Jörg Berger: "Die Stasi wollte mich töten" - Vogtland

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Jörg Berger: "Die Stasi wollte mich töten" - Vogtland
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Jörg Berger: "Die Stasi wollte mich töten"
„Meine zwei Halbzeiten –
Ein Leben in Ost und West“ heißt das Buch von Bundesliga-Trainer Jörg Berger, das seit gestern
auf dem Markt ist. In einem Interview sprach der Sachse mit unserem Redakteur Thomas
Nahrendorf über seine zwei Halbzeiten. Der 64-Jährige unterhielt sich mit ihm über die
Machenschaften der Stasi in Ost und West, über gewonnene und verloren gegangene
Freundschaften in jener Zeit und über seine überstandene Krebskrankheit.
Herr Berger, auf aktuellen Fotos tragen sie keine Haare. Ist der Krebs doch noch nicht
überwunden? Ich denke schon. Bei meiner letzten Chemotherapie im November sind mir
Haare ausgefallen. Da habe ich mir gesagt: Jörg, runter mit den Dingern. Glatze sieht besser
aus als paar herunterhängende Franzen. Das sieht nur so dramatisch aus. Mir geht es sehr gut.
Befund und Gesundheitszustand sind besser als vor einem Jahr.
Haben Sie jetzt auch wieder Lust, als Trainer ins Geschäft einzusteigen? Sag niemals nie.
Wenn ein Angebot kommt, werde ich es mir anschauen. Sagen wir es mal so: Ich möchte, aber
ich muss nicht mehr.
In Ihrem Buch beschäftigen Sie sich sehr mit dem Thema Stasi. Fiel Ihnen die
Aufarbeitung schwer? Nein. Gar nicht. Ich bin ein Mensch, der immer hinterfragt, der alles
wissen will. Ich bin gerade heraus. Ich lasse mich nicht gerne bevormunden. Das war der
Hauptgrund für meine Flucht 1979. Ich hatte das Gefühl, man hat mich gebremst und verfolgt.
Als ich meine Stasi-Akten 1993 gelesen habe, wurde mir das auch bestätigt. Bis zu dem
Zeitpunkt hatte ich es nur geahnt, ab da hatte ich Fakten. Aber: Es ist kein Buch über die Stasi.
Es ist eins über mein Leben. Die Stasi hat mich nur leider mein Leben lang begleitet.
Was hat Sie an Ihren Akten am meisten geschockt? Das waren mehrere Fakten: Zum
Ersten, wie weit der Arm der Stasi in den Westen langte. Auf mich wurden mehrere Anschläge
verübt, zwei Mal auf der Autobahn, ein Mal mit Gift. Aus meinem näheren Umfeld hat mir
jemand Gift dosiert verabreicht. Damals konnte ich mich ein Jahr lang kaum davon erholen. Die
Stasi war auch im Westen präsent. Der zweite Fakt: Das war der Tod von Lutz Eigendorf. Ab da
habe ich gesehen, wie gefährlich wir geflüchteten DDR-Fußballer lebten. Und der dritte Fakt
war mit der erschütternste: Zwei meiner besten Freunde gehörten zu den Denunzianten.
Einer davon war Bernd Stange, den Sie in Ihrem Buch besonders hart angreifen. Ich
schreibe nur die Wahrheit. Bernd zählte wirklich zu meinen dicken Freunden. Doch selbst, als
ich schon im Westen war, hat er sich bereit erklärt, mich in die DDR zurückzubringen. Er hatte,
wie er in seinem Buch schreibt, nur den Mut nicht aufgebracht. Ich habe ihn nach dem Studium
meiner Akten, was zwei Tage dauerte, darauf angesprochen. Er hat es als Lappalie abgetan.
Sie haben Bernd Stange also nicht verziehen? Nein. Wenn er sich bei mir entschuldigt
hätte, dann ja. Aber so bin ich auf ihn zugegangen und er stellte sich dann hin und redet das
Getane klein. Ein gutes Beispiel ist ja, dass Bernd sich in Diktaturen immer wohl gefühlt hat.
Das war zu DDR-Zeiten so und ist heute noch so. Schauen Sie sich doch an, wo er Erfolg hat
und als Trainer arbeitet. In der DDR, im Irak und jetzt in Weißrussland. Alles Diktaturen.
Standen Sie sich auch einmal als Trainer gegenüber? Ja, ich war Coach bei Schalke 04 und
er beim VfB Leipzig. Kurz bevor ich meine Stasi-Akten gelesen habe, konnte ich ihn noch zu
Hertha BSC vermitteln. Er hat meine Hilfe damals dankend angenommen.
Sie schreiben in Ihrem Buch über Werner Riedel und Klaus Petersdorf. Zu DDR-Zeiten
Ende der 70er waren die beiden Ihre Aufpasser. Sie sind dann nahtlos zum DFB
gewechselt. Ärgerte Sie das? Und wie. Es war 1991 zum Pokalendspiel in Berlin. Ich ging mit
meiner Frau ins Stadion und dann kamen mir Riedel und Petersdorf im feinen DFB-Anzug
entgegen. Sie wurden nahtlos vom DDR-Fußballverband in den DFB übernommen. Da frage ich
mich: Wie naiv waren die damals? Wurden denn keine Fragen gestellt, was sie so gemacht
haben? Jetzt, zwei Jahrzehnte nach der Wende, wird nachgefragt. Waren die denn 20 Jahre blind?
Hätte ich zu DDR-Zeiten das Wort DFB in den Mund genommen, dann hätte ich Probleme
bekommen. Das ist es doch klar, dass mir der Hals geschwollen ist. Heute sehe ich das alles viel
gelassener.
Nach Ihrer Flucht waren Norbert Nachtweih und Jürgen Pahl Ihre erste Anlaufstation.
War es für Sie wichtig, diese beiden zu kennen? Schon. Es war eine komische Situation. Sie
waren in Halle meine Spieler, ich ihr Trainer. Aber menschlich haben sie mir sehr geholfen. Das
werde ich ihnen auch nie vergessen. Ansonsten musste ich meinen Weg alleine gehen. Später,
als Falko Götz und Dirk Schlegel abgehauen sind, konnte ich den Spieß umdrehen. Da habe ich
den beiden geholfen. Und später auch unter anderem André Köhler, der ja im Vogtland (in
Arnoldsgrün) wohnt.
Haben Sie heute noch Kontakt zu den geflüchteten DDR-Spielern? Aber natürlich. Jürgen
Pahl ist Trainer in Südamerika. Mit Norbert Nachtweih telefoniere ich regelmäßig und mit
Falko Götz fast täglich. Er ist so etwas wie mein Ziehsohn.