Geliebter Führer

Transcription

Geliebter Führer
„Geliebter Führer“
Briefe der Deutschen an Adolf Hitler
Theresa Ebeling / Maximilian
Heidrich / Kai Jakob / Janine Noack /
Steffi Kühnel / Alexander Schug (Hg.)
„Geliebter Führer“
Briefe der Deutschen
an Adolf Hitler
Danksagung
Die Herausgeber danken Edith Jakob für die Übersetzungshilfe aus der
„Sütterlinschrift“ bzw. der „Deutschen Volksschrift“; Marie Schmidt
für ihre Erzählungen über ihre Zeit beim BDM und spätere Kriegserinnerungen; Elisabeth Reiche und Jenny More. Dank auch an Dalia
Hussein
Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über
http://dnb.d-nb.de abrufbar.
ISBN: 978-3-940621-44-3
Redaktionelle Mitarbeit: Wolf-Rüdiger Knoll, Frank Petrasch
Impressum
Grafisches Gesamtkonzept, Titelgestaltung, Satz und
Layout: Stefan Berndt – www.fototypo.de
© Copyright: Vergangenheitsverlag, Berlin /2011
www.vergangenheitsverlag.de
Alle Rechte, auch die des Nachdrucks von Auszügen, der fotomechanischen und digitalen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten.
Inhalt
Einleitung
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Die Akten des Bundesarchivs in Berlin
Editorische Notiz
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„Lieber Onkel Adolf Hitler“ –
Kinder schreiben dem Führer
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Ein Geburtstagsgruß
Kindergebet von „kleinen Nazis“
Ein Geburtstagsgruß
Ein Geburtstagsgruß an „den Führer der N.S.D.A.P.“
Gratulation mit Zeichnung
Adolf Hitler soll Pate werden
Ein Junge will ein „treuer Kamerad“ werden
Ein Mädchen vergöttert den „Führer“
Zwei Jungen gratulieren Adolf Hitler zum Wahlerfolg
Keine Aufsätze mehr über „den Führer“
Eine 14-Jährige gratuliert zum Geburtstag
Ein Mädchen berichtet von ihrem Besuch bei Adolf Hitler
Gebet eines Mädchens für Adolf Hitler
Kinder freuen sich auf die Hitlerjugend
Ein Mädchen schreibt aus Japan
Über eine Schulfeier in Wien
Ein Mädchen gratuliert und bittet „den Führer“ um Geld
Geburtstagsgrüße aus Chemnitz
15-Jährige will Spionin werden
Ein Junge möchte in die Hitlerjugend
Geburtstagskarte mit Hakenkreuzzeichnung
Gratulation aus Leipzig
Bunstiftzeichnung
Ein Baby mit Hakenkreuzdecke
Kindergedicht aus Belgrad
Ein Mädchen möchte zu Adolf Hitler reisen
Post aus Kairo
Ein Mädchen möchte Adolf Hitler heiraten
Ein Mädchen berichtet vom Geländespiel
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„Wir haben Adolf Hitler Alles zu verdanken“ – Dank, Gratulationen und Anliegen an den „Führer“
„Der neubelebte Stamm der deutschen Eiche“
Glückwünsche aus Athen
Ein „Hakenkreuzmädel“ gratuliert
Parteimitglied gratuliert Adolf Hitler
Eine Frau hofft auf bessere Zeiten
Gratulation eines Unterbezirksleiters
Gratulation an den „Erretter“
Dankeskarte mit Kinderbild
Geburtstagsfeier zu Ehren des Reichskanzlers
Treueschwur in „Not und Tod“ mit Micky
Soldat begrüßt den „altdeutschen“ Weg Adolf Hitlers
Bitte um Zustimmung für eine Marschkomposition Bitte an Hitler eine Dogge als Geschenk anzunehmen
Ein Brief mit Blumen
Ein Hund „beglückwünscht“ Adolf Hitler
Weihnachtsgrüße
Zum Preisausschreiben der Braunschweiger Tageszeitung
„So verdanke ich Adolf Hitler alles was ich heute bin“
„Arbeitslosen-Armee beseitigt“
„Dank aus tiefstem Herzen“ „In Arbeit und Brot gekommen“ „Wo in der Welt hat man ähnliche Taten vollbracht?“ „Manchmal will einen die Freude schier übermannen“
Ehemaliger Kommunist verehrt „den Führer“
Telegramm zur Geburt eines „Hitlerjungen“
Adolf Hitler ist ein „Bruder Gottes“
„Der Führer“ muss nicht danken
Dankesschreiben für Kaffee
Das Bild Adolf Hitlers als Geburtstagsgeschenk
Eine Familie gratuliert
Die „Sonne“ geht auf
„Dem Führer Deutschlands“
Glückwünsche von Frontsoldaten
Über die „unglaubliche Selbstzucht“ Adolf Hitlers
Ein Spielmannszug gratuliert
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Zwei Gedichte zum Geburtstag
Eine Frau beichtet ihre halbjüdische Herkunft
„Die größten Frauen der Welt“
Grüße zum Jahreswechsel
Einladung der „Nationalsozialistischen Frauenschaft“
Treuebekundung für Adolf Hitler
Ein „Volks-Empfänger“ für Familie A.
