Narzistische Geschäftsführer in Zeiten entgrenzter
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Narzistische Geschäftsführer in Zeiten entgrenzter
Narzisstische Geschäftsführer in Zeiten entgrenzter Arbeit Ein Beitrag zum Unbehagen am Arbeitsplatz „Ich habe die Gabe, die Leute zu finden, die mich vergöttern und mir diese abgehobene Rolle ermöglichen“. (Originalzitat aus einem gutachterlichen Explorationsgespräch zitiert von Dr. med. Thomas Knecht, leitender Arzt für Sucht & Forensik der Psychiatrischen Dienste Thurgau in Münsterlingen, Schweiz, aus seinem Beitrag in der Fachzeitschrift „Kriminalistik“ „Das Persönlichkeitsprofil des Wirtschafts© iStockphoto kriminellen aus psychiatrischer Sicht“, Heidelberg 2006, 60. Jg./S. 210) Inhaltsverzeichnis 1.1 Fallbeispiel: die Geschäftführerin Frau Grandios 2 1.2 Narzisstische Personen 4 1.3 Der maligne (bösartige) Narzissmus 5 1.4 Die allgemeinen Kriterien für eine Persönlichkeitsstörung (F60) 6 1.5 Kriterien der narzisstischen Persönlichkeitsstörung 6 1.6 Zur Epidemiologie der narzisstischen Persönlichkeit 7 2. Entgrenzung der Arbeit 7 3. Der Schlüsselbereich des gesellschaftlichen Unbehagen 8 3.1 Entgrenzte Arbeit und narzisstische Personen 8 3.2 Empirische Daten zu psychischen Erkrankungen 9 3.3 „Rasender Stillstand“ (P. Virilio) 9 3.4 Der egozentrisch-narzisstische Arbeitsstil: Der GRANDIOSE 11 3.5 Der narzisstische Geschäftsführer im personenzentrierten Dienstleistungsbereich 12 Exkurs: Über die Verblendung von Menschheitserziehern oder zur Pädagogik als Symptom 12 3.6 Das Mobbingtagebuch 13 4. Resumée und Ausblick 14 In Erinnerung und sehr großer Anerkennung – Dietmar Kamper 1 15 Die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) hat die Wörter des Jahres 2011 gewählt. Unter den ersten zehn Plätzen befinden sich die Wörter „Stresstest, „guttenbergen“ und „Burnout“. Auf FOCUS Online vom 18.12.2011 fordert der Freiburger Psychiatrieprofessor und Leiter der Freiburger Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Mathias Berger „'die Politik auf, einzugreifen. Gewerbeaufsicht und Betriebsärzte müssten die Möglichkeit haben, in Betrieben Risiken für so genanntes Burn-out abzustellen. Deutschland brauche eine Regelung, die klarstelle, dass Arbeitgebern die Fürsorgepflicht auch im Falle psychischer Belastung obliege, ... . Dies sei notwendig, da es eine rasante Zunahme von Krankheitstagen wegen psychischer Belastungen gebe. Ein wachsender Teil davon sei durch Depressionen mit dem Leitsymptom massiver Erschöpfung bedingt. Frankreich, Belgien und Dänemark hätten Verordnungen erlassen, in denen die Beseitigung psychosozialer Missstände am Arbeitsplatz, von Überlastung bis Mobbing, eingefordert werde wie Unfallverhütungsmaßnahmen', so Berger. Auf die FOCUS-Frage, ob die Arbeitnehmer verlernt hätten, zwischen Beruf und Freizeit zu unterscheiden, antwortete er: 'Viele Arbeitnehmer sehen sich einer paradoxen Freiheit gegenüber: Der Freiheit, unermüdlich am beruflichen Fortkommen zu werken, seines eigenen Glückes Schmied zu sein. Die lange dominierende Disziplinargesellschaft sei durch die Leistungsgesellschaft abgelöst worden. In dieser falle es immer mehr Menschen schwer, eine Überforderung zu erkennen'“ (http://www.focus.de/finanzen/karriere/psychiater-mathiasberger-gewerbeaufsicht-soll-gegen-burn-outeinschreiten_aid_695332.html). Ein Risiko stellen narzisstische Geschäftsführer in entgrenzten Arbeitszusammenhängen dar. Anhand eines wohl recht typischen simulierten Szenario soll ein entsprechender Eindruck im folgenden vermittelt werden: 1.1 Fallbeispiel: die Geschäftführerin Frau Grandios Für die narzisstische Geschäftsführerin Frau Grandios sind Regeln Mittel zum Zweck, zur Legitimation nach außen, zur Erlangung und Erhaltung von Macht und Kontrolle. Ihre Assistentin entspricht der bei Hesse und Schrader beschriebenen Verwalter-Sklavin bzw. dem „Firmenuntertan“ von Fuchs und Huber. Sie nimmt die Rolle des uneingeschränkt und grenzenlos Bewundernden ein. Sie sagt: Frau Grandios trifft oft spontane Bauchentscheidungen. Es geht in diesem Anwendungsgebiet um eine private Bildungseinrichtung, wo man u.a. den mittleren Schulabschluss nachmachen kann. Frau Grandios in ihrem beeindruckenden äußeren Erscheinungsbild mahnt vor anderen bei einem Schulungsteilnehmer in aggressivem Ton freundlicheres Verhalten an. Viermal wird ein Mitarbeiter von ihr ohne Ankündigung vor Kollegen und/oder Teilnehmern sehr aggressiv angesprochen, weil er vermeintlich irgendetwas aus ihrer Sicht falsch gemacht habe. Als der Mitarbeiter zu Frau Grandios sagt, es wäre für ihn hilfreich, wenn sie klare Arbeitsanweisungen formulieren würde, erklärt sie ihm, dass sie ihm schon im Einzelfall sagen würde, wenn ihr etwas nicht passe. Ein anderes Beispiel, Kopien: im Detail mit Frau Grandios abgesprochen, welche Materialien für die Teilnehmer kopiert werden, weil sie unbedingt notwendig sind. Sie hält den Kopiervorgang an, greift den Mitarbeiter verbal aggressiv an, was er sich denn erlauben würde, das Geld des Betriebes zu verplempern, und fordert ihn auf, künftig jede einzelne Kopie von ihr vorab genehmigen zu lassen. Somit ist folgendes typisch: Management-by-Refuse Communication und Delegation-by-Silent. Eine weitere typische Situation: Frau Grandios sagt ihm zu Beginn der Zusammenarbeit, dass er für seine