Mit Auto und Kamera um die Welt. - Fräulein Stinnes fährt um die Welt

Transcription

Mit Auto und Kamera um die Welt. - Fräulein Stinnes fährt um die Welt
Produktion
Mit Auto
und Kamera
um die Welt.
Erica von Moeller
verfilmt zur Zeit die
erste Weltumrundung
einer Frau mit dem
Auto, die Clärenore
Stinnes von Berlin aus
vor 80 Jahren unternahm und die damals
schon von einem mitreisenden Mann filmisch
dokumentariert wurde.
Martin Block informierte sich bei der
Regisseurin sowie bei
Kamerafrau Sophie
Maintigneux und
der produzierenden
Taglicht Media in Köln.
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s war im Jahre 1929 ein großes Medienereignis, als Clärenore
Stinnes in einem Auto des Modells Adler Standard 6 von
Westen nach Berlin einfuhr. Zwei Jahre zuvor war sie mit demselben Wagen aus der deutschen Hauptstadt in Richtung
Südosten aufgebrochen. Dazwischen lagen 48.000 Kilometer
unglaublicher Strapazen, lebensgefährlicher Abenteuer und
triumphaler Erfolge. Die Reise führte sie durch den Balkan in
die Türkei, durch den Kaukasus und Sibirien bis nach China
und Japan. Von dort aus fuhr sie mit dem Schiff nach Südame-
Über Reflektoren geleitet, ist auch die Sonne
eine starke und dirigierbare Lichtquelle –
hier in der marrokanischen Wüste.
rika, durchquerte die Anden und fuhr erneut
per Schiff in die USA und weiter durch Kanada.
Von New York aus ging es nach Frankreich und
dann heim nach Berlin. Dokumentiert wurden
die Erlebnisse von dem schwedischen Kameramann Carl-Axel Söderström. Er war zunächst
lediglich ihr Begleiter, dann ihr Lebensretter,
ihr Liebhaber und schließlich ihr Ehemann.
Und auch sie rettete ihn aus großer Gefahr.
Stinnes, die von Sandra Hüller (Requiem,
Anonyma) dargestellt wird, war Sproß einer
Industriellenfamilie. Von ihren Brüdern aus
der Geschäftsleitung ausgebootet, begann sie
Autorennen zu fahren und wurde zur erfolgreichsten Rennfahrerin Europas in den 1920er
Jahren, zu einer Zeit, als Auto fahren eigentlich
noch eine reine Männerdomäne war. Söderström (gespielt von Bjarne Henriksen, den
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Foto: Ali Schmidt/Taglicht Media
Fräulein Stinnes fährt um die Welt
Fräulein Stinnes fährt um die Welt
Produktion
Hintergrund
1
2
4
Historische Fotos:
1 Clärenore Stinnes und Carl-Axel Söderström
mit ihrem Adler.
2 Clärenore Stinnes wäscht sich im Fluß.
3 Irgendwo in den Anden war der Adler im
Schlamm steckengeblieben, Peruaner halfen
ihn abzuschleppen.
4 Carl-Axel Söderström mit seiner Kamera
in Japan vor dem Fudschijama.
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Fotos: Carl-Axel Söderström/a
3
man zum Beispiel aus Das Fest und Zwei
Helden kennt) war ihr empfohlen worden, um
das Abenteuer zu dokumentieren. Und tatsächlich entstand ein Dokumentarfilm, der 1931
die Kinosäle Deutschlands füllte. Söderström
hatte davor ein wohl einzigartiges Problem in
der Filmgeschichte: Die Fahrt und damit seine
Aufnahmen begannen in der Stummfilmzeit,
bei der Ankunft hatte sich bereits der Tonfilm
durchgesetzt. Er löste diese Schwierigkeit mit
Kommentaren, die Stinnes abgab und die in
den Film hineingeschnitten wurden – heute
nur schwer erträglich anzusehen – und mit
einer Musikspur.
Ein außerordentliches Wagnis mit einer
Liebesgeschichte zwischen einer starken Frau
und einem ebenso starken Mann und einem
Happy End, ein abendfüllender Dokumentarfilm als Materialsteinbruch und ein aktuelles
Filmkonzept, das diese Geschichte mit heutigen Mitteln wahrhaftig nacherzählen will – das
sind die Zutaten zu Erika von Moellers Dokumentarspielfilm Fräulein Stinnes fährt um die
Welt. Doch die Filmcrew des Jahres 2008 begab
sich nicht etwa auf die Spuren der damaligen
Abenteurer und besuchte deren Reiseetappen.
Stattdessen drehte sie ihre Szenen an nur acht
Tagen in Marokko sowie an zehn weiteren
Tagen in der Eifel und in Köln. Rund 50 bis 60
Minuten inszeniertes Material wird der fertige
Film haben, schätzt Kamerafrau Sophie Maintigneux, unterschnitten mit gut 30 Minuten
Original-Dokumentation.
