Narzistische Geschäftsführer in Zeiten entgrenzter

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Narzistische Geschäftsführer in Zeiten entgrenzter
Narzisstische Geschäftsführer
in Zeiten entgrenzter Arbeit
Ein Beitrag zum Unbehagen am Arbeitsplatz
„Ich habe die Gabe, die Leute zu finden,
die mich vergöttern und mir diese abgehobene Rolle ermöglichen“.
(Originalzitat aus einem gutachterlichen Explorationsgespräch zitiert von Dr. med. Thomas Knecht,
leitender Arzt für Sucht & Forensik der Psychiatrischen Dienste Thurgau in Münsterlingen, Schweiz,
aus seinem Beitrag in der Fachzeitschrift „Kriminalistik“ „Das Persönlichkeitsprofil des Wirtschafts© iStockphoto kriminellen aus psychiatrischer Sicht“, Heidelberg 2006, 60. Jg./S. 210)
Inhaltsverzeichnis
1.1
Fallbeispiel: die Geschäftführerin Frau Grandios
2
1.2
Narzisstische Personen
4
1.3
Der maligne (bösartige) Narzissmus
5
1.4
Die allgemeinen Kriterien für eine Persönlichkeitsstörung (F60)
6
1.5
Kriterien der narzisstischen Persönlichkeitsstörung
6
1.6
Zur Epidemiologie der narzisstischen Persönlichkeit
7
2.
Entgrenzung der Arbeit
7
3.
Der Schlüsselbereich des gesellschaftlichen Unbehagen
8
3.1
Entgrenzte Arbeit und narzisstische Personen
8
3.2
Empirische Daten zu psychischen Erkrankungen
9
3.3
„Rasender Stillstand“ (P. Virilio)
9
3.4
Der egozentrisch-narzisstische Arbeitsstil: Der GRANDIOSE
11
3.5
Der narzisstische Geschäftsführer im personenzentrierten Dienstleistungsbereich
12
Exkurs: Über die Verblendung von Menschheitserziehern oder zur Pädagogik als Symptom
12
3.6
Das Mobbingtagebuch
13
4.
Resumée und Ausblick
14
In Erinnerung und sehr großer Anerkennung – Dietmar Kamper
1
15
Die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) hat die Wörter des Jahres 2011 gewählt. Unter
den ersten zehn Plätzen befinden sich die Wörter „Stresstest, „guttenbergen“ und „Burnout“.
Auf FOCUS Online vom 18.12.2011 fordert der Freiburger Psychiatrieprofessor und Leiter
der Freiburger Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Mathias Berger „'die Politik auf, einzugreifen. Gewerbeaufsicht und Betriebsärzte müssten die Möglichkeit haben, in
Betrieben Risiken für so genanntes Burn-out abzustellen. Deutschland brauche eine Regelung,
die klarstelle, dass Arbeitgebern die Fürsorgepflicht auch im Falle psychischer Belastung obliege, ... . Dies sei notwendig, da es eine rasante Zunahme von Krankheitstagen wegen psychischer Belastungen gebe. Ein wachsender Teil davon sei durch Depressionen mit dem Leitsymptom massiver Erschöpfung bedingt. Frankreich, Belgien und Dänemark hätten Verordnungen erlassen, in denen die Beseitigung psychosozialer Missstände am Arbeitsplatz, von
Überlastung bis Mobbing, eingefordert werde wie Unfallverhütungsmaßnahmen', so Berger.
Auf die FOCUS-Frage, ob die Arbeitnehmer verlernt hätten, zwischen Beruf und Freizeit zu
unterscheiden, antwortete er: 'Viele Arbeitnehmer sehen sich einer paradoxen Freiheit gegenüber: Der Freiheit, unermüdlich am beruflichen Fortkommen zu werken, seines eigenen
Glückes Schmied zu sein. Die lange dominierende Disziplinargesellschaft sei durch die
Leistungsgesellschaft abgelöst worden. In dieser falle es immer mehr Menschen schwer, eine
Überforderung zu erkennen'“ (http://www.focus.de/finanzen/karriere/psychiater-mathiasberger-gewerbeaufsicht-soll-gegen-burn-outeinschreiten_aid_695332.html).
Ein Risiko stellen narzisstische Geschäftsführer in entgrenzten Arbeitszusammenhängen dar.
Anhand eines wohl recht typischen simulierten Szenario soll ein entsprechender Eindruck im
folgenden vermittelt werden:
1.1
Fallbeispiel: die Geschäftführerin Frau Grandios
Für die narzisstische Geschäftsführerin Frau Grandios sind Regeln Mittel zum Zweck, zur Legitimation nach außen, zur Erlangung und Erhaltung von Macht und Kontrolle. Ihre Assistentin entspricht der bei Hesse und Schrader beschriebenen Verwalter-Sklavin bzw. dem „Firmenuntertan“ von Fuchs und Huber. Sie nimmt die Rolle des uneingeschränkt und grenzenlos
Bewundernden ein. Sie sagt: Frau Grandios trifft oft spontane Bauchentscheidungen. Es geht
in diesem Anwendungsgebiet um eine private Bildungseinrichtung, wo man u.a. den mittleren
Schulabschluss nachmachen kann.
Frau Grandios in ihrem beeindruckenden äußeren Erscheinungsbild mahnt vor anderen bei
einem Schulungsteilnehmer in aggressivem Ton freundlicheres Verhalten an. Viermal wird
ein Mitarbeiter von ihr ohne Ankündigung vor Kollegen und/oder Teilnehmern sehr aggressiv
angesprochen, weil er vermeintlich irgendetwas aus ihrer Sicht falsch gemacht habe. Als der
Mitarbeiter zu Frau Grandios sagt, es wäre für ihn hilfreich, wenn sie klare Arbeitsanweisungen formulieren würde, erklärt sie ihm, dass sie ihm schon im Einzelfall sagen würde, wenn
ihr etwas nicht passe.
Ein anderes Beispiel, Kopien: im Detail mit Frau Grandios abgesprochen, welche Materialien
für die Teilnehmer kopiert werden, weil sie unbedingt notwendig sind. Sie hält den Kopiervorgang an, greift den Mitarbeiter verbal aggressiv an, was er sich denn erlauben würde, das
Geld des Betriebes zu verplempern, und fordert ihn auf, künftig jede einzelne Kopie von ihr
vorab genehmigen zu lassen. Somit ist folgendes typisch: Management-by-Refuse Communication und Delegation-by-Silent.
