Vorwort - schule.at
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Vorwort - schule.at
Vorwort Die vorliegende Arbeit ist das Resultat meiner persönlichen Auseinandersetzung mit der Frage, wie verschieden die Stellung der Frau, je nach sozial-kulturellem und politischem Umfeld, sein kann. Es fällt auf, dass es nicht nur Unterschiede zwischen Kulturen gibt, sondern, dass auch innerhalb eines Kulturkreises das Rollenbild der Frau unterschiedlich bewertet wird. So zeigt sich allgemein, dass politische, soziale und kulturelle Entwicklungen auch in der Gesellschaft Auswirkungen haben. Diese gesellschaftliche Entwicklung spiegelt sich auch in meiner Familie. Meine Oma entspricht dem Bild der Hausfrau in den 50er-Jahren und meine Mutter versucht im Sinne der Forderungen in den 80er und 90er Jahren den Spagat zwischen Karriere und Mutterrolle zu schaffen. Für meine Generation wird sich die Frage stellen, ob es wieder ein Revival des „Hausmütterchen-Images“ geben wird oder es in Richtung „Karriere mit Kind“ gehen wird. Während der letzten Jahrzehnte ist das Frauenbild in unserer westlichen Gesellschaft stark im Wandel. Weibliche Selbstentfaltung mit und ohne weibliche Berufstätigkeit versus Mutterrolle im traditionellen Sinne steht im Brennpunkt der Diskussionen. An Feiertagen wie Muttertag zeigt sich, wie verschieden die Zugänge zu diesem Thema sind.1 Meine Fachbereichsarbeit soll aufzeigen, dass sich auch in der antiken Gesellschaft das Rollenbild der Frau verändert hat. Ein weiterer Motivationsgrund für das Verfassen einer Fachbereichsarbeit war, dass ich Erfahrungen im wissenschaftlichen Arbeiten sammeln wollte. In meiner gesamten Schulzeit war ich stets bemüht Referate und Präsentationen sorgfältig vorzubereiten. Nun konnte ich mit meiner Fachbereichsarbeit ein für mich interessantes Thema umfangreicher als bisher bearbeiten. Zudem durfte ich in Hinblick auf mein Studium bereits in Quellensuche, Informationsverarbeitung und Zitieren Einblicke gewinnen. So kann ich, wie ich hoffe, mit meiner Fachbereichsarbeit mein Können unter Beweis stellen. Worte des Dankes möchte ich drei Personen aussprechen: Zum einen Herrn Mag. Martin Wöber, meinem Lateinprofessor, der mich zu dieser Fachbereichsarbeit ermutigte, mir nötige Fachliteratur zur Verfügung stellte und mir kompetente Hilfestellungen gab. Zum anderen Frau Dr. Petra Buchner, die mir im unverbindlichen Freifach „Einführung ins wissenschaftliche Arbeiten“ vor allem die Zitierregeln näher brachte. Zum dritten Frau Mag. Sonja Wiesinger, die mir mit Sachkenntnis und Geduld zur Seite stand. Ganz besonders danke ich ihr für viele persönliche und intensive Fachgespräche, durch die ich immer bestärkt wurde meinen Weg der Fachbereichsarbeit zu gehen. Dominique Alexandra Lackner, am 20. Februar 2008 1 Gedanken zu diesem Thema finden sich bei: Müller, Daniela; „Fest der gemischten Gefühle“, Salzburger Nachrichten, S. V, Samstag, 12.Mai 2007 Radisch, Iris; „Wie wollen wir leben?“. Interview in Buchjournal Sommer 2007; S. 12ff. Hechmati, Jackie; „Schwestern, vereinigt euch!“; Woman Nr.10; 11.5.2007, S. 36 Römische Frauen im Lauf der Jahrhunderte anhand von ausgewählten Beispielen Inhaltsverzeichnis Einleitung ....................................................................................................................................... 3 1. Rechtliche Stellung der Frau im historischen Abriss ........................................................ 5 2. Die römische Frau in der Frühzeit ...................................................................................... 9 a. b. c. 3. Frauen in der späten Republik und in der frühen Kaiserzeit......................................... 21 a. b. c. 4. Geliebte in der Dichtung................................................................................................. 22 Catull und seine Lesbia................................................................................................... 23 Ovid, der Dichter der „Frau von Welt“ ........................................................................ 26 Familie in der späten Kaiserzeit bis zur Spätantike.........................................................30 a. b. 5. Das Ideal der römischen Matrone ................................................................................... 9 Lucretia bei Livius I, 57,5-58,11..................................................................................... 12 Rezeptionsgeschichte des Lucretiastoffes...................................................................... 17 Formen der Ehe und des Zusammenlebens.................................................................. 31 Plinius und seine Calpurnia, die ideale Ehefrau .......................................................... 32 Zusammenfassendes Schlusswort ...................................................................................... 36 Literatur- und Quellenverzeichnis ............................................................................................ 37 Abbildungsverzeichnis ................................................................................................................ 40 2 Einleitung „Auch die Geschichte der römischen Frau ist die Geschichte einer allmählichen Emanzipation.“2 In der Antike bedeutet das jedoch nur, dass sich die römische Frau im privatrechtlichen Bereich zum Teil große Freiräume erschlossen hat. Juristisch gesehen ist sie aber bis in die Spätantike dem Mann nicht gleichgestellt. Auch in der Politik hatte sie keinerlei Mitspracherecht, sie konnte kein öffentliches Amt bekleiden und nicht wählen. Ihr Bereich als domina war das Haus. Weiters muss dazu gesagt werden, dass der Grad der Emanzipation sowohl in der Antike als auch in der jetzigen Gesellschaft von der Schichtzugehörigkeit abhängig ist. Die meisten Überlieferungen betreffen angesehene Frauen. Die große Masse der Römerinnen, die Fremden oder die Sklavinnen, wurden von den Geschichtsschreibern einfach vergessen. An ihnen wäre aber die Stellung der Frau in der Gesellschaft am besten zu erforschen, da einige wenige herausragende Persönlichkeiten niemals das ganze Spektrum einer Gesellschaft abdecken können. So gelten die meisten Aussagen der folgenden Seiten vor allem für die Frauen aus besseren Kreisen. Beim Lesen der Texte muss man auch berücksichtigen, dass sie von Männern geschrieben worden sind.3 Spätere Geschichtsschreiber und Biographen zeigen sich durchaus häufig von den Persönlichkeiten und Taten berühmter Frauen fasziniert. Doch dieser Bewertung liegen ihre Idealvorstellung von wahrer Weiblichkeit zugrunde.4 Gesicherte Erkenntnisse besitzen wir lediglich über die Frauen, die Einfluss zu gewinnen wussten und für die Männer von höchstem Interesse waren. Am meisten jedoch wissen wir über Prostituierte und über Frauen, die in der Politik eine Rolle spielten, Bescheid. „Eine „gute“ Frau in Rom wurde meist mit stereotypen, phrasenhaften Lobpreisungen bedacht – in Athen wurde sie gar schlicht vergessen.“5 Nun möchte ich auch auf den gerade in unserer heutigen Zeit so viel verwendeten Begriff „Emanzipation“ zu sprechen kommen. In der Antike bedeutet Emanzipation (lat. emancipatio, -onis f.): Entlassung eines Kindes aus der väterlichen Gewalt. Emanzipation im heutigen Sprachgebrauch bedeutet: die Befreiung aus einem Zustand der Abhängigkeit, Entrechtung oder Unterdrückung, besonders die rechtliche und gesellschaftliche Gleichstellung benachteiligter Gruppen. Im Besonderen meint es, dass sich Frauen aus männlicher 2 ³ 4 5 Blank-Sangmeister, Ursula (Hg.); Römische Frauen, Ausgewählte Texte, Lateinisch/Deutsch, Stuttgart: Philipp Reclam jun. GmbH & Co., 2001, S. 11-15 vgl. The Oxford Classical Dictionary, p. 1623: “Almost all information about women in antiquity comes to us from male sources. Much recent work on women in antiquity looks not at ‘the position of women’ but at the creation of the concept ‘women’…. while seeing women as physically and mentally falling short of the ideal which is the adult male citizen.” Pomeroy, Sarah B.; Frauenleben im klassischen Altertum, Stuttgart: Alfred Kröner Verlag, 1985, S. X-XIII Blank-Sangmeister, Ursula (Hg.); Römische Frauen, Ausgewählte Texte, Lateinisch/Deutsch, S. 13 Pomeroy, Sarah B.; Frauenleben im klassischen Altertum, S. 359f. 3 Abhängigkeit befreien. Die Erweiterung im Inhalt des Begriffes muss bei der Verwendung mitbedacht werden. Bei der Lektüre der Fachliteratur stieß ich immer wieder darauf, dass auf die Einschränkung des Begriffes „Emanzipation“ aufmerksam gemacht wird. „Inwieweit tatsächlich von einer Emanzipation gesprochen werden kann, ist in der wissenschaftlichen Literatur umstritten“.6 So möchte ich abschließend festhalten, dass ich den Begriff „Emanzipation“ in Anlehnung an die Fachliteratur verwende. Der Leser möge sich aber des Bedeutungswandels des Begriffes bewusst sein: „Emanzipation“ der römischen Frau bedeutet daher keine Änderung ihres rechtlichen Status, sondern mehr Rechte im privaten Alltagsleben. Mit meiner Fachbereichsarbeit kann ich dem Leser nur einen ersten Einblick in die Stellung der Frau in der römischen Gesellschaft verschaffen. Ansatzweise wollte ich die vielen Gesichtspunkte des Frauenlebens aufzeigen. So stellt diese Arbeit einen Einstieg in das Thema dar und soll Neugierde und Interesse für dieses facettenreiche Thema erwecken. Das Literaturverzeichnis bietet Möglichkeiten sich in die einzelnen Aspekte über die römischen Frauen zu vertiefen. In diesem Zusammenhang möchte ich auch darauf hinweisen, dass ich in meiner Arbeit die römische Frau in der Arbeitswelt und im Kult nicht berücksichtige. In meiner Fachbereichsarbeit zeige ich in chronologischer Reihenfolge anhand von ausgewählten Texten Rollenverteilungen an die römische Frau und die Bandbreite weiblichen Verhaltens. Die Texte und Übersetzungen wurden von den in den Fußnoten angegebenen Herausgebern der Primärliteratur übernommen. Zugleich stelle ich eigene Gedanken und Interpretationsansätze in der Fachliteratur ausgehend von diesen Texten dar. 6 Blank-Sangmeister, Ursula (Hg.), Römische Frauen, Ausgewählte Texte, S. 11, Anm. 1 vgl. Brockhaus. Die Enzyklopädie, S. 334 vgl. Österreichisches Wörterbuch, S. 194 vgl. Der kleine Pauly, Bd.2, S. 255: „emancipatio wurde nach den Zwölftafelgesetzen eingeführt und bedeutet die Entlassung aus der väterlichen Gewalt. Dies geschah bei Haussöhnen durch dreimaligen Verkauf (mancipatio) an einen Vertrauensmann. Bei Töchtern und Enkeln genügte die einmalige mancipatio.” vgl. The Oxford Classical Dictionary, p. 522: “emancipation of this sort is the release of a son or daughter from patria potestas by a voluntary renunciation by the pater familias.” 4 1. Rechtliche Stellung der Frau im historischen Abriss Wie bereits in der Einleitung erläutert, ist die rechtliche Stellung der Frau in der Antike mit der in unserer heutigen Gesellschaft nicht vergleichbar. Der wesentliche Unterschied ist, dass die Frau als Rechtsperson dem Mann nicht gleichgestellt war.7 Die Frau hatte zudem keine politischen Rechte und war von der Erfüllung politischer Aufgaben ausgeschlossen. Begründet wurde diese rechtliche Minderstellung mit levitas animi und infirmitas sexus (Schwäche und Leichtsinn des weiblichen Geschlechts). In der römischen Frühzeit besaß das Familienoberhaupt, der pater familias, die uneingeschränkte Macht über alle Mitglieder der Familie: Frau, Söhne, Töchter, Schwiegertöchter, Kinder der Söhne, Sklaven und Sklavinnen. Diese uneingeschränkte Macht bezog sich nicht nur auf alle Rechtsgeschäfte und das gesamte Vermögen, sondern auch auf das Recht, über Leben und Tod (ius vitae necisque) jedes einzelnen Mitgliedes dieses Familienverbandes zu entscheiden. Auf Grund der Rechtslage hatte die Frau nicht denselben Wert wie der Mann. In den Zwölftafelgesetzen stand u.a., dass ein Vater verpflichtet war alle seine Söhne aufzuziehen, nicht jedoch alle seine Töchter. Dies hatte zur Folge, dass es über das biologische Verhältnis hinaus mehr Männer als Frauen gab. Zuweilen bekamen auch Frauen weniger zu essen als Männer. Hauptaufgabe der Frau war es legitime Nachkommenschaft zu gebären. Weibliche Sexualität wurde daher kontrolliert.8 Die römische Gesellschaft gründete sich auf die Familie. „Domus und familia sind die zentralen Begriffe. Die Bezeichnung des Wohnhauses, domus, umfasste auch die Familie, die darin wohnte.