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braunschweiger beiträge für theorie und praxis von ru und ku 118 4/2006 issn 0172-1542 herausgegeben vom KIRCHENCAMPUS Wolfenbüttel schriftleitung: hans-georg babke und heiko lamprecht arbeitsbereich religionspädagogik und medienpädagogik der ev.-luth. landeskirche in braunschweig postfach 16 64, 38286 wolfenbüttel telefon: [05331] 802-507 oder -504 • fax: [05331] 802 713 http://www.arpm.de • e-mail: [email protected] impressum Schriftleitung: Pfarrer Dr. Hans-Georg BABKE, ARPM, Wolfenbüttel Pfarrer Heiko LAMPRECHT, ARPM, Wolfenbüttel in Kooperation mit Axel KLEIN, Dozent für Konfirmandenarbeit und schulnahe Jugendarbeit, Wolfenbüttel Mitarbeiter dieses Heftes: Mareike Ahrens, Im Dorfe 8a, 29313 Hambühren Prof. Dr. Manfred BÖNSCH, In der Bebie 54, 30539 Hannover Ute-Agnes guth, Hohes Feld 6, 38531 Rötgesbüttel Prof. Dr. Heino R. MÖLLER, Am Dorfbrunnen 28, 30989 Gehrden/Everloh Layout: Veronika SCHNEIDER, ARPM, Wolfenbüttel Druck: Druckerei KOTULLA, Wolfenbüttel ‘braunschweiger beiträge’ erscheinen viermal im Jahr. Preis im Abonnement 9,00 EURO; Einzelheft 3,00 EURO Auflagenhöhe ‘bb’ Heft 118-4/2006: 2.000 Exemplare Bestellaufnahme: Arbeitsbereich Religionspädagogik und Medienpädagogik der Ev.-luth. Landeskirche in Braunschweig Dietrich-Bonhoeffer-Str. 1, 38300 Wolfenbüttel Tel.: [05331] 802 507 • Fax: [05331] 802 713 http://www.arpm.de • e-mail: [email protected] Landeskirchenkasse Wolfenbüttel, EKK Hannover, Konto 65 05, BLZ 250 607 01 Ab- und Raubdrucke sowie Fotokopien und sonstige Vervielfältigungen sind dringend erwünscht. Bitte Quellenangaben nicht vergessen, zwei Exemplare immer als Beleg an uns. Wir freuen uns, danke! Quellen: Titelfoto: Fortbildung im Ausland „Zypern im Schnittpunkt der Kulturen“, 18.-25.10.2006 Liebe Leserin, lieber Leser! Wie bereits für die Kernfächer Deutsch, Mathematik und 1. Fremdsprache sind mittlerweile Bildungsstandards auch für das Fach Evangelische Religion durch eine Expertengruppe am Comenius-Institut Münster – zumindest als erster Entwurf – vorgelegt worden. Entsprechend der durch KMK-Beschluss verbindlichen funktionalistischen Bildungstheorie definieren fachspezifische Bildungsstandards diejenigen Kompetenzen, die Schülerinnen und Schüler am Ende der Sekundarstufe I nachweislich erreicht haben sollen. Schulische Bildung macht sich künftig nicht mehr fest an behandelten Stoffen, sondern an den kognitiven Fähigkeiten und praktischen Fertigkeiten, die für die Schüler/-innen zur Bewältigung theoretischer und praktischer Herausforderungen ihrer Lebenswelt verfügbar sind, sowie an der Bereitschaft, diese Fähigkeiten und Fertigkeiten auch in den unterschiedlichsten Situationen einzusetzen (Weinert). Dadurch soll die Qualität des Unterrichts verbessert werden. Nicht nur nach unserem Verständnis bedeutet das ein radikales Umdenken in Bezug auf die Unterrichtsvorbereitung und -gestaltung. Darauf hat auch Professor Dr. Olaf Köller, Präsident des Berliner KMK-Instituts für die Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB), beim diesjährigen Tag des Religionsunterrichts der Ev.-luth. Landeskirche in Braunschweig hingewiesen. Der erste Schritt besteht darin, dass komplexe Aufgaben für das letzte Halbjahr in Klasse 10 (bzw. 9 in der Hauptschule) entwickelt werden müssen, die alle verbindlichen Kompetenzen abdecken. Sodann sind aus diesen Aufgabenvorschlägen die Unterrichtsvoraussetzungen zu analysieren, die erforderlich sind, damit die Schüler/-innen die Aufgaben lösen können. Diese Unterrichtsvoraussetzungen müssen in der Abschlussklasse eingeübt oder wiederholt worden sein. In einem weiteren Schritt sind die Teilkompetenzen zu definieren, die am Ende von Klasse 8, 6 und 4 erworben sein müssen. Sodann sind auch für die Teilkompetenzen geeignete Testaufgaben zu entwickeln, aus denen wiederum die Unterrichtsvoraussetzungen für den jeweiligen Doppeljahrgang zu erheben sind. Da es sich bei den Kompetenzen um habituell eingeregelte Fähigkeiten und Fertigkeiten handelt, ist es erforderlich, dass sie immer wieder trainiert, eingeübt, aber auch auf höherem Niveau erweitert werden, damit sie verfügbar sind. Nach der funktionalistischen Logik werden die Kompetenzen von oben nach unten definiert, müssen aber von unten nach oben sukzessive und kumulativ aufgebaut werden. In dieser gegenläufigen Bewegung liegt die Schwierigkeit des Unterrichtens nach den Bildungsstandards. Das hat zur Folge, dass für alle Kompetenzen und Kompetenzbereiche Trainingsmodule entwickelt werden müssen, die in jeder Jahrgangsstufe mit variierenden Inhalten zu wiederholen sind. Die Frage wird in Zukunft nicht mehr sein: Wie bereite ich die festgelegten Inhalte der Rahmenrichtlinien entwicklungsgerecht auf?, sondern: Mit welchen Inhalten kann ich die festgelegten Kompetenzen einüben, erweitern und verstetigen? In der Bundesrepublik arbeiten zurzeit einige Teams von Religionslehrkräften an der Entwicklung von komplexen Test- und Übungsaufgaben, an der Zergliederung von Unterrichtsvoraussetzungen und der Zuweisung der Unterrichtsvoraussetzungen an bestimmte Jahrgangsstufen. Ein Team ist auch beim ARPM Wolfenbüttel angesiedelt. Mit ersten Ergebnissen wird Ende 2008 gerechnet. Die „braunschweiger beiträge“ werden in Zukunft eine Plattform für die Zwischen- und Endergebnisse dieses Paradigmenwechsels sein, sowohl in theoretischer Hinsicht als auch mit kompetenzorientierten Unterrichtsentwürfen. Es ist uns ein Anliegen, Ihnen in diesem Umbruch Hilfestellung für Ihre Unterrichtspraxis zu geben. Ihr u-einheit: umgang mit trauer ute-agnes guth Wege zum Kerncurriculum 1. Schritt: Zu Beginn des Schuljahrs haben wir den schuleigenen Stoffverteilungsplan durchgesehen und die Themen den Leitfragen des Kerncurriculums zugeordnet. Die dort genannten Kompetenzen haben wir als Intention (Lernziele) verstanden. März April Aus Trauer wird Freude – Passion und Ostern 1 3 5 - - - - wissen, dass Trauer und Freude Grunderfahrungen menschlichen Lebens sind kennen die Geschichte vom Sterben Jesu und von den Frauen am leeren Grab wissen um die Trauer und Freude kennen das Osterfest als Ausdruck der Freude über die Auferstehung Sachkompetenz: fachspezifisches Wissen ökumenische Ausrichtung Methodenkompetenz: Symbole erkennen und zuordnen Soziale Kompetenz: Gemeinschaftliche Aktion 2. Schritt: Basteln einer Kompetenzscheibe (Sechskant) Die inhaltsbezogenen Kompetenzbereiche wurden farbig markiert und die zu erwartenden Kompetenzen der einzelnen Leitfragen und Schuljahrgänge auf entsprechendes Papier kopiert. Jetzt konnten die Kompetenzen möglichen Themen zugeordnet werden. (Themenpuzzle) 3. Schritt: Planung einer Unterrichtseinheit. Unser Kalender ist von der Erinnerung an wichtige Ereignisse im Leben Jesu geprägt. Die Vermittlung von Fachwissen zu den großen Festtagen der Kirchen ist Aufgabe des RU. Auch sollen Schüler religiöse Motive und Elemente identifizieren, reflektieren und die Bedeutung erklären können. Dazu muss der RU den religiösen Hintergrund gesellschaftlicher Traditionen und Strukturen erkennen und darstellen. Wie kann der RU in einer ersten oder zweiten Klasse aussehen, der einerseits dem Kerncurriculum entspricht, andererseits aber auch den Kindern gerecht wird? Da es sich für mich ausschließt, Weihnachten die Geburt Jesu und Ostern Tod und Auferstehung Christi zu vermitteln, suche ich nach den Möglichkeiten, die das Kerncurriculum uns nun bietet: bei den lebensweltlichen Erfahrungen der Schülerinnen und Schüler anzusetzen und die Verständniswege anzubahnen, die sie brauchen, um Kreuz und Auferstehung auf Christus hin deuten zu können (Erwartete Kompetenzen 3./4. Klasse) 2 'bb' 118-4/2006 Eine Unterrichtseinheit für den Anfangsunterricht - Das neue Kerncurriculum für Ev. Religion ist in Kraft, und wir alle suchen nach Möglichkeiten der Umsetzung. Unter der 1. Leitfrage „Nach dem Menschen fragen“ findet sich folgender Hinweis: „Im Religionsunterricht lernen die Schülerinnen und Schüler Ausdrucks- und Verstehenswege kennen, ihre Fragen und Erfahrungen wahrzunehmen, auszudrücken, gemeinsam zu deuten und die religiöse Dimension des Lebens aufzuspüren.“ (Kerncurriculum S. 14) Emotionen, Empfindungen und Gefühle gehören zu uns und unserem Leben. Sie sind Reaktionen auf alltägliche Situationen. Besonders im Anfangsunterricht der Grundschule beobachten wir täglich mehrfach bei unseren Schülerinnen und Schülern: Lange bevor ein Denkprozess in Gang gesetzt wird, reagiert unser Körper auf der emotionalen Ebene. Nicht nur wir Lehrerinnen und Lehrer werden immer wieder mit „Gefühlsausbrüchen“ konfrontiert, sondern auch die Kinder. Sie machen betroffen, besonders wenn sie negativ sind. Was können wir tun, um zu den zu erwartenden Kompetenzen zu kommen? Wie muss der Unterricht aussehen, damit diese auch überprüft werden können? Zunächst einmal müssen wir die - Selbstwahrnehmung fördern, d.h. die eigene Gefühlswelt wahrnehmen - Sprachmuster aufbauen, um mit anderen darüber sprechen zu können Mit der Unterrichtseinheit „Umgang mit Trauer“ möchte ich die auf S. 14 genannten Kompetenzen erarbeiten: Die Schülerinnen und Schüler - nehmen Freude, Trauer, Angst, Wut und Geborgenheit als Erfahrungen menschlichen Lebens bei sich und anderen wahr und drücken sie aus. - nehmen wahr, dass Leben Anfang und Ende hat kennen die Bedeutung menschlicher Beziehungen und gestalten sie. 3 'bb' 118-4/2006 - - Einfühlungsvermögen fördern und schulen, um die Gefühle anderer wahrzunehmen und verantwortungsvoll mit ihnen umzugehen Selbstbeherrschung einüben, um emotional unterschiedlich und angemessen zu agieren, bzw. zu reagieren Traurigkeit ist eine sehr belastende Emotion, die immer eine tiefe Betroffenheit beinhaltet. Die Ursachen können der Tod eines Menschen oder Tieres, Ablehnung, nicht erfüllte Erwartungen, Verfehlung eines selbstgesteckten Ziels oder der Verlust einer sozialen Beziehung sein. Um Strategien entwickeln zu können, aus der Trauer oder der „Blockade“ herauszukommen, müssen die Kinder eine „Sprache“ haben, mit der sie ihre Gefühle ausdrücken können. Dazu gehört auch der Gesichtsausdruck, die Körperhaltung und der Tonfall. Eine Klassenlehrerin hat viele Gelegenheiten, hilfreiche Haltungen im Unterrichtsalltag einzuüben. Im Fachunterricht jedoch kann ich nicht darauf warten, dass sich eine Situation von allein ergibt, sondern ich muss solche Lernprozesse initiieren. Darin sehe ich auch eine ganz große Chance. Umgang mit Trauer 1. Klasse 2. Klasse 1. Std. Trauer und Freude ausdrücken Über Freude und Trauer reden 1. Stunde (vgl. Bilder im Anhang) Vorbereitung Aus einem roten und gelben Tuch (Dreieck) ein Haus (M1) legen und Sch. vermuten lassen Ich vermute, dass... das eine Schule ist 1. Bild eines Schulkindes (Hanna, M2a) Das ist Hanna. Sie geht gern in die Schule... Bestimmt weißt du, warum Hanna so gern in die Schule geht. Das Bild wird im Kreis herum gegeben. Wer mag, darf sagen... Hanna geht gern in die Schule, weil... Das Bild wird in die Schule gelegt. 