Der Friedhof in den Gärten

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Der Friedhof in den Gärten
der essay
Der Friedhof
in den Gärten
Erinnerungen an Tibhirine: Nach zwölf
Jahren lichtet sich das Geheimnis um die
ermordeten Trappisten-Mönche
Von Freddy Derwahl
D
ie Begräbnisstätten der Klöster sind Orte des Rückzugs.
Holzkreuze mit spärlichen Daten. Weder Kränze noch
Blumen. Fragte man früher die Trappisten nach der
Uhrzeit, sagten sie „Memento mori, gedenke des Todes“. Die
strengen Zisterzienser legen ihre Tag und Nacht bewachten
Verstorbenen ohne Sarg in die bloße Erde. Staub zu Staub. Auf
dem Heiligen Berg Athos folgt bereits nach wenigen Jahren eine
Umbettung. Die Farbe des in Wein gewaschenen Schädels soll
auf den Grad vermuteter Heiligkeit verweisen. Schließlich landen
die Reste ins Gebeinhaus zur schweigenden Mehrheit, wie Holz
für den Winter. Samstags findet an diesem Ort eine Totenliturgie
statt. In der Abtei Einsiedeln wird um Allerseelen die Krypta
mit viel Weihwasser besprengt. In Maria Laach flackern auf den
Gräbern hunderte Öllichter und die Gemeinschaft singt den
todesfürchtigen Choral „Dies irae, dies illa, Tag des Zornes, Tag
der Zähren“. Und doch: Dem Sterben der Heiligen ist alles zuzutrauen. Es herrscht eine Magie letzter Berührungen und zu keinem Abschied bereiter Küsse.
Der Friedhof des ehemaligen algerischen Trappistenklosters
Tibhirine liegt in den Gärten. Tibhirine bedeutet „die Gärten“.
Etagenförmig schmiegen sie sich an die kargen Berghänge des
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Weilers nahe bei Medea, neunzig Kilometer südlich von Algier.
Palmen, Zedern, Eukalyptus, Mandarinenbäume, Rosen und
Lavendel. Gegenüber erhebt sich das Tamesguida-Massiv. Es ist
der Atlas, von dem es seit mythischen Zeiten heißt, dass auf seinen Schultern die Mühsal der Welt laste. Über 2400 Kilometer
erstreckt sich die schneebedeckte Bergkette bis in die westliche
Sahara. Die Gärten bieten einen herrlichen Ausblick auf die tiefen Falten des Berglandes. Letzte Dörfchen reichen bis an die
Baumgrenze. Im Ramadan, der muslimischen Fastenzeit, glühen
ihre Lichter bis spät in die Nacht.
Jean-Marie Rouart von der Académie française sagte nach
den „Ereignissen von Tibhirine“, es sei einer der schönsten
Plätze der Welt. Die Dachterrasse des Klosters war ein bevorzugter Ort. Die beiden ältesten Mönche Luc und Amédée hatten diese Herrlichkeit fast ein halbes Jahrhundert vor Augen.
Tag für Tag hielt Frère Michel hier oben auf einem Fenstersims
seine Meditation. Frère Jean-Pierre trat in den früh anbrechenden Nächten mit dem Rosenkranz ans Geländer. Christian,
der Prior, sagte: „Diese Landschaft ist die Braut meiner Träume,
unvollständig, aber einzigartig.“ Es war auch die unwegsame
Landschaft seines Todes.
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Das TrappistenKloster neunzig
Kilometer südlich
von Algier.
Schönes,
brutales Land
Der Friedhof von Tibhirine ist wie das Land ringsum: „Schön,
aber brutal“, so hat Camus Algerien beschrieben, „leidend und
leidenschaftlich“. Gräber in rotbrauner Erde. Keine Gitter,
keine Hecke, man geht einfach hindurch. Der Tod kennt keine
Absperrungen. Die kleinen schrägen Steine gleichen, bis auf
die Kreuzzeichen, denen der nahe gelegenen muslimischen
Begräbnisstätte Sidi-Ranousch. Nicht zuviel Ehre dem Tod, es
reicht der Schatten einer alten Zypresse. Die sieben Gräber in
der vorderen Reihe tragen das gleiche Todesdatum. Die Brüder
Christian, Luc, Christophe, Michel, Bruno, Célestin und Paul
ruhen hier. Das heißt, nur das, was von ihnen blieb, als sie am 31.
Mai 1996 bei Medea auf einem weißen Seidentuch gefunden wurden: Nur die Köpfe, ihre Körper blieben für immer verschollen.
In dem von Djamel Zitouni, einem ehemaligen Hühnerzüchter,
unterzeichneten Kommunique 44 wurde dem französischen
Staatspräsidenten Chirac vorgeworfen, mit den Rebellen der
GIA nicht verhandeln zu wollen. Lapidar hieß es: „Sie haben den
Faden des Dialogs abgeschnitten. Wir unsererseits haben nun
den sieben Mönchen die Kehlen durchgeschnitten“.
Zwischen der Entführung und der Nachricht der Ermordung
lagen 56 schlimme Tage. Am 27. März 1996 waren um 1.15
Uhr zwanzig bewaffnete Männer in das Kloster eingedrungen.
