Nina Blazon: Feuerrot Ravensburg: Ravensburger Buchverlag 2016

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Nina Blazon: Feuerrot Ravensburg: Ravensburger Buchverlag 2016
Nina Blazon: Feuerrot
Ravensburg: Ravensburger Buchverlag 2016
„Ja, ihr habt richtig gehört, Bürger von Ravensburg“, begann der Mönch. Seine Stimme war
überraschend tief und klangvoll, beruhigend und väterlich, und sie trug mühelos bis in die
letzten Winkel der Kirche. „Teufelspakt und Zauberei sind verantwortlich für das Verderben,
das sich wie eine Pest in ganz Oberdeutschland ausbreitet. Unwetter und Krankheiten,
vernichtete Ernten und krankes Vieh sind die Folge. Das ist alles Werk von Dämonen, die mit
Hilfe ihrer Dienerinnen, der Hexen, ihren bösen Zauber wirken. Doch das Böse ist schwer
auszurotten, es greift um sich wie ein Feuer, das alles vernichten wird, was uns heilig ist,
wenn …“ Man hörte keinen Atemzug in der langen Pause, „wir ihnen nicht Einhalt gebieten,
diesen verdorbenen, ketzerischen Frauen, die dem rechten Glauben abgeschworen haben, dem
Teufel dienen und sich Dämonen unterwerfen.“ (S. 69)
Derjenige, den Nina Blazon hier in ihrem historischen Roman sprechen lässt, ist niemand
geringerer als Henricus Institoris, besser bekannt als Heinrich Kramer – und noch besser
bekannt als der Autor des so genannten „Hexenhammers“. Jenem Gewaltwerk, das als eines
der unheilvollsten Bücher der Kirchengeschichte gilt. Das Legitimationswerk der
Hexenverfolgung wurde 1486 erstmals in Speyer veröffentlicht und lag bis 1669 mit etwa 30
Auflagen vor. Seine intensive Wirkungsgeschichte gründet, so Wolfgang Behringer und
Günter Jerouschek (im Vorwort ihrer neu aus dem Lateinischen übersetzten und
kommentierten Ausgabe aus dem Jahr 2000/2003) im Prinzip der scholastischen Methode:
Der Disputationsstil des Dominikanerordens galt als prägend für den Wissenschaftsdiskurs
des Mittelalters und ließ den „Hexenhammer“ im Licht lauterer Wahrheitsfindung erscheinen.
Die „elaborierte Hexenvorstellung“ (Behringer und Jerouschek), die da dabei etabliert wird,
webt Nina Blazon nun in die Dialoge und innerfiktionalen Dokumente ihres Romans ein.
Im heute dort ansässigen Verlag erschienen, nimmt der historische Jugendroman die Stadt
Ravensburg in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts in den Blick: Unwetter haben der Stadt
schwer zugesetzt, die Armut greift ebenso um sich. Die Bevölkerung fragt verzweifelt nach
den Ursachen für dieses Ausmaß an Unglück. Und bereits im Mittelalter war es für Populisten
leicht, aus solchen Situationen politisches Kleingeld zu schlagen: Die Schuldigen, auf die
gezeigt werden kann, sind rasch gefunden. Denn auch in der reichen Oberstadt bleiben die
Menschen nicht von persönlichen Schicksalen verschont.
Madda lebt an der Schwelle der beiden Welten: Als Tochter eines Schmieds ist ihre Situation
weit weniger prekär als die anderer; vom unermesslichen Reichtum im Haus des Kaufmanns
Onofrius Humpis, in dem sie als Dienstmädchen arbeitet, ist Madda dennoch meilenweit
entfernt. Jene Äpfel, die sie zu Beginn aus der Küche des Kaufmannshauses mitnehmen darf,
zeigen die Fallhöhe zwischen der Kaufmannsvilla und Maddas Welt. Geschickt nutzt Nina
Blazon diese Äpfel auch für eine weitere Markierung: In einer Situation, in der Madda die
Äpfel durch die Willkür anderer verliert, gerät sie erstmals in den Fokus von Heinrich
Kramer. Der Wind zerzaust Maddas rotes Haar und bläst ihren Rock hoch, die Äpfel –
Symbole der Erbsünde – rollen über die Straße. Heinrich Kramer liest diese Zeichen genau so,
wie es seiner Ideologie entspricht. Die Leser_innen nehmen dabei die ohnmächtige Position
Maddas ein, die sehr viel später im Roman erklären muss, dass es sich hier um keine
mutwillige Verführungsszene gehandelt hat.
Diese klug an den Beginn des Romans gesetzte Erzählsituation versinnbildlicht die
Vorgangsweise des/der Hexenjäger/s. Zeichen werden nach Bedarf gedeutet und zu
Vorwürfen umformuliert. Daraus resultieren aus der Sicht der Ankläger sich selbst erfüllende
Prophezeiungen und führen zu einem tödlichen, ins sich geschlossenen Kreislauf: Den Frauen
werden aus dem Aberglauben resultierende und durch Hörensagen verfestigte
Anschuldigungen in den Mund gelegt, die sie unter Folter gestehen; diese „gesicherten“
Aussagen werden an die weiteren Befragten weitergegeben und mit neuen Vermutungen
angereichert. Nina Blazon schreckt nicht davor zurück, solche Folterszenen anzusprechen und
zu zeigen, dass die Verurteilten auch getötet werden – so wie Agnes Bader und Anna
Mindelheim. Bei beiden Frauen handelt es sich um authentische Fälle aus Ravensburg, die
Nina Blazon in die Fiktion mit einbezieht. Anna Mindelheim schildert sie dabei als alte, in
ihrer Kate allein lebende Frau, die mit ihrer ruppigen Art die Klischees aus Märchen und
Aberglauben gleichermaßen aktiviert; erst durch einen zweiten Blick wird Anna zu einer
heilkundigen, ihre Umwelt genau beobachtenden Frau, die Maddas Familie zur Seite steht.