“ 9 Unter diesem gemeinsamen Dach lebt die soziale Einheit familia unter der Gewalt des ältesten männlichen Familienmitglieds, die erst mit dessen Tod erlosch. Die Ehe diente häufig der politischen Verbindung zwischen zwei mächtigen Familien. Mit ca. 13 Jahren wurden die jungen Mädchen bereits verheiratet. Eine Heirat beruhte in der römischen Oberschicht nur in den seltensten Fällen auf einer Liebesbeziehung. Sie wurde in der Regel von den Vätern oder einem männlichen Verwandten der Partner ausgehandelt. Dementsprechend distanziert war wohl auch das Verhältnis der Eheleute 7 8 9 vgl. The Oxford Classical Dictionary, p. 1623: ancient women lacked political rights vgl. Krefeld, Heinrich; Res Romanae, Cornelsen Hirschgraben, Bielefeld: Cornelsen Verlagsgesellschaft, 16. Auflage, 1998; S. 22 vgl. Scheer, Rudolf, Römische Kulturkunde, Wien: Franz Deuticke, 4.Auflage, 1988; S. 34f. vgl. The Oxford Classical Dictionary, p. 1623: “ancient women lacked political rights The Oxford Classical Dictionary, p. 1623: for all women, their main role was as bearers of legitimate children. Women must be tamed, instructed, and watched.” Burguière, André, Klapisch-Zuber, Christiane, Segalen, Martine, Zonabend, Françoise; Geschichte der Familie. Band1 Altertum, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1996, S. 277 5 zueinander.10 Der Ehe ging eine Verlobung voraus. Bei dieser Zeremonie (sponsalia) hatten die Väter die Aufgabe vor Zeugen ihre Kinder einander zu versprechen. Es gab 3 Arten der römischen Eheschließung: 1.) Die confarreatio (benannt nach dem Opferbrot - farreum), bei der die Ehegatten in feierlicher Form einen Speltkuchen darbrachten, war eine sakrale Handlung in Gegenwart des pontifex maximus und des flamen dialis, des Priesters des obersten Gottes und 10 Zeugen. Diese aufwändige Zeremonie in der Gegenwart wichtiger Priester sollte primär dem Akt der Eheschließung und dem Treuegelöbnis Gewicht verleihen, sie bewirkte aber auch den Übertritt in die manus des Ehemannes. Die confarreatio wurde hauptsächlich von reichen und traditionsbewussten Familien gepflegt. 2.) Die coemptio war ein fiktiver Verkauf. Dabei handelte es sich um einen regelmäßigen Vorgang zum Erwerb der manus. Der pater familias trat seine Tochter in einem Libralakt vor Zeugen und um einen symbolischen Kaufpreis an den Ehemann ab. Die Formel ubi tu Gaius, ego Gaia (wo du Gaius bist, bin ich Gaia), die dabei gesprochen wurde, bewahrte die Frau davor, in einen sklavenähnlichen Rechtsstatus zu kommen. 3.) Der usus, brachte durch einjähriges Zusammenleben dieselben Rechtsfolgen (wie bei 2.) hervor.11 Als mater familias hatte die Römerin eine angesehene Stellung in der Gesellschaft. Der römischen Frau oblagen wichtige Aufgaben: sie führte den Haushalt, beaufsichtigte die Haussklaven, erzog die Kinder und kümmerte sich zusammen mit ihrem Ehemann um den Kult der häuslichen Götter. Wenn die römische Frau auch in der Regel mehr Zeit im Hause als der Ehemann verbrachte, war ihr Leben doch bei weitem nicht so eingeschränkt wie das der griechischen Frau, die das Haus nur selten verließ. Die Römerin besuchte Theatervorstellungen, Gladiatorenkämpfe und Circusspiele, machte Einkaufsbummel und Besuche bei Freunden und Bekannten. Starb der pater familias, wurden die Frau und die Kinder zu Personen „eigenen Rechts“ (sui iuris) und durften damit zwar eigene Testamente abfassen, brauchten jedoch für ihr sonstiges Rechtshandeln weiterhin einen Vormund (tutor).12 Heiratete eine Tochter - die Zustimmung des pater familias war ursprünglich dafür unabdingbar - so blieb sie entweder weiter unter der potestas des Vaters oder wurde der 10 11 12 vgl. Oswald, Renate & Schuller, Michaela; Alltag im antiken Rom, von Arbeitsteilung bis Zirkusspiel, Lehrplan 2004, Wien: Wilhelm Braumüller, Universitäts-Verlagsbuchhandlung, 2005, S. 48f. vgl. Carcopino, J., Rom. Leben und Kultur in der Kaiserzeit. Stuttgart 1977, 2. verbesserte Auflage 1979 (Titel der inzwischen mehrfach überarbeiteten und erweiterten Originalausgabe: La Vie quotidienne à Rome à l' apogée de l' Empire. Paris 1939), S. 123ff vgl. Scheer, Rudolf; Römische Kulturkunde; S. 34f. vgl. Blank-Sangmeister, Ursula (Hg.), Römische Frauen, Ausgewählte Texte, S. 11ff Diese Arten der Eheformen beschreibt zusammenfassend der Jurist Gaius, Institutiones I, 109-113 6 Gewalt ihres Ehemannes (oder Schwiegervaters) unterstellt. Im ersten Fall wurde die Ehe sine manu, im zweiten cum manu geschlossen. Auch das Vermögen der Frau, aus Erbschaften und Schenkungen, fiel bei der manus-Ehe an den Gatten. „Sicherlich war dieser ökonomische Aspekt auch ein Grund dafür, warum diese Rechtsform im Laufe der Zeit an Beliebtheit verlor.“13 Bei der Ehe mit manus schied die Braut aus der väterlichen Gewalt (patria potestas) aus und begab sich stattdessen in die „Hand“ (manus) des Gatten. Entsprechend stark war ihre Abhängigkeit in einer solchen Beziehung. Bis zum Ende der Republik setzte sich deshalb zunehmend die manus-freie Ehe durch, bei der die Frau nicht in die Familie des Mannes eintrat, sondern ihren Familiennamen behielt und auch im Besitz ihres Vermögens blieb. Bei schlechter Behandlung durch ihren Mann konnte sich die Frau an ihre männlichen Verwandten um Hilfe wenden. In der Kaiserzeit war die manus-freie Ehe der Normalfall.14 Mit dem Rückgang der manus-Ehe seit dem Ende des 3. Jhdt.v. Chr. verbesserte sich auch die privatrechtliche Stellung der Frau. In der manus-freien Ehe blieb die Frau, bis sie 25 Jahre alt war, unter der Gewalt ihres Vaters und unterstand danach nur noch formal einem tutor. Ab der späten Republik erhält die Frau volle Verfügungsgewalt über das von ihr in die Ehe eingebrachte Vermögen. „Die Ehe ist zu einer Beziehung auf Zeit“ 15 geworden. Sie konnte nun selbst die Scheidung einreichen und über ihr eigenes Vermögen selbstständig verfügen. So erweiterten sich, zumal im Zuge einer allgemeinen, durch hellenistisches Denken beeinflussten Liberalisierung der Gesellschaft, auch die Möglichkeiten ihrer Lebensgestaltung erheblich. Ab dem Ende der Republik im 1. Jhdt.v. Chr. und mit Beginn der frühen Kaiserzeit ist die Frau damit so weit „emanzipiert“, dass sie überall am römischen Gesellschaftsleben teilnehmen kann. In der Fachliteratur wird aber vor allzu großer Begeisterung über die Erweiterung der Möglichkeiten der Frau gewarnt. „Die Gewalt hat sich nicht gelockert, … die Frauen werden nun gleichsam in Umlauf gebracht, sie bleiben dabei aber an das Vaterhaus gebunden“. 16 Scheidungen wurden mit wenig Aufheben durchgeführt. Frauen wurden gewissermaßen an andere Männer weitergegeben, um legitimen Nachwuchs in den aristokratischen Familien zu sichern.17 13 14 15 16 17 Blank-Sangmeister, Ursula (Hg.), Römische Frauen, Ausgewählte Texte, S. 12 vgl. Oswald, Renate & Schuller, Michaela, Alltag im antiken Rom, S. 46 Burguière, André, Klapisch-Zuber, Christiane, Segalen, Martine, Zonabend, Françoise; Geschichte der Familie. Band1 Altertum, S. 289 Burguière, André, Klapisch Geschichte der Familie. Band1 S. 289 vgl. Späth, Thomas – Wagner, Hasel, B. (Hgg.); Frauenwelten in der Antike. Geschlechterordnung und weibliche Lebenspraxis, Stuttgart: Verlag J.B. Metzler, Sonderausgabe, 2006, S. 32ff Burguière, André, Klapisch-Zuber, Christiane, Segalen, Martine, Zonabend, Françoise; Geschichte der Familie. Band1 Altertum, S. 289-320 7 Von einem gewissen Liberalisierungsprozess kann man jedoch sprechen. In augusteischer Zeit bildet sich nämlich das „reaktionäre“ Ideal der gesitteten häuslichen Matrone heraus, „was nur Sinn macht, wenn man es als Gegenentwurf zur gelebten Realität begreift.“18 War die Ehe eigentlich als eine lebenslange Verbindung beider Partner ausgelegt, so kam es in der Praxis häufig zu Scheidungen, was bei der pragmatischen Grundstruktur der meisten Verbindungen nicht verwunderlich erscheint. Eine Ehe konnte in beiderseitigem Einverständnis oder durch einseitige Willenserklärung eines Partners geschieden werden. Eine Begründung war formal ebenso wenig erforderlich wie die Einschaltung einer staatlichen oder juristischen Instanz. Die traditionelle Formel einer einseitig gewollten Scheidung war tuas res tibi habeto (habe deine Sachen für dich) oder tuas res tibi agito (kümmere dich um deine Dinge). Bei einer Scheidung war der Mann verpflichtet, der Frau ihre Mitgift (dos) zurückzuerstatten, außer er konnte seiner Gattin einen Ehebruch nachweisen. Von der römischen Ehefrau verlangte die Gesellschaft absolute moralische Untadeligkeit, während Männer diesen Anspruch nicht erfüllen mussten und ihnen im Falle einer Scheidung wegen eines Ehebruchs keine finanziellen Nachteile erwuchsen.19 In der Kaiserzeit verlor die Ehe an Reiz, und man musste Maßnahmen zu ihrer Förderung ergreifen. In diesem Zusammenhang ist insbesondere das ius trium liberorum zu nennen. Dieses „Drei-Kinder-Recht“ wurde ab Kaiser Augustus verliehen, um der sinkenden Geburtenrate entgegenzuwirken. Für die Frauen bedeutete dieses Recht Befreiung von einigen Beschränkungen durch die Vormundschaft, für Männer Bevorzugung bei Ämtervergabe und Befreiung von gewissen Steuern.20 Erst durch diese unter Kaiser Augustus erlassene lex Iulia et Papia konnten freigeborene Frauen, die drei oder vier Kinder geboren hatten und die Personen „eigenen Rechts“ (sui iuris) waren, auf einen Vormund verzichten.21 Die zunehmende „Emanzipation“ zeigt sich auch an der - zwar nicht direkten - doch im Hintergrund gemachten politischen Einflussnahme. Einige schossen auch über das Ziel hinaus und eiferten den Männern auch in Verbrechen und Unsitten nach. Die Ehefrauen der Kaiser stellen hierbei die am besten untersuchte Gruppe dar. Die Kaiserzeit machte auch keine Ausnahmen in der allgemeinen juristischen Rechtslage für Frauen, zumindest offiziell; inoffiziell übten vor allem die Kaisergattinnen jedoch großen Einfluss auf die Tagespolitik aus.22 18 19 20 21 22 Blank-Sangmeister, Ursula (Hg.), Römische Frauen, Ausgewählte Texte, S. 12-13 vgl. Oswald, Renate & Schuller, Michaela, Alltag im antiken Rom, S. 61 vgl. Reclams Lexikon der Antike, S. 235 und 314 vgl. Oswald, Renate & Schuller, Michaela, Alltag im antiken Rom, S. 40 vgl. Scheer, Rudolf, Römische Kulturkunde, S. 34 8 2. Die römische Frau in der Frühzeit In der Frühzeit hatte die römische Frau - wie die griechische - im öffentlichen Leben keinen Platz, denn politische Rechte und die Erfüllung politischer Aufgaben lagen beim Mann. Heldentaten stammten aus der Sagenzeit und galten als Ausnahme. Im privaten Bereich hingegen besaß die römische Frau mehr Bewegungsfreiheit. Sie nahm Anteil an Literatur, Kunst und Wissenschaft und besaß oft einen hohen Bildungsgrad. Die junge Römerin wurde oft mit 12-14 Jahren verheiratet und trachtete danach als mater familias zahlreiche Söhne auf die Welt zu bringen. Einfachheit, Sparsamkeit, Fleiß und Frömmigkeit, sowie Fürsorge für Kinder und Verwaltung des Hauswesens waren die Eigenschaften, die von der römischen Frau – aus der männlichen Sicht - in der Frühzeit erwartet wurden. Dazu kam als spezifisch weibliche Tugend die Keuschheit pudicitia, die auf weiblicher Seite der virtus des Mannes entsprach. Besonders muss weiters die Arbeit am Webstuhl, lanificium, als Stereotype für die römische Frau genannt werden. Im Wort lanificium steckt lana (Wolle) und facio (machen). Neben lanificium wird auch der Begriff dedita lanae (der Wollarbeit ergeben; bedacht auf Wollarbeit; mit Wollarbeit eifrig beschäftigt) verwendet. In allen bäuerlichen Gesellschaften sind Tätigkeiten, wie Wolle zu spinnen, Stoffe zu weben und Kleidung für die Familie zu nähen, Frauenarbeit. Dies galt als sehr ehrenwerte Tätigkeit selbst in vornehmen Kreisen, doch viele Frauen zogen es vor, fertige Stoffe zu kaufen oder die Kleiderfertigung Sklavinnen zu überlassen. Die Wollarbeit wird neben der praktischen Notwendigkeit „sozusagen der Inbegriff von Keuschheit (castitas).“23 Als weitere besondere Tugend galt es eine univira zu bleiben.24 Viele Grabinschriften zeigen diese Ideale einer römischen Matrone. a. Das Ideal der römischen Matrone Um die obigen Ausführungen mit Texten zu belegen, habe ich drei Grabinschriften ausgewählt, die das Idealbild einer verheirateten Frau, zeigen. I) Hospes, quod deico, paullum est; asta ac pellege: Heic es sepulcrum hau pulchrum pulcrai feminae. Nomen parentes nominarunt Claudiam. Suom mareitum corde deilexit souo. Gnatos duos creavit. Horunc alterum in terra linquit, alium sub terra locat. 