2. Lehrererzählung: Wenn Hanna mittags nach Hause kommt, fliegt der Ranzen in die Ecke, die Jacke auf den Boden und Hanna stürmt in die Küche, um Mama zu erzählen, wie toll es heute wieder in der Schule war. Aber heute ist es anders: Hanna stellt ihren Ranzen ab, hängt die Jacke an die Garderobe und geht in die Küche. Sie setzt sich auf den Stuhl. Doch sie bleibt heute still. 3. 2. Std. Arbeit mit dem Bilderbuch Visuell unterstützte Leh„Leb wohl Chaja“ rererzählung „Leb wohl lieber Dachs“ 3. Std. Individuelle Auseinandersetzung durch bildliche Gestaltung eines Minibuchs Unterrichtsschritte Individuelle Auseinandersetzung durch bildliche Gestaltung – Wandfries 4. Std. Trauerverarbeitung mit dem Bilderbuch „Wie der kleine rosa Elefant einmal sehr traurig war und wie es ihm wieder gut ging“. Gemeinschaftsarbeit: Plakat mit Eule und ihren drei Ratschlägen Bild in die Mitte legen: Hanna ist traurig (M2b). „Was ist los Hanna?“ will die Mama wissen. „Was ist passiert?“ Ein Körbchen mit blauen Glassteinen wird gezeigt. Wenn du weißt, warum Hanna zum Weinen zumute ist, dann nimm dir eine „Träne“ aus dem Körbchen und gib es an den Nachbarn weiter. Jeder, der einen Glasstein genommen hat, darf den Grund sagen und dabei die Träne an das Bild legen. Die Lehrerin beginnt. Hanna ist traurig, weil die Lehrerin sie beim Lesen nicht drangenommen hat. Die Lehrerin legt die Träne ab. Alle, die eine „Träne“ aufgenommen haben, äußern sich nacheinander und legen den Glasstein ab. 4. Die Mama ist ganz betroffen und überlegt, wie sie Hanna trösten kann. Die Lehrerin hat gelbe Papierstreifen vorbereitet, die sie nun zeigt. Wenn du weißt, wie Mama Hanna trösten kann, nimmst du dir einen Streifen. Nacheinander sagen die Kinder ihre Sätze und decken die Träne damit zu. Die 2. Klasse kann auf die Streifen auch einen Trostsatz schreiben = Unterbrechung der langen Phase im Sitzkreis. 5. 4 Bestimmt geht es Hanna jetzt wieder besser. 'bb' 118-4/2006 Vielleicht kann sie sogar schon wieder lachen, so wie der Smily. Eine Pappscheibe wird hochgezeigt. > diese kann gebastelt werden oder das Lied: „Wenn ich fröhlich bin...“ (M3a) aus dem Projekt „Klasse wir singen“, schließt die Stunde. 2. Stunde Leb wohl Chaja (Arbeit mit dem Bilderbuch) 1. Wir falten gemeinsam ein Minibuch (M3b). 2. Im Sitzkreis liegt ein „Geheimnis“ – ein braunes Tuch, in dem etwas verborgen ist. Jedes Kind deckt einen Zipfel auf: (Rücksichtnahme wird geübt). Zum Vorschein kommt ein Stein, drei gelbe Federn und ein kleines Holzkreuz (aus Ästen) gefertigt. 3. Die Schülerinnen und Schüler äußern ihre Vermutungen dazu. Sie erzählen vom Tod eines Haustiers, von Vögeln und Käfern, die sie begraben haben. Manchmal erzählen sie auch vom Tod eines nahen Verwandten. Ich lege das Bilderbuch „Leb wohl Chaja“ dazu und lasse wieder Vermutungen äußern. Die Kinder erfassen schnell, dass es sich um einen gelben Wellensittich handelt, der stirbt. 4. Ich weise auf das folgende Bilderbuchkino hin und die Schüler bilden Sitzreihen vor dem Lehrertisch. 5. Die Präsentation der Geschichte erfolgt als Lehrervortrag eng an die Vorlage angelehnt als Erzählung (1. Klasse) oder wird vorgelesen (2. Klasse). 6. Nach spontanen Äußerungen erfolgt die individuelle Auseinandersetzung durch bildliches Gestalten des Minibuchs. (siehe Faltanleitung) Medien - - - - Kerncurriculum für die Grundschule Nieders. Kultusministerium Hannover 2006 Lied aus dem Projekt Klasse wir singen, www.Klassewirsingen. de Braunschweig 2006 Bilderbuch: Leb wohl Chaja Nord- Süd- Verlag 1998 Bilderbuch: Wie der kleine rosa Elefant ... bohem press 1999 5 'bb' 118-4/2006 Umgang mit Trauer Eine Unterrichtseinheit für den Anfangsunterricht M1 Umgang mit Trauer Eine Unterrichtseinheit für den Anfangsunterricht 6 1 2 3 4 5 6 'bb' 118-4/2006 M2a M2b M3a 7 'bb' 118-4/2006 M3a M3b 8 'bb' 118-4/2006 u-stunde: das gleichnis vom barmherzigen samariter mareike ahrens 1. Curriculare Einbindung der Stunde in die Einheit Std. Stundenthema Didaktischer Schwerpunkt - In Bildern sprechen – Bildworte der Alltagssprache 2 - SuS sollen sich mit dem Charakteristischen bildhafter Redensarten (Mehrdeutigkeit) bezogen auf Alltagssprache auseinandersetzen. SuS sollen bildhafte Vergleiche untersuchen und formulieren, um ein tieferes Verständnis von Gleichnissen anbahnen zu können. 1 In Bildern sprechen – Bildworte der Bibel SuS sollen auf Grundlage des ausgewählten Jesaja-Textes (Jes 11, 6-8) für das Verstehen von Gleichnissen eine Vorstellung vom „Reich Gottes“ anbahnen. 1 Das Gleichnis vom barmherzigen Samariter SuS sollen das Gleichnis vom barmherzigen Samariter inhaltlich durch schauendes Erzählen kennen lernen, sich den Begriff „barmherzig“ semantisch erschließen und die Aussage des Gleichnisses mit eigenen Worten schriftlich formulieren. 1 Der barmherzige Samariter – heute SuS sollen das Gleichnis vom barmherzigen Samariter auf andere ihnen bekannte Situationen übertragen und Konsequenzen für ihr eigenes Handeln daraus ableiten. 1 Das Gleichnis vom verlorenen Sohn SuS sollen das Gleichnis mit Hilfe eines Diavortrags kennen lernen, das Verhalten des Vaters beschreiben, erklären und auf Gott bzw. Gottes Reich übertragen. * aus Gründen der besseren Lesbarkeit verzichte ich auf die zusätzliche Nennung weiblicher Personenbezeichnungen im Text. Sie werden nachfolgend unter der männlichen Form subsumiert. Die Abkürzungen L und SuS in den Tabellen und Zielen stehen für den Lehrer und die Schülerinnen und Schüler. 2. Lernziele 2.1. Grobziel der Unterrichtseinheit Die SuS sollen Gleichnisse als bildhafte Erzählungen kennen lernen, mit denen Jesus die Menschen auf Gerechtigkeit und Liebe sowie auf Gott und Gottes Reich hinweist, um menschlichem Handeln eine Richtung zu geben, indem sie sich exemplarisch die Gleichnisse vom barmherzigen Samariter und vom verlorenen Sohn erschließen. 2.2. Grobziel der Unterrichtsstunde Die SuS sollen das Gleichnis vom barmherzigen Samariter inhaltlich durch schauendes Erzählen kennen lernen, sich den Begriff „barmherzig“ semantisch erschließen und die Aussage des Gleichnisses mit eigenen Worten schriftlich formulieren. 9 'bb' 118-4/2006 2.3. Feinziele Die SuS sollen... FZ 1 ... das Gleichnis vom barmherzigen Samariter inhaltlich kennen lernen, indem sie dem Lehrervortrag in Form des schauenden Erzählens auditiv und visuell folgen. (kognitiv-affektiv) FZ 2 ... das Ungewöhnliche an der Hilfe des Samariters verbalisieren können, indem sie seine Hilfeleistung vor dem Hintergrund der feindlichen Beziehung zwischen Juden und Samaritern reflektieren. (kognitiv-affektiv) FZ 3 ... den Begriff „barmherzig“ semantisch erfassen können, indem sie Synonyme und Antonyme in einer Tabelle an der Tafel entsprechend zuordnen. (kognitiv) FZ 4 ... die Kernaussage des Gleichnisses formulieren können, indem sie diese in Partnerarbeit mit eigenen Worten in entsprechende Sprechblasen für den Schriftgelehrten bzw. für Jesus schreiben. (kognitiv-affektiv) 2.4. Prozessuales Lernziel Die SuS sollen kooperativ auf ein gemeinsames Ergebnis hinarbeiten können, indem sie untereinander ihre Meinungen und Gedanken diskutieren und sich einigen. (sozial-kognitiv) 3. Sachanalyse Gleichnisse gehören zum Redestoff der Bibel und sind vor allem in den synoptischen Evangelien überliefert. Es handelt sich um von Jesus gesprochene Erzähltexte zur Verkündigung der Gottesherrschaft, die dazu bestimmt sind, eine Wahrheit einzuprägen oder eine bestimmte Frage zu beantworten. Mit ihrem metaphorischen Sinn verweisen sie über das unmittelbar Gesagte hinaus auf etwas anderes (Mit dem Reich Gottes verhält es sich wie...). In der Regel will ein Gleichnis die Zuhörer in Erstaunen versetzen und veranlassen, über das Gehörte auch jenseits der Erzählebene nachzudenken. Die Gleichnisse werden in drei Gattungen eingeteilt (nach Conzelmann/Lindemann 2000, S.102ff.): 1. Gleichnisse im engeren Sinn erzählen den Adressaten vertraute Vorgänge und Erfahrungen (Saat und Ernte, Suchen von etwas Verlorenem), die mit der Gottesherrschaft in Relation gesetzt werden (Vergleich). 2. Bei der Parabel hingegen handelt es sich um eine Geschichte, die von einem einmaligen, individuellen Ereignis erzählt, bei dem es meist zur plötzlichen, unerwarteten Wendung im Geschehen kommt (z. B. Der verlorene Sohn). 