Suchtstoffe

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Suchtstoffe
Suchtstoffe
W. Poser
Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie
der Universitätsmedizin Göttingen
Suchtstoffe (= Suchtmittel) sind im Zentralnervensystem wirksame Stoffe, die
beim Menschen eine Suchtkrankheit (schädlicher Gebrauch oder Abhängigkeit)
erzeugen oder unterhalten können (Definition nach ICD-10).
Schlechter definierte Termini:
Drogen
getrocknete Pflanzen („Drogerie“)
Wirksubstanzen („Food and Drug
Administration“)
zentral wirksame Stoffe
psychotrope Stoffe
Suchtstoffe („Alkohol ist die gefährlichste Droge“)
illegale Suchtstoffe („Crystal ist die gefährlichste
Droge“)
Rauschmittel, Rauschgifte, Betäubungsmittel
Suchtstoffe gehören zu den häufigsten Auslösern von Intoxikationen, auch
tödlichen! Dabei handelt es sich in der Regel um chronische Intoxikationen. Das
Bestehen einer Suchtkrankheit erhöht die Wahrscheinlichkeit weiterer Suchten
(Übergang zur Polytoxikomanie). In Deutschland überwiegt Polytoxikomanie
(gleichzeitiger Gebrauch von Stoffen aus verschiedenen Gruppen). In
Deutschland überwiegt Polytoxikomanie (gleichzeitiger Gebrauch von Stoffen aus
verschiedenen Gruppen).
"Craving„ als Motor süchtiger
Entwicklungen
Was heißt gefährlich ?
•Hohe Prävalenz ?
•Schnelle Abhängigkeitsentwicklung ?
•Geringe therapeutische Breite ?
•Schneller Suchtverlauf ?
•Hohes Abhängigkeitspotential ?
•Intensive kriminogene Wirkung ?
•Hohe Persistenz des Konsums
(Bindekraft) ?
•Intensive somatische und psychische
Folgeerscheinungen ?
Todesfälle durch Suchtstoffe in
Deutschland (2012)
• Todesfälle insgesamt
869 582
• Zigarettenrauchen
ca. 110 000– 140 000
• Alkoholabusus und –abhängigkeit ca. 40 000 – 80 000
• Akute Alkoholvergiftungen
formal unter 1 000,
jedoch nicht enthalten:
Unfälle durch Alkohol,
Verbrechen (Opfer und
Täter), Hilflosigkeit
durch die Intoxikation,
Mischintoxikationen
• Illegale Drogen (meist Heroin)
ca. 2 000
• Schlaf- und Beruhigungsmittel
unbekannt
• Cannabis
unbekannt (späte
Rauchfolgen !)
Pharmakologische Suchtstoffklassen
(Neurotransmitter-Ebene)
• Opioide (Agonisten am µ-Rezeptor)
• Ethanol /u.ä. /Benzodiazepine u.ä. /GHB (Agonisten am GABAARezeptor)
• Inhalanzien = Gase und Dämpfe (Membranwirkung)
• Stimulanzien (Agonisten am Dopamin-Rezeptor/Serotonin-Rezeptor)
• Koffein und Mischanalgetika mit Koffein (Antagonisten am AdenosinRezeptor)
• Cannabinoide (Agonisten am CB1-Rezeptor)
• Halluzinogene (Agonisten am Serotonin/Dopamin/NoradrenalinRezeptoren)
• Analgesierende Halluzinogene (Antagonisten am NMDA-Rezeptor)
• Cholinomimetika (Agonisten am Nicotin-Rezeptor)
• Anticholinergika (Antagonisten am Muskarin-Rezeptor)
Nicht klassifizierte, zentral wirksame Substanzen, die möglicherweise ein
Suchtpotential haben: z.B. Kava-Produkte, anabole Steroide
Peripher wirksame Substanzen, die zur Manipulation von
Körperfunktionen geeignet sind: z.B. Laxanzien, Diuretika
Aktuelle Suchtstoffe der illegalen
Drogenszene
• Heroin
• Kokain
• Cannabinoide mit erhöhtem ∆-9-TetrahydrocannabinolGehalt
• Synthetische Cannabinoide, speziell JWH-018 und JWH073 (nach John W. Huffman). Oft verkauft als „Spice“ oder
„Räuchermischung“. Diese Substanzen haben eine hohe
Rezeptoraffinität. Ihre Toxizität liegt vor allem im
Verhaltensbereich: Drogenpsychosen.
• Psychostimulanzien („Speed“), oft als „Badesalz“ verkauft.
Unter den Psychostimulanzien spielt Methamphetamin
(„Hitlerspeed“) eine zunehmende Rolle. Wird meist in
illegalen Labors in Tschechien hergestellt und nach
Deutschland geschmuggelt.