23 Gschwandtner, Helfried; Brandstätter, Christian (Hg.); Latein-Lektüre aktiv: Livius; öbv&hpt; Wien; 2002, S. 45 vgl. Krefeld, Heinrich, Res Romanae, Cornelsen Hirschgraben, Bielefeld: Cornelsen Verlagsgesellschaft, 16. Auflage, 1998, S. 22 24 9 Sermone lepido, tum autem incessu commodo. Domum servavit, lanam fecit. Dixi, abei. Corpus Inscriptionum Latinarum (CIL) VI 15346 Fremdling, was ich sage, ist kurz; bleib stehen und lies: Hier ist das nicht schöne Grab einer schönen Frau. Mit Namen nannten die Eltern sie Claudia. Ihren Gatten hat sie von ganzem Herzen geliebt. Zwei Kinder brachte sie zur Welt: eines von beiden lässt sie auf Erden zurück, eines unter der Erde beigesetzt. Ihre Rede war anmutig, ihr Gang indes gefällig. Sie hütete das Haus, spann Wolle. Ich bin zu Ende, geh! 25 Claudia, der diese Grabinschrift gewidmet ist, entspricht dem Ideal einer römischen Frau: sie hat Kinder geboren, sie führte den Haushalt und spann Wolle. II) Incomparabilis coniux, mater bona, avia piissima, pudica, religiosa, laboriosa, frugi, efficaxs, vigilans, sollicita, univira, unicuba, [t]otius industriae et fidei matrona. Inscriptiones Latinae selectae (DE) 8444 (Thelepete, Numidien) (Sie war) eine unvergleichliche Gattin, gute Mutter, überaus liebevolle Großmutter, züchtig, fromm, fleißig, brav, energisch, wachsam, besorgt; sie war nur einmal verheiratet, teilte nur mit einem das Lager; sie war eine Frau voller Tatkraft und Verlässlichkeit. 26 Neben den stereotypen Adjektiven piissima und pudica findet sich hier das Beispiel der vielgerühmten univira. III) Hic sita est Amymone Marci optima et pulcherrima, lanifica, pia, pudica, frugi, casta, domiseda. Corpus inscriptionum Latinarum (CIL) VI 11 602 Hier ruht Amymone, die Frau des Marcus; sie war sehr gut und sehr schön, spann Wolle, war fromm, sittsam, sparsam, keusch, häuslich. 27 Auch in dieser Inschrift werden die typischen Adjektive, die das Ideal einer römischen Frau kennzeichnen, verwendet, wie zum Beispiel: lanifica, pia und pudica. 25 26 27 Text und Übersetzung aus: Blank-Sangmeister, Ursula (Hg.), Römische Frauen, Ausgewählte Texte, S. 34 Text und Übersetzung aus: Blank-Sangmeister, Ursula (Hg.), Römische Frauen, Ausgewählte Texte, S. 36 Text und Übersetzung aus: Blank-Sangmeister, Ursula (Hg.), Römische Frauen, Ausgewählte Texte, S.17 10 Bereits nach der Lektüre von einigen Grabinschriften sah ich die Ausführungen in der Fachliteratur bestätigt. „Spinnen und Weben waren nach konservativer Auffassung die für eine ehrbare Frau angemessenen Tätigkeiten und das Symbol ihrer pudicitia. Dieses Stereotyp hielt sich bis in die Kaiserzeit, in der die häuslichen Textilarbeiten zumindest in der Oberschicht aber keine Rolle mehr spielten.“28 Obwohl im offiziellen Moralkodex der augusteischen Zeit von den Frauen vor allem keusche Sittsamkeit gefordert wurde, deckt sich „diese konservative „Nestideologie“ mit dem betont erosfeindlichen Schema der römischen Matrone mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit so wenig wie mit der politischen.“29 Kaiser Augustus, der diese Erziehungsgrundsätze bewusst förderte, wandte diese auch bei seiner Tochter und seinen Enkelinnen an. In der Biographie über Augustus, verfasst von C. Suetonius Tranquillius, heißt es in Kapitel 64,2: „Filiam et neptes ita instituit, ut etiam lanificio assuefaceret.“30 Auch hier taucht das Wort „lanificio“ auf. Das Erlernen dieser Fertigkeiten war ein Teil der klassischen Ausbildung von Mädchen, „wie es bis weit ins 20. Jahrhundert hinein das Sticken, Stricken und Häkeln gewesen sind“.31 Erwähnenswert ist, dass Theorie und Praxis auch in der Familie des Augustus auseinanderklaffen. Trotz seiner Bemühungen in seiner Familie das Tugendideal einer römischen Frau zu verwirklichen, scheiterte Augustus darin. Denn bereits in Kapitel 65 schreibt Sueton: Iulias, filiam et neptem, omnibus probris contaminatas relegavit; … Aliquanto autem patientius mortem quam dedecora suorum tulit. Nam C. Lucique casu non adeo fractus, de filia absens ac libello per quaestorem recitato notum senatui fecit abstinuitque congressu hominum diu prae pudore, etiam de necanda deliberavit. Die beiden Iuliae, seine Tochter und seine Enkelin, schickte er in die Verbannung, da sie sich mit allen nur denkbaren Schandtaten befleckt hatten; … Augustus ertrug aber den Tod der Seinen weit gefasster als ihre Schandtaten; so trug er an dem Tod von Gaius und Lucius nicht allzu schwer, über seine Tochter aber unterrichtete er den Senat in seiner Abwesenheit dadurch, dass er einen Quästor ein Schreiben vorlesen ließ; er selbst hielt sich aus Scham lange Zeit von einer Begegnung mit der Öffentlichkeit fern, ja er erwog sogar Selbstmord.32 28 29 30 31 32 Blank-Sangmeister, Ursula (Hg.), Römische Frauen, Ausgewählte Texte, S. 191 Anmerkung 3 Blank-Sangmeister, Ursula (Hg.), Römische Frauen, Ausgewählte Texte, S. 192 Anmerkung 17 Text und Übersetzung aus: Sueton; Augustus, Lateinisch/Deutsch, übersetzt und herausgegeben von Dietmar Schmitz; Stuttgart: Philipp Reclam jun. GmbH & Co., 1988, S. 100 vgl. Oswald, Renate & Schuller, Michaela, Alltag im antiken Rom, von Arbeitsteilung bis Zirkusspiel, S. 45 Text und Übersetzung aus: Sueton; Augustus, Lateinisch/Deutsch, übersetzt und herausgegeben von Dietmar Schmitz, S. 100-103 11 Auf einen weiteren Aspekt des Frauenlebens in der Frühzeit möchte ich noch hinweisen. Nach altrömischem Recht konnte der Ehemann seine beim Ehebruch ertappe Frau straflos töten. Dies galt als Bestandteil seiner patria potestas, der Gewalt des Familienoberhauptes. Erst die Lex Iulia de adulteriis, erlassen unter Kaiser Augustus, machte Ehebruch zum Verbrechen: Eine Frau war des Ehebruchs schuldig, wenn sie verheiratet war und sexuelle Beziehungen mit irgendeinem anderen Mann als ihrem Ehegatten hatte, ein Mann hingegen nur, wenn die Frau, mit der er Beziehungen unterhielt, verheiratet war; sein eigener Personenstand war nicht von Bedeutung.33 b. Lucretia bei Livius I, 57,5-58,11 Der Autor Livius34, 59v.-17n.Chr., setzt in seinem Werk, in dem er die altrömischen Tugenden verherrlicht, die Politik von Kaiser Augustus fort.35 Er stellt in seiner praefatio (Vorrede)36 dar, aus welchen moralischen Kräften heraus Rom zu seiner Größe heranwuchs und welche Sitten und Bräuche den moralischen Verfall Roms einleiteten. Zu diesen Römertugenden gehören virtus für die Männer und pudicitia für die Frauen. Livius zeichnet mit seiner Lucretia-Erzählung ein Genrebild der Marcantonio Raimondi, Lucretia, ca.1510/11, idealen Römerin, wie es eben auch von Augustus' Politik der Kupferstich moralischen Erneuerung propagiert wurde. Lucretia war die Tochter des Lucretius Spurius Tricipitinus, eines bei den Römern überaus angesehenen Mannes und Gattin des Tarquinius Collatinus aus der königlichen Familie der Tarquinier. Sie war berühmt für ihre Schönheit und noch mehr für ihre Tugendhaftigkeit. Damals, im 6. Jhdt.v. Chr., herrschte Tarquinius Superbus. Als Tarquinius Superbus die Stadt Ardea belagerte, nahm Lucretias´ Mann Collatinus an dieser militärischen Aktion teil. Eines Abends setzten sich die Söhne des Königs bei einem Mahl im Zelte des Sextus Tarquinius, darunter auch Collatinus, 33 34 35 36 vgl. Gschwandtner, Helfried; Brandstätter, Christian (Hg.); Latein-Lektüre aktiv: Livius; öbv&hpt; Wien; 2002; S. 47 vgl. Howatson, M. C.; Reclams Lexikon der Antike. Stuttgart 1996, bibliografisch ergänzte Auflage 2006. (Titel der englischen Originalausgabe: The Oxford Companion to Classical Literature. Second Edition. Oxford-New York 1989.), S. 178f. vgl. The Oxford Classical Dictionary, p. 879: “He believed that a serious moral decline had taken place by his own time, and appears to have lacked confidence that Augustus could reverse it. Livy doubtless shared Augustus` ideals, …” Livius; Ab urbe condita Liber I, Römische Geschichte 1. Buch, Lateinisch/Deutsch, übersetzt und herausgegeben von Robert Feger, Stuttgart: Philipp Reclam jun. GmbH & Co., 1981, S. 4-9 12 zusammen und beredeten, nachdem der Wein die Gemüter erhitzt hatte, die Tugendhaftigkeiten und Ehrbarkeiten ihrer jeweiligen Frauen. Man schloss eine Wette ab und ritt nach Hause. Lucretia entsprach den Beschreibungen ihres Mannes, denn man fand sie in schlichter Kleidung, umringt von ihren Mägden, am Spinnrad beschäftigt. 57 (5) Regii quidem iuvenes interdum otium conviviis comisationibusque inter se terebant. (6) Forte potantibus his apud sex. Tarquinium, ubi et Collatinus cenabat Tarquinius, Egeri filius, incidit de uxoribus mentio. Suam quisque laudare miris modis; (7) inde certamine accenso Collatinus negat verbis opus esse : paucis id quidem horis posse sciri, quantum ceteris praestet Lucretia sua. “Quin, si vigor iuventae inest, conscendimus equos invisimusque praesentes nostrarum ingenia? Id cuique spectatissimum sit, quod necopinato viri adventu occurrerit oculis.” (8) Incaluerant vino; “Age sane” omnes; citatis equis avolant Romam. Quo cum primis se intendentibus tenebris pervenissent, pergunt inde Collatiam, (9) ubi Lucretiam haudquaquam ut regias nurus, quas in convivio luxuque cum aequalibus viderant tempus terentes, sed nocte sera deditam lanae inter lucubrantes ancillas in medio aedium sedentem inveniunt. Muliebris certaminis laus penses Lucretiam fuit. (10) Adveniens vir Tarquiniique excepti benigne; victor maritus comiter invitat regios iuvenes. Ibi Sex. Tarquinium mala libido Lucretiae per vim stuprandae capit; cum forma tum spectata castitas incitat. (11) Et tum quidem ab nocturno iuvenali ludo in castra redeunt. 58 (1) Paucis interiectis diebus Sex. Tarquinius inscio Collatino cum comite uno Collatiam venit. (2) Ubi exceptus benigne ab ignaris consilii cum post cenam in hospitale cubiculum deductus esset, amore ardens, postquam satis tuta circa sopitique omnes videbantur, stricto gladio ad dormientem Lucretiam venit sinistraque manu mulieris pectore oppresso “Tace, Lucretia”, inquint;”Sex. Tarquinius sum; ferrum in manu est; moriere, si emiseris vocem.“ (3) Cum pavida ex somno mulier nullam opem, prope mortem imminentem videret, tum Tarquinius fateri amorem, orare, miscere precibus minas, versare in omnes partes muliebrem animum. (4) Ubi obstinatam videbat et ne mortis quidem metu inclinari, addit ad metum dedecus : cum mortua iugulatum servum nudum positurum ait, ut in sordido adulterio nectata dicatur. (5) Quo terrore cum vicisset obstinatam pudicitiam velut vi victrix libido, profectusque inde Tarquinius ferox expugnato decore muliebri esset, Lucretia maesta tanto malo nuntium Romam eundem ad patrem Ardeamque ad virum mittit, ut cum singulis fidelibus amicis veniant; ita facto maturatoque opus esse; rem atrocem incidisse. (6) Sp. Lucretius cum P. Valerio, Volesi filio, Collatinus cum L. Iunio Bruto venit, cum quo forte Romam rediens ab nuntio uxoris erat conventus. (7) Lucretiam sedentem maestam in cubiculo inveniunt. Adventu suorum lacrimae obortae, quaerentique viro “Satin salve ?” “Minime”, inquint; “quid enim salvi est mulieri amissa pudicitia? Vestigia viri alieni, Collatine, in lecto sunt tuo; ceterum corpus est tantum violatum, animus insons; mors testis erit. Sed date dexteras fidemque haud impune adultero fore. (8) Sex. est Tarquinius, qui hosits pro hospite priore nocte vi armatus mihi sibique, si vos viri estis, pestiferum hinc abstulit gaudium.” (9) Dant ordine omnes fidem; consolantur aegram animi avertendo noxam ab coacta in auctorem delicti: mentem peccare, non corpus, et unde consilium afuerit, culpam abesse. (10) “Vos”, inquint, “videritis, quid illi debeatur : ego me etsi peccato absolvo, supplicio non libero ; nec ulla deinde impudica Lucretiae exemplo vivet.” (11) Cultrum, quem sub veste abditum habetat, eum in corde defigit, procapsaque in volnus moribunda cecidit. 57 (5) Die jungen Prinzen aber vertrieben sich bisweilen ihre freie Zeit mit gemeinsamen Banketten und Trinkgelagen. (6) Als sie einmal bei Sextus Tarquinius zechten, wo auch der Collatiner Tarquinius, der Sohn des Egerius, speiste, kam das Gespräch auf die Ehefrauen. Jeder pries die eigene in den höchsten Tönen; (7) als daraufhin ein Streit entbrannte, sagte der 13 Collatiner, es bedürfe keiner Worte: Innerhalb weniger Stunden könne man wissen, wie sehr seine Lucretia den anderen Frauen überlegen sei: „Warum, wenn wir die Kraft der Jugend in uns haben, besteigen wir nicht die Pferde und überprüfen an Ort und Stelle den Charakter unserer Frauen? Für einen jeden soll das entscheidend sein, was bei der unvermuteten Ankunft des Ehemannes vor Augen tritt!