Amphibien-Schutzmaßnahmen an bestehenden Straßen

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Amphibien-Schutzmaßnahmen an bestehenden Straßen
Zeitschrift für Feldherpetologie, Supplement 2: 1!22
November 2003
D. GLANDT, N. SCHNEEWEIß, A. GEIGER & A. KRONSHAGE (Hrsg.): Beiträge zum Technischen Amphibienschutz
Amphibien-Schutzmaßnahmen an bestehenden Straßen –
Anspruch und Wirklichkeit
Konzeptionelle Defizite, Akzeptanz- und Umsetzungsprobleme
aus der Sicht der Praxis
THOMAS KORDGES
Subsequent amphibian protection measures on roads –
pretention and reality
Contrary to roads just beeing build the subsequent construction of amphibian tunnels reveals numerous problems, that are considered insufficiently within the public
discussion. Nevertheless, there is still a serious need for protection measures, that are
proved by many voluntary protection activities along the roads working with provisional mobile fences. On the other hand many amphibian populations seem able to
exist despite a serious annual loss of traffic victims. Thus due to the lack of manpower and financial ressources protection measures have to be concentrated on those
populations, that are in an urgent need. There are many local situations, where standardized conservation instruments and concepts do not work well, depending on
specific details of land use, topography, ground water etc. Thus compromises may be
necessary and alternative conservation strategies must be examined. The author
misses an honest and serious discussion about the targets and restrictions of protection measures along roads. This is supposed to be the main reason for exaggeratet
expectations by persons dealing with amphibian protection, both by voluntary but
even professional reasons.
Key words: Amphibian tunnel, amphibian fence, alternatives, conservation strategies, efficiency control.
Zusammenfassung
Die nachträgliche Errichtung von Amphibienschutzanlagen an Straßen stößt im Planungsalltag auf zahlreiche Probleme, die bei Straßenneubauten in dieser Form nicht
auftreten und weder im Merkblatt zum Amphibienschutz an Straßen (MAmS) noch
in der allgemeinen Schutzdiskussion hinreichend thematisiert werden. Gleichzeitig
ist an zahlreichen Wanderkorridoren ein erheblicher Handlungsbedarf festzustellen,
der seitens der Naturschutzverbände durch aufwändige Schutzmaßnahmen mittels
langjährig betriebener mobiler Fangzäune belegt werden kann. Dessen ungeachtet
sind viele Amphibien-Populationen offensichtlich auch trotz alljährlicher Straßenverluste überlebensfähig, weshalb fachlich abgesicherte Kriterien für eine Priorisierung
von Schutzmaßnahmen und -projekten eingefordert werden müssen. Neben einer
populationsökologisch orientierten Bedarfsprüfung kommt der Eignungsprüfung
fraglicher Wanderkorridore eine entscheidende Bedeutung zu, da die klassischen
Standardlösungen an vielen Streckenabschnitten nicht greifen. Hier müssen entweder Kompromisse eingegangen oder alternative Schutzstrategien geprüft werden, bei
deren Abwägung die zuständigen Fachbehörden aber oftmals überfordert sind. Vor
diesem Hintergrund wird eine offene Diskussion über Grenzen, Möglichkeiten, al-
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KORDGES
ternative Schutzstrategien sowie realistische Zielsetzungen des Amphibienschutzes
an Straßen gefordert, um den im Planungsalltag bei Fachbehörden wie auch Naturschutzverbänden weit verbreiteten falschen Erwartungshaltungen zu begegnen.
Schlüsselbegriffe: Amphibienschutzanlagen, Fangzäune, Umsetzungsprobleme, Alternativen, Schutzstrategien, Effizienz, Erfolgskontrolle.
1
Einleitung
Der Amphibienschutz an Straßen hat in den letzten 25 Jahren einen Bedeutungszuwachs und gesellschaftlichen Stellenwert erfahren, der inzwischen weit über den
ehrenamtlichen und amtlichen Naturschutz hinausreicht (z. B. WOIKE & NEUMANN
1980, GROSSENBACHER 1981). Sichtbare Zeichen dieser Entwicklung sind u. a. zahlreiche Publikationen und Handlungsanweisungen der zuständigen Ministerien und
Fachbehörden (z. B. MAmS 1987, 2000, VERKEHRSMINISTERIUM BADEN-WÜRTTEMBERG
1991, SÄCHSISCHES STAATSMINISTERIUM FÜR WIRTSCHAFT UND ARBEIT 2000), die zunehmende Berücksichtigung in entsprechenden Fachplanungen sowie die rasche Entstehung völlig neuer Marktsegmente und einer breiten Produktpalette seitens der Zulieferindustrie (z. B. FREY & NIEDERSTRAßER 2000).
Die gesetzliche Verpflichtung zur Vermeidung oder Minderung von Eingriffen in den
Naturhaushalt resultiert u. a. aus dem Bundesnaturschutzgesetz und der Eingriffsregelung und ist hinsichtlich dauerhafter Amphibienschutzmaßnahmen an Straßen auf
Straßenneubauten beschränkt. Diese Einschränkung ist ökonomisch verständlich, aus
naturschutzfachlicher Sicht und unter Berücksichtigung des Verursacherprinzips
hingegen inakzeptabel. Die »Nachrüstung« von Straßen im Einzugsbereich stark
frequentierter Wanderkorridore entsprechend dem Stand der Technik sollte daher
heute eine Selbstverständlichkeit für den Straßenbaulastträger sein (vgl. BITZ & THIELE
1996, BEUTLER et al. 1998) und darf nicht nur auf solche Streckenabschnitte beschränkt
bleiben, wo die Verkehrssicherheit wegen massenhaft zerquetschter Tierkörper gefährdet ist. Gleiches gilt für manche großdimensionierte Baumaßnahmen, die zwar
formal als Ausbau bestehender Straßen deklariert werden, faktisch oft aber Neubauten gleichzusetzen sind.
Die nachträgliche Realisierung dauerhafter Schutzanlagen stößt im Planungsalltag
jedoch auf zahlreiche Probleme, die sowohl auf Seiten des ehrenamtlichen Naturschutzes als auch der zuständigen Fachbehörden oft unterschätzt werden. Vor diesem
Hintergrund zeigt der vorliegende Beitrag Akzeptanz- und Umsetzungsprobleme aus
dem Planungsalltag auf, die nicht zuletzt aus falschen Erwartungshaltungen der
Beteiligten sowie aus konzeptionellen Defiziten bezüglich der Zielsetzungen und
Schutzstrategien resultieren.
2
Mobile Fangzäune
Aufgrund der weitgehenden Beschränkung dauerhafter Amphibienschutzmaßnahmen auf Straßenneubauten ist an bestehenden Straßen ein erheblicher Nachhol- und
Handlungsbedarf festzustellen, der landesweit alljährlich durch zahlreiche personal-
Amphibien-Schutzmaßnahmen an bestehenden Straßen –Anspruch und Wirklichkeit
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intensive Schutzaktivitäten an mobilen Fangzäunen seitens des ehrenamtlichen Naturschutzes dokumentiert werden kann (in NRW z. B. FELDMANN 1986, FELDMANN &
GEIGER 1987, GEIGER 1995, 2001, GEIGER & FISCHER 1998).
Obwohl mittels Schutzmaßnahmen an mobilen Fangzäunen oft nur die Anwanderung
der früh laichenden und damit meist noch weit verbreiteten Arten wie Grasfrosch und
Erdkröte gesichert wird und die Rückwanderung der Adulti, insbesondere aber die
Abwanderung der Jungtiere in aller Regel ungesichert bleibt (KUHN 1987a), sind derartige Aktionen im Naturschutz populär und zumindest vordergründig erfolgreich.
