ABSINTH – WAS IST DRAN, AN DER GRÜNEN FEE?

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ABSINTH – WAS IST DRAN, AN DER GRÜNEN FEE?
ABSINTH – WAS IST DRAN, AN DER GRÜNEN FEE?
Spätestens seit den Kinoerfolg von „Moulin Rouge“ und
„From Hell“ ist er sprichwörtlich wieder in (fast) aller
Munde, der Absinth. Den wenigsten ist allerdings
bekannt, dass das alte Absinthgesetz aus dem Jahre 1923
(für Deutschland) bereits 1981 aufgehoben wurde.
Lediglich die Aromenverordnung verbot hierzulande die
Verwendung des Grundstoffes Wermutöl. Seit 1991, nicht
wie oft fälschlicherweise berichtet 1998, ist ein
reglementierter Thujon-Anteil wieder zulässig. Mit dem
Beschluss vom 27.09.1991 wurde auch in Deutschland in
Angleichung einer EU-Richtlinie1 die Zulässigkeit von 5 mg
Thujon pro kg Körpergewicht in alkoholischen Getränken
von bis zu 25 Vol % und bei Likören auf bis zu 35mg/kg
festgelegt.
Doch um was handelt es sich dabei nun genau?
Absinth ist ein alkoholisches Getränk, zu dessen Herstellung u.a. ein Extrakt aus dem
Wermutkraut (lt. Artemisia absinthium, engl. wormwood) verwendet wird.
Üblicherweise handelt es sich hierbei um ein Produkt von smaragd-grüner Farbe mit
ausgesprochen bitterem Geschmack. Absinth enthielt und enthält über 50
Volumenprozent Ethanol und wird schon aus diesem Grund in der Regel verdünnt
und mit Zuckerbeimengungen konsumiert. Bei eben dieser Verdünnung kommt es zu
einer opaleszierenden Weißfärbung, welche zu verschiedenen Trinkritualen geführt
hat.
Ein Bestandteil, der auch zu einem gewissen Maße für
den bitteren Geschmack verantwortlich ist, ist das
erwähnte Wermutkraut. Dessen Hauptwirkstoffe sind
Absinthin, Anabsinthin und ein etherisches
Öl,
welches sich in allen Teilen der Pflanze findet.
Wermutöl, die Essenz des Wermutkrauts also, enthält
40 bis 70 Prozent Thujon, daneben Thujalkohol,
Absinthin, Phellandren, Cadinen, Pinen, Azulen, Cineol
und Salicylsäure (Römpp). Bittermacher ist der
Inhaltsstoff Absinthin, der noch in einer Verdünnung
von 1 zu 70.000 wahrgenommen werden kann.
Außerdem rufen die Nervengifte Thujon und
Phellandren Krämpfe hervor und können zu schweren
Degenerationserscheinungen
am
zentralen
Nervensystem führen. In Tierversuchen sollen kleine
Gaben von Wermutöl leichte Muskelzuckungen,
größere Gaben sogar klonische (rasch aufeinanderfolgende, kurz anhaltende)
Krämpfe bedingen.
Da aber der Absinth knapp hundert Jahre in beinahe ganz Europa verboten war, sind
die vorhandenen Publikationen mit Vorsicht zu sichten, da diese größtenteils sehr alt
sind und eine gewisse Objektivität vermissen lassen.
Aus diesem Grund folgt nun die chemische Betrachtung des Absinths und seines
neben des hohen Ethanolgehalts Hauptwirkstoffs:
Thujon (C10H16O, M=152,25 gmol-1).
Dieses ist ein Vertreter der Gruppe der Monoterpene. Dazu gehören unter anderem
auch das Geraniol, welches für den charakteristischen Duft des Rosenöls
verantwortliche ist. Des weiteren zählen das in Zitronenöl vorkommende Citral, oder
auch noch, als vielleicht bekanntester Vertreter, das Menthol, welches aus
Pfefferminzöl gewonnen wird, zu dieser Gruppe. Gemeinsamkeiten finden sich in der
chemischen Struktur und am augenscheinlichsten in ihrem Vorkommen in
Pflanzenölen.