vorbereitenden Arbeiten eine angemessene Gratifikation erhalten würde. Sie sagt für die Unterstützung beim Umzug des Bildungsträgers einen Tag Urlaub zu. Beides hält sie selbstverständlich nicht ein. In diesem Zusammenhang erzählt sie ihm zur Dokumentation ihrer beruflichen Cleverness, dass sie über Herrn Muster die Beauftragung freihändig erhalten 2 habe. Vorgesehen sind von ihr zuerst 12 Teilnehmer mit Hauptschulabschluss, aus denen dann real ohne Konsultation mit dem zuständigen Mitarbeiter 25 werden, weil sie ab 22 Teilnehmern einen hohen Rabatt erhält. Die beiden Gruppen von 12 und 13 Teilnehmern muss er ohne Unterstützung allein parallel betreuen. Frau Grandios ist generell absolut misstrauisch und achtet extrem auf jede Kleinigkeit des betrieblichen Eigentums, beispielsweise USB-Sticks: einen von drei von ihr für Teilnehmer ausgeliehenen USB-Sticks kann der Mitarbeiter ihr nicht umgehend zurückgeben, weil ein Kollege ihn kurzzeitig nutzte. Konsequenz: Keine Ausleihe mehr von USB-Sticks. Frau Grandios schließt ihn von der Teamsitzung mit der Begründung – er müsse unterrichten - aus; die Kollegen schweigen. Wogegen die Kollegen ihre Teilnehmer alleinlassen. Eines Tages fällt die Telekommunikation aus, also Telefon und E-Mail -angeblich wegen Blitzschlag. Tatsächlich wird vom Büro der Geschäftsführung ein Passwort im Hausserver aktiviert. Die Geschäftsführung empfängt E-Mails. In der Woche vor ihrem Urlaub spricht Frau Grandios nicht mit dem Mitarbeiter. Sie reagiert nicht auf tägliche Bitten von ihm zum Gespräch. Auch nicht auf eine E-Mail, in der er nochmals um ein Gespräch bittet und die wesentlichen aus seiner Sicht zu besprechenden Themen kurz aufzählt. In den darauf folgenden Tagen bis zu seiner Kündigung setzt ihre Assistentin dieses Verhalten penetrant fort. Für die Tagesexkursion mit den 27 Teilnehmern, welche dank der Tatsache, dass sie nur Hauptschulabschluss besitzen, gefördert werden sollen, erhält er keinerlei Etat, weil dies in solchen Maßnahmen nicht Teil der Finanzierung sei. „Ich habe mir Fachleute eingekauft. Wer nicht funktioniert, wird ausgetauscht“, sagt sie nach ihrem Urlaub auf einen Hinweis von dem Mitarbeiter zu organisatorischen Problemen, die von der Geschäftsführung aufgrund ihrer Entscheidungskompetenz mitgelöst werden müssten. „Sie arbeiten mir zu eigenständig,“ sagt Frau Grandios nachdem der Mitarbeiter in ihrem Auftrag und in Absprache mit ihr den Projektteil Schulabschluss vor Beginn der Maßnahme eigenständig vorbereitet hatte. Und schließlich: „Sie verwundern mich immer wieder“ als er ihr eine Frage zu einer für ihn unklaren Äußerung von ihr stellte. Frau Grandios konnte seine ethische und eigenständige Persönlichkeit aufgrund ihrer narzisstischen Persönlichkeit nicht aushalten. Konsequenz: die Kündigung. Frau Grandios ist in Wahrnehmung und Verhalten auf ihre narzisstische Persönlichkeit festgelegt. Das zwingt sie, bis zum Äußersten zu kämpfen, und sich nie geschlagen zu geben. Sie vermag nicht einzusehen, dass es einen anderen Weg als diesen einen eigenen Weg geben könnte. Frau Grandios kann aufgrund ihrer narzisstischen Persönlichkeit nicht mit Erfolg „normale“ Geschäfte machen. Sie schafft sich eine Umwelt, in der sie erfolgreich sein kann. Und diese Umwelt ist oft kriminell. So „können die Verbrechen, die die Narzissten begehen -hinsichtlich ihrer Motivation- als Reaktion auf die Zunichtemachung ihrer narzisstischen Strebungen interpretiert werden“ (Stone, 2006, 408). Frau Grandios setzt aufgrund ihrer narzisstischen Persönlichkeit in Situationen, die sie als Konflikt definiert, den sie dann auch sucht, auf einen schnellen Sieg, einen Blitzsieg durch eine massive Maßnahme. Narzissten haben einen präzisen Blick für das fehlerhafte Verhalten der anderen und einen „blinden Fleck“ für ihr eigenes (vgl. Faust, o.J., S. 9). Als Narzisst erwartet sie bedingungslose Unterwerfung. Wenn dies nicht so wie von ihr kalkuliert eintritt, verliert sie schrittweise Status, Selbstsicherheit, Sicherheit und Contenance. Es entstehen Risse in ihrem Netz. Bei „Menschen mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung“ kann es „zu kriminellen Handlungen kommen, wenn sie in Rage sind oder eine Niederlage vermeiden wollen“ (Stone, 2006, 426). Selbstverständlich gilt dieses Beispiel auch für einen männlichen Geschäftsführer. Quellen: in Anlehnung und verändert: http://www.jutta-staudach.de/tag/egomane/ vom 12.10.2011 3 1. Volker Faust, Narzissmus, ohne Angabe von Erscheinungsort und -jahr (http://www.psychosoziale-gesund heit.net/pdf/faust1_narzissmus.pdf vom 21.03.2012 2. Helmut Fuchs und Andreas Huber: Bossing. Wenn der Chef mobbt. Strategien gegen den Psychokrieg, Stutt gart 2009 3. Jürgen Hesse und Hans Christian Schrader: Die Neurosen der Chefs. Die seelischen Kosten der Karriere, Frankfurt a.M. 1994. 