Die Tage des Targa

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Die Tage des Targa
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Christophorus 307
Text
Massimo Pacifico
Fotografie
Massimo Pacifico
Fahren
Die Tage des Targa
Es gibt Geschichten, die sind wie gemacht für einen bestimmten Automobiltyp. Weshalb es für
eine Ausfahrt auf den Spuren des Renn-Klassikers Targa Florio keinen anderen Porsche
als den 911 Targa geben kann. Sizilianische Momente, komfortabel unter dem Glasdach erlebt.
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Schau-ins-Land: Die maximale Dachöffnungsfläche von 0,45
Quadratmetern lässt reichlich Sizilien in den Targa (Foto oben)
Stand-Bilder : Die Targa-Rundfahrt beantwortet die Frage,
wo es immer wieder richtig Sommer wird (Fotos unten)
Zehntausend Kurven, siebenhundert Kilometer, zusammen
zwanzigtausend Meter Höhenunterschied: Die Targa Florio
war eine Härteprüfung für Auto und Mensch ohnegleichen.
Gerade Strecken, auf denen die Rennwagen mit Tempo 300
entlangjagten, wechselten sich ab mit Serpentinen, in denen
höchste Bremskunst gefragt war. Eine Runde des Straßenrennens war zu Hoch-Zeiten der Veranstaltung 72 Kilometer
lang und umfasste die Kleinigkeit von 700 Kurven. Seit 1973,
nachdem das Porsche-Gespann Herbert Müller/Gijs van
Lennep die 11-Runden-Distanz für sich entschieden hatte, ist
die Targa Florio nur noch Renngeschichte. Aber die Straßen
Siziliens laden immer noch zu einer Ausfahrt im Porsche ein.
Stilecht mit jenem 911, der den Namen des Klassikers in seinem Namen trägt: mit dem Targa auf der Targa.
abgegeben und man versuchte, den Piloten die Geheimnisse
der Motoreinstellung zu entlocken.“ Ciccio ist Schuster. Eines
Abends saß er im „Eukalyptus“, dem damals angesagten Restaurant, mit den Piloten Ignazio Giunti und Nanni Galli am
Tisch. „Giunte fragte mich, ‚Ciccio, machst du mir ein Paar
ordentliche Schuhe?‘ Ganz weiche wollte er zum Fahren, ohne
Absatz und nicht zu breit.“ So entstanden die ersten Rennfahrerschuhe der Marke „Ciccio“. Sie wurden von Rolf Stommelen,
Carlos Reutemann, Clay Regazzoni und Jacky Ickx getragen,
Niki Lauda hat sie mit einem Sieg in der Formel 1 eingeweiht.
„Sie waren ein bisschen höher und etwas enger als sonst, aus
Kalbsleder, mit Anilin gefärbt.“
Rückblende. Ausrufer kündigten das Ereignis an: „Morgen
ist das Rennen, haltet Tiere und Kinder im Haus, jeder ist
für sich selbst verantwortlich! Der Bürgermeister will nichts
von eventuellen Unfällen hören!“ Zu sehen waren vereinzelt
bewaffnete Carabinieri, die Tag und Nacht die Bergstraßen
sperrten, Zuschauer in eleganten Limousinen oder auf Eselsrücken, Adlige mit Zylinder und Landarbeiter mit Coppola,
lumpig gekleidete Lausbuben und schmuckbehängte Damen.
Beben, Dröhnen – Träume und Emotionen.