Tatsächlich werden an den Fangzäunen vor Ort oft Hunderte, z. T. sogar Tausende
Tiere alljährlich vor dem möglichen Straßentod gerettet. Darüber hinaus sind derartige Aktionen hervorragend für die Mobilisierung ehrenamtlicher Helfer, die Öffentlichkeitsarbeit und für umweltpädagogische Zwecke geeignet.
So berichtet z. B. LOOS (2001) von einem seit 1981 kontinuierlich in jedem Frühjahr
betriebenen Fangzaun in der Mühlhauser Mark (Stadt Unna), an dem während der 21
Anwanderungsphasen insgesamt über 80 000 Erdkröten erfasst und umgesetzt wurden. Welche anderen Naturschutzaktivitäten liefern auch nur annähernd vergleichbare quantitativ dokumentierbare Erfolgsbilanzen?
Der tatsächliche Einfluss dieser Schutzaktivitäten auf die lokale Bestandssituation ist
in den meisten Fällen aber nicht belegt und wird trotz einzelner beeindruckender
Beispiele quantitativ vermutlich oft überschätzt.
Tab. 1: Jahresstatitistik an einem Amphibienfangzaun von 1985–2002, Huxel, Felderbachtal (Hattingen). Tv Triturus vulgaris, Ta Triturus alpestris, Th Triturus helveticus, Rt Rana temporaria, Bb Bufo bufo,
Ss Salamandra salamandra, Ao Alytes obstetricans.
Records at an amphibian fence between 1985 and 2002, Huxel, Felderbachtal, (Hattingen).
Jahr
1985
1986
1987
1988
1989
1990
1991
1992
1993
1994
1995
1996
1997
1998
1999
2000
2001
2002
∑
∅
Tv
Ta
Th
Rt
Bb
Ss
Ao
22
11
?
2
8
18
10
20
5
58
35
24
20
53
7
2
1
2
44
12
26
41
39
38
91
44
83
53
77
36
59
39
51
15
13
36
222
297
453
646
563
308
582
307
605
506
405
226
221
120
194
146
142
182
50
110
55
85
110
66
216
176
297
108
175
120
9
37
79
86
31
35
400
652
1054
510
1301
1498
2799
2202
5559
3361
5481
3564
6046
5307
3080
2064
1494
759
1
2
2
1
2
4
2
1
2
2
2
-
3
3
-
273
15
746
41
6125
340
1845
103
47.131
2618
21
1
6
<1
Standzeit
02.03.–10.04.
28.02.–24.04.
13.03.–19.04.
13.03.–19.04.
25.02.–01.04.
25.02.–25.03.
04.03.–26.03.
01.03.–08.04.
12.03.–17.04.
27.02.–09.04.
26.02.–13.04.
29.02.–23.04.
01.03.–18.03.
01.03.–01.04.
28.02.–07.04.
26.02.–14.04.
24.02.–07.04
04.03.–17.04
Tage
Eimer
39
55
37
37
35
28
21
39
35
41
46
54
16
32
40
49
43
45
20
23
22
23
23
23
18
22
22
24
26
22
27
30
30
25
25
30
38
24
∑
741
1086
1590
1286
2022
1928
3698
2749
6549
4189
6185
3958
6356
5556
3413
2315
1683
1014
56.023
3112
4
KORDGES
7000
Amphibien (gesamt)
6000
5000
4000
3000
2000
1000
0
85
86
87
88
89
90
91
92
93
94
95
96
97
98
99
2000
2001
2002
Abb. 1: Entwicklung der Fangzahlen am Amphibienzaun Huxel zwischen 1985 und 2002.
Development of the amphibian records at Huxel between 1985 and 2002.
Um Missverständnissen vorzubeugen sei betont, dass ich derartige Schutzmaßnahmen ausdrücklich begrüße und selbst mit dem BUND-Hattingen seit 1985 jedes Frühjahr einen mobilen Fangzaun betreue, der damals von mir initiiert wurde (KORDGES
1997). Wir haben seitdem über 55 000 Tiere über die Straße gesetzt und insbesondere
die Anzahl der Erdkröten vorübergehend auf das 15-fache des Ausgangsbestandes
steigern können (Tab. 1).
Dennoch halte ich die umweltpädagogische Wirkung unserer langjährigen Öffentlichkeitsarbeit entlang des Fangzaunes aufgrund zahlreicher Führungen von VHSGruppen, Schulklassen und Kindergartengruppen sowie begleitender Diavorträge
und Zeitungsartikel für nachhaltiger als den tatsächlichen Einfluss auf die lokale
Bestandssituation der Amphibien. So konnten wir den Eigentümer der lokalen Fischzuchtanstalt nicht dazu bewegen, das trocken gefallene Hauptlaichgewässer wieder
Instand zu setzten, sodass der Tierbestand in den letzten Jahren wieder auf das ursprüngliche Ausgangsniveau zurückging (Abb. 1).
Hinsichtlich der fachlichen Begründung und Erfolgsaussichten derartiger Schutzmaßnahmen wird immer wieder von der Grundannahme ausgegangen, dass je weniger
Straßenverluste auftreten um so mehr Alttiere reproduzieren und um so mehr Jungtiere aufwachsen und die Stabilität der Population somit zunimmt. Diese plakative
Kausalkette ist in der Öffentlichkeit gut vermittelbar, stellt aber aus syn- und populationsökologischer Sicht eine unzulässige Vereinfachung dar. Vielmehr zeigen aktuelle
Studien, dass die Metamorphoserate in den Laichgewässern in keinem Zusammenhang mit der Größe der Laichpopulation stehen muss (z. B. HACHTEL 2001, STOEFER
2001).
Tatsächlich ist die verkehrsbedingte Mortalität der Adulten auf der Laichwanderung
nur einer von mehreren bestandslimitierenden Faktoren, wenngleich ein oft wesentlicher und vor allem sicht- und beeinflussbarer. Populationsökologisch vermutlich viel
wichtigere, für den Beobachter aber kaum wahrnehmbare Schlüsselfaktoren für die
weitere Bestandsentwicklung sind z. B. die Emergenzraten der frisch metamorphosierten Tiere sowie deren Mortalitätsraten während der Abwanderung, die an den
meisten Wanderkorridoren ungesichert bleibt.
Amphibien-Schutzmaßnahmen an bestehenden Straßen –Anspruch und Wirklichkeit
5
Schon die in der Regel ungesicherte Rückwanderung der Alt- und abwandernden
Jungtiere macht deutlich, dass Schutzaktivitäten mittels mobiler Fangzäune nur als
zeitlich befristete Provisorien im Sinne einer temporären Konfliktminderung, nicht
aber als dauerhafte Problemlösung verstanden werden können (KUHN 1987a). Die
langjährigen und personalintensiven Schutzaktivitäten an mobilen Fangzäunen durch
den ehrenamtlichen Naturschutz dürfen daher nicht über den aktuellen Handlungsbedarf zur Realisierung dauerhafter und wartungsarmer Amphibienschutzanlagen
hinwegtäuschen. Zudem ist die Betreuung der Fangzäune selten langfristig gesichert
und hängt oft vom kontinuierlichen Engagement weniger Einzelpersonen ab, sodass
eine Erschöpfung dieser ehrenamtlichen Ressourcen droht (SCHNEEWEIß 1994).