Thujon
Geraniol
Citral
CH2OH
O
Menthol
CHO
OH
Im Absinth ist in erster Linie das Stereoisomer alpha-Thujon als aktiver Bestandteil zu
sehen, wobei das beta-Thujon meist in höherer Konzentration vorliegt2.
α-Thujon
β-Thujon
CH3
CH3
O
H3C
CH3
O
H3C
CH3
In Tierversuchen wurde eine Modulation des Gamma-Amino-buttersäure-(GABA)
Rezeptors an Nervenzellen vorgefunden. Unter anderem wurden in diesen
Experimenten eine Verringerung der toxischen Thujon-Wirkungen durch Diazepam
(angstlösendes Mittel) und Phenobarbital (Barbiturat) festgestellt. Die Wirkung
ähneln dem GABA-Antagonisten Picrotoxin. Ein Insektenstamm, der eine Resistenz
gegen Picrotoxin und GABA-blockierende Insektizide aufweist, zeigt auch Resistenz
gegen Thujon. Der Angriffspunkt von Thujon am GABA-Chlorid-Ionen-Kanal wurde
entdeckt, ebenso die Tatsache, dass die Wirkungen von Gamma-Aminobuttersäure
auf das Rattenhirn durch alpha-Thujon behindert werden kann. Diese Einflüsse zeigt
Ethanol nicht.
Beschriebene klinische Symptome bei Absinth-Missbrauch (nach Vogt und Montagne)3
Gelegentliche Aufnahme:
Zentrales Nerven System: Erregung gefolgt von Depression; Gehobene Gemütslage, dann
Stimmungsverschlechterung; Auditive und visuelle Halluzinationen; Anstieg der Libido.
Chronische Aufnahme (Abusus):
Haut: Haarausfall, bleiches Teint
Sensorische Organe: Schädigung des Sehnerves, Schwindel,
Ohrprickeln, Taubheit.
Zentrales Neervensystem: Erregung, gefolgt von tiefer
Depression;
Auditive
und
visuelle
Halluzinationen;
Kopfschmerz; epileptiforme Krämpfe;
Psychosen; Demenz; Ataxie; Schlaflosigkeit; Verlust der
Libido; lärmendes und aggressives Verhalten; Angst;
Gesichtszucken (Tics); Fehlbewegung und
Lähmung von Lippen und Zunge.
Atmung: röchelnd.
Magen-Darm-Trakt: Mundtrockenheit, morgendliche Übelkeit
und Erbrechen, Appetitlosigkeit
Nieren: Urämie
Warum sollte aber eine Droge, die krampferregend und toxisch ist, begehrenswerte
Eigenschaften haben, wie sie sich in den Beschreibungen über den Absinth finden?
Die angebliche, halluzinogene Wirkung der früheren Absinth-Produkte mit hohem
Thujon-Gehalt wurde zeitweise auf die chemische Strukturähnlichkeit zwischen
Thujon und Tetrahydrocannabiol (THC), dem Wirkstoff des Marihuana zurückgeführt.
Eine geringe Strukturähnlichkeit kann dafür als Indiz verwendet werden. Del-Castillo
et al. vermuteten daher in einem Beitrag für „Nature“ (1976)4 für beide Substanzen
einen
gemeinsamen
Rezeptor
im
zentralen
Nervensystem. Nach der Entdeckung des CB1Cannabinoid-Rezeptors
konnten
diese
Thesen
überprüft werden. Cannabinoid-Anagonisten müssen
Cannabinoide am Rezeptor verdrängen. Ähnliches gilt
für den CB2-Rezeptor. Dies wurde 1999 wiederum in
Ratten-experimenten durchgeführt. In der Tat
bestätigten sie einen Einfluss auf die CannabinoidRezeptoren, allerdings nur in sehr hohen Dosierungen.
In
solche
Dosierungen
dürften
Blut–ThujonKonzentrationen nur bei massiver Vergiftung auftreten.
Beim gewöhnlichen Absinthtrinker dürfte nach diesen
Ergebnissen die Aktivierung von CannabinoidRezeptoren keine Rolle spielen. Das Verhalten der
Tiere zeigte im Experiment im Übrigen keine
cannabinoid-relevanten
Veränderungen
wie
Schmerzdämpfung und Hypermobilität.