3. Als dritte Gruppe werden die Beispielerzählungen benannt, die nur im lukanischen Sondergut zu finden 10 sind. Die Besonderheit liegt auf der direkten Schilderung einer Figur als positives oder negatives Exempel für das eigene Verhalten (z.B. Der barmherzige Samariter). Das Gleichnis vom barmherzigen Samariter gehört als Beispielerzählung zum Sondergut des Lukas (10, 25 – 37). Die erzählte Geschichte ist Teil eines Gesprächs zwischen Jesus und einem Schriftgelehrten, das die Rahmenhandlung (Lk. 10, 25 – 29 und Lk. 10, 36 – 37) ausmacht. Als Antwort auf die provokante Frage des Gelehrten nach seinem „Nächsten“ erzählt Jesus das Gleichnis vom barmherzigen Samariter: Auf dem gefährlichen Weg von Jerusalem nach Jericho schlagen Räuber einen Reisenden nieder. Er bleibt verwundet und hilflos liegen. Ein vorbeiziehender Priester, der im Tempel von Jerusalem arbeitet, sieht den Verletzten zwar, hilft ihm aber nicht. Auch ein Levit, der ebenfalls im Tempel Dienst tut und als Zweiter vorbeikommt, geht achtlos weiter. Erst ein Samariter bzw. Samaritaner (mit Juden verfeindete, ausländische Volksgruppe) erbarmt sich des Verletzten. Er versorgt seine Wunden und bringt den Mann in eine Herberge, wo er obendrein für dessen weitere Pflege bürgt. Am Ende der Rahmenhandlung geht Jesus auf die anfängliche Frage des Gelehrten (Wer ist mein Nächster?) wieder ein, formuliert sie aber hier aus der Perspektive des Opfers (Wer war dem am nächsten?). Dass die Antwort auf den Samariter, den Außenseiter und Feind fällt, verdeutlicht, dass lediglich das Tun von Barmherzigkeit (indem man sich in den anderen hinein versetzt) und nicht die Zugehörigkeit zu einer Gruppe darüber entscheidet, ob und wem man zum Nächsten wird. In seiner abschließenden Aufforderung, es dem Samariter gleich zu tun, macht Jesus deutlich, dass die Frage nach dem Nächsten sich nicht theoretisch klären lässt, sondern nur im entsprechenden Tun. 4. Didaktische Überlegungen In den Rahmenrichtlinien des Faches evangelische Religion wird das Thema „Gleichnisse“ für das 3. und 4. Schuljahr vorgeschlagen. Die Schüler sollen diese biblischen Texte „als bildhafte Erzählungen kennen lernen, mit denen Jesus die Menschen auf Gott und Gottes Reich hinweisen will“ (RRL, S. 21). Sie sollen ferner erfahren, dass Jesus durch die Gleichnisse Gerechtigkeit und Liebe veranschaulichen und damit menschlichem Handeln Hoffnung und Richtung geben will (vgl. RRL, S. 21). Dafür ist es wichtig, dass die Kinder lernen die bildhafte Sprache der Gleichnisse zu erfassen und so das Gemeinte hinter dem Gesagten zu verstehen, um darin letztlich die Bedeutung für ihr eigenes Leben suchen zu können. (vgl. RRL, S.5). Das Gleichnis vom barmherzigen Samariter bietet sich für die Arbeit in einer Grundschulklasse m. E. an, da es durch seinen unmittelbaren Charakter starke innere Bilder bei den Kindern hervorrufen kann. Es spricht die Schüler emotional an, weil es sie in die Erzählung mit 'bb' 118-4/2006 hineinzieht und ihnen so ein Angebot macht, sich intensiv mit dem Geschehen auseinander zu setzen. Dabei kann das Erfahrene vorerst in der biblischen Bilderwelt selbst verarbeitet und verstanden werden. Eine Übertragung auf reale Situationen und Handlungen wäre dann erst der nächste Schritt. Auf Grund der Anknüpfungsmöglichkeiten, die diese biblische Beispielgeschichte bietet, lässt sie sich in aktuelle Situationen des Alltags der Schüler transformieren. Mit dem Gleichnis eröffnet sich so die Möglichkeit, über eigene Verhaltensweisen und Denkmuster zu reflektieren und so über neues/anderes Handeln und Verhalten nachzudenken. Die in der Rahmenhandlung gestellte Frage nach dem Nächsten ist auch bereits in der Grundschule aktuell und kann die Grundlagen für den Erwerb von Sozialkompetenz der Schüler legen (vgl. Richter o. J., S. 14). Da Freunde in diesem Alter sehr wichtig sind, kann auch ein Augenmerk auf Menschen gelenkt werden, die nicht zu ihren Freunden zählen. Mit der Erzählung vom barmherzigen Samariter wird dieser Sachverhalt veranschaulicht. Dabei sollen die Kinder zu der Erkenntnis gelangen, dass jeder, unabhängig von Nationalität und sozialem Stand, ihr Nächster sein könnte, nicht nur ihre engsten Freunde. Diese Erkenntnis kann dann bedeutende Konsequenzen für ihr zukünftiges soziales Verhalten auch über die Grundschule hinaus haben. Zudem „gelten Mitmenschlichkeit, Hilfsbereitschaft und in diesem Sinne auch Nächstenliebe durchaus als ethische Leitvorstellungen unserer Gesellschaft“ (Müller u. a. 2002, S. 180), die für die Schüler immer dann an Relevanz gewinnen, wenn sie ihrer Erfahrungswelt in unmittelbare Nähe rücken. Der Umgang mit dem Gleichnis vom barmherzigen Samariter kann exemplarisch der Betrachtung des Verhältnisses von Gott bzw. Jesus zu den Menschen und der Menschen untereinander dienen. Die Kinder bekommen die Möglichkeit sich darüber Gedanken zu machen, wie die Welt eigentlich ist und wie sie (von Gott gedacht) eigentlich sein sollte. Indem das Gleichnis zur Identifikation und Perspektivübernahme einlädt, können die Schüler darüber reflektieren und Konsequenzen für ihr eigenes Denken und Handeln ziehen. Sie erhalten Gelegenheit die Welt für einen Moment „mit den Augen Gottes“ bzw. „mit den Augen der Liebe“ wahrzunehmen und so ihr Denken von/über Gott zu erweitern (vgl. Guth o. J., S. 1f.). Durch den bildhaften Charakter der Gleichnisse kann auch fächerübergreifend gearbeitet werden. So bietet sich im Fach Deutsch ein ergänzendes Arbeiten durch das Erschließen von Redensarten und Sprichwörtern sowie die Behandlung der Textgattung Fabel an. Im Kunstunterricht könnte die bildhafte Rede in konkreten, wörtlich genommenen Bildern dargestellt und diskutiert werden. 5. Methodische Überlegungen Da der Schwerpunkt der Stunde auf der Erschließung des Gleichnisses vom barmherzigen Samariter liegt, sollen die Schüler den Inhalt durch einen Lehrervortrag in Form des schauenden Erzählens kennen lernen. Die Präsen- tation betrachten sie im Sitzhalbkreis vor der Tafel, um einen guten Blick auf die Darbietung zu gewährleisten. Der Einbezug der bildlichen Ebene bietet sich hier an, da der Gleichnischarakter selbst eine Nähe zu Bild und zum Denken in Bildern ausweist (vgl. Lenhard 1996, S. 129) und den Kindern so einen, ihrem Alter angemessenen, Zugang zum Gleichnisinhalt eröffnet. In dieser Weise wird zugleich eine didaktische Reduktion vorgenommen, da die Schüler sich nicht mit dem (oft schwer verständlichen) Originaltext auseinandersetzen müssen. Die Präsentation findet mit Hilfe von Klanginstrumenten und Kett-Materialien (siehe Anhang, S. e) statt. Da die vier Personen des Gleichnisses lediglich durch geknotete Tücher als sogenannte „Knotenpuppen“ dargestellt und die Szenen generell schlicht gehalten werden, können sich die Schüler besser auf die Handlung konzentrieren und diese nach Bedarf individuell imaginär ausschmücken. Die klangliche und symbolische Gestaltung des Gleichnisses soll ihnen das Hineinversetzen in die Stimmung und das Verinnerlichen der Erzählung erleichtern. Anschließend sollen sich die Kinder über entsprechende Impulse durch die Lehrerin zum Gehörten und Gesehenen äußern. Dabei sollen sie einerseits den Inhalt wiedergeben, andererseits auch das Ungewöhnliche und Besondere an der Hilfeleistung durch den Samariter vor dem Hintergrund der Feindschaft zwischen Juden und Samaritern feststellen. In der Phase der Erarbeitung sollen die Kinder ihre Eindrücke und Meinungen zum Verhalten der Personen des Gleichnisses dann in sprachlichen Ausdrücken wiederfinden und strukturieren. Der Begriff „barmherzig“ steht dabei im Mittelpunkt der Betrachtung und wird durch die anderen (synonymen und antonymen) Begriffe semantisch erschlossen (siehe Tafel 2/3, Anhang, S. c). Durch die Zuordnung, die die Schüler an der Tafel vornehmen, können sie sich die Bedeutung des heutzutage recht seltenen und für Kinder oftmals fremden Begriffs selbstständig erschließen und mit dem gewonnenen Wissen über Barmherzigkeit aus dem Gleichnis verknüpfen. In der dritten Arbeitsphase sollen sie ihre eigenen Erkenntnisse über „barmherzig sein“ dann auf die beiden Personen der Rahmenhandlung transferieren, indem sie Jesus und den Schriftgelehrten sprechen lassen (siehe Tafel 4). Dabei ist es wichtig, dass hier keine allgemeingültigen Lehrsätze (wie Gebote) formuliert werden sollen. Die Schüler sollen vielmehr zeigen, dass sie verstanden haben, dass Jesus mit dem Gleichnis noch mehr meinte, als er gesagt hat. Die Einteilung in Partnergruppen soll einer Differenzierung gleichkommen und besonders schwächeren Schülern die Möglichkeit der Orientierung geben. Zusätzlich sind die jeweiligen Sprechblasen für die Gruppen vorstrukturiert, indem Satzanfänge vorgegeben sind, die das Formulieren erleichtern sollen. Als didaktische Reserve halte ich ein Arbeitsblatt bereit, auf dem die Bilderfolge des Gleichnisses in die richtige Reihenfolge gebracht werden muss und das die Geschichte inhaltlich zusätzlich festigt (siehe Anhang, S. g). 