Wie marktgerecht ist DIN 33430
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Wie marktgerecht ist DIN 33430
Wie "marktgerecht" ist DIN 33430? Erhoffte und befürchtete berufspolitische Folgen von Akkreditierung, Zertifizierung, Lizenzierung aus Schweizer Sicht (erweiterte Fassung gegenüber der Redebeitrag) Klaus-D. Hänsgen Zentrum für Testentwicklung und Diagnostik am Departement für Psychologie der Universität Fribourg/CH www.unifr.ch/ztd [email protected] Hänsgen, K.-D. ZTD Fribourg/CH 44ter Kongress der DGPs September 2004 Göttingen DIN 33430 ist richtig Sie ist eine Prozessnorm für die berufsbezogene Eignungsdiagnostik, die wichtige Qualitätsanforderungen für die drei „Säulen“ des Prozesses erstmals verbindlich definiert: • Qualifikation der Personen • Qualität der Instrumente bzw. Tests • Einzuhaltende Abläufe Alle drei Säulen müssen zugleich beachtet werden – nur dann ist Qualität gesichert und DIN erfüllt. Keine Säule ist für sich allein ausreichend. Mehr Info z.B: http://www.unifr.ch/ztd/din/ Hänsgen, K.-D. ZTD Fribourg/CH 44ter Kongress der DGPs September 2004 Göttingen DIN 33430 ist wichtig Es fehlen verbindliche Standards für die Qualität der Eignungsdiagnostik auch in der Schweiz • Schätzung Schweiz: nur ca. 20% Entscheidungen von entsprechend Qualifizierten mit geeigneten Instrumenten getroffen (aber in Deutschland nicht anders) • Neben Astrologie und Graphologie auch viele Verfahren am Markt, die wissenschaftlichen Kriterien nicht genügen • Qualifikation und damit auch das notwendige Problembewusstsein liegen bei vielen Anbietern nicht vor („Seiteneinsteiger“ aus anderen Disziplinen) Hänsgen, K.-D. ZTD Fribourg/CH 44ter Kongress der DGPs September 2004 Göttingen DIN 33430 ist komplex Wie behandelt man eine Prozessnorm? • Man darf kein Element, keine Säule ALLEIN evaluieren (Verfahren, Personen oder Abläufe), es kommt auf das Zusammenspiel an • Verfahrenszertifizierung „an sich“ als eine Art Testsiegel führte zu erfolgreichen Abmahnungen, weil der Prozess nicht berücksichtigt wurde – das beste Verfahren in „falscher Hand“ eben auch falsch eingesetzt werden kann. • Es muss gewährleistet sein, dass beim Anbieter Qualifikation, Methodenqualität und Abläufe der DIN 33430 entsprechen. Hänsgen, K.-D. ZTD Fribourg/CH 44ter Kongress der DGPs September 2004 Göttingen Wie wirkt DIN? • Rechtsform: „Normenkartell“ Hierbei unterwerfen sich verschiedene Hersteller einer Norm, damit z.B. Einzelteile verschiedener Unternehmen zusammenpassen und der Verbraucher somit größere Auswahl hat*. • Aber: nur freiwillige Vereinigung der Marktteilnehmer, keine Verbindlichkeit, v.a. im gesetzlich nicht geregelter Bereich. • Es funktionierte bisher, wenn die Mehrheiten sich zusammentaten (historisches Beispiel: Alle „Dampfkesselhersteller“). Vom Marktanteil her ist dies in der Eignungsdiagnostik nicht gegeben – es steht v.a. die fachliche Kompetenz auf der Seite der Normierungswilligen. *: http://www.legamedia.net Hänsgen, K.-D. ZTD Fribourg/CH 44ter Kongress der DGPs September 2004 Göttingen 2 Typen Diagnostik-Anbieter Monotestanbieter • ein (oder wenige) Verfahren für viele Fragestellungen eingesetzt • Informationen über Verfahren sind geschützt, keine unabhängigen Forschungen zur Validität • geschlossene Netzwerke für Information und Anwendung Problembearbeiter • Fragestellungsspezifische Testwahl • Rückgriff auf grösseres Methodenarsenal, Methoden meist publiziert/rezensiert • Dazu bilden wir Psychologen aus! Hänsgen, K.-D. ZTD Fribourg/CH 44ter Kongress der DGPs September 2004 Göttingen Wer sind die 80% Mehrheit? • Meist Monotestanbieter (es gibt natürlich auch Monotestanbieter mit guter Qualität) • Mehrzahl davon sind aber keine ausgebildeten Psychologen, sondern „Seiteneinsteiger“ • viele spekulative und qualitativ schlechte Verfahren im Einsatz • „Beeindruckende“ Ergebnisdarstellungen (Reports) mit der Qualität von Horoskopen, die „jedem etwas bieten“ und bei Prognosen keine „Skrupel“ kennen – weil fachliche Kompetenz zur Methodenkritik nicht vorliegt. Auswertung intransparent. • Z.T. massive methodische Mängel bei der Konstruktion – da Verfahren nicht dokumentiert/zugänglich, somit im Fach auch nicht rezensier- oder kritisierbar sind. • Erfolg durch Intensiv-Marketing (Vertretermodelle) – Auftraggeber sind überfordert, die Qualitätsmängel zu erkennen (diese werden geschickt kaschiert bzw. als „Stärken“ ausgegeben) Hänsgen, K.