Schauplatz - Der tschechische Knoten – Lissabon

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Schauplatz - Der tschechische Knoten – Lissabon
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Schauplatz - Der tschechische Knoten – Lissabon und der Ruf nach EU-Erweiterung
[ 2009-03-30 ] Autor: Christian Rühmkorf
Am vergangenen Wochenende war Tschechien wieder einmal der Nabel der Welt. Der Außenminister und
derzeitige EU-Ratspräsident Karel Schwarzenberg hatte seine 26 europäischen Amtskollegen auf das
Schloss Hluboká an der Moldau eingeladen. Sprechen wollte man über das weitere Vorgehen in
Afghanistan, im palästinensisch-israelischen Konflikt und in der Östlichen Partnerschaft. Einen großen
Schatten auf die Verhandlungen warf allerdings die tschechische Regierungskrise.
Schloss Hluboká (Foto: ČTK)
Foto: ČTK
Und die Position der tschechischen Ratspräsidentschaft - ist sie
in dieser Situation geschwächt? Ist das bei den Verhandlungen
auf Schloss Hluboká schon zu spüren?
„Nein, hier bei den Verhandlungen überhaupt nicht. Im
Gegenteil. Ich spüre eigentlich ein besonderes
Entgegenkommen und eigentlich ein Bemühen, uns zur Seite
zu stehen und zu helfen. Wie ich schon gesagt habe: Die
europäische Solidarität hat sich hier in Praxis bewährt.“
Diese europäische Solidarität gegenüber der tschechischen
Regierung schimmerte in vielen Stellungnahmen der
Außenpolitiker vor der Presse durch. Zum Beispiel beim
deutschen Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier:
Rund 300 Journalisten tummelten sich im Park und vor dem
Tor des Schlosses Hluboká nad Vltavou. Graue Wolken
türmten sich auf und zogen über das Schloss im
Südböhmischen hinweg. Vorboten einer schlechten Stimmung
in politisch turbulenter Zeit? Nein, die Stimmung der
Anwesenden schien gelockert. Und dennoch: Die politische
Stimmung im Gastgeberland bereitete vielen Akteuren bei
diesem informellen Treffen der EU-Außenminister Sorgen. Die
Tschechische Regierungskrise lief den aktuellen Themen auf
der Tagesordnung der Minister – Afghanistan, Gaza, Östliche
Partnerschaft - fast den Rang ab. Jedenfalls was das Interesse
der Journalisten betrifft. Der Gastgeber, der tschechische
Außenminister und derzeitige Ratspräsident Karel
Schwarzenberg ist ein Minister auf Abruf. Es gibt nicht einmal
die Sicherheit, ob die Regierung Topolánek die
Rastpräsidentschaft in Demission übersteht. Schwarzenberg
gab sich am Abend des ersten Verhandlungstages gegenüber
Radio Prag aber gelassen:
„Um uns abzulösen, wäre es notwendig, eine Mehrheit im
Parlament zu finden. Wenn die da ist, dann werden wir
abgelöst, wenn die nicht da ist, werden wir nicht abgelöst.“
Frank-Walter Steinmeier
„Das ist natürlich ein informelles Außenminister-Treffen, das
unter besonderen Voraussetzungen zustande kam, nach dem
Misstrauensvotum in dieser Woche. Ich bin dem tschechischen
Kollegen und Außenminister Schwarzenberg dankbar, dass er
sich nicht hat irritieren lassen, sondern mit dem notwendigen
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Engagement auch die Vorbereitungen für diese
Zusammenkunft getroffen hat.“
Aber es geht dabei doch nicht nur um eine innerpolitische
Angelegenheit Tschechiens und das Mitgefühl der
europäischen Kollegen für den tschechischen NochAußenminister Schwarzenberg. Die tschechische
Regierungskrise ist auch ein handfestes europäisches Problem.
Und das wurde auf dem EU-Außenminister-Treffen in
Südböhmen auch erläutert. Das Problem heißt: Lissabon. Die
Länder, in denen der EU-Reformvertrag abgelehnt bzw. noch
nicht ratifiziert wurde, sind Irland und Tschechien. Am
Stolperstein Irland feilt die Europäische Union beflissen und
will ein zweites Referendum. Das Misstrauensvotum gegen die
tschechische Regierung aber bringt - gerade was den LissabonVertrag betrifft - Unsicherheit auf der europäischen Agenda.
Der luxemburgische Vizepremier und Außenminister Jean
Asselborn am Samstag:
Die Prager Regierung hat sich seit langem für eine
schnellstmögliche Aufnahme der westlichen Balkanländer
ausgesprochen, blockiert aber selbst den Lissabon-Vertrag, der
von den meisten EU-Ländern als Grundlage für die kommende
Erweiterung angesehen wird.
Javier Solana und Karel Schwarzenberg
(Foto: ČTK)
„Da – auf dem westlichen Balkan - darf kein schwarzer Fleck
bleiben, der nicht in der EU ist“, hatte Außenminister
Schwarzenberg am Samstag noch einmal betont.