Eine Mutter berichtet über Ihre Kinder
Eine Frau über das Unglück des Zeppelins LZ „Hindenburg“
Deutschland betet für Adolf Hitler
Zu allen Opfern bereit
Brief einer „nationalstolzen deutschen Frau“
Glücksgefühle nach der „Befreiung“ des Sudetenlandes Eine „übergroße Liebe“ für Hitler
Sprachunterricht für „den Führer“
Bitte um Audienz „beim Führer“
Danksagung einer Mutter
Ein Kind für „den Führer“
„Blumen der Freude und des Friedens“
Neujahrsglückwünsche
Lebenslauf einer Nationalsozialistin
Grüße einer NS-Frauengruppe
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„Du bist der Urquell aller Quellen“ – Ein Volk dichtet seinem „Führer“
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„Ehre und Blut“
Das neue „Deutsche Reich“
„Dreimal Heil“
Ein Geburtstagsgedicht
„Neu-Deutschland“ Ein Weihnachtsgedicht von 1934
Gedicht über die „arische Rasse“
Treubekundung eines Mädchens
Ein Mädchen dichtet für Adolf Hitler
Glückwunschdepesche
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Inhalt
„Und wenn ich auch Mann + zwei Buben von 22 + 19 Jahren für dich
opfern muß...“ – Frauen schreiben an Hitler
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Ein Gedicht an „Onkel Hitler“
Dankesgedicht aus Österreich
Österreichs „Anschluss“ an das „Deutsche Reich“
Lobpreisung für Adolf Hitler
Adolf Hitler und die nordischen Götter
Neujahrsglückwünsche der Salzwirter Brüderschaft
Adolf Hitler als „neuer Messias“
Adolf Hitler, „Baumeister einer neuen Zeit“
Gedicht über den Russland-Feldzug
„Heil der deutschen Sache!“
Treue bis in den Tod
Ganz nah bei Adolf Hitler
Gedicht über „bessere Zeiten“
Adolf Hitler, der „Retter von Deutschland“
„Gemeinschaftsgeist und Opfersinn“
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„Ja, was die ganze Welt nicht glaubt: Was Hitler sprach, das tat er“ –
politische Briefe an Adolf Hitler
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Zweifel an Adolf Hitler Englische Frau weist auf „Misstände“ hin
Drohung gegen Adolf Hitler
„Metamorphose“ eines ehemaligen Kommunisten
Sinneswandel eines ehemaligen SPD-Mitglieds
„Wehrhaftmachung“ als Garant für Frieden
Sinneswandel eines ehemaligen KPD-Mitglieds
Feindbild „Marxismus“
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„Das neue deutsche Reich der Größe und Ehre und der Kraft und
der Herrlichkeit und der Gerechtigkeit. Amen!“ –
Briefe über Gott, die Welt und Hitler
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Erinnerung an den 1.Mai als kirchlichen Feiertag
Protest einer evangelischen Gemeinde
Adolf Hitler „erfüllt den Willen Gottes“ Loyalitätsversprechen an Adolf Hitler
Katholisches Glückwunschschreiben
Alt-katholische Kirche betet für Adolf Hitler
Gebet für Adolf Hitler in Liedform Lokale Kirchenvereine sprechen Adolf Hitler das Vertrauen aus
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Deutsch-englische Freundschaft
Ein bulgarischer Junge über seinen Besuch in Deutschland
„Es lebe Hitler! Es lebe der Duce!“
„Hitlergruß“ in Japan
Begeisterung aus dem Nahen Osten
Panzerschiffe nach Stockholm
Ein englischer Bewunderer
Ein Amerikaner auf Souvenirjagd
Zuspruch aus den USA
Sehnsucht nach Frieden
„Echter“ Schwede ist begeistert von Adolf Hitlers Rede Kriegsveteran hofft auf Frieden
Warnende Worte einer Elsässerin
Adolf Hitler als Friedensstifter
Friedensappell an Adolf Hitler
Die „Rassengleichheit“ Deutschlands und Englands
Dank eines schwedischen Grafen
Aufruf, Kriegsvorbereitungen einzustellen
