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Denkt man an Psychobilly, denkt man an MAD SIN. Die Berliner sind Vorreiter eines musikalischen Genres, das nach langen Jahren der
Underground-Existenz derzeit einen wahren Boom erlebt. Mit DEAD MOON haben Koefte deVille und Co. nach vielen wegweisenden Scheiben
erneut ein echtes Brett vorgelegt und wie so oft dem Horror textlich Ausdruck verliehen. Wir haben den mächtigen Lead-Sänger zum neuen
Werk und zu seiner Horror-Leidenschaft befragt.
D
er Dead Moon ist eine Metapher für den derzeitigen Stand der Welt“,
beantwortet Koefte die Frage nach dem Albumtitel. Eigentlich nicht
verwunderlich dieses Statement, ziert das Cover des neuesten Werks
von MAD SIN nicht nur ein ziemlich tot aussehender Mond, sondern
auch Kriegsflieger, Bomben und zerstörte Häuser. „Eigentlich sollte das
Album ‚Babylon Babies’ heißen, doch da sind uns TURBONEGRO mit
einem ähnlichen Titel zuvor gekommen“, ergänzt der Sänger. Das aber
auch jener Titel nicht die politischen Untertöne verleugnen kann, die die
Berliner immer wieder in ihre Songs integrieren, ist deutlich erkennbar.
Ungewöhnlich für die eigentlich so unpolitische Psycho-Szene. „Wir
sehen uns textlich eben sehr dem Horror-Genre verbunden“, erklärt
Koefte, „guck die Filme von FRANKENSTEIN bis DAWN OF THE DEAD an.
Bei denen schwingt überall die Sozialkritik mit. Auch wir haben am
Anfang, wie viele Psycho-Bands, eher Fun-Horror-Texte geschrieben,
aber wenn man sich näher mit den besseren Horror-Filmen und Büchern
beschäftigt und die Aussagen erkennt, dann will man das auch in seine
Texte integrieren.“ Dass Koefte durchaus politische Texte schreibt, wird in
neuen Songs wie beispielsweise APES ON PARADE deutlicht, der laut
Koefte die Rückentwicklung der menschlichen Intelligenz beschreibt.
„Am Ende entwickeln wir uns wieder zum Affen“, lacht Koefte, „aber man
kann es auch so sehen, dass die Menschen die ganze Welt zerstört haben
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und am Ende die Affen die Kontrolle übernehmen. Der Text spielt jedenfalls in der Zukunft und ist natürlich von PLANET OF THE APES beeinflusst.“
Die Zeiten, in denen Koefte jedoch stumpf Filmhandlungen nacherzählte,
sind längst vorbei, wie der Sänger bestätigt: „Spätestens seit dem Album
GOD SAVE THE SIN haben wir uns viel mehr Gedanken gemacht über
das, was wir singen. Heute vermischen wir Ideen von Horror-Geschichten
mit unseren eigenen Gedanken. Oder ich kreiere sogar eigene Stories,
z.B. vom U-Bahn-Fahren, was für mich selbst der totale Horror ist.“
Das es kaum eine Psychobilly-Band gibt, die ohne die bekanntesten
Protagonisten des Horror-Genres auskommt, ist auch Koefte bewusst.
Seine Erklärung für diese Tatsache zeigt erneut, dass das SzeneUrgestein sich viel intensiver mit der Materie auseinander gesetzt hat als
viele seiner Kollegen: „Psychobilly kommt ja aus dem Rockabilly, der in
den Fünfzigern in den USA entstand. Damals waren viele Filme im Kino,
die die Angst vor einem Atom-Krieg oder vor dem schnellen Fortschritt
der Wissenschaft behandelten, mit Marsmenschen, Mutanten, etc. Die
Neo-Rockabilly-Szene der Siebziger hat die Musik und die Filme der Zeit
einfach zusammen übernommen, das war irgendwie cooler als einfach
nur Love-Stories zu erzählen“, erklärt Koefte. „Die CRAMPS waren eine
der ersten Bands, die das gemacht haben, später im Jahrzehnt kamen
dann die METEORS und es ging mit Psychobilly richtig los.“
Gerade in den späten Siebzigern und den frühen Achtzigern war das
Thema Atom-Krieg bzw. Kalter Krieg ja ähnlich präsent wie in den
Fünfzigern, vielleicht auch ein Grund für die Verbindung aus Billy und
Horror? „Das ist durchaus möglich“, bestätigt Koefte, „die METEORS z.B.
waren auch stark von den ersten Mad Max Filmen beeinflusst, die ja in
der Zeit nach einem Atomkrieg spielten. Und sogar Gothic-Bands wie JOY
DIVISION oder alte BAUHAUS haben diese Endzeitstimmung verarbeitet.
