Die Tage des Targa
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Die Tage des Targa
Seite 28 Christophorus 307 Text Massimo Pacifico Fotografie Massimo Pacifico Fahren Die Tage des Targa Es gibt Geschichten, die sind wie gemacht für einen bestimmten Automobiltyp. Weshalb es für eine Ausfahrt auf den Spuren des Renn-Klassikers Targa Florio keinen anderen Porsche als den 911 Targa geben kann. Sizilianische Momente, komfortabel unter dem Glasdach erlebt. Christophorus 307 Seite 29 Seite 30 Christophorus 307 Schau-ins-Land: Die maximale Dachöffnungsfläche von 0,45 Quadratmetern lässt reichlich Sizilien in den Targa (Foto oben) Stand-Bilder : Die Targa-Rundfahrt beantwortet die Frage, wo es immer wieder richtig Sommer wird (Fotos unten) Zehntausend Kurven, siebenhundert Kilometer, zusammen zwanzigtausend Meter Höhenunterschied: Die Targa Florio war eine Härteprüfung für Auto und Mensch ohnegleichen. Gerade Strecken, auf denen die Rennwagen mit Tempo 300 entlangjagten, wechselten sich ab mit Serpentinen, in denen höchste Bremskunst gefragt war. Eine Runde des Straßenrennens war zu Hoch-Zeiten der Veranstaltung 72 Kilometer lang und umfasste die Kleinigkeit von 700 Kurven. Seit 1973, nachdem das Porsche-Gespann Herbert Müller/Gijs van Lennep die 11-Runden-Distanz für sich entschieden hatte, ist die Targa Florio nur noch Renngeschichte. Aber die Straßen Siziliens laden immer noch zu einer Ausfahrt im Porsche ein. Stilecht mit jenem 911, der den Namen des Klassikers in seinem Namen trägt: mit dem Targa auf der Targa. abgegeben und man versuchte, den Piloten die Geheimnisse der Motoreinstellung zu entlocken.“ Ciccio ist Schuster. Eines Abends saß er im „Eukalyptus“, dem damals angesagten Restaurant, mit den Piloten Ignazio Giunti und Nanni Galli am Tisch. „Giunte fragte mich, ‚Ciccio, machst du mir ein Paar ordentliche Schuhe?‘ Ganz weiche wollte er zum Fahren, ohne Absatz und nicht zu breit.“ So entstanden die ersten Rennfahrerschuhe der Marke „Ciccio“. Sie wurden von Rolf Stommelen, Carlos Reutemann, Clay Regazzoni und Jacky Ickx getragen, Niki Lauda hat sie mit einem Sieg in der Formel 1 eingeweiht. „Sie waren ein bisschen höher und etwas enger als sonst, aus Kalbsleder, mit Anilin gefärbt.“ Rückblende. Ausrufer kündigten das Ereignis an: „Morgen ist das Rennen, haltet Tiere und Kinder im Haus, jeder ist für sich selbst verantwortlich! Der Bürgermeister will nichts von eventuellen Unfällen hören!“ Zu sehen waren vereinzelt bewaffnete Carabinieri, die Tag und Nacht die Bergstraßen sperrten, Zuschauer in eleganten Limousinen oder auf Eselsrücken, Adlige mit Zylinder und Landarbeiter mit Coppola, lumpig gekleidete Lausbuben und schmuckbehängte Damen. Beben, Dröhnen – Träume und Emotionen. Von der Florio bleiben Erinnerungen, wenn sich unser Elfer mit dem Glasdach auf die Schleife begibt. Erinnerungen, die sich immer noch zu Emotionen verstärken. Das Rennen, das 1906 von dem Unternehmer Vincenzo Florio ins Leben gerufen wurde (Targa bedeutet „Schild“), hatte zwei Ausgangspunkte – den mondänen Ort Cefalù und Cerda, ein Dorf mit 5000 Einwohnern im Hinterland von Imera. Es