Eine weitere typische Situation: Frau Grandios sagt ihm zu Beginn der Zusammenarbeit, dass
er für seine vorbereitenden Arbeiten eine angemessene Gratifikation erhalten würde. Sie sagt
für die Unterstützung beim Umzug des Bildungsträgers einen Tag Urlaub zu. Beides hält sie
selbstverständlich nicht ein. In diesem Zusammenhang erzählt sie ihm zur Dokumentation ihrer beruflichen Cleverness, dass sie über Herrn Muster die Beauftragung freihändig erhalten
2
habe. Vorgesehen sind von ihr zuerst 12 Teilnehmer mit Hauptschulabschluss, aus denen
dann real ohne Konsultation mit dem zuständigen Mitarbeiter 25 werden, weil sie ab 22 Teilnehmern einen hohen Rabatt erhält. Die beiden Gruppen von 12 und 13 Teilnehmern muss er
ohne Unterstützung allein parallel betreuen.
Frau Grandios ist generell absolut misstrauisch und achtet extrem auf jede Kleinigkeit des betrieblichen Eigentums, beispielsweise USB-Sticks: einen von drei von ihr für Teilnehmer ausgeliehenen USB-Sticks kann der Mitarbeiter ihr nicht umgehend zurückgeben, weil ein Kollege ihn kurzzeitig nutzte. Konsequenz: Keine Ausleihe mehr von USB-Sticks. Frau Grandios
schließt ihn von der Teamsitzung mit der Begründung – er müsse unterrichten - aus; die Kollegen schweigen. Wogegen die Kollegen ihre Teilnehmer alleinlassen.
Eines Tages fällt die Telekommunikation aus, also Telefon und E-Mail -angeblich wegen
Blitzschlag. Tatsächlich wird vom Büro der Geschäftsführung ein Passwort im Hausserver aktiviert. Die Geschäftsführung empfängt E-Mails.
In der Woche vor ihrem Urlaub spricht Frau Grandios nicht mit dem Mitarbeiter. Sie reagiert
nicht auf tägliche Bitten von ihm zum Gespräch. Auch nicht auf eine E-Mail, in der er nochmals um ein Gespräch bittet und die wesentlichen aus seiner Sicht zu besprechenden Themen
kurz aufzählt. In den darauf folgenden Tagen bis zu seiner Kündigung setzt ihre Assistentin
dieses Verhalten penetrant fort. Für die Tagesexkursion mit den 27 Teilnehmern, welche dank
der Tatsache, dass sie nur Hauptschulabschluss besitzen, gefördert werden sollen, erhält er
keinerlei Etat, weil dies in solchen Maßnahmen nicht Teil der Finanzierung sei.
„Ich habe mir Fachleute eingekauft. Wer nicht funktioniert, wird ausgetauscht“, sagt sie nach
ihrem Urlaub auf einen Hinweis von dem Mitarbeiter zu organisatorischen Problemen, die
von der Geschäftsführung aufgrund ihrer Entscheidungskompetenz mitgelöst werden müssten.
„Sie arbeiten mir zu eigenständig,“ sagt Frau Grandios nachdem der Mitarbeiter in ihrem Auftrag und in Absprache mit ihr den Projektteil Schulabschluss vor Beginn der Maßnahme eigenständig vorbereitet hatte. Und schließlich: „Sie verwundern mich immer wieder“ als er ihr
eine Frage zu einer für ihn unklaren Äußerung von ihr stellte. Frau Grandios konnte seine
ethische und eigenständige Persönlichkeit aufgrund ihrer narzisstischen Persönlichkeit nicht
aushalten. Konsequenz: die Kündigung.
Frau Grandios ist in Wahrnehmung und Verhalten auf ihre narzisstische Persönlichkeit festgelegt. Das zwingt sie, bis zum Äußersten zu kämpfen, und sich nie geschlagen zu geben. Sie
vermag nicht einzusehen, dass es einen anderen Weg als diesen einen eigenen Weg geben
könnte. Frau Grandios kann aufgrund ihrer narzisstischen Persönlichkeit nicht mit Erfolg
„normale“ Geschäfte machen. Sie schafft sich eine Umwelt, in der sie erfolgreich sein kann.
Und diese Umwelt ist oft kriminell. So „können die Verbrechen, die die Narzissten begehen
-hinsichtlich ihrer Motivation- als Reaktion auf die Zunichtemachung ihrer narzisstischen
Strebungen interpretiert werden“ (Stone, 2006, 408).
Frau Grandios setzt aufgrund ihrer narzisstischen Persönlichkeit in Situationen, die sie als
Konflikt definiert, den sie dann auch sucht, auf einen schnellen Sieg, einen Blitzsieg durch
eine massive Maßnahme. Narzissten haben einen präzisen Blick für das fehlerhafte Verhalten
der anderen und einen „blinden Fleck“ für ihr eigenes (vgl. Faust, o.J., S. 9). Als Narzisst erwartet sie bedingungslose Unterwerfung. Wenn dies nicht so wie von ihr kalkuliert eintritt,
verliert sie schrittweise Status, Selbstsicherheit, Sicherheit und Contenance. Es entstehen Risse in ihrem Netz. Bei „Menschen mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung“ kann es „zu
kriminellen Handlungen kommen, wenn sie in Rage sind oder eine Niederlage vermeiden
wollen“ (Stone, 2006, 426). Selbstverständlich gilt dieses Beispiel auch für einen männlichen
Geschäftsführer.
Quellen: in Anlehnung und verändert: http://www.jutta-staudach.de/tag/egomane/ vom 12.10.2011
3
1. Volker Faust, Narzissmus, ohne Angabe von Erscheinungsort und -jahr (http://www.psychosoziale-gesund
heit.net/pdf/faust1_narzissmus.pdf vom 21.03.2012
2. Helmut Fuchs und Andreas Huber: Bossing. Wenn der Chef mobbt. Strategien gegen den Psychokrieg, Stutt
gart 2009
3. Jürgen Hesse und Hans Christian Schrader: Die Neurosen der Chefs. Die seelischen Kosten der Karriere,
Frankfurt a.M. 1994.
