Abendspielzettel Elektroakustische Musik
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Abendspielzettel Elektroakustische Musik
H a l i m E l- D a bh Der Komponist und Musikethnologe Halim ElDabh wurde 1921 in Kairo geboren. Er ist ein Pionier der elektronischen Musik und machte 1944 erste Klangexperimente.1950 ging er in die USA, erforschte die Musik der amerikanischen Ureinwohner und studierte Komposition bei Aaron Copland und Irving Fine am Berkshire Music Center in Massachusetts. Ende der 1950er Jahre arbeitete El-Dabh am ColumbiaPrinceton Electronic Music Center in New York. Er komponierte elektronische Musik, Opern, Symphonien, Kammermusikwerke und Ballettmusiken für Martha Graham. Seine musikethnologischen Forschungen haben zum Einfluss arabischer, afrikanischer und sogar altägyptischer Elemente auf seine Musik geführt. Von 1969 bis 1991 war er Professor an der Kent State University Hugh A. Glauser School of Music in Ohio. Ma ze n H u s s e i n Mazen Hussein wurde 1972 in Aleppo, Syrien, geboren. Er studierte Bratsche, arabische Zither und Musiktheorie an der Musikhochschule in Damaskus. Von 1994 bis 2003 war er Mitglied des nationalen Symphonieorchesters von Damaskus, das international tourte. Neben der arabischen Musik und Kultur ist die elektroakustische Musik prägend für seine Werke. 2003 bis 2006 hat er am Conservatoire National de Musique de Toulouse bei Bertrand Dubedout elektronische Musik studiert. Husseins Komposition „Hommage“ wurde 2006 beim internationalen elektronischen Musikwettbewerb Bourges in Frankreich ausgezeichnet. Er gab zahlreiche Konzerte in Frankreich und im Nahen Osten. Seit 2006 lebt er in Berlin, wo er komponiert, unterrichtet, in mehreren Theaterprojekten mitwirkt und das ar-Rumi-Ensemble leitet. www.halimeldabh.com www.myspace.com/mazenhussein B ü l e n t Are l Der aus Istanbul stammende Komponist und Tontechniker Bülent Arel (1919-1990) studierte in Ankara und Paris, unterrichtete am Konservatorium von Ankara und war von 1951 bis 1959 erster musikalischer Leiter von Radio Ankara. 1959 lud ihn die Rockefeller Foundation ein, am Columbia-Princeton Electronic Music Center in New York mitzuwirken. 1962 arbeitete Arel mit Edgard Varèse an „Déserts“. Arel plante und installierte auch das elektronische Musikstudio an der Yale University in New Haven, Connecticut, wo er von 1961 bis 1970 lehrte. Außerdem gründete er den Studiengang für elektronische Musik in Stony Brook an der State University of New York, wo er von 1971 bis 1989 lehrte. Arel hat neben seiner elektronischen Musik auch Kammermusik, Vokalmusik und sinfonische Werke geschrieben. Meh m e t C an Özer Mehmet Can Özer wurde 1981 geboren. Er studierte Komposition an der Bilkent Üniversitesi in Ankara. Anschließend setzte er seine Studien in Komposition und in elektronischer Musik am Konservatorium in Genf bei Michael Jarrell und Rainer Boesch fort und studierte in Zürich bei Gerald Bennett. Seit 2005 ist er Hochschullehrer in Ankara. Er gewann mehrere Preise, seine Werke werden auf internationalen Festivals und Projekten vorgestellt. 2005 rief Özer in Ankara eine Konzertreihe mit elektronischer Musik ins Leben und er gibt Improvisationskonzerte in der Türkei. 