11 'bb' 118-4/2006 12 'bb' 118-4/2006 10:50 Abschluss 10:40 Ergebnissicherung FZ 4 10:30 Erarbeitung III FZ 3 10:25 Erarbeitung II - - - - schließt die Stunde Erwartetes Schülerverhalten - - - - - - - - - - Arbeitsform/ Medien Das Material wird symbolisch eingesetzt und unterstützt die Erzählung visuell und emotional. SuS sollen hier über das bloße „Nett- zueinander- Sein“ hinausdenken und das Ungewöhnliche an der Hilfeleistung des Samariters, vor dem Hintergrund der Feindschaft, erkennen. Die Bilder unterstützen die Vorstellung eines Gesprächs von Schriftgelehrtem und Jesus. Das Singen gehört zum festen Ritual des RU und motiviert die SuS für den Stundeninhalt. Didaktisch-methodischer Kommentar Frontal Didaktische Reserve (AB) Partnerarbeit Untersch. Sprechblasen Frontal Meldekette Durch die Erarbeitung in Partnergruppen ist eine Ergebnissicherung aller Sprechblasen möglich. Die Plakate bleiben im Klassenraum zur Ansicht. Die didaktische Reserve festigt noch einmal den Inhalt des Gleichnisses. Plakatfarben (rot/grau) symbolisieren den (warmen/kalten) Inhalt der Begriffe. Die Einteilung in Partnergruppen soll differenzierend wirken und weitere Maßnahmen überflüssig machen. Die Sprechblasen enthalten Satzanfänge, die ein Fortsetzen vereinfachen sollen. Semantische Erschließung des relativ unbeStummer Impuls Tafel: Wortkarten, 2 Plakate kannten Begriffs „barmherzig“. Stummer Impuls lesen ihre Sprechblasen vor Schülervortrag kleben sie zum entsprechenden Kopf an TA der Tafel räumen auf frontal 4 Gruppen füllen die Sprechblasen für Jesus mit der Kernaussage des Gleichnisses stellen das Ungewöhnliche an der Hilfeleistung eines Feindes heraus betrachten das Tafelbild formulieren selbstständig einen Arbeitsauftrag: die Karten sollen richtig zugeordnet werden! ordnen die Karten zu finden sich in ihren Partnergruppen stellen ggf. Fragen 5 Gruppen füllen die Sprechblasen für den Schriftgelehrten mit dem Erkenntnisgehalt der Stunde Ritual Sitzhalbkreis „Wo ein Mensch Vertrauen gibt“ gespannte und konzentrierte Aufmerk- Tafel: 2 Bilder Lehrervorsamkeit, evtl. emotionale Reaktionen trag: Gleichnis Material: auf die Erzählung in Form von Lauten Seile, Kett - Knotenpuppen, Herz, Steine, div. Instrumente äußern sich ggf. zum Verhalten der Per- U-Gespräch, Meldekette, sonen, berichten von der Hilfeleistung stumme Impulse durch den Samariter -Begrüßung - setzen sich vor die Tafel - singen mit - teilt entsprechend markierte Sprechblasen aus beendet die Arbeitsphase durch ein Signal bitte um Präsentation der Ergeb- nisse - stellt dann den Arbeitsauftrag für die Partnergruppen: Ausfüllen der Sprechblasen für den Schriftgelehrten bzw. Jesus - - - präsentiert Impulskarte für Feinde aus der Geschichte öffnet die Tafel, in der Wortkarten zwischen den beiden Überschriften „passt zu barmherzig“ und „Gegenteil von barmherzig“ hängen teilt die Klasse in zwei Gruppen - 10:15 Erarbeitung I hängt Bild von Jesus und dem Schriftgelehrten an die Tafel, erzählt das Gleichnis vom barmherzigen Samariter und legt das Bodenbild wartet auf Schülerreaktionen, ansonsten Knotenpuppen als Impulse - - FZ 2 Geplantes Lehrerverhalten -Begrüßung - gibt Zeichen zum Sitzhalbkreis - stimmt das gemeinsame Lied an 10:10 Hinführung FZ 1 Zeit/ Phase Lernziel 10:05 Einstieg 7. Stundenverlauf 8. Literatur Conzelmann, Hans und Lindemann, Andreas (2000). Arbeitsbuch zum Neuen Testament. 13. Aufl.. Tübingen: Mohr Siebeck. Guth, Ute-Agnes (o.J.). Jesus erzählt Gleichnisse. Rötgesbüttel. Lenhard, Hartmut (1996). Arbeitsbuch Religionsunterricht. 3. Aufl. Gütersloh. Müller, Peter u.a. (2002). Die Gleichnisse Jesu. Stuttgart: Calwer Verlag, S. 172 – 186. Niedersächsisches Kultusministerium (1984). Rahmenrichtlinien für die Grundschule – Religion. Hannover: Schroedel. Richter, Esther (o.J.). Der barmherzige Samariter. In: Religion erleben. Stuttgart: Raabe Verlag. Geplante Tafelbilder Tafel 1 Tafel 2 passt zu „barmherzig“ herzlos Ein Herz aus Stein gefühllos gutherzig warmherzig gutmütig Gegenteil von „barmherzig“ grausam hilfsbereit erbarmungslos Herz aus Gold Tafel 3 passt zu „barmherzig“ Gegenteil von „barmherzig“ gutmütig hilfsbereit gutherzig warmherzig Herz aus Gold herzlos gefühllos erbarmungslos grausam Herz aus Stein Tafel 4 13 'bb' 118-4/2006 I. Schauendes Erzählen: Der barmherzige Samariter (vgl. Lukas 10, 25 – 35) Die Liebe zu Gott und den nächsten Mitmenschen war für fromme Juden das allerwichtigste Gebot. Wer aber war zu diesen nächsten Mitmenschen zu rechnen und wer nicht? Ein kluger Mann, der sich schon viele Gedanken darüber gemacht hatte, wollte diese Frage von Jesus beantwortet haben: „Wen von meinen Mitmenschen muss ich lieben und wen nicht?“ Da erzählte ihm Jesus die Geschichte vom barmherzigen Samariter (sandfarbenes Tuch ausbreiten): Ein Mann, ein Jude (Knotenpuppe), ist auf dem Weg von der Stadt Jerusalem (Wortkarte ans eine Ende legen) in den Ort Jericho (Wortkarte an andere Ende legen). Der Weg (zwei Seile) zwischen Jerusalem und Jericho ist gefährlich. Rechts und links gibt es hohe Berge und tiefe Täler (schwarze, graue und braune Tücher zu Bergen aufstellen). Der Weg ist gefährlich, denn hinter den Bergen lauern Räuber. Sie fallen über die Reisenden her und plündern sie aus. Und das geschieht auch, als der Mann von Jerusalem nach Jericho unterwegs ist: Räuber stürzen aus dem Dunkeln hervor, fallen über den Mann her, schlagen ihn nieder, plündern sein Gepäck, nehmen ihm all sein Geld weg und verschwinden. Blutend und hilflos liegt der Mann am Boden – allein am Straßenrand (Stille). Plötzlich hört er etwas... (Schläge auf Holzblocktrommel, erst leiser, dann stärker schlagen). Da ist jemand, jemand der näher kommt (die Schläge hören plötzlich auf). Ja, jemand ist gekommen. Ein Priester (Knotenpuppe) aus dem Tempel in Jerusalem. Er bleibt bei dem Verwundeten stehen, er sieht den Mann am Boden liegen. Doch der Priester dreht sich um und geht weiter. (Schläge werden allmählich leiser). Sein Herz ist hart und kalt (einen Stein auf den Weg legen). Allein liegt der Verwundete am Straßenrand. (Stille) Doch da ist nochmals etwas zu hören... (Schläge auf Holzblocktrommel, erst leiser, dann stärker schlagen). Nochmals kommt jemand vorbei (die Schläge hören plötzlich auf). Auch er bleibt stehen. Es ist ein Levit (Knotenpuppe). Auch er arbeitet im Tempel von Jerusalem, genau wie der Priester vor ihm. Der Levit sieht den blutenden Mann am Boden liegen. Doch auch er dreht sich um und geht weiter (Schläge werden allmählich leiser). Sein Herz ist hart und kalt (einen weiteren Stein auf den Weg legen). Dem verwundeten Menschen am Boden geht es immer schlechter. Ihm wird schwarz vor Augen (Stille). Doch da, ist da nicht wieder etwas? (Schläge auf einem Schellenkranz, erst leiser, dann stärker rasseln). Man hört die Hufe eines Tieres. Ein Esel kommt näher. Auf ihm sitzt ein Mann aus Samaria, ein Samariter also (Knotenpuppe) – ein Fremder. Normalerweise wandert ein Samariter nicht durch ein Judengebiet, denn Juden und Samariter mögen sich nicht besonders. Sie sind Feinde (Feindkarte hochhalten). Doch diesmal ließ es sich für den Samariter nicht vermeiden. Er reitet auf seinem Esel bis zu dem verwundeten Mann (Rasseln des Schellenkranzes hört auf). Dann zieht er an den Zügeln (pantomimisch darstellen) und der Esel bleibt neben dem Verwundeten stehen. Der Samariter sieht den Mann am Boden und er hat Mitleid mit ihm. Schnell steigt der Samariter vom Esel, er geht auf den Verwundeten zu und beugt sich über ihn. Der Samariter streichelt den Verwundeten, dann verbindet er die blutenden Wunden. Schließlich hebt er den Mann auf seinen Esel. Der Samariter bringt den Verwundeten in eine Herberge, in ein sicheres Haus. Hier ist ein Bett für ihn, hier wird er gesund gepflegt. Wie gut, dass der Samariter geholfen hat! Wie gut, dass er ein Herz hatte für den Menschen, der am Boden lag! (ein rotes Herz auf den Weg legen) Er war barmherzig, der „Barmherzige Samariter“. 14 'bb' 118-4/2006 II. Geplantes Bodenbild III. Vorlage für die Sprechblasen (Jesus/ Schriftgelehrter) Jesus: Schriftgelehreter: 15 'bb' 118-4/2006 IV. Didaktische Reserve Klebe die Bilder in der richtigen Reihenfolge auf und male sie an! Quelle: Heiner Müller – Bildergeschichten zum neuen Testament (Persen Verlag, Horneburg 1987) 16 'bb' 118-4/2006 kursthema: kirche und synagoge hans-georg babke 0. Grundsätzliches Eines der Zentralabiturthemen für das Jahr 2007 ist das Thema „Kirche und Synagoge“. Zu begrüßen ist, dass der interreligiöse Dialog mit den Themen „Islam“ (2006) und „Judentum“ (2007) wegen der Abiturrelevanz nun auch einen prominenten Ort im Oberstufenunterricht bekommen hat. Dieser Vorteil ist aber auch zugleich der Nachteil dieses Themas. Denn bei fremden Religionen handelt es sich um Lebensformen, die einem nicht so vertraut sind wie die eigenen. Das gilt für die Unterrichtenden genauso wie für die Schüler. Diese mangelnde Vertrautheit verursacht Unsicherheit. In der eigenen Lebensform ist man immerhin so weit zuhause, dass man zumindest grob angeben kann, welchen Stellenwert eine religiöse Praxis oder ein Glaubensartikel im Leben der Kirche bzw. im Glaubenssystem als ganzem hat. So hat man als jemand, der im christlichen Kontext sozialisiert wurde, wenigstens eine Ahnung davon, dass die Lehre von Christus ein herausragendes Gewicht hat, dass die christologischen Aussagen eng verbunden sind mit der christlichen Lehre vom Heil und dass die Ethik nach herrschender reformatorischer Auffassung zwar wichtig, aber nicht heilsrelevant ist. Wie aber ist das im Islam oder im Judentum? Was nimmt dort die Stelle Christi, die Stelle des Reprä sentanten Gottes in der Welt, ein, in dem dieser sich zeigt, wie er ist? Welche Heilsbedingungen gelten dort? Und gibt es Differenzen zwischen einer elaborierten Theologie und der Volksfrömmigkeit, wie z.B. bei der christlichen Trinitätslehre? Oder welchen Stellenwert haben die heiligen Schriften, Qur’an und Tora? Sind sie menschliche Glaubenszeugnisse, wie die Bibel im christlichen Verständnis? Oder haben sie einen höheren Stellenwert, nämlich den der Inkarnation Gottes in der Welt? Kann man sie überhaupt einfach