3
Dauerhafte Amphibien-Schutzanlagen
3.1 Bedarfsermittlung
Beim Straßenneubau sollte die Entscheidung zur Errichtung einer dauerhaften
Schutzanlage auf Voruntersuchungen, zumindest aber auf einer vorhabensbedingten,
präventiven Konfliktanalyse beruhen (z. B. JUNGELEN 1997). Sie ist damit im Idealfall
das Ergebnis einer vorausschauenden Planung. Baukosten können als Maßnahmen
zur Konfliktvermeidung oder -minderung verrechnet werden, sind durch das Vorhaben abgedeckt und darüber hinaus, im Vergleich zu den Gesamtkosten von
Straßenneubauten, relativ gering.
Völlig anders sieht die Situation an bereits bestehenden Straßen aus, wo die gesetzliche Verpflichtung zur Konfliktvermeidung oder -minderung nicht mehr besteht und
die nachträgliche Errichtung einer notwendigen Schutzanlage oft bereits an der
schwierigen Finanzierung scheitert. Um so wichtiger ist hier eine gezielte Bedarfsermittlung, nicht zuletzt, um den Personal- und Mitteleinsatz gegenüber konkurrierenden Vorhaben rechtfertigen und durchsetzen zu können.
Vor diesem Hintergrund ist es erstaunlich, dass eine gezielte Bedarfsermittlung, die
als fachlich begründete Entscheidungshilfe einen vergleichenden Überblick über
verlustreiche Amphibienwanderkorridore und Streckenabschnitte im Zuständigkeitsbereich eines Straßenbaulastträgers oder einer Fachbehörde liefert, noch immer die
seltene Ausnahme darstellt (z. B. ÖKOPLAN 1997a, 1999a, vgl. auch BITZ & THIELE
1996). Vielmehr resultiert der Handlungsbedarf zur nachträglichen Errichtung einer
dauerhaften Schutzanlage in aller Regel nicht aus der planerischen Einsicht oder
Eigeninitiative des Straßenbaulastträgers sondern aus dem Druck der Naturschutzverbände und -behörden sowie einer über die lokalen Medien mobilisierten und ggf.
emotionalisierten Öffentlichkeit.
In der Planungspraxis erweisen sich Angaben über vermeintliche Bestandsgefährdungen, belegt mit der Höhe der Tierverluste und oft verbunden mit einer intensiven
Öffentlichkeitsarbeit, als wirkungsvolle Argumente, die je nach Situation auch durch
weitere Aspekte ergänzt werden können (Abb. 2).
6
KORDGES
Abb. 2: Unterschiedliche Akteure, Argumentations- und Motivationsebenen begründen und beeinflussen vor Ort den Bedarf einer Schutzanlage.
Different groups, arguments and motivations influence the need of conservation measures.
Dazu sei angemerkt, dass ein nachweisbarer Bestandsrückgang der betroffenen Populationen oft gar nicht belegt ist. Während viele Populationen durch den Straßenbau
zweifellos erloschen sind, konzentriert sich das lokale Interesse oft auf Bestände, die
sich offensichtlich trotz alljährlicher verkehrsbedingter Verluste halten können (s. u.).
Streng betrachtet handelt es sich daher bei nicht wenigen der geforderten Schutzanlagen um vorrangig vom Tierschutz motivierte Anlagen, was ich angesichts massenhafter verkehrsbedingter Tierverluste an vielen Wanderkorridoren nicht nur für verständlich sondern auch für völlig legitim halte.
Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass populationsökologische Kenngrößen als fachlich begründete Kriterien für eine Gefährdungsanalyse vor Ort in der
Regel nicht verfügbar sind. Dabei handelt es sich nicht etwa um lokale Defizite, die
ggf. den jeweiligen Fachbehörden anzulasten wären, sondern vielmehr um ein grundsätzliches Problem. Während die langjährigen Bemühungen um technische Details des
Amphibienschutzes an Straßen inzwischen ein hohes Niveau erreicht haben, wurde
versäumt, parallel dazu planungsrelevante Entscheidungskriterien zu erarbeiten,
unter welchen Umständen eine Nachrüstung von Streckenabschnitten nicht nur wünschenswert, sondern auch naturschutzfachlich notwendig ist. Im Zweifelsfall bleiben
die Fachbehörden mit diesem Problem allein, und es verwundert nicht, dass sich
behördlicher Amphibienschutz an Straßen oft auf ein reagierendes Krisenmanagement beschränkt.
Eine theoretische Ableitung bedarfsorientierter fachlicher Gefährdungskriterien mag
auf den ersten Blick akademisch und überflüssig wirken, insbesondere wenn verkehrsbedingte Tierverluste auf einer Wanderstrecke einen unmittelbaren und für
Amphibien-Schutzmaßnahmen an bestehenden Straßen –Anspruch und Wirklichkeit
7
jeden erkennbaren Handlungsbedarf anzuzeigen scheinen. Tatsächlich sind im Praxisalltag aber u. U. sehr unterschiedliche Personenkreise mit dem Amphibienschutz
an Straßen befasst, deren Motive, Ziele und Grundansätze weniger Gemeinsamkeiten
aufweisen, als man erwarten sollte. So ist zwischen den Beteiligten oft nicht klar, ob
eventuelle Schutzmaßnahmen eher auf den klassischen Tierschutz (Individuum), den
Populationsschutz oder den Schutz gefährdeter Arten (z. B. Rote Liste-Arten) abzielen
sollen, ob vorrangig die Öffentlichkeit ruhiggestellt werden soll und welche praktischen Konsequenzen sich daraus jeweils ergeben.
3.2 Bedarfskriterien
Lokalisierung und Quantifizierung von Straßenverlusten
Auffälligster Indikator für den möglichen Handlungsbedarf zur Errichtung einer
Schutzanlage ist das wiederholte, räumlich und zeitlich konzentrierte Auftreten verkehrsbedingter Totfunde von Amphibien auf einem Streckenabschnitt. Für das Hattinger Stadtgebiet sind z. B. auf einer Fläche von ca. 70 km2 mindestens 27 Wanderkorridore mit jährlich zwischen wenigen Dutzend und z. T. über hundert Totfunden je
Standort bekannt (KORDGES 1997). Nur einer der Wanderkorridore ist mit einer wenig
wirksamen (vgl. BOI 1996) dauerhaften Schutzanlage ausgestattet, während einige
weitere durch mobile Fangzäune oder nächtliche Straßensperrungen zumindest provisorisch berücksichtigt werden.
Obwohl somit die Mehrzahl der bekannten Wanderstrecken ungeschützt bleibt und
aufsummiert jährlich erhebliche Tierverluste entstehen, bestehen Zweifel, ob daraus
für alle Streckenabschnitte automatisch ein dringender Handlungsbedarf zur Errichtung dauerhafter Schutzanlagen abzuleiten ist.
Vielmehr ist zu beobachten, dass trotz nennenswerter alljährlicher Verluste mehrere
der langjährig kontrollierten Populationen relativ stabil bleiben, und es somit offensichtlich vitale Populationen gibt, die sich diese wiederkehrenden Verluste scheinbar
»leisten« können. Ferner fällt auf, dass sich darunter auch Bestände an Straßenabschnitten befinden, die aufgrund der Verkehrsdichte schon längst erloschen sein
müssten (vgl. KUHN 1987b, HEINE 1987).
Populationsgrößen
Die Beobachtungen zeigen, dass auch erhöhte verkehrsbedingte Tierverluste nicht
automatisch ein Beleg für die unmittelbare Bestandsgefährdung von Amphibienpopulationen sein müssen. Voraussetzung für eine bedarfsorientierte Gefährdungseinschätzung ist daher die Kenntnis des Verhältnisses zwischen der Anzahl (Größenordnung) der alljährlichen Verkehrsverluste und der Gesamtpopulation.