Sie stiegen über das hohe Tor des Seiteneingangs und zwangen
den Pförtner, sie zu den Mönchen zu führen. „Gibt es denn nur
Türen in diesem Haus“, fluchte der misstrauische Anführer, „wo
vatican 8-9|2008 ist hier der Chef?“ Frère Christian erschien und bat um Gnade
für den 82-jährigen Frère Luc, der kaum noch gehen konnte und
unter Asthma litt. Doch es war nicht die Stunde der Gnade. Die
Entführer verlangten exakt sieben Mönche, zwei blieben allein
zurück. Die Zelle des Priors wurde verwüstet. Später fand man
auf dem Tisch seine letzte Lektüre: „Das Ostergeheimnis“ von
Durwel. Selbst der Sanitätsraum wurde durchsucht und zerstört.
Die Geschichte ist manchmal sonderbar: Nur etwas Käse aus der
Abtei Tamié blieb unberührt, auf dem Etikett befand sich das
Kreuz von Savoyen, die Bande hatte sich davor gefürchtet.
Während die Mönche in zwei Fahrzeugen weggeschafft wurden, fand man später, in sechshundert Meter Entfernung, auf
einer Piste, die ins Gebirge führt, den Kapuzenmantel von Frère
Michel, den dieser in letzter Sekunde mitgenommen hatte.
Ein weißes Mönchsgewand im Staub einer Bergstrasse. In den
Trappistenklöstern ist es das Zeichen der ewigen Gelübde. Die
beiden zurückgelassenen Brüder Amédée und Jean-Pierre standen unter Schock. Der Pförtner versteckte sich im Garten. Die
Telefonkabel waren durchgeschnitten, nur noch Spuren des
Überfalls. Dann gingen sie in die Kapelle und beteten die Vigil,
die jede Nacht um 3. 30 Uhr mit einem dreimaligen Gebetsruf
beginnt: „Gott komm mir zu Hilfe. Herr eile mir zu helfen“. Erst
im Morgengrauen schlugen sie Alarm.
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Die Komplet
in den Bergen
Tibhirine bietet seitdem ein gespenstisches Bild. Über die
Heiterkeit der Gärten haben sich schwere Schatten gelegt. Die
von Frère Paul angelegten Bewässerungssysteme verkümmern. In
der Kapelle, die sich in einem ehemaligen Weinkeller befand, bleiben sieben Plätze leer. Der Altar ist ein geschnitzter Schranktisch
mit uralten christlichen Motiven und den bunten Zipfeln eines
gewebten islamischen Tuches. Die von Frère Christian entworfene Kreuz-Ikone trägt das Zeichen INRI in arabischen Lettern.
Vor dem Marienbild hatten sie jeden Abend das Salve Regina
zur Mutter der Barmherzigkeit gesungen. „Vielleicht“, sagte der
Kuhhirte Ali, „singen sie es ganz leise hoch oben in den Bergen.“
Vor dem Gästehaus, in dem Christen und Muslime die Nähe der
Mönche suchten, blühen noch immer Rosen und Geranien, doch
sind alle Flure verwaist. Kurioserweise hatte man die Fenster
im Parterre des ockerfarbenen Gebäudes vergittert, als sollten
wenigstens die Besucher vor Zugriffen geschützt werden. Nur auf
den Steinfließen im Kreuzgang flimmert noch immer das gelbe
und rote Licht der Glasfenster hinter den kleinen maurischen
Säulen. Frère Christian hatte oft vor der Romantik in westlichen
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Klosterbildbänden gewarnt: „Wenn das Gebet sich nicht einen
freien Weg bahnt, wird es nicht der Kreuzgang sein, der diesen
Raum schafft“.
Das Gartenkloster Tibhirine war eine demütige Mischung
aus traditioneller Zisterzienser-Bauweise und einem letzten Dorf
am Wüstenrand. Alles hatte seinen festen Platz, wie ihn die
Gebräuche des strikten Ordens vorschreiben, aber doch etwas
milder und im Kleinformat. Im „Speisesaal“ stand ein Gartenstuhl
für den wöchentlichen Vorleser. In der Küche roch es nach
Couscous, Zuchchini, Tomaten und Knoblauch. Der Wein aus
dem eigenen Wingert war schwer und dunkel. Frère Christian
sagte den Brüdern: „Die Inkarnation beginnt in der Küche.“
Nach dem Essen wurde schweigend gespült. Ein Nebenraum
mit breitem Tisch diente als „Kapitelsaal“, einige Klapppulte als
„Skriptorium“. Im Schlafsaal, zunächst noch mit einer Pritsche
in nach oben offenen Zellen, gab es nur Vorhänge, die nachts im
Wind hin und her flatterten. Vor dem Konzil fand hier freitags
nach dem Nachtoffizium eine Selbstgeißelung statt, die man in
scheuer Diskretion als „Disziplin“ verharmloste.
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Auf dem Foto
sind sechs der sieben
ermordeten Trappisten
von Tibhirine zu sehen.