Bundesaußenminister Steinmeier war am Freitag in dieser
Frage vorsichtig und appellierte noch einmal an die
Tschechische Republik:
„Wir sollten jetzt nicht zu schwarz malen. Aber natürlich darf
man auch nicht naiv sein und den Menschen etwas vormachen.
Das, was durch das Misstrauensvotum hier in der
Tschechischen Republik stattgefunden hat, macht die
Ratifizierung des Lissabon-Vertrages nicht einfacher. Im
Gegenteil, die Sorgen sind gewachsen, dass hier in kurzer Zeit
kein Ratifizierungsbeschluss im tschechischen Senat zustande
kommt. Aber ich rate uns dringend, dass wir uns jetzt nicht in
negativen Spekulationen ergießen, sondern das tun, was in
einer solchen Situation getan werden muss: nämlich mit
unseren Möglichkeiten auf den Senat, auf die Senatsmitglieder
zuzugehen und Überzeugungsarbeit zu leisten. Ich denke, die
Tschechische Republik hat – wie alle anderen – ein objektives
Interesse daran, dass der Lissabon-Vertrag in Kraft tritt.“
Der tschechische Chefdiplomat Schwarzenberg wies darauf
hin, dass die große Erweiterung von 2004, bei der auch
Tschechien aufgenommen wurde, ja schließlich auch ohne
Lissabon-Vertrag funktioniert habe. Er zeigte aber Verständnis
für die Zurückhaltung der Großen in der Erweiterungsfrage.
Jean Asselborn mit Javier Solana (Foto:
ČTK)
„In Irland sieht das in der Substanz sehr gut aus. Durch die
Krise – leider – ist Europa populärer geworden. Aber wenn
jetzt hier in Prag wieder dieser Rückschlag kommt und es wird
zu viel gezögert, dann kann das Folgen haben und wir machen
schließlich damit weiter, uns selbst ein Bein zu stellen.“
Was wird also aus dem Lissabon-Vertrag?
„Zurzeit wissen wir, dass die Antwort hierauf nicht klar ist. Es
liegt vieles in der Hand von Präsident Klaus. Und ich hoffe,
dass er – der ja weiß, was es heißt, ohne Europa zu leben –
dass er auch weiß, was Europa bedeutet, was die Europäische
Union bedeutet und diese Kultur bedeutet.“
Die Großen in der EU, Großbritannien, Frankreich und
Deutschland, haben in der vergangenen Woche die
Erweiterungshoffnungen für die EU gebremst. Erst Lissabon,
dann eine Fortsetzung der Erweiterung, so das Junktim aus
dem „alten Europa“. Im Wahlprogramm der CDU für die
bevorstehenden Europawahlen taucht zum Beispiel in der
Erweiterungsperspektive von den Balkanländern nur noch
Kroatien auf. Und hier beginnt das tschechische Paradoxon.
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Karel Schwarzenberg (Foto:
ČTK)
„Ja, die verstehe ich absolut! Aber persönlich denke ich, dass
hier zwei Dinge zusammengetan wurden, die eigentlich nicht
so viel miteinander zu tun haben. Wir haben uns erfolgreich
unter dem Vertrag von Nizza erweitert. Das wäre sicherlich
möglich. Aber ich respektiere natürlich – und das möchte ich
betonen – die Ansicht anderer Mitgliedstaaten, in dem Falle
Deutschlands, Frankreichs und anderer, welche die Bedingung
stellen, dass zunächst einmal der Lissabonner Vertrag in Kraft
treten muss und dass infolge dessen sozusagen das Regieren
der Europäischen Union einfacher sein wird und die
Institutionen gestärkt werden. Ich verstehe diesen Standpunkt
und respektiere und akzeptiere ihn.“
Karel Schwarzenberg weiß, dass nun eine große
Verantwortung auf Irland und der Tschechischen Republik
lastet. Den Iren will er aber nicht hineinquatschen; Prag habe
mit sich selbst genug zu tun:
„Wir sollten ihnen nicht hineinquatschen. Ich bin überzeugt,
die Iren wissen selber, was das Beste für sie ist. Aber ich weiß:
Für unser Land wäre es das Beste, wenn wir so schnell wie
möglich auch die Ratifizierung im Senat durchzögen und der
Präsident den Vertrag unterzeichnen würde.“
Tschechien will den Iren also nicht hineinreden. Aber die
anderen europäischen Partner sollen auch den Tschechen nicht
hineinquatschen, oder, Herr Schwarzenberg?
„Das ist auch richtig. Das tut nie gut, weil bekanntermaßen ein
guter Rat die einzige Sache ist, wo der christliche Spruch
´Geben ist seliger denn nehmen´ stimmt: Jeder gibt gerne einen
guten Rat, niemand hört ihn gerne.“
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