Ruth Maria Kubitschek - RPI

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Ruth Maria Kubitschek - RPI
Ruth Maria Kubitschek: Sterne über der Wüste. Roman. München: LangenMüller 2011,154 S.
ISBN 978-3-7844-3274-8
Ruth Maria Kubitschek, die am 2. August 2011 ihren 80. Geburtstag feierte, gehört zu
den beliebtesten Schauspielerinnen im deutschsprachigen Raum. In den Filmen „Kir
Royal“, als Verlegerin, „Spatzl“ in „Monaco Franze“ und „Margot Balbeck“ in „Das Erbe
der Guldenbergs“ hat sie sich in die Herzen der Zuschauer gespielt. Aber sie ist auch
eine vorzüglich zu lesende Schriftstellerin. Mit ihrem neuesten Buch nimmt sie
wiederum ein Thema auf, das ihr besonders wichtig ist: Grenzen übergreifende
Spiritualität, Toleranz bei kultureller Verschiedenheit und Mut zur Liebe angesichts
schwieriger Situationen. Die Faszination der Wüste spielt hier die kontinuierliche
Hintergrundrolle. Besonders in der Nacht gibt es eine innere Verbindung zwischen den
von der Erde her Schauenden und den Sternen des Himmels.
Die Hauptperson dieser Geschichte ist die Wienerin Sophie von Contard. Als junge Frau begegnet sie in Indien
dem Marokkaner Tarik, der zu einem Berber-Stamm gehört. Ihre Liebe zueinander ist jedoch nur kurzfristig
möglich. Zugleich aber tritt dort der Bruder Tariks, Muad, in ihr Leben. Sie heiratet Muad, einen mystisch
geprägten Menschen, und entscheidet sich, mit ihm in dessen Heimat Marokko, in die Fluss-Oase des Draa-Tals
zu ziehen. Mit dieser geografischen Einzeichnung zwischen fruchtbarem Land und Wüste nimmt die Autorin
zugleich eine spirituelle Einzeichnung vor. Sophie gebiert einen Sohn, der in Wirklichkeit Tarik zum Vater hat.
Muad aber nimmt ihn, als wäre es sein eigener Sohn. Doch die Leser spüren: Muad „weiß“ mehr: Nach Jahren
des gemeinsamen Glücks fordert er – kurz vor seinem Tod – Sophie auf, den Mut zu haben, endlich ihre wahre
Liebe zu leben, die nicht ihm, sondern seinem Bruder Tarik gilt. Binjamin heiratet früh, wird Mediziner – und seine
Tochter, also die Enkelin von Sophie, nimmt eine Art Brückenfunktion ein. Binjamin, kommt am Schluss des
Romans von Wien nach Marrakesch, und Sophie kann mit Tarik den Neuanfang wagen.