Mit Els Frowendienst, der Frau des Schlossers, führt Nina Blazon eine weitere verhaftete Frau
ein und zeigt die Doppelmoral der Anklagepolitik: Unter widrigen Umständen kann Els von
ihrem Mann Hans Frowendienst freigekauft werden. Eine Möglichkeit, die den anderen
beiden, bitterarmen Frauen nicht offen steht. Doch Hans Frowendienst ist in den Zünften der
Stadt angesehen. Zwar verweigert ihm Onofrius Humpis ein Darlehen, doch dessen
aufrechter, kluger und juristisch bewanderter Enkel springt heimlich ein: Zwischen Beno
Humpis sowie Hans und Els Frowendienst entsteht dadurch eine Allianz, die später im Roman
zentrale Bedeutung bei der Befreiung von Madda aus den Kerkern der Inquisition haben wird.
In diese Kerker gerät Madda durch Verrat: Der Roman setzt ein, als Ludius, der Sohn eines
Handelspartners, im Kaufmannshaus eintrifft und die Familie mit seiner vermeintlich
gewinnenden Art in die Irre führt. Er umgarnt Elisabeth, die Tochter des Hauses, und wird
dabei von deren Stiefmutter tatkräftig unterstützt. Aus Maddas Perspektive jedoch erfährt man
vom wahren Charakter des teuflischen Fremden: Er versucht sich dem Dienstmädchen mit
dem verführerischen roten Harr zu nähern und wird von Madda bestimmt zurückgewiesen.
Als Lucius bemerkt, dass Madda darüber hinaus sein Ränkespiel beobachtet und zu
durchschauen droht, ist es ihm ein leichtes, Madda loszuwerden: Er zeigt sie bei Heinrich
Kramer als Hexe an und tritt als Leumundszeuge auf. Während Madda bereits vor Gericht um
die Wahrheit kämpft, zeigt sich, dass Lucios Spiel noch weit perfider ist, als vermutet: Er
fingiert nach und nach Situationen, die letztlich ein scheinbar sehr klares Bild ergeben: Auch
Elisabeth, von Lucio aufs grausamste vorgeführt, gerät in den Verdacht, im Bund mit den
Hexen zu stehen …
Nina Blazon weiß solche Geschichten von Intrige und Verrat sehr klug zu verflechten.
Plötzlich passen nicht nur in der Wahrnehmung der Ankläger alle Puzzle-Steinchen
zusammen, sondern auch innerhalb des Erzählkonzeptes des Romans, der trotz seiner 500
Seiten nie an Spannung verliert. Wie bereits in vielen ihrer historischen Romane wählt sie
sich dafür auch hier Figuren, die an der Grenze zum Magischen liegen (könnten): Die
Russalka der russischen Märchentradition („Der Kuss der Russalka“, 2005), der
südosteuropäische Vampyr („Totenbraut“, 2009) oder die Bestie des Gevaudan („Wolfszeit“,
2012) führen die historischen Ereignisse mit den überreizten Phantasien der jeweiligen Zeitund Kulturräume zusammen. Und immer wird dabei auch eine Liebesgeschichte ins
Geschehen eingeflochten, die zahlreiche Irrungen und Wirrungen zu durchleben hat: Hier ist
es Martin Faber, der Lehrling in der Schmiede ihres Vaters, der Maddas Herz durch kleine
Gesten für sich gewinnt. Er ist es auch, der im spannungsreichen Finale zur treibenden Kraft
der Befreiungsaktion wird.
Doch trotz großer Emotion lässt Nina Blazon sich nicht zu falscher Romantik verleiten:
Madda kommt nicht unbeschädigt davon. Sie hat Folter durchlebt, die sich körperlich sichtbar
abzeichnet, und muss gemeinsam mit Martin fliehen. Und auch Beno Humpis steht in
mehrfacher Hinsicht vor den Trümmern eines nach Außen hin so untadeligen Daseins in der
reichen Oberstadt. Heinrich Kramer hingegen zieht weiter. Beno konnte er für seine
Interessen nicht einspannen. Nur für eine Zeit lang ließ der Enkel von Onofrius Humpis sich
überreden, als Gerichtsprotokollant für ihn zu arbeiten – wodurch das Wissen über den
Verlauf der Verfahren, die Befragungsmethoden- und protokolle, sowie die Vorgangsweise in
den Folterkellern aus der Perspektive einer reflektierenden Identitätsfigur in das Erzählen
eingewoben werden konnten. Denn Beno erteilt Heinrich Kramer eine klare Absage, als der
Dominikaner ihn als Mitarbeiter eines größeren Projektes gewinnen will: Doktor Institoris
plant „das gesamte Wissen über Hexen zu sammeln und in einem Buch zusammenzufassen.
In Zukunft werden alle Richter und Inquisitoren es als juristisches und theologisches
Standardwerk benutzen.“ (S. 121)
Heidi Lexe

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