“ (8) Der Wein hatte sie erhitzt: „Auf geht’s!“, riefen alle; im gestreckten Galopp ritten sie nach Rom. Als sie gleich nach Anbruch der Dunkelheit die Stadt erreicht hatten, begaben sie sich sofort weiter nach Collatia, (9) wo sie Lucretia vorfanden. Anders als die Schwiegertöchter des Königs, die sich, wie sie gesehen hatten, bei einem ausschweifenden Gastmahl mit ihren Gefährtinnen die Zeit vertrieben, war sie noch bis spät in die Nacht mit ihrer Wollarbeit beschäftigt und saß mitten im Haus unter ihren bei Licht arbeitenden Sklavinnen. Im Wettstreit der Frauen wurde Lucretia der Sieg zugesprochen. (10) Bei der Ankunft wurde der Ehemann und die Tarquinir zuvorkommend aufgenommen; der siegreiche Gatte lud die königlichen Prinzen freundlich ein. Da packte den Sextus Tarquinius die schändliche Lust, Lucretia Gewalt anzutun; dazu reizte ihn ihre Schönheit, vor allem jedoch ihre über jeden Verdacht erhabene Keuschheit. (11) Damals indes kehrten sie von ihrem nächtlichen jugendlichen Wettspiel erst einmal ins Lager zurück. 58 (1) Wenige Tage später begab sich Sextus Tarquinius ohne Wissen des Collatiners mit nur einem Gefährten nach Collatia. (2) Nachdem er dort – man ahnte ja nichts von seinen Absichten- freundlich aufgenommen und nach dem Abendessen in ein Fremdenzimmer geführt worden war, begab er sich, als die Situation ausreichend sicher und alle zu schlafen schienen, von Liebe verzehrt, mit gezücktem Schwert zu der schlafenden Lucretia, drückte seine linke Hand auf die Brust der Frau und sagte: „Schweige, Lucretia! Ich bin Sextus Tarquinius; in meiner Hand ist ein Schwert; du wirst sterben, wenn du ein Wort sagst!“ (3) Als die Frau aus dem Schlaf aufschreckte und sah, dass es keine Hilfe gab und ihr der Tod kurz bevorstand, da gestand ihr Tarquinius seine Liebe, bat sie, vermischte seine Bitten mit Drohungen und versuchte durch Überredungskünste aller Art, die Frau zum Nachgeben zu bewegen. (4) Doch als er sah, dass sie unbeugsam war und sich nicht einmal in ihrer Todesangst umstimmen ließ, fügte er zu ihrer Angst noch die Schande hinzu: Er werde, sagte er, wenn sie tot sei, einen Sklaven, dem er die Kehle durchgeschnitten habe, nackt neben sie legen, so dass es heißen werde, sie sei bei einem schändlichen Ehebruch getötet worden. (5) Nachdem aufgrund dieses Schreckbilds die Begierde über die standhafte Keuschheit sozusagen gewaltsam gesiegt hatte und Tarquinius, trotzig stolz auf seine Eroberung weiblicher Ehre, wieder abgereist war, schickte Lucretia, tiefbekümmert über ein solch großes Unglück, einen Boten nach Rom zum Vater und dann weiter nach Areda zu ihrem Gatten mit der Bitte, sie sollten mit je einem treuen Freund zu ihr kommen; dies müsse sein, und zwar rasch; etwas Entsetzliches sei geschehen. (6) Spurius Lucretius kam mit Publius Valerius, dem Sohn des Volericus, der Collatiner mit Lucius Iunius Brutus, mit dem er gerade auf dem Rückweg nach Rom war, als ihm der Bote seiner Frau begegnete. (7) Sie fanden Lucretia voller Trauer in ihrem Schlafgemach sitzen. Bei der Ankunft ihrer Angehörigen brach sie in Tränen aus und auf die Frage ihres Mannes „Ist bei dir alles in Ordnung?“ antwortete sie: „Überhaupt nicht. Wie könnte nämlich für eine Frau alles in Ordnung sein, wenn sie ihre Ehre verloren hat? Die Spuren eines fremden Mannes sind, Collatiner, in deinem Bett; doch nur der Körper ist geschändet, das Herz ist unschuldig; mein Tod wird dafür Zeuge sein! Gebt mir aber eure Rechte und das Versprechen, den Ehebrecher nicht straflos davonkommen zu lassen! (8) Sextus Tarquinius ist der Mann, der sich als Feind und nicht als Gast in der vergangenen Nacht mit Gewalt und bewaffnet eine mir und – wenn ihr Männer seid - auch ihm Verderben bringende Freude hier genommen hat.“ (9) Der Reihe nach gaben sie ihr ihr Wort; sie trösteten sie in ihrem Kummer, indem sie der Genötigten die Schuld nahmen und sie dem Urheber des Verbrechens zuwiesen: Der Geist sündige, nicht der Körper, und wo die Absicht gefehlt habe, gebe es auch keine Schuld. (10) „Ihr“, sagte sie, „mögt zusehen, was jener verdient. Auch wenn ich mich von Schuld losspreche, so befreie ich mich nicht von der Strafe; von nun an wird keine 14 unsittliche Frau unter Berufung auf das Beispiel der Lucretia mehr leben können!“ (11) Und sie stieß sich das Messer, das sie unter ihrem Gewand verborgen hatte, ins Herz, fiel nach vorn auf die Wunde und brach sterbend zusammen.37 In der gesamten Literatur, insbesondere der antiken, wurde Lucretia zum Idealtypus einer keuschen und sittsamen Frau emporgehoben.38 Denn die Geschichte von Lucretia verdeutlicht die Wichtigkeit der idealen Eigenschaften einer römischen Frau in der Antike. „Ideale Eigenschaften“ meint wohl aus der Sicht derer, die sie verherrlichen. Vergewaltigungen waren in der Antike nur in juristischer Hinsicht interessant. Die Gefühle des Opfers fanden keine Beachtung, vielmehr ging es bei vergewaltigten Frauen um die Garantie der Legitimität der Nachkommen.39 „Für Lucretia bedeutet ihr Freitod Wiedergutmachung des an der Familie entstandenen Schadens.“ 40 Das Recht des Ehemannes oder eines männliches Verwandten, eine beim Ehebruch überraschte Frau zu töten, ist Teil der patria potestas. Indem Lucretia ihre männlichen Verwandten zusammenruft, versammelt sie diejenigen ihrer Verwandten, die sie im Falle eines Ehebruchs aburteilen durften. Lucretia brachte sich um, damit künftig keine untreue Frau sich auf ihr Schicksal berufen könne und somit unbestraft davon komme konnte. Durch ihren Tod hatte sie ihre Ehre wiederhergestellt, damals, wie es scheint, der einzige Weg. „Die Vergewaltigung stellt eine menschliche Extremsituation dar, Lucretias Selbstmord eine nicht weniger extreme, heroische Tat.“ 41 So heroisch wie Lucretia dürften aber wohl die wenigsten römischen Frauen gewesen sein.42 Diese Idealisierung entspricht, so denke ich, auch einer Suche nach Vorbildern in einer Zeit, in der es entsprechende Mangelerscheinungen gab.43 An dieser Stelle möchte ich noch einmal auf die Biographie über Augustus (Kap.65) verweisen: certe cum sub idem tempus una ex consciis liberta Phoebe suspendio vitam finisset, maluisse se ait Phoebes patrem fuisse. 37 38 39 40 41 42 43 Text und Übersetzung aus: Blank-Sangmeister, Ursula (Hg.), Römische Frauen, Ausgewählte Texte, S. 70ff vgl. Späth, Thomas – Wagner, Hasel, B. (Hgg.); Frauenwelten in der Antike, S. 220f. vgl. Gschwandtner, Helfried; Brandstätter, Christian (Hg.); Latein-Lektüre aktiv: Livius; S.49 Holtermann, Martin; Die Faszination der Lucretia-Gestalt; . Rezeptionsdokumente und ihre Behandlung im Lateinunterricht, in: Ianus. Informationen zum altsprachlichen Unterricht Nr. 26/2005, Graz: Manumedia Verlag Schnider, 2005, S. 27 Holtermann, Martin; Die Faszination der Lucretia-Gestalt, S. 20 vgl. Oswald, Renate & Schuller, Michaela, Alltag im antiken Rom, S. 58 vgl. The Oxford Classical Dictionary, p. 888: “Particularly in Livy, Lucretia becomes a paradigm of the Roman matrona (married woman), heroic in her resolute adhesion to the code of female castity. In reality, however she is the victim not only of male violence but also of the ideology of a patriarchal society.” 15 Jedenfalls meinte er, als ungefähr zu derselben Zeit die Vertraute Iulias, eine Freigelassene mit Namen Phoebe, ihrem Leben durch Erhängen ein Ende gesetzt hatte, er hätte lieber der Vater von Phoebe sein wollen. 44 Für den Leser liegt es nun nahe zu vermuten, dass sich Augustus gewünscht hätte, seine Tochter und seine Enkelin wären dem mahnenden exemplum Lucretiae gefolgt und hätten sich umgebracht. Für mich noch interessanter war es dann bei Sueton weiter zu lesen, denn wenn der Leser so von Augustus´ Seitensprüngen und der Vorliebe für junge Mädchen erfährt, wird deutlich, wie sehr das Frauen- und Männerbild auseinanderklafft. Daran hat sich bis heute nicht viel verändert: Für junge Mädchen gilt es „ehrbar“ zu bleiben, um, wie es im Volksmund heißt, „geheiratet zu werden“, für junge Männer gilt es sexuelle Erfahrungen vor der Ehe zu machen. Deutlich wird, dass außereheliche geschlechtliche Beziehungen nach wie vor konträr bewertet werden. Die Gestalt der Lucretia hat mich persönlich dazu angeregt, allgemein über Sexualität, Gewalt und Freitod nachzudenken und zu recherchieren. Beim Lesen der Lektüre wurde mir verstärkt bewusst, wie sehr eine Vergewaltigung die Frau als Opfer in ihrem Selbstwert zerstört. „Vergewaltigung ist in erster Linie kein sexueller Akt, sondern hat die Erniedrigung des Opfers, die Zerstörung der sozialen Existenz zum Ziel.“45 Diesen Satz habe ich im Kopf, wenn ich über Frauenschicksale und Gewalt an Frauen in Büchern, Zeitschriften und Tageszeitungen lese oder in Nachrichten höre. Auch Lucretias Folgereaktion auf die Vergewaltigung wirft Fragen auf, die immer wieder gestellt werden. Warum bringt sie sich um? War ihr Selbstmord eine „gute“ oder eine „schlechte“ Tat? Welches Frauenbild haben wir, welche Vorstellung von Schuld, wenn wir ihre Tat billigen oder ablehnen? Persönlich möchte ich anmerken, dass für mich das Lob an Lucretia überzogen ist. Denn ich finde, dass damit der „Wert“ einer Frau über die „Person“ gestellt wird. Aus der Sicht einer heutigen Frau in unserer modernen Gesellschaft ist es „eigenartig“, dass sich Lucretia nicht mehr wertvoll fühlt, wenn sie durch die Vergewaltigung Eigenschaften wie keusch, sittsam und univira verliert. Doch andererseits, wenn man bedenkt, dass auch noch heute viele Vergewaltigungen nicht angezeigt werden, gewinnt man den Eindruck, dass Frauen Vergewaltigungen nach wie vor als „Schande“ empfinden. 44 45 Text und Übersetzung aus: Sueton; Augustus, Lateinisch/Deutsch, übersetzt und herausgegeben von Dietmar Schmitz, S. 102-103 Holtermann, Martin; Die Faszination der Lucretia-Gestalt, S. 23 16 Literarisch gesehen wird Lucretia ein Denkmal gesetzt, historisch gesehen löste diese Gewalttat des Sextus Tarquinius beim Volk einen Aufruhr aus. Die Königsgegner aus dem Hause der Tarquinier nutzten diese Gelegenheit und stürzten das unbarmherzige Regime. Dies markierte 510 v.Chr. die Vertreibung einer etruskischen Königsdynastie und den Anfang der römischen Republik. Somit gehört "Die Schändung der Lucretia" zum Gründungsmythos der Römischen Republik. Einen geschichtlichen Nachweis für diesen Mythos oder die beteiligten Personen gibt es nicht. Am Einzelschicksal der Lucretia spiegelt sich auch in übertragenem Sinn die politische Geschichte Roms. „In Lucretia wird die res publica vergewaltigt, die Rache für das ihr zugefügte Verbrechen bedeutet die Befreiung von der Unrechtsherrschaft.“ 46 c. Rezeptionsgeschichte des Lucretiastoffes Die Rezeption des Lucretia-Stoffes in Literatur, Kunst und Musik zieht sich bis in die heutige Zeit. „Die Interpretationen und Wertungen, die die Gestalt erfährt, entsprechen der Vielzahl der Adaptionen. Sie reichen von der orthodoxen Verurteilung der Selbstmörderin über die politische Aktualisierung, die ehediktatische Assimilierung bis zur karikaturistischen Verzerrung, die aus der keuschen Lucretia die Hure Lucretia macht“.47 Einen hervorragenden Überblick über die Rezeptionsgeschichte des Lucretiastoffes bietet Elisabeth Frenzel in ihrem Nachschlagewerk „Stoffe der Weltliteratur“. 48 In meiner Arbeit kann ich nur einige Beispiele anführen. • Ovid (43v. - 17n. Chr.) stellt in seinem Werk Fasti eher die Erotik der Fabel in den Mittelpunkt als die Gefühle der Lucretia. • Augustinus (354 - 430n. Chr.) kommentiert in seinem Werk De civitate dei Lucretias’ Selbstmord mit folgenden Worten: „Wenn sie sich also, obwohl selbst keine Ehebrecherin, das Leben nahm, weil sie sich des Ehebrechers nicht erwehren konnte, so tat sie es nicht aus Liebe zur Keuschheit, sondern aus schwächlichem Schamgefühl. Denn sie schämte sich der fremden Schandtat, die gegen ihren Willen an ihr begangen ward und fürchtete als allzu ehrgeizige Römerin, wenn sie lebend 46 47 48 Holtermann, Martin; Die Faszination der Lucretia-Gestalt, S. 25 Boccaccio, Giovanni; De claris mulieribus, Die Großen Frauen, Lateinisch/Deutsch, ausgewählt, übersetzt und kommentiert von Irene Erfen und Peter Schmitt, Stuttgart: Philipp Reclam jun. GmbH & Co., 1995, S. 244 Frenzel, Elisabeth; Stoffe der Weltliteratur, Stuttgart: Alfred Kröner Verlag, 9.Auflage, 1998, S. 471-475; dieser Literaturhinweis gilt für das gesamte Kapitel Rezeptionsgeschichte 17 ertrüge, was ihr lebend widerfuhr, man möchte glauben, sie habe es sich nicht ungern, sondern gern gefallen lassen. Darum meinte sie, den Menschen als Zeugnis ihrer reinen Gesinnung, selbstvorgezogenes Strafgericht vor Augen führen zu müssen, da sie ihnen reines Gewissen nicht vorweisen konnte. Denn sie schämte sich, für mitschuldig gehalten zu werden, [...].