-D. ZTD Fribourg/CH 44ter Kongress der DGPs September 2004 Göttingen Was hätten die 80% gern? • Auch die Auftraggeber beginnen nach Qualität zu fragen. • Anbieter hätten gern bessere Verfahren • Nichtpsychologische Anbieter hätten aber auch gern einen „Fähigkeitsnachweis“ für Eignungsdiagnostik Hänsgen, K.-D. ZTD Fribourg/CH 44ter Kongress der DGPs September 2004 Göttingen Wie nach DIN arbeiten? 1. Selbsterklärung • Im gesetzlich nicht geregelten Bereich am einfachsten: „Wir arbeiten nach DIN 33430“. Jeder kann das! • Freiwilligkeit ist ein wichtiger Bestandteil aller DIN-Normen, die nicht vergessen werden darf: „Absicherungsstreben“ der Anbieter und „Regulierungswut“ der Fachgremien können dies verdrängen. • Einzige Sanktion bei Verstössen: Abmahnungen wegen Wettbewerbsrecht, Nachweis, dass DIN 33430 verletzt wird, ist notwendig. Hänsgen, K.-D. ZTD Fribourg/CH 44ter Kongress der DGPs September 2004 Göttingen Wie nach DIN arbeiten? 2. Zertifizierung • Eine Einrichtung/Organisation steht mit Ihrem Ruf dafür ein, dass ein Anbieter nach DIN 33430 arbeitet und stellt diesem ein Zertifikat aus. • Ebenfalls freiwillig! - Jeder kann zertifizieren, jeder kann sich zertifizieren lassen!!! • Ein Anbieter muss einen wirtschaftlichen Sinn sehen, sich von bestimmtem Zertifizierer auch zertifizieren zu lassen! • Ein Zertifizierer muss ein Verfahren wählen, welches Anbieter auf DIN 33430 festlegt – damit der Zertifizierer seine Reputation behält. Hänsgen, K.-D. ZTD Fribourg/CH 44ter Kongress der DGPs September 2004 Göttingen Wie nach DIN arbeiten? 3. Akkreditierung der Zertifizierer („Zulassung“ von Zertifizierungsstellen und Regelung des Zertifizierungsverfahrens) Im gesetzlich nicht geregelten Bereich seitens DIN definitiv nicht vorhanden und mittelfristig auch nicht sichtbar! Es bleibt daher dabei: Jeder kann zertifizieren! Hintergründe: Akkreditierungsrat bzw. TGA hat die koordinierende Funktion für den gesetzlich nicht geregelten Bereich explizit aufgegeben, weil es dort offenbar auch in anderen Normbereichen Konflikte zwischen einer zentralen Regelung und der Freiwilligkeit der Normen gegeben hat Hänsgen, K.-D. ZTD Fribourg/CH 44ter Kongress der DGPs September 2004 Göttingen Risiko!!! Neueinführung einer Lizenzierung • • Hintergrund: Testkuratorium bzw. BdP wollen Lizenz als Fähigkeitsnachweis einführen, der aufgrund einer Prüfung erworben wird und aller 5 Jahre zu verlängern ist. Bei Bedarf werden Kurse angeboten, welche das notwendige Prüfungswissen vermitteln. Die Lizenz, die auf DIN 33430 Bezug nimmt, kann von allen Marktteilnehmern erworben werden. Bei Normen wie DIN 33430 ist Fähigkeitsnachweis so nicht üblich (Risiko: Überfrachtung einer ohnehin komplizierten Normeinführung). Eine Lizenz erfordert eine gewisse Verbindlichkeit ihres Erwerbes, die so nicht abgesichert ist und schwer durchsetzbar scheint. Theoretisch hätte man die Lizenz früher schon einführen können. Es ist nicht klar, dass sie sich nun mit DIN durchsetzt, weil entsprechende gesetzliche Grundlagen fehlen und DIN 33430 keine „Lizenz“ vorschreibt, sondern nur Qualifikationsmerkmale (die man sich auch anders erwerben kann). Hänsgen, K.-D. ZTD Fribourg/CH 44ter Kongress der DGPs September 2004 Göttingen Gefahr der Lizenzierung • • • Bei zu viel DIN-Bezug dieser Lizenz: sie ist nicht prozessbezogen und damit eventuell abmahnbar, weil nur ein Aspekt des Prozesses bewertet wird (die „Säule“ Qualifikation). Es entstehen Parallelwelten: Auch nicht lizenzierte Personen können weiter nach DIN arbeiten (Selbsterklärung) und sich durch Dritte zertifizieren lassen (nur der Markt entscheidet)! Auch alle Monotestanbieter mit Lizenz sind dann als Personen qualifiziert – unabhängig vom Grad der bisherigen „Scharlatanerie“ (sie können sich nun auf DIN 33430 berufen), problematische Verfahren sind aber weiter im Umlauf (nunmehr aber „geadelt“ und die Lizenzen lägen dann den Werbemappen bei)? Schweiz: Aufgabe des Berufsverbandes: Schutz von/“Eroberung“ von Berufsfeldern für die Mitglieder durch Auseinandersetzung mit Unqualifizierten und Qualitätsmängeln • Ausbildung von Nichtpsychologen in der Schweiz bisher nicht konsensfähig – Ziel Stärkung der Psychologen am Markt! Hänsgen, K.