2008 komponierte er Musik für Ernst Lubitschs Stummfilm „Die Austernprinzessin“ (1919). Özer hat eine eigene Software („Asure“) entwickelt, die er in seinen Konzerten anwendet. Gleichzeitig schreibt er auch für traditionelle Instrumente. www.mehmetcanozer.com I lh a n M i m a r o ǧ lu İlhan Mimaroğlu wurde 1926 in Istanbul geboren und starb 2012 in New York. Sein Vater war der berühmte Architekt Mimar Kemaleddin Bey. 1949 machte Mimaroğlu seinen Abschluss in Jura an der Ankara Üniversitesi. Mit einem Rockefeller-Stipendium ging er 1955 nach New York und studierte an der Columbia University Musikwissenschaft bei Paul Henry Lang und Komposition bei Douglas Moore. Außerdem arbeitete Mimaroğlu am Columbia-Princeton Electronic Music Center in New York. Er war hier Schüler von Vladimir Ussachevsky. Mimaroğlu komponierte Instrumentalwerke und elektronische Musik, die noch zu entdecken sind. Denn Karriere machte er vor allem als Schallplattenproduzent: Er arbeitete mit Jazz-Größen wie Charles Mingus, Freddie Hubbard, The Modern Jazz Quartet, Mose Allison, Sonny Sharrock und Don Pullen. Se t h Ayya z Seth Ayyaz lebt in London. Er widmet sich der Live-Electronik, der freien Improvisation, Noise sowie elektronischer und traditioneller arabischer Musik. Er spielt die arabische Flöte Nay, das Doppelrohrblattinstrument Ghaita und diverse arabische Handtrommeln. Ayyaz studierte elektronische und Computer-Musik an der City University London. Da er einen Hintergrund in Neurowissenschaft hat, interessiert ihn als Komponist die Wahrnehmung von Klängen in psychologischer und sozialer Hinsicht: Auf dem World Forum for Acoustic Ecology (2010) in Finnland hat Ayyaz eine „Hörmaschine“ präsentiert, die Fragmente islamischer Rituale erklingen ließ. In „Makharej“ (2009) hat er die Klanglichkeit des arabischen Alphabets erforscht, „Those That Fly“ (2003) behandelt den Raketenbeschuss auf Bagdad während des Irakkriegs. www.sethayyaz.zenithfoundation.com A lper Ma r al Alper Maral hat zuerst ein Studium an der School of Economics der Universität Istanbul abgeschlossen. Danach studierte er Musikwissenschaft und Komposition am Sozialwissenschaftlichen Institut der Ägais Universität in Izmir. Sein kompositorisches Oeuvre umfasst inzwischen mehr als 1000 Werke, die heute in der Türkei und auch außerhalb aufgeführt, veröffentlicht und verbreitet werden. Vielfach wurde er für seine Filmmusiken geehrt. Außer als Komponist arbeitet er auch als Wissenschaftler und Lehrer, unterrichtet elektroakustische Musik, Komposition und Musikwissenschaft. Musik und sozialer Kontext ist Thema vieler seiner Artikel. Neben Theater- und Filmmusikwerken, schreibt er auch Kammeropern, multimediale Kompositionen. Vor allem seine elektroakustischen Kompositionen mit der für ihn typischen dramatischen Konstruktion und der von ihm thematisierten wechselseitigen Beziehung von Musik und ihrem kulturellen Kontext haben ihn bekannt gemacht. Als Komponist ist er in verschiedenste Kontexte, Projekte und Ensembles eingebunden, so in dem Controle Voltage Projekt, dem Bornova Trio, A-415, Istanbul Baroque Community and Karinca Kabilesi, das von ihm gegründet wurde. Zurzeit lehrt er Komposition, Musikwissenschaft und Tontechnik an der Yıldız Technical University, Galatasaray University und der Bilgi University. ElEKtRoaKUstisCHEMUSIK 2 4 0 3 2 0 1 3 17 U H R HaUsDERBERlinERFESTSPIELE m a