“49 Im christlichen Kontext wird Lucretia gerne als exemplum für unbedingte Keuschheit und konsequente Selbstopferung herangezogen. Doch Augustinus leitet, wie aus der obigen Übersetzung zu entnehmen ist, aus Lucretias Selbstmord den Verdacht ab, sie selbst sei nicht von Schuld bzw. Mitschuld frei. „Dieser Text ist einer der provokativsten in der ganzen Lucretia-Rezeption“.50 Aber ist sie wirklich provokativ? Oder spiegelt sich darin nur männliche Argumentation, welche mir beim Lesen der Lektüre auffiel? In so vielen Berichten über Frauenschicksale wird immer wieder erwähnt, wie bei Befragungen (zum Beispiel durch die Polizei) oder Interviews unterschwellig Fragen nach Bekleidung und eigenem Verhalten gestellt werden. So oft wird die Opfer- mit der Täterrolle vertauscht. 51 Mindern mögliche Lustempfindungen des Opfers die Schuld des Täters? Solche Fragestellungen finden sich regelmäßig bei Vergewaltigungsprozessen und verwirren auch Opfer. • In den Gesta Romanorum (13. Jhdt.n. Chr.)52 wird die Erzählung allegorisch gedeutet. Lucretia steht für Seele und ihr Selbstmord für Buße und somit Erlösung der sündhaften Seele. Moralisacio: Carissimi, Lucretia nobilis domina est anima a deo per baptismum lota et deo conjuncta. Sextus est diabolus, qui nititur minis et muneribus animam violare. … et tunc gladio penitencie te ipsum occide i.e. vicia et peccata exstirpa, … Moralisation: Meine liebsten Freunde, Lucretia, die edle Frau, ist die in der Taufe durch Gott gereinigte und mit Gott verbundene Seele. Sextus ist der Teufel, der darauf aus ist, die Seele mit Drohungen und Geschenken zu vergewaltigen. … und dann töte dich selbst mit dem Schwert der Buße, d.h., rotte deine Fehler und Sünden aus, …53 Die Lucretia-Geschichte war ein Lieblingsstück der Renaissance. • Dante (1265 -1321) lässt die Römerin Lucretia zur Heldin der nationalen Geschichte werden. Lucretia wird am Ende des 4. Gesanges der Göttlichen Komödie gemeinsam mit anderen großen Persönlichkeiten der Antike erwähnt. Sie gehört zu denen, die sich 49 50 51 52 53 zitiert nach: Rogge, Ina, Lektüre Latein, Die Frau im Antiken Rom, S. 56-57, Anm. 4 Holtermann, Martin; Die Faszination der Lucretia-Gestalt, S. 26 Äußerungen wie diese: „Selber schuld, wenn sie sich so anzieht“ ; „ Frauen wollen das so!“ Tusculum Lexikon, S. 289: Gesta Romanorum sind eine anonyme Sammlung erbaulicher, besonders der römischen Geschichte und Legende entnommener und für Predigten bestimmte Erzählungen, deren Kern am Ende des 13. Jhdts. vermutlich in England oder Deutschland entstanden ist. Text und Übersetzung aus: Gesta Romanorum, Lateinisch/Deutsch, ausgewählt, übersetzt und herausgegeben von Rainer Nickel, Stuttgart: Philipp Reclam jun. GmbH & Co., 1991, S. 162/163 18 nichts zuschulden kommen hat lassen, nur leider das Pech hatte, zu früh (vor Christus) geboren worden zu sein. • Boccaccio (1313-1375), erzählte die Lucretia-Geschichte nach Livius. Er gestaltete sie mehrfach in seinen Werken und zitierte sie auch wiederholt in seinem Werk De claris mulieribus. Dieses Werk ist für das 14. bis 16. Jhdt.n. Chr. ein historischmythologisches Kompendium, dient aber auch als Ausgangspunkt für moralische Fragen. „Es dient dabei der frauenfreundlichen Diskussion wie der misogynen Propaganda“.54 Boccaccio, mit persönlicher pessimistischer Grundhaltung zu Frauen, versucht in seinem Werk eine umfassende Darstellung des weiblichen Charakters. Anhand der Frauengestalten werden weibliche Laster und Tugenden dargestellt und bewertet. So entwirft er an positiven und negativen Beispielen „einen orthodoxen Moralkodex für Frauen“.55 Er lobt die tugendhafte Frau und die Vorbildlichkeit Lucretias.56 Boccaccio beginnt seine Geschichte über Lucretia mit den Worten: Lucretia romane pudicitie dux egregia, atque sanctissimum vetuste parsimonie decus, [...] Lucretia, die große Fürstin römischer Keuschheit und heiligster Zier altehrwürdiger Bedürfnislosigkeit [...].57 Das Lob Lucretias bei Boccaccio impliziert den Vorwurf, dass in der Gegenwart (von Boccaccio) solche keuschen Frauen fehlen. Im deutschsprachigen Raum war das Werk des Boccaccio sehr beliebt und daher steht die Tugendhaftigkeit der Lucretia im Mittelpunkt. • Shakespeare (1564 – 1616) nimmt in seinem Epos The rape of Lucrece den LucretiaStoff auf. Ausgangspunkt für sein Epos ist die Schilderung des Collatinius über die Tugend seiner Gattin. In diesem Zusammenhang wird die Begierde des Sextus geweckt. Sextus geht zugrunde, während Lucretia unter die Ritter tritt und Rache fordert. Im Zeitalter des Barock schwinden die scharfen Gegensätze der Lucretia und des Sextus und die inneren Kämpfe und Leiden werden sichtbar. In der Zeit der Aufklärung wird Lucretias Selbstmord als Unvernunft dargestellt und die heroischen Ideale herabgesetzt. Das 18. Jhdt.n. Chr. würdigte die sozialpolitische 54 55 56 57 Boccaccio, Giovanni; De claris mulieribus, S. 263 Boccaccio, Giovanni; De claris mulieribus, S. 274 Frenzel, Elisabeth, Stoffe der Weltliteratur, S. 473 Text und Übersetzung aus: Boccaccio, Giovanni; De claris mulieribus, S. 158-159 19 Komponente des Lucretia-Stoffes. Während der französischen Revolutionszeit entstehen Werke mit republikanischer Gesinnung. • Das befreite Rom (1756/57) von Lessing (1729 – 1781) stellt Lucretia als rasende Rächerin dar, welche das Volk gegen die Herrscherfamilie aufwiegelt und sich schließlich ersticht. Im 19. Jhdt.n. Chr. besteht vermehrt Interesse an den psychologischen Aspekten der Lucretiageschichte. • Im Werk Brutus und Collatinus (1865) von A. Lindner hetzt die Mutter des Sextus aus Eifersucht den Sohn zur Notzucht auf. Im 20. Jhdt.n. Chr. ist dieses Thema nur noch von geringem Interesse, da sich die sittlichen Anschauungen stark gewandelt haben. Abschließend komme ich nun zu einem Beispiel für eine bildliche Rezeption. Ausgewählt habe ich: Die Lektüre des Artikels von Martin Holtermann hat mir erst die Augen geöffnet, wie sehr im Bild eine Textinterpretation steckt. Auffallend bei Cranach ist die Nacktheit Lucretias´ und interessant fand ich diesen Deutungsansatz: „Die Nacktheit wird als Symbol für die keusche Reinheit ihres Körpers, als Andeutung der erotischen Komponente des Geschehens oder als Merkmal, um Lucretia von anderen suizidalen matronae unterscheiden zu können. … Sie wird somit als Anreiz für den (männlichen) Betrachter verstanden, der seine begehrlichen Blicke auf die Frau als Objekt richtet – nicht viel anders als Tarquinius seine Blicke auf Lucretia gerichtet hatte.“ 58 58 Holtermann, Martin; Die Faszination der Lucretia-Gestalt, S. 28 20 3. Frauen in der späten Republik und in der frühen Kaiserzeit Mit der Expansion des römischen Weltreiches kommt es auch zu Veränderungen in Gesellschaft und Kultur. Der Staat der Römer wird von einem Bauernstaat zu einem modernen Weltreich. Mit dem Rückgang der manus-Ehe seit dem Ende des 3. Jhdt. v. Chr. Römisches Mädchen (um verbesserte sich auch die privatrechtliche Stellung der Frau. In der 50 n.Chr.) manus-freien Ehe blieb die Frau, bis sie 25 Jahre alt war, unter der Gewalt ihres Vaters und unterstand danach nur noch formal einem tutor. Sie konnte nun selbst die Scheidung einreichen und über ihr eigenes Vermögen selbstständig verfügen. So erweiterten sich, zumal im Zug einer allgemeinen, durch hellenistisches Denken beeinflussten Liberalisierung der Gesellschaft, auch die Möglichkeiten ihrer Lebensgestaltung erheblich. „Obwohl in der Oberschicht die von der gens verfügten politischen Zweckehen [...] so wenig aussterben wie Frühverheiratungen der Töchter durch den Vater oder Vormund [...] kann doch im allgemeinen die Frau eine Ehe selbstständig schließen und lösen“.59 Ab dem Ende der Republik im 1. Jhdt.v. Chr. und mit Beginn der frühen Kaiserzeit ist die Frau damit so weit „emanzipiert“, dass sie überall am römischen Gesellschaftsleben teilnehmen kann.60 Die Frauen der Oberklasse erhielten auch ausreichende Ausbildung, um am intellektuellen Leben der Männer teilzunehmen. „Intellektuelle und künstlerische Fähigkeiten waren dem guten Ruf einer Frau keineswegs abträglich.“61 Im Zuge der größer gewordenen privatrechtlichen Freiräume in der späten Republik gewinnt aber auch das Rechtshandeln der Frauen an Boden und die Gesetzgebung des Augustus befreite eine freigeborene Frau, die drei Kinder zur Welt gebracht hatte (ius liberorum) offiziell von der männlichen Bevormundung.62 Weiterhin bleibt aber römischen Frauen, die das römische Bürgerrecht besaßen, sowohl das aktive als auch das passive Wahlrecht versagt. Offiziell konnten sie somit nicht Einfluss nehmen, doch gibt es viele Beispiele für politische Aktivitäten von Frauen der Oberschicht. Herauszuheben ist hier unter anderem Fulvia, die, in dritter Ehe mit Marcus Antonius verheiratet, an den Proskriptionen nach Caesars Tod beteiligt gewesen sein soll und die Interessen ihres Mannes nach dessen Abreise in den Osten in Rom vertrat. Auch im 59 60 61 62 Blank-Sangmeister, Ursula (Hg.), Römische Frauen, Ausgewählte Texte, S. 196, Anmerkung 64. vgl. Blank-Sangmeister, Ursula (Hg.), Römische Frauen, Ausgewählte Texte, S. 12 Pomeroy, Sarah B.; Frauenleben im klassischen Altertum, S. 260ff. vgl. Pomeroy, Sarah B.; Frauenleben im klassischen Altertum, S.230ff. 21 Perusinischen Krieg gegen Octavian spielte sie eine aktive Rolle. „Die Feindseligkeit, die sie hervorrief, ist ein Gradmesser für die reale politische Macht, die Frauen ihres Schlages, sei es durch ihren Reichtum oder durch ihren Einfluss auf wichtige politische Persönlichkeiten, ausübten.“63 In der Kaiserzeit ist bei den Frauen der privilegierten Schichten das Interesse an Literatur und Kunst genauso verbreitet wie bei den Männern. Auch gibt es nicht wenige Zeugnisse von Frauen, die Gedichte oder Memoiren schreiben.64 Mit dem Ende der Republik erweiterten sich die Rechte der Frau auf ihre Kinder. Denn bis jetzt blieben die Kinder nach einer Scheidung beim Vater, nun wurde auch der Mutter das formelle Recht hinsichtlich der Kinder im gleichen Maße wie dem Vater zugesprochen. So bekam neben der agnatio, also der männlichen und vorerst einzigen legitimen Verwandtschaft, nach dem Ende der Republik auch die cognatio, die Verwandtschaft auf weiblicher Seite, eine Bedeutung zugeschrieben. a. Geliebte in der Dichtung Frauen, die nicht dem Klischeebild des tugendhaften „Heimchens am Herd“ entsprachen, erregten das Missfallen, aber auch das Interesse ihrer männlichen Zeitgenossen. Dementsprechend voll ist die lateinische Literatur von „lasterhaften Emanzen“. Hochgebildet, politisch interessiert, finanziell unabhängig, schön und sich in ihren Beziehungen nicht unbedingt auf einen einzigen Mann beschränkend, erschütterten sie die Grundfesten des idealtypischen Normensystems.65 Einer solchen schillernden Frauenpersönlichkeit begegnen wir bei Sallust in der Gestalt der Sempronia, der man maßgebliche Beteiligung an der so genannten „Catilinarischen Verschwörung“ des Jahres 63 v.Chr. nachsagt. Sed in iis erat Sempronia, quae multa saepe virilis audaciae facinora commiserat. haec mulier genere atque forma, … fortunata fuit; litteris Graecis Latinis docta, psallere et saltare elegantius quam necesse est probae, … sed ei cariora semper omnia quam decus atque pudicitia fuit; pecuniae an famae minus parceret, haud facile discerneres; lubido si adcensa, ut saepius peteret viros quam peteretur. … verum ingenium eius haud absurdum: posse versus facere, iocum movere, sermone uti vel modesto vel molli vel procaci; prorsus multae facetiae multusque lepos inerat. Übrigens befand sich unter ihnen auch Sempronia, die schon viele Untaten geliefert hatte, welche oft männlichen Wagemut verlangten. Diese Dame war durch ihre Abkunft und Schönheit, … in einer recht glücklichen Lage; sie war wohlunterrichtet in griechischer und lateinischer Literatur, konnte kunstgerechter musizieren und tanzen, als es für eine anständige Frau nötig ist, … Doch war ihr immer schon alles andere lieber als Ehrbarkeit und Keuschheit. Ob sie mit ihrem Geld oder ihrem guten Ruf weniger schonend umging, hätte 63 64 65 Pomeroy, Sarah B.; Frauenleben im klassischen Altertum, S. 284 vgl. Blank-Sangmeister, Ursula (Hg.), Römische Frauen, Ausgewählte Texte, S. 197, Anmerkung 72. vgl. Oswald, Renate & Schuller, Michaela; Alltag im antiken Rom, S. 65 22 man nicht leicht entscheiden können; ihre Sinnlichkeit war so entfacht, daß sie häufiger Männer begehrte als selbst begehrt wurde. … Dabei war sie kein ungeschickter Kopf: sie verstand es, Verse zu machen, Scherz zu treiben, ein Gespräch sittsam oder schnippisch oder auch anzüglich zu führen; kurz sie besaß viel Witz und viel Charme. 