Lifestyle in der Schwangerschaft

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Lifestyle in der Schwangerschaft
DIAGNOSTIK + THERAPIE
Lifestyle in der
Schwangerschaft
Teil 3: Sport, körperliche Aktivität, Sexualität
Peter Bung1, Sabine Hartmann2
In den Gesprächen vor oder während der frühen Schwangerschaft ist die Lebensführung ein zentrales Thema. Neben einer
gesunden Ernährung und einem verantwortungsbewussten
Umgang mit Genussgiften spielt hier die körperliche Bewegung
eine wesentliche Rolle. Was kann Frauen geraten werden, die
auf ihre Lieblingssportart auch in der Schwangerschaft nicht
verzichten möchten? Wann kann es sogar sinnvoll sein, die
körperliche Aktivität zu intensivieren? Diese Fragen werden
ebenso wie die nach Sexualität in der Schwangerschaft in
Teil 3 unserer Serie diskutiert.
Die Wechselbeziehungen zwischen
körperlicher Belastung und einer
Schwangerschaft sind sehr komplex.
Unter dem Strich lässt sich jedoch aus
den Ergebnissen zahlloser Studien ableiten, dass sportliche Betätigung
während der Schwangerschaft wegen
ihrer vielen Vorteile und ihrer kontrollierbaren Risiken nicht nur erlaubt,
sondern empfehlenswert ist.
Sport für Körper und Seele
Körperliche Aktivität in der Schwangerschaft hat nicht nur therapeutische und präventive Bedeutung,
sondern kann für die schwangere Frau
auch eine Vielzahl von anderen physischen und psychischen Funktionen
erfüllen und Bedürfnisse stillen. Zu
den physischen Vorteilen zählen die
Stärkung der Muskulatur und die Verbesserung der Fähigkeit, mit der
Schwerpunktverlagerung und dem
zusätzlichen Gewicht umzugehen,
wodurch wiederum Rückenschmerzen
reduziert werden können.
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Die Serie „Lifestyle
in der Schwangerschaft“
SCHWANGERENBERATUNG
Gynäkologische Praxisklinik, Bonn
Perinatalphysiologische
Forschungsabteilung, Klinik und
Poliklinik für Geburtshilfe,
Universitäts-Frauenklinik Zürich
FRAUENARZT ■ 46 (2005) ■ Nr. 4
Das Gefühl, auch während der
Schwangerschaft fit und agil zu bleiben, kann eine ebenso wichtige
Motivation darstellen wie der Wunsch
nach den sozialen Aspekten des
Miteinander und Gegeneinander beim
Sporttreiben. In einer Schwangerschaft, die häufig mit emotionalen
Umstellungen – gelegentlich bis hin
zu psychischen Krisen – einhergeht,
kann der Sport somit die Funktion
eines Stressableiters erfüllen. Sport
treibende Schwangere haben offenbar ein höheres Selbstbewusstsein
und leiden weniger unter körperlichen Unannehmlichkeiten als Frauen, die während der Schwangerschaft
keinen Sport treiben.
Wassergymnastik und
Schwimmen sind ideal
Dem Schwimmen bzw. der Wassergymnastik („aquatic exercise“)
kommt bei der Prävention und
Therapie ein besonderer Stellenwert
zu. Wenn die Schwangere bis zu den
Achseln im Wasser steht, muss sie nur
noch ein Zehntel ihres Körpergewichts tragen, was ein Gefühl der
Leichtfüßigkeit verleiht, gelenkschonend ist und wohltuend entspannend wirkt. Der Wasserdruck
wirkt gleichmäßig von allen Seiten
Teil 1:
Ernährung
(FRAUENARZT 2/2005)
Teil 2:
Genussgifte und Drogen
(FRAUENARZT 3/2005)
Teil 3:
Sport, körperliche Aktivität,
Sexualität
(FRAUENARZT 4/2005)
und drückt extravaskuläre Flüssigkeit
in den intravaskulären Raum. Dadurch steigt das Plasmavolumen, und
es kommt zu einer im Vergleich zu
Bedingungen an Land verstärkten
Diurese und Natriurese. Dieser physiologische Vorgang ist – neben dem bekannten günstigen Einfluss von
leichter körperlicher Betätigung bei
Ödemneigung – von praktischer Bedeutung bei der therapeutischen und
präventiven Reduktion von Ödemen.