4. Michael Stone: Narzissmus und Kriminalität, in: Otto F. Kernberg und Hans-Peter Hartmann (Hrsg.) Narzissmus. Grundlagen – Störungsbilder – Therapie. Stuttgart 2006 1.2 Narzisstische Personen Narzisstische Personen sind gekennzeichnet durch einen Mangel an Einfühlungsvermögen und Überempfindlichkeit gegenüber Kritik, was sie mit einem großartigen äußeren Erscheinungsbild zu kompensieren versuchen (vgl. Eveline List: Psychoanalyse: Geschichte – Theorien - Anwendungen, Stuttgart 2009, S 107). Häufig hängt das mit ihrem brüchigen Selbstwertgefühl zusammen. Die Goldene Regel „Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg’ auch keinem anderen zu“ ist Narzissten fremd. Das dokumentiert eine Affinität zu Macht und Gewalt auch in ihrem wechselseitig abhängigen (interdependenten) Verhältnis. Sie behandeln Mitmenschen so, wie sie selbst nicht behandelt werden möchten. Sie besitzen auch einen Blick für das Besondere, können leistungsstark (in Schule, Beruf, Hobby) sein und haben oft gepflegte und statusbewusste Umgangsformen. Neben Prädispositionierung ist das Elternhaus ein entscheidender Faktor für narzisstische Persönlichkeiten. Es finden sich überwiegend sehr unempathische, wenig akzeptierende Eltern, die das Kind nicht selten schon früh überfordern. So findet in der kindlichen Erziehung vor allem ein Verhalten Beachtung und Verstärkung, das - in gewisser Intoleranz gegenüber anderen - die eigenen Fähigkeiten und Wertigkeit betont und sie nach außen hin gut darstellt. Dabei muss das tatsächlich gezeigte Verhalten der Selbstpräsentation nicht annähernd entsprechen. Narzissten überschätzen ihre eigenen Fähigkeiten und zerstören aus Neid, was begabtere Menschen aufgebaut haben. Wenn Narzissten eine leitende Funktion ausüben, leiden die Betroffenen sehr. Wenn möglich, entziehen sich Mitbetroffene ihrem Einfluss. Foto: dapd / Der Franke war einer der glamourösesten deutschen Politiker. Legendär wurde dieses Foto, auf dem der frischgebackene Bundeswirtschaftsminister im März 2009 auf dem New Yorker Times Square posiert. 4 1.3 Der maligne (bösartige) Narzissmus Der maligne (bösartige) Narzissmus kann als Zwischenstufe von narzisstischer und antisozialer Persönlichkeitsstörung angesehen werden. Als maligner Narzissmus wird die Kombination von narzisstischer Persönlichkeitsstruktur, antisozialen Verhaltensweisen mit intensiven krankhaften Aggressionen und eventuellen paranoiden Neigungen bezeichnet. Kennzeichnend sind krankhafte Grandiosität (Entwicklung eines nicht der Realität angemessenen Größenselbst oder Realitätsverlust) mit Herrschaftsanspruch innerhalb einer Gruppe, bis hin zu Sadismus und Hass. Im Unterschied zur antisozialen Persönlichkeitsstörung, die sich durch das völlige Fehlen von Verantwortungsgefühl, Gewissen und Sorge/Mitgefühl sich selbst und andere Menschen betreffend auszeichnet, sind beim malignen Narzissmus noch Über-Ich-Anteile (Gewissen) funktionsfähig, und es existiert auch ein Gefühl für Mitmenschen, wenn auch oft in ausbeuterischem Interesse. Das kranke dranghafte Lügen, ohne Schuld- und Schamgefühle zu empfinden, zählt zu den Symptomen narzisstischer Persönlichkeitsstörungen. Der Narzisst lügt, um sich Zuwendung, Anerkennung und Geltung zu sichern oder seinen Willen durchzusetzen. Krankhafte Lügner nennt man „Pseudologen“. Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Narzissmus vom 11.10.2011 Der Psychiater stand 21 Jahre im Dienst des USGeheimdienstes CIA. Jetzt ist Jerrold Post (75), Berater des Pentagons. Er analysiert die Psyche von Muammar al-Gaddafi. Er ist blitzgescheit und arglistig, ein paranoider, ein bösartiger Narzisst. Aber weil es ihm an Einfühlungsvermögen mangelt, stören Erfolge wie Misserfolge sein Urteilsvermögen. © Keystone 5 1.4 Die allgemeinen Kriterien für eine Per- 1.5 Kriterien der narzisstischen Persönsönlichkeitsstörung (F60) lichkeitsstörung Die allgemeinen Kriterien für eine Persönlichkeitsstörung (F60) müssen erfüllt sein. 1.Deutliche Unausgeglichenheit in den Einstellungen und im Verhalten in mehreren Funktionsbereichen wie Affektivität, Antrieb, Impulskontrolle, Wahrnehmen und Denken sowie in den Beziehungen zu anderen. 2.Das auffällige Verhaltensmuster ist andauernd und gleichförmig und nicht auf Episoden psychischer Krankheiten begrenzt. 3.Das auffällige Verhaltensmuster ist tief greifend und in vielen persönlichen und sozialen Situationen eindeutig unpassend. 4.Die Störungen beginnen immer in der Kindheit oder Jugend und manifestieren sich auf Dauer im Erwachsenenalter. 5.Die Störung führt zu deutlichem subjektiven Leiden, manchmal jedoch erst im späteren Verlauf. 6.Die Störung ist meistens mit deutlichen Einschränkungen der beruflichen und sozialen Leistungsfähigkeit verbunden. 7.Für die Diagnose der meisten Untergruppen müssen mindestens drei der jeweils genannten Eigenschaften oder Verhaltensweisen vorliegen. 8.In unterschiedlichen Kulturen müssen unter Umständen besondere Kriterien in Hinsicht auf soziale Normen, Regeln und Verpflichtungen entwickelt werden. Quelle: http://www.panikattacken.at/persoenlichkeitsstoerung/persoenlichkeitsstoerung.htm vom 11.10.2011 6 Mindestens fünf der folgenden Kriterien müssen vorhanden sein: Narzisstische Persönlichkeitsstörung Die folgende Auflistung entspricht im englischen Original -bis auf allergeringste Abweichungen- wörtlich dem entsprechenden Text der DSM-IV (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (Diagnostisches und Statistisches Handbuch Psychischer Störungen)). 