„Erwünschte Neuordnung Europas“
”Do Not Stop“
Vorschlag eines amerikanischen Geistlichen
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Anmerkungen
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Inhalt
“So do please do all in your power to avert another war with all its
horrors” –
Stimmen aus dem Ausland
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Einleitung
Wer war Hitler? Es gibt zahllose Versuche, diesen Mann
zu portraitieren und zu ergründen. Ob Hitler „gefasst“
wurde, verstanden, erklärbar gemacht werden konnte,
war und ist Gegenstand vieler Diskussionen. Einige
Bücher haben grundlegend unser Bild von Hitler beeinflusst, so Joachim Fests Hitlerbiografie oder die Studien
von Ian Kershaw.1 Wesentlich wirkungsmächtiger werden aber wohl die Bilder Hitlers gewesen sein, die in
den letzten Jahrzehnten die Massenmedien produziert
haben, teils in aufklärerischer Manier, teils sicherlich
auch, weil Hitler Quote bringt.2 Die Dämonisierung
Hitlers war dabei eines der beliebtesten Stilmittel,
übrigens auch in der Wissenschaft. Die Potenzialität
des Monströsen hat jedoch seine Schattenseiten als
Erklärung, wie ein Mann wie Hitler Macht ausüben
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konnte: Diese Perspektive entlastet zu sehr diejenigen,
die das System Hitler konstituiert haben, von denen
man fälschlicherweise behauptet, sie hätten erst „befreit“
werden müssen. Schon allein in dem Bild der Befreiung
vom Bösen steckt eine Problematik, ähnlich wie die der
Trivialisierung Hitlers in der Popkultur. Trivialisierung
entsteht durch massenmediale Abnutzung und zu oft
provozierte Tabubrüchen. Trivialisierend können aber
auch die Darstellungen wirken, die Hitler parodierend
verarbeiten und lächerlich machen, um – wie es dann so
oft als Erklärung heißt – sich über das Phänomen Hitler
stellen zu können, sich zu erheben und den eigenen
moralischen Standpunkt deutlich zu machen. Hitlerparodien sind ein eigenes Genre geworden mit Beiträgen wie „Adolf, die Nazi-Sau“, „Schtonk“ oder „Mein
Führer – Die wirklich wahrste Wahrheit über Adolf
Hitler“. Das Genre hat es sogar schon zu einem eigenen
Beitrag in der Web-Encyclopädie Wikipedia gebracht.
Und immer, wenn man zum Beispiel auch in der
Kunst noch ein Quentchen Böses braucht, bedient man
sich gerne des vermeintlichen Prototypen des Bösen
sowie der Requisiten seines Reiches. Dieses vielleicht
sogar politische und aufklärerische sich Abarbeiten an
der Geschichte und Herr werden über sie mag gut gemeint sein. Comiczeichner oder Künstler mögen sogar kritisch an ihre „Geschichte“ herangegangen sein
und eine klare demokratische Haltung haben, was alles
durchaus lobenswert ist.3 Die Popkultur ist schließlich
nicht per se ohne Haltung. Aber ist es nicht so, dass
uns Hitler heute wieder zunehmend entgleitet, eh wir
ihn gefasst hatten?
12
Einleitung
Problematisch an Hitler in der Popkultur ist, dass
eine ganze Epoche, ein ganzes komplexes System nur
noch über einzelne Images, ikonografische Details wie
Scheitel, Hitlerbärtchen oder Hakenkreuze kenntlich
gemacht werden und oberflächlich schon als Code der
Verständigung von Gruppen, die diese Zeichen nutzen,
die diese Zeichen ablehnen oder die diese Zeichen karikierend verwenden etc. dienen. Es kommt zu Verkürzungen in der Darstellung – zwangsläufig, am Ende
bleibt dann tatsächlich nur noch Hitler als Witzfigur
übrig, weil man eine komplexere Beschreibung seiner
Haltung nicht geben kann.
