Mozart
Adagio und Allegro f-Moll KV 594
Stück für ein Orgelwerk in einer Uhr
Strauß Festival Orchester Wien
Peter Guth Dirigent
Sonate für Klavier zu vier Händen D-Dur
KV 381 (123a)
Glanzlichter der Wiener Operette und
in Westeuropa nur selten zu hörende
Evergreens russischer Operettenkultur
stehen sich in diesem Programm
gegenüber.
Antoine Forqueray /
Jean-Baptiste Forqueray
Drei Sätze aus: Suite für Cembalo
Nr. 1 d-Moll
Operette und … 1
Johann Sebastian Bach
Pièce d’orgue G-Dur BWV 572
Oktober
Partite diverse sopra:
»O Gott, du frommer Gott« BWV 767
SA
Fuge g-Moll BWV 578
01
Präludium und Fuge C-Dur BWV 547
20:00
»Wachet auf, ruft uns die Stimme«
BWV 645
Abschlusskonzert mit Preisträgern des
»Internationalen Musikwettbewerbs
Köln«
»Nun komm der Heiden Heiland«
BWV 659
WDR Rundfunkorchester Köln
Niklas Willén Dirigent
Carl Philipp Emanuel Bach
Fantasia fis-Moll Wq 67
Daniel Finkernagel Moderation
Antoni Soler
Konzert für zwei Orgeln G-Dur
Wieder ist der Internationale Musikwettbewerb Köln ein Sprungbrett für die
Newcomer der Klassik.
Orgel plus … 1
KölnMusik gemeinsam mit der Hochschule für Musik und Tanz Köln und
dem Westdeutschen Rundfunk
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MI
SA
05
08
20:00
20:00
Lang Lang Klavier
Alfred Brendel Vortrag und Klavier
Königliches Concertgebouworchester
Amsterdam
Daniel Harding Dirigent
Die Schule des Hörens - Teil 3:
Licht- und Schattenseiten
der Interpretation
Franz Liszt
Konzert für Klavier und Orchester Nr. 1
Es-Dur S 124
In seinen musikalischen Lectures, die
Alfred Brendel gekonnt am Klavier
kommentiert, schafft es der Meisterpianist, seine Zuhörer zu fesseln und bringt
ihnen – auf ganz persönliche Art und
Weise – die Musik, ihre inneren Beweggründe und auch sich selbst ganz nahe.
So analytisch korrekt wie faszinierend
anschaulich.
Frédéric Chopin
Grande Polonaise brillante précédée
d’un andante spianato Es-Dur op. 22
für Klavier und Orchester
Ludwig van Beethoven
Sinfonie Nr. 3 Es-Dur op. 55
»Eroica«
Keine Pause | Ende gegen 21:15
SO
DO
09
06
20:00
20:00
Takács Quartet
Tinariwen
Antonín Dvořák
Streichquartett Nr. 10 Es-Dur op. 51
Tinariwen, das bedeutet soviel wie
»Leerer Ort« – eine Anspielung auf die
Wüste, den Lebensraum der Tuareg.
Tinariwen wurde vor 30 Jahren in einem
von Gaddafis Rebellen-Camps in Libyen
gegründet. Seit dem Friedensabkommen von 1990 können sich die einstigen
Tuareg-Kämpfer ganz auf das Musikmachen konzentrieren. Mit dem BBC
World Music Award von 2005 begann
für die Wüstensöhne eine beispiellose
Erfolgsgeschichte. Aus dem ursprünglich losen Musiker-Kollektiv um Ibrahim
Ag Alhabib ist längst eine der umjubeltsten Bands Afrikas geworden. Ihre
Musik lebt von der Inspiration durch die
Tradition der Tuareg in Verbindung mit
der Rock- und Popmusik des Westens.