Fotos: dpa
Was schiebt
sich zwischen uns?
Die Bibliothek war nicht minder schlicht, es herrschte der Geist
des Vorläufigen. Die Mönche erlernten mit Kasettenrekorder
die arabische Sprache ihrer Nachbarn. Sie hatten keine
Missionierungsabsichten, wollten nur „Beter unter Betern“ sein.
Sie schätzten die wichtigen Suren des Korans. „Ribât-al-Salam“,
so hieß ihr Gesprächskreis, in dem Alawiy-Sufis und Söhne des
heiligen Benedikt spirituelle Erfahrungen austauschten. Die „lectio divina“ im Morgengrauen umfasste die Zisterzienserautoren
Bernhard von Clairvaux, Aelred von Rielvaux oder Wilhelm
von Thierry: „Aber wenn Du doch bei mir bist: Warum bin ich
dann nicht auch bei Dir? Was hindert mich daran? Was schiebt
sich zwischen uns?“ Doch fehlten auch nicht die Dichter unserer
Zeit.
Der „toubib“, Dr. med. Luc, hielt in seiner Räuberhöhle
kostenlose Sprechstunden ab. Während des Algerienkrieges
hatte er tagsüber Fremdenlegionäre und im Schutze der
Nacht die Muadjedin behandelt. In seiner Sterbestunde
wünschte er sich das Lied von Edith Piaf „Non, je ne regrètte rien“. Er war früher schon einmal für einige Tage in die
Hände der Befreiungsfront FLN geraten. Doch darüber sprach
man nicht. Hörten sie nachts die dumpfen Einschüsse der
Bürgerkriegsparteien, sagten die Mönche: „Wenn sie zu den
Waffen greifen, greifen wir zum BUCH“. Die Front verlief ringsum im unsicheren Bergland. Im Kloster hießen die
Soldaten der Armee „unsere Brüder der Ebene“, die GIARebellen „unsere Brüder aus den Bergen“.
Am 14. Dezember 1993 schnitt ein GIA-Kommando vierzehn
kroatischen Bauarbeitern, nur wenige Kilometer vom Kloster entfernt, die Kehle durch. Es war ein Racheakt wegen christlich-muslimischer Attentate im Bosnienkrieg. In der Heiligen Nacht 1993
erschienen sie erstmals im Kloster. Im Schatten der Marienstatue
trat der Prior dem Anführer Sayeh Atyah entschlossen entgegen
und lehnte die Forderung nach Geld, sofortiger medizinischer
Unterstützung und der Übergabe aller Medikamente ab: „Ihr
stört das Fest des Friedensprinzen, das Weihnachtsfest“, sagte
vatican 8-9|2008 Christian. „Das wusste ich nicht“, antwortete Atyah, „aber wir
kommen wieder“.
Wenige Tage später, am Neujahrstag 1994, hat Frère Christian
de Chergé sein Testament verfasst, das seit dem Tod der sieben
Mönche weltweit von Millionen erschütterter Menschen gelesen
worden ist. In seinem Dank an die Eltern, Schwestern, Brüder
und Freunde schließt er auch seinen Mörder mit ein: „Auch Du,
Freund der letzten Minute, der Du nicht weißt, was Du tatst. Ja,
auch für Dich will ich diesen DANK und dieses A-DIEU, das Du
beabsichtigt hast. Möge es uns geschenkt sein, uns als glückliche
Schächer im Paradies wieder zu sehen, wenn es Gott, dem Vater
von uns beiden, gefällt. AMEN! Inch’Allah!“
Die Frage, wer die Mörder waren, hält seit zwölf Jahren
Minister und Geheimdienstler in Atem. Der ehemalige Prokurator
des Trappisten, Armand Veilleux, der zusammen mit Generalabt
Bernardo Oliveira darauf bestanden hatte, die offenen Särge
zu sehen, und darin nur die wieder ausgegrabenen Köpfe entdeckte, ist von einem Komplott der algerischen Armee überzeugt.
Absicht sei es gewesen, die Weltöffentlichkeit gegen die Guerilla
und ihre Brutalitäten aufzubringen. Die Enthüllungen überbieten
alle Schrecken aus Schurkenromanen. Zuletzt erklärte ein anonym gebliebener, in Finnland untergetauchter Funktionär, die
Morde seien durch eine vom Sicherheitsdienst in die algerische
Armee eingeschleuste islamische Gruppe verübt worden. Von
einem im Hinterland von Medea operierenden Hubschrauber aus
habe ein Oberst irrtümlich die Feuerstelle eines Biwaks im Gebirge
beschossen, in dem die Trappisten festgehalten wurden. Die
Luftwaffenbasis erhielt den Funkspruch: „Wir haben eine Idiotie
begangen, wir haben die Mönche getötet“.
Kloster und Gärten liegen lange leer. Die Trappisten haben
auf den Plan einer Neubesiedelung verzichtet und sich im marokkanischen Berberland von Midlet, zweihundert Kilometer südlich von Fès niedergelassen. Genug der Aufklärungen. Nichts als
Stille. Die Gräber in den Gärten von Tibhirine verheißen eine ganz
andere Enthüllung.
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