Von der Florio bleiben Erinnerungen, wenn sich unser Elfer
mit dem Glasdach auf die Schleife begibt. Erinnerungen, die
sich immer noch zu Emotionen verstärken. Das Rennen, das
1906 von dem Unternehmer Vincenzo Florio ins Leben gerufen wurde (Targa bedeutet „Schild“), hatte zwei Ausgangspunkte – den mondänen Ort Cefalù und Cerda, ein Dorf
mit 5000 Einwohnern im Hinterland von Imera. Es ist eine
Panoramafahrt mit 320 PS, die bei jedem Halt an historischen
Renn-Stätten mit Anekdoten illustriert wird. Der blaue Targa
ist stets Gesprächsstoff, und schnell wird er zum Anknüpfungspunkt, um die Geschichte des Straßenklassikers wieder
lebendig werden zu lassen, den Porsche-Piloten insgesamt elf
Mal gewannen. Von Ferdinand Porsches „Sascha“ aus dem
Jahr 1922 über den als „Dreikantschaber“ berühmt gewordenen 356 B bis zum 911 Carrera RSR war die ganze Palette der
Rennwagen bei der Targa Florio am Start.
Zeitzeugen wie Ciccio, der eigentlich Francesco Liberto heißt,
nehmen dankbar die kürzeste Strecke vom Gestern ins Heute,
wenn sie zu erzählen beginnen. „Abends trafen wir uns zu einem
gemeinsamen Trunk, es wurden Kommentare und Vorhersagen
So kamen viele Piloten in die Via Nicola Botta 32, wo Ciccio
seinen Laden hatte, um Gewinner-Schuhe zu bekommen. Noch
heute, wo der Meister an der Strandpromenade von Cefalù
Numero 21 arbeitet, stehen die Fans und Fahrer historischer
und anderer Autos Schlange, um ihren Fuß in das „Register“
aufnehmen zu lassen, in dem die Maßabdrücke aufbewahrt
werden. Und um sich ein Paar Schuhe zu bestellen, die einen
Hauch von Geschichte an sich haben.
Wir lassen unsere Sohlen kurz das Gaspedal des Targa antippen, aber die 3,6 Liter Hubraum des Sechszylinders werden
auf der Provinzstraße 120 nicht annähernd ausgeschöpft. Kurz
vor Cerda am Start und Ziel der Targa-Rundstrecke halten wir
– das Glasdach inzwischen um einen halben Meter nach hinten
gefahren – nach den Tribünen Ausschau. Heute ist das, was
man damals stolz „Floriopoli“ nannte, zu einem Betonskelett
verkommen. Dafür ist im Dorf die Erinnerung an die ruhmreichen Tage sehr lebendig geblieben. Auf dem Parkplatz vor
der Kirche begutachtet Salvatore Castiglia, 80 Jahre alt und
mit noch einem übrig gebliebenen Zahn, vorschriftsmäßiger
Coppola auf dem Kopf und einer immer noch großen Leidenschaft für die Florio, die lautlose Automatik des Glasdachs.
Dabei gerät er ins Erzählen: „Wenn die Florio gestartet wurde,
war das ein glücklicher Tag. Aber das Fest begann bereits einen
Monat vorher, als die Mannschaften von Alfa und Porsche
anreisten.“
„Wir kämpfen darum, das Rennen wieder zu bekommen“, sagt
Filippo Bartolotti. Der 45-Jährige kann sich noch gut an die
letzten Targas erinnern. Verboten wurde die Veranstaltung, weil
sie zu gefährlich wurde. Zusammen mit Cosimo Rizzo und
Antonino Catanzaro hat Filippo ein kleines Gedenkmuseum ins
Leben gerufen. Dort findet man Fotos aus unterschiedlichen A
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Epochen, kleine Modelle der Autos großer Piloten, Postkarten mit
Gedenkstempeln, Plakate, Bücher, Zeitungen und Zeitschriften
sowie den Rennanzug und den Helm des örtlichen Helden, Baron
Antonio Pucci – offizieller Werksfahrer für Porsche und TargaSieger im Jahr 1964. Der Adlige selbst bewahrt noch die gewonnene
Bronzeplakette, die berühmte Targa, in seiner Villa in Castellana
Sicula auf. „Das Jahr ’64 war ein magisches Jahr. Erst die Florio zu
gewinnen und dann als Erster die Nordschleife des Nürburgrings
unter zehn Minuten zu fahren“, schwelgt der fliegende Baron.
