Bilder zur mystischen Andacht im Kloster Wienhausen

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Bilder zur mystischen Andacht im Kloster Wienhausen
Bilder zur mystischen Andacht im Kloster Wienhausen Unser Gemeindeausflug dieses Jahres führte uns ins Klos‐
ter Wienhausen bei Celle, das seit seiner Gründung im Jahre 1230 ununterbrochen bewohnt wird ‐ bis zur Re‐
formation von Zisterzienserinnen, danach von protestanti‐
schen Konventualinnen. Dieser Kontinuität ist es zu ver‐
danken, dass unvergleichliche Kunstwerke bis auf unsere Tage bewahrt wurden, die uns einen Einblick in die Glau‐
benswelt vergangener Jahrhunderte geben können. Bemerkenswert sind vier seinerzeit als heilsbringend und Wunder wirkend geltenden Christusdarstellungen, die das Ostergeschehen erlebbar machen sollen und den Rang Wienhausens als prominenten Wallfahrtsort in vorre‐
formatorischer Zeit erklären. So zeigen zwei davon, der kreuztragende und der gekreuzigte Christus, sichtbare Spuren der Verehrung, denn von der ursprünglichen Bemalung ist durch die vielen Berührungen der Gläubigen kaum noch etwas zu sehen. Und auch der heutige Betrachter ist von ihnen angerührt. Ein hohes Ziel der mittelalterlichen Frömmigkeit war es, durch Versenkung in das biblische Heilsgeschehen eine mystische Vereinigung mit Gott zu erreichen. Eine große Rolle spielte die Schmerzens‐ und Kreuzesmystik, bei der das inten‐
sive Nacherleben der Passion Jesu zur Teilhabe an Gott führen soll, aber auch die Brautmystik, bei der, hergeleitet von der Liebeslyrik im Hohen Lied Salomo‐
nis, die Kirche als Braut Christi gesehen wird, verkörpert durch die Jungfrau Maria. Ein Beispiel für Schmerzensmystik sehen wir im Schmerzensmann, dem wir uns durch das Mitleiden annähern können. Der Kreuztragende (ca. 1460) ist die jüngste der Christusdarstellungen. Zwei benagelte Bretter an seinem Rock‐
saum, die bei jedem Schritt die Qualen noch vergrößern, verstärken sehr drastisch das Gefühl des Mitleidens. Das Bild wurde im Kreuzgang aufgestellt, „damit es desto öfter und heilsamer beschauet werden könne“. Dem Gekreuzigten fehlen die Arme und es ist durchaus denkbar, dass diese abnehmbar gefertigt waren, denn es gab mancherorts den Brauch, dass die Figur während der Karfreitagsmesse vom Kreuz genommen und in das Grab gelegt wurde. Er entstand, wie auch der Grabchristus und der Auferstehen‐
de, im letzten Jahrzehnt des 13. Jahrhun‐
derts, und galt als das wirkmächtigste Gnadenbild des Wallfahrtsortes. Für das Antlitz des Grabchristus wird das Grabtuch von Turin als Vorlage vermutet, das zu jener Zeit in der Kathedrale von Besançon zu verehren war. Es ist belegt, dass durch die Pilgerströme des Mittelalters die Bilder von Reliquien aus allen En‐
den der christlichen Welt ihren Weg auch nach Wienhausen fanden. Der Grab‐
christus wurde 1448 in einen neuen Sarkophag eingebaut, der mit 30 Szenen aus der Heilsgeschichte bemalt ist. Der Sockelschrank unter dem Gnaden‐
bild diente an Karfreitag zum Bei‐
setzen des Kreuzes und der Hostie. Durch das Öffnen des Sarges wurde der Grabchristus sichtbar. Wenn zur Ostermesse der Sargdeckel geschlossen wurde, war darunter der leere Sarg sichtbar. In den Tür‐
chen an der Schmalseite ist links Gottvater zu sehen, wie er Jesus die Krone reicht und rechts Maria Magdalena, die ihm die Füße salbt. Als Bildwerk der Brautmystik tritt uns der Auferstehende entgegen, der ursprüng‐
lich seinen Platz auf dem Altar des Nonnenchores hatte, wo sich heute der Ma‐
rienaltar befindet. Er blickte hinüber zur Madonna an der gegenüberliegenden Fensterwand und den Nonnen, die dort saßen. In ihm erkennen wir den himmli‐
schen Bräutigam, der sich mit holdseligem Lächeln uns zuwendet. Die Madonna verkörperte als Kirche die himmlische Braut, die auf Christus wartet. Und ihr, wie der Kirche, gilt sein erstes Lächeln, ein Lächeln, dass von der Kathedrale von Reims aus seinen Siegeszug durch die Bildkunst des Mittelalters genommen hat. Wir kennen dieses Lächeln vom Verkündigungsengel in Magdeburg oder von den Darstellungen der klugen Jungfrau‐
en am Straßburger Münster. Eine Kirche, deren Stifter den Gläubigen mit diesem Lächeln entgegentritt, hat eine Zukunft. Jürgen Wulf