Darüber hinaus erleichtert der Kühleffekt des Wassers die Thermoregulation bei Belastung. Bei einer mittleren Belastungsintensität reicht der
thermoregulatorisch puffernde Effekt
des Wassers aus, um den Feten vor
Überhitzung und damit vor einer
Blutunterversorgung zu schützen.
Dabei gelten Wassertemperaturen
von 28–30 °C als ideal. Die zunehmende Popularität pränataler
Aerobicprogramme im Wasser war
Anlass, das Trainingsprogramm
„Aqua-Fit“ auf seine Eignung für
Schwangere hin zu untersuchen. Die
gefundene sehr gute physiologische
Verträglichkeit für Mutter und Fet
und die hohe Akzeptanz rechtfertigt,
das Programm für Frauen mit komplikationslosem Schwangerschaftsverlauf uneingeschränkt zu empfehlen.
Für Frauen mit Gestationsdiabetes
stellt körperliche Aktivität ein weiteres Therapeutikum neben Insulin
und Diät dar. Bei der Behandlung des
Diabetes mellitus gilt regelmäßige
den Geburtsparametern signifikante
Unterschiede.
Sportliches Training wirkt
wahrscheinlich analgetisch
Sport als Therapiemaßnahme
bei Gestationsdiabetes
Auch weitere Untersuchungen mit
Sport treibenden Gestationsdiabetikerinnen kamen zu dem Schluss, dass
regelmäßige Bewegung und Aktivität,
etwa im Rahmen eines medizinisch
überwachten Sportprogramms, als
sinnvolles ergänzendes Therapeutikum eingesetzt werden kann.
Eindeutiger sind die Aussagen zur
Schmerzbewältigung während der
Schwangerschaft und unter der
Geburt. Varassi untersuchte 1989 die
Auswirkungen von körperlicher Belastung während der Schwangerschaft auf Beta-Endorphinwerte und
die Schmerzwahrnehmung unter der
Geburt. Sowohl bei den trainierten
Frauen als auch bei der Kontrollgruppe, die kein Ausdauertraining
während der Schwangerschaft absolviert hatte, stiegen die Beta-Endorphinwerte unter der Geburt an, bei
den trainierten Frauen jedoch signifikant stärker. Bemerkenswert ist die
Tatsache, dass die trainierten Frauen
den Wehenschmerz nach ihren Angaben auf einer visuell analogen Skala
statistisch signifikant weniger stark
empfanden als die untrainierten
Frauen. Neben den experimentell
nachgewiesenen positiven Auswirkungen auf die Analgesie sub partu
gibt es in einer eigenen noch nicht
veröffentlichten Untersuchungsreihe
Hinweise auf deutlich analgetische
Wirkungen physischer Aktivität während der Wehen unter gleichzeitigem
Ausschluss einer Gefahr für den Feten.
Die Vorbehalte gegenüber Sport als
Zusatztherapeutikum bei insulinbedürftigen Gestationsdiabetikerinnen
beruhen auf der Furcht, die Blutzuckersenkung mit Nachteilen für das
Kind zu erkaufen. Eine randomisierte Untersuchungsreihe sollte deshalb
nähere Auskunft über Nutzen und
mögliche Risiken geben. Darin unterzogen sich insulinpflichtige Gestationsdiabetikerinnen dreimal wöchentlich für dreimal 15 Minuten einer Belastung mit etwa 50 % der maximalen Sauerstoffaufnahme (VO2max) auf
einem Fahrradergometer. Ziel war es,
eine Euglykämie der Mutter herbeizuführen und die Risiken für den Feten zu reduzieren. Der Grundgedanke
war, dass über die Aktivierung großer Muskelgruppen durch ein kontinuierliches Verbrennen des erhöhten Blutzuckers eine verbesserte
Glukoseutilisation und ein Anstieg
der zellulären Insulinsensitivität erreicht werden kann.