In der demokratischen Kultur Deutschlands ist man
zu einem überwältigenden Teil „gegen Nazis“. Die Antifa-Kultur ist da nur ein Beispiel, die Grundhaltung,
gegen rechts zu sein und sich über die Ablehnung des
historischen „Dritten Reichs“ sogar zu definieren, ist
immerhin auch in der Breite zur Maxime, und oftmals
selbstverständliches und nicht mehr durchdachtes Ritual geworden. Aber irgendwie verblasst dieser Hitler
trotzdem als historische Realität. Natürlich verblasst er
auch, weil die Jahrzehnte eine andere Geschichtsfühligkeit mit sich gebracht haben. Aber es könnte und
sollte heute und in Zukunft, selbst wenn die Betroffenheit, Schuld, das schlechte Gewissen der Miterlebenden über die Generationen verloren geht, die Zeit
des Nationalsozialismus immer als Fanal gelten. Das
klingt oberlehrerhaft, aber es hat einen wahren Kern.
Aus der NS-Zeit können auch in Zukunft Lehren gezogen werden, zumindest theoretisch wird die Zeit des
Nationalsozialismus und der Aufstieg Adolf Hitlers uns
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heute und in Zukunft vor Augen halten, wie wichtig es
ist, Macht zu kontrollieren und wachsam sowie politisch
aktiv zu sein. Das ist keine Selbstverständlichkeit, auch
wenn sich viele das nicht mehr vorstellen können. Sich
Hitler an den Hals geworfen, ihn religiös überhöht als
„Heiland“ vergöttert zu haben, scheint den Jüngeren sogar geradezu absurd. Sich das Verhalten der Deutschen
vor 70 Jahren jedoch noch einmal genau vor Augen zu
halten, ist nach wie vor erhellend und aufrüttelnd. Es
gehört zu einer aufgeklärten Kultur ohne Geschichtsvergessenheit, sich auch immer wieder damit zu konfrontieren, wie der Nationalsozialismus möglich geworden ist und wieso die meisten Deutschen sich Hitler
so auslieferten, ihn kritiklos hochstilisierten, keinerlei
Distanz wahrten. Vielfach ist genau das in der Literatur mit Hitlers besonderem Charisma erklärt worden.
Mit Hitlers Charisma zu argumentieren oder die ausgeklügelte Inszenierung dieses Charismas zu betonen,
führt jedoch immer wieder nur zu dem gleichen falschen Punkt: dass die Deutschen damals keine so große
Schuld treffen konnte, weil entweder eine sozusagen
göttliche Autorität oder kaum fassbare Vermarktungsstrategien am Werk waren, die die Deutschen verführten
und Hitler in seine Position brachten.
Aber die Wahrheit ist auch, dass Hitler und der
Führerkult den Massen nicht nur aufgezwungen wurde, sondern von ihnen miterschaffen worden ist.4 Hitler bot eine große Projektionsfläche für alle möglichen
Sehnsüchte der Deutschen, wie sie deutlich in diesem
Buch hervortreten. Hitler ist damit ebenso ein Produkt
der Fantasien der Deutschen gewesen.
14
Einleitung
„Lieber Onkel Adolf“, „Sehr verehrter Herr Reichskanzler“, „Geliebter Führer“ – so oder ähnlich begannen
viele Briefe, die bis 1945 zu Tausenden in der Kanzlei des Führers oder auf dem Obersalzberg bei Hitlers
Schwester Angela Raubal eingingen. Sie stammen aus
Deutschland, Österreich, aber auch aus England oder
Japan. So vielfältig wie die Begrüßungen waren die Anliegen der Schreiber: flehende Bittbriefe, Glückwünsche
zum Jahreswechsel oder zum Geburtstag, ideologische
Fragen oder scharfe Proteste. Aus allen Teilen der Bevölkerung schrieben die Menschen an ihren „Führer“,
vom Professor bis zum Arbeitslosen, von der Nonne
bis zum SA-Mann. Die Popularitätskurve Hitlers las
sich schließlich auch in der Zahl der an ihn gerichteten
Briefe ab. Während zu Beginn seines Aufstiegs Verehrungsbriefe noch rar gesät waren, häufte sich spätestens
seit seinem Machtantritt 1933 die oft gottgleiche Huldigung seiner Person. Während des Krieges schwand das
Vertrauen in den „Führer“ und damit auch das Briefvolumen. Für Hitler selbst war die Bevölkerungspost oft
ein wichtiges Stimmungsbarometer – und auch wenn er
nicht mal annährend alle Briefe las, wurde er von den
Leitern der Kanzleien regelmäßig mit ausgewählten
Auszügen versorgt.