Unter reinen Tierschutzaspekten ist es unerheblich, ob 100 Totfunde an einer Wanderstrecke einer Gesamtpopulation von 150 oder 1 500 Alttieren entstammen. Hinsichtlich
einer naturschutzfachlichen Gefährdungsanalyse ergeben sich aber gravierende Unterschiede, da im ersten Fall eine akute Bestandsgefährdung (Verlustrate 66,6 %), im
zweiten hingegen empfindliche, die Gesamtpopulation aber vermutlich nicht ernsthaft gefährdende Verluste (6,6 %) auftreten würden.
8
KORDGES
350
Anzahl Grasfrösche
300
250
200
150
100
50
0
85
86
87
88
89
90
91
92
93
94
95
96
97
98
99
2000 2001 2002
Jahr
Abb. 3: Fangzahlen des Grasfrosches am Fangzaun Huxel von 1985 bis 2002
Records of Rana temporaria from the amphibian fence at Huxel between 1985 and 2002
Tatsächlich beschränken sich die quantitativen Erkenntnisse an vielen Wanderkorridoren auf die Registrierung der für jeden Laien sichtbaren Totfunde (meistens beschränkt auf größere Froschlurche, da Molche schon nach kurzer Zeit nicht mehr
erkennbar sind), während die Größe der Gesamtpopulation erfahrungsgemäß unterschätzt wird oder unbekannt bleibt. Eine Gefährdungsabschätzung bezogen auf die
Population ist in solchen Fällen nicht möglich.
Nicht selten sind die Totfunde Anlass zur spontanen Errichtung eines Fangzaunes,
dessen Ergebnisse oft alle Erwartungen übertreffen (insbesondere bei Molchen) und
dann zu einer Relativierung der Gefährdungseinschätzung führen können. Selbst
scheinbar objektiv mittels Fangzaun erhobene Bestandsgrößen sind kritisch zu hinterfragen. Tatsächlich geben diese Daten weder Auskunft über die Existenz, Lage und
Bedeutung möglicher weiterer, mangels Straßen und Verkehrsopfer nicht erkannter
Wanderkorridore noch über Wanderaktivitäten außerhalb der üblichen Betreuungszeiten während der Laichwanderungen im Frühjahr.
Beispielhaft sei hier auf die stark schwankenden Fangzahlen (Min. 9, Max. 297 Ex.)
des Grasfrosches an dem oben erwähnten Fangzaun im Hattinger Felderbachtal verwiesen, die als Hinweise auf erhebliche Bestandsschwankungen fehlinterpretiert
werden können (Abb. 3).
Tatsächlich ist die betreffende Laichpopulation aber deutlich größer und beträgt seit
vielen Jahren regelmäßig zwischen 400 und mehr als 700 Alttieren. Nachweislich
wandert ein Teil der Gesamtpopulation nicht über den mittels Zaunanlage gesicherten
Straßenabschnitt an und bleibt damit am Fangzaun unberücksichtigt. Gleiches gilt für
adulte Männchen, die verstärkt im Oktober wieder über die Straße an die Laichgewässer zurückwandern und am Fangzaun während der Laichwanderungen im Frühjahr deutlich unterrepräsentiert sind. Ausnahmsweise kann sich bei milder Witterung
fast die gesamte Anwanderung der Population in den Herbst vorverlagern. So wurden 1997 lediglich 9 adulte Grasfrösche am Fangzaun registriert, während im Laichgewässer erneut eine Laichgesellschaft aus weit über 500 Alttieren ermittelt wurde.
Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass mittels Fangzaun gewonnene Daten
Amphibien-Schutzmaßnahmen an bestehenden Straßen –Anspruch und Wirklichkeit
9
bestenfalls gesicherte Mindestgrößen der Populationen dokumentieren, die Gesamtpopulation aber wesentlich größer sein kann.
Raumnutzung
Eng verknüpft mit dem oft unzureichenden Kenntnisstand über die tatsächlichen
Populationsgrößen ist in vielen Fällen das mangelnde Wissen über die Raumnutzung
und die Lage der Sommer- und Winterhabitate der Bestände. So verleiten verlustreiche Streckenabschnitte dazu, den Landlebensraum der betreffenden GesamtPopulation auf der dem Laichgewässer gegenüberliegenden Straßenseite zu vermuten.
Dieser Überlegung liegt ein stark vereinfachtes aber einprägsames Raum-Zeit-Modell
der Population zugrunde (z. B. STOLZ & PODLOUCKY 1983, vgl. Abb. 4), das offensichtlich aus didaktischen Gründen in den meisten einschlägigen Arbeiten bis heute skizziert wird. Andererseits wies bereits GLANDT (1986) auf die je nach Art und lokaler
Population sehr unterschiedlichen Raum-Zeit-Muster heimischer Amphibienarten
hin, die sich in dem oben genannten »Grundmodell« nur bedingt wiederfinden (vgl.
KLEIN & VEITH 1997, VEITH 1992).
Abb. 4a zeigt eine vermeintliche Standardsituation, wo der Betrachter aufgrund zahlreicher Straßenopfer die Lage der Sommer- und Winterhabitate der Gesamtpopulation
jenseits der Straße vermutet. In diesem Fall wäre die Gefährdungsexposition der
Gesamtpopulation sehr hoch einzustufen. Völlig anders ist die Situation einzuschätzen, wenn es sich bei den über die Straße wandernden Tieren lediglich um eine zwar
stark gefährdete Teilpopulation handelt, die Hauptpopulation lagebedingt aber ungefährdet ist (Abb. 4b).
Derartige Verhältnisse scheinen insbesondere bei solchen Wanderstrecken vorzuliegen, die trotz langjährig hoher Verluste keine Bestandseinbrüche erkennen lassen
a
b
Abb. 4: Unterschiedliche Beeinträchtigungen von Amphibienpopulationen in Abhängigkeit von der
Lage der Sommer- und Winterhabitate. L = Laichgewässer; S/W = Sommer-/Winterhabitate; % =
prozentualer Anteil an der Gesamtpopulation.
Different degrees of endangering depending on the position of summer and winter habitats. L =
breeding pond; S/W = summer/winter habitats; % = percentage of the population.
10
KORDGES
Abb. 5: Unterschiedliche Intensität der Zerschneidung der Jahreslebensräume.
Different degrees of habitat fragmentation.
(s. o.) und wo starke Tierverluste durch eine vitale Hauptpopulation kompensiert
werden können. Ein unmittelbarer Handlungsbedarf wegen akuter Bestandsgefährdung wäre in diesem Fall nicht gegeben.
Ein anderes Szenario ist in Abbildung 5 dargestellt, wo das Laichgewässer einer
Population inmitten der Landhabitate liegt und anstelle eines räumlich und zeitlich
eng begrenzten Wanderkorridores nahezu ganzjährig diffuse Bewegungen über einen
breiten Streckenabschnitt stattfinden.
Je nach Lage der Straße durch den Lebensraum der Gesamtpopulation ergeben sich
hier völlig unterschiedliche Situationen hinsichtlich der Betroffenheit, der Gefährdungseinschätzung und dem daraus resultierenden Handlungsbedarf. Während in
einem Falle der Abbildung 5 für 50 % der Population eine Gefährdungsexposition
vorliegt sind im zweiten Fall der Abbildung lediglich 10 % betroffen, sodass hier eine
akute Bestandsgefährdung wohl zu verneinen wäre.
Artenschutz
Streng genommen sind nach den obigen Ausführungen erst bei Kenntnis quantitativer, populationsökologisch relevanter Daten sowie der Raum-Zeit-Nutzung der jeweiligen Populationen verlässliche Aussagen über den Handlungsbedarf ableitbar.