66 Bei der Lektüre zu Frauengestalten in der Republik fiel mir auf, dass die meisten Frauen, die sich, so scheint es, aus ihrer begrenzten Welt befreit haben, negativ dargestellt werden. „Möglicherweise wollte Sallust in dieser einen Frau auch die Emanzipation vieler vornehmer Damen treffen, die seinen strengen Moralbegriffen widerstrebte.“67 Aber auch heute, finde ich, werden diese Frauen oft mit abschätzigen Beurteilungen wie „Emanze“, „Partyluder“, „Femme fatale“ und ähnlichen abgeurteilt. Eine weitere prominente „Emanze“, die sich nicht mit einem einzigen Mann begnügen wollte, war Clodia, Gattin das Metellus Celer. Clodia stammte aus einem der angesehensten Adelshäuser der Stadt. Sie galt als eine der engagiertesten Frauenrechtlerinnen ihrer Zeit, der späten Republik, und war schon deshalb den konservativen Kräften suspekt. Cicero, der dem weiblichen Geschlecht insgesamt sehr kritisch gegenüberstand, klagte sie heftig an: wegen ihrer Ausschweifungen, ihrer Liebhaber und ihrer Aufenthalte im mondänen Badeort Baiae.68 Cicero bezeichnet sie als Quadrantaria (Viergroschenhure). Clodia galt als die „Lebedame“ in Roms Gesellschaft und war für ihre zahlreichen Liebschaften berüchtigt, unter anderem hatte sie eine leidenschaftliche Affäre mit dem um elf Jahre jüngeren Dichter Catull. b. Catull und seine Lesbia Catull69 stammte aus Verona, ging nach Rom und schloss sich dem Dichterkreis der Neoteriker an. In Rom verliebte er sich in eine verheiratete, offenbar ziemlich prominente Frau, die er in seinen Gedichten „Lesbia“ nennt. Mit hoher Wahrscheinlichkeit war diese Geliebte Clodia. Mit dem Pseudonym Lesbia - das heißt Frau von der Insel Lesbos - erinnert Catull an die griechische Dichterin Sappho. „Der Name Lesbia soll uns sagen, die so benannte Frau stehe in Nähe zur geistigen Sphäre jener begnadeten Lyrikerin aus archaischer Zeit.“ 70 Catull richtete 25 Gedichte an Lesbia, die sein Liebesabenteuer von den idyllischen Anfängen bis zum bitteren Ende aufzeichnen. 66 67 68 69 70 Text und Übersetzung aus: Sallust; Werke; Lateinisch/Deutsch, von Werner Eisenhut und Josef Lindauer; Zürich: Artemis & Winkler; 2. Auflage; 1994, Catilinae Coniuratio 25, 1-5 Sallust; Werke; Lateinisch/Deutsch, von Werner Eisenhut und Josef Lindauer, Anmerkung, S. 404 vgl. Oswald, Renate & Schuller, Michaela; Alltag im antiken Rom, S. 66 vgl. Reclams Lexikon der Antike, S. 133/134 Steinmann, Kurt; Meisterstücke der griechischen und römischen Literatur. Lateinisch/Deutsch, Stuttgart: Philipp Reclam Jun. GmbH&Co., 1998, S. 137 23 Er war der erste antike Poet, der die Entwicklung eines tiefempfundenen Liebesverhältnisses beschrieb.71 „Leben, Lieben und diese Liebe in verzückten Versen bedenken und preisen und feiern war für Catull eins.“72 Aus seinen Gedichten kann man schließen, dass Catull davon geträumt hat, mit ihr eine dauerhafte Beziehung abseits der gesellschaftlichen Normen führen zu können.73 Doch die Liaison zu seiner Herzensdame wurde zum einen dadurch erschwert, dass Clodia verheiratet war, und zwar mit ihrem Vetter Quintus Caecilius Metellus Celer - dieser Mann, in der Politik und in Heeresdiensten bewährt, im Jahre 60 sogar Konsul, war ein amusischer, spröder Mann, den Catull als „Maultier“ (Catull, c.83) verunglimpft, und zum anderen dadurch, dass Clodia sich nicht nur bei Catull entschädigte. 74 In seinen Gedichten beschreibt er glückliche Liebe, Eifersucht und bittere Enttäuschung. Ausgesucht habe ich zwei Gedichte, die gewissermaßen Anfang und Ende dieser Liebe, die, so finde ich, voll widersprüchlicher Gefühle war, auf sehr emotionale Weise zeigt. I) Catull, c.5, 1-9 Vivamus, mea Lesbia, atque amemus, rumoresque senum severiorum omnes unius aestimemus assis! soles occidere et redire possunt: nobis cum semel occidit brevis lux, nox est perpetua una dormienda. da mi basia mille, deinde centum, dein mille altera, dein secunda centum, deinde usque altera mille, deinde centum. Leben wollen wir, meine Lesbia, und uns lieben Und für alles Gemunkel allzu strenger Greise Nicht einen einzigen Heller geben! Sonnen können sinken und wiederkehren: Doch wenn uns einmal das kurze Lebenslicht untergegangen ist, müssen wir eine einzige ewige Nacht schlafen. Gib mir tausend Küsse, dann hundert, dann noch tausend und noch mal hundert Küsse, dann in einem fort weitere tausend, dann hundert.75 71 72 73 74 75 vgl. The Oxford Classical Dictionary, p. 303/304: He depicts her (Lesbia) as self-assured, beautiful, and cultured. But when he realizes that she had been false to him with a succession of partners, his happiness turns to despair. The ups and downs of this affair provide Catullus with the central theme of his poetry. The Lesbia cycle telling the story of Catullus` love affair from their first courtship through the height of passion to estrangement and the final break up of the affair. Steinmann, Kurt; Meisterstücke der griechischen und römischen Literatur S. 136 vgl. Oswald, Renate & Schuller, Michaela, Alltag im antiken Rom, von Arbeitsteilung bis Zirkusspiel, S. 67 vgl. Steinmann, Kurt; Meisterstücke der griechischen und römischen Literatur, S. 136f. Text und Übersetzung aus: Steinmann, Kurt, Meisterstücke der griechischen und römischen Literatur. Lateinisch/Deutsch, S. 137/138 24 II) Catull, c.11, 15-24 pauca nuntiate meae puellae non bona dicta. cum suis vivat valeatque moechis, quos simul complexa tenet trecentos, nullum amans vere, sed identidem omnium ilia rumpens; nec meum respectet, ut ante, amorem, qui illius culpa cecidit velut prati ultimi flos, praetereunte postquam tactus aratro est. Meldet meinem Mädchen ein paar nicht freundliche Worte: Pack sie sich und lebe mit ihren Hurenböcken, deren sie aufs Mal dreihundert in ihren Armen hält, keinen wahrhaft liebend, sondern nur immerfort die Lenden aller zerrüttend! Nicht rechne sie wie früher mit meiner Liebe, die durch ihre Schuld dahinsank, wie die Blume am Wiesenrand, nachdem der Pflug sie gestreift hat.76 In Clodia sieht Catull ein würdiges Spiegelbild seiner selbst. Sie besitzt einen unabhängigen Geist, literarische Bildung, Witz, Schlagfertigkeit, kultivierte Umgangsformen, Empfindsamkeit und Schönheit. Clodia lässt sich eine Zeitlang von Catulls Liebe ganz in Besitz nehmen. Doch hat sie schon vor Catulls Erscheinen eine selbstbewusste Rolle in der Gesellschaft gespielt. Catull musste einen hohen Preis für seine Liebe zahlen, die ihm gesetzlich nicht gehörte. Entgegen seiner einfühlsamen Haltung zur Ehe glaubte er an „aeternum hoc sanctae foedus amicitiae“ (immerwährenden Bund heiliger Freundschaft)77, der neben Clodias Ehe bestehen könne. Doch diese ideale Überhöhung hielt auf Dauer der konkreten Wirklichkeit nicht stand. Catull schrieb sich seine eigene Tragödie – und der Nachwelt unsterbliche Gedichte. 76 77 Text und Übersetzung aus: Steinmann, Kurt, Meisterstücke der griechischen und römischen Literatur. Lateinisch/Deutsch, S. 150/151 Catull, Sämtliche Gedichte Lateinisch/Deutsch, carmen 109 25 c. Ovid, der Dichter der „Frau von Welt“ Nachdem Rom im 2. und 1. Jhdt. v. Chr. die unumstrittene Vorherrschaft im Mittelmeerraum errungen hatte, etablierte sich unter der reichen Oberschicht ein Trend zum Luxus. Man sammelte wertvolle Kunstgegenstände, kaufte erlesenen Schmuck - besonders beliebt waren Perlen - und exquisite Parfums, trug Kleider gefärbt mit wertvollem Purpur oder hauchzarte und durchsichtige aus Seidengaze.78 Mit Hilfe ihrer Sklavinnen putzten sich die Römerinnen heraus, entfernten die Körperhaare, benutzten duftende Cremes, schminkten sich stark, ließen sich komplizierte Frisuren – auch mit Hilfe von Echthaarteilen - machen, trugen kostbare Gewänder und auffallenden Schmuck. Die Römerinnen der Kaiserzeit hielten es mit der Toilette so wie die Orientalinnen noch heute: das Drum und Dran galt ihnen als Hauptsache.79 Die Damen der Gesellschaft widmeten sich der Musik, der Literatur, der Wissenschaft und dem Sport - so füllten sie ihre Mußestunden aus. „Sie hätten es als unwürdig empfunden, hätten sie daraus einen Beruf gemacht.“80 Für die „Frau von Welt“ war Ovid der Dichter schlechthin. Er gibt den Frauen Schönheitstipps zu den Themen Frisuren, Kleidung und Körperpflege. Ovid (43v.-17n.Chr.) gilt allgemein als Dichter der Liebe.81 Folgende Werke sind in diesem Zusammenhang zu nennen: • Amores (erotische Liebesgedichte) In den Elegien der Amores in 3 Büchern ist Corinna (puella), die umworben wird, Hauptperson. Sehr freizügiges, erotisches und zärtliches Stück, in dem es darum geht, wie man einen Partner gewinnt und die Zeichen des anderen Geschlechts zu verstehen weiß, zugleich aber auch Widerspiegelung von Dichtungstheorie. Es herrscht ein Spannungsfeld zwischen amator (Liebender) und poeta (Dichter). Geschrieben im Alter von etwa 30 Jahren. • Ars amatoria (Liebeskunst) Die Ars amatoria ist ein parodistisches Lehrgedicht in 3 Büchern über die Kunst der 78 79 80 81 vgl. Oswald, Renate & Schuller, Michaela, Alltag im antiken Rom, von Arbeitsteilung bis Zirkusspiel, S. 44, Anmerkung 9 Carcopino, J., Rom. Leben und Kultur in der Kaiserzeit S.234f und 237 Carcopino, J., Rom. Leben und Kultur in der Kaiserzeit, S. 255 vgl. Reclams Lexikon der Antike, S.79 und S. 456/457. Diese „Liebesdichtung“ war Mitgrund dafür, dass 8n. die relegatio über Ovid verhängt wurde. Ovid spricht von carmen et error. Die Ars amatoria verstößt gegen Augustus´ Moralgesetzen und Ovid war verwickelt oder informiert über einen Skandal der Kaiserenkeltochter Julia, die ebenfalls um 8n. verbannt wurde. 26 Verführung, das Ovid für eine gebildete und vergnügungshungrige Gesellschaft schrieb. Die ersten beiden Bücher geben Anleitungen für Männer, das dritte für Frauen, wie sie Männer verführen können. Das Werk war äußerst beliebt. • Medicamina faciei femineae (Mittel der weiblichen Gesichtspflege) (nur der Anfang erhalten) Hilfsmittel für das (weibliche) Gesicht, Schminktipps • Remedia amoris (Heilmittel gegen die Liebe) Gegenstück zu Ars amatoria Ovid gibt ganz detaillierte Ratschläge für ein perfektes Make-up, für Körperpflege und Korrekturen körperlicher Schwachstellen. Es hat mich fasziniert, wie modern diese Ratschläge wirken. Inhaltlich sind sie kaum zu unterscheiden von heutigen Frauenzeitschriften, Tipps und Anwendungen in Schönheitssalons und Beauty-Farmen. Was Ovid festgestellt hat, gilt heute als stylisches „Muss“ für Frauen: • • • • nicht jede Frisur passt zu jedem Gesicht Kleidung kann Schwächen und Stärken in Statur und Körpergröße hervorheben oder kaschieren gepflegtes Äußeres verbessert den Gesamteindruck Gesichtsschminke ist von Gesichtsform und Hauttyp abhängig Nun zwei Beispiele aus dem 3. Buch der Ars amatoria, die im Inhalt auch heute noch volle Gültigkeit haben. I) Ars Amatoria, III 193-204: zum Thema Körperpflege Quam paene admonui, ne trux caper iret in alas, Neve forent duris aspera crura pilis! Sed non Caucasea doceo de rupe paellas, Quaeque bibant undas, Myse Caice, tuas. Quid, si praecipiam, ne fuscet interia dentes, Oraque suscepta mane laventur aqua? Scitis et inducta candorem quaerere creta. Sanguine quae vero non rubet, arte rubet. Arte supercilii confinia nuda reletis, Parvaque sinceras velat aluta genas. Nec pudor est oculos tenui signare favilla, Vel prope te nato, lucide Cydne, croco. Fast hätte ich euch noch ermahnt: Laßt den trotzigen Bock unter die Achseln nicht kommen; das Bein sei nicht von Borstenhaar rauh. Doch nicht vom Kaukasusfeld sind die Mädchen, die ich unterrichte, trinken, Caicus, aus dir mysisches Wasser ja nicht. Soll ich euch etwa auch lehrn, daß ihr nicht eure Zähne durch Trägheit braun werden laßt, daß den Mund morgens mit Wasser ihr spült? Ihr versteht euch darauf, mit Kreide dieHaut euch zu weißen; Wangen, die nicht durch ihr Blut rot sind, die rötet die Kunst. Kunst füllt den leeren Raum zwischen Augen und Brauen aus, und ein Schönheitspflästerchen sitzt auf einem reinen Gesicht. Ihr umrahmt 27 ohne Scheu euch mit feiner Asche die Augen oder mit Krokus (er wächst, schimmernder Cydnus, bei dir). 