Die Bibliothek und das Literaturhaus der Museumsgesellschaft

Transcription

Die Bibliothek und das Literaturhaus der Museumsgesellschaft
Die Bibliothek und das Literaturhaus der Museumsgesellschaft wünschen
Ihnen einen schönen Sommer mit vielen guten Büchern –
Hier unsere Lesetipps!
Sandra Gubler (Literaturhaus)
Thomas Macho, Judith Schalansky: Schweine (Matthes & Seitz 2015)
Kein anderes Tier wird häufiger verspeist, und auch sprachlich werden das Schwein, die Sau und das
Ferkel oft und gern in den Mund genommen: Als Ausdruck unverdienten Glücks und fehlender
Manieren, als Schimpfwort für Zeitgenossen und das kapitalistische System. Der Kulturwissenschaftler
Thomas Macho verfolgt die Karriere des Borstentiers vom früh domestizierten und später von Hirten
gehüteten Nutztier zum Fleisch- und Allegorienlieferanten Nummer eins. Sein Buch ist ein Plädoyer
gegen Reinlichkeitsfantasien aller Art, ein Portrait alter und neuer Rassen sowie der Beweis, dass das
Schwein dem Menschen in Komplexität und Widersprüchlichkeit in nichts nachsteht.
Paul Maar: Das Sams (Oetinger, 7 Bände, einige Geschichten wurden verfilmt, auch als
Hörbücher erhältlich)
Ein Spass zum Vorlesen. Das rüsselnasige, vorlaute Wesen mit den roten Stachelhaaren macht dem
braven Herrn Taschenbier Mut, für sich und seine Rechte einzustehen. Und es erfüllt Wünsche. Herr
Taschenbier gerät wegen des Sams immer wieder in ganz schön verrückte und turbulente Situationen.
Sein Leben verändert sich, seit das Sams zu ihm gefunden hat.
Takeshi Hiraide: Der Gast im Garten (Insel 2015)
Ein leises Buch über ein junges kinderloses Paar, das erschöpft vom Lärmen der Grossstadt, ein
Gartenhaus ausserhalb Tokyos bezieht. Als eines Tages ein kleines Kätzchen auftaucht, unterbricht
es die beschauliche Stille des weitläufigen Gartens. Mehr und mehr öffnen sich die beiden dem
unverhofften Gast, und bemerken dabei kaum, was die Katze tatsächlich für ihr Leben bedeutet – bis
sie eines Tages verschwindet.
Miriam Hefti (Literaturhaus)
Patrick Chamoiseau: Die Spur des Anderen (in der Übersetzung von Beate Thill, Wunderhorn
Verlag 2014), Signatur N2228
Sonne, Weite, einsame Insel – das Ferienidyll? Nicht so für Robinson, den allein Gestrandeten.
Patrick Chamoiseau schreibt den Robinson Crusoe-Topos neu: Voller Panik verbringt Robinson seine
erste Nacht auf der Insel auf einem Baum. Mit der Zeit kultiviert er die Insel zu seinem Reich und
durchlebt verschiedene Zyklen des Wahrnehmens und Begreifens. Als er eines Tages die Spur eines
Anderen im Sand entdeckt, ist er sehnsüchtig dem unsichtbaren Gegenüber verfallen und begegnet
doch immer nur sich selbst …
Stefanie Lind (Bibliothek)
Vladimir Nabokov: Pnin (Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1994), Signatur H 6966: 9
„Ein sehr netter Mensch ist er nicht, aber lustig“ – so charakterisierte Vladimir Nabokov seinen Helden
Pnin im gleichnamigen Roman. Der aus Russland in die USA eingewanderte Professor ist ein
Aussenseiter, der mit dem amerikanischen Lebensstil nicht zurechtkommt. Im ständigen Kampf mit
den Wirren des Alltags misslingt dem zerstreuten, altmodischen Professor fast alles, was er an die
Hand nimmt. Aber gerade seine Ungeschicklichkeit und Hilflosigkeit machen ihn zu einem
liebenswerten Charakter. Ein äusserst lesenswerter Roman!