• Benzodiazepine
• Substitutionsstoffe, vor allem Methadon und Buprenorphin
Typen des Substanz-Fehlgebrauchs
von Suchtstoffen
•
•
•
Neugier
Versehentliche (akzidentelle) Giftaufnahme
Akute willentliche Intoxikation (rauschhaft, suizidal, kriminell, Neugier)
• Abusus = schädlicher Gebrauch (wiederholter
Rauschzweck im Vordergrund)
• Abhängigkeit (zwanghafter Gebrauch im
Vordergrund)
•
•
•
•
•
•
Manipulation von Körperfunktionen und „Life-Style-Substanzen“
Manipulationen von geistigen Funktionen („Brain Enhancer“, meist
Psychostimulanzien)
Doping (Steigerung der sportlichen Leistungsfähigkeit)
Aphrodisiaka (Steigerung des sexuellen Genusses)
Abwendung der negativen Folgen anderer Suchtstoffe („zum Runterkommen“)
Dealen
Tod durch akute
Alkoholintoxikation (Ethanol)
• Kinder ab 2 ‰ (Hypoglykämie)
• Gesunde Erwachsene ab 4 ‰ (Koma), unter
speziellen Umständen weniger (Erbrechen in
Rückenlage, Baden, gleichzeitiger Konsum von
Sedativa / Hypnotika)
• Alkoholabhängige ab 6 ‰ (Koma, Atemstillstand,
kardiogener Schock)
• Rekord in dieser Klinik 7,8 ‰ (überlebt mit
Beatmung, intraaortaler Ballonpumpe,
Pankreatitis)
• Weltrekord, überlebt, 12,3 ‰
Formen von Medikamenten-Fehlgebrauch
• Medikamenten-Intoxikation (einmalig oder selten)
• Schädlicher Medikamentengebrauch im Sinne von
ICD-10 (regelmäßiger oder wiederholter Konsum
von psychotropen Substanzen, durch Kriterien
definierte Suchtkrankheit)
• Medikamentenabhängigkeit im Sinne von ICD-10
(regelmäßiger oder intermittierender Konsum von
psychotropen Substanzen, durch Kriterien
definierte Suchtkrankheit)
• Missbrauch von Medikamenten ohne Abhängigkeitspotential (in
ICD-10 erwähnt), z.B. Laxanzien
Medikamentenabgabe
Diagnostische Kriterien der
Abhängigkeit nach ICD-10
Nachgewiesene Exposition mit dem Suchtstoff über mindestens 1 Monat
plus mindestens 3 der folgenden Kriterien
•
•
•
•
•
•
•
•
Subjektiver Zwang zur Einnahme
Toleranz / Kreuztoleranz
Typische Entzugserscheinungen
Konsum länger oder mehr als geplant
Kontrollverlust
Viel Zeit für Beschaffung etc.
Aufgabe von Aktivitäten und Interessen
Fortgesetzter Konsum trotz bekanntem Schaden
(psychisch, somatisch, sozial)
Es fehlt: Rapid
reinstatement
Psilocybe semilanceata
Kahlkopf)
(spitzkegeliger
Irreführende Grafik über
die relative Wirksamkeit
verschiedener
Betätigungen bzw.
Suchtstoffeffekte:
Keine DosisWirkungsbeziehung, kein
Zeitverlauf, kein
Zufuhrweg
Geschätzte Prävalenz von Suchtkrankheiten
in der deutschen Bevölkerung (Fälle je
100.000 Einwohner)
•
•
•
•
•
Nikotinabhängigkeit
Schädlicher Gebrauch von Alkohol
Alkoholabhängigkeit
Benzodiazepinabhängigkeit
Heroinabhängigkeit
ca. 13 000
ca. 5 000
ca. 2 000
ca.
900
ca.
270
Prävalenz unbekannt:
Mischanalgetika-Missbrauch, Cannabis-Abusus und Abhängigkeit, Laxanzien-Missbrauch,
Anabolikamissbrauch, Abusus und Abhängigkeit von
Psychostimulanzien, Inhalanzien-Missbrauch
Elemente süchtiger Entwicklungen
• Psychische Abhängigkeit (Craving, Gier nach einem Suchtstoff)
• Gehäufte Intoxikationen mit einem Suchtstoff
• Physische Abhängigkeit (kenntlich durch Entzugssyndrom nach Absetzen
oder Antagonisten)
• Weitgehende Austauschbarkeit des Suchtstoffes innerhalb einer
Wirkstoffgruppe
• Linderung von Entzugserscheinungen durch andere Stoffe der gleichen
Gruppe
• Toleranz und Kreuztoleranz
• Neigung zur Polytoxikomanie
• Bevorzugung von Stoffen und Applikationsweisen mit rascher Anflutung im
ZNS
• Progression der süchtigen Entwicklung (Einengung des
Verhaltensrepertoires, Hinzunahme weiterer Suchtstoffgruppen, kriminelle
und semikriminelle Handlungen zur Stoffbeschaffung)
• Schnelle Wiederherstellung des süchtigen Verhaltes bei Rückfällen („rapid
reinstatement“)
Angebotsliste eines Internetversandes
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• Codeine (Codein)
• Hydrocodone (Hydrocodon)
• Vicodin (Hydrocodon)
• Phentermin (Freiname, Psychostimulans)
• Ativan (Lorazepam)
• Xanax (Alprazolam)
• Valium (Diazepam)
• Tamiflu
• Cialis
• Viagra
• Soma (Carisoprodol)
• Paracod (Dihydrocodein)
• Klonopin (Clonazepam)
Suchtstoffe fettgedruckt
Literatur
Die beiden Folien zum „Overall harm“ durch die verschiedenen Suchtstoffe sind
folgender Publikation entnommen:
David J Nutt, Leslie A King, Lawrence D Phillips, on behalf of the Independent Scientific
Committee on Drugs, Drug harms in the UK: a multicriteria decision analysis.
Lancet 2010; 376: 1558 – 1565
Die Publikation gibt eine realistische Einschätzung der Gesamtgfährdung durch einzelne
Suchtstoffe. Für das Individuum am gefährlichsten sind Heroin, Crack-Kokain und
Methamphetamin, für Gesellschaft und Angehörige sind es Alkohol, Heroin und CrackKokain. Die Autoren stufen insgesamt Alkohol als Spitzenreiter ein.

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