1. hat ein grandioses Verständnis der eigenen Wichtigkeit (übertreibt etwa Leistungen und Talente, erwartet ohne entsprechende Leistungen als überlegen anerkannt zu werden) 2. ist stark eingenommen von Phantasien grenzenlosen Erfolgs, Macht, Brillanz, Schönheit oder idealer Liebe 3. glaubt von sich, „besonders“ und einzigartig zu sein und nur von anderen besonderen oder hochgestellten Menschen (oder Institutionen) verstanden zu werden oder mit diesen verkehren zu müssen 4. benötigt exzessive Bewunderung 5. legt ein Anspruchsdenken an den Tag, d.h. hat übertriebene Erwartungen auf eine besonders günstige Behandlung oder automatisches Eingehen auf die eigenen Erwartungen 6. ist in zwischenmenschlichen Beziehungen ausbeuterisch, d.h. zieht Nutzen aus anderen, um eigene Ziele zu erreichen 7. zeigt einen Mangel an Empathie: ist nicht bereit, die Gefühle oder Bedürfnisse anderer zu erkennen/anzuerkennen oder sich mit ihnen zu identifizieren 8. ist häufig neidisch auf andere oder glaubt, andere seien neidisch auf ihn/sie 9. zeigt arrogante, hochmütige Verhaltensweisen oder Ansichten Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Narzissmus vom 11.10.2011 1.6 Zur Epidemiologie der narzisstischen Persönlichkeit Nach epidemiologischen Schätzungen liegt das Vorkommen der narzisstischen Persönlichkeitsstörung in der Normalbevölkerung bei ca. 0,3%. Bei psychiatrischen Patienten liegt das Vorkommen bei etwa 1%. Die o.g. Zahlen sind Schätzungen (vgl. http://www.dr-gumpert.de/html/narzissmus.htm). Aktuell sind das in absoluten Zahlen bezogen auf die Normalbevölkerung in Deutschland für die Altersgruppe 20 Jahre und älter in 2010 (66,5 Mill. Menschen) 199.500 Menschen. Nach Bierhoff und Herner erscheinen privilegierte Kinder der oberen Mittelschicht als besonders anfällig. Bei Wilkinson und Pickett heißt es, „inzwischen gilt es weithin als gesichert, dass wir es hier, vor allem unter jungen Menschen,“ ... „mit zunehmendem Narzissmus“ (2010, S. 52) zu tun haben. Sie beziehen sich auf den Zeitraum von 1982 bis 2006. An mehr als vier Stichproben wurden die wissenschaftlichen Eigenschaften der deutschen Version des NPI (Narcissistic Personality Inventory, Raskin & Hall, 1979, 1981) untersucht. Die Skala erfasst subklinischen Narzissmus als Persönlichkeitsmerkmal. Quellen: Bierhoff, Hans-Werner; Herner, Michael Jürgen: Narzissmus - die Wiederkehr, Bern 2009 Emmons, R.A.: Narcissism: Theory and Measurement, Journal of Personality and Social Psychology, 1987, 52/1, pp. 11-17 Raskin, R. & Hall, C.S.: A Narcissistic Personality Inventory, Psychological Reports, 1979, 45, p. 590 Raskin, R. & Hall, C.S.: The Narcissistic Personality Inventory, Alternate form reliability and further evidence of construct validity, 1981, Journal of Personality Assessment, 45, pp. 159-162 Raskin, R., Terry, H.: A Principal component analysis of the Narcissistic Personality Inventory and further evidence of its construct validity, Journal of Personality and Social Psychology, 1988, 54/5, pp. 890-902 Wilkinson, Richard; Pickett, Kate: Gleichheit ist Glück – Warum gerechte Gesellschaften für Alle besser sind, Berlin 2010 2. Entgrenzung der Arbeit Die Entgrenzung der Arbeit ist ein Begriff aus der Arbeits-, Wirtschafts- und Industriesoziologie. Gemeint ist damit die zunehmende Auflösung von (zeitlichen, räumlichen, sachlichen usw.) Strukturen betrieblich organisierter Arbeit. Oft wird der Begriff auch für den Spezialfall der tendenziellen Auflösung von Grenzen zwischen Erwerbsarbeit und Privatleben Mensch&Computer 2005, Linz, verwendet. Bei der Analyse von Entgrenzungsprozessen konzentrieren sich Arbeits- und Industriesoziolo- Ausstellung"Entgrenzung: Digitale gen in der Regel auf den Wandel der betrieblichen Organisation von Erwerbsarbeit. So verste- Kunst zwischen und hen einige Autoren Entgrenzung als Ergebnis eines betrieblichen Rationalisierungsprozess mit Algorithmik Interaktion dem Ziel eines erweiterten Zugriffs auf die Subjektivität, die lebensweltlichen Ressourcen sowie die zeitliche Verfügbarkeit der Beschäftigten. Weiterhin werden Entgrenzungstendenzen in der Sozialorganisation von Arbeit durch betriebsinterne Umstrukturierungen und die Ausdünnung betrieblicher Steuerungsvorgaben ausgemacht. Entgrenzung von Arbeit bedeutet auch weniger Standardisierung. Stattdessen werden immer häufiger zeitlich begrenzte Auftragsbeziehungen unterschiedlichster Art und Reichweite aufgebaut, durch die an entscheidender Stelle das Verhältnis von Betrieb und Arbeitskraft eine neue Qualität erhält. Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Entgrenzung_der_Arbeit vom 13.10.2011 Zentrale Merkmale einer entgrenzten Arbeit und ihre Folgen sind: 1. Zeit: Gleitzeit, regelmäßige Mehrarbeit, Arbeit ohne feste Arbeitszeiten, Wochenendarbeit, Arbeit nach Abruf etc. 7 2. Raum: Home-Offices, Teleheimarbeit, Außendienstarbeit, wechselnde Einsatzsorte bei Projektarbeit usw. 3. Arbeitsmittel: Zunehmende Nutzung von privaten Hilfsmitteln und Einrichtungen für die Erwerbsarbeit und umgekehrt 4. Arbeitsinhalt/Qualifikation: Aktivitäten wie Reisen, gesellschaftliche Essen und Events, private Kontakte zu Kollegen und Geschäftspartnern, informelle Gespräche, Bildungsaktivitäten u.v.a.m nehmen einen immer größeren Raum ein und lassen sich immer weniger eindeutig der Erwerbsarbeit oder dem privaten Bereich zuordnen. 