E R ZMU S IKf E s t i Va l F ÜR a K t U E l l EMU S IK [U m]B r ü che : Fr o m Mu s i q ue C o n crèt e to t he D i g ital Ag e Pioniere: Türkische und arabische Komponisten am Columbia-Princeton Electronic Music Center (1944 – 1965) H ALIM E L- DA B H Wire Recorder Piece (1944) Meditation in White Sound (1959) B ÜLE NT A R E L Stereo Electronic Music No. 1 (1961) ILH AN MIMAR O g LU Agony (1965) 2' 6‘ 10’ 9’ Die neue Generation: Elektroakustische Musik MA Z E N H U SS E IN Mémoire – Départ (2007) 13’ M E H M E T C AN Ö Z E R Leibniz’e (2009) 14’ S E T H AY YA Z The Remainder 12 ’ (2012) AL P E R MA R AL Theater Entropie (2011) 7’ Seth Ayyaz / Alper Maral / Oliver Schneller, Klangregie Berliner Festspiele ein Geschäftsbereich der Kulturverwaltungen des Bundes in Berlin GmbH Gefördert durch den Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien Intendant Dr. Thomas Oberender Kaufmännische Geschäftsführung Charlotte Sieben Künstlerischer Leiter Matthias Osterwold Organisationsleitung Ilse Müller Mitarbeit Ina Steffan / Chloë Richardson / Anna Christina Brünjes Programmberatung Oliver Schneller / Barbara Eckle / Volker Straebel Redaktion Melanie Uerlings / Barbara Barthelmes / Christina Tilmann Technische Leitung Matthias Schäfer / Andreas Weidmann Grafik Ta-Trung, Berlin Programm- und Besetzungsänderungen vorbehalten Das Gesamtprogramm mit Essays können Sie für 5 € in einer Box erwerben Wa s h abe n a r a b i s che u n d tü rk i s che K o m p o n i ste n u n d K o m p o n i st i n n e n e l ektr oa ku sti s cher Mu s i k g e m e i n sa m ? Es scheint zunächst ganz einfach: Sie sind „die Anderen“. Sie standen zunächst nicht in der Genealogie der zeitgenössischen Musik, dennoch waren sie unerwarteterweise von Anfang an dabei. Wie sie dies geschafft haben, ist eine andere, gleichwohl interessante Geschichte. Blenden wir den Zweiten Weltkrieg ein: Die meisten von ihnen haben diesen „Welt“-Krieg gar nicht unmittelbar miterlebt, daher fehlte ihnen gewissermaßen auch der Bezug zur sogenannten „Nachkriegskultur“. Dort waren gleichsam „kriegerische“ bzw. heftige Polarisierungen zu beobachten, die auch innerhalb der Geschichte der elektroakustischen Musik eine große Rolle spielten. Insbesondere die Auseinandersetzungen zwischen den Franzosen, den Anhängern der Musique concréte, die mit konkreten Klängen komponierten und eine traditionell musikalische wie auch narrative und poetische Klangsprache nicht ausschlossen und den Deutschen, den Verfechtern der puren Elektronischen Musik, die bevorzugt mit rein synthetischem Klangmaterial zunächst die Tradition des Serialismus fortschrieben. Eine Geschichte, die überall zu lesen ist. Wer sich hier nicht hineinmischte, das waren die Amerikaner, die wiederum – bezogen auf den Weltkrieg – bestrebt waren, an der Begründung einer neueren Weltordnung und einem globalisierten Forum, der UN, entscheidend mitzuwirken. In den USA entwickelte sich weitgehend unabhängig von den Entwicklungen in Europa die sogenannte Music for Tape. Zentrum der Music for Tape waren die Universitäten Columbia in New York und Princeton in New Jersey bzw. ihr gemeinsames Electronic Music Center, wo die Komponisten Vladimir Ussachevsky und Otto Luening einen speziellen Umgang mit dem Tonband in den Vordergrund stellten, um es als explizit