Jon Fosse: Das ist Alise (Hamburg: Marebuchverlag, 2003), Signatur J 5362
Einsam und traurig liegt die alte Signe auf einer Bank in ihrem Haus, sieht sich selbst als junge Frau
am Fenster stehen, sieht ihren Mann Asle, der eines Tages mit dem Boot auf den Fjord fuhr und nicht
mehr zurückkehrte. Signe traumwandelt durch die Vergangenheit, füllt das Haus mit Stimmen früherer
Generationen – bis zurück zu Asles Ururgrossmutter Alise, deren Enkel genau wie Asle nicht mehr
vom Fjord zurückkehrte. Erzählperspektiven und Zeitebenen fliessen ineinander, und der Leser kann
sich durch die repetitive und monotone Sprache Fosses den miteinander verwobenen inneren
Monologen der Figuren kaum entziehen.
Beatrice Mascarhinhos (Bibliothek)
Richard Yates: Easter Parade (DVA 2007), Signatur J 7234
Die Kurzgeschichten des amerikanischen Autors Richard Yates (1926-1992) zählen zu den besten
des 20. Jahrhunderts, meist spielen sie in amerikanischen Vorstädten der 1930er bis 1960er Jahre.
„Easter Parade“ erzählt das Leben zweier Schwestern: Die eine setzt auf Familie, die andere auf
Karriere – am Ende scheitern beide. Yates lässt in „Easter Parade“ (wie auch in seinen anderen
Erzählungen) viel von seinem eigenen Leben einfliessen. Auch seine Ehen scheiterten und immer
wieder war der Alkohol im Spiel.
Elisabeth Morger (Bibliothek)
Nathaniel Hawthorne: Der scharlachrote Buchstabe. Eine Phantasie (aus dem Englischen
übersetzt und kommentiert von Jürgen Brôcan, Hanser, 2014), Signatur N 1601
Rigide Moralvorstellungen herrschen in Neuengland gegen Ende des 17. Jahrhunderts. Hester Prynne
muss als Zeichen ihres Ehebruchs einen roten Buchstaben auf der Kleidung tragen. Selbst am
Pranger verrät sie nicht, wer der Vater ihrer Tochter ist. Dieser Roman erschien 1850 und zählt zu den
bedeutendsten Werken der amerikanischen Literatur.
Gesa Schneider (Literaturhaus)
Anne Tyler: Dinner im Restaurant Heimweh (aus dem Amerikanischen von Ulrike von
Puttkamer, Kein und Aber 2014), Signatur P 3541
Für die Ferien wünsche ich mir Bücher, die mich über meinen eigenen Horizont hinaustransportieren,
die mich mit anderen Menschen leben lassen, Menschen, die in ihrer Widersprüchlichkeit und
Verletzlichkeit mein eigenes Dasein bereichern, mich zum Denken bringen und – denen ich folgen will.
Eigentlich sind alle Bücher von Anne Tyler in dieser Beschreibung enthalten, sie verbindet eine
Mischung aus Empathie für die Figuren, grosser Melancholie und Lebensbejahung. Das ist kein
Widerspruch! Allen, die ihre Bücher nicht kennen, kann ich „Dinner Restaurant Heimweh“ (1982
erschienen) ans Herz legen, im wahrsten Sinne des Wortes. Das Buch folgt den Geschwistern Cody,
Ezra, und Jenny und geht zugleich der Frage nach, was Erinnerung bedeutet, oder: wie unzuverlässig
und wechselhaft Erinnerung sein kann.
