Ermächtigung und Wannsee-Protokoll - Haus der Wannsee

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Ermächtigung und Wannsee-Protokoll - Haus der Wannsee
Ermächtigung und Wannsee-Protokoll:
Zu den Randbemerkungen und Stempeln Überlieferungsgeschichte und Fälschungsvorwurf gegen die zentralen Dokumente
Dr. Norbert Kampe
Direktor der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz
Das Protokoll der interministeriellen Besprechung vom 20. Januar 1942 über die „Endlösung der Judenfrage“ im
Gästehaus der SS Am Großen Wannsee 56-58 gilt seit der Entdeckung durch das Team des US-Anklägers
Robert Kempner in Berlin im Jahre 1947 zu Recht als ein Schlüsseldokument des Genozids an den europäischen
Juden. Aus dem Protokolltext geht ungeachtet aller Tarnfloskeln und gespreizter bürokratischer Sprache
eindeutig hervor, dass nach den bereits durchgeführten diversen Deportationen und Mordaktionen nun die
systematische Deportation und Ermordung aller europäischen Juden das Ziel der vereinten Anstrengungen
reichsdeutscher Judenpolitik sei.
Auf dieses Schlüsseldokument konzentrieren sich seit Jahren Alt- und Neonazis und deren ‚Historiker’. Diese so
genannten Revisionisten - ein weltweites Netz von sich in Buchpublikationen und im Internet gegenseitig
zitierenden selbsternannten ‚Historikern’ und ‚Experten’ - bestreiten oder verharmlosen den Völkermord. Dem
„Weltjudentum“ sei es international gelungen, sich durch Lügen und Fälschungen materielle und politische
Vorteile zu verschaffen, etwa zugunsten des Aufbaus eines jüdischen Staates in Palästina. Deutschland sei durch
historische Fälschungen zu immensen Zahlungen an Israel gezwungen worden und Deutschland solle in ‚ewiger
Schuldknechtschaft’ gehalten werden.
Auch für die Revisionisten ist also das Wannsee-Protokoll ein Schlüsseldokument. Sie versuchen, das Dokument
als Fälschung des aus Nazi-Deutschland als Jude geflohenen Juristen Kempner hinzustellen. Gelänge das, dann
würde - aus deren Sicht - bald auch der Glaube an das ‚Lügengebäude des Holocaust’ zusammenbrechen. Dabei
wird geflissentlich übersehen, dass von den Tätern selbst eine so große Zahl akribischer, bürokratischer
Dokumentationen ihrer eigenen Verbrechen überliefert wurde, dass - einmal ganz abgesehen von den
Zeugenaussagen überlebender Opfer, Zuschauer und den Ergebnissen juristischer Aufarbeitung der Verbrechen
-, auch ohne die Entdeckung des Wannsee-Protokolls an den Tatsachen des Völkermords keinerlei Zweifel
bestehen können. Das Fehlen eines schriftlichen „Führerbefehls“ zur Ermordung aller europäischen Juden ändert
ja auch nichts daran, dass mittels der neueren Forschung zum Zusammenwirken der Aktionen auf regionaler
Ebene und bei den Zentralinstanzen der Entscheidungsprozeß und die Abläufe beim Übergang zum
systematischen Völkermord in den Monaten bis zur Wannsee-Konferenz durchaus nachvollziehbar sind.
Es ist hier nicht der Ort, sich mit den revisionistischen Thesen zum Wannsee-Protokoll zu beschäftigen, die
zumeist aus einer Kombination von Pseudo-Sprachanalysen (angebliche Amerikanismen und in deutscher
Verwaltungssprache ungebräuchlicher Wendungen), abwegigen Interpretationen des Inhalts des Protokolls (z.B.
als Umsiedlungs- nicht aber als Mordprojekt) und Pseudo-kriminalistischen Untersuchungen (etwa zu Papier und
Schreibmaschine) zum überlieferten Dokument bestehen. Leider können die Revisionisten auch PseudoArgumente gegen die Echtheit des Protokolls aus Fehlern bei der Forschung beziehen. In einer absurden Logik
werden die Fehler in der Literatur zur Wannsee-Konferenz als Beweis gegen die Echtheit der Dokumente
verwendet.
Am Anfang dieser Reihe von Fehlern steht leider Robert Kempner selbst, der das Protokoll 1948 in den
Nürnberger „Wilhelmstraßen-Prozess“ gegen die leitenden Beamten in den Ministerien als Dokument NG-2586 G
einbrachte. 1961 veröffentliche er im Kontext des Eichmann-Prozesses in Jerusalem das Buch „Eichmann und
Komplizen“ (Europa Verlag, Zürich), in dem er die zentralen Dokumente abdruckte. Dabei mischte Kempner bei
der Präsentation der Dokumente verschiedene Verfahren: das Original nachahmende Abschriften, echte
Faksimile von Originalen und Kollagen aus Faksimile und Abschriften wechselten sich ab, ohne dieses Verfahren
kenntlich zu machen. Alle derart manipulierten Dokumente wurden im Buch als Faksimile präsentiert (vgl. dort
besonders S. 127f., 133-147, 150). Der Text selbst wurde dagegen immer korrekt nach dem Original
wiedergegeben.
