Lifestyle in der Schwangerschaft
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Lifestyle in der Schwangerschaft
DIAGNOSTIK + THERAPIE Lifestyle in der Schwangerschaft Teil 3: Sport, körperliche Aktivität, Sexualität Peter Bung1, Sabine Hartmann2 In den Gesprächen vor oder während der frühen Schwangerschaft ist die Lebensführung ein zentrales Thema. Neben einer gesunden Ernährung und einem verantwortungsbewussten Umgang mit Genussgiften spielt hier die körperliche Bewegung eine wesentliche Rolle. Was kann Frauen geraten werden, die auf ihre Lieblingssportart auch in der Schwangerschaft nicht verzichten möchten? Wann kann es sogar sinnvoll sein, die körperliche Aktivität zu intensivieren? Diese Fragen werden ebenso wie die nach Sexualität in der Schwangerschaft in Teil 3 unserer Serie diskutiert. Die Wechselbeziehungen zwischen körperlicher Belastung und einer Schwangerschaft sind sehr komplex. Unter dem Strich lässt sich jedoch aus den Ergebnissen zahlloser Studien ableiten, dass sportliche Betätigung während der Schwangerschaft wegen ihrer vielen Vorteile und ihrer kontrollierbaren Risiken nicht nur erlaubt, sondern empfehlenswert ist. Sport für Körper und Seele Körperliche Aktivität in der Schwangerschaft hat nicht nur therapeutische und präventive Bedeutung, sondern kann für die schwangere Frau auch eine Vielzahl von anderen physischen und psychischen Funktionen erfüllen und Bedürfnisse stillen. Zu den physischen Vorteilen zählen die Stärkung der Muskulatur und die Verbesserung der Fähigkeit, mit der Schwerpunktverlagerung und dem zusätzlichen Gewicht umzugehen, wodurch wiederum Rückenschmerzen reduziert werden können. 1 2 280 Die Serie „Lifestyle in der Schwangerschaft“ SCHWANGERENBERATUNG Gynäkologische Praxisklinik, Bonn Perinatalphysiologische Forschungsabteilung, Klinik und Poliklinik für Geburtshilfe, Universitäts-Frauenklinik Zürich FRAUENARZT ■ 46 (2005) ■ Nr. 4 Das Gefühl, auch während der Schwangerschaft fit und agil zu bleiben, kann eine ebenso wichtige Motivation darstellen wie der Wunsch nach den sozialen Aspekten des Miteinander und Gegeneinander beim Sporttreiben. In einer Schwangerschaft, die häufig mit emotionalen Umstellungen – gelegentlich bis hin zu psychischen Krisen – einhergeht, kann der Sport somit die Funktion eines Stressableiters erfüllen. Sport treibende Schwangere haben offenbar ein höheres Selbstbewusstsein und leiden weniger unter körperlichen Unannehmlichkeiten als Frauen, die während der Schwangerschaft keinen Sport treiben. Wassergymnastik und Schwimmen sind ideal Dem Schwimmen bzw. der Wassergymnastik („aquatic exercise“) kommt bei der Prävention und Therapie ein besonderer Stellenwert zu. Wenn die Schwangere bis zu den Achseln im Wasser steht, muss sie nur noch ein Zehntel ihres Körpergewichts tragen, was ein Gefühl der Leichtfüßigkeit verleiht, gelenkschonend ist und wohltuend entspannend wirkt. Der Wasserdruck wirkt gleichmäßig von allen Seiten Teil 1: Ernährung (FRAUENARZT 2/2005) Teil 2: Genussgifte und Drogen (FRAUENARZT 3/2005) Teil 3: Sport, körperliche Aktivität, Sexualität (FRAUENARZT 4/2005) und drückt extravaskuläre Flüssigkeit in den intravaskulären Raum. Dadurch steigt das Plasmavolumen, und es kommt zu einer im Vergleich zu Bedingungen an Land verstärkten Diurese und Natriurese. Dieser physiologische Vorgang ist – neben dem bekannten günstigen Einfluss von leichter körperlicher Betätigung bei Ödemneigung – von praktischer Bedeutung bei der therapeutischen und präventiven Reduktion von Ödemen. Darüber hinaus erleichtert der Kühleffekt des Wassers die Thermoregulation bei Belastung. Bei einer mittleren Belastungsintensität reicht der