vergleichen? Aus der Außenperspektive ist das auch auf den zweiten Blick nur schwer ersichtlich. Vor allem die Unterschiede einzelner Glaubenslehren, was ihren Ort im Glaubenssystem betrifft, verursacht die Schwierigkeiten eines angemessenen Verständnisses der fremden Religionen und des Religionsvergleichs. Um eine fremde Religion fair zu behandeln, ist es zunächst einmal geboten, sie aus ihrem internen Selbstverständnis wahrzunehmen. Zu diesem Zweck hat das ARPM zur Vorbereitung auf dieses Zentralabiturthema mehrere Fortbildungsveranstaltungen durchgeführt, in dem vor allem Vertreter des Judentums (Rabbiner Jonah Sievers von der Jüdischen Gemeinde in Braunschweig, Hartmut Bomhoff vom Berliner Abraham-Geiger-Kolleg zur Rabbiner-Ausbildung in Deutschland, und die jüdische Theologin Ruth Lapide) die jüdischen Glaubenslehren aus der Binnenperspektive ihrer Lebensform dargestellt haben. Hierbei wurden die Differenzen vor allem beim Schrift- und Ämterverständnis sowie beim Menschenbild deutlich. Neben der mangelnden Vertrautheit mit fremden Lebensformen besteht eine zweite Schwierigkeit der interreligiösen Thematik darin, dass die Unterrichtsmaterialien über andere Religionen, insbesondere die Quellentexte und Realienabbildungen, sich überwiegend auf dem Niveau der Sekundarstufe I befinden und nicht auf dem der gymnasialen Oberstufe. Bei der Vorbereitung auf diesen Kurs muss daher zunächst einmal die Transponierung auf ein erhöhtes Anspruchsniveau geleistet werden. Im Folgenden wird ein Kurscurriculum dargestellt, das sich am Selbstverständnis des Judentums orientiert, das vergleichbar ist mit dem Niveau christlicher Themen im Kursunterricht und das erfolgreich erprobt wurde. Auswahl verfügbarer Unterrichtsmaterialien • Werner Trutwin, Judentum, Patmos: Düsseldorf 20053 (Reihe „Die Weltreligionen) [geeignet als Lehrbuch auch für Schüler, allerdings mit wenigen und wenig brauchbaren Quellentexten] • Verena Dohrn/Peter Antes/Manfred Pöppel, Thema: Weltreligionen: Judentum, Klett: Leipzig/ Stuttgart/ Köln 2003 [ähnlich wie Trutwin] • Herbert Jochum, Im Dialog Bd. 4: Kirche und Synagoge [Materialien auf Sek-I-Niveau] • Dieter Petri/Jörg Thierfelder (Hg.), Grundkurs Judentum, Teile 1 u. 2, Calwer: Stuttgart 20022 [Mate rialien auf Sek-I-Niveau] • Torsten Söder, Lernen an Stationen zum Thema „Judentum“, in braunschweiger beiträge 116, 8 ff. [UEntwurf für die Sek I mit guten Abbildungen] • Materialkoffer zum Judentum in der Medienzentrale des ARPM Wolfenbüttel (M1) [Anmerkung zum Materialkoffer: Dieser Koffer ist ausschließlich zur Verwendung der Darstellung von Realien gedacht – wie die Ausstellung in einem jüdischen Museum -, nicht aber zum „Spie- 17 'bb' 118-4/2006 len“ der jüdischen Lebensform, was auf Grund des oben Gesagten hinsichtlich der Fremdheit anderer Lebensformen nicht nur nicht verantwortlich, sondern authentisch ohnehin nicht möglich ist.] Darüber hinaus gibt es in unserer Medienzentrale eine Fülle von Dokumentarfilmen zu den individu ellen Festen und den Festen im Jahreskreislauf (Beschneidung, Bar-Mizwa, Hochzeit, Pessach, Suk kot, Purim, Rosch Haschana, Jom Kippur, Simchat Tora, Tischa b’Aw), aber auch zu Ester und Ecclesia und Synagoga. Das Kurscurriculum gliedert sich in folgende Themenbereiche: 1. Jüdische Feste als Schlüssel zum Verständnis des Judentums 2. Die Geschichte des Judentums und die Achsenzeiten 3. Jüdisches Schriftverständnis (schriftliche und mündliche Tora) 4. Jüdisches Menschenbild (Die Freiheit des Willens) 5. Von der Diskriminierung zur Vernichtung 6. Das jüdische Gottesbild und das Theodizeeproblem 7. Eschatologie und Messiaserwartung Die Schwerpunkte des Curriculums liegen auf dem jüdischen Schriftverständnis, der unterstellten Willensfreiheit des Menschen sowie auf der Theodizeefrage. Was das Schriftverständnis und die Willensfreiheit angeht, bestehen hier Differenzen zwischen dem Christentum protestantischer Prägung und dem Judentum. Der Entwurf geht davon aus, dass das Lernen an Differenzen eine angemessene Methode für das interreligiöse Lernen darstellt 1. Jüdische Feste als Schlüssel zum Verständnis des Judentums • • • • Von Mond- und Sonnenkalender Herausarbeiten der Jahreskreisfeste und ihrer Bedeutung anhand des „Kalenders der Feste der Religionen“ (unter www.eawre.org ) und mit Hilfe von Dokumentarfilmen aus der Medienzentrale i.V.m. Trutwin, S. 78 f. Die Feste im Lebenslauf (Dokumentarfilme [s.o.] i.V.m. Trutwin, S. 79 ff.) Exemplarische Ganzlektüre des Ester-Buches zum Verständnis des Purim-Festes (dabei wird auf das Vorkommen des Begriffs „Gott“ geachtet, der nicht erscheint. Problematisierung: Warum trotzdem in der Bibel? – Geschichtshandelnder Gott als Lenker der Geschichte und als ausgleichende Gerechtigkeit) 2. Die Geschichte des Judentums und die Achsenzeiten • (Trutwin, S. 18 ff.; bedauerlicherweise sind bei Trutwin noch nicht die archäologisch-historischen Erkenntnisse über die vorexilische Zeit eingearbeitet worden. Vgl. Israel Finkelstein/ Neil Asher Silberman, Keine Posaunen vor Jericho, Beck: München 2002: Danach hat sich das Judentum mit seiner differenten Religion frühestens am Ende des 7.Jhdts. v.Chr herausgebildet oder gar erst im Exil. Vorher waren die Bewohner Israels und Judas integraler Teil der Bevölkerung Palästinas. Der Jahwe-Kult war eine regionale Abart des Baal-Kultes. Eine in den 1970er Jahren gefundene Stele preist den Gott Jahwe und seine Aschera. Der Jahwe-Kult wurde vermutlich als Staatskult zunächst im Nordreich Israel unter den Omriden im 9.Jhdt.v.Chr. eingeführt. Indiz dafür sind die in dieser Zeit vermehrt auftretenden Jahwe-haltigen Namen [Eli-ja = Mein Gott ist Jahwe]. Dh die biblische Überlieferungsgeschichte entspricht nicht der Historie.) • Erläuterungen der Achsenzeiten Exil (Entstehung des Judentums, vom Henotheismus zum Monotheismus), Makkabäerzeit (Entstehung der zur Zeit Jesu relevanten Gruppen), Tempelzerstörung (Von der mündlichen Tora zur schriftlichen Fixierung der Mischna und später der Jerusalemer und Babylonischen Gemara), Mittelalter (Maimonides, Raschi und Tosephot, Abschluss des Talmud, Verfolgungen und Ausweisungen in Europa), Neuzeit mit Aufklärung, Assimilation und Schoa Literaturhinweis: Friedrich Battenberg, Das Europäische Zeitalter der Juden, wbg: Darmstadt 20002 3. Jüdisches Schriftverständnis [Literaturhinweis: Roland Gradwohl, Was ist der Talmud? – Einführung in die ‚Mündliche Tradition’ Israels, Calwer: Stuttgart 19892 ] • • • • • Schriftliche und mündliche Tora (Gleichwertigkeit der schriftlichen Tora und der mündlichen Überlieferung, die später in Mischna und Gemara fixiert wurde. Die mündliche Überlieferung gehört ebenso in das Offenbarungsgeschehen am Sinai wie die schriftliche Tora. Daraus folgt, dass die tendenziell pluralistische interpretative Fortent wicklung der Tora durch das Offenbarungsgeschehen gedeckt ist und der Offenbarungscharakter der Tora nicht notwendigerweise zum Fundamentalismus führt.) Entstehungsgeschichte des Talmud (von 70 n.Chr. bis zu Beginn der Neuzeit) (Trutwin, S. 32 ff.) Die Arbeitsweise der Talmudisten Der Aufbau einer Talmudseite (M2) Der innerjüdische Pluralismus trotz der Offenbarungsqualität des Talmud (Gespräch Mose mit Gott über Rabbi Aqiba, M3) Tabellarischer Überblick ab Babylonischem Exil 18 'bb' 118-4/2006 • • Exemplarische Erarbeitung der unterschiedlichen Talmudkommentare zur Bedeutung des ius talionis M4 Vergleich mit christlicher Auffassung von der Bibel als menschlichem Glaubenszeugnis und der historisch-kritischen Methode • 4. Jüdisches Menschenbild (mit dem Akzent auf dem freien Willen) [Hier wurde die rabbinische Methode des Schreibgesprächs bei der Abfassung von Mischna und Gemarot gewählt] (Nach jüdischer Auffassung begründet der Sündenfall in Gen. 3 nicht die Auffassung von der Erbsünde, wie sie von Augustin und Luther vertreten wurde. Es handelt sich um eine Momentanentscheidung ohne ontologische Konsequenzen. Dagegen wird nach christlich-protestantischer Auffassung im Sündenfall die originäre Sündhaftigkeit des Menschen deutlich, die ihm von Geburt anhaftet, nämlich das Sein-Wollen wie Gott, d.h. das Vertrauen auf die eigene Leistungskraft zur Rechtfertigung des eigenen Daseins, nachdem man ungefragt in die Welt geworfen worden ist. In diese krampfhafte Neigung zur Selbstrechtfertigung sind nicht nur die moralisch bösen Taten einbezogen, sondern auch die moralisch guten Taten, sofern sie den Zweck haben, das eigene Dasein nachträglich zu legitimieren. Nach jüdischer Auffassung ist „Sünde“ nur moralisch, nicht existenziell-ontologisch zu verstehen. Eine der jüdischen ähnliche Auffassung hat in der Neuzeit Albert Schweitzer als Vertreter eines liberalen Christentums vertreten M5) • • • Eigene Produktion von Kommentaren zu Gen.1 [Erläuterung der Aussage von der Gotteseben bildlichkeit des Menschen: Gruppe 1 schreibt Mischna, Gruppe 2 schreibt Kommentar zur Mischna, Gruppe 3 schreibt Kommentar zum Kommentar; jede Gruppe schreibt Texte auf allen Ebenen. Hier gibt es Bezugnahmen auf das 1. Semester, in dem das Thema „Jesus Christus“ behandelt wurde und in dem im Zuge des trinitarischen Dogmas auch die neuplatonische Emanationslehre mit der Vorstellung der Substanzentsprechung (analogia entis) zwischen göttlicher Geistsubstanz und menschlicher Vernunftsubstanz zur Sprache kam.] Eigene Produktion von Mischna und Gemarot zu Gen 2 [Erläuterung der Stellung der Frau, Bearbeitung wie vorher, jedoch begrenzt auf zwei Gruppen] Eigene Produktion von Mischna und Gemarot zu Gen 3 [Erläuterung des Sündenfalls, Bearbeitung wie vorher, jedoch begrenzt auf zwei Gruppen] (Die Ergebnisse sind als M6 dokumentiert.) Unterschiedliche semantische Füllungen des Sündenbegriffs (moralisch als Verstoß gegen göttliche Gebote, wobei der Mensch mit dem freien Willen die Fähigkeit hat, sie einzuhalten/ existenziell im Sinne des grundsätzlichen Sein-Wollens wie Gott [Gen.3,5], in das nicht nur die moralischen Verfehlungen, sondern auch die moralisch guten Taten einbezogen sind, sofern Sünde in der Selbstrechtfertigung des Menschen besteht = „Erbsünde“.) • Martin Luther, Vom unfreien Willen (Vgl. Hans-Georg Babke, Der menschliche Wille – frei oder unfrei, in: braunschweiger beiträge 111, Text 4, S. 51, und Text 1, S.50). Die Position des Erasmus steht der jüdischen Auffassung nahe. Her auszuarbeiten sind die Argumente Luthers für den unfreien und gegen den freien Willen. • Der unfreie Wille in der gegenwärtigen naturalistischen Hirnforschung und Vergleich mit Luther (Interview mit Wolfgang Prinz, M7) (bei Luther Unfreiheit nur in Heilsangelegenheiten, in der Hirn forschung grundsätzlich) 5. Von der Diskriminierung zur Ausrottung • Ecclesia und Synagoga – zwei Frauengestalten in der Bildenden Kunst (Video VC 2887 Ecclesia und Synagoga, Dietlind Fischer/Volker Elsenbast, Grundlegende Kompe tenzen religiöser Bildung, Münster 2006, S. 40 ff.) M8 Beschreibung und Deutung anhand von Matth. 