Dessen ungeachtet sind auch dann Schutzmaßnahmen wünschenswert, wenn keine
unmittelbare Bestandsgefährdung besteht. Dies wird insbesondere dann der Fall sein,
wenn die Höhe der alljährlichen Tierverluste unabhängig von der Größe der Gesamtpopulation eine gewisse Grenze überschreitet. Fachliche Empfehlungen oder Anhaltswerte, ab welcher Größenordnung Handlungsbedarf besteht, existieren bisher
nicht. Es bleibt daher den lokalen Fachbehörden überlassen, den Handlungsbedarf
z. B. bei 50, 250 oder erst bei 500 Tieren anzusetzen.
Eine weitere Rolle spielt der Status und die regionale Häufigkeit der betroffenen
Arten. Nach BITZ & THIELE (1996) sind in Rheinland-Pfalz individuenstarke Erdkröten-Populationen an 96 % aller registrierten Wanderwege Grund für Schutzmaßnahmen, was in ähnlicher Dimension auch für andere Bundesländer wie z. B. NordrheinWestfalen gelten dürfte. Während allerdings 50 pro Jahr überfahrene Erdkröten oder
Amphibien-Schutzmaßnahmen an bestehenden Straßen –Anspruch und Wirklichkeit
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Teichmolche an einem Straßenabschnitt in der Regel keinen dringenden Handlungsbedarf begründen dürften, wäre die Situation bei 50 Exemplaren einer Art der Roten
Liste (z. B. Kreuzkröte, vgl. ÖKOPLAN 1999b) sicherlich anders einzuschätzen. Insbesondere wenn geschützte Arten des Anhang II der FFH-Richtlinie betroffen sind (bzgl.
der Straßenproblematik ist hier insbesondere der Kammmolch zu erwähnen), dürfte
es zukünftig zu einer Neubewertung mancher Streckenabschnitte führen.
Unabhängig vom Schutzstatus einer Art können auch die artspezifisch unterschiedlichen Populationsgrößen zu einer individuellen Bewertung führen. So ist ein Streckenabschnitt mit alljährlich 50 überfahrenen Erdkröten sicherlich anders einzuschätzen
als ein solcher mit 50 Geburtshelferkröten oder Feuersalamandern.
3.3 Eignungsprüfung
Falsche Erwartungshaltungen
Wird der Bedarf einer Schutzanlage bejaht, ist damit noch keine Aussage über die
Eignung des betreffenden Straßenabschnittes und somit über die Realisierbarkeit
einer wirksamen Anlage getroffen.
So stellt sich in vielen Fällen die Frage, ob ein von einer Straße zerschnittener Wanderkorridor überhaupt geeignet ist, um mittels Amphibienschutzanlage wirkungsvoll
gesichert zu werden. Dennoch suggeriert der Handbuch- und Rezeptcharakter mancher werbewirksamer Farbbroschüren, dass für alle denkbaren Problemfälle geeignete
Lösungen vorhanden sind. Erstaunlicherweise beschränkt sich dieser Eindruck aber
nicht nur auf kommerziell motivierte Produktinformationen einzelner Firmen sondern betrifft auch manche Fachpublikationen.
So werden beispielsweise gut funktionierende Schutzanlagen eindrucksvoll dokumentiert, während man über die in Insiderkreisen durchaus bekannten nicht funktionierenden Anlagen öffentlich kaum etwas erfährt. Auf einen landes- oder gar bundesweiten Überblick über Erfolgs- oder Wirkungskontrollen der oft kostenintensiven
Anlagen wartet man vergebens obwohl derartigen Kontrollinstrumenten im Naturschutz eine wachsende Bedeutung zukommt (z. B. BLAB et al. 1994).
Umsetzungs- und Akzeptanzprobleme
Dass z. B. hoch anstehendes Grundwasser, die notwendige Oberflächenentwässerung,
die Lage in Überschwemmungsgebieten, topographische, nutzungs- und lagebedingte
oder eigentumsrechtliche Gründe die Errichtung einer MAmS-gerechten Schutzanlage
unmöglich machen können, liest man oft nur zwischen den Zeilen. Immer wieder
stehen die Fachbehörden daher vor dem Problem, entweder auf die Errichtung einer
Anlage ganz zu verzichten (Vorwurf der Untätigkeit) oder aber eine nicht MAmSgerechte Anlage (Vorwurf der Inkompetenz) konzipiert zu haben.
So beklagt beispielsweise MÜNCH (1999) die Anlage einer formal nicht MAmSgerechten Amphibienschutzanlage in Essen und schließt daraus, gestützt auf die
fragwürdigen Angaben Dritter, auf eine mangelnde Akzeptanz der Anlage. DAMMANN & POTTHOFF (1999) belegen hingegen im Rahmen einer mehrwöchigen Erfolgs-
12
KORDGES
kontrolle der Universität Essen die erfolgreiche Nutzung der gleichen Anlage durch
über 1 700 Erdkröten, über 3 000 Teichmolche sowie Grasfrösche und Bergmolche.
Akzeptanzprobleme an Schutzanlagen tauchen offensichtlich nicht nur bei Fröschen,
Kröten und Molchen auf, sondern auch bei manchen Aktivisten und selbsternannten
Experten. So reagieren langjährig an »ihren« Fangzäunen engagierte Naturschützer
oft mit Unverständnis und Verärgerung auf fachlich begründete Bedenken hinsichtlich der Realisierbarkeit von Amphibienschutzanlagen an den von ihnen betreuten
Wanderstrecken.
Eine Ursache für diese Akzeptanzprobleme sehe ich u. a. in unrealistischen Erwartungshaltungen, die aus der oben erwähnten mangelnden öffentlichen Fachdiskussion
über Ziele, Möglichkeiten und Grenzen von Amphibienschutzanlagen resultieren.
Limitierende Rahmenbedingungen1
Die »Nachrüstung« bestehender Straßen mit einer Amphibienschutzanlage ist mit
vielen limitierenden Rahmenbedingungen konfrontiert, die in dieser Form beim Straßenneubau nicht auftreten. So schaffen z. B. beim Neubau allein schon die Eigentumsverhältnisse und die Breite des Planungskorridors Gestaltungsspielräume, die an
bereits bestehenden Straßen so nicht vorliegen. Vielmehr existieren an vorhandenen
Straßen zahlreiche gewachsene, eigentums- und nutzungsbedingte Faktoren, die die
Errichtung einer MAmS-gerechten Schutzanlage verhindern können. Besonders deutlich wird dieser Sachverhalt bei den Amphibiendurchlässen, die bei rechtzeitiger
Berücksichtigung beim Neubau weitgehend problemlos in den Straßenkörper integriert werden können, während ein nachträglicher Einbau auf z. T. erhebliche Probleme stößt (baustellenbedingte Straßensperrung, Lage von Versorgungsleitungen, Entwässerung, Felsarbeiten etc.).
Insbesondere im Siedlungsraum und in Siedlungsrandlagen erwachsen aus der geringen Flächenverfügbarkeit entlang der Straßen Probleme für die Realisierung von
Schutzanlagen, die in vielen Fällen eine zumindest randliche Einbeziehung von Privatgrundstücken notwendig macht. Dabei erweisen sich die erforderlichen und privatrechtlich abzusichernden Duldungsverträge für die Errichtung von Leitanlagen
Abb. 6: Beispiel für die nachträgliche Realisierung einer Amphibienschutzanlage. Oben: Beim Bau der
K18, einer Südumgehung der Stadt Mettmann, lagen Ende der 1970er Jahre keine Informationen über
lokale Amphibien-Wanderungen vor. Mitte: Seit 1987 wurde der gefährdete Wanderkorridor durch
lokale Naturschutzgruppen mittels eines mobilen Fangzaunes betreut. Jährlich dokumentierte Fangzahlen von bis zu 1 500 Erdkröten, Grasfröschen sowie Teich- und Bergmolchen belegten den Handlungsbedarf und lieferten wichtige Informationen über die Lage für die geplanten Amphibiendurchlässe. Unten: Im Frühjahr 2001 wurde nach 15-jähriger Betreuung durch den ehrenamtlichen Naturschutz eine zeitgemäße und offensichtlich gut funktionierende Schutzanlage durch den Kreis Mettmann errichtet. Die Baukosten für die ca. 400 m lange Anlage betrugen ca. 100 000 €.