4. Michael Stone: Narzissmus und Kriminalität, in: Otto F. Kernberg und Hans-Peter Hartmann (Hrsg.) Narzissmus. Grundlagen – Störungsbilder – Therapie. Stuttgart 2006
1.2
Narzisstische Personen
Narzisstische Personen sind gekennzeichnet durch einen Mangel an Einfühlungsvermögen
und Überempfindlichkeit gegenüber Kritik, was sie mit einem großartigen äußeren Erscheinungsbild zu kompensieren versuchen (vgl. Eveline List: Psychoanalyse: Geschichte – Theorien - Anwendungen, Stuttgart 2009, S 107). Häufig hängt das mit ihrem brüchigen Selbstwertgefühl zusammen. Die Goldene Regel „Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg’
auch keinem anderen zu“ ist Narzissten fremd. Das dokumentiert eine Affinität zu Macht und
Gewalt auch in ihrem wechselseitig abhängigen (interdependenten) Verhältnis. Sie behandeln
Mitmenschen so, wie sie selbst nicht behandelt werden möchten. Sie besitzen auch einen
Blick für das Besondere, können leistungsstark (in Schule, Beruf, Hobby) sein und haben oft
gepflegte und statusbewusste Umgangsformen. Neben Prädispositionierung ist das Elternhaus
ein entscheidender Faktor für narzisstische Persönlichkeiten. Es finden sich überwiegend sehr
unempathische, wenig akzeptierende Eltern, die das Kind nicht selten schon früh überfordern.
So findet in der kindlichen Erziehung vor allem ein Verhalten Beachtung und Verstärkung,
das - in gewisser Intoleranz gegenüber anderen - die eigenen Fähigkeiten und Wertigkeit
betont und sie nach außen hin gut darstellt. Dabei muss das tatsächlich gezeigte Verhalten der
Selbstpräsentation nicht annähernd entsprechen. Narzissten überschätzen ihre eigenen
Fähigkeiten und zerstören aus Neid, was begabtere Menschen aufgebaut haben. Wenn
Narzissten eine leitende Funktion ausüben, leiden die Betroffenen sehr. Wenn möglich,
entziehen sich Mitbetroffene ihrem Einfluss.
Foto: dapd / Der Franke war einer der glamourösesten deutschen
Politiker. Legendär wurde dieses Foto, auf dem der frischgebackene
Bundeswirtschaftsminister im März 2009 auf dem New Yorker Times
Square posiert.
4
1.3
Der maligne (bösartige) Narzissmus
Der maligne (bösartige) Narzissmus kann als Zwischenstufe von narzisstischer und antisozialer Persönlichkeitsstörung angesehen werden. Als maligner Narzissmus wird die Kombination von narzisstischer Persönlichkeitsstruktur, antisozialen Verhaltensweisen mit intensiven
krankhaften Aggressionen und eventuellen paranoiden Neigungen bezeichnet. Kennzeichnend
sind krankhafte Grandiosität (Entwicklung eines nicht der Realität angemessenen Größenselbst oder Realitätsverlust) mit Herrschaftsanspruch innerhalb einer Gruppe, bis hin zu Sadismus und Hass. Im Unterschied zur antisozialen Persönlichkeitsstörung, die sich durch das
völlige Fehlen von Verantwortungsgefühl, Gewissen und Sorge/Mitgefühl sich selbst und andere Menschen betreffend auszeichnet, sind beim malignen Narzissmus noch Über-Ich-Anteile (Gewissen) funktionsfähig, und es existiert auch ein Gefühl für Mitmenschen, wenn auch
oft in ausbeuterischem Interesse.
Das kranke dranghafte Lügen, ohne Schuld- und Schamgefühle zu empfinden, zählt zu den
Symptomen narzisstischer Persönlichkeitsstörungen. Der Narzisst lügt, um sich Zuwendung,
Anerkennung und Geltung zu sichern oder seinen Willen durchzusetzen. Krankhafte Lügner
nennt man „Pseudologen“.
Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Narzissmus vom 11.10.2011
Der Psychiater stand 21 Jahre im Dienst des USGeheimdienstes CIA. Jetzt ist Jerrold Post (75), Berater des Pentagons. Er analysiert die Psyche von
Muammar al-Gaddafi. Er ist blitzgescheit und arglistig, ein paranoider, ein bösartiger Narzisst. Aber
weil es ihm an Einfühlungsvermögen mangelt, stören
Erfolge wie Misserfolge sein Urteilsvermögen. ©
Keystone
5
1.4 Die allgemeinen Kriterien für eine Per- 1.5 Kriterien der narzisstischen Persönsönlichkeitsstörung (F60)
lichkeitsstörung
Die allgemeinen Kriterien für eine Persönlichkeitsstörung (F60) müssen erfüllt sein.
1.Deutliche Unausgeglichenheit in den Einstellungen
und im Verhalten in mehreren Funktionsbereichen
wie Affektivität, Antrieb, Impulskontrolle, Wahrnehmen und Denken sowie in den Beziehungen zu
anderen.
2.Das auffällige Verhaltensmuster ist andauernd und
gleichförmig und nicht auf Episoden psychischer
Krankheiten begrenzt.
3.Das auffällige Verhaltensmuster ist tief greifend und
in vielen persönlichen und sozialen Situationen
eindeutig unpassend.
4.Die Störungen beginnen immer in der Kindheit oder
Jugend und manifestieren sich auf Dauer im Erwachsenenalter.
5.Die Störung führt zu deutlichem subjektiven Leiden,
manchmal jedoch erst im späteren Verlauf.
6.Die Störung ist meistens mit deutlichen Einschränkungen der beruflichen und sozialen Leistungsfähigkeit verbunden.
7.Für die Diagnose der meisten Untergruppen müssen
mindestens drei der jeweils genannten Eigenschaften oder Verhaltensweisen vorliegen.
8.In unterschiedlichen Kulturen müssen unter Umständen besondere Kriterien in Hinsicht auf soziale
Normen, Regeln und Verpflichtungen entwickelt
werden.
Quelle: http://www.panikattacken.at/persoenlichkeitsstoerung/persoenlichkeitsstoerung.htm vom
11.10.2011
6
Mindestens fünf der folgenden Kriterien müssen
vorhanden sein: Narzisstische Persönlichkeitsstörung
Die folgende Auflistung entspricht im englischen Original -bis auf allergeringste Abweichungen- wörtlich
dem entsprechenden Text der DSM-IV (Diagnostic
and Statistical Manual of Mental Disorders (Diagnostisches und Statistisches Handbuch Psychischer Störungen)).