Zwar blieb der Nüchternblutzucker
(NBZ) in der Untersuchungsgruppe
bei den wöchentlichen Messungen
geringfügig höher als in einer Kontrollgruppe, die mit Insulin behandelt wurde. Als äußerst positiv ist
dennoch zu bewerten, dass in beiden Gruppen die NBZ-Werte nach
kurzer Zeit unter der 105-mg/dlGrenze blieben und sich in beiden
Gruppen im Verlauf der Behandlung mit zunehmender Schwangerschaftsdauer ein weiter abfallender
Trend zeigte. Darüber hinaus stellte
sich heraus, dass sich der Glukosemetabolismus bei den Sport treibenden Gestationsdiabetikerinnen ebenso normalisierte wie in dem in herkömmlicher Weise mit Insulin behandelten Kollektiv. Schwangerschafts- und Geburtsverläufe beider
Gruppen zeigten weder bei Komplikationen, Schwangerschaftsdauer,
Entbindungsmodus, CTG noch bei
Bei Sportlerinnen dauern
die Geburten nicht länger
Körperliche Aktivität während der
Schwangerschaft hat keinen Einfluss
auf die Dauer der Schwangerschaft
sowie der Entbindung und auf die
Vitalität des Kindes bei der Geburt.
Über die Zusammenhänge zwischen
Gewichtszunahme der Mutter und
Geburtsgewicht des Kindes können
mangels korrekter Angaben über die
tägliche Energieaufnahme und die
Intensität der sportlichen Betätigung
keine eindeutigen Aussagen gemacht
werden.
Aus Untersuchungsergebnissen zur
Dauer der Wehen lässt sich lediglich
die als gesichert geltende Erkenntnis
ableiten, dass bei Frauen, die während der Schwangerschaft Sport treiben, die Wehen nicht länger dauern
als bei Frauen, die sich während der
Schwangerschaft keiner körperlichen
Belastung unterziehen. Ob Sport
während der Schwangerschaft einen
positiven Einfluss im Sinne einer
Verkürzung der Wehendauer hat, ist
umstritten.
Auch der Zusammenhang zwischen
Sport während der Schwangerschaft
und Entbindungsmodus wird kontrovers diskutiert, wobei dies aufgrund
der vielfältigen und häufig akuten
Indikationen für eine operative Entbindung wenig verwundern darf. Man
kann jedoch davon ausgehen, dass
eine gekräftigte Abdominal- und
Beckenmuskulatur sowie die Bereitschaft zu physischer Arbeit die
Wahrscheinlichkeit einer vaginalen
Entbindung erhöht.
DIAGNOSTIK + THERAPIE
sportliche Betätigung seit langem als
dritter Pfeiler in der Therapie.
Vorsichtsmaßnahmen
und Kontraindikationen
müssen beachtet werden
Körperliche Aktivität in der Schwangerschaft bietet bei normalen komplikationslosen Schwangerschaften
viele Vorteile. Verantwortungsvolles
Handeln bedeutet hier, die Schwangeren nicht nur über die Vorteile,
sondern auch über die Limitationen
von sportlicher Aktivität in der
Schwangerschaft aufzuklären. Darüber hinaus sollte einschränkend berücksichtigt werden, dass Frauen mit
absoluten und relativen Kontraindikationen, wie sie in Tabelle 1
und 2 aufgeführt sind, auf sportliche
Belastung während der Schwangerschaft verzichten sollten. In Tabelle 3
sind Symptome aufgelistet, bei denen auch Schwangere mit normalen
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DIAGNOSTIK + THERAPIE
Wann ist Sport
streng verboten?