Example for the subsequent construction of an amphibian tunnel system. Top: At the end of the
seventies when constructing the K 18, a bypass road of the city of Mettmann, there were no informations about local migrating routes of amphibians. Centre: Since 1987 voluntaries took care of the
dangerous migrating route with mobile fences. Seasonal records of up to 1 500 Bufo bufo, Rana temporaria, Triturus vulgaris and Triturus alpestris proofed the need of protection measures and provided
important informations for the location of the planed tunnel constructions. Bottom: In spring 2001
after 15 years of voluntary activities a modern and effective amphibian tunnel system was realized by
the Kreis Mettmann. The costs were about 100 000 €.
Amphibien-Schutzmaßnahmen an bestehenden Straßen –Anspruch und Wirklichkeit
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KORDGES
oder die bauliche Integration von Wegezufahrten auf Privatgrundstücken oft als
massives Hindernis, selbst wenn die Eigentümer dem Vorhaben positiv gegenüberstehen. Schutzanlagen, die die privatrechtlich abgesicherte Zustimmung gleich mehrerer Eigentümer erfordern, sind daher nicht selten zum Scheitern verurteilt.
Dass die genannten Realisierungsprobleme keine Ausnahmen sondern die Regel sind
zeigen einige Beispiele aus dem Planungsalltag. So wurden im Rahmen von Auftragsarbeiten für die ULB Mettmann 24 im Außenbereich gelegene, als Wanderkorridore
bekannte Streckenabschnitte geprüft (ÖKOPLAN 1997a, 1999a). Ein fachlich begründeter Handlungsbedarf war für 16 Lokalitäten gegeben, von denen allerdings nur acht
aufgrund der Geländesituation für die Anlage einer Schutzanlage als geeignet gelten
konnten. Im Rahmen einer Detailprüfung ergaben sich inzwischen bei drei der vier
zur Realisierung vorgesehenen Streckenabschnitte so gravierende Schwierigkeiten,
dass trotz gesicherter Finanzierung und bester Absicht der Fachbehörden bisher lediglich eine Schutzanlage realisiert werden konnte (die streng genommen nicht in allen
Details MAmS-konform ist).
Auch an drei weiteren Wanderkorridoren in den Städten Wuppertal und Hattingen,
für die ein dringender Handlungsbedarf festgestellt wurde, erwiesen sich die Rahmenbedingungen (Topographie, Nutzungen, Besitzverhältnisse etc.) als so problematisch, dass auf eine Realisierung der Schutzanlagen bisher verzichtet wurde (ÖKOPLAN
2001, 1999b, KORDGES 1997).
Schlussfolgerungen
Zusammenfassend lassen sich aus den Erfahrungen zur Eignungsprüfung folgende
Kernaussagen formulieren:
•
Das MAmS (2000) besitzt Modellfunktion für die Errichtung von Amphibienschutzanlagen an Straßen
aber:
•
es gibt Wanderkorridore an Straßen, die nicht MAmS-gerecht nachgerüstet werden können und eine Einzelfallprüfung möglicher Alternativlösungen erfordern,
•
es gibt Wanderkorridore, an denen nur Teilziele erreichbar sind und die
Entscheidungen über Kompromisslösungen erfordern und
•
es gibt Wanderkorridore, die trotz dringenden Handlungsbedarfs nicht sinnvoll
nachgerüstet werden können und für die daher keine realistische Problemlösung
angeboten werden kann.
4
Das MAmS in der Diskussion
Strategisch-konzeptionelle Defizite, Kompromisse und Alternativensuche
Der Kenntnisstand zum technischen Amphibienschutz an Straßen hat in den letzten
20 Jahren ein beachtliches Niveau erreicht, das durch einen Blick auf das MAmS
(2000) sowie eine breite und ständig verbesserte Produktpalette seitens der Hersteller
belegt werden kann. Auch andere Tiergruppen profitieren inzwischen erheblich von
Amphibien-Schutzmaßnahmen an bestehenden Straßen –Anspruch und Wirklichkeit
15
der ursprünglich ganz auf Amphibien konzentrierten Diskussion und Weiterentwicklung von Schutzanlagen. Ihnen fällt somit eine wichtige »Schlüssel- und Vorreiterposition« im Konfliktbereich »Tierwelt und Straße« zu (vgl. z. B. den Begriffs- und Bedeutungswandel vom Krötentunnel zur Kleintier-Schutzanlage, die Errichtung von Reptilien-Schutzanlagen (LENZ & SCHMIDT 2002) sowie die Diskussion um Grünbrücken
(z. B. ROTH & KLATT 1991) und Wilddurchlässe (z. B. KRAMER & ROWOLD 2001)).
Eine konzeptionelle Weiterentwicklung von Schutzstrategien und Handlungsprämissen beim Amphibienschutz an Straßen steht jedoch noch aus, sieht man einmal
von den Erkenntnissen zur Funktion von Gewässerneuanlagen als Ersatzhabitate ab
(z. B. OERTER 1994). Dort, wo die Zerschneidungen von Lebensräumen und verkehrsbedingte Tierverluste mittels funktionierender Schutzanlagen wenn nicht gänzlich
verhindert, so doch deutlich gemindert werden, mögen die auf Wiedervernetzung
abzielenden klassischen Schutzinstrumente für Standardsituationen ausreichen.
Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die vielfach propagierten Standardlösungen in zahlreichen Alltagssituationen nicht greifen, der individuellen Anpassung
an die lokalen Rahmenbedingungen bedürfen (z. B. BOLZ 1995, PODLOUCKY 1990) und
wobei vor Ort erhebliche Kompromisse erforderlich sind. Kompromisslösungen bedeuten die Abweichung von den MAmS-Vorgaben, was die Funktion einer Schutzanlage nicht schmälern muss, wie das geschilderte Beispiel aus Essen (s. o.) zeigt. Vielfach sind damit auch Zugeständnisse an die Effektivität einer Schutzanlage verbunden, z. B. wenn nur ein Teil des Wanderkorridores geschützt werden kann, Durchlässe nicht in ausreichender Zahl, Dimensionierung und optimaler Positionierung angeboten werden können oder die Rückwanderung insbesondere der Jungtiere nicht
gesichert werden kann. Mit der fachlichen Abwägung, wie weit derartige Kompromisse gehen dürfen, sind die personell oft unterbesetzten Fachbehörden häufig überfordert. Ohne das MAmS als fachliche Zielvorgabe infrage zu stellen bedarf es dringend einer Diskussion über Ziele, Kriterien und mögliche Schwellenwerte, mittels
derer Lösungsmöglichkeiten für nicht MAmS-konforme Schutzanlagen erarbeitet und
kritisch hinterfragt werden können. In diesem Zusammenhang wird auch die Suche
und Diskussion nach strategisch-konzeptionellen Alternativen für Situationen eingefordert, die nicht mit Standardlösungen beantwortbar sind.
Offene Fragen und Fallbeispiele aus der Praxis
Abstand der Durchlässe
Im Hauptbereich der Wanderkorridore soll der Abstand der Durchlässe gemäß
MAmS (2000) ca. 30 m betragen. Da der nachträgliche Einbau von Durchlässen hohe
Kosten verursacht, ist deren Anzahl in der Praxis immer ein zentraler Streitpunkt.
