aus: Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik 102 (1994) 237–240

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aus: Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik 102 (1994) 237–240
JÖRG RÜPKE
F E HL E R
NAT AL I S
F E HL I NT E RPRE T AT I ONE N I N DE R D AT I E RUNG
DE S ST ADT RÖM I SCHE N M AT E R M AGNA -T E M PE L S
UND
aus: Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik 102 (1994) 237–240
© Dr. Rudolf Habelt GmbH, Bonn
DE S DI E S
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FEHLER UND FEHLINTERPRETATIONEN IN DER DATIERUNG DES
DIES NATALIS DES STADTRÖMISCHEN MATER-MAGNA TEMPELS
Die fasti, die römischen Steinkalender, stellen keine offiziellen Kopien eines
stadtrömischen "Ur-Kalenders" dar, sondern verdanken ihre Existenz zahlreichen
Einzelinitiativen, die im Rahmen der seit Augustus aufblühenden Epigraphie der
Prinzipatszeit neben vielen anderen Gattungen 1 auch den Kalender als Medium von
Loyalitätsbekundung und - vor allem über angehängte Magistratslisten - Selbstdarstellung
erschlossen. Als Vorlage für die lokalen Steinmetze dürften zumeist nicht andere, mit
mehreren Quadratmetern Fläche praktisch intransportable inschriftliche Kalender gedient
haben, sondern die mehrfach bezeugten, ebenfalls auf private Initiative hin vervielfältigten
Taschenkalender.2 Diese Genese erklärt, warum in den einzelnen fasti immer wieder
schwerwiegende Fehler auftreten, die für direkte Kopien eines immer auf dem neuesten
Stand gehaltenen offiziellen Archetyps kaum erklärlich wären.3
Als einer dieser Fehler wird in allen Darstellungen und Kalenderausgaben der Eintrag
der von Verrius Flaccus redigierten Fasti Praenestini (Suet. gramm. 17) zum 11. April
gewertet:
Ludi in Circo. M(atri) D(eum) M(agnae) I(deae) in Pal[atio], quod eo die aedis ei /
dedicata est (Inscr.It. 13,2,129).
Das Zeugnis der anderen Kalender ist eindeutig: Die Fasti Maffeiani, Ostienses, Vaticani
und Filocali, schließlich auch der antiquarische Kalender des Polemius Silvius aus der Mitte
des fünften Jahrhunderts: sie alle führen die am 4. April beginnenden ludi Megalenses nur
bis zum 10. April und lassen sie an diesem Tag mit ludi in circo schließen.4 Hinzu kommt,
daß man den Fehler in den Fasti Praenestini leicht erklären zu können glaubt: Der Freiraum
hinter dem führenden D [IIII] N des 10. April wird bereits durch einen Eintrag, der sich auf
ein lokales Fest bezieht, vollständig gefüllt; weitere zu diesem Tag gehörende Notizen seien
daher einfach im Freiraum des Folgetages aufgeführt.
Das Problem könnte damit geklärt scheinen. Aber auch die beiden anderen Kalender, die
den Stiftungstag des Kybeletempels nennen, datieren ihn auf den 11. April und nicht auf
den 10. April. Es handelt sich um die spätrepublikanischen als Wandgemälde gestalteten
Fasti Antiates maiores und die nur aus einem winzigen Fragment bekannten, inzwischen
verschollenen Fasti Quirinales. In den Fasti Antiates maiores, in denen der freigelassene
1 Dazu G.Alföldy, "Augustus und die Inschriften: Tradition und Innovation: Die Geburt der imperialen
Epigraphik", Gymnasium 98 (1991), 289-324.
2 S. Cic. Att. 4,8,2; Ov. fast. 1,657.
3 Zu dieser Frage demnächst Rüpke, Kalender und Öffentlichkeit (Arbeitstitel).
4 S. die Übersicht bei Degrassi (Inscr. It. 13,2,435).
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Raum des 10. April vollständig erhalten ist (Inscr. It. 13,2,8), kann man nur mit
"offensichtlicher Fehler" argumentieren.5 In den Fasti Quirinales steht rechts neben EN,
dem Beginn des Eintrages des 11. April die Buchstabenfolge DEV und unter DEV die
Buchstabenfolge INP. Hier ergänzt Degrassi so:
[D N(efastus). Ludi in Cir(co). Matri]
deu[m Magn(ae)]
in P[alatio]
E N(efastus) (Inscr. It. 13,2,228).
