5X009-0/09 - Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung BFU
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Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung Untersuchungsbericht 5X009-0/09 April 2010 Der Untersuchungsbericht wurde gemäß § 18 FlUUG summarisch abgeschlossen, d.h. ausschließlich mit Darstellung der Fakten. Identifikation Art des Ereignisses: Schwere Störung Datum: 09. Mai 2009 Ort: Luftstraße Z 69, Nähe RAVED Luftfahrzeug: Verkehrsflugzeug Hersteller / Muster: Airbus Industrie / A321 Personenschaden: 15 Personen leicht verletzt Sachschaden: Luftfahrzeug nicht beschädigt Drittschaden: keiner Informationsquelle: Untersuchung durch BFU Sachverhalt Ereignisse und Flugverlauf Am 9. Mai 2009 befand sich ein Airbus A321 auf dem Flug von München nach Lissabon, als das Flugzeug während des Steigfluges in ca. 30 000 ft um 20:05 Uhr1 in Turbulenz geriet. An Bord befanden sich 147 Passagiere und 6 Besatzungsmitglieder, es wurden 2 Flugbegleiter und 13 Fluggäste verletzt. Das Flugzeug war um 19:35 Uhr in München auf der Startbahn 08R gestartet und der Abflugroute Kempten 1E gefolgt. Die geplante Flugzeit nach Lissabon betrug 2:57 Stunden. Der Kapitän hatte die Funktion des steuernden Piloten inne. Das Wetterradar war vom Start an eingeschaltet. 1 Alle angegebenen Zeiten, soweit nicht anders bezeichnet, entsprechen Ortszeit Als das Flugzeug im Steigflug etwa 20 000 ft passierte, bemerkte die Besatzung ca 80 NM voraus, nördlich des Wegpunktes RAVED, eine Gewitterzelle. Der Kapitän entschied sich, eine Kursänderung von ca. 5° nach Süden vorzunehmen, um genügend Abstand zu dieser Gewitterzelle zu halten. Nach Aussagen der Besatzung kam es etwa 20 NM südlich der Gewitterzelle in der Nähe des Wegpunktes RAVED in ca. 30 000 ft zu einer 8 bis 10 Sekunden anhaltenden Turbulenz mit Niederschlag, wobei auf dem Radarschirm keine Niederschlagechos zu sehen gewesen waren. Der Autopilot hatte sich selbstständig abgeschaltet, sodass der Kapitän kurzzeitig die manuelle Steuerung übernehmen musste, bevor er den Autopiloten wieder aktivierte. Nach Aussage des Copiloten hatte das Flugzeug während des Ereignisses kurzzeitig eine Sinkgeschwindigkeit von 5 000 ft/min. Kurz nach dem Ereignis erhielt die Besatzung eine Freigabe zum Steigen auf 35 000 ft. Bei dem Ereignis hatten sich zwei Flugbegleiter und 13 Passagiere, die nicht angeschnallt waren, verletzt. Ein Passagier musste mit Sauerstoff versorgt werden. An Bord waren ein Arzt und zwei Krankenschwestern, die Erste Hilfe leisteten. Der Kapitän entschloss sich, eine Ausweichlandung durchzuführen. Es standen die Flughäfen München, Zürich, Frankfurt, Stuttgart und Genf zur Verfügung. Nach Prüfung der Wettersituation entschied er sich für den Flughafen in Genf. Die Besatzung informierte die Schweizer Flugsicherung über ihre Absicht. Der Kapitän leitete einen 5X009-0/09 Seite 2 Sinkflug ein und landete das Flugzeug um 20:30 Uhr mit ca. 2 t über der maximalen Landemasse problemlos auf der Landebahn 23 in Genf. Die Feuerwehr stand bereit und begleitete das Flugzeug auf den Standplatz. Dort wurden zunächst die verletzten Personen versorgt. Nach ca. 75 Minuten hatten alle übrigen Passagiere das Flugzeug verlassen. Angaben zu Personen Die beiden Flugzeugführer waren im Besitz der erforderlichen Lizenzen und Berechtigungen, um den Flug durchzuführen. Verantwortlicher