PDF-Dokument - Verband Evangelischer Pfarrerinnen und Pfarrer in
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Mit Scherz, Satire, Ironie und tieferer Bedeutung Paul Klees »Engel« in Hamburg Von: Ulrich Kosfeld, erschienen im Deutschen Pfarrerblatt, Ausgabe: 4 / 2013 Kaum sind die Engel aus Weihnachtszeit, Werbung, Konzerten und Wohnungsschmuck ausgezogen, gibt es in Essen eine ganze Kohorte jenes wunderlichen "Geflügel" zu bestaunen. Die Paul-Klee-Sammlung in Bern hat sie ins Ruhrgebiet, ins Folkwang-Museum in Essen, reisen lassen; die folgende Station wird ab Mai Hamburg sein (Kirchentags-Besucher können sich schon jetzt darauf freuen). Wunderliches Geflügel Paul Klees Engel gehören zu den beliebtesten Werken des Künstlers. Sie sprechen nicht nur Kunstliebhaber an, sondern haben auch als poetische Lebenshelfer eine hohe Popularität gewonnen. Als geflügelte Mischwesen, halb Mensch, halb Himmelsbote, repräsentieren sie eine Übergangsform zwischen irdischer und überirdischer Existenz, die dem Bedürfnis nach Spiritualität entgegenkommt. Zugleich reflektieren die Engel aber auch die moderne Skepsis gegenüber Religion und Glaubensfragen. Darüber hinaus bieten sie nicht nur Kunsthistorikern, sondern auch Schriftstellern, Philosophen, Theologen und Psychologen gedankliche Ansatzpunkte. Erstmals werden die Engel von Paul Klee, die wichtigste Werkgruppe seiner letzten Lebensjahre, in einer eigenen Präsentation gewürdigt. Die meisten der rund 80 Engel - vor allem Zeichnungen und Aquarelle - entstanden in Klees letzten Lebensjahren zwischen 1938 und 1940. Sie sind Ausdruck von Klees damaliger Situation angesichts einer nicht enden wollenden Krankheit und zunehmender körperlicher Schwäche. Die Engel lassen erkennen, wie Klee sich am Übergang vom Leben zum Tod empfand, sie zeigen Angst und Bedrohung, aber auch intellektuelle Distanz, Witz und Heiterkeit. Klees Engel - und dies ist der tiefere Grund ihrer Popularität - sind noch weitgehend im menschlichen Dasein verhaftet. Sie haben kleine Schwächen und Schönheitsfehler, sind vergesslich oder hässlich, sorgenvoll oder verspielt, sodass jeder sich in ihnen wieder finden kann. Die Engel von Paul Klee werden vor allem im "Zentrum Paul Klee", aber auch in vielen wichtigen anderen Sammlungen weltweit bewahrt. Für die Ausstellung, die zunächst in Bern zu sehen war und im Anschluss an Essen in die Hamburger Kunsthalle wandert, werden die Engel erstmals wieder zusammengeführt. Der Ausstellungskatalog ist im Hatje Cantz Verlag erschienen. Frühe Engel Aus Klees Kindheit haben sich einige Darstellungen des Christkindes erhalten, die er als Vier- und Fünfjähriger gemalt hat. Viele Jahre später werden sie zur Matrix für seine Engelbilder der letzten Schaffensjahre. Die frühesten Darstellungen von Engeln in Klees reifem Werk greifen die christliche Ikonografie auf, brechen sie zugleich aber ironisch, etwa wenn ein Engel zum himmlischen Eilboten mutiert. Die Zeichnung Ein Engel überreich das Gewünschte, in der sich ein kniender Mensch und ein schwebender Engel von Angesicht zu Angesicht begegnen, greift ein Bildmotiv der alten Kunst auf, das hier aber ohne jedes Pathos in Szene gesetzt wird. Die Lithografie Ein Genius serviert ein kleines Frühstück bezieht sich wahrscheinlich auf einen Traum, den Klee im Tagebuch festgehalten hat. Darin führte ihn ein kleiner "Genius" in eine Region, wo die Gesetze der Schwerkraft aufgehoben waren und "ein kleines Frühstück mit Eiern appetitlich gedeckt" an der Zimmerdecke klebte. Alle Rechte vorbehalten, Vervielfältigung nur mit Genehmigung des Deutschen Pfarrerblatts. Seite 1/4 Welcher Engel wird uns zeigen, wie das Leben zu bestehn? Welcher Engel schenkt uns