Die Regisseurin beschreibt ihr Vorhaben
so: »Wir lernen Clärenore Stinnes durch
Söderström kennen. Es sind seine Bilder, und
dazu Texte seines Tagebuchs, die die Geschichte aus dem Off erzählen. Es funktioniert
wunderbar, daß sich die Emotionen unseres
Films auf das Archivmaterial übertragen.« Die
Idee dabei ist es, möglichst nahtlose Übergänge und Anschlüsse zwischen den Ebenen herzustellen, die sich hauptsächlich durch das
verwendete Material unterscheiden, dem 80
Jahre alten 16-Millimeter-Schwarzweißfilm
und modernem High-Definition-Video, für
das Maintigneux sich entschieden hat. Editorin Gesa Marten arbeitet schon während des
Drehs am Schnitt und bestätigt, daß sich beide
Filme sehr harmonisch ergänzen. Die Überlegung, die Handlung von Experten in Inter-
Foto: Ali Schmidt/Taglicht Media
Regisseurin Erica von Moeller
(links) hatte schon 2005 bei
Hannah (großer Produktionsbericht in Ausgabe 1/2006) mit
Kamerafrau Sophie Maintigneux
(neben ihr) zusammengearbeitet.
Hier besprechen sie in der
marokkkanischen Wüste
die nächste Einstellung.
viewpassagen kommentieren und historische
Hintergründe erläutern zu lassen, wurde –
wahrscheinlich zum großen Vorteil des Films –
wieder fallengelassen. Denn es ist zu erwarten, daß sich diese starke Geschichte durch das
ineinander verschränkte Material selbst erzählt. Von Moeller hat mit ihrem Dokumentarfilm Sainkho und dem Spielfilm Hannah bereits beide wichtigen Genres bedient, in denen
Fräulein Stinnes sich bewegt. Sie hatte schon
bei Hannah mit Maintigneux und mit Autor
Sönke Lars Neuwöhner zusammengearbeitet
und brachte sie mit in die Produktion ein. Produzent Uli Veith von der Kölner Taglicht Media
spricht bei einem Budget von 1,2 Millionen
Euro von »Low Budget«. Jeweils 470.000 Euro
stammen vom WDR und der Filmstiftung
Nordrhein-Westfalen und ihrer Reihe »Weltwärts«. Der Deutsche Filmförderfonds steuert
weitere 150.000 Euro bei, an der Vorbereitung
beteiligte sich das Media-Programm.
Unter dem für einen historischen Ausstattungsfilm sehr knappen Etat litt das ganze
Team, das ohnehin klein gehalten war. Sophie
Maintigneux berichtet vom täglichen Pensum:
»Allein an einem Tag in Marokko haben wir
vier Länder gedreht. Es waren Täbris in Armenien, eine Landschaft in Argentinien, ein Dorf
… ist eine Fachzeitschrift für alle im Bereich der Produktion und Postproduktion bei Film, Fernsehen
und bei privaten Produktionsfirmen Tätigen. Also beispielsweise: Kameraleute, Regisseure,
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in der chinesischen Wüste Gobi und Konstantinopel in der Türkei.« Im Februar drehte das
Team im Museum Kommern die Innenszenen
sowie den sibirischen Winter im Moor Hohes
Venn in der belgischen Eifel bei Minusgraden.
»Clärenore und Carl machten auf ihrer Reise
Extremerlebnisse durch. Aber auch wir hatten
eine sehr harte Zeit. Es war der körperlich
anstrengendste Film meines Lebens«, erklärt
Maintigneux, die eine Filmografie von rund 40
Langfilmen vorweisen kann.
Carl-Axel Söderström hatte sein Dokumentarmaterial mit vielen Totalen und eher
statisch gedreht, Maintigneux hält sich mit
Kamerabewegungen ebenfalls zunächst zurück. Erst ab dem Moment, an dem Clärenore
und Carl-Axel sich beim »Du« etwas näher
kommen, führt sie Fahrten ein. Ihre Einstellungen sind nah an den Schauspielern: »Was
wir machen, ist eine Interpretation dieser
Reise. Wir ergänzen den alten Film in moderner Gestaltung und Technik.« Um die Unterschiede zwischen den Ländern und Jahreszeiten zu unterstreichen, experimentierte sie mit
einer breiten Farbpalette. Jedes Land erhält
seine eigene Farbe. Dazu führte sie den Weißabgleich ihrer DVCPro-HD-Kamera, einer
Panasonic AJ-HDX900E, mit farbigen Filter-
folien durch und variierte damit die Farbtemperaturen. Sie bevorzugt die HD-Kamera dieses Typs, weil sie das Bild als »weniger kantig
und digital« einschätzt. »Ich drehe viel mit HD
und bin extrem begeistert«, erklärt sie. Vor der
Reise nach Marokko hatte sie große Befürchtungen wegen der Kontrastverhältnisse in der
Wüste. Doch mit Hilfe von Abschattungsmaßnahmen habe sie trotz Sonnenscheins mit
Blende 2,8 ein »gutes Tiefen- und Raumgefühl«
kreieren können, schildert die Kamerafrau, die
auch Dozentin an der DFFB ist.