thermoregulatorisch puffernde Effekt des Wassers aus, um den Feten vor Überhitzung und damit vor einer Blutunterversorgung zu schützen. Dabei gelten Wassertemperaturen von 28–30 °C als ideal. Die zunehmende Popularität pränataler Aerobicprogramme im Wasser war Anlass, das Trainingsprogramm „Aqua-Fit“ auf seine Eignung für Schwangere hin zu untersuchen. Die gefundene sehr gute physiologische Verträglichkeit für Mutter und Fet und die hohe Akzeptanz rechtfertigt, das Programm für Frauen mit komplikationslosem Schwangerschaftsverlauf uneingeschränkt zu empfehlen. Für Frauen mit Gestationsdiabetes stellt körperliche Aktivität ein weiteres Therapeutikum neben Insulin und Diät dar. Bei der Behandlung des Diabetes mellitus gilt regelmäßige den Geburtsparametern signifikante Unterschiede. Sportliches Training wirkt wahrscheinlich analgetisch Sport als Therapiemaßnahme bei Gestationsdiabetes Auch weitere Untersuchungen mit Sport treibenden Gestationsdiabetikerinnen kamen zu dem Schluss, dass regelmäßige Bewegung und Aktivität, etwa im Rahmen eines medizinisch überwachten Sportprogramms, als sinnvolles ergänzendes Therapeutikum eingesetzt werden kann. Eindeutiger sind die Aussagen zur Schmerzbewältigung während der Schwangerschaft und unter der Geburt. Varassi untersuchte 1989 die Auswirkungen von körperlicher Belastung während der Schwangerschaft auf Beta-Endorphinwerte und die Schmerzwahrnehmung unter der Geburt. Sowohl bei den trainierten Frauen als auch bei der Kontrollgruppe, die kein Ausdauertraining während der Schwangerschaft absolviert hatte, stiegen die Beta-Endorphinwerte unter der Geburt an, bei den trainierten Frauen jedoch signifikant stärker. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass die trainierten Frauen den Wehenschmerz nach ihren Angaben auf einer visuell analogen Skala statistisch signifikant weniger stark empfanden als die untrainierten Frauen. Neben den experimentell nachgewiesenen positiven Auswirkungen auf die Analgesie sub partu gibt es in einer eigenen noch nicht veröffentlichten Untersuchungsreihe Hinweise auf deutlich analgetische Wirkungen physischer Aktivität während der Wehen unter gleichzeitigem Ausschluss einer Gefahr für den Feten. Die Vorbehalte gegenüber Sport als Zusatztherapeutikum bei insulinbedürftigen Gestationsdiabetikerinnen beruhen auf der Furcht, die Blutzuckersenkung mit Nachteilen für das Kind zu erkaufen. Eine randomisierte Untersuchungsreihe sollte deshalb nähere Auskunft über Nutzen und mögliche Risiken geben. Darin unterzogen sich insulinpflichtige Gestationsdiabetikerinnen dreimal wöchentlich für dreimal 15 Minuten einer Belastung mit etwa 50 % der maximalen Sauerstoffaufnahme (VO2max) auf einem Fahrradergometer. Ziel war es, eine Euglykämie der Mutter herbeizuführen und die Risiken für den Feten zu reduzieren. Der Grundgedanke war, dass über die Aktivierung großer Muskelgruppen durch ein kontinuierliches Verbrennen des erhöhten Blutzuckers eine verbesserte Glukoseutilisation und ein Anstieg der zellulären Insulinsensitivität erreicht werden kann. Zwar blieb der Nüchternblutzucker (NBZ) in der Untersuchungsgruppe bei den wöchentlichen Messungen geringfügig höher als in einer Kontrollgruppe, die mit Insulin behandelt wurde. Als äußerst positiv ist dennoch zu bewerten, dass in beiden Gruppen die NBZ-Werte nach kurzer Zeit unter der 105-mg/dlGrenze blieben und sich in beiden Gruppen im Verlauf der Behandlung mit zunehmender Schwangerschaftsdauer ein weiter abfallender Trend zeigte. Darüber hinaus stellte sich heraus, dass sich der Glukosemetabolismus bei den Sport treibenden Gestationsdiabetikerinnen ebenso normalisierte wie in dem in herkömmlicher Weise