BH MUSIK, MUSIKWISSENSCHAFT BHA Musikalische Formen

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BH MUSIK, MUSIKWISSENSCHAFT BHA Musikalische Formen
BH
MUSIK, MUSIKWISSENSCHAFT
BHA
Musikalische Formen
Blues
Deutschland
AUFSATZSAMMLUNG
09-1/2
Ich hab den Blues schon etwas länger / Spuren einer Musik
in Deutschland / Michael Rauhut ; Reinhard Lorenz (Hg.). - 1.
Aufl. - Berlin : Links, 2008. - 409 S. : zahlr. Ill. ; 24 cm. - ISBN
978-3-86153-495-2 : EUR 29.90
[#0036]
Bücher über Blues gibt es eine ganze Menge, Bücher über Blues in
Deutschland dagegen nur wenige. Mit mehr als fünfzig Artikeln schließt das
vorliegende Sammelwerk eine Lücke, indem es sich den „Spuren einer Musik in Deutschland widmet. Die beiden Herausgeber kommen aus Ostdeutschland und so ist es naheliegend, daß sich das Werk nicht nur mit der
Bluesszene in Westdeutschland befaßt, wie man vermuten könnte, sondern
auch mit der recht lebhaften Bluesszene im Osten Deutschlands und - für
manche vielleicht überraschend - auch in der DDR.
Zwar wird dem Blues in Deutschland eine Existenz ab den zwanziger Jahren nachgesagt, als er im Schlepptau des Jazz über den Atlantik kam, aber
so richtig ging es erst los, als ab 1962 die Konzertagentur Lippmann+Rau
das American Folk Blues Festival (AFBF)1 organisierte und den Blues auch
einem Massenpublikum - wenn auch nur vorübergehend - bekannt machte.
Dieses AFBF, das auf eine Idee von Joachim-Ernst Berendt2 zurückgeht,
zieht sich wie ein roter Faden durch das fast ein Kilo schwere Buch. Der
Aufbau der Kapitel orientiert sich an den Zeilen des Stormy Monday Blues
und gliedert sich so in das Kapitel I. They Call It Stormy Monday und endet
mit Kapitel VII. Sunday I Go To Church, Then I Kneel Down And Pray. Innerhalb der sieben Kapitel schreiben kompetente Autoren (Publizisten, Musiker, Insider, Plattenproduzenten, Veranstalter, Radiomacher etc.) über
ganz verschiedene Aspekte der deutschen Bluesszene. So gibt es fundierte
historische und wissenschaftliche Artikel, Portraits einzelner Musiker und
Artikel über den Blues in einzelnen deutschen Regionen. Viele Autoren sind
auch über den Blues hinaus bekannt, einige sind auch als Jazzexperten
1
CDs und DVDs sind im Handel erhältlich.
Das Jazzbuch : von New Orleans bis ins 21. Jahrhundert ; mit ausführlicher Diskographie / Joachim-Ernst Berendt ; Günther Huesmann. - 7., vollst. überarb. und
aktualisierte Ausgabe. - Frankfurt am Main : Fischer, 2005. - XVI, 927 S. : Graph.
Darst. ; 23 cm. - Diskographie S. 855 - 909. - ISBN 3-10-003802-9 : EUR 29.90
[8726]. - Rez.: IFB 06-1-072 http://ifb.bsz-bw.de/bsz117887692rez.htm
2
oder Wissenschaftler ausgewiesen. Aus den insgesamt 53 Artikeln seien
einige hervorgehoben.
Gewissermaßen als Grundsatzartikel führt Manfred Miller mit seinem Aufsatz Und Blues ritt das Karnickel. Vom überraschenden Erscheinen und
allmählichen Schwinden einer amerikanischen Musik im Land, aus dem der
Käfer kam (S. 18 - 39) in die Thematik ein. Rainer E. Lotz befaßt sich mit
der afroamerikanischen Musik in Deutschland vor 1945 (S. 58 - 67) und führt
uns ins Kaiser- und ins Dritte Reich. Christian Pfarr bringt uns in seinem Artikel der Zeit des Wirtschaftswunders näher und präsentiert uns als Beispiel
für den Nachkriegs-Blues Der Theodor im Fussballtor von 1949 in der Interpretation von Theo Lingen (S. 81). Ein kurzer Artikel von Joachim-Ernst
Berendt unter dem Titel Eine Katakombenwelt ist dem Programmheft des
American Folk Blues Festival 1963 entnommen (S. 122 - 123). Chris
Strachwitz, Gründer von Arhoolie Records hält in seinem Artikel Befrei dein
Ohr. Blues einst und jetzt (S. 126 - 132) den Blues der Gegenwart für
„durchformt und hoch stilisiert, und er wird fast ausschliesslich von Weissen
für Weisse gespielt … Die Musik der heutigen Ghettos ist der Rap … Wie
der Blues ist auch der Rap von Weissen übernommen worden und macht
kümmerliche Bürschchen wie Eminem zu Superstars“ (S. 132). Detlef Siegfried führt uns in seinem Artikel Authentisch schwarz. Blues in der Gegenkultur um 1970 (S. 216 - 227) in die deutsche Alternativkultur der sechziger
und siebziger Jahre ein und beschreibt die unterschiedlichen Entwicklungen, die u.a. auch zum deutschen Terrorismus geführt haben, immer wieder
im Rahmen der Entwicklung der deutschen Musikszene: Blues als revolutionäre Musik für weisse Oppositionelle (Kapitelüberschrift auf S. 222).