1. hat ein grandioses Verständnis der eigenen
Wichtigkeit (übertreibt etwa Leistungen und Talente, erwartet ohne entsprechende Leistungen als
überlegen anerkannt zu werden)
2. ist stark eingenommen von Phantasien grenzenlosen Erfolgs, Macht, Brillanz, Schönheit oder
idealer Liebe
3. glaubt von sich, „besonders“ und einzigartig zu
sein und nur von anderen besonderen oder hochgestellten Menschen (oder Institutionen) verstanden zu werden oder mit diesen verkehren zu müssen
4. benötigt exzessive Bewunderung
5. legt ein Anspruchsdenken an den Tag, d.h. hat
übertriebene Erwartungen auf eine besonders
günstige Behandlung oder automatisches Eingehen auf die eigenen Erwartungen
6. ist in zwischenmenschlichen Beziehungen ausbeuterisch, d.h. zieht Nutzen aus anderen, um eigene Ziele zu erreichen
7. zeigt einen Mangel an Empathie: ist nicht bereit, die Gefühle oder Bedürfnisse anderer zu erkennen/anzuerkennen oder sich mit ihnen zu identifizieren
8. ist häufig neidisch auf andere oder glaubt, andere seien neidisch auf ihn/sie
9. zeigt arrogante, hochmütige Verhaltensweisen
oder Ansichten
Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Narzissmus
vom 11.10.2011
1.6
Zur Epidemiologie der narzisstischen Persönlichkeit
Nach epidemiologischen Schätzungen liegt das Vorkommen der narzisstischen Persönlichkeitsstörung in der Normalbevölkerung bei ca. 0,3%. Bei psychiatrischen Patienten liegt das
Vorkommen bei etwa 1%. Die o.g. Zahlen sind Schätzungen (vgl. http://www.dr-gumpert.de/html/narzissmus.htm). Aktuell sind das in absoluten Zahlen bezogen auf die Normalbevölkerung in Deutschland für die Altersgruppe 20 Jahre und älter in 2010 (66,5 Mill. Menschen)
199.500 Menschen. Nach Bierhoff und Herner erscheinen privilegierte Kinder der oberen
Mittelschicht als besonders anfällig. Bei Wilkinson und Pickett heißt es, „inzwischen gilt es
weithin als gesichert, dass wir es hier, vor allem unter jungen Menschen,“ ... „mit zunehmendem Narzissmus“ (2010, S. 52) zu tun haben. Sie beziehen sich auf den Zeitraum von 1982
bis 2006.
An mehr als vier Stichproben wurden die wissenschaftlichen Eigenschaften der deutschen
Version des NPI (Narcissistic Personality Inventory, Raskin & Hall, 1979, 1981) untersucht.
Die Skala erfasst subklinischen Narzissmus als Persönlichkeitsmerkmal.
Quellen:
Bierhoff, Hans-Werner; Herner, Michael Jürgen: Narzissmus - die Wiederkehr, Bern 2009
Emmons, R.A.: Narcissism: Theory and Measurement, Journal of Personality and Social Psychology,
1987, 52/1, pp. 11-17
Raskin, R. & Hall, C.S.: A Narcissistic Personality Inventory, Psychological Reports, 1979, 45, p. 590
Raskin, R. & Hall, C.S.: The Narcissistic Personality Inventory, Alternate form reliability and further
evidence of construct validity, 1981, Journal of Personality Assessment, 45, pp. 159-162
Raskin, R., Terry, H.: A Principal component analysis of the Narcissistic Personality Inventory and
further evidence of its construct validity, Journal of Personality and Social Psychology, 1988, 54/5,
pp. 890-902
Wilkinson, Richard; Pickett, Kate: Gleichheit ist Glück – Warum gerechte Gesellschaften für Alle besser sind,
Berlin 2010
2.
Entgrenzung der Arbeit
Die Entgrenzung der Arbeit ist ein Begriff aus der Arbeits-, Wirtschafts- und Industriesoziologie. Gemeint ist damit die zunehmende Auflösung von (zeitlichen, räumlichen, sachlichen usw.) Strukturen betrieblich organisierter Arbeit. Oft wird der Begriff auch für den Spezialfall der tendenziellen Auflösung von Grenzen zwischen Erwerbsarbeit und Privatleben Mensch&Computer 2005, Linz,
verwendet.
Bei der Analyse von Entgrenzungsprozessen konzentrieren sich Arbeits- und Industriesoziolo- Ausstellung"Entgrenzung: Digitale
gen in der Regel auf den Wandel der betrieblichen Organisation von Erwerbsarbeit. So verste- Kunst zwischen
und
hen einige Autoren Entgrenzung als Ergebnis eines betrieblichen Rationalisierungsprozess mit Algorithmik
Interaktion
dem Ziel eines erweiterten Zugriffs auf die Subjektivität, die lebensweltlichen Ressourcen sowie die zeitliche Verfügbarkeit der Beschäftigten. Weiterhin werden Entgrenzungstendenzen
in der Sozialorganisation von Arbeit durch betriebsinterne Umstrukturierungen und die Ausdünnung betrieblicher Steuerungsvorgaben ausgemacht.
Entgrenzung von Arbeit bedeutet auch weniger Standardisierung. Stattdessen werden immer
häufiger zeitlich begrenzte Auftragsbeziehungen unterschiedlichster Art und Reichweite aufgebaut, durch die an entscheidender Stelle das Verhältnis von Betrieb und Arbeitskraft eine
neue Qualität erhält.
Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Entgrenzung_der_Arbeit vom 13.10.2011
Zentrale Merkmale einer entgrenzten Arbeit und ihre Folgen sind:
1.
Zeit: Gleitzeit, regelmäßige Mehrarbeit, Arbeit ohne feste Arbeitszeiten, Wochenendarbeit, Arbeit nach Abruf etc.
7
2. Raum: Home-Offices, Teleheimarbeit, Außendienstarbeit, wechselnde Einsatzsorte bei
Projektarbeit usw.
3. Arbeitsmittel: Zunehmende Nutzung von privaten Hilfsmitteln und Einrichtungen für
die Erwerbsarbeit und umgekehrt
4. Arbeitsinhalt/Qualifikation: Aktivitäten wie Reisen, gesellschaftliche Essen und
Events, private Kontakte zu Kollegen und Geschäftspartnern, informelle Gespräche,
Bildungsaktivitäten u.v.a.m nehmen einen immer größeren Raum ein und lassen sich
immer weniger eindeutig der Erwerbsarbeit oder dem privaten Bereich zuordnen.
5. Sozialorganisation: Auf Selbstorganisation beruhende Arbeitsformen und die dabei
eingesetzten Führungsformen erzeugen Überschneidungen zwischen dienstlichen und
privaten Normen sowie Unklarheiten bei der Zuordnung von Personen: ist er nur Kollege, Untergebener, Vorgesetzter oder schon guter Bekannter oder Freund?
Quelle: Voß, Günther: Die Entgrenzung der Arbeit und Arbeitskraft. In: Mitteilungen der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Nürnberg 3/98, S. 474f.
