Dr Peschel-GutzeitUmgang mit dem umgangswilligen Kind

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Dr Peschel-GutzeitUmgang mit dem umgangswilligen Kind
Umgang mit dem umgangsunwilligen Kind
Das Kind im Mittelpunkt: Kindliche Gründe und der rechtliche
Umgang mit dem „Umgangsboykott“
Referat gehalten auf der Fachtagung Umgang mit dem umgangswilligen Kind
des Sozialpädagogischen Fortbildungsinstituts Berlin-Brandenburg (SFBB)
im 13.02.2013 Jagdschloss Glienicke
Dr. Lore Maria Peschel-Gutzeit, Rechtsanwältin, Senatorin für Justiz a. D.
I.
Geschichtlicher Überblick
Unter Umgang – früher auch Verkehrsrecht oder Besuchsrecht genannt – versteht
das Gesetz den regelmäßigen Kontakt zwischen dem Kind, seinen Eltern, seinen
Großeltern und anderen Menschen, zu denen es eine Beziehung hat. § 1684 BGB
regelt den Umgang des Kindes mit seinen Eltern, § 1685 BGB den Umgang des
Kindes mit Großeltern, Geschwistern, Anverwandten wie Onkel und Tanten und
anderen
Bezugspersonen.
Diese
Vorschriften
sind
durch
das
Kindschaftsrechtreformgesetz von 1997, in Kraft seit dem 1. Juli 19981, neu gefasst.
Durch weitere Reformen von 2001 und 2004 hat § 1685 BGB die jetzige Form
erhalten. Derzeit umfassen die §§ 1684 und 1685 BGB generell den Umgang
zwischen
Kindern,
Eltern,
Verwandten
und
Bezugspersonen.
Nicht
mehr
unterschieden wird zwischen ehelichen und nichtehelichen Kindern.
Neuerdings hat auch der biologische Vater mit seinem bei rechtlichen Eltern
lebenden Kind unter Umständen ein Umgangsrecht2, aber nur, wenn eine
sozialfamiliäre Beziehung bestand und der Umgang dem Kindeswohl dient3.
1
BGBl I, 2942
EGMR, 21.12.2010, Fall Anayo, NJW 2011, 3565; 15.09.2011, NJW 2012, 2781, Fall Schneider
3
KG, 4.3.2011, 13 UF 226/10
2
1
Ebenfalls neu eingeführt durch das Kindschaftsrechtsreformgesetz von 1997 ist
§ 1626 Abs. 3 BGB. Nach dieser Vorschrift gehört in der Regel zum Wohl des Kindes
der Umgang mit beiden Elternteilen. Gleiches gilt für den Umgang mit anderen
Personen, zu denen das Kind Bindungen besitzt, wenn ihre Aufrechterhaltung für
seine Entwicklung förderlich ist. Diese Vorschrift soll umgangsunwillige Eltern zur
Erfüllung ihrer elterlichen Aufgaben anhalten und vom verbreiteten Umgangsboykott
abhalten4. § 1626 Abs. 3 BGB macht deutlich, dass eine Vereitelung des Umgangs
Anlass für gerichtliche Maßnahmen sein kann, im äußersten Fall sogar nach § 1666
BGB. Darüber hinaus ist § 1626 Abs. 3 BGB eine wichtige Auslegungsregel und
Richtschnur. Stellt diese Vorschrift doch klar, dass der Umgang in der Regel dann
zum Wohle des Kindes gehört, wenn das Kind zu der in Frage kommenden
Bezugsperson Bindungen hat, deren Aufrechterhaltung seiner Entwicklung förderlich
ist. Weil dies so ist, gehört auch die Sensibilisierung des Kindes für den Umgang mit
den hier genannten Bezugspersonen sowohl zum Erziehungsinhalt als auch zum
Erziehungsstil gemäß § 1626 Abs. 2 BGB und damit auch zu den Pflichten einer
angemessenen sozial adäquaten Erziehung. Diese Vorschrift unterstützt die
wichtigen Ziele der §§ 1684 bis 1686 BGB. § 1626 Abs. 3 BGB wird als Leitnorm des
Umgangsrechts bezeichnet5.
Erstmals seit dem 1. Juli 1998 ist das Umgangsrecht als eigenes Recht des Kindes
auf Umgang mit beiden Elternteilen ausgestaltet. Außerdem ist jeder Elterteil zum
Umgang mit dem Kind verpflichtet und berechtigt, § 1684 Abs. 1 BGB. Dieses eigene
Umgangsrecht des Kindes war über einen Zeitraum von fast 100 Jahren umstritten.