neues Instrument gewinnen, das neue musikalische Möglichkeiten eröffnet. Eine weitere Schallplatte dieser Jahre ist: „Electronic Music: John Cage, Luciano Berio, İlhan Mimaroğlu“ (Turnabout TV 34046S, 1966) mit den Stücken „Fontana Mix“, „Visage“ und „Agony“, produziert von Mimaroğlu. Natürlich sind die Werke viel älter als ihre Veröffentlichungen und es gab viele weitere Schallplattenproduktionen. Was jedoch an der genannten Auswahl deutlich wird, ist der Stand der Dinge internationaler Beziehungen damals. Unbedingt erwähnt sei auch die Mitwirkung der beiden türkischen Komponisten Arel und Mimaroğlu an der Realisierung des wohl berühmtesten Stücks der elektronischen Musik „Poème électronique“ (sowie auch an „Déserts“) von Edgard Varèse. Auch bei der elektroakustischen Musik türkischer und arabischer Komponisten und Komponistinnen kann man eine Entwicklung postmoderner Musiksprache aus dem Geiste der Moderne verfolgen. Die erste Phase – die der Generation der Pioniere – ist gleichsam das Manifest der Begründung der elektroakustischen Musik aus dem Nichts, in der Stunde Null. Später entfalteten sich differenziertere Standpunkte und Diskurse um die Art und Weise des Komponierens, wie beispielsweise Systembezogenheit, Serialismus, räumliche Strukturideen oder auch kontinuierliche, dynamische Klanggewebe als kompositorische Einheit. In der zweiten Phase, welche die jüngere Generation betrifft, sind eklektische Grammatik und Materialwahl als dominierendes Kennzeichen einer zeitgemäßen Postmodernität anzutreffen. Abgesehen von seltenen Ausnahmen ist von einem kontinuierlichen Wandel von Generation zu Generation so gut wie nichts zu beobachten. Identitätsdiskurse sind entweder ganz persönlich oder anderen, „äußeren“ Faktoren zuzuordnen – wie zum Beispiel neueren Formaten, Genres und Aufführungsplattformen wie auch verschiedenen Ausbildungsinstitutionen oder natürlich auch der zunehmenden Vielfalt elektronischer Instrumente und Technologien. Auch das Gegenteil kann der Fall sein, die Negation, Ablehnung oder gar Verachtung all dieser Dinge. Ob etwas als postmodern zu bezeichnen ist, ist wieder fragwürdig – und Fluidmodernism oder Altermodernism klingen nur hübscher. Alper Maral Mém o i re St ere o E lec tr o n i c Mu s i c N o. 1 ... das Flüstern des Gebetes meiner Mutter ... das Radio meines Vaters ... die Geräusche der kleinen Straße in Aleppo. Als eine „Skulptur in Bewegung aus rein synthetischen elektronischen Klängen“ beschrieb Mario Davidovsky die Komposition seines türkischen Kollegen Bülent Arel (1919-1990) im Columbia-Princeton Electronic Music Center. Eine aus heutiger Sicht bewundernswerte Fleißarbeit aus einer Zeit, wo noch ohne Hüllkurvengeneratoren gearbeitet wurde. Alles wurde mit der Schere geschnitten und nach Partitur zusammengefügt. Den kontinuierlichen Texturen im Hintergrund stehen klar artikulierte Klänge gegenüber, die wie Äste herauswachsen. Sie bilden den kompositorischen Kontrast. „Stereo Electronic Music No. 1“ ist ein Schmuckstück der LP des Electronic Music Center. Utopien waren mitten im Kaltem Krieg ganz großgeschrieben. Es tauchten futuristische Klangvorstellungen auf, die sich von sämtlichen tiefverwurzelten Dogmen und zermürbenden Beschränkungen abendländischer Kulturdiskurse so weit wie möglich entfernten. Die