THC
Thujon
O
OH
O
n-C5H11
Im Gegensatz zu den Cannabinoiden wirkt Thujon wie Picrotoxin erregend. Eine
solche Substanz kann stimmungshebend und antidepressiv wirken (Olsen, 2000)5.
Nach der Meinung des Autors können die angstauslösenden und möglicherweise
aktivierenden Eigenschaften der GABA-Antagonisten den angstlösenden, sedativen
aber auch amnestischen Effekten von Drogen wie Benzodiazepinen und Alkohol
entgegenstehen.
Es bestünde also die Möglichkeit, dass im Absinth eine gewisse Balance zwischen
der Wirkung des Thujons und der des Alkohols, die ja hinreichend bekannt ist,
besteht, wobei einige Auswirkungen abgeschwächt oder gar aufgehoben werden.
Diese Theorie würde die angeblich einzigartige - da zu den übrigen Spirituosen
unterschiedliche - Wirkung des Absinths zumindest teilweise erklären.
Sicherlich nicht zu Unrecht weisen eine Reihe von
Untersuchungen auf das Verhältnis zwischen Ethanolgehalt
und Gehalt an Thujon hin. Bei einem dermaßen hohen
Ethanolgehalt wird die Aufnahme von Thujon automatisch
limitiert. Dann wäre wieder die Ethanolwirkung zu
favorisieren. Thujon müsste bereits in ungewöhnlich
geringer Dosierung seine Wirkung entfalten bzw. müsste in
höherer Konzentration im Getränk enthalten sein.
Max6 bemerkte zu diesem Diskussionspunkt: "Die
Destillierung von Wermutkraut ergibt eine Ernte von 0,27
bis 0,40 Prozent des dunkelgrünen Öls. Die typischen
Absinth-Rezepte verwenden etwa 2,5 kg der Pflanze pro
100 Litern erstrebtem Absinth. Wenn man dies auf einen Drink umrechnet, würden
sich 4,4 mg Wermutöl bzw. maximal 2 mg Thujon ergeben. Das liegt unter dem
Level, wo akute pharmakologische Wirkungen beobachtet werden."
Doch wie lassen sich die Vergiftungserscheinungen wie Erblindung und Todesfälle
aus der Zeit erklären, in der der Absinth noch ungehemmt und vor allem
unkontrolliert konsumiert wurde? Ein Ansatzpunkt ist
die Vermutung, dass
minderwertiger Alkohol (wie Methanol) bei der Herstellung zum Einsatz kam und dies
vor allem den notorischen Trinkern zum Verhängnis wurde.
Fazit: Der Absinth ist zurück, vor allem wenn man den Lifestyle Glauben schenkt.
Dem Mythos von der grünen Fee, ob sie nun Kylie Minogue ähnlich sieht oder nicht,
kann jedoch das heutige Getränk nicht gerecht werden. Es können jedoch auch nicht
alle Zweifel an der halluzinogenen Wirkung des Absinths verifiziert werden, denn das
krampferregende und cerebrale Potential ist, wenn auch in geringer Konzentration
vorhanden.
Harald Guldan
Abbildungen (in order of appearance)
V. van Gogh „Stilleben“
Artemisia absinthium
P. Picasso „Absinthtrinker“
Maigan „Die grüne Fee“
E. Degas „Der Absinth“
Literatur
1
EU (1988) Richtlinie des Rates vom 22.06.1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der
Mitgliedsstaaten über Aromen zur Verwendung in Lebensmitteln und über Ausgangsstoffe für ihre
Herstellung. Amtsblatt L184 vom 15.07.1988
2
Hold, KM; Sirisoma, NS; Ikeda, T; Narahashi, T; Casida, JE; (2000) Alpha-thojone (the aktive
component of absinthe): gamma-aminobutyric acid type A receptor modulation and metabolic
detoxification. Proc Nat Acad Sci 97:3826-3831
3
Vogt, DD; Montagne, M; (1982) Absinthe: behind the emerald mask. Int J Addict 17:1015-1029
4
Del-Castillo, J; Anderson, M; Rubottom, GM; (1975) Marijuana, absinthe and the central nervous
system. Nature 253:365-366
5
Olsen, RW; (2000) Absinthe and gamma-aminobutyric acid receptors. Proc Acad Sci 97:4417-4418
6
Max, B; (1990) TiPS 11:58-60