82 II) Ars amatoria, III 261-280: zum Thema Schönheitspflege Rara tamen menda facies caret. occule mendas, Quaque potes, vitium corporis abde tui. Si brevis es, sedeas, ne stans videare sedere: Inque tuo iaceas quantulacumque toro. Hic quoque, ne possit fieri mensura cubantis, Iniecta lateant fac tibi veste pedes. Quae nimium gracilis, pleno velamina filo Sumat, et ex umeris laxus amictus eat. Pallida purpureis tangat sua corpora virgis, Nigrior ad Pharii confuge piscis opem. Pes malus in nivea semper celetur aluta: Arida nec vinclis crura resolve suis. Conveniunt tenues scapulis analemptrides altis. Angustum circa fascia pectus eat. Exiguo signet gestu, quodcumque loquetor, Cui digiti pingues et scaber unguis erit. Cui gravis oris odor, numquam ieiuna loquatur, Et semper spatio distet ab ore viri Si niger, aut ingens, aut non erit ordine natus Dens tibi, ridendo maxima damna feres. Selten doch ist ein Gesicht frei von Fehlern: Verbirg diese Fehler, und, soweit’s möglich ist, halt die Mängel des Körpers versteckt. Sitz, wenn du klein bist, damit, wenn du stehst, man nicht annimmt, du strecke, so klein du auch bist, aufs weiche Polster dich hin. [säßest;] Hier auch, damit, wenn du daliegst, man ja nicht, wie groß du bist, messe, schau, daß mit deinem Gewand du deine Füße bedeckst. Die, die zu mager ist, trage nur Stoffe aus dichtem Gewebe; weit sei der Mantel im Schnitt, der von den Schulter ihr fällt. Ist eine blaß, dann trage sie Kleider mit purpurnen Streifen, doch bei dem pharischen Fisch such, bist zu dunkel du, Rat. Schneeweißes Leder soll einen häßlichen Fuß stets verbergen; sind deine Beine zu dürr, lös ihre Bänder nie ab. Sind die Schultern zu hoch, dann kleiden sie Schnallen, die flach sind; um eine schmächtige Brust schlinge ein Band sich herum. Nur mit sparsamen Gesten bekräftigt die ihre Worte, bei der die Finger zu dick, spröde die Nägel auch sind. Wenn eine Mundgeruch hat, rede nie sie mit nüchternem Magen, und von des Mannes Gesicht halt’ weiten Abstand stets. Sind deine Zähne schwarz oder gar zu groß oder wachsen schief sie im Mund dir, dann bringt Lachen dir große Gefahr.83 Wir haben einige Kenntnisse über Körperpflege und Schmuck römischer Frauen.84 Zum Schminken waren Spiegel aus poliertem Metall mit aufwendigen Verzierungen auf der Rückseite unabdingbar. Natürlich war nicht nur das Make-up populär: Lidschatten aus Ruß, Wimperntusche und Lippenstift, dessen Farbe aus Ocker gewonnen wurde, waren genauso 82 83 84 Text und Übersetzung aus: Ovid; Liebeskunst, Ars Amatoria, lat./dt., Heilmittel gegen die Liebe, Remedia Amoris; herausgegeben von Holzberg, Niklas; Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft; 3.Auflage; 1992, Ars Amatoria, III 193-204 Text und Übersetzung aus: Ovid; Liebeskunst, Ars Amatoria, lat./dt., Heilmittel gegen die Liebe, Ars Amatoria, III 261-280 Agnete, 31. Jul. 2007, http://de.wikipedia.org/wiki/R%C3%B6mische_Frauen#Quellen. 28 beliebt. Kalkweiß oder weißes Blei wurden als Puder verwandt, da braune Haut wie im Mittelalter schwere Landarbeit angezeigt hätte und als ordinär galt. Cremes, Salben, Masken aus Eselsmilch, Honig und Mehl erfreuten sich großer Beliebtheit. Hirschmarksalbe galt als ein durchaus gängiges Mittel zur Zahnpflege. Unabdingbar waren lackierte Finger- und Fußnägel, die die Füße in schicken Schuhen noch anziehender wirken ließen. Die Frisuren der Römerinnen änderten sich im Laufe der Zeit und hingen von Alter und sozialem Status ab. Die römische Frau trug die Haare nie kurz, außerdem wurden die Haare oft kunstvoll hochgesteckt, geglättet, mit einer Art Lockenstab (calamistrum) gelockt, aufwändig mit Nadeln, Haarnetzen und Bändern geschmückt, als Knoten gebunden, mit Haarteilen oder Perücken versehen, als Pferdeschwanz getragen und gefärbt. Manchmal wurden die Haare in großmaschigen Haarnetzen (reticulum) zusammengebunden und mit Goldeinsätzen verschönert. Traditionsgemäß mussten die Haare der Frau durch Stoff- oder Wollbänder (vittae) gehalten werden und bedeckt sein. Zu diesem Zweck gab es verschiedene Schleier. Sich ohne Kopfbedeckung in der Öffentlichkeit zu zeigen, wurde als Zeichen großer Schamlosigkeit erachtet. Zur Zeit der frühen Republik mussten sich die Frauen so verhüllen wie heute nur noch Nonnen. Sulpicius Gallus ließ sich sogar von seiner Frau scheiden, weil sie ohne Kopfbedeckung in der Öffentlichkeit unterwegs war. Allerdings hielten sich schon in der späten Republik die wenigsten Frauen daran. A B C D Münzdarstellungen: A: Iulia Domna (um 200 n.Chr.) B: Iulia Domna (um 215 n.Chr.) C: Plautilla (um 205n.Chr.) D: Iulia Soaernias (um 220 n.Chr.) 85 Frauen schmückten sich oft mit Diademen, Ringen, Spangen, geschmückten Bändern, Ohrringen, Armbändern und Ketten. Die Frauen trugen regelrechte Schätze mit sich herum, besonders betraf dies die Ohren, an denen meistens mehrere Ohrringe gleichzeitig hingen. Oft wurden Bronze und Glas verwendet. Fibeln wurden neben der Zierwirkung vor allem zum Zusammenhalten der Kleider benutzt. 85 Siever, Stefanie, Juli 1999 http://www.info-antike.de/frisur1.htm. 29 4. Familie in der späten Kaiserzeit bis zur Spätantike Unsere westliche Gesellschaft ist geprägt vom Begriff „Kernfamilie“, deren Basis ein liebevolles Paar bildet. Die römische Familie beschränkt sich in der klassischen Zeit nicht auf die Familie als Ehegemeinschaft, sondern ist auf drei Generationen erweitert. Die Aufspaltung dieser erweiterten Familie erfolgt nicht bei der Heirat oder Volljährigkeit der Söhne, sondern beim Tod des Urgroßvaters. Diese „drei Vorväter“ sind in der Anbetung der Vorfahren wichtig, aber auch in aristokratischen Kreisen für den Nachweis von Legitimität. „Die Ehe ist der Vaterschaft untergeordnet und die Zirkulation der Frauen der Perpetuierung der Rechte der Männer.“86 Eine Ehe wurde somit eingegangen, um Nachkommen zu zeugen. Diese legitimen Kinder traten das Erbe an und sorgten für den Fortbestand des Staates, indem sie die Reihen der Staatsbürger auffüllten. Die Politiker appellierten an die Bürger, ihrer „staatsbürgerlichen Pflicht“ zu genügen und Kinder in die Welt zu setzen.87 Hebammen wurden ausgeschickt, um die Braut zu begutachten und dazu gehörte auch eine gynäkologische Untersuchung der Scheide, Muttermund und Gebärmutter. In der Regel sind Zuneigung und eine liebevolle Beziehung in unserem heutigen Sinn in der römischen Ehe nicht von Bedeutung. Das Ideal dessen, was man in Rom eheliche Gemeinschaft nennen könnte, war nicht Liebe, sondern concordia – das gegenseitige Einvernehmen oder besser: das Vermeiden von Zwietracht. Die Ehe war wenig durch eros angesteckt, sie wurde manchen vorwiegend als Bürgerpflicht auferlegt.88 Mit der Frau ein gemeinsames Schlafzimmer zu haben ist unüblich, nur auf Verabredung teilten sich die Ehegatten einen gemeinsamen Schlafraum. In der Kaiserzeit ändern sich mit den politischen Verhältnissen auch die gesellschaftlichen. Philosophische Einflüsse bestimmen die allgemeinen Merkmale der römischen Familie. Einige Historiker gehen davon aus, dass „in der Kaiserzeit die Familie nicht mehr, wie ursprünglich, patriarchal und autoritär organisiert gewesen ist, sondern zu einer reinen Gruppe wurde, die bereits mit der modernen Kleinfamilie verglichen werden kann“. 89 86 87 88 89 vgl. Burguière, André; Geschichte der Familie, Band1, S. 286-291; S. 320 Veyne, Paul, Geschichte des privaten Lebens. 1. Band: Vom römischen Imperium zum Byzantinischen Reich, S.Fischer, 1989, S. 47 vgl. Burguière, André; Geschichte der Familie, Band1, S. 321f. Cantarella, Eva; Pompeij, Liebe und Erotik in einer römischen Stadt, S. 52 30 a. Formen der Ehe und des Zusammenlebens Bis in die Zeit der späten Republik verstand sich der Ehemann als Staatsbürger, der seiner bürgerlichen Pflicht nachkam. Im 1. Jhdt.n. Chr. hat er „sich als guter Gatte zu verstehen und seine Frau offiziell zu respektieren“.90 Als Grund dafür wird in der Fachliteratur angenommen, dass sich die Rolle des Mannes änderte, als das Kaiserreich an die Stelle der Republik trat. Die Ehe verlor zunehmend ihren politischen Charakter und gewann mehr und mehr an häuslicher Anerkennung.91 Die neue eheliche Moral verlangte nicht mehr die fügsame Erfüllung einer Reihe ehelicher Aufgaben, sondern forderte von den Gatten, als ideales Paar zusammenzuleben, und zwar auf der Grundlage einer ständig bewiesenen freundschaftlichen Gesinnung, die hinreichen sollte, die Pflicht zu tun. In der Kaiserzeit finden sich Ehepaare, die in gegenseitiger Liebe bis in den Tod verbunden waren. Solche Ehegemeinschaften sind Zeichen politischen Widerstandes. „Die gegenseitige Treue der Eheleute wird in diesem Fall zum Topos der Beziehung zwischen Bürgerschaft und Familie im Bürgerkrieg. In diesem Fall unterschieden sich Ehefrauen jedoch nicht von Söhnen, Sklaven oder Freigelassenen, sondern diese Ehefrauen verkörpern die Kraft der Solidarität einer domus gegen die Übergriffe der Mächtigen.“92 Beispiele dafür sind vor allem in der stoischen Opposition zu finden. Zu diesen berühmten Ehefrauen gehören Arria, die Gattin des Caecina Paetus, und Paulina, die Gattin des Philosophen Seneca. Der jüngere Plinius hat dem Andenken Arrias einen ganzen Brief (III, 16) gewidmet, in dem er die Liebe und Treue der Arria zu ihrem Mann beschreibt. Tacitus schildert in seinen Annalen (XV 63.164,2) den erzwungenen Selbstmord Senecas. Seine Gattin Paulina ließ sich ebenfalls die Adern öffnen und wollte mit ihrem Mann in den Tod gehen. Nero jedoch befahl Paulinas Tod zu verhindern. Abgesehen von diesem Sonderfall der Gattenliebe als politischen Akt zeigt sich in der Kaiserzeit eine veränderte Einstellung zur Ehe. In der alten Moral war die Gattin sozusagen nur ein Instrument des Staatsbürgers und Familienoberhauptes; sie setzte die Kinder in die Welt. Nach der neuen Moral ist die Frau eine Freundin. Sie steht auf der Stufe mit den Freunden des Mannes. Für Seneca ist das eheliche Band mit dem Freundschaftsbund vergleichbar. Die Stoa wird zum Hauptvermittler veränderter gesellschaftlicher Verhältnisse. Das sich liebende Paar hat aber damit noch nicht den Einzug ins Abendland gehalten. Denn eheliche Einigkeit wird gelobt, wenn sie vorkommt, sie ist jedoch keine Norm, die in der 90 91 92 Veyne, Paul, Geschichte des privaten Lebens, S. 48 vgl. Burguière, André; Geschichte der Familie, Band1, S. 322f. vgl. Veyne, Paul, Geschichte des privaten Lebens, S. 48f. Burguière, André; Geschichte der Familie, Band1, S. 321 31 Institution Ehe zu verwirklichen ist. Auswirkungen hat die neue Ehemoral auch auf die Sexualität. Da die Eheleute moralische Subjekte sind und einen Vertrag, also eine Sache auf Gegenseitigkeit, geschlossen haben, ist der Ehebruch des Mannes nun ebenso gravierend wie derjenige der Ehefrau.93 Aber auch innerhalb der Ehe hat die neue Moral Auswirkungen. Da die Ehe Freundschaft ist, dürfen die Gatten miteinander nur dann ehelich verkehren, wenn sie Kinder haben wollen, und sie sollen dabei nicht ungebührlich in Ekstase geraten. Diese Vernunftgründe, die in der Stoa freien Individuen zum Zwecke ihrer Autonomie als Ratschläge mitgegeben werden, werden in der christliche Ehemoral zum Zwang. 94 In der Spätantike waren die Einflüsse des Christentums für den gesellschaftlichen Umgang mit den Frauen maßgeblich. Im Grunde genommen hat sich für sie allerdings wenig geändert, denn auch die Bibel lehrte die Untertänigkeit der Frau gegenüber dem Mann.95 Das Schicksal der Frau ist wie bei den „Philosophenpaaren“ verknüpft mit dem ihres Gatten, erst allmählich lehnen sich Christinnen als Töchter oder als Ehefrauen gegen die Staatsmacht, aber auch gegen den Willen eines Vaters oder Gatten auf und entwickeln eine eigene Ethik. b. Plinius und seine Calpurnia, die ideale Ehefrau Plinius der Jüngere, römischer Senator und Schriftsteller, lebte im 1. Jhdt.n. Chr. In dritter Ehe war er mit Calpurnia verheiratet. Calpurnias Großvater Gaius Calpurnius Fabatus war ein römischer Ritter, der wie die Familie des Plinius aus Comum (jetzt Como) stammte. Sie wurde nach dem Tod ihrer Eltern von ihrer Tante Calpurnia Hispulla erzogen. Plinius, der mit der Familie schon seit seiner eigenen Jugend bekannt war, heiratete die noch sehr junge Calpurnia um das Jahr 98.n. Chr. An die Tante Hispulla schrieb er (IV,19), dass seine Frau ein Muster an Tugend, Fleiß und Treue sei. Er stellt seine Frau als die ideale Ehefrau dar. 96 In der Briefsammlung des Plinius sind drei Briefe an sie enthalten (VI,4; VI,7; VII,5), in weiteren wird sie erwähnt. In einem der Briefe (VIII,10) berichtet Plinius auch von einer Fehlgeburt, die Calpurnia erlitten hatte. Die Ehe blieb kinderlos. Kaiser Trajan verlieh ihm aber die Privilegien eines Vaters von drei Kindern (ius trium liberorum). 