Eine ganz eigene Herausforderung war der
Adler. Die Produktion hatte eines der wenigen
noch existierenden Originalfahrzeuge angemietet, das beim Dreh auch mit eigener Kraft
fahren konnte. Dennoch erwies sich der Oldtimer als nur bedingt zuverlässig. Schwierigkeiten, die schon vor 80 Jahren dokumentiert
wurden, wiederholten sich. »Das Auto war eine
Diva«, sagt Maintigneux und berichtet von
einer Motorpanne, nach der das ganze Team
das zwei Tonnen schwere Fahrzeug an Seilen
durch die Wüste ziehen mußte. Ähnliche Aufnahmen machte Söderström in Peru, wo ein
ganzes Dorf mithalf, den Wagen zu ziehen. Die
marokkanischen Dreharbeiten wurden von
der Kölner Rif Film von Kamal El Kacimi mit-
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Fotos: Ali Schmidt/Taglicht Media
Auto-Weltreisende: Bjarne Henriksen als Carl-Axel Söderström und Sandra Hüller als Clärenore Stinnes.
Fotos: Ali Schmidt/Taglicht Media
Sophie Maintignieux (links) mit der Panasonic AJ-HDX900E und der Adler von hinten (rechts).
organisiert, die die extrem komplizierte Logistik mit 35 einheimischen Mitarbeitern organisierte. Helfried Spitra und Jutta Krug betreuen das Projekt auf Seiten des Westdeutschen
Rundfunks. Dort lag die Idee seit den 1990er
Jahren schon mehrfach auf dem Tisch, doch
die jeweiligen Produktionsfirmen konnten nie
die Rechte erwerben, berichtet Spitra. Die
zwölf Jahre alte Taglicht Media hat sich auf hochwertige
Produktion
TV-Dokumentarfilme speziaFräulein Stinnes fährt um die Welt
lisiert. Veiths Partner Bernd
Deutschland 2008
Wilting gelang es, das VertrauRegie: Erica von Moeller
en der Rechteinhaber, der in
Buch: Sönke Lars Neuwöhner
Schweden lebenden Kinder
Bild: Sophie Maintigneux
der beiden Abenteurer zu erSzenenbild: Anina Diener
langen. Die Erben hatten die
Kostümbild: Barbara Kökenhoff
Maske: Monika Münnich
Befürchtung, die Geschichte
Ton: Andreas Wölki, Georg Müller (Ass.)
könnte verkitscht werden,
Oberbeleuchter: Sven Meyer
ihre Bedenken wurden durch
Beleuchter: Tom Kyriasis, Ben Taye (auch Grip)
das Skript von Neuwöhner
Second-Unit- und Making-of-Kamera: Daniel Erb
zerstreut. Daraufhin stellten
Baubühne: Falk Stolte, Sammy Herr
sie nicht nur die Rechte am
SFX: Dirk Burrekoven
Dokumentarfilm zur VerfüAutobetreuung: Frank Kaminski
Innenrequisite: Eleonore Cremonese
gung, sondern auch über
Garderobe: Anja Kemper
1.400 Fotos, die bei der Reise
Aufnahmeleitung: Dirk Seibert, Levke Palm (Set)
entstanden waren, sowie das
Regieassistenz: Robert Spika
zuvor unveröffentlichte TageScript/Continuity: Claudia Adhikari
buch ihres Vaters und einige
Location-Scout: Stefan Möller (Zeit Raum Recherche Location)
Originalrequisiten wie die
Casting: Anja Dihrberg
echten Fotoapparate und
Darsteller: Sandra Hüller, Bjarne Henriksen, Martin Brambach,
Landkarten. Am Set in Köln
Andreas Schlager, Robert Beyer, Stefan Rudolf, Mark Zak,
Yu Fang, Li Hagman
besuchten sie auch die DrehStandfotos: Alexander Schmidt
arbeiten.
Montage: Gesa Marten, Julia Wiegand (Ass.), Dave Leins (Ass.)
Der Film wird nicht nur
Produktionsleitung: Annette Schilling
für das Fernsehen produziert,
Produktionsassistenz: Karin Hildbrand, Doris Offermann
er erfährt zunächst durch den
Filmgeschäftsführung: Andrea Rupp
Verleih Real Fiction eine
Produktion: Taglicht Media GmbH (Bernd Wilting, Uli Veith)
Kinoauswertung. Die Form
Service-Produktion Marokko: Rif-Film, Daniel Gräbner,
Kamal El Kacimi, Köln
der TV-Fassung steht noch
Licht- und Grip-Ausrüstung: Cinegate, Köln
nicht fest. Spitra geht gegenund Moroccan Movie System, Marrakesch
wärtig von einer 2-mal-45Redaktion: Helfried Spitra und Jutta Krug (WDR)
Minuten-Fassung aus, will jeAufnahmeformat: DVCPro-HD, 1:1,78, Farbe
doch auch versuchen, einen
Länge: circa 90 min
Sendeplatz zu finden, auf
Verleih: Real Fiction
dem der Film in ganzer Länge
Kinostart: 2009
präsentiert werden kann.
mb/red
Fernsehausstrahlung: noch offen
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