ist eine Panoramafahrt mit 320 PS, die bei jedem Halt an historischen Renn-Stätten mit Anekdoten illustriert wird. Der blaue Targa ist stets Gesprächsstoff, und schnell wird er zum Anknüpfungspunkt, um die Geschichte des Straßenklassikers wieder lebendig werden zu lassen, den Porsche-Piloten insgesamt elf Mal gewannen. Von Ferdinand Porsches „Sascha“ aus dem Jahr 1922 über den als „Dreikantschaber“ berühmt gewordenen 356 B bis zum 911 Carrera RSR war die ganze Palette der Rennwagen bei der Targa Florio am Start. Zeitzeugen wie Ciccio, der eigentlich Francesco Liberto heißt, nehmen dankbar die kürzeste Strecke vom Gestern ins Heute, wenn sie zu erzählen beginnen. „Abends trafen wir uns zu einem gemeinsamen Trunk, es wurden Kommentare und Vorhersagen So kamen viele Piloten in die Via Nicola Botta 32, wo Ciccio seinen Laden hatte, um Gewinner-Schuhe zu bekommen. Noch heute, wo der Meister an der Strandpromenade von Cefalù Numero 21 arbeitet, stehen die Fans und Fahrer historischer und anderer Autos Schlange, um ihren Fuß in das „Register“ aufnehmen zu lassen, in dem die Maßabdrücke aufbewahrt werden. Und um sich ein Paar Schuhe zu bestellen, die einen Hauch von Geschichte an sich haben. Wir lassen unsere Sohlen kurz das Gaspedal des Targa antippen, aber die 3,6 Liter Hubraum des Sechszylinders werden auf der Provinzstraße 120 nicht annähernd ausgeschöpft. Kurz vor Cerda am Start und Ziel der Targa-Rundstrecke halten wir – das Glasdach inzwischen um einen halben Meter nach hinten gefahren – nach den Tribünen Ausschau. Heute ist das, was man damals stolz „Floriopoli“ nannte, zu einem Betonskelett verkommen. Dafür ist im Dorf die Erinnerung an die ruhmreichen Tage sehr lebendig geblieben. Auf dem Parkplatz vor der Kirche begutachtet Salvatore Castiglia, 80 Jahre alt und mit noch einem übrig gebliebenen Zahn, vorschriftsmäßiger Coppola auf dem Kopf und einer immer noch großen Leidenschaft für die Florio, die lautlose Automatik des Glasdachs. Dabei gerät er ins Erzählen: „Wenn die Florio gestartet wurde, war das ein glücklicher Tag. Aber das Fest begann bereits einen Monat vorher, als die Mannschaften von Alfa und Porsche anreisten.“ „Wir kämpfen darum, das Rennen wieder zu bekommen“, sagt Filippo Bartolotti. Der 45-Jährige kann sich noch gut an die letzten Targas erinnern. Verboten wurde die Veranstaltung, weil sie zu gefährlich wurde. Zusammen mit Cosimo Rizzo und Antonino Catanzaro hat Filippo ein kleines Gedenkmuseum ins Leben gerufen. Dort findet man Fotos aus unterschiedlichen A Christophorus 307 Seite 31 Seite 32 Christophorus 307 Epochen, kleine Modelle der Autos großer Piloten, Postkarten mit Gedenkstempeln, Plakate, Bücher, Zeitungen und Zeitschriften sowie den Rennanzug und den Helm des örtlichen Helden, Baron Antonio Pucci – offizieller Werksfahrer für Porsche und TargaSieger im Jahr 1964. Der Adlige selbst bewahrt noch die gewonnene Bronzeplakette, die berühmte Targa, in seiner Villa in Castellana Sicula auf. „Das Jahr ’64 war ein magisches Jahr. Erst die Florio zu gewinnen und dann als Erster die Nordschleife des Nürburgrings unter zehn Minuten zu fahren“, schwelgt der fliegende Baron. Nach Cerda geht es in ständigen Kehren bergauf bis zum Bauernhof von Granza und dann wieder im Zickzack hinunter bis zur Abzweigung nach Sclafani Bagni. Danach zieht sich die Straße nach Caltavuturo hinauf und hinunter bis nach Scillato. Pucci Spatafora, der selbst mit einem Porsche die Targa fuhr, denkt heute noch mit leichtem Bauchgrimmen an die Passage: „Dieses Gefälle war der schwierigste Punkt. Der Magen hat darunter gelitten ...