Viel näher liegt aber folgende Ergänzung:
[D N(efas). Ludi in Cir(co)]
E N(efas). Deu[m Matri]
in P[alatio].
Die vorgeschlagene Rekonstruktion stimmt nicht nur mit den übrigen Kalendern überein,
sondern erklärt eben auch, warum DEV und INP rechts neben EN, also neben dem
Nundinalbuchstaben und Tagescharakter des 11. April stehen.
Zur endgültigen Klärung des Befundes muß die einzige weitere Quelle, die Aussagen
über die Datierung des Festendes macht, herangezogen werden, Ovids gedichteter
Kommentar zu den fasti, die Libri fastorum. Die in den Ausgaben seit Mitte des letzten
Jahrhunderts zwischen die Verse gestellten Datierungen stellen nicht nur eine ärgerliche
Unterbrechung des fortlaufenden Textes dar, sondern sind oft genug auch falsch. Nicht sie,
sondern allein Ovids interne absolute und relative Datierungen, die ja oft genug gar nicht
kommentierte Tage ganz überspringen müssen, können zur Orientierung dienen. Dabei
weist Ovids Beschreibung der ludi Megalenses (4,179-388) ein Problem auf, das erst durch
die Konfrontation mit den kalendarischen Quellen gelöst werden kann - und das diese
wiederum erhellt. Ganz außer acht soll dabei die interne Struktur der kultischen Ereignisse,
wie Ovid sie darstellt, bleiben. Hier interessiert allein der Beginn und das Ende des Festes.
Für die Morgendämmerung (4,165-8) des 2. April schildert Ovid den scheinbaren
Frühaufgang der Plejaden (169-178). Daran schließt sich die einleitende Zeitbestimmung
der Festlichkeiten der Mater Deum Magna Idaea an (4,179-182):
Ter sine perpetuo caelum versetur in axe,
ter iungat Titan terque resolvat equos,
protinus inflexo Berecyntia tibia cornu
flabit, et Idaeae festa parentis erunt.
Der Text enthält zweifelsfrei eine Abstandsangabe. Zwar bleibt das dreifache ter ohne
Parallele, aber doppelte Angaben mit bis oder ter stellen niemals Additionen, sondern
lediglich variierende Parallelismen dar. Ovid, den die Differenzierung von Früh- und
Spätaufgängen (oder -untergängen) zur sorgfältigen Formulierung der Datierungen zwingt,
5 S. Degrassi, ebd., 438.
Fehler und Fehlinterpretationen in der Datierung des dies natalis
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spricht hier deutlich von einem Abstand von drei vollen Lichttagen. Da die Darstellung
zuletzt am Morgen des 2. April stand, wäre der Abend des 4. April erreicht. Protinus (181)
zeigt den sofortigen Beginn der Feier an. Die im folgenden allgemein beschriebenen
Festlichkeiten (183-8), Umzüge, Theater, Spiele, sind aber mit Ausnahme des ersten nur bei
Tag denkbar; das wäre dann frühestens der 5. In der nun folgenden Beschreibung der causa
des Festes spielen relative Datierungen eine wichtige Rolle: Was dort beschrieben wird,
nimmt zwei volle Tage in Anspruch.6 Dieses - hier nicht zu lösende - Problem beiseite
gelassen, erscheint der weitere Fortgang zunächst klar: Postera cum caelo motis Pallantias
astris / fulserit et niveos Luna levarit equos (4,373 f.) leitet über eine Nacht hinweg zu
Fortuna Publica an den Nonen über - und diese liegen auf dem 5. April.
Die Überleitung zu den Nonen paßt zur präzisen Datierung am Anfang des Abschnitts
über die ludi Megalenses, paßt aber nicht zu der Darstellung der sich über mehrere Tage
erstreckenden Spiele, die zeitlich nicht exakt eingeordnet werden. Hier muß der Leser
seinen gegebenenfalls neben dem Ovidtext liegenden fasti7entnehmen, daß, beginnend mit
dem 4. April ludi stattfinden, die Beschreibung Ovids also für die gesamte Periode gilt.
Denselben Blick in den Kalender setzt Ovid wenig später erneut voraus, wenn er mit der
genauen Kenntnis der Länge der Spiele arbeitet: Die Datierung des Unterganges des Orion
hängt von dieser Zahl ab:
Ante tamen quam summa dies spectacula sistat
ensifer Orion aequore mersus erit (4,387 f.).