Nach dem Ende des Krieges 1945 bedienten sich die
Alliierten aus den Archiven der schwer beschädigten
Reichskanzlei, die sich zu dieser Zeit im russischen
Sektor befand. Sie hofften, Beweismaterial zu sichern.
Nichts anfangen konnte man jedoch mit der Bevölkerungspost aus der Privatkanzlei Hitlers, denn mit ihr
ließ sich nicht Schuld oder Unschuld überlebender Mit-
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täter nachweisen. Oft wurden diese Briefe in Archiven
abgelegt und vergessen. So entdeckte der Journalist und
Historiker Henrik Eberle vor einigen Jahren in einem
Moskauer Archiv vergessene Post an den Reichskanzler
Adolf Hitler, die er in mehreren Wochen systematisch
auswertete und in Buchform veröffentlichte.5 Diese wiederentdeckten Briefe waren mit anderen interessant
erscheinenden Akten von der Roten Armee nach Moskau gebracht worden. Auch in den USA interessierte
man sich für das Schriftgut aus der Reichskanzlei: Ein
amerikanischer Soldat, der aus Interesse in die zerstörte Reichskanzlei eingestiegen war, sammelte mehrere
tausend Briefe und schickte sie in sein Heimatland. 50
Jahre später veröffentlichte William C. Emker zusammen mit dem deutschen Historiker Helmut Ulshöfer
eine Auswahl von Liebesbriefen an Hitler.6
Die Akten des Bundesarchivs in Berlin
Um Briefe an Hitler aus der deutschen Bevölkerung der
1930er und -40er Jahre lesen zu wollen, muss man nicht
bis Russland oder die USA fahren. Auch das Bundesarchiv in Berlin-Lichterfelde lagert kiloweise Post an
Hitler. Stapelweise Ordner und Hefter mit Hunderten
von Blättern bekommt man im Berliner Bundesarchiv
nach Bestellung vorgelegt, sortiert sind sie allenfalls
nach Jahr oder den jeweiligen Anfangsbuchstaben der
Verfasser. „Glückwunschschreiben aus dem Jahr 1937“
heißt es dann allgemein in den Findbüchern des Archivs. Diese Glückwünsche sind mit Zeichnungen oder
Gedichten versehen, viele Menschen haben Fotos von
16
Einleitung
sich oder ihren Kindern beigelegt. Einige Schreiben
sind mit Maschine geschrieben, der Großteil jedoch in
Sütterlin verfasst. Nur einige wenige Briefe sind vergilbt
oder gerissen. Ein Großteil der Post ist gut erhalten,
ordentlich durchnummeriert, abgestempelt und zum
Teil mit einem rosa Durchschlag der Antwortschreiben
versehen.
Die nachfolgenden Briefe bilden nur einen kleinen
Teil der Bestände des Bundesarchivs ab und stammen
hauptsächlich aus der Zeit vor Kriegsbeginn – darunter befinden sich Gedichte, Verehrungsschreiben oder
Glückwünsche. Damit bietet die vorliegende Sammlung
immerhin einen authentischen, direkten Einblick in das
Denken und Fühlen der vom Nationalsozialismus „Verführten“, der Mitläufer und vielleicht auch Mittäter. So
sahen einige Hitler praktisch als Familienmitglied, als
Onkel, der ihnen Gutes tut. Andere personifizierten ihn
als den „Erlöser“, benutzten religiös geprägte Formulierungen. Die Briefe bilden einen starken Kontrast zu den
Schrecken, die die Diktatur und der Zweite Weltkrieg
nur einige Zeit später auf der ganzen Welt anrichten
werden. Man entnimmt diesen Brief auch, dass deren
Verfasser ungebremst an das Gute in Hitler und seiner vernichtenden Ideologie glaubten – gerade dieser
Zwiespalt zwischen der Gedankenwelt der Menschen
damals und dem, was wir heute wissen, kreiert eine
Beklommenheit aus heutiger Sicht zwischen Ungläubigkeit und Angewidertsein angesichts so hemmungsloser
Hingabe. Die Briefe sind somit eine Quelle darüber,
dass viele Deutsche jegliche kritische Distanz in den
1930er/40er Jahren verloren haben und sich in der ver-
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meintlichen Größe ihres „Führers“ selbst spiegelten. Die
Briefe offenbaren, mit welch großer Begeisterung und
Leidenschaft die Deutschen ihre Linientreue beteuerten und Teil des Systems sein wollten. Die Schreiben
sind geradezu intime Zeugnisse, in denen Anpassung
und Hingabe sogar (homo)erotische Züge tragen. Die
Verfasserinnen und Verfasser wollten nah bei Hitler
sein und sogar für ihn sterben. Die Anliegen, die in den
Briefen zu Tage treten, erscheinen heute absurd. Aber
die Absurdität dieser besonderen Literatur hat einen
heilenden und abschreckenden Effekt für heutige Leser.