Joseph Haydn
Streichquartett D-Dur op. 64,5
Hob. III:63 »Lerchenquartett«
Béla Bartók
Quartett für zwei Violinen, Viola und
Violoncello Nr. 5 B-Dur Sz 102
Quartetto 1
DO
13
12:30
PhilharmonieLunch
Gürzenich-Orchester Köln
Markus Poschner Dirigent
KölnMusik gemeinsam
mit dem Gürzenich-Orchester Köln
Medienpartner Kölnische Rundschau
Eintritt frei
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22.09.11 16:00
IHR NÄCHSTES
ABONNEMENT-KONZERT
MI
DI
19
25
12:30
Filmforum
Oktober
20:00
PhilharmonieLunch
Kit Armstrong Klavier
Marcus Richardt / Dario Aguirre
Connected by Drums – ein Workshop
mit Martin Grubinger & Friends (D, 2008),
Dokumentarfilm, deutsche Fassung
Johann Sebastian Bach / Franz Liszt
Fantasie und Fuge für Orgel g-Moll
BWV 542
Bearbeitung für Klavier S 463 (1869)
Gefördert durch das
Kuratorium KölnMusik e.V.
Variationen über das Motiv von Weinen,
Klagen, Sorgen, Zagen BWV 12 und des
Crucifixus der h-Moll Messe BWV 232
(1862)
Bearbeitung für Klavier S 180
KölnMusik gemeinsam mit Stiftung
Schleswig-Holstein Musk Festival
Eintritt frei
Johann Sebastian Bach
Präludium und Fuge Fis-Dur BWV 858
MI
Präludium und Fuge fis-Moll BWV 859
19
Präludium und Fuge G-Dur BWV 860
20:00
Präludium und Fuge g-Moll BWV 861
aus: Das Wohltemperierte Klavier I
BWV 846 – 869 (1722)
Martin Grubinger Schlagzeug
Leonhard Schmidinger Schlagzeug
Ferhan Önder Klavier
Ferzan Önder Klavier
Duette aus Klavierübung III
BWV 802 – 805 (1739)
Duett e-Moll BWV 802
Duett F-Dur BWV 803
Duett G-Dur BWV 804
Duett a-Moll BWV 805
Fazıl Say
Variationen für
zwei Klaviere und Schlagzeug op.32
Igor Strawinsky/Martin Grubinger sen.
Le Sacre du printemps
Bearbeitung für zwei Klavier und
Schlagzeug
Franz Liszt
Allegro agitato molto f-Moll S 139,10.
Appassionata
aus: Etudes d’exécution transcendante
S 139 (1851)
Karlheinz Stockhausen
Schlagtrio Nr. 1/3
für Klavier und 2 x 3 Pauken
St. François d’Assise: la prédication aux
oiseaux S 175,1
aus: Deux Légendes S 175 (1862/63)
Béla Bartók
Sonate für zwei Klaviere
und Schlagzeug Sz 110
Johann Sebastian Bach
Chromatische Fantasie und Fuge d-Moll
BWV 903 (1714/1730)
Gefördert durch das
Kuratorium KölnMusik e.V.
19:00, Einführung in das Konzert
durch Christoph Vratz, Empore
Portrait Martin Grubinger 1
Piano 2
DO
20
20:00
Chucho Valdés &
Afro Cuban Messengers
Chucho’s Steps
Jazz-Abo Soli & Big Bands 2
15
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22.09.11 16:00
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Herausgeber: KölnMusik GmbH
Louwrens Langevoort
Intendant der Kölner Philharmonie
und Geschäftsführer der
KölnMusik GmbH
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Redaktion: Sebastian Loelgen
Corporate Design: hauser lacour
kommunikationsgestaltung GmbH
Textnachweis: Die Texte von Verena
Großkreutz und Christoph Vratz sind
Originalbeiträge für dieses Heft.
Fotonachweis: Marco Borggreve, S. 11
Gesamtherstellung:
adHOC Printproduktion GmbH
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Werke u.a. von
Wolfgang Amadeus Mozart
Johann Sebastian Bach
Carl Philipp Emanuel Bach
Ton Koopman
Cembalo, Orgel
Tini Mathot
Foto: Volker Strüh
Cembalo, Orgel
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Roncalliplatz, 50667 Köln
direkt neben dem Kölner Dom
(im Gebäude des RömischGermanischen Museums)
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Neumarkt-Galerie
50667 Köln
(in der Mayerschen
Buchhandlung)
Montag
03.10.2011
20:00
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Tag der Deutschen Einheit
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