Folglich wird die Abstandsempfehlung in der Realität regelmäßig großzügig überschritten. Diese Praxis wird begünstigt durch Schwierigkeiten, wie der »Hauptbereich« der Wanderkorridore definiert ist. Handelt es sich dabei um den Streckenabschnitt des Wanderkorridors, in dem 50, 75 oder 90 % der Population anwandert? Bei
27 von mir näher untersuchten Wanderstrecken lag die Breite der Wanderkorridore
bei 41 % unter 250 m, bei 48 % über 250 m und bei 11 % über 500 m, sodass die Definition des Hauptwanderkorridors erhebliche Konsequenzen für die Planung haben kann.
16
KORDGES
Ein besonderes Problem sind Straßenabschnitte, auf denen auch außerhalb der klassischen Wanderzeiten nahezu ganzjährig räumlich und zeitlich diffuse Aktivitäten von
Amphibien auftreten und wo über das Jahr ebenfalls erhebliche Verlustraten zu verzeichnen sind. Beispielhaft gilt dies für viele Bachtäler in collinen Landschaftsräumen
mit kilometerlangen, parallel zu den Fließgewässern verlaufenden Streckenführungen, die großflächig die Sommerhabitate von Amphibien-Populationen zerschneiden.
Welche Abstände für Durchlässe wären hier zu empfehlen, vorausgesetzt entsprechende Leitanlagen wären realisierbar?
»Klimatunnel«
Sogenannte Klimatunnel, d. h. mit Gitterrosten abgedeckte Kastenprofile oder ähnliche Modelle, die von oben bündig in die Straßendecke eingesenkt sind, werden im
MAmS (2000) als Nachrüstungsmethode an bestehenden Straßen abgelehnt. Die genannten Gründe sind einleuchtend, zumal größer dimensionierte, in den Straßenunterbau eingebrachte Rahmendurchlässe, Rechteckhauben und ähnliche Durchlassbauwerke höhere Akzeptanzwerte erwarten lassen und grundsätzlich Vorrang vor
anderen Lösungsalternativen besitzen müssen. Dabei wird aber übersehen, dass der
grundsätzliche Verzicht auf oberflächennahe Durchlässe an vielen Kleinstraßen und
schmalen Nebenstrecken voreilig eine kostengünstige Option aufgibt, die angesichts
der Finanzlage der Kommunen oft die einzige realisierbare Handlungsmöglichkeit ist.
Gleiches gilt für Straßenkörper, in die aufgrund der Entwässerungssituation oder
zahlreicher Versorgungsleitungen keine großdimensionierten Kastenprofile eingebracht werden können, ohne damit umfangreiche Mehrkosten zu verursachen. Vor
diesem Hintergrund sind oberflächennahe Durchlasssysteme zumindest bei hoch
anstehendem Grundwasser und an schmalen, wenig frequentierten Straßen auch
weiterhin als Handlungsalternative zu betrachten (vgl. JUNGELEN 1996), zumal die
Akzeptanz derartiger Systeme wiederholt belegt wurde (MEINIG & WEBER 1987, POLIVKA et al. 1991).
Umlenkung gefährdeter Teilpopulationen
Zahlreiche Wanderkorridore sind aufgrund lokaler Rahmenbedingungen mit einer
klassischen Schutzanlage nicht zu sichern. Zwecks Vermeidung der alljährlichen
Tierverluste stellt sich dem Betrachter daher die Frage, ob es nicht besser sei, vom
Laichgewässer abwandernde Tiere vor der Straße mittels Leitelementen (einseitig von
der Straße aus übersteigbar) abzufangen, »zurückzuschicken« und sie zu nötigen, sich
räumlich umzuorientieren. Während der Erfolg dieser Zwangsumlenkung bei adulten
Tieren aufgrund gewachsener Raumbindungen fragwürdig erscheint, dürften Jungtiere relativ problemlos darauf reagieren und sich verstärkt in Richtungen mit geringerem Raumwiderstand umorientieren. Nach wenigen Jahren sollte der Gesamtlebensraum der betreffenden Population gewässerseitig liegen, während die ehemals verlustreich über die Straße wandernde Teilpopulation erloschen ist (Abb. 7a, b).
Ein derartiges Szenario ist nur dann sinnvoll, wenn es sich bei den »Straßenquerern«
um eine kleinere Teilpopulation handelt, während die Hauptpopulation gewässerseitig lebt und damit gewährleistet ist, dass hier geeignete Landhabitate existieren. Auch
geht das Szenario von der Grundannahme aus, dass die abwandernden Jungtiere
Amphibien-Schutzmaßnahmen an bestehenden Straßen –Anspruch und Wirklichkeit
a
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b
Abb. 7: Einseitig errichtetes Leitelement zwecks Lenkung und Aktionsverlagerung gefährdeter
Teilpopulationen. Eine sinnvolle Alternative zur Konfliktminderung bei mangelnder Realisierbarkeit
klassischer Schutzanlagen?
If traditonal tunnel systems are not realizeable: one side barrier to enforce new migrating routes in
order to prevent annual traffic victims
nicht auf eine Abwanderungsrichtung geprägt sind und ihr Umfeld vorrangig entlang
von mikroklimatisch geeigneten Flächen mit geringem Raumwiderstand erschließen.
Die Konsequenzen einer solchen Strategie bedürfen einer sorgfältigen Prüfung: Einerseits könnten die alljährlichen verkehrsbedingten Tierverluste deutlich reduziert
werden, was zu einer Stärkung der Population beitragen sollte. Andererseits ist der
Verlust der Teilpopulation jenseits der Straße sowie die verstärkte Habitatfragmentierung negativ zu bilanzieren. Darüber hinaus sind Folgewirkungen der Leitelemente
als Ausbreitungsbarrieren für andere Organismengruppen zu berücksichtigen.
Ein anderes, aktuelles Szenario ist in Abbildung 8 skizziert, wo eine Straße zwischen
zwei Laichgewässern verläuft. An- und Abwanderungen der jeweiligen Laichpopulationen erfolgen teilweise wechselseitig, sodass sich die Wanderrichtungen kreuzen.
Auch hier war eine Sicherung der verlustreichen Wanderstrecke mittels Schutzanlage
Abb. 8: Mittels Leitelementen erzwungene räumliche Umorientierung der beiden Teilpopulationen
zwecks Vermeidung alljährlicher Tierverluste?
Enforced manipulation of traditional migrating routes by barriers in order to prevent annual traffic
victims.
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KORDGES
Abb. 9: Einseitige Leitanlage als Alternative zur aufwändigen und vor Ort nicht zwingend notwendigen klassischen Schutzanlage?
One side barrier as an alternativ conservation strategy, if the urgency of an expensive traditional
tunnel system is doubtful.
mangels Realisierung von Durchlässen nicht möglich, sodass zu diskutieren ist, ob
eine dauerhafte räumliche Neuorientierung mittels Leitelementen eine Lösung anbietet (Abb. 8).
Ein weiteres aktuelles Szenario ist in Abbildung 9 dargestellt. Es handelt sich dabei
um eine Straße, die den Jahreslebensraum einer individuenstarken KreuzkrötenPopulation randlich zerschneidet. Zwar kommt es hier zu keinen klassischen, gerichteten Wanderungen, wohl aber regelmäßig zu Verkehrsopfern unter den ungerichtet
abwandernden Jungtieren und halbwüchsigen Exemplaren (ÖKOPLAN 1999b).
