Quoten statt Voten

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Quoten statt Voten
Dossier
Kritik
Politik
Literatur
28. April 2008
Quoten statt Voten
Trivialisierung des US-Wahlkampfs
Gerti Schön
Kurzatmige Nachrichten über aufgeblasene Bagatellen bestimmen die Berichterstattung über die Vorwahlen in den USA: Ob nun angebliche Heckenschützen in Bosnien,
radikale Prediger oder „frustrierte Wähler“ – kaum jemand, der nicht aufgeboten
würde, um die Stimmung gegen die demokratischen Präsidentschaftskandidaten anzuheizen. Dabei geht es mehr um Quoten als um Voten.
Amerikas Medien schauen weiterhin wie gebannt auf das demokratische WahlkampfSpektakel zwischen Hillary Clinton und Barak Obama und scheinen sich, ebenso wie die
amerikanischen Wähler, nicht so richtig für einen der beiden entscheiden zu können.
Lag der Afro-Amerikaner aus Chicago lange Zeit in der Gunst der Presse, so scheint
sich das Blatt nach dem Etappensieg in Pennsylvania – wie schon ganz zu Anfang der
Primaries – allmählich wieder in Richtung von Clinton zu wenden. Was John McCain,
der Kandidat der republikanischen Partei, derzeit zu sagen hat, scheint bestenfalls
zweitrangig.
Noch vor zwei Wochen war eines der Hauptgesprächsthemen in den US-Medien die
Frage, ob Hillary Clinton sich aus dem Wahlkampf zurückziehen sollte, weil Obama seit
Monaten als Publikumsliebling galt. Vor allem das Talkradio, das Millionen von Hörern
in seinen Bann zieht, war von dem Thema geradezu besessen: 72 Prozent der Sendezeit
wurde den Vorwahlen gewidmet. Das nächst wichtigste Gesprächsthema war Immigration mit drei Prozent. Doch mit den Wahlen in Pennsylvania, die Clinton erneut als
„Comeback-Kid“ ins Rennen brachten, wandte sich das Blatt schlagartig.
Dass die Obama-Mania allmählich abklingen würde, zeichnete sich schon vor einigen
Wochen ab, nachdem Videoclips aus einer als anti-amerikanisch ausgelegten Rede des
früheren Obama-Pastors Reverend Wright über alle Kanäle und einschlägigen Webseiten flimmerte. Obama distanzierte sich umgehend, aber die ersten Zweifel an dem bis
dahin beinahe unangreifbaren Kandidaten waren gesät. Als dann noch bekannt wurde,
Impressum
Medienheft (vormals ZOOM K&M), ISSN 1424-4594
Herausgeber: Katholischer Mediendienst, Charles Martig; Reformierte Medien, Urs Meier
Redaktion: Judith Arnold, Adresse: Medienheft, Badenerstrasse 69, Postfach, CH-8026 Zürich
Telefon: +41 44 299 33 11, Fax: +41 44 299 33 91, E-Mail: [email protected], Internet: www.medienheft.ch
kostenloser Bezug via Internet oder Mailingliste: www.medienheft.ch/mailing_abo
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wie Obama frustrierte Wähler aus der Arbeiterklasse „bitter“ nannte und fortfuhr „sie
klammern sich an Dinge wie Waffen, Religion oder eine Antipathie gegen Leute, die
nicht so sind wie sie“, da brach ein Sturm der Entrüstung los, dem sich auch die Presse
nicht mehr entziehen konnte.
Hillary Clinton nutzte die Gunst der Stunde und nannte ihren Gegner „elitär“, was
glaubwürdig klang, weil sie als die Kandidatin der weissen Arbeiterklasse gilt. Die Medien folgten auf dem Fusse. „Als Obama die Vorwahl (in Pennsylvania) begann galt er
als frische Brise und verliess sie fade, angeschlagen und bitter“, urteilte das Time Magazin kürzlich in einer Kolumne. TV-Kanäle wie CNN bestätigten durch eine Umfrage
eines der Hauptargumente des Clinton-Camps, nämlich dass Obama gegen McCain
geringere Chancen hätte als Clinton.