3.
Der Schlüsselbereich des gesellschaftlichen Unbehagen
3.1
Entgrenzte Arbeit und narzisstische Personen
Somit bedingen und ergänzen sich die Merkmale einer entgrenzten Arbeit, die mit einer Beschleunigung nicht nur einer entgrenzten Arbeit einhergeht, und die Inbesitznahme leitender
Positionen in Betrieben, besonders im personenzentrierten Dienstleistungsbereich durch narzisstische Personen. Genau hier befindet sich der Schlüsselbereich, der „das Unbehagen in der
Gesellschaft“, und zwar nicht nur als Sprachspiel im Sinne Wittgensteins (Alain Ehrenberg,
Das Unbehagen in der Gesellschaft, Berlin 2011), bzw. die „Müdigkeitsgesellschaft“ (ByungChul Han, Berlin 2010) erzeugt. Somit empfiehlt sich der in der (Figurations-) Soziologie von
Norbert Elias eingeführte Begriff des „Homo Clausus“, der dort einen Menschen bezeichnet,
der in seinem „Inneren“ von der „Außenwelt“ abgeschlossen ist. Die „Wir-Ich-Balance“ ist
nicht ausbalanciert, sondern deutlich zum „Ich“ einseitig geneigt. Eine Parallele zum
Narzissmus lässt sich leicht erkennen (vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Homo_Clausus). Oder
nochmals mit Ehrenberg: „Die Institution gesellschaftlicher Bedeutungen, die jedem
Individuum den höchsten Wert verleihen, impliziert eine Unterordnung der Werte der
wechselseitigen Abhängigkeit. Diese untergeordnete Position kann Akteure und Beobachter
dazu führen, sie aus dem Blick zu verlieren – und das ist sogar eine verbreitete Einstellung ...“
(S. 492).
Elias versteht unter einer Figuration ein dynamisches soziales Netzwerk von untereinander
abhängigen Individuen. Diese Beziehungen zwischen den Akteuren sind nach Elias das Wesen jeder sozialen Gemeinschaft. Die Soziologie hat demnach die Aufgabe, diese Beziehungsgeflechte zwischen sozialen Akteuren zu untersuchen. Individuen existieren für Elias, wie
Gruppen, in Kontexten anderer Individuen und Gruppen, die nur als Geflecht und in Abhängigkeit voneinander (interdependent) gedacht werden können (vgl. http://de.wikipedia.org
/wiki/Figuration_%28Soziologie%29).
Für Elias ist Gesellschaft eine ständige, dynamische Bewegung. Eine gesellschaftliche Entwicklung verläuft strukturiert, ohne linear auf ein bestimmtes Ziel ausgerichtet zu sein (vgl.
Elias, Norbert: Zur Grundlegung einer Theorie sozialer Prozesse, in: Zeitschrift für Soziologie
6 (1977), S. 127-149). Dabei spielt die psychodynamische Affektkontrolle (Scham, Gewissen
und Peinlichkeitsschwellen), die sich nach Elias vom Fremd- zu Selbstzwang gewandelt hat,
für die individuelle Entwicklung des Menschen wie den allgemeinen zivilisatorischen Verlauf
von Gesellschaften eine wichtige Rolle. (vgl. Über den Prozeß der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen. Band 1: Wandlungen des Verhaltens in den
weltlichen Oberschichten des Abendlandes / Band 2: Wandlungen der Gesellschaft: Entwurf
8
zu einer Theorie der Zivilisation, besonders von S. 312-404, Basel 1939). Es handelt sich hier
um das Freud'sche Über-Ich.
In dem neuen Magazin „philosophie“ schreibt Alexandre Lacroix in der deutschen Übersetzung des Beitrags „Wer vergibt uns unsere Schulden?“, dass „die gleiche Kraft, die unsere
Zivilisation zu ihrer Größe geführt hat, die uns zwingt zu arbeiten, fabelhafte Zukunftspläne
zu schmieden und unseren Zustand unaufhörlich verbessern zu wollen – diese Kraft ist auch
eine Plage, eine Art von Überaktivität, die dazu führt, all unseren Schwung, alle Wünsche
auszulöschen, eine beträchtliche Energie zu absorbieren, womit ein Langsamerwerden
unvermeidlich ist“ (Berlin im März 2012/Nr. 3, S. 25).
picture-alliance/dpa
3.2
Empirische Daten zu psychischen Erkrankungen
Die Datenlage ist mehr als eindeutig: so bspw. die vielen Gesundheitsreports der Krankenversicherungskasse DAK (Hamburg 2005, 2008, 2009, 2010), die über eine Zunahme der
Krankentage wegen Depressionssymptomatiken zwischen 2000 und 2009 um mehr als 40%
berichten, dies besonders bei qualifizierten Berufstätigen im personenzentrierten Dienstleistungsbereich. In der Ausgabe von 2011 heißt es: „Der Anteil der Fehltage aufgrund psychischer Erkrankungen hat 2010 um 1,3 Prozentpunkte zugenommen: Ihr Anteil am Krankenstand betrug im Jahr 2010 12,1%“ (S. 7). Oder: bei einer Befragung von Betriebsräten in einem Forschungsprojekt der Hans-Böckler-Stiftung schilderten sie ähnliche Eindrücke. In 84%
der deutschen Betriebe herrsche hoher Zeit- und Leistungsdruck. Unter diesem Druck leiden
ca. 43% der Beschäftigten mit psychischen Problemen und mit steigender Tendenz (vgl.
Ahlers, E. WSI-Betriebsrätebefragung 2008. Düsseldorf: Hans-Böckler-Stiftung (http://
www.boeckler.de/32014_95451.html vom 21.03.2012). Oder: eine Studie im Auftrag des
Hamburger Fürstenberg-Instituts. Dort heißt es, dass bei 63% der Berufstätigen die
Leistungsfähigkeit durch „Stress und Sorgen“ beeinträchtigt ist, 53% psychische oder soziale
Probleme haben und die geschätzten gesellschaftlichen Folgekosten bei 262 Mrd. Euro pro
Jahr liegen. (vgl. Fürstenberg Performance Studie 2010. Hamburg: Fürstenberg Institut
(http://www.fuerstenberginstitut.de/pdf/fuerstenberg-performance-studie_febr2010_kurzfassung.pdf9).