Augen, die im Keim die Frucht schon sehn? Wirst du für mich - werd ich für dich - der Engel sein? Wirst du für mich - werd ich für dich - der Engel sein? Engel im Werden Die Engel Paul Klees stehen nicht wie sonst üblich unveränderlich außerhalb aller Zeit, sondern erscheinen als Wesen mit einer ganz eigenen Entwicklung und Geschichte. Dies verdeutlichen bereits die Werktitel. Da gibt es den Engel im Kindergarten aber auch den unfertigen Engel. Ein anderer wird vielleicht bald flügge. Symbolisch für diesen Prozess der allmählichen Herausbildung eines Engels steht Klees einzige abstrakte Engelkomposition, das Ölgemälde Engel im Werden: Ein rotes Kreuz auf graublauem Grund markiert den Ort der Entstehung des Engels, dessen Gestalt in den linearen Konturen bereits präfiguriert wird - gewissermaßen ein Status im Vorzimmer der Engelschaft. Manchmal wird die Verwandlung zu einem himmlischen Wesen nicht ganz abgeschlossen, sodass die Gestalt mehr Vogel als Engel ist, oder einfach nur Getier bleibt. In Engelshut Auch wenn Paul Klee mit dem Thema Engel sehr frei umgeht und sich von überlieferten Vorstellungen und Darstellungsformen löst, spielt in seinem Werk dennoch der in der jüdisch-christlichen Tradition geläufige Schutzengel eine wichtige Rolle. Als unsichtbarer Begleiter wirkt er positiv auf die Geschicke dessen ein, der ihm anvertraut ist. Bei der Zeichnung Engel des Alten Testaments kann man an die atl. Erzählung von Tobias und dem Erzengel Raphael denken, der unerkannt als Ratgeber im rechten Moment agiert. Andere Zeichnungen thematisieren ganz allgemein den Gedanken, sich in Engelshut zu begeben. Auf den vier Zeichnungen dieses Titels von 1931 sind der Engel und die Menschen in seiner Obhut zu einer symbiotischen Einheit zusammengewachsen. Die Thematik des Schutzengels greift Klee acht Jahre später noch einmal in der Zeichnung unter großem Schutz auf, wobei er den Bildtypus der Schutzmantelmadonna abwandelt, unter deren Gewand Bedürftige Zuflucht finden. Welcher Engel wird uns sagen, dass das Leben weitergeht? Welcher Engel wird wohl kommen, der den Stein vom Grabe hebt? Wirst du für mich - werd ich für dich - der Engel sein? Wirst du für mich - werd ich für dich - der Engel sein? Zwischen Gut und Böse Im Jahr 1933, der Machtergreifung der Nationalsozialisten, enthüllen Klees Engel erstmals ihre abgründige Seite. In der Pinselzeichnung Sturz scheint ein zur grotesken Fratze mutiertes Wesen mit Flügeln auf den Betrachter zuzustürzen. Die Darstellung erinnert an die christliche Ikonografie des Höllensturzes Luzifers, der als himmlisches Wesen von Gott in den Abgrund verstoßen wurde, weil er versucht hatte, sich Gott gleichzustellen. Es ist diese Zweideutigkeit des gefallenen Engels, für die sich Klee auch in den folgenden Jahren interessiert. Den fließenden Übergang zwischen "englischen" und teuflischen Wesen versinnbildlichen Zeichnungen wie Ein Teufel segelt durch die Klippen oder Der Teufel von KK 5. In anderen Blättern mit Titeln wie Schüsse in der Höhe oder Anfall sind geflügelte Wesen in Szenen der Aggression oder des Zusammenbruchs verstrickt. Den Gipfel der Travestie aber stellt der Chindlifrässer dar, der als Racheengel verkleidet Kinder verschlingt. Was bringst du, Licht? Alle Rechte vorbehalten, Vervielfältigung nur mit Genehmigung des Deutschen Pfarrerblatts. Seite 2/4 Die Engeldarstellungen von Paul Klee erfahren während des letzten Schaffensjahres eine eindrückliche inhaltliche Verdichtung und werden zu Zeugnissen der Auseinandersetzung mit existenziellen Fragen. Sie handeln von Hoffnung und Zweifel, Vergänglichkeit und Tod, Fatalität und Transzendenz. Auf den vergnügten Engel voller Hoffnung folgt der