Bis zur Neuregelung durch das Kindschaftsrechtsreformgesetz von 1997 wurde
mehrheitlich die Ansicht vertreten, das Kind selbst habe kein Recht auf Umgang mit
beiden Eltern, nur der abwesende, nicht betreuende Elternteil behalte die Befugnis
zum Umgang mit dem Kind. Diese Befugnis war nicht als Verpflichtung ausgestaltet,
es lag also mehr oder weniger im Belieben des Umgangsberechtigten, ob er von
dieser Befugnis Gebrauch machen wollte oder nicht. Diese Ansicht war zwar
spätestens seit Inkrafttreten der Vorschrift des § 1618a BGB am 1. Januar 1980
umstritten. Denn seither schulden Eltern und Kinder einander Beistand und
Rücksicht. Aber bis zur Ausformung eines eigenen Umgangsrechts des Kindes
mussten weitere fast zwanzig Jahre vergehen. Mitgeholfen zur Statuierung eines
4
5
Palandt/Götz BGB 72. Aufl. 2013, § 1626 Rn. 24
Schmidt-Jorzig, ZFJ 1996, 444; Peschel-Gutzeit, FPR 2003, 290, 291
2
eigenen Umgangsrechts hat die UN-Kinderrechtekonvention6, welche u.a. ein
eigenes Recht des Kindes auf Kontakt mit beiden Elternteilen zum Inhalt hat7.
Trotz dieser inzwischen klaren gesetzlichen Regelung und trotz des hohen Wertes,
der dem Umgangsrecht auch vom Gesetz beigemessen wird, kommt es gerade im
Zusammenhang mit Umgangsregelungen zu den heftigsten Auseinandersetzungen,
insbesondere zwischen getrennt lebenden Eltern, in Abstufung auch mit anderen
Bezugspersonen. Die Umgangsstreitigkeiten gehören zu den unangenehmsten und
schwierigsten Verfahren, die im Familienrecht vorhanden sind. Sie werden im
Allgemeinen mit größter Erbitterung geführt, besonders bedauerlich ist, dass dabei
die Interessen des Kindes häufig nicht oder nicht hinreichend berücksichtigt werden.
Ein besonders trübes Kapitel stellt die Umgangsverweigerung dar.
II.
Was ist ein Umgangsboykott?
1) Definition des Begriffs
Unser Thema, der Umgang mit dem Umgangsboykott, bedarf der näheren Definition.
Unter Umgangsboykott wird einerseits die aktive Umgangsvereitelung oder
Umgangsverhinderung verstanden, andererseits die passive Umgangsverweigerung.
Bisweilen liest man auch von Umgangsblockade. Gemeint ist fast stets ein
identisches oder ähnliches Verhalten: Einer der Beteiligten, bezogen auf die engste
Familie, Vater, Mutter, Kind, weigert sich, den Umgang durchzuführen oder lässt
diesen Umgang nicht zu. Häufig ist es der betreuende Elternteil, hier zumeist die
Mutter, die den Umgang mit dem abwesenden Elternteil, häufig also der Vater,
unterbindet bzw. nicht zulässt. Bisweilen ist es der umgangsberechtigte Elternteil,
häufig also der Vater, der sich weigert, von seinem Umgangsrecht, das zugleich eine
Pflicht ist, Gebrauch zu machen. Und nicht selten ist es das Kind selbst, das sich
weigert, den anderen Elternteil zu sehen, mit ihm Umgang zu pflegen. Das ist unser
heutiges Thema.
6
7
vom 20.11.1989, in Deutschland in Kraft seit dem 5.4.1992, BGBl II, 990
Art. 9 Abs. 3 der UN-Kinderrechtekonvention
3
2) Gründe für Verweigerung
Die Gründe für eine solche Verweigerungshaltung sind sehr unterschiedlich. Es
werden sowohl objektive als auch subjektive Gründe ins Feld geführt.
a)
Soweit es den betreuenden Elternteil angeht, führt dieser sehr häufig Gründe an,
die angeblich in dem Kind liegen. Insbesondere wird behauptet, das Kind selbst habe
Angst vor dem anderen Elternteil und lehne diesen ab. Darüber hinaus gibt es eine
Reihe eigener Gründe des betreuenden Elternteils. Hier steht bisweilen der Wunsch
im Vordergrund, endlich vom Umgangsberechtigten „in Ruhe gelassen zu werden“,
oft mit dem Ziel, das Kind in eine neue Familie oder Partnerschaft zu integrieren.
Auch
Krankheit
des
umgangsberechtigten
Elternteils
kann
zu
einer
Verweigerungshaltung auf Seiten des betreuenden Elternteils führen, ebenso
Drogenbelastung des Umgangsberechtigten.
Inhaftierung des Umgangsberechtigten wird dann als Ablehnungsgrund genannt,
wenn der Umgang innerhalb der Justizvollzugsanstalt durchgeführt werden müsste.
Im Allgemeinen lassen sich aber Gestaltungsmöglichkeiten finden, die das Kind nicht
belasten, etwa bei einem Freigang des Inhaftierten. Gewalt unter den Eltern, auch
wenn sie lange zurückliegt, kann dazu führen, dass der betreuende Elternteil einen
Umgang des Kindes mit dem anderen Elternteil ablehnt. Das gilt auch für den
Verdacht sexuellen Missbrauchs und für die Gefahr eventueller Kindesentführung.