Nach Cerda geht es in ständigen Kehren bergauf bis zum Bauernhof
von Granza und dann wieder im Zickzack hinunter bis zur Abzweigung nach Sclafani Bagni. Danach zieht sich die Straße nach
Caltavuturo hinauf und hinunter bis nach Scillato. Pucci Spatafora,
der selbst mit einem Porsche die Targa fuhr, denkt heute noch mit
leichtem Bauchgrimmen an die Passage: „Dieses Gefälle war der
schwierigste Punkt. Der Magen hat darunter gelitten ...“
Ganz anders das heutige Targa-Schaulaufen. Die 5,2 Sekunden,
die der Elfer von null auf 100 braucht, bleiben meist ein schöner
theoretischer Wert. Manchmal jedoch werden die Sprintqualitäten
herausgefordert. Wir genießen den Perspektivwechsel: Sich von der
Raserei erzählen lassen und selbst das Gleiten pflegen. Die traumhafte Landschaft und der Komfort unterm Dach laden dazu ein.
Ringsum Olivenhaine und Weizenfelder. Die Rundstrecke passiert
dann auf fast 600 Metern Höhe Portella di Mare und gibt die
Sicht frei auf den Monte Cucullo links sowie den Golf von Termini A
Das Schild der Schilder : Die Targa-Piloten früherer Zeiten mussten
weder auf Wegweiser noch auf vierbeinige Verkehrsteilnehmer achten
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Rast-Plätze: Der Targa-Tourist kann sich seine Rundenzeiten
selbst vorgeben und jedes Straßencafé als Etappenziel nehmen
Kreisverkehr : Die historische Routenführung der Targa Florio
führt auch am Hafen von Cefalù vorbei
LIPARISCHE INSELN
Stromboli
Filicudi Salina
Lipari
Alicudi
Vulcano
TYRRHENISCHES
MEER
Palermo
Messina
Campo- Cefalù
felice
Collesano
Alcamo
Cerda
Scillato
Caltavuturo
Enna
Mazara
Caltanissetta
del Vallo
Trápani
Agrigento
Catanzaro
Grafik: RWS
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Kal ab ri e n
Reggio
Ätna
Catania
S i z i l i en
Syrakus
Gela
Ragusa
Noto
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Imerese rechts, mit dem Profil des Monte Castellano. Nachdem der Hügel überwunden ist, geht es erneut hinunter, bis
man durch Collesano fährt. Hier ist ein Treffen mit Nino
Arcara eine Pause wert.
Nino ist seit 40 Jahren Mechaniker, von Rennwagen versteht
er eine Menge. „Die Autos, die hier in der Kurve einen Unfall
hatten, habe ich wieder gerichtet und sie fuhren sofort weiter.“
Er ließ seinen Porsche mit einem auf 230 PS gebrachten Motor
von einheimischen Piloten in den Targa-Rennen mitfahren.
Seine Werkstatt in der Via Isnello 60 ist ein Heiligtum voll mit
Fotos und tausend Anekdoten. Nun noch wenige Kilometer
bergab und man kommt, berauscht vom Duft der Orangenund Jasminblüten, in Campofelice di Boccella an. Dann biegt
man auf die Gerade von Buonfornello ein, die an den Ruinen
100 km
von Imera vorbei zur Abzweigung an der Eisenbahnstation von
Cerda führt, um schließlich nach „Floriopoli“ zurückzukehren.
Wenn man in Ruhe die Panoramablicke der Rundstrecke genießen möchte, braucht man fast drei Stunden. Damals benötigten die schnellsten Fahrer für die gleiche Tour lediglich rund
eine halbe Stunde. Alfa stellte einen Rekord von 33 Minuten
auf: Diese Zahl verlieh einem Wagen des Hauses aus Arese den
Namen, während Porsche den Namen Targa für sein Halbcabriolet übernahm.
Dranbleiben, ein gutes Stichwort. Wir haben Lust bekommen
B
auf eine zweite Runde mit dem Targa.