Wann ist größte
Vorsicht geboten?
gynäkologisch
n fetaler Distress
n vorzeitige Wehentätigkeit
n hypotrophe, unsymmetrisch
gewachsene Feten
n Mehrlingsschwangerschaften
(mit Risiko zu vorzeitiger
Wehentätigkeit)
n Plazentainsuffizienz
n Uterusblutungen
n vorzeitiger Blasensprung
n inkompetenter Muttermundsverschluss/Zerklage
n Placenta praevia nach
der 26. SSW
internistisch
n Herz-(Kreislauf-)Krankheiten
n Hypertonie
n Krampfneigungen
n Nierenkrankheiten
n restriktive Lungenerkrankung
gynäkologisch
n intrauterine Wachstumsretardierung
internistisch
n Anämie
n mütterliche Arrhythmie
n Bronchitis
n schlecht eingestellter
Typ-1-Diabetes
n Hyperthyreose
ökotrophologisch
n Anorexia nervosa
n Bulimie
n extremes Über- (BMI >30) oder
Untergewicht (BMI<12)
orthopädisch
n Skelett- und Gelenkerkrankungen
Sonstiges
n Rauchen
Tab. 1: Absolute Kontraindikationen für
sportliche Betätigung in der Schwangerschaft.
Tab. 2: Relative Kontraindikationen für
sportliche Betätigung in der Schwangerschaft.
Gestationsverläufen eine körperliche
Belastung abbrechen sollten.
steigen, wobei das Blut nun verstärkt
zu den Muskeln und der Haut fließt.
Ist eine aerobe Energiebereitstellung
im Muskel nicht mehr gewährleistet,
kommt es zunächst im Körper der
Mutter und anschließend auch beim
Feten zum Laktatanstieg.
Leistungssport
in der Schwangerschaft
nur unter ärztlicher Kontrolle
Von zentraler Bedeutung und sehr
kontrovers diskutiert ist die Frage
nach der geeigneten Belastungsintensität (Huch & Erkkola 1990). Die
bei intensiver körperlicher Belastung
stattfindende Blutumverteilung hin
zur mütterlichen Muskulatur und
Haut darf nicht zu Lasten der fetoplazentaren Einheit gehen.
Mit der akuten Aufnahme einer physischen Leistung setzen kardiopulmonale, endokrine und metabolische
Adaptationsmechanismen ein, die
sich proportional zur Intensität, Dauer und Umfang der Belastung verhalten. In Ruhe beträgt das Herzminutenvolumen (HMV) etwa 5 l/min. Verdauungsorgane, Nieren, Gehirn und
Muskeln werden dabei etwa zu gleichen Anteilen durchblutet. Bei starker
physischer Belastung kann das HMV
um das Fünffache bis zu 25 l/min an-
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Die Sauerstoffaufnahme bzw. deren
Steady State ist als Maß für eine
tolerable Belastung nur umständlich
zu bestimmen. Da Sauerstoffaufnahme und Herzfrequenz jedoch parallel
ansteigen, lässt sich Letztere unter
Sportbedingungen als Begrenzungsparameter nutzen. Die amerikanische
Gesellschaft für Geburtshilfe und
Gynäkologie, ACOG, hat 2002 detaillierte Empfehlungen für Sport in der
Schwangerschaft publiziert und dort
unter anderem empfohlen, dass die
mütterliche Herzfrequenz nicht auf
mehr als 140 Schläge/min ansteigen
soll.
Diese Richtschnur stellt eine eher
vorsichtige Begrenzung dar und ist
auch im Interesse der Erhaltung der
kardiovaskulären Fitness kritisiert
worden (Artal 1991). Fallstudien von
Hochleistungssportlerinnen dokumentieren ebenfalls die Vereinbarkeit
eines intensivierten Trainings mit einer Schwangerschaft (Bailey et al.