Neuerdings ist ein Fall bekannt geworden, in welchem die Mutter von drei ehelichen
Kindern nach der Scheidung den Umgang der Kinder mit dem Vater verweigert. Der
Vater ist aktiv in der nationalsozialistischen Untergrundbewegung tätig, die Mutter
war dort früher ebenfalls führendes Mitglied. Sie hat sich von dieser Bewegung
gelöst, und zwar mit Hilfe des Aussteigeprogramms exit, sie hat einen neuen Namen
erhalten, ebenso die Kinder, und befindet sich im Zeugenschutzprogramm. Sie
verweigert den Umgang des Vaters mit den Kindern, weil sie befürchtet, dass der
Vater auf diese Weise den Aufenthalt der Mutter und der Kinder ermitteln will und sie
fürchtet darüber hinaus Racheakte der NS-Szene. Dieser Fall ist kürzlich durch die
4
Fachliteratur gegangen, das Bundesverfassungsgericht hat, anders als das
Oberlandesgericht, den Umgang ausgeschlossen.
b)
Soweit es den umgangsberechtigten Elternteil angeht, kommt es vor, dass dieser
den Umgang ablehnt, z.B. mit der Begründung, er wolle seine eigene Familie nicht
gefährden8. Auch schlichtes Desinteresse führt bisweilen dazu, dass ein Umgang
verweigert wird. Große Entfernungen zwischen dem Umgangsberechtigten und dem
Wohnort des Kindes sind ebenfalls häufig Anlass dafür, dass ein Umgang faktisch
nicht stattfindet. Nicht selten werden auch die Unterhaltslasten als Begründung dafür
angeführt, dass daneben nicht auch noch Umgangskosten aufgebracht werden
könnten.
c)
Soweit es das Kind selbst angeht, äußert dieses nicht selten Ängste bzw.
Abneigungen gegenüber dem umgangsberechtigten Elternteil. Die Gründe liegen
häufig in Loyalitätskonflikten, nicht selten auch darin, dass ihm von dem betreuenden
Elternteil ein außerordentlich negatives Bild des umgangsberechtigten Elternteils
gezeichnet wird mit der Folge, dass das Kind diesen anderen abwesenden Elternteil
schließlich ablehnt und diese Ablehnung als eigene Haltung übernimmt.
In diesem Zusammenhang fällt auch bisweilen das Stichwort PAS (parental
alienation syndrome), ein in den USA von Gardner geschöpfter Begriff, der je nach
eigener Auffassung der verschiedenen Autoren und Autorinnen entweder begrüßt
oder aber abgelehnt wird. Das Wesentliche des PAS lässt sich dahin definieren:
Durch bewussten oder unbewussten Einfluss des betreuenden Elternteils oder
dessen Familie wird das Kind veranlasst, den betreuenden Elternteil als „gut“ zu
idealisieren und den anderen als „böse“ zu verteufeln sowie dieses Schema
unreflektiert als seine eigene Überzeugung darzubieten. Diese Haltung des Kindes
ergibt sich häufig dann, wenn die Eltern in ungelösten, oft jahrelangen Konflikten
miteinander leben. Das Kind gerät dadurch in unentrinnbare Loyalitätskonflikte und
schlägt sich eines Tages auf die Seite des einen, betreuenden Elternteils und wendet
8
BVerfG 1.4.2008, FamRZ 2008, 845
5
sich gegen den anderen Elternteil. Rational ist dies fast nie zu erklären, häufig
kommt es zu diesem PAS selbst dann, wenn jahrelang zuvor ein guter Umgang
stattgefunden hat.
Insbesondere ungelöste Elterkonflikte sind also häufig der Grund für die
Unterbindung, die Verweigerung, die Vereitelung, Boykottierung des Umgangs
zwischen dem abwesenden Elternteil und dem Kind. Dieses Phänomen ist leider weit
verbreitet und ihm ist nur sehr schwer beizukommen, solange der Elternkonflikt nicht
gelöst ist.
3) Wert des Umgangs
In diesem Zusammenhang muss auch gefragt werden, welchen Wert denn der
Umgang für alle Beteiligte hat, insbesondere aber für das Kind. Wie oben ausgeführt,
postuliert §
1626 Abs. 3 BGB den Grundsatz, dass Umgang für das Kind
grundsätzlich kindeswohlfördernd ist. Das erscheint aber in Konfliktfällen durchaus
zweifelhaft. Zwar ist nach langjähriger Rechtsprechung9 davon auszugehen, dass
Kinder grundsätzlich eine Pflicht zum Umgang haben. Die meisten Gerichte
beachten einen entgegenstehenden Willen der Kinder nicht. Im Gegenteil: Der
betreuende Elternteil hat diesen Negativwillen des Kindes durch geeignete
Maßnahmen in eine positive Haltung zu wenden, um das Kind doch noch zum
Umgang zu bewegen. Diese langjährige Rechtsprechung ist insbesondere seit der
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 1. April 200810 durchaus
fragwürdig geworden11.
Denn das Kind kann bekanntlich durchaus rechtfertigende Gründe für seine
Weigerung haben, den Umgang durchzuführen oder fortzusetzen. Der schwelende
Elternkonflikt ist bereits erwähnt worden, er macht es Kindern im Allgemeinen sehr
schwer, mit dem anderen, negativ bewerteten Elternteil zusammen zu sein. Aber
auch die Durchführung des Umgangs selbst kann für das Kind so belastend sein,
dass es diesen künftig ablehnt. Hier muss ernstlich geprüft werden, ob der
Umgangsberechtigte mit dem Kind wirklich umgehen kann. Ist er in der Lage,
feinfühlig auf die Bedürfnisse des Kindes einzugehen? Oder stellt er das Kind
9
Palandt/Götz, § 1684 Rn. 32 m.w.N.