5. Sozialorganisation: Auf Selbstorganisation beruhende Arbeitsformen und die dabei eingesetzten Führungsformen erzeugen Überschneidungen zwischen dienstlichen und privaten Normen sowie Unklarheiten bei der Zuordnung von Personen: ist er nur Kollege, Untergebener, Vorgesetzter oder schon guter Bekannter oder Freund? Quelle: Voß, Günther: Die Entgrenzung der Arbeit und Arbeitskraft. In: Mitteilungen der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Nürnberg 3/98, S. 474f. 3. Der Schlüsselbereich des gesellschaftlichen Unbehagen 3.1 Entgrenzte Arbeit und narzisstische Personen Somit bedingen und ergänzen sich die Merkmale einer entgrenzten Arbeit, die mit einer Beschleunigung nicht nur einer entgrenzten Arbeit einhergeht, und die Inbesitznahme leitender Positionen in Betrieben, besonders im personenzentrierten Dienstleistungsbereich durch narzisstische Personen. Genau hier befindet sich der Schlüsselbereich, der „das Unbehagen in der Gesellschaft“, und zwar nicht nur als Sprachspiel im Sinne Wittgensteins (Alain Ehrenberg, Das Unbehagen in der Gesellschaft, Berlin 2011), bzw. die „Müdigkeitsgesellschaft“ (ByungChul Han, Berlin 2010) erzeugt. Somit empfiehlt sich der in der (Figurations-) Soziologie von Norbert Elias eingeführte Begriff des „Homo Clausus“, der dort einen Menschen bezeichnet, der in seinem „Inneren“ von der „Außenwelt“ abgeschlossen ist. Die „Wir-Ich-Balance“ ist nicht ausbalanciert, sondern deutlich zum „Ich“ einseitig geneigt. Eine Parallele zum Narzissmus lässt sich leicht erkennen (vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Homo_Clausus). Oder nochmals mit Ehrenberg: „Die Institution gesellschaftlicher Bedeutungen, die jedem Individuum den höchsten Wert verleihen, impliziert eine Unterordnung der Werte der wechselseitigen Abhängigkeit. Diese untergeordnete Position kann Akteure und Beobachter dazu führen, sie aus dem Blick zu verlieren – und das ist sogar eine verbreitete Einstellung ...“ (S. 492). Elias versteht unter einer Figuration ein dynamisches soziales Netzwerk von untereinander abhängigen Individuen. Diese Beziehungen zwischen den Akteuren sind nach Elias das Wesen jeder sozialen Gemeinschaft. Die Soziologie hat demnach die Aufgabe, diese Beziehungsgeflechte zwischen sozialen Akteuren zu untersuchen. Individuen existieren für Elias, wie Gruppen, in Kontexten anderer Individuen und Gruppen, die nur als Geflecht und in Abhängigkeit voneinander (interdependent) gedacht werden können (vgl. http://de.wikipedia.org /wiki/Figuration_%28Soziologie%29). Für Elias ist Gesellschaft eine ständige, dynamische Bewegung. Eine gesellschaftliche Entwicklung verläuft strukturiert, ohne linear auf ein bestimmtes Ziel ausgerichtet zu sein (vgl. Elias, Norbert: Zur Grundlegung einer Theorie sozialer Prozesse, in: Zeitschrift für Soziologie 6 (1977), S. 127-149). Dabei spielt die psychodynamische Affektkontrolle (Scham, Gewissen und Peinlichkeitsschwellen), die sich nach Elias vom Fremd- zu Selbstzwang gewandelt hat, für die individuelle Entwicklung des Menschen wie den allgemeinen zivilisatorischen Verlauf von Gesellschaften eine wichtige Rolle. (vgl. Über den Prozeß der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen. Band 1: Wandlungen des Verhaltens in den weltlichen Oberschichten des Abendlandes / Band 2: Wandlungen der Gesellschaft: Entwurf 8 zu einer Theorie der Zivilisation, besonders von S. 312-404, Basel 1939). Es handelt sich hier um das Freud'sche Über-Ich. In dem neuen Magazin „philosophie“ schreibt Alexandre Lacroix in der deutschen Übersetzung des Beitrags „Wer vergibt uns unsere Schulden?“, dass „die gleiche Kraft, die unsere Zivilisation zu ihrer Größe geführt hat, die uns zwingt zu arbeiten, fabelhafte Zukunftspläne zu schmieden und unseren Zustand unaufhörlich verbessern zu wollen – diese Kraft ist auch eine Plage, eine Art von Überaktivität, die dazu führt, all unseren Schwung, alle Wünsche auszulöschen, eine beträchtliche Energie zu absorbieren, womit ein Langsamerwerden unvermeidlich ist“ (Berlin im März 2012/Nr. 3, S. 25). picture-alliance/dpa 3.2 Empirische Daten zu psychischen Erkrankungen Die Datenlage ist mehr als eindeutig: so bspw. die vielen Gesundheitsreports der Krankenversicherungskasse DAK (Hamburg 2005, 2008, 2009, 2010), die über eine Zunahme der Krankentage wegen Depressionssymptomatiken zwischen 2000 und 2009 um mehr als 40% berichten, dies besonders bei qualifizierten Berufstätigen im personenzentrierten Dienstleistungsbereich. In der Ausgabe von 2011 heißt es: „Der Anteil der Fehltage aufgrund psychischer Erkrankungen hat 2010 um 1,3 Prozentpunkte zugenommen: Ihr Anteil am Krankenstand betrug im Jahr 2010 12,1%“ (S. 7). Oder: bei einer Befragung von Betriebsräten in einem Forschungsprojekt der Hans-Böckler-Stiftung schilderten sie ähnliche Eindrücke. In 84% der deutschen Betriebe herrsche hoher Zeit- und Leistungsdruck. Unter diesem Druck leiden ca. 43% der Beschäftigten mit psychischen Problemen und mit steigender Tendenz (vgl. Ahlers, E. WSI-Betriebsrätebefragung 2008. Düsseldorf: Hans-Böckler-Stiftung (http:// www.boeckler.de/32014_95451.html vom 21.03.2012). Oder: eine Studie im Auftrag des Hamburger Fürstenberg-Instituts. Dort heißt es, dass bei 63% der Berufstätigen die Leistungsfähigkeit durch „Stress und Sorgen“ beeinträchtigt ist, 53% psychische oder soziale Probleme haben und die geschätzten gesellschaftlichen Folgekosten bei 262 Mrd. Euro pro Jahr liegen. (vgl. Fürstenberg Performance Studie 2010. Hamburg: Fürstenberg Institut (http://www.fuerstenberginstitut.de/pdf/fuerstenberg-performance-studie_febr2010_kurzfassung.pdf9). 