Die Umfrage ergab, dass im Falle einer Obama-Nominierung mehr demokratische
Wähler zu McCain überschwenken würden als wenn Hillary als Kandidatin gekürt werden würde. Die Huffington Post (HuffPo), eine populäre Internetzeitung, schrieb gar:
„Die Medien wechselten (nach Pennsylvania) in kürzester Zeit das Schiff, verliessen die
Obama-Kampagne und schlugen sich auf die Seite von Hillary“. Was die HuffPo dabei
geflissentlich unterschlug ist, dass die Stimmung genauso gut wieder umschlagen
kann, scheint doch keiner der beiden Kandidaten rein rechnerisch einen so klaren Vorsprung vorweisen zu können, als dass das Rennen nicht wieder umgedreht werden
könnte.
Kurzatmige Nachrichten
Das stetige Hin und Her in der Berichterstattung wie auch in der Bevölkerung mag auf
ein Phänomen zurückzuführen sein, das sich als chronische Voreingenommenheit der
US-Medien insgesamt deuten lässt: nämlich die allgemeine Praxis, lediglich über die
Nachrichten des Tages oder allenfalls der Woche zu berichten, und das Versäumnis,
durchgehend umfassendere Analysen und die entsprechenden Hintergründe zu liefern.
„Die Tendenz, jede auch noch so geringfügige Entwicklung aufzublasen, ohne ihre eigentliche Bedeutung zu berücksichtigen, um die Zuschauer vor dem Bildschirm zu halten“, so Zachary Roth, Kolumnist bei der Columbia Journalism Review, sei „im Zeitalter
des rasenden, unablässigen Wettbewerbs ausgeprägter als je zuvor“.
Der Zwang, mehr und mehr Zuschauer anlocken zu müssen, dürfte auch bei einem
Medien-Fiasko eine Rolle gespielt haben, das vor kurzem über den TV-Bildschirm
flimmerte: einem der letzten Debatten zwischen Clinton und Obama, die von dem Disney-Network ABC ausgetragen wurde. Darin wurden an Obama Fragen wie etwa „Glauben Sie, dass Reverend Wright Amerika genauso sehr liebt wie Sie?“ und „Warum tragen Sie keinen Anstecker mit der amerikanischen Flagge?“ gestellt. Und Hillary Clinton
wurden zum 5000sten Mal mit ihren falschen Aussagen über eine Reise nach Bosnien
konfrontiert, in denen sie behauptete, sie und ihr Ehemann, Bill Clinton, seien unter
Beschuss eines Heckenschützen gekommen. Probleme wie der Krieg in Afghanistan,
die Gesundheitsreform oder die Kreditkrise wurden gar nicht erst angesprochen.
Greg Mitchell, Chefredakteur der Branchenzeitschrift Editor & Publisher nannte die
Debatte „den peinlichsten Auftritt der Medien seit Jahren. Sie sollten sich schämen“.
Jon Stewart, der eine Fake-Nachrichtenshow auf Comedy Central moderiert, prangerte
die Debatte ebenfalls an: „Es war ein Meisterkurs im Fragenstellen, der zusammenhanglose Bemerkungen und triviale und abgestandene Fehldeutungen zum Gegenstand
der nationalen Diskussion machen – und das ist mein Job! Ich bin der Hanswurst!“
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Die Kritik an der Debatte rückt die Trivialisierung des Wahlkampfs in den Vordergrund,
die schlimmer zu werden scheint, je länger er andauert. Der Gipfel der Bagatellen wurde vor kurzem erklommen, als mehrere Nachrichtenkanäle einen Ausschnitt aus einer
Obama-Rede zeigten, in dem der Kandidat sich mit dem Mittelfinger im Gesicht kratzte
während er über Hillary Clinton sprach, was ihm prompt so ausgelegt wurde, als würde
er seiner Konkurrentin den Stinkefinger zeigen. Der gleiche Mechanismus war am
Werk, als ein Blog-Posting der politischen Onlinezeitung Politico ein Clinton- Interview
in der Washington Post analysierte. Angesprochen wurden in dem Blog keineswegs
politische Fragen, sondern eine redaktionelle Randbemerkung der Post, in der es hiess
„das Clinton-Lager bat um ein Interview um darüber zu sprechen, wie sie die Nominierung gewinnen kann“. Politico machte daraus einen Gag mit dem Titel „Hillary Camp zu
Reportern: Ruft uns nicht an! Wir rufen euch an!“.