1998, Bung et al. 1991) – wenn auch
im Rahmen einer ständigen
medizinischen Überwachung, die in
solchen Fällen obligat ist und die
Freizeitsportlerinnen in der Regel
nicht zur Verfügung steht.
Am besten sind
leichte Dauerbelastungen
Grundsätzlich gelten leichte bis
mittelgradige, regelmäßig ausgeübte
aerobe Sportarten, die große Muskelgruppen beanspruchen und von
rhythmischer Natur sind – auch aus
den beschriebenen Überlegungen bzw.
den Studienergebnissen – während
einer Schwangerschaft als vorteilhaft. Dabei sind kontinuierliche den
intermittierenden Belastungen (z.B.
Intervalltraining) vorzuziehen. Sportarten, bei denen das eigene Körpergewicht nicht oder nur teilweise
selbst getragen werden muss (z.B.
Schwimmen, Radfahren), sind den
Sportarten, bei denen dies nicht
möglich ist (z.B. Laufen, Aerobics),
im Allgemeinen vorzuziehen, insbesondere weil bei Letzteren der
Energieverbrauch und die Gelenkbelastung höher sind (Katz et al. 1990).
Ob die biomechanischen Schwin-
Wann muss der Sport
eingestellt werden?
gynäkologische Gründe
n vaginale Blutung
n vorzeitige Wehentätigkeit
n Abnahme von Kindsbewegungen
n Abgang von Fruchtwasser
sonstige Gründe
n Kurzatmigkeit
n Schwindel
n Kopfschmerzen
n Brustschmerzen
n Muskelschwäche
n Schmerzen oder Schwellung im
Unterschenkel (Thrombophlebitis ausschließen!)
Tab. 3: Warnsymptome, bei denen die
sportliche Aktivität sofort abgebrochen
werden muss.
Auf welche Sportarten
verzichtet werden sollte
Bei Rückschlagspielen (Squash,
Badminton, Tennis) kann der häufige Wechsel zwischen Bewegung und
abruptem Abstoppen kaum vermieden werden, der die Gelenke sehr beansprucht. Darüber hinaus werden
durch die Drehbewegungen beim
Schlagen die Bandscheiben in der
Lendenwirbelsäule erheblich belas-
tet. Da es bereits in der frühen
Schwangerschaft durch die verstärkte Ausschüttung von Relaxin und
Östrogen zu einer zunehmenden
Entspannung der Bänder kommt, erscheinen die physischen Belastungen, die sich aus den Rückschlagspielen ergeben, sowie das zusätzliche Risiko eines abdominalen
Traumas in der Schwangerschaft
als wenig geeignet. Auf Kampf(Karate, Judo) und so genannte Abenteuersportarten (Bungee,
Drachenfliegen, Fallschirmspringen) sollte ebenfalls wegen der Gefahr eines abdominalen Traumas sowie einer möglicherweise erheblich
erhöhten Ausschüttung von Katecholaminen, die zu frühzeitigen uterinen Kontraktionen führen können,
verzichtet werden.
Ähnlich wie bei den Rückschlagspielen werden bei allen Disziplinen
des weiblichen Kunstturnens (Boden, Sprung, Schwebebalken) die
Gelenke erheblich beansprucht. Beim
Stufenbarren und Schwebebalken ist
darüber hinaus ein erhöhtes Sturzrisiko gegeben. Dynamische Bewegungsmuster sowie schnelle Drehbewegungen, wie sie beispielsweise
auch beim Eiskunstlaufen vorkommen, bergen im zweiten und vor allem im dritten Trimenon das Risiko
von Nabelschnurumschlingungen.