-D. ZTD Fribourg/CH 44ter Kongress der DGPs September 2004 Göttingen Weiter- und Fortbildung • ist trotzdem sinnvoll und notwendig (Gewinnung der „Definitionsmacht“). • Aber: Risiko falscher Versprechungen (Marktvorteile nicht zu erzielen) fällt ggf. auch auf die akademische Psychologie zurück. • Verhinderung der Verselbständigung von Lizenzen als hinreichender Nachweis für die Einhaltung von DIN 33430 nötig. Hänsgen, K.-D. ZTD Fribourg/CH 44ter Kongress der DGPs September 2004 Göttingen Prozess-Zertifizierung • DIN CERTCO als DIN-nächste Zertifizierungsstelle schlägt eine Prozess-Zertifizierung vor • Personen + Verfahren + Vorgehensweisen werden bei jedem Auftragnehmer neu geprüft und sind vorher festzulegen. Dies birgt ebenfalls Probleme: – Benachteiligung der freien Methodenwahl der Problembearbeiter, weil Tests vorher festzulegen sind – ist faktisch auf Monotestanbieter zugeschnitten – Benachteiligung der publizierten Tests, weil diese trotz der Publikationen und Rezensionen immer wieder neu geprüft werden – ein problemorientiert vorgehender Diagnostiker mehrere davon benötigt und dadurch eine Benachteiligung durch höhere Kosten entsteht Hänsgen, K.-D. ZTD Fribourg/CH 44ter Kongress der DGPs September 2004 Göttingen Fazit • • • • • DIN 33430 funktioniert nach marktwirtschaftlichen Prinzipien – beruht auch auf dem Prinzip der Freiwilligkeit Einführung der Lizenzierung ist ein hohes Risiko – schlägt dies fehl, ist DIN 33430 insgesamt gefährdet Dem Prozesscharakter von DIN 33430 wird neben der Selbsterklärung nur die Zertifizierung als DIN-kompatible Form bei gleichzeitiger Berücksichtigung aller drei „Säulen“ gerecht. Die Gremien der Psychologie sollten eine Zertifizierung vorbereiten, welche die „Problembearbeiter“ bei den Diagnostikern nicht benachteiligt und näher an den DIN-eigenen Qualitätssicherungsmassnahmen ist als eine Lizenzierung. Dabei sollten man über Ausbildungsangebote ebenso nachdenken wie eine objektive und „zentrale“ Bewertung von Tests, auf die im Zertifizierungsprozess zurückgegriffen werden kann (ohne erneut bei einem „Testsiegel“ ohne Bezug auf den Prozesscharakter zu landen). Insofern sind die Ausbildungskonzepte der Lizenzierung weiter verwendbar. Hänsgen, K.-D. ZTD Fribourg/CH 44ter Kongress der DGPs September 2004 Göttingen Und was geht das die Schweiz an? • Märkte eng verzahnt, viele Schweizer DiagnostikAnbieter sind in Netzwerken mit deutschen Vertretern, die sich ggf. zertifizieren oder lizenzieren werden • Auch viele Unternehmen in der Schweiz sind international bzw. europäisch organisiert und werden als Auftraggeber ggf. einen DIN-Bezug fordern. • Schweiz hat bisher kein eigenes Qualitätssicherungssystem (Österreich hat DIN 33430 übernommen). ISO-Norm für DIN 33430 ist angedacht, dann auch gültig für die Schweiz • Nachteile Schweizer Anbieter durch fehlenden DINBezug sollten verhindert werden – rechtzeitig sind entsprechende Massnahmen vorzubereiten. Hänsgen, K.-D. ZTD Fribourg/CH 44ter Kongress der DGPs September 2004 Göttingen Und die Prognose? • Variante 1: Nichts geschieht, DIN 33430 und Lizenzierung setzen sich nicht durch, weil die Chance verspielt wurde durch Fehler bei der Einführung • Variante 2: DIN 33430 wird die Diskussionen lange beschäftigen, aber es geschieht letztlich auch nichts – nur Elemente der Norm werden von verschiedenen Interessengruppen um- und eingesetzt, wogegen andere polemisieren oder prozessieren • Variante 3: es gelingt gemeinsam, eine marktkonforme Einführung zu finden, die dem Prozesscharakter von DIN 33430 wirklich gerecht wird und so wenig Angriffspunkte für Kritik bietet, dass sie von allen Beteiligten am Markt als Fortschritt auch akzeptiert werden kann. Alles ist noch möglich – um Variante 3 sollte man ringen Hänsgen, K.-D. ZTD Fribourg/CH 44ter Kongress der DGPs September 2004 Göttingen