3.3
„Rasender Stillstand“ (P. Virilio)
Entschleunigte Beschleunigung - Momentaufnahme in einer U-Bahn. (CCFlickr / Rodrigo Basaure)
9
Der französische Philosoph Paul Virilio hat hierfür passend schon 1990, also zum Zeitpunkt
des Falls des „eisernen Vorhangs“, des kommunistischen Ostblocks und vor der Einführung
des Internets, den Begriff „rasender Stillstand“ als Ausdruck einer tachogenen (beschleunigten) Gesellschaft geprägt (vgl. Rasender Stillstand, München, Wien 1992). Für Virilio arbeitet
der rasende Stillstand einer Gesellschaft, die Zeit und Raum hochtechnologisch beherrscht, an
der Auslöschung ihrer selbst. Ein Beispiel ist der im Verkehrsstau stehende SUV, als Effekt
einer Selbstblockade.
Verkehrsstau auf der Autobahn in beiden Richtungen mit SUV
Der Soziologe Hartmut Rosa zeigt in seinem 2005 (Frankfurt/M.) erschienendem Werk
„Beschleunigung – Die Veränderung der Zeitstrukturen in der Moderne“ den Zusammenhang
der Beschleunigung und der sozialen Erstarrung in zwei aufschlußreichen Abbildungen (vgl.
S. 435 und 440) für die Bereiche Struktur, Kultur, Persönlichkeit und Naturverhältnis auf.
Wenn Rosa schreibt, es „droht ... die Beschleunigung ..., ...im Extremfall sogar in die
pathologische Erfahrung einer 'eingefrorenen' Zeit der Depression umzuschlagen“ (S. 437),
müssen wir in Anbetracht der in (3.2) genannten Daten davon ausgehen, dass es sich nicht
mehr um einen Extremfall im Bereich „Persönlichkeit“, sondern um eine Tendenz hin zur
Normalität handelt. Dies nicht zuletzt vor dem Hintergrund der dramatischen Globalkrisen der
letzten Jahre: Klimakrise, Naturkatastrophen wie zuletzt die von Fukushima in Japan in 2011
mit anschließender Kernschmelze im ortsansässigen Kernkraftwerk und weiteren Folgeketten,
Energiekrise, Finanzkrise und der Staatsschuldenkrise mit ihrem vorläufigen Höhepunkt in
Griechenland.
10
3.4 Der egozentrisch-narzisstische Arbeitsstil: Der GRANDIOSE
Narziss, eine Gestalt der griechischen Mythologie, verliebte sich in sein eigenes Spiegelbild.
Charles Thévenin; Werk: Narziss von 1796- http://www.reproarte.com/Kunstwerke/Charles_Th%C3%A9venin/Narziss/16611.html
In dem Sinn, als die Produkte unserer Arbeit
symbolische Repräsentationen unseres Selbst
sind, wirken diese für egozentrisch-narzisstische Menschen wie ein Bild von sich
selbst, welches sie von Anderen ständig bewundert und anerkannt sehen wollen.
Ihr Verhalten kann extrem darauf ausgerichtet sein, anerkennend Aufmerksamkeit auf
sich zu lenken. Das Grundproblem narzisstischer Menschen ist es, nicht wichtig genommen worden zu sein, sei es dadurch, überhaupt nicht erwünscht gewesen zu sein, sei es
durch lange Abwesenheit der Mutter, durch
wirtschaftliche Notlagen oder aber durch
Ehekonflikte der Eltern oder ähnliches.
Eine Bewältigungsform dieser Bedrohung ist
es, sich auf Phantasien eigener Größe zurückzuziehen und sich von außen, von anderen
unabhängig zu fühlen, wobei das eigene
Selbst als omnipotent phantasiert wird.
Zur Erhaltung dieser Omnipotenzvorstellungen werden aber andere Menschen benötigt.
Von daher ist die Beziehung zu Anderen, zu
Kollegen oder Klienten rein instrumentellen
Charakters, d. h. diese haben Anerkennung
und Bewunderung der eigenen Größe zu liefern, werden als kritiklose Jasager benötigt.
Der narzisstische Arbeitsstil ist durch die
Überbewertung der eigenen Leistungen bei
gleichzeitiger Abwertung der Leistungen Anderer geprägt. Der Arbeitsgegenstand ist für
diese Menschen sekundär, es besteht keine
echte innere Bindung. Er dient lediglich als
Vehikel zur Darstellung der eigenen Größe.
Kritik wird oft als massive Kränkung erlebt
und entsprechend überempfindlich aggressiv
zurückgewiesen, wenn sie denn überhaupt
ernstgenommen wird. Da der Andere eher
entwertet wird, sind echte kollegiale Delegation und Absprachen kaum möglich.
11
3.5
Der narzisstische Geschäftsführer im personenzentrierten Dienstleistungsbereich
Der narzisstische Geschäftsführer im personenzentrierten Dienstleistungsbereich wie
Gesundheit und Bildung muss der große Star sein. Der (entgrenzte) Betrieb (Krankenhaus,
Schule etc.) ist die Bühne seiner Grandiosität und die Leitungsaufgabe bietet ihm die Möglichkeit für einen großen Auftritt. Nichts ist für sein überhöhtes Ich-Ideal gut genug. Von daher überfordert er nicht nur sich selbst, sondern oft auch seine Mitarbeiter und sein Klientel,
sodass er von ihnen häufig gefürchtet wird.
Die Mitarbeiter und sein Klientel sollen ausschließlich Erfüllungsgehilfen der eigenen Grandiositätsvorstellungen sein. Der einzelne Klient wird in seiner Individualität nicht wahrgenommen. Der narzisstische Geschäftsführer instrumentalisiert seine Mitarbeiter und Klienten:
Alle haben ihn anerkennend zu bewundern, zu lieben. Liebe bedeutet für ihn beziehungslose
Bewunderung.
Der identifikatorische Irrtum narzisstischer Geschäftsführer besteht darin, dass es nicht zentrale Aufgabe der Klienten ist, ihren Leiter und deren überhöhte Ich-Ideale zu bewundern oder
gar zu idealisieren. Der Betrieb ist keine Bühne für die überwertige Selbstdarstellungstendenz
narzisstischer Leiter mit Mitarbeitern und Klienten als Claqueuren. In vielfältiger Weise muss
sich der Leiter in der betrieblichen Szene seinen Mitarbeitern und Klienten zur Verfügung
stellen – muss er für die Klienten da sein – nicht umgekehrt.
Narzisstische Geschäftsführer brennen aus bei realen Begrenzungen und Anforderungen, die
sie nicht bewältigen können und die für sie gleichsam eine Majestätsbeleidigung darstellen.
