Rita Malle - Der Arbeitsmarkt

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Rita Malle - Der Arbeitsmarkt
Rita Malle
Mein Tag als Fussball-Schiedsrichterin
is zu viermal in der Woche bin ich auf
dem Fussballplatz im Einsatz, als
Schiedsrichterin in den unteren Ligen und
seit diesem Februar auch als Assistentin in
der zweiten Liga. Das kann happig sein für
den Körper. Aus diesem Grund ist es für mich
wichtig, einmal im Monat zu meinem Masseur zu gehen und zwischendurch auch zur
Physiotherapie.
Ich bin eine, die auf dem Fussballplatz so
richtig aufblüht. Meine ursprüngliche Berufslehre hatte ich damals gewählt, um am
Nachmittag jeweils frei zu haben für den
Fussball. Ab meinem elften Lebensjahr
spielte ich aktiv beim SC Veltheim und
brachte es bis in die Nationalliga B. Als mich
die SCV-Präsidentin eines Tages fragte, ob
ich mit ihr einen Schiedsrichterkurs besuchen würde, dachte ich zuerst an einen Witz.
Heute bin ich ihr dankbar. Das Schicksal
wollte es dann, dass ich mich im Kurs ziemlich schwer verletzte. Ein Bänderriss und ein
Kapselanriss zwangen mich im März 2006,
meine Karriere als Aktivfussballerin zu
­beenden. Die Schiedsrichterei ermöglicht
mir, auch weiterhin auf dem Sportplatz zu
stehen.
Mein Arbeitstag als Schiedsrichter-Assistentin fängt eineinhalb Stunden vor Spiel­
beginn an. Im Unterschied zu den oberen
Ligen gibt es in der zweiten Liga keine fixen
Spielleitertrios. Dadurch lerne ich immer
wieder neue Leute kennen. Man kann diesen
Vorteil aber auch als Nachteil sehen. Schiedsrichter und Assistenten sind nicht einge­
spielt, ­ müssen sich zuerst finden. Die wenigsten Vereine verfügen über getrennte
Schiedsrichterkabinen, geschweige denn
über entsprechende Duschen. Die Jungs sind
da aber fair, lassen mich meist vor. Meine
Intimsphäre ist mir wichtig, ein gemeinsames Duschen nach dem Spiel käme für
mich nicht in ­Frage. Gemeinsam erfolgt hingegen das Aufwärmen, wofür wir eigens
über verschiedene Einlaufleibchen verfügen. Deshalb müssen wir uns absprechen,
ein einheitlicher ­Auftritt vermittelt den so
wichtigen ersten Eindruck.
300 Franken erhält ein Schiedsrichtertrio für ein Spiel in der zweiten Liga. Für den
Zeitaufwand mag das wenig sein, ich finde
es O.K., ich mache es ja nicht des Geldes we-
gen. 90 Franken erhalte ich, wenn ich in den
unteren Ligen alleine als Schiedsrichterin
unterwegs bin. Dann bin ich eine Stunde vor
dem Spiel auf dem Platz, die mentale Vorbereitung ist mir wichtig. Die Reaktionen der
Spieler sind unterschiedlich, wenn ich ­ihnen
als Schiedsrichterin gegenübertrete. Im Prinzip geht ja aus dem Aufgebot hervor, dass
eine Frau ein Spiel leiten wird, doch die wenigsten informieren sich vorher.
Der Job des Schiedsrichters ist, unter
Stressbedingungen kühlen Kopf, Fingerspitzengefühl und eine positive Präsenz an den
Tag zu legen. In einem Fussballspiel geht es
um viele Emotionen, und es gibt verschiedene Kulturen, damit umzugehen. Zur Spielleitung gehört sicherlich auch die Fähigkeit,
einmal weghören zu können. Der Umgang
mit Beleidigungen oder ständigem Kommentieren ist für eine Schiedsrichterin viel-
thien an der Euro gelten. Wo ich die EMSpiele schaue, plane ich nicht lange im Voraus, da bin ich flexibel. Der Türke Emre Asik
(Nr. 133) und der Schwede Matias Concha
(Nr. 392) sowie das Emblem des Schweizer
Fussballverbandes SFV (Nr. 51) fehlen noch in
meinem Panini-Album, vielleicht kann ja
jemand mit mir oder Marisa tauschen? Fan
bin ich jedoch von einem Spieler, der nicht
an der Euro teilnimmt: Iván Ramiro Córdoba
ist Kolumbianer und spielt beim italienischen Meister Inter Mailand. Der gefällt
mir nicht etwa, weil er besonders gut
­aussieht. Ich finde, er ist ein super Vertei­
diger, klein, wendig und vif, ­zudem trägt er
wie ich früher die Nummer Zwei auf dem
Rücken.
Da ich als Schiedsrichterin oft alleine unterwegs bin, ist es mir wichtig, dass ich in
der Freizeit mit Freundinnen, Freunden
Der Umgang mit Beleidigungen und
ständigem Kommentieren ist für eine Frau
vielleicht etwas schwieriger.
leicht etwas schwieriger, Frauen sind sen­
sibler. Ist mir jedoch ein genialer Match
­gelungen, erhalte ich danach auch die entsprechenden Komplimente. Wobei ich sehr
gut unterscheiden kann, ob diese ernst gemeint sind. Oder ob jemand versucht, die
Barriere zu umgehen, und mit mir einfach
ins Gespräch kommen will.
Meine treueste Beobachterin ist meine
Zwillingsschwester Marisa. Nach Möglichkeit verpasst sie keines meiner Spiele. Wenn
sie dabei ist, kann praktisch nichts schieflaufen. Ihre Anwesenheit ist mir sehr wichtig. Nach dem Spiel trinke ich mit ihr meinen geliebten Kaffee, wenn möglich einen
Macchia­to, und wir besprechen dann jeweils
das Spiel. Tipps von ihr sind für mich wertvoll, da sie als Zuschauerin einen anderen
Blickwinkel hat als ein Trainer oder ein Inspizient. Eher selten ist mein Vater auf dem
Fussballplatz anzutreffen. Ich denke, er mag
es nicht, wenn sich die Zuschauer über seine
Tochter auslassen.
Meine Eltern stammen beide aus Italien,
deshalb ist für mich klar, wem meine Sympa-
oder auch Schiedsrichterkollegen zusammen bin. Ich wohne in einer 2,5-ZimmerWohnung in Winterthur – seit einem halben
Jahre mit meinem Zwerghäsli zusammen.
Dass es schwarz ist und «Schiri» heisst, ist
nur zum Teil Zufall.
Nach der Euro und den obligaten Ferien
in meiner Heimat Lecce kann ich es kaum
erwarten, bis die neue Saison losgeht. Inzwischen habe ich als Schiedsrichterin die Qualifikation für die dritte Liga geschafft. Für
viel weiter nach oben wird es wohl kaum
reichen. Mit dreissig bin ich zu alt, um in die
Fussstapfen einer Nicole Petignat zu treten.
Und da habe ich ja noch meinen anderen
Job. Als Kundenberaterin im Hypothekar­
geschäft arbeite ich in Zürich beim gleich­
namigen Versicherungskonzern. Nach den
Sommerferien werde ich zur Konkurrenz
wechseln, die noch den gleichen Namen wie
mein Wohnort trägt. Gründe dafür gibt es
verschiedene. Ich habe einen Entscheid getroffen, wie ich dies als Schiedsrichterin
auch immer wieder muss.
Aufgezeichnet von Christoph Vogel
6_2008 der arbeitsmarkt
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Foto: Simone Gloor
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