Genau deshalb haben wir dieses Buch gemacht.
Diese Quellenedition wird nicht unser Hitlerbild erneuern, vielmehr bietet es die Gelegenheit, sich anhand
der hier versammelten Primärquellen in das komplexe
Verhältnis der Deutschen zu Hitler hineinzudenken und
eigene Rückschlüsse zu ziehen, die jenseits der popkulturellen Verkürzungen stehen.
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Im Folgenden lesen Sie eine Auswahl aus den Beständen des Bundesarchivs. Relevante Bestände fanden sich
in den Akten der persönlichen Adjutantur des Führers
und Reichskanzlers (BArch NS 10), im Hauptarchiv
der NSDAP (BArch NS 26), der Kanzlei des Führers
der NSDAP (Dienststelle Bouhler, BArch NS 51), der
Registratur der Reichskanzlei (BArch R 43/3L sowie
im Bestand Neue Reichskanzlei (BArch R 43-A-II).
Die aus diesen Überlieferungskontexten gesammelten
Briefe sind von den Herausgebern verschiedenen Themenkomplexen zugeordnet worden: Kinderpost, Geburtstagsglückwünsche, Anliegen und Dankesschreiben,
Briefe von Frauen, Gedichte, Briefe mit politischem
Hintergrund, Briefe mit Bezug zur Kirche sowie Post
von Personen aus dem Ausland.
Jeder Quelle sind einleitende Informationen vorangestellt. Um die Authentizität zu wahren, wurden die
Briefe und Abschriften originalgetreu übernommen.
Dies beinhaltet auch Tippfehler, orthografische Mängel
sowie Unterstreichungen. Infolge der Anonymisierung
erfolgten lediglich Änderungen bei den Absendern der
Briefe. Für eine bessere Lesbarkeit wurden teilweise die
Formatierungen der Quellen abgeändert. Unleserliche
oder vermutete Buchstaben bzw. Wortlaute wurden mit
Auslassungszeichen in eckigen Klammern gekennzeichnet. Gleiches gilt für Vermerke der Herausgeber.
Einleitung
Editorische Notiz
19
20
[.]
ausgelassenes Wort
[..]
zwei ausgelassene Wörter
[...]
mehr als drei ausgelassene Wörter
[A]
Buchstabe nicht lesbar
(vermuteter Buchstabe in Klammern)
„Lieber Onkel Adolf
Hitler“ –
Kinder schreiben dem
„Führer“
Die nationalsozialistische Gesellschaft war gleichgeschaltet. Der Anspruch auf die Beeinflussung der
Deutschen war total – bereits bei Kindern begann
die Indoktrination. Von klein auf sollten sie Teil der
„Volksgemeinschaft“ sein mit dem Ziel, „gute Deutsche“
zu werden. Die Gleichschaltung des gesellschaftlichen
Lebens betraf auch die Jugendorganisationen. Mit Hitlerjugend und Bund Deutscher Mädel wurde früh in die
Erziehung eingegriffen. Mitgliedschaften darin waren
verbindlich, andere Jugendorganisationen waren zuvor
aufgelöst worden. Man konnte sich schwer entziehen.
Die NS-Ideologie war damit Teil jugendlicher Lebenswelten. Bis ins Kinderzimmer zogen die Botschaften
und Embleme des Nationalsozialismus ein, oftmals in
Form heute skurril anmutenden Spielzeugs.
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