mit Insulin behandelten Kollektiv. Schwangerschafts- und Geburtsverläufe beider Gruppen zeigten weder bei Komplikationen, Schwangerschaftsdauer, Entbindungsmodus, CTG noch bei Bei Sportlerinnen dauern die Geburten nicht länger Körperliche Aktivität während der Schwangerschaft hat keinen Einfluss auf die Dauer der Schwangerschaft sowie der Entbindung und auf die Vitalität des Kindes bei der Geburt. Über die Zusammenhänge zwischen Gewichtszunahme der Mutter und Geburtsgewicht des Kindes können mangels korrekter Angaben über die tägliche Energieaufnahme und die Intensität der sportlichen Betätigung keine eindeutigen Aussagen gemacht werden. Aus Untersuchungsergebnissen zur Dauer der Wehen lässt sich lediglich die als gesichert geltende Erkenntnis ableiten, dass bei Frauen, die während der Schwangerschaft Sport treiben, die Wehen nicht länger dauern als bei Frauen, die sich während der Schwangerschaft keiner körperlichen Belastung unterziehen. Ob Sport während der Schwangerschaft einen positiven Einfluss im Sinne einer Verkürzung der Wehendauer hat, ist umstritten. Auch der Zusammenhang zwischen Sport während der Schwangerschaft und Entbindungsmodus wird kontrovers diskutiert, wobei dies aufgrund der vielfältigen und häufig akuten Indikationen für eine operative Entbindung wenig verwundern darf. Man kann jedoch davon ausgehen, dass eine gekräftigte Abdominal- und Beckenmuskulatur sowie die Bereitschaft zu physischer Arbeit die Wahrscheinlichkeit einer vaginalen Entbindung erhöht. DIAGNOSTIK + THERAPIE sportliche Betätigung seit langem als dritter Pfeiler in der Therapie. Vorsichtsmaßnahmen und Kontraindikationen müssen beachtet werden Körperliche Aktivität in der Schwangerschaft bietet bei normalen komplikationslosen Schwangerschaften viele Vorteile. Verantwortungsvolles Handeln bedeutet hier, die Schwangeren nicht nur über die Vorteile, sondern auch über die Limitationen von sportlicher Aktivität in der Schwangerschaft aufzuklären. Darüber hinaus sollte einschränkend berücksichtigt werden, dass Frauen mit absoluten und relativen Kontraindikationen, wie sie in Tabelle 1 und 2 aufgeführt sind, auf sportliche Belastung während der Schwangerschaft verzichten sollten. In Tabelle 3 sind Symptome aufgelistet, bei denen auch Schwangere mit normalen FRAUENARZT ■ 46 (2005) ■ Nr. 4 281 DIAGNOSTIK + THERAPIE Wann ist Sport streng verboten? Wann ist größte Vorsicht geboten? gynäkologisch n fetaler Distress n vorzeitige Wehentätigkeit n hypotrophe, unsymmetrisch gewachsene Feten n Mehrlingsschwangerschaften (mit Risiko zu vorzeitiger Wehentätigkeit) n Plazentainsuffizienz n Uterusblutungen n vorzeitiger Blasensprung n inkompetenter Muttermundsverschluss/Zerklage n Placenta praevia nach der 26. SSW internistisch n Herz-(Kreislauf-)Krankheiten n Hypertonie n Krampfneigungen n Nierenkrankheiten n restriktive Lungenerkrankung gynäkologisch n intrauterine Wachstumsretardierung internistisch n Anämie n mütterliche Arrhythmie n Bronchitis n schlecht eingestellter Typ-1-Diabetes n Hyperthyreose ökotrophologisch n Anorexia nervosa n Bulimie n extremes Über- (BMI >30) oder Untergewicht (BMI<12) orthopädisch n Skelett- und Gelenkerkrankungen Sonstiges n Rauchen Tab. 1: Absolute Kontraindikationen für sportliche Betätigung in der Schwangerschaft. Tab. 2: Relative Kontraindikationen für sportliche Betätigung in der Schwangerschaft. Gestationsverläufen eine körperliche Belastung abbrechen sollten. steigen, wobei das Blut nun verstärkt zu den Muskeln und der Haut fließt. Ist eine aerobe Energiebereitstellung im Muskel nicht mehr gewährleistet, kommt es zunächst im Körper der Mutter und anschließend auch beim Feten zum