Die Besonderheit dieser Geschichte aber ist Muad. Er gehört zu den Praktizierenden eines mystisch geprägten
Islam, dem Sufismus. Muad ist aber zugleich eine außergewöhnliche Persönlichkeit. Im Sinne des schlichten
Derwisch-Lebens gibt er seine Erfahrungen als „Einfachheit des Herzens“ an seine Schüler weiter. Muad ist aber
nun auch in die innere Beziehung von Sophie zu seinem verheirateten Bruder Tarik eingebunden. Hinzu kommt
Helena, die Enkelin Sophies und zugleich die „Großnichte“ Tariks. Die Spannung dieses Beziehungsdreiecks im
Roman erreicht erst kurz vor dem Tod Muads ihren Höhepunkt, als der weise Mann Sophie bittet, endlich den Mut
zu haben, ihre Liebe zu leben. Das aber führt zu neuen Komplikationen, denn der Berber-Clan, zu dem Muad
gehörte, fordert von der Christin Sophie, sofort das Haus zu verlassen, da nach Muads Tod aller Besitz an den
Clan zurückfällt und eine Frau, geschweige denn eine Christin, dort nicht erbberechtigt ist. Nun liebt aber Sophie
Muads Bruder Tarik. Und so muss ein Neuanfang in Marrakesch gewagt werden, und der gemeinsame Sohn
Binjamin wird nun bewusst Teil der Lebensgeschichte von Sophie und Tarik …
Was diesen Roman unter interreligiösen Gesichtspunkten so spannend macht, ist diese Art von Spiritualität und
Toleranz. Er baut eine Brücke zwischen den Kulturen. Er lädt ein, den Weg der Weisheit, jenseits der Dogmen zu
gehen. Die Autorin beginnt darum jedes der neun Kapitel ihres Romans mit dem Zitat eines Mystikers aus der
christlichen oder islamischen Tradition. Allein diese Weisheitssprüche sind Impulsgeber. Zusammen mit den
Gesprächen der verschiedenen Personen eröffnet sich, was Religion in ihrem tiefsten Wesen ausmacht. Dazu
einige Beispiele:
Zu der Bedeutung der Religionen (in den Worten von Muad): „Die verschiedenen Religionen werden sich
auf ihren Ursprung besinnen, ihr Herrschaftsanspruch wird verlöschen“ (S. 14)
Geheimes universales Wissen (in den Worten von Jusuph, dem Meister von Muad): „Sufis hat es immer
gegeben, in jeder Kultur, und wird es immer geben. Wir hüten das Geheime Wissen. Du musst wissen, unter
den Sufis gab es ehemalige zoroastrische, christliche, hinduistische und andere Priester. Perser, Griechen,
Ägypter, Araber und Engländer“ (S. 35).
Muad über die Kraft der Stille: „Nur in der Stille kann die Liebe Gottes in euer Wesen fließen“ (S. 49).
Muads Religion ist Dienen, die nicht unter dem Banner einer fixierten Religion steht, sie ist frei von jeglichen
Dogmatismus – (in den Worten Sophies): „Seine Religion [d.h. die Muads] ist … den Menschen zu dienen …
Er glaubt an Gott und auch an Allah als den einen großen göttlichen Geist, aber mehr glaubt er noch, dass
Gott in seinem Herzen wohnt“ (S. 134)
Gott als Überfluss und Liebe, wird konkretisiert an einem indischen Gebet, das für die spirituelle Basis
dieses Romans fast eine Schlüsselposition hat: „Ich weiß, dass ich Gottes erhabenes Kind bin. Jede
Bewegung des Heute ist erfüllt von Gott und von Gottes heiliger Liebe …“ (S. 139f).
Ruth Maria Kubitschek zeigt mit diesem Roman ihre eigenständige Spiritualität, die sich aus verschiedenen
Quellen speist. Es wäre kurzschlüssig zu meinen, hier entwickle sich ein neuer Synkretismus. Die Autorin mischt
nicht verschiedene religiöse Traditionen ineinander, sondern versucht dem Grund von Religion näher zu
kommen. Die Mystiker sind ihr dabei eine entscheidende Hilfe. Wichtig ist für sie, diese tief gelebte Spiritualität
über Familien und Clans hinweg, jenseits der etablierten Religionen zum Ausdruck zu bringen. Sie plädiert ohne
moralischen Druck dabei für eine aktive Toleranz, dass Religion zur Kraft des Friedens wird. Dass solches
Denken gerade im Islam beheimatet ist, wollen viele angesichts der Vorurteile gegenüber dieser Religion nicht.
sehen. Der Roman kann darum sehr gut die Basis für ein intra-religiöses Gespräch der Religionen sein, m.a.W.,
an dieser Geschichte zwischen Wien, Marokko und Indien lassen sich Bausteine für eine glaubwürdige
Begegnung mit anderen Religionen eröffnen. Es lohnt sich darum auch, „Sterne über der Wüste“ als Lektüre im
Religionsunterricht einzusetzen.
Reinhard Kirste, Rz-Kubitschek, 29.09.11

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