3.3 „Rasender Stillstand“ (P. Virilio) Entschleunigte Beschleunigung - Momentaufnahme in einer U-Bahn. (CCFlickr / Rodrigo Basaure) 9 Der französische Philosoph Paul Virilio hat hierfür passend schon 1990, also zum Zeitpunkt des Falls des „eisernen Vorhangs“, des kommunistischen Ostblocks und vor der Einführung des Internets, den Begriff „rasender Stillstand“ als Ausdruck einer tachogenen (beschleunigten) Gesellschaft geprägt (vgl. Rasender Stillstand, München, Wien 1992). Für Virilio arbeitet der rasende Stillstand einer Gesellschaft, die Zeit und Raum hochtechnologisch beherrscht, an der Auslöschung ihrer selbst. Ein Beispiel ist der im Verkehrsstau stehende SUV, als Effekt einer Selbstblockade. Verkehrsstau auf der Autobahn in beiden Richtungen mit SUV Der Soziologe Hartmut Rosa zeigt in seinem 2005 (Frankfurt/M.) erschienendem Werk „Beschleunigung – Die Veränderung der Zeitstrukturen in der Moderne“ den Zusammenhang der Beschleunigung und der sozialen Erstarrung in zwei aufschlußreichen Abbildungen (vgl. S. 435 und 440) für die Bereiche Struktur, Kultur, Persönlichkeit und Naturverhältnis auf. Wenn Rosa schreibt, es „droht ... die Beschleunigung ..., ...im Extremfall sogar in die pathologische Erfahrung einer 'eingefrorenen' Zeit der Depression umzuschlagen“ (S. 437), müssen wir in Anbetracht der in (3.2) genannten Daten davon ausgehen, dass es sich nicht mehr um einen Extremfall im Bereich „Persönlichkeit“, sondern um eine Tendenz hin zur Normalität handelt. Dies nicht zuletzt vor dem Hintergrund der dramatischen Globalkrisen der letzten Jahre: Klimakrise, Naturkatastrophen wie zuletzt die von Fukushima in Japan in 2011 mit anschließender Kernschmelze im ortsansässigen Kernkraftwerk und weiteren Folgeketten, Energiekrise, Finanzkrise und der Staatsschuldenkrise mit ihrem vorläufigen Höhepunkt in Griechenland. 10 3.4 Der egozentrisch-narzisstische Arbeitsstil: Der GRANDIOSE Narziss, eine Gestalt der griechischen Mythologie, verliebte sich in sein eigenes Spiegelbild. Charles Thévenin; Werk: Narziss von 1796- http://www.reproarte.com/Kunstwerke/Charles_Th%C3%A9venin/Narziss/16611.html In dem Sinn, als die Produkte unserer Arbeit symbolische Repräsentationen unseres Selbst sind, wirken diese für egozentrisch-narzisstische Menschen wie ein Bild von sich selbst, welches sie von Anderen ständig bewundert und anerkannt sehen wollen. Ihr Verhalten kann extrem darauf ausgerichtet sein, anerkennend Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Das Grundproblem narzisstischer Menschen ist es, nicht wichtig genommen worden zu sein, sei es dadurch, überhaupt nicht erwünscht gewesen zu sein, sei es durch lange Abwesenheit der Mutter, durch wirtschaftliche Notlagen oder aber durch Ehekonflikte der Eltern oder ähnliches. Eine Bewältigungsform dieser Bedrohung ist es, sich auf Phantasien eigener Größe zurückzuziehen und sich von außen, von anderen unabhängig zu fühlen, wobei das eigene Selbst als omnipotent phantasiert wird. Zur Erhaltung dieser Omnipotenzvorstellungen werden aber andere Menschen benötigt. Von daher ist die Beziehung zu Anderen, zu Kollegen oder Klienten rein instrumentellen Charakters, d. h. diese haben Anerkennung und Bewunderung der eigenen Größe zu liefern, werden als kritiklose Jasager benötigt. Der narzisstische Arbeitsstil ist durch die Überbewertung der eigenen Leistungen bei gleichzeitiger Abwertung der Leistungen Anderer geprägt. Der Arbeitsgegenstand ist für diese Menschen sekundär, es besteht keine echte innere Bindung. Er dient lediglich als Vehikel zur Darstellung der eigenen Größe. Kritik wird oft als massive Kränkung erlebt und entsprechend überempfindlich aggressiv zurückgewiesen, wenn sie denn überhaupt ernstgenommen wird. Da der Andere eher entwertet wird, sind echte kollegiale Delegation und Absprachen kaum möglich. 11 3.5 Der narzisstische Geschäftsführer im personenzentrierten Dienstleistungsbereich Der narzisstische Geschäftsführer im personenzentrierten Dienstleistungsbereich wie Gesundheit und Bildung muss der große Star sein. Der (entgrenzte) Betrieb (Krankenhaus, Schule etc.) ist die Bühne seiner Grandiosität und die Leitungsaufgabe bietet ihm die Möglichkeit für einen großen Auftritt. Nichts ist für sein überhöhtes Ich-Ideal gut genug. Von daher überfordert er nicht nur sich selbst, sondern oft auch seine Mitarbeiter und sein Klientel, sodass er von ihnen häufig gefürchtet wird. Die Mitarbeiter und sein Klientel sollen ausschließlich Erfüllungsgehilfen der eigenen Grandiositätsvorstellungen sein. Der einzelne Klient wird in seiner Individualität nicht wahrgenommen. Der narzisstische Geschäftsführer instrumentalisiert seine Mitarbeiter und Klienten: Alle haben ihn anerkennend zu bewundern, zu lieben. Liebe bedeutet für ihn beziehungslose Bewunderung. Der identifikatorische Irrtum narzisstischer Geschäftsführer besteht darin, dass es nicht zentrale Aufgabe der Klienten ist, ihren Leiter und deren überhöhte Ich-Ideale zu bewundern oder gar zu idealisieren. Der Betrieb ist keine Bühne für die überwertige Selbstdarstellungstendenz narzisstischer Leiter mit Mitarbeitern und Klienten als Claqueuren. In vielfältiger Weise muss sich der Leiter in der betrieblichen Szene seinen Mitarbeitern und Klienten zur Verfügung stellen – muss er für die Klienten da sein – nicht umgekehrt. Narzisstische Geschäftsführer brennen aus bei realen Begrenzungen und Anforderungen, die sie nicht