Laktatanstieg. Leistungssport in der Schwangerschaft nur unter ärztlicher Kontrolle Von zentraler Bedeutung und sehr kontrovers diskutiert ist die Frage nach der geeigneten Belastungsintensität (Huch & Erkkola 1990). Die bei intensiver körperlicher Belastung stattfindende Blutumverteilung hin zur mütterlichen Muskulatur und Haut darf nicht zu Lasten der fetoplazentaren Einheit gehen. Mit der akuten Aufnahme einer physischen Leistung setzen kardiopulmonale, endokrine und metabolische Adaptationsmechanismen ein, die sich proportional zur Intensität, Dauer und Umfang der Belastung verhalten. In Ruhe beträgt das Herzminutenvolumen (HMV) etwa 5 l/min. Verdauungsorgane, Nieren, Gehirn und Muskeln werden dabei etwa zu gleichen Anteilen durchblutet. Bei starker physischer Belastung kann das HMV um das Fünffache bis zu 25 l/min an- 282 FRAUENARZT ■ 46 (2005) ■ Nr. 4 Die Sauerstoffaufnahme bzw. deren Steady State ist als Maß für eine tolerable Belastung nur umständlich zu bestimmen. Da Sauerstoffaufnahme und Herzfrequenz jedoch parallel ansteigen, lässt sich Letztere unter Sportbedingungen als Begrenzungsparameter nutzen. Die amerikanische Gesellschaft für Geburtshilfe und Gynäkologie, ACOG, hat 2002 detaillierte Empfehlungen für Sport in der Schwangerschaft publiziert und dort unter anderem empfohlen, dass die mütterliche Herzfrequenz nicht auf mehr als 140 Schläge/min ansteigen soll. Diese Richtschnur stellt eine eher vorsichtige Begrenzung dar und ist auch im Interesse der Erhaltung der kardiovaskulären Fitness kritisiert worden (Artal 1991). Fallstudien von Hochleistungssportlerinnen dokumentieren ebenfalls die Vereinbarkeit eines intensivierten Trainings mit einer Schwangerschaft (Bailey et al. 1998, Bung et al. 1991) – wenn auch im Rahmen einer ständigen medizinischen Überwachung, die in solchen Fällen obligat ist und die Freizeitsportlerinnen in der Regel nicht zur Verfügung steht. Am besten sind leichte Dauerbelastungen Grundsätzlich gelten leichte bis mittelgradige, regelmäßig ausgeübte aerobe Sportarten, die große Muskelgruppen beanspruchen und von rhythmischer Natur sind – auch aus den beschriebenen Überlegungen bzw. den Studienergebnissen – während einer Schwangerschaft als vorteilhaft. Dabei sind kontinuierliche den intermittierenden Belastungen (z.B. Intervalltraining) vorzuziehen. Sportarten, bei denen das eigene Körpergewicht nicht oder nur teilweise selbst getragen werden muss (z.B. Schwimmen, Radfahren), sind den Sportarten, bei denen dies nicht möglich ist (z.B. Laufen, Aerobics), im Allgemeinen vorzuziehen, insbesondere weil bei Letzteren der Energieverbrauch und die Gelenkbelastung höher sind (Katz et al. 1990). Ob die biomechanischen Schwin- Wann muss der Sport eingestellt werden? gynäkologische Gründe n vaginale Blutung n vorzeitige Wehentätigkeit n Abnahme von Kindsbewegungen n Abgang von Fruchtwasser sonstige Gründe n Kurzatmigkeit n Schwindel n Kopfschmerzen n Brustschmerzen n Muskelschwäche n Schmerzen oder Schwellung im Unterschenkel (Thrombophlebitis ausschließen!) Tab. 3: Warnsymptome, bei denen die sportliche Aktivität sofort abgebrochen werden muss. Auf welche Sportarten verzichtet werden sollte Bei Rückschlagspielen (Squash, Badminton, Tennis) kann der häufige Wechsel zwischen Bewegung und abruptem Abstoppen kaum vermieden werden, der die Gelenke sehr beansprucht. Darüber hinaus werden durch die Drehbewegungen beim Schlagen die Bandscheiben in der Lendenwirbelsäule erheblich belas- tet. Da es bereits in der frühen Schwangerschaft durch die verstärkte Ausschüttung von Relaxin und Östrogen zu einer zunehmenden Entspannung der Bänder kommt, erscheinen die physischen Belastungen, die sich aus