Die Errichtung einer herkömmlichen Schutzanlage würde das Problem der Straßenmortalität lösen, bliebe aber mit zahlreichen Fragen behaftet. Wie viele Durchlässe
sind auf der ca. 1 km langen Strecke vorzusehen (s. o.) und rechtfertigt sich der Aufwand zur Wiedervernetzung des Hauptlebensraumes der Population mit einem kleinen, inzwischen nachweislich unbesiedelten Teilhabitat? Kreuzkröten sind klassische
r-Strategen (SINSCH 1998) und besiedeln bekanntlich Sekundärlebensräume (z. B.
KORDGES 1994), die oft einer rasanten sukzessionsbedingten Veränderung unterliegen.
Parallel dazu sind artspezifisch hohe Bestandsschwankungen bekannt, die zum kurzfristigen Erblühen und raschen Erlöschen sowie zur räumlichen Aktionsraumverlagerung der Bestände führen können. Dauerhafte Schutzanlagen sind hingegen auf stabile Umweltbedingungen ausgerichtet, die eine Voraussetzung zur Etablierung langjährig tradierter und räumlich fixierter Wanderkorridore darstellen. Sind derartige
Schutzstrategien aber auch auf hochmobile Arten in dynamischen Lebensräumen
übertragbar?
In letztgenanntem Fall bietet sich theoretisch die einseitige Errichtung einer Leitanlage
(straßenseitig übersteigbar) als ausreichend an, um den Schutz der Kreuzkröten zu
gewährleisten (Abb. 9). Es stellt sich aber die Frage, ob die gezielte Errichtung zusätzlicher Ausbreitungshindernisse zum Schutz von (Teil-)Populationen den ursprünglichen, auf Wiedervernetzung von Funktionsräumen abzielenden Grundgedanken von
Schutzanlagen nicht konterkariert, zumal auch andere bodengebundene Organismengruppen von einer solchen Maßnahmen betroffen wären.
Amphibien-Schutzmaßnahmen an bestehenden Straßen –Anspruch und Wirklichkeit
19
Angesichts der zahlreichen Ausbreitungsbarrieren in unserer Kulturlandschaft erscheint es in begründeten Ausnahmefällen und als letztes Mittel durchaus vertretbar,
Umlenkungen auch zu Schutzzwecken einzusetzen. Andererseits ist die räumliche
Ausbreitung von Individuen eine Voraussetzung für den zur langfristigen Aufrechterhaltung von (Meta-)Populationen notwendigen Genfluss (KLEIN & VEITH 1997) – ein
Aspekt, der bei der Einzelfallbetrachtung an der Straße rasch in Vergessenheit gerät.
In diesem Zielkonflikt bedarf es daher jeweils der Abwägung, ob mit dem Verzicht
auf lokale Ausbreitungsbarrieren die Inkaufnahme dauerhafter Tierverluste akzeptabel und vor Ort in der Öffentlichkeit auch durchsetzbar ist.
Schlussbetrachtung
Die Anwendung der MAmS-Vorgaben stößt bei der nachträglichen Errichtung von
Schutzanlagen an bestehenden Straßen immer wieder auf erhebliche Probleme. Es
stellt sich daher die Frage nach einem vergleichbaren Regelwerk, das speziell auf
bereits bestehende Straßen zugeschnitten ist. Primäre Zielsetzung eines solchen Regelwerkes kann weder die Aufweichung mühsam akzeptierter Standards zwecks
Realisierung von »Billiglösungen« noch die Suche nach noch ausgereifteren Techniken
oder Produkten sein. Vielmehr besteht Bedarf nach der Ableitung und praxisgerechten Aufbereitung von verbindlichen, fachlich begründeten Entscheidungskriterien, die
zu einer Objektivierung nicht standardisierbarer Einzelfallentscheidungen für oder
gegen die Errichtung einzelner Schutzanlagen beitragen. Patentlösungen für alle
Eventualitäten der Alltagspraxis zu erwarten wäre wirklichkeitsfremd. Eine entsprechende Vorlage könnte aber den dringend notwendigen Diskussionsprozess über
Ziele und realistische Erwartungen gegenüber Schutzanlagen wieder in Gang setzen,
der – nicht zuletzt durch das lange Warten auf das Erscheinen der bereits über viele
Jahre hinweg angekündigten MAmS (2000) – in der Fachwelt weitgehend erlahmt
scheint.
Beispielhaft werden nachfolgend einzelne Fragen formuliert, die einer verstärkten
und selbstkritischen Betrachtung bedürfen:
• Wann schützen wir (Totfunde als emotional begründete Auslöser)?
• Wen oder was schützen wir (Auswahl der Zielorganismen, Ubiquisten, Spezialisten, gefährdete Arten, Metapopulationen)?
• Warum schützen wir (Zweck, Ziel, Erwartung, fachlich / emotional begründete
Motivation)?
• Wie schützen wir (Instrumente, Strategien, Konzepte)?
• Mit welchem Aufwand und Erfolg schützen wir (Nachhaltigkeit, Mitteleinsatz,
Personaleinsatz, Effizienz)?
Abschließend werden folgende Arbeitsschritte für die Entscheidungsfindung und ggf.
nachträgliche Realisierung von Amphibienschutzanlagen an Straßen empfohlen:
• Bedarfsprüfung (quantitative Dimension der Tierverluste, Verhältnis Tierverluste/
Populationsgrößen, reale Bestandsgefährdung, lokale/regionale Bedeutung; Vernetzungsaspekte)
• Eignungsprüfung (Besitzverhältnisse, Nutzungen, Topographie, Straßenbreite,
Straßenprofil, Lage und Breite des Wanderkorridores)
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•
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KORDGES
Erfolgsprognose (voraussichtliche Realisierbarkeit/funktionale Wirksamkeit)
Kostenschätzung
Effizienzeinschätzung (Verhältnis Aufwand/Wirkung)
Handlungsentscheidung/Prioritätenliste (fachliche oder strategische Dringlichkeit)
Vorplanung (z. B. Ermittlung von Hauptwanderkorridoren mittels Fangzaun)
Detailplanung
Umsetzungsplanung, Ausschreibung, Bauleitung
Umsetzungskontrolle
Erfolgskontrolle
Danksagung
Meinem Arbeitskollegen Herrn D. HENGESBACH danke ich für die Erstellung der Grafiken und
den Herren Dr. D. GLANDT, Dr. N. SCHNEEWEIß, A. GEIGER sowie Dr. B. THIESMEIER für kritische
und konstruktive Anregungen zu meinem Manuskript. Ein besonderer Dank gilt – beispielhaft
für viele andere ehrenamtliche Betreuer von Fangzäunen – Herrn M. GÖRLER, BUND-Hattingen,
für die langjährige Organisation und Betreuung des Fangzaun-Projektes im Felderbachtal, ohne
dessen unermüdlichen Einsatz das Schutzprojekt zweifellos bereits zum Erliegen gekommen
wäre.
5
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VEITH, M. (1992): Forschungsbedarf im Überschneidungsbereich von Herpetologie und Naturschutz.
— Fauna und Flora in Rheinland-Pfalz, Beiheft 6: 147–164.
VERKEHRSMINISTERIUM BADEN-WÜRTTEMBERG (Hrsg.) (1991): Amphibienschutz – Leitfaden für
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WOIKE, M. & K. NEUMANN (1980): Artenschutz-Hilfsmaßnahmen für Amphibien. — LÖLF-Mitteilungen 4/80: 110–113.
Anschrift des Verfassers:
Dipl.-Ökol. THOMAS KORDGES, ökoplan – Bredemann, Fehrmann, Kordges & Partner, Savignystr. 59, D-45147 Essen, E-Mail: [email protected]

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