FamRZ 2008, 845 = FPR 2008, 238
11
siehe hierzu Rakete-Dombek, FPR 2008, 492; Peschel-Gutzeit, NJW 2008, 1922 ff.
10
6
vielleicht nur bei Verwandten ab? Will der Umgangsberechtigte nur sein Recht auf
Umgang durchsetzen oder ist es ihm wirklich ein Bedürfnis, mit dem Kind zusammen
zu sein? Ebenso wichtig wie diese Aspekte ist die Frage nach der tatsächlichen
Bindung zwischen Kind und umgangsberechtigtem Elternteil.
Ist das Kind bei der Trennung der Eltern sehr klein und tritt eine lange Pause
zwischen Anwesenheit des umgangsberechtigten Elternteils und dem ersten Kontakt
nach der Trennung ein, kann es leicht passieren, dass das Kind den anderen
Elternteil praktisch „vergessen“ hat. Auch kann das Kind schlimme Erinnerungen an
den anderen Elternteil haben, wenn es zu heftigem Streit und Gewaltanwendung in
der Familie gekommen ist.
Alles dies sind Überlegungen, die unter der Prüfung des Kindeswohls und
Kindeswillens zu subsumieren wären, wenn diese Prüfung denn angestellt würde.
Seit das Bundesverfassungsgericht am 1. April 2008 entschieden hat, ein Vater
könne zum Umgang mit seinem Kind nicht gezwungen werden, ist spätestens der
Zeitpunkt gekommen, über eigene Rechte der Umgangskinder nachzudenken, also
vor allem darüber, ob man Kinder gegen ihren Willen zum Umgang zwingen darf12.
4) Wille des Kindes
Dabei wird nicht verkannt, dass der Wille des Kindes insbesondere von der
Rechtsprechung häufig als nicht autonom, weil als beeinflusst eingestuft wird. Dies
ist generell und insbesondere auch gegenüber Kindern unrichtig. Denn es gibt
überhaupt keinen Willen, der nicht beeinflusst ist. Das gilt für Erwachsene wie für
Kinder. Zu unterscheiden ist bei einem Kind daher, ob es sich bei der
Willensäußerung um einen Ausdruck seiner Selbstbestimmung handelt oder aber ob
das Kind repetiert, also wiederholt, was ihm von dritter Seite vorgesprochen worden
ist. Letzteres wird in der Rechtsprechung sehr häufig angenommen, ja sogar
unterstellt, und das zu Unrecht. Selbst häufig von dritter Seite wiederholte negative
Äußerungen über den anderen Elternteil können dazu führen, dass das Kind diese
Einschätzung eines Tages als eigene übernimmt, kurz gesprochen, dass das Kind
sich auf die Seite eines Elternteils schlägt und für sich beschließt, mit dem anderen
12
Peschel-Gutzeit, NJW 2008, 1922 ff.
7
Elternteil nichts mehr zu tun haben zu wollen. Dies ist nun ganz sicherlich keine
erfreuliche Entwicklung, sie dient auch objektiv nicht dem Kindeswohl. Hier aber geht
es um die Frage der Respektierung einer solchen kindlichen Entscheidung.
Spätestens seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 1. April 2008
wären die Gerichte nicht nur gut beraten, sondern - wie ich meine - sogar verpflichtet,
einen kindlichen Willen, der über eine längere Zeit durchgehalten wird, zunächst
einmal als das zu nehmen, was er ist: Die Äußerung einer eigenen Überzeugung und
Auffassung. Dass daneben auch immer noch eine objektive Kindeswohlprüfung
erforderlich ist, versteht sich von selbst.
III.
Welche Instrumente stellt das Gesetz bei Umgangsschwierigkeiten zur
Verfügung?
1) Begleiteter Umgang, Verfahrensbeistand
a) Begleiteter Umgang
Nach § 1684 Abs. 4 BGB kann das Familiengericht das Umgangsrecht oder den
Vollzug früherer Entscheidungen über das Umgangsrecht einschränken oder
ausschließen, soweit dies zum Wohl des Kindes erforderlich ist. Hierbei geht das
Gesetz in Stufen vor: So kann das Gericht anordnen, dass der Umgang zwar
stattfindet, aber nur in Anwesenheit eines mitwirkungsbereiten Dritten (begleiteter
oder beschützter Umgang). So hat das OLG Düsseldorf am 25.10.201013 zu den
Voraussetzungen der Anordnung eines begleiteten Umgangs ausgeführt, in jenem
Fall könne der Umgang nur in Form des begleiteten Umgangs durchgeführt werden,
u.a. deswegen, weil zwischen dem Vater und seinem Sohn bislang keine
persönlichen Bindungen bestanden, die also zunächst langsam aufgebaut werden
müssten. Auch habe der Vater keine praktischen Erfahrungen im Umgang mit
kleinen Kindern und er spreche auch die deutsche Sprache nur unzureichend.