Flugzeugführer Der 43-jährige verantwortlicher Flugzeugführer saß auf dem linken Sitz, er hatte ca. 8 998 Stunden Flugerfahrung, davon ca. 583 Stunden auf A320/A321. Die Flugzeit innerhalb der letzten 90 Tage betrug 169 Stunden. Die Flugdienstzeit in den letzten 24 Stunden betrug 8:45 Stunden. Vor Dienstbeginn hatte er 15:09 Stunden Ruhezeit. Copilot Der 28-jährige zweite Flugzeugführer hatte eine Gesamtflugerfahrung von 2 305 Stunden, die er alle auf A320/A321 absolviert hatte. Die Flugzeit innerhalb der letzten 90 Tage betrug 171 Stunden. Die Flugdienstzeit in den letzten 24 Stunden betrug 8:45 Stunden. Vor Dienstbeginn hatte er 15:09 Stunden Ruhezeit. Hebungsvorgänge im Bereich des Tiefs verbunden mit der thermischen Auslösung von Konvektionsbewölkung führten zur Entstehung von einzelnen hoch reichenden Cumulunimbuswolken. Diese neigten im Laufe der Zeit zu einer Clusterbildung mit einem Schwerpunkt über dem Südwesten Deutschlands. Radar- und Satellitenauswertung Das Radarbild der Station Türkheim zeigte einzelne aktive Gewitterzellen im Bereich des nördlichen Schwarzwaldes sowie ein sich abschwächendes Schauergebiet im Raum Feldberg, östlich davon ein Cluster aus Cumulunimben mit unterschiedlichen Entwicklungsstadien. Um 17:50 UTC folgten einer sehr ausgereiften Gewitterzelle im Bereich Sigmaringen südöstlich davon mehrere Zellen, die sich neu entwickelten. Dies ist in den hoch aufgelösten Satellitenbildern deutlich zu sehen. Während die nördlich der Flugstrecke gelegene Zelle an der Oberseite ca. minus 70 Grad Celsius aufwies, was einer Höhe von ca. 39 000 ft entspricht, wurde südöstlich davon, nach einem Bereich mit niedrigen Wolkenobergrenzen, eine zweite sich entwickelnde Zelle mit einer Temperatur um minus 60° C gemessen. Dies entspricht einer Höhe von etwa 30 000 ft. Angaben zum Luftfahrzeug Der Airbus A321-131 hat die Seriennummer 0595 und wurde 1996 gebaut. Er wurde 1996 in Deutschland zum Verkehr zugelassen und fliegt seitdem in einem deutschen Unternehmen. Meteorologische Informationen Vom Deutschen Wetterdienst (DWD) in Offenbach wurde ein Wettergutachten erstellt, indem stellt sich die Wettersituation wie folgt dar: Flugroute am Rande der Gewitterzelle Foto: DWD Allgemeine Wetterlage Südwest- und Süddeutschland lag im Bereich einer südwestlichen Strömung auf der warmen Seite einer Frontalzone, die sich von Südfrankreich über die Mitte Deutschlands bis Polen erstreckte. In dieser Frontalzone verlagerte sich ein flaches Tief im Laufe des Nachmittags über Baden Württemberg und Bayern nach Nordosten. Im Vorfeld der noch über Frankreich liegenden Kaltfront strömte eine instabil geschichtete feuchtwarme Luftmasse nach Deutschland ein. Um 18:05 UTC begann sich die Lücke zwischen den Gewittertürmen zu schließen. Das Bild von 18:15 UTC zeigt eine reife Gewitterzelle deren Obergrenze ebenfalls bei ca. 39 000 ft liegen dürfte. Die Interpretation der Blitzdaten der letzten 30 Minuten vor dem Ereignis bestätigte die geschilderte Situation. Die Verteilung der Blitze zeigte die starke Aktivität nördlich und südlich des Flugweges, während dazwischen eine Abschwächung der Blitzzahl zu 5X009-0/09 Seite 3 erkennen war. Gegen 18:30 UTC hatte sich eine geschlossene Front gebildet. Die Analyse der Wetterlage unter Berücksichtigung der Vorhersagemodelle des Deutschen Wetterdienstes ergab keine Hinweise darauf, dass die