Mit Auto und Kamera um die Welt. - Fräulein Stinnes fährt um die Welt
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Mit Auto und Kamera um die Welt. - Fräulein Stinnes fährt um die Welt
Produktion Mit Auto und Kamera um die Welt. Erica von Moeller verfilmt zur Zeit die erste Weltumrundung einer Frau mit dem Auto, die Clärenore Stinnes von Berlin aus vor 80 Jahren unternahm und die damals schon von einem mitreisenden Mann filmisch dokumentariert wurde. Martin Block informierte sich bei der Regisseurin sowie bei Kamerafrau Sophie Maintigneux und der produzierenden Taglicht Media in Köln. 116 FILM & TV KAMERAMANN · 20. Mai 2008 E s war im Jahre 1929 ein großes Medienereignis, als Clärenore Stinnes in einem Auto des Modells Adler Standard 6 von Westen nach Berlin einfuhr. Zwei Jahre zuvor war sie mit demselben Wagen aus der deutschen Hauptstadt in Richtung Südosten aufgebrochen. Dazwischen lagen 48.000 Kilometer unglaublicher Strapazen, lebensgefährlicher Abenteuer und triumphaler Erfolge. Die Reise führte sie durch den Balkan in die Türkei, durch den Kaukasus und Sibirien bis nach China und Japan. Von dort aus fuhr sie mit dem Schiff nach Südame- Über Reflektoren geleitet, ist auch die Sonne eine starke und dirigierbare Lichtquelle – hier in der marrokanischen Wüste. rika, durchquerte die Anden und fuhr erneut per Schiff in die USA und weiter durch Kanada. Von New York aus ging es nach Frankreich und dann heim nach Berlin. Dokumentiert wurden die Erlebnisse von dem schwedischen Kameramann Carl-Axel Söderström. Er war zunächst lediglich ihr Begleiter, dann ihr Lebensretter, ihr Liebhaber und schließlich ihr Ehemann. Und auch sie rettete ihn aus großer Gefahr. Stinnes, die von Sandra Hüller (Requiem, Anonyma) dargestellt wird, war Sproß einer Industriellenfamilie. Von ihren Brüdern aus der Geschäftsleitung ausgebootet, begann sie Autorennen zu fahren und wurde zur erfolgreichsten Rennfahrerin Europas in den 1920er Jahren, zu einer Zeit, als Auto fahren eigentlich noch eine reine Männerdomäne war. Söderström (gespielt von Bjarne Henriksen, den FILM & TV KAMERAMANN · 20. Mai 2008 117 Foto: Ali Schmidt/Taglicht Media Fräulein Stinnes fährt um die Welt Fräulein Stinnes fährt um die Welt Produktion Hintergrund 1 2 4 Historische Fotos: 1 Clärenore Stinnes und Carl-Axel Söderström mit ihrem Adler. 2 Clärenore Stinnes wäscht sich im Fluß. 3 Irgendwo in den Anden war der Adler im Schlamm steckengeblieben, Peruaner halfen ihn abzuschleppen. 4 Carl-Axel Söderström mit seiner Kamera in Japan vor dem Fudschijama. 118 FILM & TV KAMERAMANN · 20. Mai 2008 Fotos: Carl-Axel Söderström/a 3 man zum Beispiel aus Das Fest und Zwei Helden kennt) war ihr empfohlen worden, um das Abenteuer zu dokumentieren. Und tatsächlich entstand ein Dokumentarfilm, der 1931 die Kinosäle Deutschlands füllte. Söderström hatte davor ein wohl einzigartiges Problem in der Filmgeschichte: Die Fahrt und damit seine Aufnahmen begannen in der Stummfilmzeit, bei der Ankunft hatte sich bereits der Tonfilm durchgesetzt. Er löste diese Schwierigkeit mit Kommentaren, die Stinnes abgab und die in den Film hineingeschnitten wurden – heute nur schwer erträglich anzusehen – und mit einer Musikspur. Ein außerordentliches Wagnis mit einer Liebesgeschichte zwischen einer starken Frau und einem ebenso starken