Mirjam Schreiber (Bibliothek)
Peter O’Donnell: Modesty Blaise (Souvenir Press 1965), Signatur P 360
Weil niemand die Bösen ebenso originell wie charmant und dabei überaus gekonnt vermöbelt und zur
Strecke bringt. Mit vielfältigen Fähigkeiten, einem äusserst ansprechenden Äusseren sowie einer
geheimnisvollen Vergangenheit ausgestattet, übernimmt Modesty Blaise für den britischen
Geheimdienst die ganz schwierigen Fälle. Und natürlich auch weil niemand seine Messer so präzise
wirft wie ihr Sidekick Willie Garvin.
Marlen Haushofer: Die Wand (Claassen 1983), Signatur H 4326
Ein verstörendes Buch mit einem mächtigen Sog. Ohne erkennbaren Grund wird eine Frau über Nacht
vom Rest der Welt durch eine unsichtbare Wand abgetrennt. Dahinter gibt es offenbar ausser
Vegetation kein Leben mehr und sie ist fürs Überleben im bergigen Waldgebiet ganz auf sich alleine
gestellt. Ein Wald, einige Tiere und die Frage, was es bedeutet Mensch zu sein, wenn man der, bzw.
die einzige ist, die übrig geblieben ist.
Mario Benedetti: Die Gnadenfrist (Lamuv 1984), Signatur H 4830
Der 50-jährige Buchhalter Martin Santomé führt Tagebuch. Er steht kurz vor der Pensionierung, über
die Bilanz seines Lebens ist er sich nicht ganz im Klaren, grosse Erwartungen an die Zukunft hat er
nicht. Eine unerwartete Liebe überrascht ihn, scheint neue Möglichkeiten zu eröffnen und ist doch nur
eine kurze Gnadenfrist. Ein kurzer, berührender Roman über das Verrinnen der Zeit, die Liebe und
den Tod.
Isabelle Vonlanthen (Literaturhaus)
David Grossman: Stichwort: Liebe (aus dem Hebräischen von Judith Brüll, Hanser 1991),
Signatur H 7555
Dieses Buch ist ideal, wenn man die Aussicht auf mindestens zwei oder drei Wochen Ferien mit
endlos langen Lesetagen vor sich hat (im regnerischen Irland? am Strand, oder im Baumschatten?)
und sich wieder einmal mit Haut und Haaren einem Buch ausliefern möchte. David Grossmans
Roman ist traurig, komisch, fantastisch, alles aufs Mal, und vor allem – zutiefst menschlich. Wovon er
erzählt? Vom neunjährigen Schlomo Neuman, der jeden Tag ein Wort in der Hebräischen
Enzyklopädie nachliest (dort aber nichts zu wichtigen Wörtern wie „Glück“ oder „Liebe“ findet), von
Grossvater Anschel und der „Nazi-Bestie“, vom Obersturmbannführer eines KZ und einer berühmten
Kinderbande, vom polnischen Autor Bruno Schulz, einem grossen Fisch, der Macht des Erzählens
u.v.a.
Zbigniew Herbert: Ein Barbar in einem Garten (aus dem Polnischen von Klaus Stämmler und
Walter Tiel, Suhrkamp 1997)
Wer diesen Sommer nicht selber nach Italien und Frankreich reisen wird, kann es in dem
wunderbaren Essayband des polnischen Dichters Zbigniew Herbert tun. Zeit seines Lebens war die
Mittelmeerwelt- und Kultur für Herbert Inspiration, und auch Fluchtpunkt vor der repressiven
polnischen Volksrepublik. 1958-1960 reist er durch Frankreich und Italien und beschreibt, was er sieht:
Landschaften, Städte, vor allem aber Kunstwerke, Statuen, Bilder. Das tut er zugleich zutiefst poetisch
und hoch reflektiert – allein über die Bedeutung einer verlorenen Sandale oder den Faltenwurf in
einem mittelalterlichen Fresko sinniert er einige Seiten lang, und bei einer zufälligen
Reisebekanntschaft konstatiert er „die Stimme eines Feldwebels, der aus der Heiligen Schrift vorliest“.