“ Ganz anders das heutige Targa-Schaulaufen. Die 5,2 Sekunden, die der Elfer von null auf 100 braucht, bleiben meist ein schöner theoretischer Wert. Manchmal jedoch werden die Sprintqualitäten herausgefordert. Wir genießen den Perspektivwechsel: Sich von der Raserei erzählen lassen und selbst das Gleiten pflegen. Die traumhafte Landschaft und der Komfort unterm Dach laden dazu ein. Ringsum Olivenhaine und Weizenfelder. Die Rundstrecke passiert dann auf fast 600 Metern Höhe Portella di Mare und gibt die Sicht frei auf den Monte Cucullo links sowie den Golf von Termini A Das Schild der Schilder : Die Targa-Piloten früherer Zeiten mussten weder auf Wegweiser noch auf vierbeinige Verkehrsteilnehmer achten Christophorus 307 Rast-Plätze: Der Targa-Tourist kann sich seine Rundenzeiten selbst vorgeben und jedes Straßencafé als Etappenziel nehmen Kreisverkehr : Die historische Routenführung der Targa Florio führt auch am Hafen von Cefalù vorbei LIPARISCHE INSELN Stromboli Filicudi Salina Lipari Alicudi Vulcano TYRRHENISCHES MEER Palermo Messina Campo- Cefalù felice Collesano Alcamo Cerda Scillato Caltavuturo Enna Mazara Caltanissetta del Vallo Trápani Agrigento Catanzaro Grafik: RWS Seite 34 Kal ab ri e n Reggio Ätna Catania S i z i l i en Syrakus Gela Ragusa Noto 0 Imerese rechts, mit dem Profil des Monte Castellano. Nachdem der Hügel überwunden ist, geht es erneut hinunter, bis man durch Collesano fährt. Hier ist ein Treffen mit Nino Arcara eine Pause wert. Nino ist seit 40 Jahren Mechaniker, von Rennwagen versteht er eine Menge. „Die Autos, die hier in der Kurve einen Unfall hatten, habe ich wieder gerichtet und sie fuhren sofort weiter.“ Er ließ seinen Porsche mit einem auf 230 PS gebrachten Motor von einheimischen Piloten in den Targa-Rennen mitfahren. Seine Werkstatt in der Via Isnello 60 ist ein Heiligtum voll mit Fotos und tausend Anekdoten. Nun noch wenige Kilometer bergab und man kommt, berauscht vom Duft der Orangenund Jasminblüten, in Campofelice di Boccella an. Dann biegt man auf die Gerade von Buonfornello ein, die an den Ruinen 100 km von Imera vorbei zur Abzweigung an der Eisenbahnstation von Cerda führt, um schließlich nach „Floriopoli“ zurückzukehren. Wenn man in Ruhe die Panoramablicke der Rundstrecke genießen möchte, braucht man fast drei Stunden. Damals benötigten die schnellsten Fahrer für die gleiche Tour lediglich rund eine halbe Stunde. Alfa stellte einen Rekord von 33 Minuten auf: Diese Zahl verlieh einem Wagen des Hauses aus Arese den Namen, während Porsche den Namen Targa für sein Halbcabriolet übernahm. Dranbleiben, ein gutes Stichwort. Wir haben Lust bekommen B auf eine zweite Runde mit dem Targa.