den Rückschlagspielen ergeben, sowie das zusätzliche Risiko eines abdominalen Traumas in der Schwangerschaft als wenig geeignet. Auf Kampf(Karate, Judo) und so genannte Abenteuersportarten (Bungee, Drachenfliegen, Fallschirmspringen) sollte ebenfalls wegen der Gefahr eines abdominalen Traumas sowie einer möglicherweise erheblich erhöhten Ausschüttung von Katecholaminen, die zu frühzeitigen uterinen Kontraktionen führen können, verzichtet werden. Ähnlich wie bei den Rückschlagspielen werden bei allen Disziplinen des weiblichen Kunstturnens (Boden, Sprung, Schwebebalken) die Gelenke erheblich beansprucht. Beim Stufenbarren und Schwebebalken ist darüber hinaus ein erhöhtes Sturzrisiko gegeben. Dynamische Bewegungsmuster sowie schnelle Drehbewegungen, wie sie beispielsweise auch beim Eiskunstlaufen vorkommen, bergen im zweiten und vor allem im dritten Trimenon das Risiko von Nabelschnurumschlingungen. Das Thema Reiten in der Schwangerschaft wird unter Experten kontrovers diskutiert. Es gibt keine wissenschaftlichen Hinweise, dass Reiterin- Welche Sportart in der Schwangerschaft? empfehlenswert n Aqua-Fit n Schwimmen n spazieren gehen n Rad fahren (Ergometer) akzeptabel n Aerobics n Laufen n Schnorcheln n körperliche Aktivität bis zu einer Höhe von 2.500 m inakzeptabel n Abenteuersportarten n anaerobe Belastungen (z.B. Sprints) n Ballsportarten n Kampfsportarten n Krafttraining n Sportarten mit hohem Sturzrisiko n Tauchen Tab. 4: Einteilung verschiedener Sportarten nach ihrer Eignung für Schwangere. nen aufgrund einer durch diese Sportart bedingten strafferen Beckenbodenmuskulatur schwerere Geburten haben als sportlich inaktive Schwangere. Durch das Sturzrisiko kann das Reiten allerdings nicht zu den empfehlenswerten Sportarten in der Schwangerschaft gerechnet werden. DIAGNOSTIK + THERAPIE gungsbelastungen beim Laufen während der Schwangerschaft problematisch sein können, ist nicht genau bekannt. Deshalb gilt diese Sportart nur bei Frauen als akzeptabel, die schon vor der Schwangerschaft regelmäßig gelaufen sind und eine entsprechende muskuläre Stütze ihrer Gelenke, ihres Beckenbodens und der gesamten Rumpfmuskulatur aufgebaut haben. Als Richtschnur für das Training sollte die individuelle Belastungsintensität sowie Belastungsdauer aus der Zeit vor der Schwangerschaft herangezogen werden, verbunden mit einem gesunden subjektiven Einschätzungsvermögen und entsprechenden Zugeständnissen an die Tagesform. Gutes Schuhwerk ist beim Laufen wichtig, um ballistische Bewegungen abzufangen. Aufgrund von vergleichenden Untersuchungen zwischen dem Laufen und der Ausübung von Aerobics gilt Aerobics nur als zweitbeste Alternative, weil hier im Gegensatz zum Laufen fetale Tachykardien auftreten können (Poe 1993). Vom Tauchen sollte wegen der hyperbaren Bedingungen und des Risikos einer fetalen Lungenembolie bei Dekompression abgesehen werden. Schnorcheln gilt als relativ un- FRAUENARZT ■ 46 (2005) ■ Nr. 4 283 DIAGNOSTIK + THERAPIE Reiten in der Schwangerschaft? Haben Sie bereits schwangere Reiterinnen betreut? Dann nehmen Sie bitte an unserer Umfrage zum Thema „Schwanger reiten“ teil! Weitere Informationen zu der Untersuchung und den kurzen Fragebogen finden Sie auf Seite 285. gefährlich. Ein Saunabesuch bei 90–100 °C sollte während der Schwangerschaft nicht länger als 10–20 Minuten dauern. Da sich die Körpertemperatur dann nur um 1 °C erhöht, ist keine fetale Hyperthermie zu befürchten (Huch 1987). Der Sprung ins kalte Wasser nach dem heißen Bad sollte allerdings vermieden werden. Von Gewichtheben jeglicher Art, bei dem ein Valsalva-Manöver ausgeführt werden muss, ist während der Schwangerschaft dringend abzuraten. Gegen