Etliche Artikel sind Bluesmusikern gewidmet oder gar von Ihnen selbst verfaßt. So begegnet der Leser Inga Rumpf, dem Dritte[n] Ohr, Eric Burdon,
Klaus Doldinger, Jimmy Reed, Abi Wallenstein, Udo Wolff, Louisiana Red,
Christoph Dieckmann, Christian Rannenberg und vielen anderen.
Artikel aus und über deutsche Regionen stammen von Werner Burkhardt:
Wo der Mississippi in die Elbe fliesst. Hamburger Bluesgeschichten, von
Paul Vincent: Wie der Blues nach Lippe kam oder von Carl-Ludwig Reichert:
Ned ois is Bluus. Eine sehr kurze und unausgewogene Geschichte des
Blues in Bayern. Michael Rauhuts Artikel handelt über Blues-Diskurse in
West und Ost, Theo Lehmann, der Autor des ersten Bluesbuches der DDR,
beschreibt, wie er ein Konzert des AFBF verpaßte: Und ich war nicht dabei.
Bremen ist vertreten durch Siegfried Schmidt-Joos´ Artikel über die BremenConnection. Weitere Artikel befassen sich mit dem Blues in Thüringen
(Reinhard Lorenz: Sag mir, wo du stehst. Im Unterholz des thüringischen
Blues) und in Berlin (Thomas Gutberlet: Mauerblümchen. Der Blues in Berlin).
Mit dem AFBF befaßt sich Jürgen Schwab in seinem Aufsatz Auf der heissesten Volkshochschule der Welt. Die American Folk Blues Festivals von
Lippmann + Rau und Emil Mangelsdorff, der Bruder des verstorbenen Posaunisten Albert Mangelsdorff widmet seinen Artikel Horst Lippmann: Blues
für Horst. Peter Rüchel, der langjährige WDR-Redakteur des Rockpalastes
entdeckt Blaue Töne im Rockpalast.
Der letztgenannte Artikel und viele andere werfen zugleich auch ein düsteres Bild auf die deutsche Medienszene, insbesondere auf die katastrophale
Situation in den deutschen Rundfunkhäusern und Fernsehanstalten. „Gegen Mitte der siebziger Jahre hatten so gut wie alle Hörfunksender der ARD
feste Bluestermine im Programm“ (Manfred Miller, S. 37). Diese Zeit ist lange vorbei. Heute muß man lange suchen, bis man ggf. bei 3Sat ein Blueskonzert nachts zwischen drei und fünf Uhr entdeckt. Ähnliches gilt für die
Rundfunksender (Peter Rüchel, S. 232 - 242). Da wird man schon eher im
Internet fündig, das sich zwischenzeitlich zu einer wahren Fundgrube für
Radio-Fans entwickelt hat. Ein kostenloses Programm wie der PhonostarPlayer3 bietet im Genre Blues auf Anhieb Dutzende Sender, die verfügbar
sind und zudem auch gleich aufgenommen werden können.
Das Werk dürfte die umfangreichsten Darstellungen des Blues in Deutschland sein und kann zugleich als nahezu unerschöpfliches Nachschlagewerk
bezeichnet werden, das zudem über ein gutes Personen- und Bandregister
verfügt. Es liefert ein facettenreiches, vielschichtiges Bild der deutschen
Bluesszene mit ihren fünfhundert aktiven Bands, Dutzenden Clubs und an
die siebzig Festivals. Schwarzweiß- und Farbfotos mit Abdrucken von Plakaten, insbesondere vom AFBF, lockern das Werk auf. Das Buch sollte in
keiner guten Musikbibliothek fehlen.
Bernhard Hefele
QUELLE
Informationsmittel (IFB) : digitales Rezensionsorgan für Bibliothek und
Wissenschaft
http://ifb.bsz-bw.de/
3
http://www.phonostar.de/ [2009-08-23].

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