25 [Gleichnis von den zehn Jungfrauen] • Martin Luther und die Juden [Vgl. Robert Gericke], Die Reformation in Deutschland, Teil 1: Luthers Weg nach Worms, Beiheft: Martin Luther und die Juden, hrsg. von Hans-Georg Babke, Wolfenbüttel 2006) Auszug M9 • Paulus über die Juden (Röm 9-11): Vergleich mit Luther • Die Inanspruchnahme Luthers durch die Nationalsozialisten (Gericke, aaO) M10 • Schuldbekenntnis der Ev.-luth. Landeskirche von 2004 (ebd.) M11 • Problematisierung: Die Neudefinition der Zugehörigkeitskriterien zum Volk Gottes durch Paulus und ihre Gültigkeit M12 19 'bb' 118-4/2006 6. Das jüdische Gottesbild und das Theodizeeproblem • • Erarbeitung der Gottesprädikate anhand des kleinen geschichtlichen Credos (Dt. 6, 20-23) und des Sch’ma Israel (Dt. 6, 4-9) (Geschichtshandelnder Gott, Volksgott mit tendenziell universaler Macht, personaler Gott, solidarischer und befreiender Gott) Das Theodizeeproblem (Theologie nach Auschwitz): [Rekurs auf RU in Klasse 11, in dem die Unterscheidung von Leibniz zwischen metaphysischem, physischem und moralischem Übel behan delt wurde, sowie auf die Gottesattribute „Liebe, Allmacht und Verstehbarkeit“. Lösungen des Theodizeeproblems bestehen geschichtlich darin, dass entweder das Attribut der Verstehbarkeit eliminiert wurde (u.a. Stoa, Luther) oder das Prädikat der Allmacht – entweder vorübergehend (u.a. im apokalyptischen Weltbild, Pannenberg] oder grundsätzlich (Hans Jonas mit einer Nähe zur christlichen KenosisLehre gemäß Phil. 2, 1ff.) M13/M14 • Luthers Lösung des Theodizeeproblems und Diskussion der Plausibilität 4 Arbeitsgruppen, die den Text unter folgenden Hinsichten untersuchen: a. Das Wirken Gottes; b. Gott/Satan; c. Allmacht/Verstehbarkeit; d. Die Fähigkeit des Menschen (Luther-Text bei Babke, aaO, S. 54) Auszug M15 7. Eschatologie und Messiaserwartung • Pluralität der eschatologischen Erwartungen mit und ohne Messias (Trutwin, S. 84 ff. und 100 ff. Zum Abschluss des Kurses findet ein Besuch in der neuen Braunschweiger Synagoge sowie ein Gespräch mit Mitgliedern der jüdischen Gemeinde statt. Mose im Gespräch mit Gott über R. Aqiba M3 Es sagte R. Jehuda im Namen Rabs: Als Mose in die Höhe stieg, traf er den Heiligen, gepriesen sei er, an, wie er dasaß und den Buchstaben Kronen wand [wie einzelne Buchstaben in Torahandschriften mit „Kronen“ verziert sind]. Er fragte ihn: Was hält dich [mit solchen Vorsichtsmaßnahmen] auf? [Gott] antwortete ihm: Es ist ein Mensch, der nach einigen Generationen auftreten wird; Aqiba ben Josef ist sein Name. Aus jedem einzelnen Häkchen [der Tora] wird er Haufen um Haufen von Halakhot ableiten. Er bat ihn: Herr der Welt, zeige ihn mir! Dieser antwortete: Drehe dich um! Da ging er und setzte sich hinter die achte Reihe [im Lehrhaus des R. Aqiba]. Doch er verstand nicht, was sie redeten. Da erlahmte seine Kraft. Als [Aqiba] zu einer bestimmten Sache kam, fragten ihn seine Schüler: Rabbi, woher weißt du das? Er antwortete ihnen: Es ist eine Mose am Sinai gegebene Halakha. Da beruhigte sich Mose wieder Er kam wieder vor den Heiligen, gepriesen sei er, und sagte vor ihm: Herr der Welt, da hast du einen Menschen wie ihn und gibst die Tora durch mich? Er antwortete ihm: Schweig! So ist es mir eben in den Sinn gekommen. Da bat er ihn: Herr der Welt, du hast mir seine Tora-Kunde gezeigt; zeige mir auch seinen Lohn! Er sagte: Drehe dich um! Er drehte sich um und sah, wie sie sein Fleisch [des Aqiba bei seinem Martyrium] im Schlachthaus wogen. Da sagte er vor ihm: Herr der Welt! Das ist seine Tora-Kunde, und das ist sein Lohn? Er antwortete ihm: Schweig! So ist es mir eben in den Sinn gekommen. 20 'bb' 118-4/2006 M1 21 'bb' 118-4/2006 M1 22 'bb' 118-4/2006 M2 23 'bb' 118-4/2006 M4 „Auge für Auge, Zahn für Zahn“ – Ex 21, 24 (Baba Qamma 83 b—84 a) A. Wer seinen Nächsten verletzt, schuldet ihm fünf Dinge: Schadenersatz, Schmerzensgeld, Heilungskosten, Verdienstentgang und Entehrung[sgeld]. Wie [erfolgt der] Schadenersatz? Wenn einer jemandem dessen Auge geblendet, dessen Hand abgeschnitten, dessen fuss gebrochen hat, betrachtet man [den Verletzten] wie einen Sklaven, der auf dem Markt verkauft wird, und schätzt, wieviel er zuvor wert war und wieviel er jetzt wert ist… B. Warum [Ersatz]? „Auge für Auge“ (Ex 21, 24) hat der Barmherzige gesagt! Ich sage: wirklich ein Auge. Das falle dir nicht ein; denn es wird gelehrt: Man könnte glauben: Hat einer des anderen Auge geblendet, blende dieser dessen Auge, hat er ihm seine Hand abgeschnitten, schneide auch er ihm die Hand ab, hat er ihm den Fuß gebrochen, breche auch er ihm den Fuß. Doch die Bibel lehrt: „Wer einen Menschen (er)schlägt... Wer ein Stück Vieh erschlägt“ (Lev 24, 17-18)1 Wie jemand, der ein Stück Vieh erschlägt, Schadenersatz leisten muss2, muss auch der Schadenersatz leisten, der einen Menschen schlägt. Und wenn du etwas dagegen sagen willst, siehe die Bibel sagt: „Ihr sollt kein Sühnegeld annehmen für das Leben eines Mörders, der schuldig gesprochen und zum Tod verurteilt ist“ (Num 35, 31). Für das Leben eines Mörders darfst du kein Sühnegeld nehmen; wohl aber darfst du Sühnegeld nehmen [sogar] für die wichtigen Organe, die nicht nachwachsen. C. Wie ist makke [schlägt oder erschlägt] zu verstehen? Wenn du sagst: „Wer ein Stück Vieh erschlägt, muss es ersetzen; wer aber einen Menschen erschlägt, wird mit dem Tod bestraft“ (Lev 24, 21), ist das von einem Mörder geschrieben. Vielmehr ist es von hier [abzuleiten]: „Wer ein Stück Vieh erschlägt, muss es ersetzen: Leben für Leben“ (Lev 24, 18). Und darauf folgt: „Wenn jemand einen Stammesgenossen verletzt, soll man ihm antun, was er getan hat“ (24, 19). Da heißt es aber nicht „schlägt“! [Doch!] Hier wie dort reden wir von „Schlagen“ [dem Sinn nach]. Wie das Schlagen, von dem gegenüber einem Tier die Rede ist, mit einer Ersatzzahlung [gesühnt wird], wird auch das Schlagen, von dem gegenüber einem Menschen die Rede ist, mit einer Ersatzzahlung [gesühnt]. Aber es steht ja geschrieben: „Wer einen Menschen erschlägt, wird mit dem Tod bestraft“ (Lev 24, 17)! Vom Geldersatz [ist hier die Rede]. Woher [weiß ich], dass vom Geldersatz [die Rede ist]? Ich würde sagen: von einer wirklichen Tötung. Das falle dir nicht ein! Es wird ja verglichen mit [dem Vers]: „ Wer ein Stück Vieh erschlägt, muss es ersetzen“ (24, 18), und außerdem steht danach geschrieben: „Der Schaden, den er einem Menschen zugefügt hat, soll ihm zugefügt werden“ (24, 20). Daraus ist abzuleiten, dass es um einen Geldersatz geht. D. Was heißt dann: „Wenn du etwas dagegen sagen willst...“? [in B] Der Meister hatte noch dieses Problem: Warum hast du es für richtig gehalten, von „ Wer ein Stück Vieh erschlägt...“ einen Schluss zu ziehen? Man sollte doch von „Wer einen Menschen (er-)schlägt“ einen Schluss ziehen!3 Ich sage: Man vergleicht Schädigung mit Schädigung, nicht aber vergleicht man Schädigung mit Tötung. Im Gegenteil: Man vergleicht Fälle, die Menschen betreffen, nicht aber vergleicht man einen Fall, der einen Menschen betrifft, mit einem Fall, der ein Tier betrifft. Deshalb lehrt er: Wenn du etwas dagegen sagen willst, siehe die Bibel sagt: „Ihr sollt kein Sühnegeld annehmen für das Leben eines Mörders, der schuldig gesprochen und zum Tod verurteilt ist“ (Num 35, 31). 