Es bleibt ein Rätsel, warum Verfasser oder Lektorat dieses Verfahren wählten und ob überhaupt ein Bewusstsein
von der Unzulässigkeit und Angreifbarkeit einer solchen Publikation vorhanden war. Seitdem zitieren und
kommentieren Revisionisten das Protokoll mit Vorliebe nach Kempner, wo man schon auf den ersten Blick
erkennt, dass „SS“ nicht mit den Runen der originalen Schreibmaschinen des Reichssicherheitshauptamtes
getippt wurde. Auch in der Kommentierung unterliefen Kempner eine Reihe von handwerklichen Fehlern, die ein
Historiker oder Archivar wohl vermieden hätte.
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Es ist also eine nahe liegende Forderung, die zentralen Dokumente als Faksimile zu veröffentlichen und knapp
archivarisch zu kommentieren. (vgl. die Veröffentlichungen der Gedenkstätte: Peter Longerich, Die WannseeKonferenz vom 20. Januar 1942, Berlin 1998, S. 67ff., sowie die Farbreproduktionen in: Haus der WannseeKonferenz (Hg.), Villenkolonien in Wannsee 1870-1945, Berlin 2000, S.112-132.
Die Faksimiles gehen unter Vermeidung des Nürnberger und anderer Sekundärarchive direkt auf archivarische
Überlieferungen zurück. Die einzelnen Dokumente werden im Folgenden nach der historischen Reihenfolge
kommentiert:
Ermächtigungsschreiben Hermann Görings vom 31. Juli 1941
Das Ermächtigungsschreiben ist vom Historiker und Freien Mitarbeiter der Gedenkstätte Peter Klein im Jahre
2000 in Riga gefunden worden.
Im Ausstellungsdatum ist die Angabe des Tages handschriftlich eingetragen (31.) und im Faksimile nur noch
schwach erkennbar. Das Dokument ist eigenhändig von Göring unterzeichnet. Der Vergleich mit der in Nürnberg
1948 vorgelegten Fotokopie lässt auf die Existenz desselben Originals als Vorlage für die beiden Fotokopien
schließen. In der Rigaer Fotokopie sind drei Schichten handschriftlich aufgebrachter Blattzählungen der Akte
oben rechts zu erkennen, die beiden älteren Zählungen sind durchgestrichen.
Das Dokument verwendet keinen Briefbogen aus den verschiedenen Ämtern Görings, sondern ist offenbar in
Heydrichs Dienststelle geschrieben worden (Schreibmaschine mit SS-Rune). Nach bisheriger Erkenntnis hat
Heydrich diese Ermächtigung selbst verfasst und am Abend des 31. Juli 1941 persönlich Göring zur Unterschrift
vorgelegt. Der Text bezieht sich auf eine vorhergehende Ermächtigung durch Göring vom 24. Januar 1939, in
welcher zwecks Forcierung der Vertreibung eine „Reichszentrale für die jüdische Auswanderung“ unter Leitung
des Chefs der Sicherheitspolizei Reinhard Heydrich angeordnet wird. Heydrich wollte offenbar eine Kontinuität
seines Amtes in der Beauftragung zur „Lösung der Judenfrage“ seitens des Reichsmarschalls betonen. Hermann
Göring stand im fraglichen Zeitraum an zweiter Stelle der NS-Hierarchie. Adolf Hitler hatte Göring mit
umfangreichen Vollmachten ausgestattet, dazu gehörte auch die Koordination aller antijüdischen Maßnahmen.
Historiker haben diskutiert, was wohl ab diesen Zeitpunkt die Tarnfloskeln „Gesamtlösung der Judenfrage im
deutschen Einflussgebiet in Europa“ und „Endlösung der Judenfrage“ bedeuteten; also ab Ende Juli 1941 – gut
einen Monat nach dem Beginn der Massenerschießungen der Einsatzgruppen in der besetzten Sowjetunion –, da
die Deportationsziele und Mordmethoden erst im Verlaufe der Monate ab Oktober 1941 konkretisiert wurden. Ist
hier schon der Auftrag zur Deportation und Ermordung aller europäischen Juden erteilt worden, ohne dass bereits
die Details vorhersehbar waren?
