- Johanneskirche

Transcription

- Johanneskirche
111.
Evensong 17.November 2006
Pfarrer Dr.Uwe Vetter
Text 1.Johannesbrief 4:16
AT-Lesung Hoheslied 3:1-5, 4:9-11
NT-Lesung 1.Johbrief c. 4 (Auszüge)
Gottesliebe im November
Neue Gleichnisse
Es ist tiefster November. Der Bio- und Stimmungsrhythmus reagiert auf das schwindende
Tageslicht. Selbst wer übers Jahr ein sonniges Gemüt hat, neigt in diesem Monat zum
Trübsinn. In England gab es eine spezielle Grußfloskel. Wer (wie gewöhnlich ohne das
geringste Interesse an einer Antwort) gefragt wird ´Wie geht’s`, antwortete gern mit der
Triade: No money. No friends. No vember.
Doch weil des Menschen Seele irgendwo ein Stehaufmännchen ist, sucht sie sich ihre
Überlebenstricks. Lass dich nicht hängen! sagt die positive Seite in dir. ´Keine Freunde` Unsinn ! Sieh dich um. Da sind Dutzende von Menschen, die meisten erträglich, einige sogar
nett, ja ein paar Sonnenscheinchen darunter, die einem den Tag aufhellen… - Hör mir auf mit
Menschen! nörgelt die November-Melancholie dagegen. Biologisch gesehen ist der Mensch
nichts andres als eine Röhre mit Ausstülpungen, in die oben was rein gefüllt wird und unten
was rauskommt, und dazwischen spielen sich unappetitliche Vorgänge ab. - Unfug! Selbst
du, unterbricht unser Überlebenstrieb, selbst du wirst einen Menschen kennen, dem du am
Herzen liegst, der dich vielleicht sogar liebt. … Liebe! Hör mir auf mit Liebe! grantelt die
November-Melancholie aufs Neue (dankbar für das nächste Stichwort). Was ist Liebe !
Psychopathologisch gesehen ist die Liebe eine chemische Keule der Natur, ein Drogenrausch,
der uns für eine Weile das Hirn abschaltet, damit wir Dinge tun, die der Arterhaltung dienen,
uns aber für lange Zeit lästige Bekanntschaften und Kosten aufhalsen. – Es ist zwecklos.
gegen Novemberstimmung kämpfen selbst Götter vergeblich – oder doch nicht?
Wie gesagt, die Menschenseele ist ein Stehaufmännchen. Sie greift nach jedem Strohhalm.
Gerade jetzt. Ein Konfirmandenvater war bei Sony Vertriebsleiter Europa für Tonträger
(CDs). Und sagte, es sei komisch, aber im November hätten sie mit Abstand die höchsten
Umsätze. Im November gäbe es regelmäßig eine Sentimentalitätswelle. Die Kunden wären
von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt. Da würden die letzten Ladenhüter verkauft.
Schlagerschnulzen, Lovesong-Anthologien, immer neu zusammen gemixt. Schmachtmusik
und gefühlvolle Liebeslyrik gehen in Massen über den Ladentisch. Love sales in November,
Liebe verkauft sich im November bestens [1]. Die Leute nehmen Reißaus vor ihrer
Herbststimmung und verabreichen sich eine Überdosis Romantik.
„Der Novembergott ist die Liebe“. Oha! Wenn das unsere Novemberhälfte hört, wird sie gleich wieder
warnend den Finger heben und das Ganze kritisch analysieren. Liebe als Religionsersatz ! Vorsicht! wird
sie sagen, das kann nicht gut gehen! Da wird etwas in den Menschen hineingelegt, was der gar nicht leisten
kann. Da wird etwas von menschlichen Beziehungen erwartet, was diese Beziehung völlig überfrachtet und
dazu führt, dass es einfach in Enttäuschungen und Zerwürfnis enden muss! Gott ist Liebe, wohl wahr. Aber
das ist keine mathematische Gleichung, die man umkehren könnte. Gott ist Liebe, aber nicht jede Liebe ist
Gott! Gott ist Liebe. Die Gefahr dieser Gleichung kannten die Bibelautoren auch. „Ich prüfe eure Liebe,
ob sie von rechter Art sei“ schreibt der Apostel Paulus 2.Kor8 Vers8. Und im ersten Johannesbrief wird
Liebe-zu-Gott, die den Bruder hasst, als Lüge bezeichnet (c.4 Vers 20). Erstaunlich, dass sie es trotz
alledem gewagt haben, Gott in Gestalt von Liebe zu predigen. Irgendwie schien dies so unumgänglich, dass
sie jedes Risiko einzugehen bereit waren.
Und das weiß der Himmel, der seine Geschöpfe kennt – Er hat sie schließlich selbst
entworfen. Und wie Gott Mensch geworden ist, um Menschen zu erreichen, so färbt sich
möglicherweise auch seine Liebe in Novembertöne. Und Er spielt auf der Klaviatur unseres
Gemüts, um Mut zu machen. Weder Hohes noch Tiefes (Römer 8:39), weder
Stimmungshochs noch Stimmungstiefs, ja nicht einmal Novemberromantik, scheinen uns von
der Liebe Gottes zu trennen. Das habe ich vorletzte Woche im Film Funk Fernsehzentrum
wieder neu erlebt.