Mann und einem Happy End, ein abendfüllender Dokumentarfilm als Materialsteinbruch und ein aktuelles Filmkonzept, das diese Geschichte mit heutigen Mitteln wahrhaftig nacherzählen will – das sind die Zutaten zu Erika von Moellers Dokumentarspielfilm Fräulein Stinnes fährt um die Welt. Doch die Filmcrew des Jahres 2008 begab sich nicht etwa auf die Spuren der damaligen Abenteurer und besuchte deren Reiseetappen. Stattdessen drehte sie ihre Szenen an nur acht Tagen in Marokko sowie an zehn weiteren Tagen in der Eifel und in Köln. Rund 50 bis 60 Minuten inszeniertes Material wird der fertige Film haben, schätzt Kamerafrau Sophie Maintigneux, unterschnitten mit gut 30 Minuten Original-Dokumentation. Die Regisseurin beschreibt ihr Vorhaben so: »Wir lernen Clärenore Stinnes durch Söderström kennen. Es sind seine Bilder, und dazu Texte seines Tagebuchs, die die Geschichte aus dem Off erzählen. Es funktioniert wunderbar, daß sich die Emotionen unseres Films auf das Archivmaterial übertragen.« Die Idee dabei ist es, möglichst nahtlose Übergänge und Anschlüsse zwischen den Ebenen herzustellen, die sich hauptsächlich durch das verwendete Material unterscheiden, dem 80 Jahre alten 16-Millimeter-Schwarzweißfilm und modernem High-Definition-Video, für das Maintigneux sich entschieden hat. Editorin Gesa Marten arbeitet schon während des Drehs am Schnitt und bestätigt, daß sich beide Filme sehr harmonisch ergänzen. Die Überlegung, die Handlung von Experten in Inter- Foto: Ali Schmidt/Taglicht Media Regisseurin Erica von Moeller (links) hatte schon 2005 bei Hannah (großer Produktionsbericht in Ausgabe 1/2006) mit Kamerafrau Sophie Maintigneux (neben ihr) zusammengearbeitet. Hier besprechen sie in der marokkkanischen Wüste die nächste Einstellung. viewpassagen kommentieren und historische Hintergründe erläutern zu lassen, wurde – wahrscheinlich zum großen Vorteil des Films – wieder fallengelassen. Denn es ist zu erwarten, daß sich diese starke Geschichte durch das ineinander verschränkte Material selbst erzählt. Von Moeller hat mit ihrem Dokumentarfilm Sainkho und dem Spielfilm Hannah bereits beide wichtigen Genres bedient, in denen Fräulein Stinnes sich bewegt. Sie hatte schon bei Hannah mit Maintigneux und mit Autor Sönke Lars Neuwöhner zusammengearbeitet und brachte sie mit in die Produktion ein. Produzent Uli Veith von der Kölner Taglicht Media spricht bei einem Budget von 1,2 Millionen Euro von »Low Budget«. Jeweils 470.000 Euro stammen vom WDR und der Filmstiftung Nordrhein-Westfalen und ihrer Reihe »Weltwärts«. Der Deutsche Filmförderfonds steuert weitere 150.000 Euro bei, an der Vorbereitung beteiligte sich das Media-Programm. Unter dem für einen historischen Ausstattungsfilm sehr knappen Etat litt das ganze Team, das ohnehin klein gehalten war. Sophie Maintigneux berichtet vom täglichen Pensum: »Allein an einem Tag in Marokko haben wir vier Länder gedreht. Es waren Täbris in Armenien, eine Landschaft in Argentinien, ein Dorf … ist eine Fachzeitschrift für alle im Bereich der Produktion und Postproduktion bei Film, Fernsehen und bei privaten Produktionsfirmen Tätigen. Also beispielsweise: Kameraleute, Regisseure, Cutter/innen, Techniker, Drehbuchautoren, Dokumentarfilmer, usw. usw. 12 Ausgaben pro Jahr informieren auf mehr als 1000 redaktionellen Seiten über: • neue technische Entwicklungen und Produkte • die wichtigen Messen und Festivals • Termine • Personalien • rechtliche Fragen • Weiterbildungsangebote • Wettbewerbe ben • Investitionsentscheidungen 12 Ausga € • Entwicklungen in der Medien-Branche ,8 3 ur 5 0 n oder Der Leser findet außerdem: • Erfahrungsberichte 39,90 € • Interviews mit Praktikern nten! für Stude • Marktübersichten • Grundlagenwissen • technische Sammelblätter, die verschiedene Themen ausführlich und in die Tiefe gehend behandeln • Festivalkalender • aktuelle Filmförderentscheidungen Weitere Informationen bei: I. Weber Verlag, Film & TV Kameramann, Ohmstr. 15, 80802 München Fax: +49-(0)89-383 08 68-3, Tel. +49-(0)89-383 08 68-0 Abo: +49-(0)-180-5260-104 FILM & TV KAMERAMANN · 20. Mai 2008 119 in der chinesischen Wüste Gobi und Konstantinopel in der Türkei.« Im Februar drehte das Team im Museum Kommern die Innenszenen sowie den sibirischen Winter im Moor Hohes Venn in der belgischen Eifel bei Minusgraden. »Clärenore und Carl machten auf ihrer Reise Extremerlebnisse durch. Aber auch wir hatten eine sehr harte Zeit. Es war der körperlich anstrengendste Film meines Lebens«, erklärt Maintigneux, die eine Filmografie von rund 40 Langfilmen vorweisen kann. Carl-Axel Söderström hatte sein Dokumentarmaterial mit vielen Totalen und eher statisch gedreht, Maintigneux hält sich mit Kamerabewegungen ebenfalls zunächst zurück. Erst ab dem Moment, an dem Clärenore und Carl-Axel sich beim »Du« etwas näher kommen, führt sie Fahrten ein. Ihre Einstellungen sind nah an den Schauspielern: »Was wir machen, ist eine Interpretation dieser Reise. Wir ergänzen den alten Film in moderner Gestaltung und Technik.« Um die Unterschiede zwischen den Ländern und Jahreszeiten zu unterstreichen, experimentierte sie mit einer breiten Farbpalette. Jedes Land erhält seine eigene Farbe. Dazu führte sie den Weißabgleich ihrer DVCPro-HD-Kamera, einer Panasonic AJ-HDX900E, mit farbigen Filter- folien durch und variierte damit die Farbtemperaturen. Sie bevorzugt die HD-Kamera dieses Typs, weil sie das Bild als »weniger kantig und digital« einschätzt. »Ich drehe viel mit HD und bin extrem begeistert«, erklärt sie. Vor der Reise nach Marokko hatte sie große Befürchtungen wegen der Kontrastverhältnisse in der Wüste. Doch mit Hilfe von Abschattungsmaßnahmen habe sie trotz Sonnenscheins mit Blende 2,8 ein »gutes Tiefen- und Raumgefühl« kreieren können, schildert die Kamerafrau, die auch Dozentin an der DFFB ist. Eine ganz eigene Herausforderung war der Adler. Die Produktion hatte eines der wenigen noch existierenden Originalfahrzeuge angemietet, das beim Dreh auch mit eigener Kraft fahren konnte. Dennoch erwies sich der Oldtimer als nur bedingt zuverlässig. Schwierigkeiten, die schon vor 80 Jahren dokumentiert wurden, wiederholten sich. »Das Auto war eine Diva«, sagt Maintigneux und berichtet von einer Motorpanne, nach der das ganze Team das zwei Tonnen schwere Fahrzeug an Seilen durch die Wüste ziehen mußte. Ähnliche Aufnahmen machte Söderström in Peru, wo ein ganzes Dorf mithalf, den Wagen zu ziehen. Die marokkanischen Dreharbeiten wurden von der Kölner Rif Film von Kamal El Kacimi mit- Jetzt zugreifen: Anzeigenschluß für die Juni-Ausgabe ist am 28.05.2008. Bestellkarte auf Seite 125 oder www.kameramann.de 120 FILM & TV KAMERAMANN · 