Heydrich hat das Ermächtigungsschreiben Monate später zweimal zur Legitimation seiner Person und seines
Amtes breit gestreut. Die zur Wannsee-Konferenz Eingeladenen erhielten die Fotokopie im November 1941. Fünf
Tage nach der Konferenz, nämlich am 25. Januar 1942 sandte Heydrich Fotokopien an die Befehlshaber,
Inspekteure und Dienststellen der Sicherheitspolizei und des SD sowie an die Einsatzgruppen A bis D. In einem
Begleitschreiben bat er „um Kenntnisnahme und Beachtung“ seiner Beauftragung durch Göring und schloss mit
dem Satz: „Die vorbereitenden Arbeiten sind eingeleitet.“ (Staatsarchiv Lettland, a.a.O. Bl. 163, 165). Die
Ermächtigung vom 31. Juli 1941 wird durch Heydrichs spätere Verwendung zur höchsten schriftlichen
Legitimation für den Völkermord.
Erstes Einladungsschreiben Heydrichs an Luther vom 29. November 1941
Dieses und die folgenden Dokumente befinden sich im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes, Berlin,
R 100857, hier Bl. 188, Vor- und Rückseite. Diese Akte mit dem Titel „Endlösung der Judenfrage“ wurde zumeist
nach der Altsignatur zitiert: Inland II g 177, Laufzeit 1939-1943. Die ursprünglich beiden Hefte der später darin
zusammengefassten Akte (zwei einfache Klemm-Ordner) wurden gebildet im Referat D (für „Deutschland“, nach
dem Sturz Luthers im Februar 1943 aufgelöst und neuen Referaten Inland I und II zugeordnet, deshalb die
Altsign. „Inland II“, „g“ steht für „geheim“), das der Unterstaatssekretär Martin Luther leitete.
Der Eingangsstempel „D III“ mit dem folgenden Ablagevermerk steht für das „Judenreferat“, dem der
Legationsrat Franz Rademacher vorstand.
Es finden sich auf diesem und allen folgenden Dokumenten inklusive des Wannsee-Protokolls jeweils drei
Signaturschichten (Stempel mit fortlaufender Blatt-Zählung): Die ursprüngliche Blattzählung befindet sich in der
rechten, unteren Ecke - hier die Blatt-Zahl 372043 bzw. 372044. Offensichtlich wurde ein größerer Aktenbestand
fortlaufend paginiert. Das Heft 1 begann auf dem Klemm-Ordner mit der Zahl 371889.
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Dieser Blattzählung läuft eine zweite parallel (unten links bis unten Mitte) - hier die Zahl K210419 bzw. K210420,
vermutlich aufgestempelt bei der Umbettung der Blätter der diversen Klemmordner in größere Ringordner. Beide
Blattzählungen laufen gegen die Chronologie, d.h. im Klemm-Ordner wurden die neuen auf die älteren Vorgänge
geheftet. Im Zuge der endgültigen Bildung der Akte, wie sie heute besteht - nach Auskunft des Politischen
Archivs wurden die von den West-Alliierten beschlagnahmten Akten etwa 1955 an das deutsche Auswärtige Amt
in Bonn zurückgegeben - wurde die aktuelle Blattzählung oben rechts gestempelt, hier 188.
Die Akte „Endlösung der Judenfrage“ zeigt also die üblichen Signaturschichten vom Eingangsstempel mit der
Angabe des ersten Ablageortes im aktuellen Aktenbestand des Büros Rademacher. Vermutlich ab oder nach
1943 wurden diese als erledigt angesehenen Vorgänge an das zentrale Archiv der Behörde abgegeben, wo dann
spätere Signaturen aufgebracht wurden und Findbücher angelegt wurden. Das ist der übliche und dienstlich
geregelte Bearbeitungs- und Ablageweg einer Akte in einer preußisch-deutschen Behörde; eine Routine, die
jeder ausgebildete Archivar kennt.
Diese Hinweise hier haben eine wichtige Bedeutung im Kontext des revisionistischen Fälschungsvorwurfs gegen
das Wannsee-Protokoll, weil dann nämlich Robert Kempners Team hunderte von Seiten fortlaufend paginierter
Akten gefälscht haben müsste, um die Fälschung mitten in einer Akte zu platzieren - in der sich auch viele
originale handschriftliche Randbemerkungen und Paraphen der leitenden Beamten befanden, deren Echtheit an
diversen anderen, zeitgleichen Akten leicht zu überprüfen ist. Die formale Analyse der Geschichte der
Dokumente und der Aktenbildung gehört - neben der kriminologischen und der historisch-kritischen inhaltlichen
Analyse - zu den eindeutigen Beweisen gegen den Fälschungsvorwurf.