Deswegen müsse abgewartet werden, wie das Kind auf die Umgangskontakte mit
dem Vater reagiere. Auch bestehe die Besorgnis, der Vater könne das Kind im Falle
eines unbegleiteten Umgangs entführen. Zweck des begleiteten oder beschützten
Umgangs ist also die Ermöglichung der Durchführung, darüber hinaus vor allem der
13
FamRZ 2011, 822
8
Schutz des Kindes. Keinesfalls ist Zweck des begleiteten Umgangs, in Fällen von
Umgangsverweigerung zu helfen und eine Art Minimalkonsens herzustellen, damit
überhaupt ein Umgang stattfindet. In der Praxis macht die Umgangsbegleitung große
Schwierigkeiten, wenn etwa das Jugendamt zur Mitwirkung nicht bereit ist oder wenn
in der Umgangsregelung Zeit, Ort, Frequenz vorgegeben werden, die von den
begleitenden Institutionen nicht geleistet werden können (Wochenende!)14.
b) Verfahrensbeistand
Wenn der Ausschluss oder eine wesentliche Einschränkung des Umgangs in
Betracht kommt, hat das Familiengericht dem Kind einen Verfahrensbeistand zu
bestellen, § 158 Abs. 2 Ziff. 5 FamFG. Dieser hat die Aufgabe, ausschließlich die
Interessen des Kindes zu vertreten.
2) Umgangspfleger
Das Gericht kann dem Kind auch einen Umgangspfleger bestellen. In § 1684 Abs. 3
BGB heißt es hierzu, dass dann, wenn die sogenannte Wohlverhaltenspflicht aus
§ 1684 Abs. 2 BGB dauerhaft oder wiederholt erheblich verletzt wird, das
Familiengericht
eine
Pflegschaft
für
die
Durchführung
des
Umgangs
(Umgangspflegschaft) anordnen kann. Diese Umgangspflegschaft wird für das
mildere Mittel im Vergleich zum Eingriff in das Sorgerecht gehalten. So hat der
BGH15 entschieden, vor Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts wegen
Umgangsvereitelung
sei
eine
Umgangspflegschaft
einzurichten.
Nur
bei
offensichtlicher Aussichtslosigkeit einer solchen Bestellung dürfe das Gericht davon
absehen. Ähnlich hat das Bundesverfassungsgericht16 entschieden.
Die Umgangspflegschaft umfasst das Recht, die Herausgabe des Kindes zur
Durchführung des Umgangs zu verlangen und für die Dauer des Umgangs dessen
Aufenthalt zu bestimmen. Die Einsetzung eines Umgangspflegers ist nach dem
Gesetz, § 1684 Abs. 3 S. 5 BGB zu befristen.
14
vgl. zu Umgangsbegleitung auch OLG Oldenburg, FamRZ 2010, 1356; OLG Brandenburg, FamRZ 2010,
1925; Fichtner/Fthenakis, FPR 2002, 231
15
Beschluss v. 26.10.2011, FamRZ 2012, 99 = NJW 2012, 151; Hennemann, FamFR 2012, 71; Heilmann, ZKJ
2012, 105
16
Beschluss v. 28.2.2012, FamRZ 2012, 1127, dazu Ernst, FamFR 2012, 11, Coester, ZKJ 2012, 182
9
Diese Umgangspflegschaft ist – wie ausgeführt – in § 1684 BGB geregelt, der den
Umgang zwischen Kind und Eltern betrifft.
Nach § 1685 BGB haben - wie ausgeführt - auch andere Personen ein
Umgangsrecht, vor allen Dingen engste Verwandte wie Großeltern, Geschwister und
unter Umständen auch Onkel und Tante17, aber auch enge Bezugspersonen des
Kindes, die zu dem Kind in einer sozialfamiliären Beziehung stehen oder gestanden
haben. Auch für diesen Personenkreis lässt das Gesetz die Anordnung einer
Umgangspflegschaft zu, allerdings unter erschwerten Voraussetzungen: Das
Familiengericht kann im Zusammenhang mit der Regelung des Umgangs dieser
Personen eine Umgangpflegschaft nur anordnen, wenn die Voraussetzungen des
§1666 Abs. 1 BGB erfüllt sind, wenn also eine Kindeswohlgefährdung vorliegt bzw.
vorliegen würde, wenn der Umgang nicht stattfände.
Die Umgangspflegschaft als solche ist nicht neu, sie ist aber seit Inkrafttreten des
Kindschaftsrechtsreformgesetzes am 1. Juli 1998 erstmals im Zusammenhang mit
dem Umgang gesetzlich geregelt. Bis dahin wurden auch Umgangspfleger
eingesetzt, diese hatten aber die Rechtsnatur von Ergänzungspflegern im Sinne von
§ 1909 BGB. Das bedeutete, dass dem Betreuungselternteil insoweit, also zur
Durchführung des Umgangs, die elterliche Sorge entzogen wurde.
Es ist mithin zu unterscheiden: Die Umgangspflegschaft nach § 1684 Abs. 3 S. 3
BGB bedeutet keinen Eingriff in die elterliche Sorge. Sie dient der Durchsetzung des
dem nicht betreuenden Elternteil zustehenden Umgangsrechts und sichert dieses
organisatorisch ab. Damit gleicht das Familiengericht die grundrechtlich geschützten
Rechtspositionen beider Eltern untereinander aus18.