bewältigen können und die für sie gleichsam eine Majestätsbeleidigung darstellen. Oftmals inszenieren sie einen Eklat, der im Sinne eines Mobbing-Erlebens subjektiv interpretiert wird und ihnen die Möglichkeit gibt, ohne Gesichtsverlust krank zu sein, d. h. Schwäche zu zeigen. Das Grunderleben des Narzissten ist das der Befürchtung von Blamage und Beschämung, wenn er seinem Grandiositätsanspruch nicht gerecht werden kann. Seine Stärke ist sein kompromissloser Leistungswille mit beeindruckender rhetorischer Eleganz. Von daher gelangen sie oftmals in Leitungsfunktionen, von wo aus sie durchaus neue und ungewöhnliche Wege entwickeln können. Quelle: Berger, Peter: Burnout in der PsychoLeitungsaufgabe Überlastungen erkennen und bewältigen - Vortrag im Psychiatrischen Landeskrankenhaus Haina/Hessen ,28.06.2006; leicht abgewandelt Nicht nur am Anfang moderner Pädagogik steht die Raserei von eifersüchtigen Fräulein und Jünglingen, die in onanistischer Selbsterhitzung ein Programm der Weltbeglückung ausbrüten. Es geht um die Geburt der Pädagogik aus dem Furor der Eifersucht, um die Selbstüberhebung narzisstischer Träumer zu Welterlösern. Es geht um Porträts von Menschheitserziehern, denen das stete Schwanken zwischen pädagogischen Sendungsbewusstsein und Größenwahn zum Verhängnis wird. Es geht um rastlose Geister und manisch Produzierende, die ihre Fantasien in bizarren Welterlösungsmodellen ausagieren. Man muss die Innenperspektiven dieser tragischen Helden einnehmen und ihren Kreuzzug gegen die Jean-Jacques Rousseau, Pastell von Maurice Quentin verderbte Zivilisation skizzieren. Diese Vordenker de La Tour, 1753 einer emanzipatorischen Pädagogik, schrumpfen soExkurs: Über die Verblendung von dann zum triebgesteuerten Eiferer, die mit sektiereMenschheitserziehern oder zur Pädrischen Ansichten ihr Denken ruinieren. Sie haben agogik als Symptom 12 alle ein Trauma. In der Regel vom Vater alleingelassen mit einer Mama, die zur erotischen Lehrmeisterin wird. Sie träumen unablässig von einer erotischen Symbiose mit der Mutter-Geliebten; gleichzeitig besteht ihr sexueller Alltag primär aus „einsamen Verrichtungen“: Das Mastubieren schützt sie vor allzu großer Nähe. Das Trauma, das aus den sehnsüchtigen Muttertöchtern und -söhnen schließlich eine manische Formulierungsmaschine werden lässt. In der Regel gibt es Schlüsselszenen und hier beginnen ihre Selbsterfindungen als Pädagogen, die zunächst nur den Rivalen und kurz darauf die ganze Welt „erziehen“ wollen. Die Konfrontation der Größenfantasie mit der Wirklichkeit mündet aber nicht in Selbstbescheidung, sondern in ein gesteigertes Sendungsbewusstsein. Es folgen Attacken auf die Wissenschaften und Künste, die sie als Zeugnis zivilisatorischer Verderbtheit interpretieren. Sie stehen für die Selbsttäuschung, die das unablässige Schreiben, Imaginieren und Fantasieren eines Geistesmenschen mit sich bringen kann. Die Lust am Text bewegt sich bei expressivpoetischen Temperamenten immer weiter weg von der Wirklichkeit – zurück bleiben Köpfe ohne Welt. In ihren Maßlosigkeiten ließen sie sich auch durch die empiristisch geerdete Skepsis nicht korrigieren und verfielen einem Verfolgungswahn. Es sind Tragikomödien und Lektionen über die Nachtseiten der Aufklärung, die sich erstmalig in der Schreckensherrschaft von Robespierre, dem „Unbestechlichen“, in Frankreich und dem damit verbundenen „innerfranzösischen Völkermord“ zeigen. Die Zahl der Opfer lag weit über die Hunderttausenden. So heißt es bei Winkler in seiner Geschichte des Westens: „Bei Rousseau war vieles von dem gedanklich angelegt, was Robespierre in die Tat umzusetzen versuchte“ (S. 364). Und weiter: „Wenn sich das Maximilien Robespierre (anonymes Porträt, um 1793, Musée Carnavalet) Gemeinwohl nicht aus dem Ausgleich auseinanderstrebender Interessen ergab, sondern aus der überlegenen Einsicht eines obersten Gesetzgebers, dann durfte dieser auch dem Volk vorschreiben, was es vernünftigerweise wollen mußte“ (S. 364). Auch ein Ausdruck von Entgrenzung. Quelle: In Anlehnung an Ott, Karl-Heinz: Wintzenfried, Hamburg 2011. Anmerkung: Bei Ott geht es um JeanJacques Rousseau. Er war Schriftsteller, Philosoph, Pädagoge, Naturforscher und Komponist der Aufklärung. Der bedeutende Aufklärer gilt als einer der wichtigsten geistigen Wegbereiter der Französischen Revolution und hatte großen Einfluss auf die Pädagogik und die politischen Theorien des 19. und 20. Jahrhunderts. Winkler, Heinrich August: Geschichte des Westens, Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert, München 2009 3.6 Das Mobbingtagebuch Das Mobbingtagebuch wird als eines der besten Mittel angesehen sich gegen Mobbing- sprich gegen die hier geschilderten Handlungen narzisstischer Geschäftsführer zu wehren. Durch die Eintragungen im Tagebuch entsteht eine Dokumentation der Vorgänge über einen längeren Zeitraum. Es lässt sich dadurch das Ausmaß eines Mobbingangriffs wesentlich besser beurteilen, als wenn aus dem Gedächtnis heraus länger zurückliegende Ereignisse wieder 13 gegeben werden. Ein genau und ehrlich geführtes Mobbingtagebuch kann dem Anwalt helfen, die rechtliche Situation besser einzuschätzen, es zeigt einem Therapeuten oder Arzt was besonders gravierend war und es kann indirekt auch einen Beweis darstellen, z. B. wenn Uhrzeiten genau notiert werden, Kfz-Kennzeichen oder