elektroakustische Musik schien vor allem als neuer Werktisch zu dienen. Sie war weitgehend unbesetzt. Hier war Stunde Null – ein Punkt, an dem man einen „sauberen“ Neuanfang wagen konnte. Auf einer der ersten und weltweit verbreiteten Schallplatte der elektronischen Musik mit dem Titel „Electronic Music“ (Turnabout TV 34004S, 1964) findet man Namen wie İlhan Mimaroğlu, Walter Carlos, Andres Lewin-Richter und Tzvi Avni. Mimaroğlu ist ein Türke, Avni ein Israeli. Eine andere frühe Schallplatte in diesem Bereich ist die des „ColumbiaPrinceton Electronic Music Center“ (Columbia MS-6566, 1964). Sie enthält elektroakustische Frühwerke von Komponisten wie Bülent Arel (Türkei), Halim El-Dabh (Ägypten), Vladimir Ussachevsky (Mandschurei-USA), Mario Davidovsky (Argentinien), sowie Milton Babbitt (USA) und Otto Luening (mit deutschen Wurzeln). Das Columbia-Princeton Electronic Music Center in New York vereinte die Nationen. Gespenstisch mutet auch „Meditatiion in White Sounds“ von 1959 an. Extrem verlangsamte Glockenklänge verbinden sich mit Rauschartefakten und weisen in dieser Verbindung auf den Einfluss des damals am Center lehrenden Komponisten Otto Leuning hin. Stimmen und Gerüche duften in der Erinnerung. Vielleicht ist es die Nostalgie nach der Kindheit, die diese Stimmen wach gerufen und beschworen hat. Sie waren plötzlich einfach da: Die Stimmen wurden in polyphoner Struktur angeordnet. Die regelmäßig fließende Form imitiert den Rhythmus des syrischen Alltags. Er beginnt mit dem flüsternden Gebet in der Morgendämmerung. Langsam nehmen die Geräusche zu, verwandeln sich in Lärm, nehmen nach und nach wieder ab, bis sie mit dem letzten Gebet in der Abenddämmerung schließlich verstummen. In diesem Stück wurden ausschließlich akustische Stimmen benutzt, die entweder vor Ort oder im Studio aufgenommen wurden. Sie wurden teilweise bearbeitet, um dem Raum des Stückes seine Dimensionen (von nah bis fern) zu geben. Agony Halim El Dabh auf dem Ingenuity Festival, Cleveland 2009 w i re rec o r d er p i ece m e d i tat i o n i n w h i te s o u n d „Ta’abir al-Zaar“, die Schilderung einer HimmelsgottZeremonie von Halim El-Dabh (geb. 1921), später von ihm in „Wire Recorder Piece“umbenannt, stellt eine der frühesten Aufnahmen der elektroakustischen Musik überhaupt dar. El-Dabhs Tätigkeit am Ägyptischen Rundfunk ermöglichte ihm, mit früher analoger Audiotechnologie zu experimentieren. Wenn auch nur mit ganz elementaren, akustischen Klangeigenschaften wie Nachhall, Obertonspektren oder Raumresonanzphänomenen realisiert – wie man es später bei „I am sitting in a room“ von Alvin Lucier kennenlernen wird –, ist das Stück äußerst spektakulär in seiner Wirkung, eigentümlich und einzigartig. Auf der Suche nach dem „inneren Klang“ stieß El-Dabh durch die Verzerrungen des Klangs, welche durch dessen Aufnahme in einem Hallraum entstanden waren, zu einer „Gespensterversion“ des mittelöstlichen Singens, so der Komponist El-Dabh. Ilhan Mimaroğlu (1926-2012) ist nicht nur Kenner neuer Musik und Philosophie, sondern auch der Bildenden Kunst – viele seiner Stücke haben tiefe assoziative Verbindungen mit Werken von Jean Dubuffet, Jackson Pollock und Arshile Gorky. Dazu gehört auch „Agony“ (Visual Study No.4, after Arshile Gorky). Dieses Stück ist Ausdruck seiner Sympathie