20. Mai 2008 Film & TV Kameramann Anzeigenabteilung Karlstraße 41 89073 Ulm Tel. +49-(0)731-1520-193 Fax -188 E-Mail: [email protected] Fotos: Ali Schmidt/Taglicht Media Auto-Weltreisende: Bjarne Henriksen als Carl-Axel Söderström und Sandra Hüller als Clärenore Stinnes. Fotos: Ali Schmidt/Taglicht Media Sophie Maintignieux (links) mit der Panasonic AJ-HDX900E und der Adler von hinten (rechts). organisiert, die die extrem komplizierte Logistik mit 35 einheimischen Mitarbeitern organisierte. Helfried Spitra und Jutta Krug betreuen das Projekt auf Seiten des Westdeutschen Rundfunks. Dort lag die Idee seit den 1990er Jahren schon mehrfach auf dem Tisch, doch die jeweiligen Produktionsfirmen konnten nie die Rechte erwerben, berichtet Spitra. Die zwölf Jahre alte Taglicht Media hat sich auf hochwertige Produktion TV-Dokumentarfilme speziaFräulein Stinnes fährt um die Welt lisiert. Veiths Partner Bernd Deutschland 2008 Wilting gelang es, das VertrauRegie: Erica von Moeller en der Rechteinhaber, der in Buch: Sönke Lars Neuwöhner Schweden lebenden Kinder Bild: Sophie Maintigneux der beiden Abenteurer zu erSzenenbild: Anina Diener langen. Die Erben hatten die Kostümbild: Barbara Kökenhoff Maske: Monika Münnich Befürchtung, die Geschichte Ton: Andreas Wölki, Georg Müller (Ass.) könnte verkitscht werden, Oberbeleuchter: Sven Meyer ihre Bedenken wurden durch Beleuchter: Tom Kyriasis, Ben Taye (auch Grip) das Skript von Neuwöhner Second-Unit- und Making-of-Kamera: Daniel Erb zerstreut. Daraufhin stellten Baubühne: Falk Stolte, Sammy Herr sie nicht nur die Rechte am SFX: Dirk Burrekoven Dokumentarfilm zur VerfüAutobetreuung: Frank Kaminski Innenrequisite: Eleonore Cremonese gung, sondern auch über Garderobe: Anja Kemper 1.400 Fotos, die bei der Reise Aufnahmeleitung: Dirk Seibert, Levke Palm (Set) entstanden waren, sowie das Regieassistenz: Robert Spika zuvor unveröffentlichte TageScript/Continuity: Claudia Adhikari buch ihres Vaters und einige Location-Scout: Stefan Möller (Zeit Raum Recherche Location) Originalrequisiten wie die Casting: Anja Dihrberg echten Fotoapparate und Darsteller: Sandra Hüller, Bjarne Henriksen, Martin Brambach, Landkarten. Am Set in Köln Andreas Schlager, Robert Beyer, Stefan Rudolf, Mark Zak, Yu Fang, Li Hagman besuchten sie auch die DrehStandfotos: Alexander Schmidt arbeiten. Montage: Gesa Marten, Julia Wiegand (Ass.), Dave Leins (Ass.) Der Film wird nicht nur Produktionsleitung: Annette Schilling für das Fernsehen produziert, Produktionsassistenz: Karin Hildbrand, Doris Offermann er erfährt zunächst durch den Filmgeschäftsführung: Andrea Rupp Verleih Real Fiction eine Produktion: Taglicht Media GmbH (Bernd Wilting, Uli Veith) Kinoauswertung. Die Form Service-Produktion Marokko: Rif-Film, Daniel Gräbner, Kamal El Kacimi, Köln der TV-Fassung steht noch Licht- und Grip-Ausrüstung: Cinegate, Köln nicht fest. Spitra geht gegenund Moroccan Movie System, Marrakesch wärtig von einer 2-mal-45Redaktion: Helfried Spitra und Jutta Krug (WDR) Minuten-Fassung aus, will jeAufnahmeformat: DVCPro-HD, 1:1,78, Farbe doch auch versuchen, einen Länge: circa 90 min Sendeplatz zu finden, auf Verleih: Real Fiction dem der Film in ganzer Länge Kinostart: 2009 präsentiert werden kann. mb/red Fernsehausstrahlung: noch offen FILM & TV KAMERAMANN · 20. Mai 2008 121