In dem vorübergehenden Getöse um Hillarys drohende Niederlage durfte auch dieses
Mal ein Element nicht fehlen: die Rolle ihres Ehemanns, Bill Clinton. Der frühere Präsident, der sich gerne schützend vor seine Gattin stellt, hat mit seinen beleidigten Reaktionen auf die dominierende Präsenz von Obama bisher mehr Schaden angerichtet als
genutzt. Sein Versuch, Hillarys Bosnien-Mär von den nicht vorhandenen Heckenschützen zu rechtfertigen geriet zum peinlichen PR-Debakel, nachdem er der Presse erklärte, auch ein Reporter würde einmal Tatsachen durcheinander bringen, wenn er 60 Jahre alt ist und abends um elf Uhr müde sei. Die New York Times unkte: “Bill Clinton bereitet seiner Frau weiterhin Kopfschmerzen”.
Unausgewogenes Bild
Doch auch die Medien tun sich derzeit mit ihrer gegenwärtigen Art der Berichterstattung keinen Gefallen. Das Projekt für Exzellenz im Journalismus (PEJ), das eine wöchentliche Analyse des Wahlkampfs bietet, weist darauf hin, dass sich die Medien selbst
immer mehr zum Gegenstand der Debatte machen. So behandelten in der Woche vor
der Pennsylvania-Primary sage und schreibe 22 Prozent der Berichterstattung die ABCDebatte. Noch mehr Stoff gab die „Bittergate“-Bemerkung Obamas her, die 25 Prozent
der Berichte zum Gegenstand hatte. Obama führte die Liste der am meisten erwähnten
Kandidaten wie schon in den vergangenen Monaten deutlich an und wurde in 75 Prozent
aller Berichte erwähnt, Hillary lag bei 59 Prozent, während McCain lediglich auf 24 Prozent kam. An der Dominanz der Vorwahlen änderte nicht einmal der Papstbesuch in den
USA etwas.
Die PEJ-Untersuchungen weisen ausserdem eine interessante Konstante in Sachen
John McCain auf: Obwohl der republikanische Kandidat bisher wenig Aufmerksamkeit
erhält, fällt sie in der Regel positiv auf, wenn denn über ihn berichtet wird. Die Frage,
warum McCain so viel Ansehen in den Medien geniesst, ist regelmässig Gegenstand der
Medienkritik. „Es geht nicht darum, ob er die Tatsachen eines gewissen Themas beherrscht“, glaubt Jay Rosen, Journalismusprofessor an der New York University, „sondern darum, dass er mit einer gewissen Leichtigkeit und Autorität spricht, vor allem als
er noch der Underdog in seinem Wahlkampfmobil, dem 'Straight Talk Express’, war“.
Besonders der Umstand, dass er der Presse oft stundenlang für Interviews zur Verfügung stand, über die offen berichtet werden konnte, gefiel den Reportern, die in der
Regel in ein PR-gesteuertes Korsett der präsidialen Berater gezwängt werden und ausser einigen streng reglementierten Aussagen kaum über den Wortlaut eines solchen
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Gesprächs schreiben dürfen. „Extremer Spin und das Abblocken von Fragen sind für
einen Journalisten entwürdigend“, meint Rosen.
Auch in Sachen McCain blieb es wieder einmal Jon Stewart überlassen, die Unausgewogenheit der Mainstreampresse anzuprangern. Er wies darauf hin, dass McCain –
anders als Obama – lediglich einmal mit dem Umstand konfrontiert wurde, dass der
rechtsradikale Prediger John Hagee ihn unterstützt. Als McCain gutmütig antwortete,
„ich bin froh, seine Unterstützung zu haben“, war das Thema abgeschlossen.
Gerti Schön lebt und arbeitet in New York
Links:
CNN:
http://www.cnn.com/
Columbia Journalism Review:
http://www.cjr.org/
Comedy Central:
http://www.comedycentral.com/
Disney Network ABC:
http://www.disneyabctv.com/web/index.aspx
Editor & Publisher:
http://www.editorandpublisher.com/eandp/index.jsp
The Huffington Post (HuffPo):
http://www.huffingtonpost.com/
The New York Times:
http://www.nytimes.com/
PEJ – Project for Excellence in Journalism:
http://www.journalism.org/
Politico:
http://www.politico.com/
Time Magazine:
http://www.time.com/time/
Washington Post:
http://www.washingtonpost.com/
Der Text befindet sich im Internet unter:
http://www.medienheft.ch/politik/bibliothek/p08_SchoenGerti_02.html
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