24 'bb' 118-4/2006 Für das Leben eines Mörders darfst du kein Sühnegeld nehmen; wohl aber darfst du Sühnegeld nehmen [sogar] für die wichtigen Organe, die nicht nachwachsen. E. Soll [dieser Vers]: „Ihr sollt kein Sühnegeld annehmen für das Lehen eines Mörders“ nicht etwa die wichtigen Organe ausschließen, die nicht nachwachsen? Dies[er Vers] ist vielmehr notwendig, damit der Barmherzige sagt: vollziehe an [dem Mörder] nicht zwei [Strafen], indem du sein Geld nimmst und ihn tötest. Das geht ja schon aus [der Wendung] hervor: „wie es seinem Verbrechen entspricht“ (Dtn 25, 2). Du kannst ihn für ein Verbrechen bestrafen, nicht aber kannst du ihn für zwei Verbrechen bestrafen4. Noch immer ist dies[er Vers Num 35, 31] notwendig, damit der Barmherzige sagt: Nimm nicht Geld von ihm und lasse ihn frei. Wenn es so ist, sollte der Barmherzige schreiben: Ihr sollt kein Sühnegeld annehmen für den, der des Todes schuldig ist. Wozu steht „für das Leben eines Mörders“? Lerne daraus: Für das Leben eines Mörders darfst du kein Sühnegeld nehmen; wohl aber darfst du Sühnegeld nehmen [sogar] für die wichtigsten Organe, die nicht nachwachsen. F. Nachdem aber geschrieben steht: „Ihr sollt kein Sühnegeld annehmen“ (Num 35, 31), wozu brauche ich noch das zweimalige „(er)schlägt“ [um eine Geldstrafe für das Ausschlagen des Auges abzuleiten]? Ich sage: Wenn [das Gesetz bloß] von hier [Num 35, 31] abzuleiten wäre, könnte ich sagen: Wenn [der Angreifer] will, kann er sein Auge geben, und wenn er will, kann er Geld für das Auge geben. So aber lehrt man uns aus dem [Vergleich mit dem] Tier: Wie der, der ein Tier erschlägt, Sühnegeld zahlen muss, muss auch der, der einen Menschen schlägt, Sühnegeld zahlen. G. Es wurde gelehrt: R. Dostai ben Jehuda sagt: „Auge für Auge“ [bedeutet] Geld[ersatz]. Du sagst: Geld; ist es aber nicht doch wirklich ein Auge? So sagst du?! Siehe, das Auge des einen Menschen ist groß und das Auge des anderen Menschen ist klein. Wie kann ich das „Auge für Auge“ nennen? Und wenn du sagst, in einem solchen Fall soll er von ihm Geld nehmen, entgegnet die Tora: „Gleiches Recht soll bei euch gelten“ (Lev 24, 22), das gleiche Recht für euch alle5. Was ist das für ein Einwand [gegen das wörtliche Verständnis von „Auge für Auge“]? Vielleicht [ist es so zu verstehen]: das Augenlicht hat er ihm genommen, und so sagt der Barmherzige, das Augenlicht werde auch ihm genommen. Denn wenn du nicht dieser Meinung bist, wie könnten wir einen kleinen [Menschen] hinrichten, der einen großen getötet hat, oder einen großen [Menschen], der einen kleinen getötet hat? Die Tora sagt ja: „Gleiches Recht soll bei euch gelten“ (Lev 24, 22), das gleiche Recht für euch alle! Vielmehr [ist es so]: Das Leben hat er ihm genommen; das Leben, sagt der Barmherzige, werde auch ihm genommen. Ebenso: das Augenlicht hat er ihm genommen; das Augenlicht, sagt der Barmherzige, werde auch ihm genommen. H.Eine andere Lehre: R. Simeon ben Jochai sagt: „Auge für Auge“ [bedeutet] Geld[ersatz]. Oder nicht doch wirklich das Auge? Siehe: wenn ein Blinder einen anderen blendet, ein Verstümmelter [einem anderen ein Glied] abhaut, ein Lahmer einen anderen lähmt, wie erfülle ich da [das Wort] „Auge für Auge“? Und die Tora hat doch gesagt: „Gleiches Recht soll bei euch gelten“, das gleiche Recht für euch alle. Ich erwidere: das ist doch keine Schwierigkeit! Vielleicht ist so zu sagen: wo es möglich ist, ist es möglich; wo es aber nicht möglich ist, ist es nicht möglich, und wir lassen ihn frei. Denn wenn du nicht so sagst, wie sollen wir dann mit einem Todkranken verfahren, der einen Gesunden getötet hat? Vielmehr: wo es möglich ist, ist es möglich; wo es aber nicht möglich ist, ist es nicht möglich, und wir lassen ihn frei. 25 'bb' 118-4/2006 I. Die Schule des R. Jischmael lehrt: Die Bibel sagt: „so soll ihm zugefügt werden“ (Lev 24, 20; wörtl. „gegeben werden“). „Geben“ bezieht sich immer auf Geld. Von da her [müsste man] aber auch „Wenn jemand einen Stammesgenossen verletzt“ (24, 19; wörtl. „eine Verletzung gibt“) von Geld verstehen! Ich sage: die Schule des R. Jischmael legt einen Bibeltext als überflüssig aus. Wenn schon geschrieben steht: „Wenn jemand einen Stammesgenossen verletzt, soll man ihm antun, was er getan hat“ (24, 19), wozu brauche ich [dann noch]: „soll ihm zugefügt werden“ (24, 20)? Lerne daraus: [es ist von] Geld [zu verstehen]6. Wozu brauche ich dann [den Satz]: „Der Schaden, den er einem Menschen zugefügt hat“ (24, 20)? Da [die Bibel] schreibt: „soll ihm zugefügt werden“, hat sie ebenso geschrieben: „Der Schaden, den er einem Menschen zugefügt hat“7. J. Die Schule des R. Chijja lehrt: Die Bibel sagt: „Hand für Hand“ [Dtn 19, 21; auch „Hand in Hand“ übersetzbar]: etwas, was von Hand in Hand gegeben wird. Und was ist das? Geld. Von da her [müsste man] aber „Fuß für Fuß“ ebenso verstehen! Ich sage: die Schule des R. Chijja legt einen Bibelvers als überflüssig aus. Wenn schon geschrieben steht: „dann sollt ihr mit ihm so verfahren, wie er [der falsche Zeuge] mit seinem Bruder verfahren wollte“ (Dtn 19, 19), wozu brauche ich [dann noch] „Fuß für Fuß“, wenn du es wörtlich verstehen möchtest?! Lerne daraus: [es ist von] Geld [zu verstehen]. Wozu brauche ich dann „Fuß für Fuß“? Nachdem schon geschrieben steht „Hand für Hand“, steht ebenso geschrieben „Fuß für Fuß“8. K. Abaje sagt: [die Geldentschädigung] ist aus der Lehre der Schule Chizqijjas abzuleiten. Denn die Schule Chizqijjas lehrt: „Auge für Auge“, „Leben für Leben“ (Ex 21, 24.23), und nicht: „Leben und Auge für Auge“. Wenn du es aber wörtlich verstehen möchtest, [gäbe es] Fälle, wo es zu „Leben und Auge für Auge“ kommt; dann nämlich, wenn man jemanden blendet und er daran stirbt. Das ist doch keine Schwierigkeit! Vielleicht schätzen wir ihn ab. Wenn man findet, dass er es verträgt, tun wir es ihm; findet man, dass er es nicht verträgt, tun wir es ihm nicht. Wenn man aber gefunden hat, dass er es verträgt, wir es ihm getan haben und er [dann trotzdem] daran stirbt, – wenn er stirbt, stirbt er eben! Wir haben ja bezüglich der Geißelung gelernt (Makkot III, 14): Wenn man ihn eingeschätzt hat, und er [trotzdem] unter seiner Hand stirbt, ist er frei. L. Rab Zebid sagte im Namen Rabas: Die Bibel sagt: „Wunde für Wunde“ (Ex 21, 25). Man gibt [also] Schmerzensgeld, wo schon Schadenersatz [erfolgte]. Wenn du es aber wörtlich verstehen möchtest: da dem einen Schmerzen entstanden sind, würden ja dem andern auch Schmerzen entstehen!‘ Das ist doch keine Schwierigkeit! Vielleicht [sagen wir]: Es gibt Leute, die empfindlich sind und die es mehr schmerzt, und es gibt Leute, die unempfindlich sind und die es weniger schmerzt. Was geht [aus dem vom Schmerzensgeld verstandenen Vers] hervor? [Das schließt das wörtliche Verständnis von „Wunde für Wunde“ nicht aus, sondern ergänzt es nur:] Er soll die Differenz geben [zwischen den gegenseitig zustehenden Schmerzensgeldern]. M.Rab Papa sagte im Namen Rabas: Die Bibel sagt: „Und er muss für die Heilung aufkommen“ (Ex 21, 19). Man zahlt [also] Heilungskosten, wo schon Schadenersatz [erfolgte]. Wenn du aber [„Wunde für Wunde“] wörtlich verstehen möchtest: So wie dieser Heilung braucht, braucht ja auch jener Heilung! Das ist doch keine Schwierigkeit? Vielleicht [sagen wir]: Der Körper des einen heilt schnell, der Körper des anderen heilt nicht schnell. Was geht daraus hervor? Er soll die Differenz geben [zwischen den jeweiligen Heilungskosten]. N. Rab Aschi sagte: [Die Geldentschädigung] ist aus dem wiederholten „für“ vom Rind abzuleiten. Hier steht geschrieben: „Auge für Auge“ (Ex 21, 24), und dort steht geschrieben: „soll er das Rind ersetzen, Rind für Rind“ (Ex 21, 36). Wie hier Geldersatz gemeint ist, so auch dort Geldersatz. Warum hältst du es für richtig, aus dem wiederholten „für“ einen Analogieschluss vom Rind zu ziehen? Ziehen wir doch aus dem wiederholten „für“ einen Analogieschluss vom Menschen! Denn es steht geschrieben: „dann musst du geben: Leben für Leben“ (Ex 21, 23). Wie das hier wörtlich [gemeint ist], so auch dort [bei „Auge für Auge“]. Ich sage: Man folgert von Schädigung auf Schädigung, nicht aber folgert man von der Tötung auf die Schädigung. Im Gegenteil! Man folgert [von der Schädi- 26 'bb' 118-4/2006 gung] eines Menschen auf [die Schädigung] eines Menschen; nicht aber folgert man von der [Tötung] eines Tieres auf [die Schädigung] eines Menschen. Daher hat Rab Aschi gesagt: [Die Geldentschädigung] ist aus [dem Vers] abzuleiten: „weil er sie [die von ihm Vergewaltigte] sich gefügig gemacht hat“ (Dtn 22, 29)10. [Das ist ein Schluss] von einem Menschen auf einen Menschen und von einer Schädigung auf eine Schädigung [und somit korrekt]. O. Es wird gelehrt: R. Eliezer sagt: „Auge für Auge“ ist wörtlich [zu verstehen]. Wörtlich? Was fällt dir ein! Ist R. Eliezer nicht einer Meinung wie alle diese [bisher genannten] Lehrer? Es sagte Rabba: [R. Eliezer wollte nur] sagen, dass man [den Verletzten] nicht wie einen Sklaven schätzt. Es entgegnete ihm Abaje: Sondern wie wen? Wie einen Freien? Wem gleicht denn ein Freier? Rab Aschi sagte hingegen: [R. Eliezer wollte nur] sagen, dass man nicht den Geschädigten schätzt, sondern den Angreifer. Das biblische Talionsgesetz schränkt die Selbstjustiz auf das genaue Maß des Schadens ein, den man selbst erlitten hat. Zu biblischen Zeiten war das sicher ein Fortschritt. Die Rabbinen verstehen jedoch biblische Texte prinzipiell nicht im historischen Zusammenhang, sondern als Basis der eigenen Halakha; diese sieht in der Mischna (A), dem gewandelten Rechtsbewusstsein gemäß, Schadenersatz statt Verstümmelung des Angreifers vor. Sicher entspricht das dem Geist des biblischen Gesetzes. Doch die Rabbinen wollen ihre Praxis wörtlich in der Bibel begründet finden, auch wenn der Bibeltext dabei misshandelt wird. B begründet das übertragene Verständnis von „Auge für Auge“ mit einem Analogieschluss: das gemeinsame Wort makke („schlägt, erschlägt“) in Lev 24, 17 und 18 soll die Schadenersatzzahlung rechtfertigen. Dabei übergeht man, dass hier gar nicht von Verletzung, sondern von Tötung die Rede ist. Der zu Lev 24, 17 treffend zitierte Text Num 3 5, 31 wird durch die Annahme umgebogen, dass ein Satz dadurch, dass er etwas für einen bestimmten Fall ausschließt, dies für die anderen Fälle einschließt, und zwar nicht nur als Möglichkeit, sondern als Pflicht. C sieht die Unmöglichkeit der Wortanalogie aus makke für eine Deutung auf Schadenersatz, da Lev 24, 17. 