Das evangelische Rundfunkteam produziert fürs Radio eine Sendung mit dem Titel
„Popsong-Exegese“. Da wird religiösen Motiven nachgespürt, in Musik, die tagtäglich in aller
Ohren ist. Und es ist erstaunlich. Unter all dem Schmalz, dem Kitsch und Gedudel finden sich
Gedichte, die man fast als Gebete verstehen kann. Unter Hunderten immer wieder gespielten
Musiktiteln gibt es Lyrik, die nach christlicher Botschaft klingt. Die Programm-Macher
stießen auf Liebesgedichte, Verse und Bilder, die fast Glaubensbekenntnissen gleichkommen.
Es gibt weltliche Musik, die geradezu predigt! Und die ketzerische[2] Frage ist, ob Gott sich
wohlmöglich dieser Medien bedient, um mit sentimental gestimmten Novemberseelen zu
kommunizieren. Urteilen Sie selbst, ich gebe Ihnen ein Beispiel[3].
Kennen Sie noch den Klassiker Bridge-over-Troubled-Water, den Paul Simon 1969 gesungen
hat ? Ein Liebeslied aus der Flowerpower-Ära. Aber mit November-Ohren gehört, als Christ
gehört, der nicht aus seiner Haut kann und will, ist das Lied eine der schönsten Trostpredigten
Gottes, eine Trostpredigt Gottes für alle, die einen November-Durchhänger haben.
When you weary, feelling small – wenn du müde bist, dich winzig fühlst
When tears are in your eyes – wenn dir Tränen in den Augen stehen
I will dry them all. – ich werde sie trocknen[4].
I´m on your side when times get rough – Ich bin bei dir, wenn die Zeiten hart werden
And friends just can´t be found – und Freunde nicht zu aufzutreiben sind
Like a bridge over troubled water I will lay me down, - ich mache mich dir zur Brücke
über reißende Wasser.
Like a bridge over troubled water I will lay me down[5].
Herrlich. Jede dieser Zeilen finden wir, oft unter nur leicht verändertem Wortlaut, in der Bibel
– als Gottes Trostworte !
So geht das aber nicht! wird die Vernunft in uns protestieren (und unser copyright-Gewissen).
Zweckentfremdung! Das ist ein Liebeslied. Paul Simon wird nicht im Entferntesten daran
gedacht haben, hier seinen religiösen Gefühlen Ausdruck zu verleihen !– Woher weißt du das
so genau? fragt der Heilige Geist zurück. Und wenn du Recht hättest, na wenn schon!
Weltliche Liebesgedichte ins Gebet zu ziehen, ist die leichteste unserer Übungen. Was war
das Hohelied der Liebe anderes als romantisches Geflüster zwischen Freund und Freundin
(übrigens vor der Ehe!)! Aber weil da wirklich Liebe drinsteckte, war Gott eben nicht fern.
Und so haben wir das Hohelied als Gebet verwendet. Haben es zu einem Liebensgeflüster
zwischen Himmel und Erde umgemünzt. Einfach so, und trotz der frivolen Passagen. Seitdem
hat der Himmel in dieser Sprache geflirtet und sich in diesen Versen ansprechen lassen. Wenn
Gott dem Abraham aus Steinen Kinder erwecken kann (MatthEvg4, Täuferpredigt), dann
kann Er auch aus Novembermusik sprechen.
Ja, ich weiß, nicht jeder Reimeschmied ist ein Paul Simon, und nicht jeder, der zur Violine
greift, ist ein Jehudi Menuhin. Es gibt Musik, die ist einfach banal, ja peinlich und landet
bestenfalls als Tombola-Preis auf dem Schulbasar. Aber manches ist himmlisch. Und Bridgeover-Troubled-Water höre ich ungeniert wie eine Trostpredigt Gottes[6], im November
jedenfalls. Wenn Gott Liebe ist, vielleicht redet Er zu einigen seiner Kinder jetzt in Blues
und Klassik, in Balladen und Chansons… - Vieles kann Zeichen der Anrede werden (sagte
der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber). Vieles kann Gott zur Brücke zum Menschen
werden.
Chor : Nunc Dimittis
[1]
Was sich im Laden nicht verkaufte, endete in London für gewöhnlich beim Weihnachtsbasar der Deutschen Schule, als Preise der
Tombola. Dank Herrn Blums Sachspendenfreudigkeit haben wir zuhause noch Furcht erregende Stapel von CDs, die wir uns durch den
unschuldigen Kauf eines harmlosen Loses eingehandelt haben. Obwohl, jedes Jahr im November werden es weniger. Man verschenkt schon
mal was- an Leute, bei denen man sicher ist, dass man sie bestimmt nicht wieder trifft. Man muss sich auch mal von etwas trennen können.
[2]
Ketzerisch deshalb, weil hier streng genommen das Terrain des Sola Scriptura verlassen wird; andererseits hatte schon Martin Luther die
damalige Volks- und PopMusik beliehen, um Christum zu treiben…
[3]
Anderes Beispiel: der Text des Hits „Everywhere“ ist eine Art Anbetung eines Geliebten, für biblische Ohren erinnert es an ein Gebet,
vergleichbar mit Psalm 139, 1.Hälfte.
[4]
Im Original der Bibel : Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen… (JohOffb 21:4)
[5]
In der Poesie der Propheten: “Fürchte dich nicht...Wenn du durch Wasser gehst, will ICH bei dir sein, dass dich die Ströme (reißenden
Fluten) nicht ersäufen sollen…“. (Jesaja 43:1f)
[6]
Auch Martin Luther hatte nicht die geringsten Skrupel, die Popmusik seiner zeit, Volkslieder, Tänze und Reigen zu nehmen und sie mit
Texten, evangelisch abgewandelt oder neu gedichtet, zur Verkündigung zu benutzen.