Bilder dokumentiert sind. Wie führe ich mein Mobbingtagebuch? Am sinnvollsten ist ein dicker Kalender mit viel Platz für jeden Tag. Das Tagebuch unbedingt täglich führen. Es sollte folgende Punkte enthalten: –Datum und Uhrzeit –Was genau ist passiert. –Die Handlungen exakt beschreiben. –Wer hat welche Handlung begangen. –Wer ist alles anwesend und hat die Situation evtl. mitbekommen (die möglichen Zeugen). –Wie habe ich mich gefühlt. Michael Haack Erschöpfung - 1972 Gab es körperliche/gesundheitliche Reaktionen als Folge? Vermerken sie, in welchem zeitlichen Abstand zu der Situation diese aufgetreten sind. An Tagen, an denen Nichts passiert ist, dies auch so notieren: “Heute nichts passiert”. Berichten sie außerdem, wann sie warum der Arbeit ferngeblieben sind (Urlaub, freier Tag, krank geschrieben, etc.). Wenn sie aufgrund des Mobbings einen Arztbesuch hatten, weil sich bei Ihnen gesundheitliche Beschwerden in Folge eingestellt haben, dies ebenfalls benennen (beim Arzt sowieso wegen Schlafstörungen, Herzrasen, Schwindelgefühle, etc.). Wenn die Mobber/innen in Urlaub sind, auch dies aufschreiben. So werden “Lücken” in der zeitlichen Abfolge erklärbar (Herr Schreihals nicht im Haus, in Urlaub, krank, etc.). Auch zu Hause können sie belästigt werden. Betroffene werden häufig zu Hause angerufen: wenn sie z.B. krank sind, werden sie am Telefon unter Druck gesetzt. Vergessen sie nicht, diese Situationen mit aufzuführen und das Mobbing ein Straftat ist. Quelle: http://www.mobbing.net/mobbingtagebuch_mobbingblog.htm vom 15.10.2011 http://www.mobbing-web.de/mobbing/mobbingamarbeitsplatz/mobbingtagebuch.php vom 15.10.2011 4. Resumée und Ausblick Han spricht in der oben genannten „Müdigkeitsgesellschaft“ von einer deregulierten Leistungsgesellschaft – bestehend „aus Fitnessstudios, Bürotürmen, Banken, Flughäfen, Shopping Malls und Genlabors“ (S. 17) und deren Bewohner heißen Leistungssubjekte (vgl. S. 17) -, dessen „positive“(s) „Modalverb“ „das entgrenzte Können ist“ (S. 18). „Sein Kollektivplural der Affirmation Yes, we can bringt gerade den Positivitätscharakter der Leistungsgesellschaft zum Ausdruck“ (S. 18). Sie „bringt“ ... „Depressive und Versager hervor“ (S. 18). „Die Erschöpfungsmüdigkeit ist eine Müdigkeit der positiven Potenz. Sie macht unfähig, etwas zu tun. Die Müdigkeit, die inspiriert, ist eine Müdigkeit der negativen Potenz, nämlich des nicht-zu. Auch der Sabbat, der ursprünglich aufhören bedeutet, ist ein Tag des nicht-zu, ein Tag, der befreit ist von jedem um-zu,“ .... „Heilig ist also nicht der Tag des um-zu, sondern der Tag des nicht-zu, ein Tag, an dem der Gebrauch des Unbrauchbaren möglich wäre. Er ist der Tag der Müdigkeit“ (S. 60). Schließlich benötigen wir eine "Anti-Stress-Verordnung". So „soll es eine Verpflichtung geben, jeden Arbeitsplatz auf sein Gefährdungspotenzial für einen Burnout zu analysieren“. Es geht um „flexible und überlange Arbeitszeiten, die Beziehung zum Vorgesetzten oder Über14 forderung genauso wie Unterforderung. Zudem müsse mit den Beschäftigten gesprochen werden. Konkrete Maßnahmen könnten in einer Betriebsvereinbarung festgehalten werden“ (http://www.welt.de/print/die_welt/wirtschaft/article13629881/Gewerkschaft-warnt-vorVolkskrankheit-Burnout.html. vom 28.09.2011). Nicht zuletzt, weil die Arbeitnehmer den Eindruck haben, dass sie sich in einem unendlichen Feld an Möglichkeiten befinden. Gleichzeitig erschöpft sie dieses Feld. Ohne äußere Beschränkung fällt es ihnen schwer, Grenzen zu ziehen (vgl. Han, Byung-Chul: Topologie der Gewalt, Berlin 2011). Hierzu gehört auch, dass wir die vom Medizinsoziologen Siegrist untersuchte „Gratifikationskrise“ überwinden müssen. Sie besagt, „dass eine psychische Störung entstehen kann, wenn das Verhältnis von Verausgabung und Anerkennung in Form von Lohn, Aufstiegschancen, Arbeitsplatzsicherheit und Wertschätzung durch den Arbeitgeber aus der Balance gerät“. Nach Siegrist, „steige das Risiko, an einer Depression zu erkranken, um 70 Prozent, wenn Arbeitnehmer dauerhaft überfordert, nicht gerecht und angemessen belohnt oder unfair behandelt werden“ (Dettmer, Markus; Shafy, Samiha; Tietz, Janko, Volk der Erschöpften, Der Spiegel, 04/24.01.2011). Letztendlich brauchen wir ein echtes Ziel: eine gerechte Gesellschaft, da sie für alle Gesellschaftsmitglieder besser ist. Oder mit Axel Honneth präziser und teleologisch gesprochen: „Als normativen Bezugspunkt aller Konzeptionen von Gerechtigkeit in der Moderne können wir nun aus Gründen, die universelle Geltung beanspruchen, die Idee der individuellen Selbstbestimmung betrachten: Als 'gerecht'muß gelten, was den Schutz, die Förderung oder die Verwirklichung der Autonomie aller Gesellschaftsmitglieder gewährleistet“ (Das Recht der Freiheit, Berlin 2011, S. 40). In Erinnerung und sehr großer Anerkennung an einem meiner viel zu früh verstorbenen Lehrer Dietmar Kamper, der bereits 1982 im Rahmen einer Naturgeschichte des Selbst diese Problematik unter der Überschrift „Das autistische Neutrum. Eine Skizze über den Zusammenhang von sozialer Kontrolle und menschlicher Depression“ thematisiert hat (vgl. Guttandin, Friedhelm/ Kamper, Dietmar: Selbstkontrolle – Dokumente zur Geschichte einer Obzession, Marburg/Berlin 1982, S. 212-217). Kuratiert, kompiliert, gefiltert, getextet und (neu-)bewertet von Dietmar W. Brown im März 2012 15