Das OLG München hat in seiner Entscheidung vom 22.12.201019 gebilligt, dass das
Familiengericht den Umgang eines Elternteils mit seinem Kind geregelt und
gleichzeitig eine Umgangspflegschaft angeordnet hat. Es hat ausgeführt, in der
Anordnung einer Umgangspflegschaft liege eine Einschränkung der elterlichen Sorge
des betreuenden Elternteils, die sich unmittelbar aus dem Gesetz ergäbe, ohne dass
17
ablehnend: OLG Bremen, NJW-Spezial 2012, 676
OLG Celle, Beschluss vom 16.12.2010, 10 UF 253/10, FamRZ 2011, 574
19
FamRZ 2011, 823
18
10
dies durch Richterspruch angeordnet werden müsse. Daneben sei ein Entzug der
gemeinsamen elterlichen Sorge bezüglich der Regelung der Umgangskontakte
zwischen Eltern und Kind nicht zulässig. Darüber hinaus hat das OLG München
hervorgehoben, dass der Umgangspfleger nicht befugt sei, zu entscheiden, welchen
Teil der Ferien das Kind beim anderen Elternteil verbringt, usw. Denn nur die Eltern
regelten den Umgang, wenn diese es nicht zustande brächten, müsse das Gericht
dies
regeln.
Der
Umgangspfleger
sei
nur
befugt,
die
Durchführung
des
einvernehmlich oder gerichtlich geregelten Umgangs sicherzustellen.
Dies hat das Kammergericht in seiner Entscheidung vom 21.9.201220 ähnlich
gesehen und hat entschieden, bei der Anordnung einer Umgangspflegschaft dürfe
die Entscheidung, ob ein begleiteter oder unbegleiteter Umgang erfolge sowie die
Häufigkeit,
Umgang
und
Umfang
des
Umgangs,
nicht
dem
bestellten
Umgangspfleger überlassen werden. Hier müsse vielmehr das Familiengericht selbst
entscheiden. Dabei könne sich das Familiengericht auf Höchstgrenzen beschränken
oder auf einen ausfüllungsfähigen Rahmen, z.B. auf Eckpunkt wie Häufigkeit, Dauer
und Modalitäten des Holens und Bringens. Dem Umgangspfleger könne die
Feinabstimmung nach Maßgabe der Verhältnisse vor Ort überlassen werden.
Die Anordnung einer Umgangspflegschaft ist ein sehr geeignetes Mittel, um
Umgänge durchzuführen, die ein Elternteil verweigert, während das betroffene Kind
bereit ist, den anderen Elternteil zu sehen.
3) Einschränkung und Ausschluss des Umgangs
Das Familiengericht kann den Umgang auf längere Zeit einschränken oder
ausschließen, es kann dies sogar auf Dauer tun. Dies ist allerdings nur zulässig,
wenn andernfalls das Wohl des Kindes gefährdet wäre. Durch den Umgang selbst
muss also eine Kindeswohlgefährdung eintreten, die von Amts wegen zu ermitteln
und festzustellen ist.
Ausschließungs- oder auch nur Einschränkungsgründe werden zwar sehr häufig
genannt, dennoch ist die Einschränkung oder gar der Ausschluss des Umgangs die
seltene Ausnahme. Stets ist zu beachten, dass eine Einschränkung oder gar der
20
17 UF 118/12, FamRB 2013, 44
11
Ausschluss nur in Betracht kommt, falls das Wohl des Kindes durch den Umgang
gefährdet wäre. Einschränkung und Ausschluss sind immer nur befristet zulässig. So
hat das OLG Hamburg21 das Umgangsrecht des Vaters befristet ausgeschlossen, da
das Kind in jenem Fall an einer schweren emotionalen Entwicklungsstörung litt, die
als
Folge
übergriffigen
väterlichen
Verhaltens
und
der
diesbezüglichen
Schutzlosigkeit des Kindes anzusehen war. Hingegen hat das OLG Brandenburg
entschieden, dass der Ausschluss des Umgangsrechts nur dann in Betracht komme,
wenn der Gefährdung des Kindeswohls nicht durch mildere Maßnahmen begegnet
werden könne. Die Vorinstanz hatte eine Mediation angeordnet und das
Umgangsrecht bis zu deren erfolgreichem Abschluss ausgesetzt. Zu Recht hatte das
OLG
Brandenburg darin
eine
unzulässige
Aussetzung des Umgangs
auf
unabsehbare Zeit gesehen. Das Gericht hat im Übrigen hervorgehoben, dass die
Anordnung einer Mediation unzulässig ist, so dass auch aus diesem Grund die
Einschränkung des Umgangs mit der dort gegebenen Begründung unzulässig
gewesen sei22.
In sehr schwierigen und hochstreitigen Fällen kann es notwendig sein, ein
Sachverständigengutachten einzuholen, um die Auswirkungen des Umgangs auf das
Kind sachverständig zu prüfen. Dabei kann dem Sachverständigen auch aufgetragen
werden, auf die Herstellung des Einvernehmens zwischen den Beteiligten
hinzuwirken, § 163 Abs. 2 FamFG.