Engel, übervoll, der seinen Kopf versunken zur Seite neigt. Auch der Engel vom Stern beugt sein Haupt, doch scheint er den Stern im Blick zu haben, der über ihm schwebt. Ihnen gegenüber stehen Engel, die Zeichen der Zerbrechlichkeit und des Leidens tragen. Ein Engel hat eine Belastungs-Probe auszuhalten, ein anderer fragt wie am Übergang zwischen Leben und Tod Was bringst du, Licht?, ein dritter geht den letzten Erdenschritt. Der Dimension des Leidens und der Ungewissheit stellt Klee in Darstellungen wie Hoher Wächter das Moment der Wehrhaftigkeit und des Widerstandes entgegen. Noch einmal erscheint hier der Engel als Beschützer in der Not, der die finsteren Mächte vertreibt. Welcher Engel öffnet Ohren, die Geheimnisse verstehn? Welcher Engel leiht uns Flügel, unsern Himmel einzusehn? Wirst du für mich - werd ich für dich - der Engel sein? Wirst du für mich - werd ich für dich - der Engel sein? Irdische Engel Neben den Engeln, die bang oder hoffnungsfroh auf ein Jenseits hin ausgerichtet sind, entstanden in Klees letzten beiden Schaffensjahren auch Engel mit ausgesprochen irdischen Eigenschaften. Mit ihren kleinen Schwächen und Unzulänglichkeiten erscheinen sie weniger metaphysisch als menschlich, manchmal sogar allzu menschlich. Sie sind hässlich oder altklug, zeigen sich vergesslich oder zweifelnd, sie weinen und erleben ab und zu auch eine Krise. Für Klee waren die Unterschiede zwischen Mensch und Engel eher marginal: "Dort [in ihrem Reich] ist alles wie bei uns, nur englisch", notierte er beiläufig in seinem handschriftlichen Œuvrekatalog. Seine Engel sind auch nicht immer geschlechtslos wie die Engel des christlichen Kanons, sondern lassen als Koketter Engel mit Locken oder als Engel, noch weiblich verschmitzt ihre Reize spielen. Angelus Novus Eine der bekanntesten Engeldarstellungen Klees ist die 1920 entstandene aquarellierte Ölpausezeichnung Angelus novus. Heute in der Sammlung des Israel Museum in Jerusalem befindlich, wurde der Angelus novus 1921 von Walter Benjamin erworben, der sich auch nach 1933 trotz Flucht und Exil nicht von dem Blatt trennte. Für Benjamin wurde der Angelus novus - der neue Engel - zur Projektionsfläche für vielschichtige Reflexionen. Diese münden in die berühmt gewordene geschichtsphilosophische Interpretation in seinem Text "Über den Begriff der Geschichte", in der der Angelus novus als Engel der Geschichte gedeutet wird, was der Zeichnung zum Status einer "linken Ikone" verhalf. Sinn für Humor Ein Teil des dem Erasmus-Freund Thomas Morus zugeschriebenen Gebetes fällt mir beim Spaziergang durch die Engel-Schar ein: "Schenke mir eine Seele, der die Langeweile fremd ist, die kein Murren kennt und kein Seufzen und Klagen, und lass nicht zu, dass ich mir allzu viel Sorgen mache um dieses sich breit machende Etwas, das sich "Ich" nennt. Herr, schenke mir Sinn für Humor, gib mir die Gnade, einen Scherz zu verstehen, damit ich ein wenig Glück kenne im Leben und anderen davon mitteile." Alle Rechte vorbehalten, Vervielfältigung nur mit Genehmigung des Deutschen Pfarrerblatts. Seite 3/4 So stelle ich mir - auch aus anderen Werken des Paul Klee - seine Lebenseinstellung und künstlerisch-politisch sensible Wahrnehmung vor. Das tut gut! Wer Lust und Neugierde hat, nimmt den sorgfältig erarbeiteten Katalog zum Lesen und Schmökern auf eine Kaffee-/Tee-Pause ins Café ... ... und geht gestärkt hernach noch einmal durch die Engel-Schar. ▸ Ulrich Kosfeld Deutsches Pfarrerblatt, ISSN 0939 - 9771 Herausgeber: Geschäftsstelle des Verbandes der ev. Pfarrerinnen und Pfarrer in Deutschland e.V Langgasse 54 67105 Schifferstadt Alle Rechte vorbehalten, Vervielfältigung nur mit Genehmigung des Deutschen Pfarrerblatts. Seite 4/4