Eine derartige Datierung mit dem Ende mehrtägiger Spiele ist nicht ungewöhnlich, der
23. März wird als summa dies e quinque (3,849) im Anschluß an die fünftägigen
Quinquatrus (3,810) angesprochen. Aber wie lang sind die Feierlichkeiten für die
"Göttermutter"? Die genannten Kalender belegen die ludi vom 4. bis zum 10. April. Nimmt
man diese Datierung für Ovids summa dies an, endete die Festperiode am 10. April, der
Untergang des Orion fände am 9. statt, eine Feststellung, die bei der Bandbreite der antiken
Datierungen weder zur Bestätigung noch Ablehnung einer Interpretation dienen kann. Auf
die mit dem Ende der Spiele vermerkte Datierung folgte dann in den Versen 4,389-392 die
Beschreibung des letzten Spieltages und anschließend die Beschreibung der ludi Cereris
(393 ff.):
Proxima victricem cum Romam inspexerit Eos
et dederit Phoebo stella, fugata locum,
(390)
circus erit pompa celeber numeroque deorum,
primaque ventosis palma petetur equis.
Hinc Cereris ludi ...
6 S. Ov. fast. 4,331-3: Nox aderat ... lux aderat.
7 Grundsätzlich zum Kommentarcharakter der Ovidischen Dichtung demnächst Rüpke, "Ovids
Kalenderkommentar: Zur Gattung der libri fastorum", AuA 40 (1994).
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Diese Interpretation besitzt aber eine große Schwierigkeit. Der Übergang vom 10. auf den
12. April, an dem nach eindeutigem Ausweis der Kalender die ludi Cereri begannen, würde
durch ein bloßes hinc signalisiert. Das wäre nicht nur ungenau: Dem Wörtchen hinc kommt
in der gesamten Dichtung niemals die Funktion zu, einen zeitlichen Fortschritt zu
bezeichnen, es markiert vielmehr stets den Startpunkt. Daß Ovid offensichtlich ludi
circenses schildert, kann den Sachverhalt nicht entscheiden: Nach Ausweis der fasti im
Chronograph von 354 (Inscr. It. 13,2,245) bildete ein solcher Spieltag nicht nur den
Abschluß der ludi Megalenses, sondern auch die Eröffnung der Cerialici. Gerade diesen
Eröffnungsaspekt von Spielen mit der pompa circensis und den ersten Rennen (primaque ...
palma) scheint auch Ovid im Auge zu haben.
Es verbleibt, die Lösung durch eine genauere Lektüre Ovids von hinten her zu suchen.
Wenn mit proxima ... Eos (4,389) schon der 12. April als Beginn der ludi Cereris erreicht
ist, muß mit summa dies (4,387) bereits der 11. April gemeint sein. Erst wenn man die
Kalender heranzieht, gelingt es, die Prägnanz des Ovidtextes zu erfassen: Ante tamen quam
summa dies spectacula sistat (4,387) bildet nicht einfach eine redundante Formulierung für
ante summam spectaculorum diem, sondern heißt: "Bevor der letzte Tag der Festperiode
den Spielen - die an diesem Tag nicht mehr stattfinden - ein Ende setzt ..." Damit wären die
Datierungsprobleme der Schlußpassage gelöst: Nach der Erwähnung des Endes der Spiele
würde nicht noch einmal - nach der Unterbrechung durch den Untergang des Orion - deren
letzter Tag geschildert, vielmehr folgte auf die Nennung des letzten Tages der Periode (11.),
an dessen Morgen Orion bereits untergegangen ist (mersus erit), ein neuer Morgen
(proxima ... Eos) (12. April), der Zeuge der Eröffnung der ludi Cereris wird, deren für
mehrere Tage gültige Beschreibung mit hinc eingeleitet wird. Der 11. April aber bildete als
dies natalis des palatinischen Tempels der Deum Mater die summa dies der Festperiode,
deren ludi bereits am Vortag, dem 10. April, abgeschlossen wurden. Die fasti-Exemplare
weisen sicherlich manchen Fehler auf, doch sind sie im Falle dieses Stiftungstages selbst
Opfer einer Fehlinterpretation geworden.
Universität Tübingen
Jörg Rüpke