Das Thema Reiten in der Schwangerschaft wird unter Experten kontrovers
diskutiert. Es gibt keine wissenschaftlichen Hinweise, dass Reiterin-
Welche Sportart in der
Schwangerschaft?
empfehlenswert
n Aqua-Fit
n Schwimmen
n spazieren gehen
n Rad fahren (Ergometer)
akzeptabel
n Aerobics
n Laufen
n Schnorcheln
n körperliche Aktivität bis
zu einer Höhe von 2.500 m
inakzeptabel
n Abenteuersportarten
n anaerobe Belastungen
(z.B. Sprints)
n Ballsportarten
n Kampfsportarten
n Krafttraining
n Sportarten mit
hohem Sturzrisiko
n Tauchen
Tab. 4: Einteilung verschiedener Sportarten
nach ihrer Eignung für Schwangere.
nen aufgrund einer durch diese Sportart bedingten strafferen Beckenbodenmuskulatur schwerere Geburten
haben als sportlich inaktive Schwangere. Durch das Sturzrisiko kann das
Reiten allerdings nicht zu den empfehlenswerten Sportarten in der
Schwangerschaft gerechnet werden.
DIAGNOSTIK + THERAPIE
gungsbelastungen beim Laufen während der Schwangerschaft problematisch sein können, ist nicht genau
bekannt. Deshalb gilt diese Sportart
nur bei Frauen als akzeptabel, die
schon vor der Schwangerschaft
regelmäßig gelaufen sind und eine
entsprechende muskuläre Stütze ihrer
Gelenke, ihres Beckenbodens und der
gesamten Rumpfmuskulatur aufgebaut haben. Als Richtschnur für das
Training sollte die individuelle
Belastungsintensität sowie Belastungsdauer aus der Zeit vor der
Schwangerschaft herangezogen werden, verbunden mit einem gesunden
subjektiven Einschätzungsvermögen
und entsprechenden Zugeständnissen an die Tagesform. Gutes Schuhwerk ist beim Laufen wichtig, um
ballistische Bewegungen abzufangen. Aufgrund von vergleichenden
Untersuchungen zwischen dem Laufen und der Ausübung von Aerobics
gilt Aerobics nur als zweitbeste
Alternative, weil hier im Gegensatz
zum Laufen fetale Tachykardien auftreten können (Poe 1993).
Vom Tauchen sollte wegen der
hyperbaren Bedingungen und des
Risikos einer fetalen Lungenembolie
bei Dekompression abgesehen werden. Schnorcheln gilt als relativ un-
FRAUENARZT ■ 46 (2005) ■ Nr. 4
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DIAGNOSTIK + THERAPIE
Reiten in der
Schwangerschaft?
Haben Sie bereits schwangere
Reiterinnen betreut? Dann
nehmen Sie bitte an unserer
Umfrage zum Thema
„Schwanger reiten“ teil!
Weitere Informationen zu der
Untersuchung und den kurzen Fragebogen finden Sie auf Seite 285.
gefährlich. Ein Saunabesuch bei
90–100 °C sollte während der
Schwangerschaft nicht länger als
10–20 Minuten dauern. Da sich die
Körpertemperatur dann nur um 1 °C
erhöht, ist keine fetale Hyperthermie
zu befürchten (Huch 1987). Der
Sprung ins kalte Wasser nach dem
heißen Bad sollte allerdings vermieden werden.
Von Gewichtheben jeglicher Art, bei
dem ein Valsalva-Manöver ausgeführt
werden muss, ist während der
Schwangerschaft dringend abzuraten. Gegen Aufenthalte und gemäßigte körperliche Aktivität in einer
Höhe bis maximal 2500 m ist
bei komplikationslosen Schwangerschaftsverläufen nichts einzuwenden.
Bedenken ergeben sich hier lediglich
bei Raucherinnen und Frauen mit
uteroplazentaren Funktionsstörungen, die über weniger Sauerstoffreserven für den Fetus verfügen als
andere Frauen (Baumann et al. 1985).
Buckelpisten sowie Tiefschnee sollten
beim alpinen Skilauf im Interesse
der Sicherheit von Mutter und Kind
gemieden werden.