bereits am Nachmittag lokal aufgetretenen Gewitter sich zum Abend hin räumlich zu großen, zusammengewachsenen Zellen oder Linien verdichten würden. Es waren lediglich einzelne große Gewitterzellen zu erwarten. Daher erfolgte die Einstufung als „ISOLATED“. Die dafür notwendigen Warnungen im GAMET (Gebietswettervorhersage), gültig von 15:00 – 21:00 UTC wurden ICAOkonform ausgegeben. Weiterhin wurden Flughafenwarnungen und GAFOR-Gebiete-Warnungen veröffentlicht. Erst als sich im weiteren Verlauf eine Clusterbildung der Gewitter andeutete, wurde die Warnstufe von „ISOL“ auf „FRQ“ erhöht und ein SIGMET herausgegeben. Die betroffenen Lufträume München und Langen FIR sowie Rhein UIR wurden zwischen 17:31 UTC und 17:40 UTC durch SIGMETs gewarnt. Für das südlich der Flugstrecke gelegene Schweizer FIR/UIR wurde kein SIGMET herausgegeben. Flugdatenaufzeichnung Der Flight Data Recorder (FDR) sowie der Cockpit Voice Recorder (CVR) wurden von der schweizerischen BFU sichergestellt und der BFU in Deutschland zur Auswertung übergeben. Die Auswertung des FDR zeigte zwischen 17:53:28 Uhr und 17:53:35 UTC starke vertikale Beschleunigung. Sie erreichten +1,85 g und in einem einzelnen negativen Stoß -0,5 g (Anlage 1) Die Auswertung des CVR ergab, dass alle Gespräche zum Zeitpunkt des Turbulenzereignisses bereits überschrieben waren. Das Gerät hatte eine Aufzeichnungsdauer von zwei Stunden und war bei der Landung in Genf nicht abgeschaltet worden. Untersuchungsführer Müller Mitwirkung Ritschel Die Ausgabe der SIGMETs erfolgte nach der Startzeit des Flugzeuges, sodass diese der Besatzung vor Flugantritt nicht vorlagen. Bei der Flugvorbereitung war aus der signifikanten Wetterkarte nicht zu erkennen, dass Cumulunimbuswolken auf dem ersten Streckenabschnitt zu erwarten waren. Die Wettervorhersage von München gab keinen Hinweis auf Gewittertätigkeit, Zürich rechnete mit 30% Wahrscheinlichkeit mit dem Auftreten von Gewittern. Anlagen Auswertung des FDR In den Routinevorhersagen und –warnungen des Deutschen Wetterdienstes und der Meteo Swiss war auf das Auftreten von Gewittern auf der Flugstrecke hingewiesen worden; die entsprechenden SIGMETs wurden zwischen 17:31 und 17:40 UTC herausgegeben. Die GAMET-Veröffentlichungen standen der Besatzung unternehmensbedingt nicht zur Verfügung. Im Bereich Südwestdeutschland traten zum betreffenden Zeitpunkt mehrere, sich zum Teil zu Clustern zusammenballende Gewitter auf, die in den Radarmessungen zu erkennen waren. Die hohen Obergrenzen der Gewitter sowie die intensiven elektrischen Erscheinungen lassen laut DWD darauf schließen, dass es sich im Bereich des Wegpunktes MOMUK um eine reife Gewitterzelle gehandelt hat, in deren Umgebung mit starken Turbulenzen gerechnet werden musste. Die Untersuchung wurde in Übereinstimmung mit dem Gesetz über die Untersuchung von Unfällen und Störungen beim Betrieb ziviler Luftfahrzeuge (Flugunfall-Untersuchungs-Gesetz - FlUUG) vom 26. August 1998 durchgeführt. Danach ist das alleinige Ziel der Untersuchung die Verhütung künftiger Unfälle und Störungen. Die Untersuchung dient nicht der Feststellung des Verschuldens, der Haftung oder von Ansprüchen. Herausgeber/Vertrieb: mail: [email protected] http:// www.bfu-web.de Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung Tel: 0 531 35 48 0 Fax: 0 531 35 48 246 Hermann-Blenk-Str. 16 38108 Braunschweig 5X009-0/09 Seite 4