IV.
Durchsetzung
Alle Umgangsentscheidungen oder gebilligten Vergleiche werden seit Inkrafttreten
des FamFG durch Ordnungsmittel vollstreckt, § 89 FamFG. Voraussetzung für die
Vollstreckung ist, dass diese Titel eine hinreichend bestimmte und konkrete
Regelung enthalten23. Das bedeutet, dass das Gericht bei einer Zuwiderhandlung
gegen einen Umgangstitel gegenüber dem Verpflichteten Ordnungsgeld und für den
Fall, dass es nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft anordnen kann. Auf
21
OLG Hamburg, 29.09.2010, FamRZ 2011, 822
OLG Brandenburg, 10.03.2010, AZ: 3 UF 72/09
23
BGH FamRZ 2011, 533
22
12
diese Folge muss in der gerichtlichen Entscheidung hingewiesen werden. Das muss
erforderlichenfalls in einem gesonderten Verfahren nachgeholt werden24.
Die Anwendung unmittelbaren Zwanges ist zur Durchsetzung eines Umgangstitels
nicht zulässig, § 90 Abs. 2 FamFG.
Führt
auch
der
Einsatz
von
Ordnungsmitteln
nicht
dazu,
dass
der
Umgangsbeschluss umgesetzt werden kann, bleibt als letztes Mittel stets zu prüfen,
ob ein Verfahren gegen den betreuenden Elternteil gemäß § 1666 BGB auf Entzug
der elterlichen Sorge veranlasst ist25. In Frage kommt aber zuvor, dass das
Familiengericht dem Elternteil, der einwendet, das Kind verweigere den Umgang,
auferlegt, das Kind einer therapeutischen Behandlung zuzuführen, um auf diese
Weise den Kontakt mit dem anderen Elternteil zu fördern. Das ist zulässig26.
V.
Eigene Einschätzung
Alle diese formell-rechtlichen und materiell-rechtlichen Überlegungen ändern aber
nichts daran, dass es Situationen gibt, in denen die Grenzen der Justiziabilität
erreicht sind. Gemeint sind die Fälle, in denen ein betreuender Elternteil sich
beharrlich und über längere Zeit weigert, einen Umgang, den das Gericht angeordnet
hat oder der seine Grundlage in einem gerichtlich gebilligten Vergleich hat,
zuzulassen und durchzuführen. Häufig fehlt es in solchen Zusammenhängen am
Verschulden des sich weigernden Elternteils, so dass dessen Bestrafung zu
unterbleiben hat, § 89 Abs. 4 FamFG. Das Verschulden des Elternteils fehlt z.B.
dann, wenn feststeht oder durch Beweisaufnahme ermittelt ist, dass es das Kind
selbst ist, das erklärt, es wolle den anderen Elternteil auf keinen Fall sehen. Hier
trägt
der
Umgangspflichtige
die
Beweislast,
nämlich
dafür,
dass
er
die
Zuwiderhandlung gegen eine zugrunde liegende Entscheidung nicht zu vertreten hat.
Beruft er sich hierbei auf den entgegenstehenden Willen des Kindes, so muss er
substantiiert darlegen, wie er versucht hat, auf das Kind einzuwirken, um den
24
BVerfG v. 9.3.2011, NJW 2011, 2347; ebenso BGH NJW 2011, 3163
Heilmann ZKJ 2011, 184; ders. NJW 2012, 21
26
BVerfG FamRZ 2012, 1127 aE
25
13
Umgang dennoch zu ermöglichen27. Je älter die Kinder sind, umso größeres Gewicht
gewinnen derartige Einlassungen von Kindern. So hat das OLG Saarbrücken am 12.
Juli 201028 entschieden, dass der Wille eines fast 14-jährigen Kindes erhebliches
Gewicht hat. Dies folge aus seinem Recht auf Selbstbestimmung. Der Wille, mit dem
umgangsberechtigten Elternteil keinen, auch keinen begleiteten Umgang mehr zu
pflegen, könne – so Saarbrücken – im Einzelfall auch einen längerfristigen
Umgangsausschluss rechtfertigen.
In einem ähnlichen Fall, den das Kammergericht entschieden hat, ist das
Umgangsrecht des Vaters fast gänzlich ausgeschlossen worden. Betroffen war ein
15-jähriger Junge, der sich strikt weigerte, zu einem Umgang mit dem Vater
verpflichtet zu werden. Das Vater-Sohn-Verhältnis war vollständig zerrüttet, dem
Vater wurde vom Gericht lediglich das Recht eingeräumt, mit dem Jungen brieflich
umzugehen, jedoch auch nur, wenn der Junge selbst diesen Briefkontakt von sich
aus begann.
So bitter derartige Ergebnisse sein mögen, so darf doch nicht übersehen werden,
dass es sich fast immer um langjährige Entwicklungen handelt, in denen Konflikte,
die sich aus der Trennung der Eltern ergeben, nicht aufgearbeitet worden sind.
Verfolgen sich die Eltern auch Jahre nach der Trennung oder Scheidung immer noch
mit Verachtung und Hass, so nehmen die gemeinsamen Kinder fast immer Schaden.