Die Fotografien (hochwertige Farb-Ektachrome) aus der Akte „Zur Judenfrage“ wurden im Jahre 1991 im Auftrag
der Gedenkstätte Haus der Wannsee-Konferenz zu Ausstellungszwecken im damals in Bonn befindlichen
Politischen Archiv angefertigt. Im Jahre 1996 habe ich die Akte dort eingesehen und die Übereinstimmung mit
unseren Ektachromen - der Vorlage für die unten folgenden Faksimile - festgestellt.
Transkription der handschriftlichen Vermerke (Absendervermerk des Amtes IV B 4 / Leitung Eichmann, oben
Stempel „Geheim“, der verspätete Eingangsstempel von D III mit Datum "23. Dez. 1941" wurde erst nach den
Randbemerkungen, vermutlich anlässlich der ersten Ablage aufgebracht):
Pg. [Parteigenosse] Rademacher
[Legationsrat Franz Rademacher, Leiter von D
III, dem sog. „Judenreferat“ in der Abteilung
„Deutschland“], bitte O-Gruf
[Obergruppenführer] Heydrich mitzuteilen,
daß ich erkrankt bin, ihm für seine
Einladung sehr danke und wenn irgend
möglich teilnehme. Bitte mir für die
Sitzung eine Aufzeichnung über unsere
Wünsche und Ideen anzufertigen, bitte
auch sofort St.S. [Staatssekretär Ernst von
Weizsäcker] zu unterrichten. [Paraphe
Luther] 4/12
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Links unten Vermerk von Rademacher:
Staatssekretär ist unterrichtet, Sitzung ist auf unbestimmte Zeit
verschoben.
[Paraphe Rademacher] 8/12
Zweites Einladungsschreiben Heydrichs an Luther vom 8. Januar 1942
Transkription der handschriftlichen Vermerke (Absendervermerk Chef der Sicherheitspolizei, Versand erfolgte
aus Prag, wo Heydrich als stellvertretender Reichsprotektor amtierte; oben roter Stempel „Geheim“,
Eingangsstempel mit Datum, 12. Januar 1942):
Oben:
1) Pg. Rademacher z. Kts [zur Kenntnis]
2) Wv. [Wiedervorlage] 18/1 [gestrichen], 19/1 morgens
[Paraphe Luther]
Rechts neben 1):
Vorgemerkt [Paraphe Rademacher] 14/1.
Unten:
D III 709.g [Ablagevermerk der ersten Einladung]
Sitzungsprotokoll soll noch eingehen. Vorerst z.d.A. [zu den
Akten]
[Paraphe Rademacher] 21/1.
Begleitschreiben Heydrichs bei Versendung des Konferenzprotokolls
am 26. Februar 1942
Das dem Begleitschreiben folgende Protokoll ist nicht datiert und nicht unterzeichnet. Durch Trennung des
Begleitschreibens vom Protokoll - wie das leider auch Kempner in der genannten Veröffentlichung von 1961 (S.
150) vornimmt - versuchen Revisionisten den Fälschungsvorwurf gegen das Protokoll zu untermauern.
Transkription der handschriftlichen Vermerke (Absendervermerk des Amtes IV B 4 / Leitung Eichmann, oben
roter Stempel „Geheime Reichssache!“, Eingangsstempel D III mit Datum 2. März 1942):
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Pg. Rademacher, bitte schriftlich mitzuteilen, daß Sie
Sachbearbeiter sind und teilnehmen werden. [Paraphe
Luther] 28/II [Luther hatte das Begleitschreiben mit
anhängenden Protokoll als „Geheime Reichssache“
vermutlich persönlich per Boten erhalten, erst später
wurde der Eingangsstempel aufgebracht.]
Politisches Archiv R100857, Bl. 165.
Besprechungsprotokoll
Im Protokoll ["Besprechungsprotokoll"] gibt es eine Reihe von Anstreichungen und Unterstreichungen, teils mit rotem
Buntstift, teils mit Bleistift. Es ist bisher nicht ermittelt worden, ob und welche Anstreichungen aus der Zeit von 1942
stammen oder erst nach 1947 angebracht wurden. Das Dokument lag auch bei von deutschen Gerichten geführten
Prozessen im Original vor. Es ist bekannte Praxis deutscher Richter, völlig ungeniert in Originalen Anstreichungen
vorzunehmen. Eine mir vorliegende, bei einem deutschen Gerichtsverfahren angefertigte Kopie der Akte „Zur
Judenfrage“ zeigt weniger Anstreichungen, als in der unten faksimilierte Fotografie des Protokolls von 1991.
Oben roter Stempel „Geheime Reichssache!“
Als handschriftlicher Vermerk findet sich nur auf der ersten Seite
des Protokolls, unten rechts, der Ablagevermerk „D. III.29.
g[eheime]. Rs. [Reichssache]“ - identisch mit dem
Ablagevermerk auf dem Begleitschreiben.
© Haus der Wannsee-Konferenz, Berlin 2011
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