Aufenthalte und gemäßigte körperliche Aktivität in einer Höhe bis maximal 2500 m ist bei komplikationslosen Schwangerschaftsverläufen nichts einzuwenden. Bedenken ergeben sich hier lediglich bei Raucherinnen und Frauen mit uteroplazentaren Funktionsstörungen, die über weniger Sauerstoffreserven für den Fetus verfügen als andere Frauen (Baumann et al. 1985). Buckelpisten sowie Tiefschnee sollten beim alpinen Skilauf im Interesse der Sicherheit von Mutter und Kind gemieden werden. Sexualität in der Schwangerschaft Die Datenlage zum Thema „Sexualität in der Schwangerschaft“ ist ausgesprochen dünn. In den 20er Jahren wurde vor einer Gefährdung der Gesundheit und des Gedeihens des Kindes gewarnt. Heute ist aus 284 FRAUENARZT ■ 46 (2005) ■ Nr. 4 Befragungen bekannt, dass 90 % aller Frauen auch während der Schwangerschaft und der Stillzeit Geschlechtsverkehr ausüben. Erst im zweiten bzw. im dritten Trimenon reduziert sich die Häufigkeit bzw. es wird oraler oder analer Sex praktiziert. Postpartal reduzieren anfänglich Lochialfluss und Episiotomieschmerzen die Häufigkeit, später die Rollenveränderung bzw. praktisch der durch das Neugeborene veränderte Lebensrhythmus. Alles in allem nehmen also mit zunehmender Schwangerschaft bis in die Postpartalzeit die Lust auf und die Häufigkeit des Geschlechtsverkehrs normalerweise ab. Manchmal fühlen sich Frauen genötigt, entgegen ihrem Wunsch Geschlechtsverkehr zu haben. Die folgende Beobachtung mag nicht repräsentativ sein, beleuchtet aber einen Aspekt, der im Einzelfall durchaus wichtig sein kann: Obwohl bei vielen Schmerzen und Unbefriedigtsein resultierten, akzeptierten nach einer Umfrage aus Nigeria Frauen Verkehr in der Hoffnung, dass dieser die Scheide erweitere, zu einer leichteren Geburt führe und damit das „fetal well-being“ erhöhe – und, nicht unmaßgeblich: um den Ehemann ans Haus zu binden. Die tatsächlich fassbaren Risiken bestehen in möglicherweise verstärkten uterinen Aktivitäten im Anschluss an den Koitus sowohl bei sog. „HighRisk-Frauen“ (z.B. mit Tokolyse aufgrund vorzeitiger Wehentätigkeit) als auch bei Nicht-Risiko-Schwangeren; diese sind vergleichbar mit einer durch körperliche oder sportliche Aktivität ausgelösten Kontraktilität. Dabei wird eine Assoziation zu vaginalen Infektionen und zu vorzeitigem Blasensprung gesehen. Ebenso physiologisch scheinen die Änderungen der fetalen Herzfrequenz unmittelbar im Anschluss an den Orgasmus, etwa im Sinne eines „unmonitorierten fetalen Stress-Tests“, zu sein. Zusammenfassend darf heute gesagt werden, dass bei unauffälliger Schwangerschaft keine Einschränkungen nötig sind. Vorsicht ist geboten bei rezidivierenden Aborten oder Fehlgeburten in der Anamnese und auch in den letzten Wochen vor der Geburt, da durch den Orgasmus und die in der Seminalflüssigkeit enthaltenen Prostaglandine Wehen induziert werden können. Nach der Entbindung können Kohabitationen wieder aufgenommen werden, sobald der Lochialfluss sistiert, die Episiotomienaht verheilt und Schmerzen abgeklungen sind. Hier liegt sicherlich ein potentielles und häufig nicht angesprochenes Problemfeld für die Beziehung. Dabei ist vornehmlich der Partner in seinem Einfühlungsvermögen und seinem Verständnis für die neue Situation und die veränderte Rolle – „die Geliebte wird zur Mutter“ – gefordert. Dieser Problemkreis sollte daher unbedingt Gegenstand der postpartalen Beratung durch den Frauenarzt sein, indem die Normalität einer veränderten sexuellen Beziehung angesprochen und erklärt wird. Literatur bei den Autoren Für die Autoren Prof. Dr. Peter Bung Gynäkologische Praxisklinik Friedensplatz 9 D-53111 Bonn E-Mail gyn-praxisklinik-bonn@ t-online.de