Dieser Schaden kann in Verhaltensauffälligkeiten bestehen, er kann sich aber auch
und gerade in der Verweigerung von Umgang niederschlagen. Während auf den
umgangsboykottierenden Elternteil erforderlichenfalls mit staatlichen Machtmitteln
eingewirkt werden kann – wobei der Erfolg durchaus zweifelhaft ist –, kann und darf
auf ein umgangsverweigerndes Kind derartig nicht reagiert werden. Allenfalls kann
und muss versucht werden, mit dem Kind ins Gespräch zu kommen, am besten mit
Hilfe eines oder einer Sachverständigen, um herauszufinden, wo die Ursache oder
die Ursachen für die Ablehnung des anderen Elternteils zu finden sind. Gelingt dies
nicht und gelingt es auch den Eltern mit fachkundiger Hilfe nicht, ihren Paarkonflikt
entweder zu lösen oder aber doch jedenfalls von der Elternfunktion zu isolieren, so
ist das Ergebnis bedauerlicherweise häufig die Umgangsbeendigung oder aber die
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OLG Saarbrücken v. 8.10.2012, Beck-RS 2012, 21763
NJW Spezial 2011, 6
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Verweigerung des Umgangs überhaupt. Dem ist – wie ausgeführt – mit Mitteln der
Justiz kaum beizukommen. Was würde es einem Kind nützen, wenn der betreuende
Elternteil wegen Umgangsverweigerung in Ordnungshaft ginge oder wenn dem
betreuenden Elternteil die elterliche Sorge entzogen und auf den anderen Elternteil
übertragen würde, also auf den Elternteil, den das Kind ablehnt, zu dem das Kind
nicht will? Alles dies wären grob kindeswohlschädliche Reaktionen, die nach meiner
festen Überzeugung unzulässig wären.
VI.
Fazit
Bahnt sich eine Umgangsverweigerung an, so sind alle Beteiligten, vor allem auch
der umgangsberechtigte Elternteil, gut beraten, sehr rasch sachverständige Hilfe
einzufordern und auch zuzulassen, denn ein solcher Konflikt kann bisweilen am
Anfang noch gut gelöst werden. Je länger eine Umgangsunterbrechung oder ein
Umgangsboykott andauern, umso weniger ist er erfahrungsgemäß zu beheben.
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Kindliche Gründe und der rechtliche Umgang mit dem
Umgangsboykott
Dr. Lore Maria Peschel-Gutzeit, Rechtsanwältin, Senatorin für Justiz a. D.
Thesen
These 1:
Persönlicher Umgang zwischen Kind und Eltern entspricht in der Regel dem
Kindeswohl.
Für das Kind ist das Umgangsrecht ein Mittel, die familiären Beziehungen zum
anderen Elternteil aufrechtzuerhalten. Dadurch wird verhindert, dass das Kind
vollständig von seinen Wurzeln getrennt wird (BVerfG, FamRZ 2004, 1456).
These 2:
Dies gilt jedoch nicht, wenn in der Familie des Kindes unüberbrückbare oder
jedenfalls bisher nicht gelöste Konflikte bestehen, die das Kind zunehmend belasten.
Das Kind gerät in einer solchen Situation in Loyalitätskonflikte, die es selbst nicht
lösen kann. Wird dann der Umgang mit dem anderen Elternteil erzwungen, erlebt
sich das Kind häufig als ohnmächtig und hilflos, was zur Gefährdung seines Wohls
führen kann und darüber hinaus zu einer Ablehnung des umgangsberechtigten
Elternteils.
These 3:
Weigert sich der umgangsberechtigte Elternteil, das ihm zustehende Umgangsrecht
wahrzunehmen und auszuüben, so verstößt er gegen das Gesetz. Denn nach § 1684
Abs. 1 BGB ist er nicht nur berechtigt, sondern in erster Linie verpflichtet zum
Umgang mit seinem Kinde. Diese ablehnende Haltung des umgangsberechtigten
Elternteils kann zu einem dauernden Ausschluss seines Umgangsrechts führen.
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These 4:
Lehnt dagegen das betroffene Kind den Umgang ab, so versagen Ordnungsmittel
gegen den umgangsverpflichteten Elternteil In diesem Fall müssen die Gründe für
die Ablehnung des Kindes ermittelt werden, und zwar mit sachverständiger Hilfe. Es
muss
versucht
werden, diese Ablehnungsgründe
wiederum mit
Hilfe
von
Sachverständigen zu überwinden. Gelingt dies nicht, muss die ablehnende Haltung
des Kindes letzten Endes akzeptiert werden.
These 5:
Bleibt der umgangsverpflichtete Elternteil bei der Ablehnung des anderen Elternteils
und hat das Kind diese Haltung als eigene übernommen, so versagen am Ende
staatliche Ordnungs- und Durchsetzungsmittel. Der Grund für diese ablehnende
Haltung des Kindes liegt fast stets in ungelösten Elternproblemen. Zwingt man das
Kind zum Umgang, bestraft man das Kind für den ungelösten Elternkonflikt. Eine
solche Maßnahme ist mit dem Wohl des Kindes nicht vereinbar.
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