Oftmals inszenieren sie einen Eklat, der im Sinne eines Mobbing-Erlebens subjektiv interpretiert wird und ihnen die Möglichkeit gibt, ohne Gesichtsverlust krank zu sein, d. h. Schwäche
zu zeigen.
Das Grunderleben des Narzissten ist das der Befürchtung von Blamage und Beschämung,
wenn er seinem Grandiositätsanspruch nicht gerecht werden kann. Seine Stärke ist sein kompromissloser Leistungswille mit beeindruckender rhetorischer Eleganz. Von daher gelangen
sie oftmals in Leitungsfunktionen, von wo aus sie durchaus neue und ungewöhnliche Wege
entwickeln können.
Quelle: Berger, Peter: Burnout in der PsychoLeitungsaufgabe Überlastungen erkennen und bewältigen - Vortrag
im Psychiatrischen Landeskrankenhaus Haina/Hessen ,28.06.2006; leicht abgewandelt
Nicht nur am Anfang moderner Pädagogik steht die
Raserei von eifersüchtigen Fräulein und Jünglingen,
die in onanistischer Selbsterhitzung ein Programm
der Weltbeglückung ausbrüten. Es geht um die Geburt der Pädagogik aus dem Furor der Eifersucht,
um die Selbstüberhebung narzisstischer Träumer zu
Welterlösern. Es geht um Porträts von Menschheitserziehern, denen das stete Schwanken zwischen
pädagogischen Sendungsbewusstsein und Größenwahn zum Verhängnis wird. Es geht um rastlose
Geister und manisch Produzierende, die ihre Fantasien in bizarren Welterlösungsmodellen ausagieren.
Man muss die Innenperspektiven dieser tragischen
Helden einnehmen und ihren Kreuzzug gegen die
Jean-Jacques Rousseau, Pastell von Maurice Quentin
verderbte Zivilisation skizzieren. Diese Vordenker
de La Tour, 1753
einer emanzipatorischen Pädagogik, schrumpfen soExkurs: Über die Verblendung von
dann zum triebgesteuerten Eiferer, die mit sektiereMenschheitserziehern oder zur Pädrischen Ansichten ihr Denken ruinieren. Sie haben
agogik als Symptom
12
alle ein Trauma. In der Regel vom Vater alleingelassen mit einer Mama, die zur erotischen Lehrmeisterin wird. Sie träumen unablässig von einer erotischen Symbiose mit der Mutter-Geliebten; gleichzeitig besteht ihr sexueller Alltag
primär aus „einsamen Verrichtungen“: Das Mastubieren schützt sie vor allzu großer Nähe.
Das Trauma, das aus den sehnsüchtigen Muttertöchtern und -söhnen schließlich eine manische Formulierungsmaschine werden lässt. In der Regel gibt es Schlüsselszenen und hier beginnen ihre Selbsterfindungen als Pädagogen, die zunächst nur den Rivalen und kurz darauf
die ganze Welt „erziehen“ wollen.
Die Konfrontation der Größenfantasie mit der Wirklichkeit mündet aber nicht in Selbstbescheidung, sondern in ein gesteigertes Sendungsbewusstsein. Es folgen Attacken auf die
Wissenschaften und Künste, die sie als Zeugnis zivilisatorischer Verderbtheit interpretieren.
Sie stehen für die Selbsttäuschung, die das unablässige Schreiben, Imaginieren und Fantasieren eines Geistesmenschen mit sich bringen kann.
Die Lust am Text bewegt sich bei expressivpoetischen Temperamenten immer weiter weg
von der Wirklichkeit – zurück bleiben Köpfe
ohne Welt. In ihren Maßlosigkeiten ließen sie
sich auch durch die empiristisch geerdete
Skepsis nicht korrigieren und verfielen einem
Verfolgungswahn. Es sind Tragikomödien und
Lektionen über die Nachtseiten der Aufklärung, die sich erstmalig in der Schreckensherrschaft von Robespierre, dem „Unbestechlichen“, in Frankreich und dem damit verbundenen „innerfranzösischen Völkermord“ zeigen. Die Zahl der Opfer lag weit über die Hunderttausenden. So heißt es bei Winkler in seiner Geschichte des Westens: „Bei Rousseau
war vieles von dem gedanklich angelegt, was
Robespierre in die Tat umzusetzen versuchte“
(S. 364). Und weiter: „Wenn sich das
Maximilien Robespierre (anonymes Porträt, um
1793, Musée Carnavalet)
Gemeinwohl nicht aus dem Ausgleich auseinanderstrebender Interessen ergab, sondern
aus der überlegenen Einsicht eines obersten
Gesetzgebers, dann durfte dieser auch dem
Volk vorschreiben, was es vernünftigerweise
wollen mußte“ (S. 364). Auch ein Ausdruck
von Entgrenzung.
Quelle: In Anlehnung an Ott, Karl-Heinz: Wintzenfried, Hamburg 2011. Anmerkung: Bei Ott geht es um JeanJacques Rousseau. Er war Schriftsteller, Philosoph, Pädagoge, Naturforscher und Komponist der Aufklärung.
Der bedeutende Aufklärer gilt als einer der wichtigsten geistigen Wegbereiter der Französischen Revolution und
hatte großen Einfluss auf die Pädagogik und die politischen Theorien des 19. und 20. Jahrhunderts.
Winkler, Heinrich August: Geschichte des Westens, Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert,
München 2009
3.6
Das Mobbingtagebuch
Das Mobbingtagebuch wird als eines der besten Mittel angesehen sich gegen Mobbing- sprich
gegen die hier geschilderten Handlungen narzisstischer Geschäftsführer zu wehren. Durch die
Eintragungen im Tagebuch entsteht eine Dokumentation der Vorgänge über einen längeren
Zeitraum. Es lässt sich dadurch das Ausmaß eines Mobbingangriffs wesentlich besser
beurteilen, als wenn aus dem Gedächtnis heraus länger zurückliegende Ereignisse wieder
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gegeben werden. Ein genau und ehrlich geführtes Mobbingtagebuch kann dem Anwalt helfen,
die rechtliche Situation besser einzuschätzen, es zeigt einem Therapeuten oder Arzt was besonders gravierend war und es kann indirekt auch einen Beweis darstellen, z. B. wenn Uhrzeiten genau notiert werden, Kfz-Kennzeichen oder Bilder dokumentiert sind.
Wie führe ich mein Mobbingtagebuch? Am sinnvollsten ist ein dicker Kalender mit viel Platz
für jeden Tag. Das Tagebuch unbedingt täglich führen.