Sexualität in der
Schwangerschaft
Die Datenlage zum Thema „Sexualität in der Schwangerschaft“ ist
ausgesprochen dünn. In den 20er
Jahren wurde vor einer Gefährdung
der Gesundheit und des Gedeihens
des Kindes gewarnt. Heute ist aus
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FRAUENARZT ■ 46 (2005) ■ Nr. 4
Befragungen bekannt, dass 90 % aller Frauen auch während der
Schwangerschaft und der Stillzeit
Geschlechtsverkehr ausüben. Erst im
zweiten bzw. im dritten Trimenon reduziert sich die Häufigkeit bzw. es
wird oraler oder analer Sex praktiziert. Postpartal reduzieren anfänglich Lochialfluss und Episiotomieschmerzen die Häufigkeit, später die
Rollenveränderung bzw. praktisch
der durch das Neugeborene veränderte Lebensrhythmus. Alles in allem
nehmen also mit zunehmender
Schwangerschaft bis in die Postpartalzeit die Lust auf und die Häufigkeit des Geschlechtsverkehrs normalerweise ab.
Manchmal fühlen sich Frauen genötigt, entgegen ihrem Wunsch Geschlechtsverkehr zu haben. Die folgende Beobachtung mag nicht repräsentativ sein, beleuchtet aber
einen Aspekt, der im Einzelfall durchaus wichtig sein kann: Obwohl bei
vielen Schmerzen und Unbefriedigtsein resultierten, akzeptierten nach
einer Umfrage aus Nigeria Frauen Verkehr in der Hoffnung, dass dieser die
Scheide erweitere, zu einer leichteren Geburt führe und damit das „fetal well-being“ erhöhe – und, nicht
unmaßgeblich: um den Ehemann ans
Haus zu binden.
Die tatsächlich fassbaren Risiken bestehen in möglicherweise verstärkten
uterinen Aktivitäten im Anschluss an
den Koitus sowohl bei sog. „HighRisk-Frauen“ (z.B. mit Tokolyse aufgrund vorzeitiger Wehentätigkeit) als
auch bei Nicht-Risiko-Schwangeren;
diese sind vergleichbar mit einer
durch körperliche oder sportliche
Aktivität ausgelösten Kontraktilität.
Dabei wird eine Assoziation zu
vaginalen Infektionen und zu vorzeitigem Blasensprung gesehen.
Ebenso physiologisch scheinen die
Änderungen der fetalen Herzfrequenz
unmittelbar im Anschluss an den Orgasmus, etwa im Sinne eines „unmonitorierten fetalen Stress-Tests“,
zu sein.
Zusammenfassend darf heute gesagt werden, dass bei unauffälliger
Schwangerschaft keine Einschränkungen nötig sind. Vorsicht ist geboten bei rezidivierenden Aborten
oder Fehlgeburten in der Anamnese
und auch in den letzten Wochen vor
der Geburt, da durch den Orgasmus
und die in der Seminalflüssigkeit enthaltenen Prostaglandine Wehen induziert werden können. Nach der
Entbindung können Kohabitationen
wieder aufgenommen werden, sobald
der Lochialfluss sistiert, die Episiotomienaht verheilt und Schmerzen abgeklungen sind.
Hier liegt sicherlich ein potentielles
und häufig nicht angesprochenes
Problemfeld für die Beziehung. Dabei
ist vornehmlich der Partner in seinem
Einfühlungsvermögen und seinem
Verständnis für die neue Situation
und die veränderte Rolle – „die Geliebte wird zur Mutter“ – gefordert.
Dieser Problemkreis sollte daher unbedingt Gegenstand der postpartalen
Beratung durch den Frauenarzt sein,
indem die Normalität einer veränderten sexuellen Beziehung angesprochen und erklärt wird.
Literatur bei den Autoren
Für die Autoren
Prof. Dr. Peter Bung
Gynäkologische Praxisklinik
Friedensplatz 9
D-53111 Bonn
E-Mail gyn-praxisklinik-bonn@
t-online.de