und Bewunderung gegenüber dem armenisch-amerikanischen Bildhauer und Zeichner und es ist ein Versuch, allein mit elektronischen Klängen dessen „explosive Spontanität“ wiederzugeben. Dé part Ausgangspunkt des Werkes ist ein arabischer Text, der 2003 vom Komponisten verfasst wurde und der in vier verschiedene Sprachen übersetzt wurde (Deutsch, Französisch, Norwegisch, Japanisch). Bei der Bearbeitung waren der jeweilige Klang und Rhythmus einer Sprache maßgeblich. Das Werk ist eine erste Annäherung an den Klangkörper Sprache, so Mazen Hussein. Le i b n i z’ e Für einige Philosophen beginnt die Philosophie mit einer Frage, die Gottfried Wilhelm Leipniz einst stellte: „Warum ist überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts?“. Dieses Stück basiert auf dieser Frage und spiegelt nach Mehmet Can Özers Aussage sein persönliches Erkennen und Wahrnehmungsvermögen wider, das nur in Klängen ausgedrückt werden könne. Alle Klänge wurden in einem Wald nördlich des Konservatoriums von Bourges und im Haus des Komponisten aufgenommen. Die Motivation zu dieser Komposition war, den Raum und die Grenzen seiner Wahrnehmung zu untersuchen, wie seine Tiefe, das Panorama, die Höhe und Distanz. Entweder natürliche Klänge in ihrem Kontext oder abstrakte, transformierte und mit Anderem assoziierte Klänge wurden dabei benutzt. Das Hauptziel dieses Prozesses ist, die unterbewussten Muster und Chiffren auf musikalische Art und Weise mit vielen verschiedenen Klangquellen auszulösen und schließlich eine einzigartige Klangumgebung zu erschaffen. The R e mai n d er Der Titel der Komposition von Seth Ayyaz bezieht sich auf die imaginäre Nummer, die nach allen möglichen mathematischen Divisionsprozessen übrigbleibt, der kleinste gemeinsame Nenner, der selbst nicht mehr unterteilbar ist und der – innerhalb der Debatten der Koranauslegung nicht unumstritten – gleichbedeutend mit der Entität Gottes ist. Metaphorisch ist dieser progressive Divisionsvorgang mit dem menschlichen Streben zu vergleichen, an dessen Ende Gott steht. Ayyaz erwähnt bestimmte nicht-sprachliche Buchstabenkombination, die vereinzelt und ohne Kommentar im Koran auftreten. Diese als AlMuqattaat bekannten im Text verstreuten Phoneme ließen für ihn in der Koranrezitation eine Dimension der Lautpoesie anklingen, die in ihrer syntaktischen Unbestimmtheit an Kurt Schwitters erinnere, und so auch maßgeblich die Bearbeitung des Stimmmaterials mit der Synthesesoftware SuperCollider in der Komposition von „The Remainder“ (entstanden in Zusammenarbeit mit Amira Ghazella) geprägt habe. The ater E nt r o p i e „Theater Entropie“ wurde für das Musiktheaterstück „Açık Pencere“ komponiert und von der Theatergruppe Entropi Tiyatro uraufgeführt. Der Text dieses Stückes, eine Bearbeitung von Umut Kırcalı, die auf diversen Texten von Samuel Beckett und August Strindberg basiert, ist das Ausgangsmaterial: Wie ein Zeitraffer fasst das elektroakustische Stück das Theatralische zusammen und eröffnet intermezzoartig den kurzen zweiten Akt des Musiktheaterstücks. Die Kompositionstechnik folgt der „alten Schule“: Es wurden bewusst Studioverfahren wie die vor 60 Jahren bevorzugt. „Theater Entropie“ ist ein Beispiel der sogenannten Textmusik, mit der ich mich seit einigen Jahren gründlich auseinandersetze. Alper Maral