Es sollte folgende Punkte enthalten:
–Datum und Uhrzeit
–Was genau ist passiert.
–Die Handlungen exakt beschreiben.
–Wer hat welche Handlung begangen.
–Wer ist alles anwesend und hat die Situation evtl. mitbekommen (die
möglichen Zeugen).
–Wie habe ich mich gefühlt.
Michael Haack Erschöpfung - 1972
Gab es körperliche/gesundheitliche Reaktionen als Folge? Vermerken sie, in welchem zeitlichen Abstand zu der Situation diese aufgetreten sind. An Tagen, an denen Nichts passiert ist,
dies auch so notieren: “Heute nichts passiert”. Berichten sie außerdem, wann sie warum der
Arbeit ferngeblieben sind (Urlaub, freier Tag, krank geschrieben, etc.). Wenn sie aufgrund des
Mobbings einen Arztbesuch hatten, weil sich bei Ihnen gesundheitliche Beschwerden in Folge
eingestellt haben, dies ebenfalls benennen (beim Arzt sowieso wegen Schlafstörungen, Herzrasen, Schwindelgefühle, etc.). Wenn die Mobber/innen in Urlaub sind, auch dies aufschreiben. So werden “Lücken” in der zeitlichen Abfolge erklärbar (Herr Schreihals nicht im Haus,
in Urlaub, krank, etc.).
Auch zu Hause können sie belästigt werden. Betroffene werden häufig zu Hause angerufen:
wenn sie z.B. krank sind, werden sie am Telefon unter Druck gesetzt. Vergessen sie nicht,
diese Situationen mit aufzuführen und das Mobbing ein Straftat ist.
Quelle:
http://www.mobbing.net/mobbingtagebuch_mobbingblog.htm vom 15.10.2011
http://www.mobbing-web.de/mobbing/mobbingamarbeitsplatz/mobbingtagebuch.php vom 15.10.2011
4.
Resumée und Ausblick
Han spricht in der oben genannten „Müdigkeitsgesellschaft“ von einer deregulierten
Leistungsgesellschaft – bestehend „aus Fitnessstudios, Bürotürmen, Banken, Flughäfen,
Shopping Malls und Genlabors“ (S. 17) und deren Bewohner heißen Leistungssubjekte (vgl.
S. 17) -, dessen „positive“(s) „Modalverb“ „das entgrenzte Können ist“ (S. 18). „Sein Kollektivplural der Affirmation Yes, we can bringt gerade den Positivitätscharakter der Leistungsgesellschaft zum Ausdruck“ (S. 18). Sie „bringt“ ... „Depressive und Versager hervor“ (S. 18).
„Die Erschöpfungsmüdigkeit ist eine Müdigkeit der positiven Potenz. Sie macht unfähig, etwas zu tun. Die Müdigkeit, die inspiriert, ist eine Müdigkeit der negativen Potenz, nämlich
des nicht-zu. Auch der Sabbat, der ursprünglich aufhören bedeutet, ist ein Tag des nicht-zu,
ein Tag, der befreit ist von jedem um-zu,“ .... „Heilig ist also nicht der Tag des um-zu, sondern
der Tag des nicht-zu, ein Tag, an dem der Gebrauch des Unbrauchbaren möglich wäre. Er ist
der Tag der Müdigkeit“ (S. 60).
Schließlich benötigen wir eine "Anti-Stress-Verordnung". So „soll es eine Verpflichtung geben, jeden Arbeitsplatz auf sein Gefährdungspotenzial für einen Burnout zu analysieren“. Es
geht um „flexible und überlange Arbeitszeiten, die Beziehung zum Vorgesetzten oder Über14
forderung genauso wie Unterforderung. Zudem müsse mit den Beschäftigten gesprochen werden. Konkrete Maßnahmen könnten in einer Betriebsvereinbarung festgehalten werden“
(http://www.welt.de/print/die_welt/wirtschaft/article13629881/Gewerkschaft-warnt-vorVolkskrankheit-Burnout.html. vom 28.09.2011). Nicht zuletzt, weil die Arbeitnehmer den
Eindruck haben, dass sie sich in einem unendlichen Feld an Möglichkeiten befinden. Gleichzeitig erschöpft sie dieses Feld. Ohne äußere Beschränkung fällt es ihnen schwer, Grenzen zu
ziehen (vgl. Han, Byung-Chul: Topologie der Gewalt, Berlin 2011). Hierzu gehört auch, dass
wir die vom Medizinsoziologen Siegrist untersuchte „Gratifikationskrise“ überwinden müssen. Sie besagt, „dass eine psychische Störung entstehen kann, wenn das Verhältnis von Verausgabung und Anerkennung in Form von Lohn, Aufstiegschancen, Arbeitsplatzsicherheit
und Wertschätzung durch den Arbeitgeber aus der Balance gerät“. Nach Siegrist, „steige das
Risiko, an einer Depression zu erkranken, um 70 Prozent, wenn Arbeitnehmer dauerhaft überfordert, nicht gerecht und angemessen belohnt oder unfair behandelt werden“ (Dettmer, Markus; Shafy, Samiha; Tietz, Janko, Volk der Erschöpften, Der Spiegel, 04/24.01.2011).
Letztendlich brauchen wir ein echtes Ziel: eine gerechte Gesellschaft, da sie für alle Gesellschaftsmitglieder besser ist. Oder mit Axel Honneth präziser und teleologisch gesprochen:
„Als normativen Bezugspunkt aller Konzeptionen von Gerechtigkeit in der Moderne können
wir nun aus Gründen, die universelle Geltung beanspruchen, die Idee der individuellen Selbstbestimmung betrachten: Als 'gerecht'muß gelten, was den Schutz, die Förderung oder die Verwirklichung der Autonomie aller Gesellschaftsmitglieder gewährleistet“ (Das Recht der Freiheit, Berlin 2011, S. 40).
In Erinnerung und sehr großer Anerkennung an einem meiner viel zu früh verstorbenen Lehrer Dietmar Kamper, der bereits 1982 im Rahmen einer Naturgeschichte des Selbst diese Problematik unter der Überschrift „Das
autistische Neutrum. Eine Skizze über den Zusammenhang von sozialer Kontrolle und menschlicher Depression“ thematisiert hat (vgl. Guttandin, Friedhelm/ Kamper, Dietmar: Selbstkontrolle – Dokumente zur Geschichte einer Obzession, Marburg/Berlin 1982, S. 212-217).
Kuratiert, kompiliert, gefiltert, getextet und (neu-)bewertet von Dietmar W. Brown im März 2012
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