93 94 95 96 Veyne, Paul, Geschichte des privaten Lebens, S. 57 vgl. Veyne, Paul, Geschichte des privaten Lebens, S. 55-59 vgl. Der Kleine Pauly, Bd.2, S.610: Im Christentum behält die Frau ihre untergeordnete Stellung: mulier taceat in ecclesia NT 1.Kor. 14,34 vgl. Reclams Lexikon der Antike, S. 507-509: Plinius ( 61/62n.-113n.Chr.) … „seine Briefe belegen, dass er eine sehr glückliche dritte Ehe mit Calpurnia führte“. vgl. The Oxford Classical Dictionary, p. 279: His affectionate letters to her established the theme of conjugal love in Latin literature. 32 C.PLINIUS CALPURNIAE HISPULLA SUAE S. (1) Cum sis pietatis exemplum fratremque optimum et amantissimum tui pari caritate dilexeris, filiamque eius ut tuam diligas nec tantum amitae ei adfectum, verum etiam patris amissi repraesentes, non dubito maximo tibi gaudio fore, cum cognoveris dignam patre, dignam te, dignam avo evadere. (2) Summum est acumen, summa frugalitas; amat me, quod castitatis indicium est. Accedit his studium litterarum, quod ex mei caritate concpit. Meos libellos habet, lectitat, ediscit etiam. (3) Qua illa sollicitudine, cum videor acturus, quanto, cum egi, gaudio adficitur! Disponit, qui nuntient sibi, quem adsensum, quos clamores excitarim, quem eventum iudici tulerim. Eadem, si quando recito, in proximo discreta velo sedet laudesque nostras avidissimis auribus excipit. (4) Versus quidem meos cantat etiam formatque cithara non artifice aliquo docente, sed amore, qui magister est optimus. (5) His ex causis in spem certissimam adducor perpetuam nobis maioremque in dies futuram esse concordiam. Non enim aetatem meam aut corpus, quae paulatim occidunt ac senescunt, sed gloriam diligit. (6) Nec aliud decet tuis manibus educatam, tuis praeceptis instiutam, quae nihil in contubernio tuo viderit nisi sanctum honestumque, quae denique amare me ex tua praedictione consueverit. (7) Nam, cum matrem meam parentis loco vererere, me a pueritia statim formare, laudare talemque, qualis nunc uxori meae videor, ominari solebas. (8) Certatim ergo tibi gratias agimus, ego, quod illam mihi, illa, quod me sibi dederis, quasi invicem elegeris. Vale. Plinius, Epistulae 4,19 Calpurnia, eine ideale Ehefrau C. Plinius grüßt seine Calpurnia Hispulla. (1) Da dein Familiensinn beispielhaft ist, da du deinen besten und dir überaus ergebenen Bruder mit derselben Wertschätzung geliebt hast und dessen Tochter wie deine eigene magst und ihr nicht nur die Zuneigung einer Tante, sondern auch die des verlorenen Vaters entgegenbringst, wird es dich zweifellos außerordentlich freuen, wenn du erfährst, dass sie sich würdig ihres Vaters, würdig deiner Person und würdig ihres Großvaters entwickelt. (2) Sie besitzt höchste Intelligenz, ganz daneben höchste Anspruchslosigkeit; sie liebt mich, was ein Zeichen ihrer Reinheit ist. Zu allem diesem kommt ein Interesse an der Literatur, das sie aus Liebe zu mir gewonnen hat. Sie besitzt meine Büchlein, liest sie immer wieder, lernt sie sogar auswendig. (3) Wie besorgt ist sie, wenn ich vor Gericht auftreten soll, wie freut sie sich, wenn mein Auftritt vorbei ist! Sie verteilt Leute (unter den Zuhörern), die ihr berichten sollen, welche Zustimmung, welchen Beifall ich bekommen habe, welchen Ausgang mein Prozess genommen hat, ebenso sitzt sie, wenn ich einmal etwas rezitiere, ganz in der Nähe, nur von einem Vorhang abgetrennt, und nimmt ganz begierig die Komplimente, die mir zuteil werden, auf. (4) Sie singt auch meine Verse und begleitet sie auf der Kithara – sie hat das nicht von einem Musiker gelernt, sondern aus Liebe, die ja die beste Lehrmeisterin ist. (5) Aus all diesen Gründen hoffe ich ganz zuversichtlich, dass unser harmonisches Einvernehmen dauern und täglich wachsen wird. Sie liebt nämlich nicht mein jugendliches Alter oder meinen Körper – beides wird mit der Zeit hinfällig und alt -, sondern ihre Wertschätzung gilt meinem Ruhm. (6) Und dies war auch nicht anders zu erwarten, da sie in deinen Händen erzogen, nach deinen Weisungen unterrichtet wurde und da sie im Zusammenleben mit dir nur Tugendhaftes und Ehrbares gesehen und sich schließlich daran gewöhnt hat, mich so zu lieben, wie du es ihr nahegelegt hattest. (7) Denn da du meine Mutter wie deine eigene verehrtest, hast du dich stets von Kindheit an um meine Bildung gekümmert, mich gelobt und erwartet, dass ich so werden würde, wie mich meine Frau jetzt sieht. (8) Um die Wette sagen wir dir also Dank, ich, weil du mir sie, sie, weil du ihr mich gegeben hast, so als hättest du uns füreinander ausgewählt. Lebe wohl. Plinius Briefe 4,19 33 C. PLINIUS CALPURNIAE SUAE S. (1) Scribis te absentia mea non mediocriter adfici unumque habere solacium, quod pro me libellos meos teneas, saepe etiam in vestigio meo colloces. (2) Gratum est, quod nos requiris, gratum, quod his fomentis adquiescis; invicem ego epistulas tuas lectito atque indentidem in manus quasi novas sumo. Sed eo magis ad desiderium tui accendor. (3) Nam, cuius littera tantum habent suavitatis, huius sermonibus quantum dulcedinis inest! Tu tamen quam frequentissime scribe, licet hoc ita me delectet, ut torqueat. Vale. Plinius, Epistulae 6,7 Gegenseitige Sehnsucht C. Plinius grüßt seine Calpurnia. (1) Du schreibst, dass du unter meiner Abwesenheit nicht wenig leidest und dich nur eines tröstet: Statt meiner hast du meine Büchlein und legst sie auch oft auf meinen Platz. (2) Es ist schön, dass du mich vermisst, es ist schön, dass du gerade durch die Tröstungen Ruhe findest. Umgekehrt lese ich immer wieder deine Briefe und nehme sie, so als seien sie neu, unaufhörlich zur Hand. Doch dadurch wird meine Sehnsucht nach dir nur umso größer. (3) Denn wessen Briefe schon so viel Liebenswürdigkeit besitzen, wie viel Charme haben dann erst dessen Gespräche! Schreibe du mir trotzdem so oft als möglich, mag ich mich darüber auch so freuen, dass es mich quält. Lebe wohl. Plinius Briefe 6,7 97 Plinius’ Einstellung zur Ehe und seine Gefühle zu Calpurnia entsprechen den allgemeinen Forderungen der stoischen Moral. Die Briefe zeigen die freundschaftliche Haltung gegenüber der Frau. Beim Lesen der Briefe habe ich, trotz der Worte voller Zuneigung, doch den Eindruck gehabt, dass die beiden nicht auf einer Stufe stehen. Bestätigt fand ich diesen persönlichen Eindruck in der Fachliteratur. Die Ehe wird als gegenseitige Hilfe und Freundschaft, welche die Gatten einander entgegenbrachten, gesehen. Die Frau wird zur „Gefährtin ein ganzes Leben lang, muss aber ihre natürliche Unterlegenheit anerkennen und dem Mann gehorchen.“98 Plinius lobt, dass seine gebildete, junge Frau seine Schriften auswendig lernt, seine Verse vertont und sie zur Lyra sang. Seine Frau und ihre Wertschätzung ihm gegenüber braucht er, so meine ich, salopp formuliert, um „sein Ego zu polieren“. „Frauen weihten ihr Leben der Unterstützung und Förderung des Ehemannes. … Die Frau lebte durch ihren Mann und hatte ganz für ihn da zu sein.“99 Die Worte des Wohlwollens und der Zuneigung, die Plinius in seinen Briefen für seine Frau findet, sind für mich wie Worte eines Vaters zu seiner „braven“ Tochter. Es ist eine gängige Vorstellung, dass die junge römische Frau vom Ehemann oder seiner Familie erzogen wird.100 Die Ehe von Plinius mit Calpurnia scheint diesen 97 98 99 100 Text und Übersetzung beider Briefe aus: Blank-Sangmeister, Ursula (Hg.), Römische Frauen, Ausgewählte Texte, S. 104ff. Veyne, Paul, Geschichte des privaten Lebens, S. 49 Späth, Thomas – Wagner, Hasel, B. (Hgg.); Frauenwelten in der Antike, S. 40 Burguière, André; Geschichte der Familie, Band1, S. 340ff 34 pädagogischen Zweck erfüllt zu haben. „Calpurnia erfüllte Plinius’ Erwartung nicht nur, weil sie sich ihm unterordnete, sondern weil sie sich formbar zeigte.“101 Diesem Verhältnis entspricht auch der große Altersunterschied zwischen den beiden. Plinius war zur Zeit der Abfassung dieses Briefes (an die Tante) ca. 36-39 Jahre alt, während Calpurnia noch keine zwanzig Jahre alt war. Die Gründe, warum Plinius Calpurnia geheiratet hatte, waren nicht tiefe Gefühle oder sexuelle Anziehung, sondern gesellschaftliche. Im Brief I,14 beschreibt Plinius, wie und aus welchen Gründen in der Oberschicht Ehen arrangiert wurden. Die Befriedigung sexueller Bedürfnisse war kein vorrangiger Ehezweck. Die Partnerschaften wurden hinsichtlich „spezifischer materieller Interessen … oder sozio- politischer und familialer Strategien in Form nützlicher Netzwerke für eine politische Karriere oder des Bestätigen von Allianzen unter Familien“ 102 geschlossen. Für mich empfindet Plinius keine tiefen Gefühle zu Calpurnia als Person, sondern er stellt in seinen Briefen voller Stolz dar, dass er mit Calpurnia das exemplum einer musterhaften Ehe führt. Dazu gehören auch liebevolle Worte. Denn zur Zeit Trajans und Hadrians forderte die öffentliche Meinung, dass die gewalttätige Strenge der Vergangenheit angehören sollte und fromme Zärtlichkeit vorherrschen sollte.103 101 102 103 Späth, Thomas – Wagner, Hasel, B. (Hgg.); Frauenwelten in der Antike, S. 40 Späth, Thomas – Wagner, Hasel, B. (Hgg.); Frauenwelten in der Antike, S. 41 Carcopino, J., Rom. Leben und Kultur in der Kaiserzeit, S. 122 35 5. Zusammenfassendes Schlusswort Meine Arbeit zeigt, dass der römischen Frau über Jahrhunderte persönliche Freiheiten und Rechte zugestanden wurden. Gebildete Frauen der Oberschicht hatten „mit dem Übergang vom ersten vorchristlichen zum ersten nachchristlichen Jahrhundert den Moment ihrer größten Emanzipation.“104 Sie genoss Bewegungsfreiheit, nahm sich auch sexuelle Freiheiten heraus, war finanziell autonom und dachte eigenständig. Römische Frauen hatten durchaus Zugang zu Macht und Geld. Trotz all dieser Freiheiten war die römische Frau juristisch nie dem Mann gleichgestellt. In diesem Punkt unterscheidet sie sich wesentlich von der Frau in der heutigen westlichen Gesellschaft. Durch die Analyse der ausgewählten Texte wurde klar herausgearbeitet, dass die Ansprüche an Frauen im Allgemeinen sich nicht wesentlich verändert haben. Daher wird in älteren Büchern die Stellung der römischen Frau oft als völlig gleichberechtigt beschrieben, heute verweist man aber auf Einschränkungen. Der Grund für diesen Wandel ist einfach. Verglichen nicht nur mit ihren griechischen Zeitgenossinnen, sondern auch mit den Frauen in Mittelalter und Neuzeit bis weit ins 20. Jahrhundert hinein, waren die Frauen der römischen Antike tatsächlich sehr frei und „emanzipiert“.105 Ich konnte es kaum glauben, dass in Österreich erst 1977(!) die patriarchale Familienordnung durch ein „partnerschaftliches“ Familienrecht ersetzt wurde. Daher ist es nicht verwunderlich, dass auch in heutiger Zeit die Frau in Männerköpfen noch immer stark mit „Heim und Herd“ verbunden wird. Eheratgeber aus den 60er Jahren, mit denen sogar noch meine Mutter groß wurde, geben Aufschluss über die damaligen Rollenerwartungen an junge Ehefrauen. „Die Bestimmung der Frau lag demnach in angepasster Zurückhaltung und Verfügbarkeit für die Bedürfnisse des Mannes. Übertrat sie die eng gesteckten Grenzen ihres Aufgabenbereiches, wurde sie schnell mit abwertenden Etiketten bedacht und gesellschaftlicher Ächtung ausgesetzt.“106 Daher finde ich es kaum mehr verwunderlich, dass sich auch meine Frauengeneration mit diesen Rollenbildern umgehen muss. Insofern unterscheidet sich der Alltag der römischen Frau von dem der heutigen, wenn man die Zeitspanne berücksichtigt, erst in Ansätzen. Für mich als junge Frau ergibt sich folgende conclusio: die juristische Gleichstellung von Mann und Frau ist eine unabdingbare Voraussetzung für eine demokratische Gesellschaft, die Umsetzung im Alltag wird wohl immer eine Frage der beteiligten Personen bleiben. Wird sich daran in der nächsten Generation etwas ändern? 104 105 106 Cantarella, Eva; Homann, Cornelia (Übersetung); Pompeij, S. 141 Agnete, 31. Jul. 2007, http://de.wikipedia.org/wiki/R%C3%B6mische_Frauen#Quellen. Heistracher, Eva Maria; „Von der Mutti zur Partnerin“; Welt der Frau. 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