Die Ähnlichkeiten zwischen Fünfzigern und frühen Achtzigern sind definitiv da.“
Vergleiche können dadurch auch zur heutigen Kulturlandschaft gezogen
werden, in der Horrorfilme und Psychobilly erneut einen Boom erfahren
und die Angst vor Krieg und Terror allgegenwärtig ist. „Das ist absolut
so“, stimmt Koefte zu, „das sieht man auch in anderen Szenen und bei
Bands wie AFI oder MY CHEMICAL ROMANCE, die ebenfalls diese
Düsternis transportieren. Das erinnert mich auch an frühe CURE, BAUHAUS, etc. Auch eine Band wie TIGER ARMY hat durch die Verbindung
aus Horror-Themen und romantisch-düsterem Sound genau jetzt einen
solchen Erfolg. Es passt eben zur Stimmung, mal abgesehen davon, dass
die Band einfach großartig ist.“
Den richtigen Zeitpunkt haben endlich auch MAD SIN erwischt, die nach
Jahren von ihrer Musik leben können und die glücklicherweise als
Initiatoren mit von der Psychobilly-Popularität profitieren: „Seit unserer
Koeftes Lieblings-Bands:
Koeftes Lieblings-Horrofilme
Misfits (Danzig-Phase)
The Cramps
The Damned
Lords of the New Church
Bauhaus
Meteors
Johnny Cash
Hank Williams
Nosferatu (Murnau)
Freaks
Universal Classic Monster Filme
Night of the living Dead
Dawn of the Dead (Romero)
Texas Chainsaw Masscre 1 & 2
The Shining
Dawn of the Dead (Remake)
Major-Label Scheibe SWEET & INNOCENT? … LOUD & DIRTY? haben wir
uns eine viel professionellere Arbeitshaltung angeeignet und speziell ich
will nichts mehr anderes machen als Vollzeit-Musiker zu sein, um an
unseren Songs zu feilen. Den letzten Alben ist die verstärkte Arbeit auf
jeden Fall anzumerken“, freut sich der Sänger. Gerade im direkten
Vergleich von DEAD MOON CALLING und der kurz vorher erschienenen
Compilation YOUNG, DUMB & SNOTTY (1988-1993) fallen die
Unterschiede sehr auf. „Wir wissen erst jetzt, wie man Ideen richtig
umsetzt und Alben schreibt, die nicht nur auf Partys funktionieren, sondern auch dann, wenn man sich richtig Zeit nimmt, die Songs auf
Kleinigkeiten zu untersuchen“, ist Koefte überzeugt, „Wir integrieren jetzt
auch Dinge wie Steel-Guitars oder Keyboards, um einen vielschichtigeren
Sound zu kreieren.“ Dabei kommt wiederum die Horror-Affinität der Band
zum Tragen: „Ich weiß, dass viele Fans es eher straight und auf die Fresse
mögen, aber ich stehe eben auf Horror-Soundtracks und düstere
Instrumentalisierung, z.B. von Bands wie THE 69EYES. Wir versuchen
solche Dinge eben passend einzubringen, um den Sound interessanter zu
machen.“ Sicherlich ein Grund, warum alte Fans weiterhin ‚ihre’ Band lieben und MAD SIN die Band für Horden neuer Psycho-Fans im In- und
Ausland sind. MAD SIN verschließen sich nicht vor neuen Einflüssen,
sondern versuchen Tradition und Neuerungen zu vereinen, was beispielsweise die Zusammenarbeit mit den arg gescholtenen HORRORPOPS
zeigt. VIRUS wünscht den Berlinern weiterhin viel Erfolg und sieht sich
in seiner These bestätigt: „Horror fördert Kreativität!“.
Das Interview führte Thorsten Wilms
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