21 dies ausschließt, und zieht daher eine bloße Sachanalogie zwischen Lev 24, 18 und 19 vor. D kommentiert den letzten Teil von B. Wieso wird dort Num 35, 31 zitiert, das das Wort makke nicht enthält und außerdem vom Mörder spricht, nicht von jemandem, der den anderen bloß verletzt, wie Lev 24, 17 verstanden wird? Num 35, 31 zeigt, wie unsachgemäß Lev 24, 17 erklärt wurde. Diesen Eindruck versucht man jetzt zu verwi schen: in diesem Einwand mit Num 35, 31 sei es nur um die richtige Anwendung des Analogieschlusses gegangen. E führt die Auslegung von Num 35, 31 weiter. Gegen den Schluss von B=D könnte der Vers verwendet werden, um wichtige Organe von einer Geldentschädigung auszuschließen. Denn dass der Mörder hingerichtet werden muss, steht ja im zweiten Teil von Num 35, 31 ausdrücklich. „Ihr sollt kein Sühnegeld annehmen für das Leben eines Mörders“ ist daher, so die Logik des Textes, nur dann nicht überflüssig, wenn man es für einen Umkehrschluß verwendet: „Für einen Nicht-Mörder musst du Sühnegeld nehmen“, und zwar auch für wichtige Organe, die vielleicht im Analogieschluß aus makke (Anfang von B) nicht eingeschlossen wären. F begründet mit Num 35, 31 die Möglichkeit des Geldersatzes, mit dem Analogieschluss aus makke die Pflicht, mit Geld und nicht mit einem eigenen Glied den Schaden zu ersetzen. G und H bieten in symmetrischem Aufbau tannaitische Deutungen von „Auge für Auge“. Wie in den anderen Abschnitten wird auf die Auslegung, damit sei eine Geldzahlung gemeint, anonym mit dem wörtlichen Verständnis des Textes entgegnet. Der Antwort, dass eine völlig gleiche Vergeltung körperlich nicht möglich und diese daher völlig auszuschließen sei, folgt jeweils ein Argument für das wörtliche Verständnis, das siegreich bleibt. I und J sind ebenfalls parallel aufgebaut. Die Argumente für das übertragene Verständnis – hier eine Wortanalogie mit „geben“, dort die grammatikalisch mögliche, doch kontextwidrige Auffassung von „Hand für Hand“ als „Hand in Hand“ -wird jeweils ad absurdum geführt. Doch rechtfertigt dann der Kommentator die Aussage der Schule Jischmaels bzw. Chizqijjas damit, diese hätten eine überflüssige Bibelstelle ausgedeutet: da sie nicht unnötig sein darf, muss sie etwas Zusätzliches aussagen. Dem treffenden Einwand, dass man dann auch andere Textteile als überflüssig deuten müsste, folgt jeweils die lahme Entgegnung, dort sei es nur eine stilistische Parallele. K antwortet auf das Argument Abajes, eine genau gleiche Vergeltung sei nicht möglich (vgl. G und H) und daher sei ein Geldersatz zu leisten: darauf kommt es nicht an; unvorhergesehene Folgen der Körperstrafe sind nicht zu berücksichtigen. L und M sind symmetrisch zu K aufgebaut: die Zahlung von Schmerzensgeld und Heilungskosten schließt ein wörtliches Verständnis von „Auge für Auge“ aus; dem Angreifer erwachsen aus seiner Bestrafung ja ebenfalls Schmerzen und Heilkosten. Wenn er zahlen muss, ist damit die Gleichheit von Schaden und Strafe verletzt. Dagegen wird eingewandt, dass man das wörtliche Verständnis aufrechterhalten kann, wenn der Angreifer – der 27 'bb' 118-4/2006 automatisch als weniger schmerzempfindlich und schneller geheilt angenommen wird – dem Angegriffenen nur die Differenz zwischen den jeweils zustehenden Schmerzensgeldern und Heilungskosten bezahlt. In N leitet Rab Aschi das übertragene Verständnis von „Auge für Auge“ durch eine Wortanalogie aus tacbat, „für, weil“, ab, da die Analogie aus makke, „(er)schlägt“, in B zu schwach ist. Dabei kann er auch den für dieses Verständnis problematischen Text Lev 24, 17 übergehen. Auch formal ist dieser Analogieschluss annehmbarer, da hier die verglichenen Texte jeweils von Menschen zugefügten Schädigungen sprechen. Da aber das wörtliche Verständnis von „Auge für Auge“ noch immer das einfachste ist und dafür R. Eliezer zitiert wird, müht sich O, einfach die Aussageabsicht des R. Eliezer umzudeuten und somit den zuvor genannten Lehrern anzupassen, was Rab Aschi allerdings nicht ohne Gewalt gelingt. Der gesamte Text ist somit eine durchgehende Kontroverse zwischen namentlich angeführten Rabbinen, die halakhagemäss „Auge für Auge“ im Sinn einer Ersatzzahlung verstehen wollen, und den anonymen Vertretern des wörtlichen Verständnisses des Bibeltextes. Deren Argumente sind zwar meist textgemäßer, können jedoch nicht gegen die bestehende Halakha durchdringen. Der Text zeigt somit auch, wie an sich logische Auslegungsregeln den Text der Bibel immer zum gewünschten Ergebnis umdeuten können. _____________________ 1Hebr. makke bedeutet sowohl „schlägt“ wie „erschlägt“. In Lev 24, 17.18 ist das zweite gemeint. Der Talmud zitiert diese Stellen ohne Kontext und versteht es beim Menschen als „schlagen“. Anders in der Fortsetzung, die den Vers nochmals zitiert. 2 Lev 24, 18 sieht ausdrücklich eine Ersatzzahlung für das erschlagene Stück Vieh vor. 3 Wo das Prinzip der Vergeltung und nicht das des Geldersatzes anzuwenden ist. 4 Im Bibelvers steht „Verbrechen“ immer in der Einzahl! In Makkot 4a-b gilt derselbe Vers als Begründung, dass der Falschzeuge, der einen Menschen um Geld schaden wollte, nicht Ersatz zahlt und gegeißelt wird, sondern nur die Geißelung erhält. 5 Somit steht fest, dass man für den Verlust von Körperteilen und Organen Geld gibt. 6 Da kein Wort der Bibel unnötig sein darf, muss die Wiederholung eine neue Bedeutung bringen. An sich spricht der Text von einer körperlichen Vergeltung; doch macht der Zusatz klar, dass es das nicht sein kann – sonst wäre der Zusatz nicht notwendig; – und so verweist der Begriff „geben“ auf den Geldersatz. 7 „Zufügen“ (wörtl. „geben“) ist in 24, 20 zuerst explizit von körperlichen Schäden gesagt. Wenn ich von „geben“ einen Analogieschluss ziehe, ergibt sich eine körperliche Vergeltung. Da das für den rabbinischen Ausleger aber nicht sein darf, erklärt er das „geben“ im Nachsatz als bloß stilistische Parallele zum Vordersatz. 8 Vgl. analog die Anmerkungen 6-7. 9 Der Bestrafte müsste demnach auch wieder Schmerzensgeld erhalten. 10 „Weil“ ist hier im Hebräischen dasselbe tachat wie das „für“ in „Auge für Auge“. Quelle: Günter Stemberger „Der Talmud. Einführung. Texte. Erläuterungen.“, Verlag C. H. Beck München, 1987. 28 'bb' 118-4/2006 M5 Wie der Täufer sieht auch Jesus seine Aufgabe vor allem darin, die Menschen über die zum Teilhaben am Reich geforderte Gesinnung zu belehren und sie in ihnen zu wecken. […] Während der Täufer nur ganz allgemein die neue Gesinnung verlangt, führt Jesus aus, worin sie besteht. Bis dahin war das Ideal der Frommen gewesen, durch Beobachtung des Gesetzes und dazu noch der Vorschriften, die nach der von den Alten geschaffenen Tradition das gesetzestreue Leben bis in die Kleinigkeiten regeln sollten, Gott wohlgefällige Gerechte zu werden und damit die Gewissheit zu haben, zum Reiche einzugehen. Jesus aber lehrt, daß dieses Gerechtsein nicht ausreicht, sondern daß noch ein höheres, das in dem Halten der Gebote ihrem Geiste nach besteht, gefordert wird. […] In der Bergpredigt (Mt.5-7) und in den anderen Reden führt Jesus aus, in was das Gerechtsein, das höher ist als das der Schriftgelehrten, besteht. Ihm zufolge hat es das Gesetz nicht nur mit dem und jenem Sündigen, sondern auch mit den Gedanken, die dazu führen können, zu tun. In dem Verbote des Tötens sind mitgemeint Haß und Unversöhnlichkeit (Mt.5, 21-26). In dem des Ehebrechens wird das Hegen der sündigen Begehrlichkeit der sündigen Tat gleichgesetzt. In dem des Falscheides wird zugleich die Fragwürdigkeit des Eides als solchen offenbar. Schon das einfache Ja und das einfache Nein sollen eine nicht überbietbare Gültigkeit besitzen. „Eure Rede sei ja, ja, nein, nein. Was darüber ist, das ist vom Übel“ (Mt.5, 33-37) […] Weil er [Jesus] nur auf das Innerliche geht, die Pharisäer und Schriftgelehrten aber auch noch auf das Äußerliche, sieht er in ihnen die Leiter des Volkes Gottes, die die richtigen Maßstäbe für Recht und Unrecht nicht besitzen, die den Menschen unnötige Bürden auftragen und sie verhindern, den Weg zum Reiche Gottes zu gehen. […] Den Willen Gottes zu tun, der sich nicht in Gebote und Verbote fassen lässt, sondern als ins Grenzenlose gehender Wille zur Liebe den Menschen aus ihrem Herzen heraus gebietet: dies ist die tiefe, vergeistigte und verinnerlichte Ethik, die zum Eingehen in das Reich erforderlich ist. […] Welche Natur des Menschen setzt die Ethik Jesu voraus? Eine, die von sich aus des Guten fähig ist, wenn es dem Menschen wirklich um dieses zu tun ist. Auch wenn die Menschen im Vergleich zu Gott böse sind, so können sie doch ihren Kindern gute Gaben geben (Mt.7, 11) […] Jesus setzt voraus, daß es Gerechte gebe. Denen, die ihm vorwerfen, daß er mit Zöllnern und Sündern verkehre, antwortet er: „Ich bin nicht gekommen, Gerechte zu bekehren, sondern Sünder“ (Mt.9, 13). Er hält auch Menschen für gut, sonst könnte er nicht sagen: „Der gute Mensch bringt aus dem guten Schatze (seines Herzens) das Gute hervor, der böse Mensch bringt aus bösem Schatze Böses hervor“ (Mt.12, 35). Und noch viel mehr traut er dem Menschen in dem Bemühen um das Gute zu. Denen, die bei der Bergpredigt um ihn geschart sind, mutet er zu, Leuchten des Guten für andere zu werden. „Ihr seid das Licht der Welt…Also lasset euer Licht leuchten vor den Menschen, daß sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen“ (Mt.5, 14-16). Solange das Wort der Schrift noch etwas gilt, - und die Worte, die uns die älteste Kunde von Jesus geben, stehen an erster Stelle – darf niemand einem Christen zumuten, die aufgrund der Erzählung von Adams Essen einer verbotenen Frucht im Paradies im Spätjudentum* entstandene und von dort ins Christentum übernommene Lehre von dem Fortwirken dieses seines Sündigens in der ganzen Menschheit als zum Wesen des christlichen Glaubens gehörig anzusehen. Jesus kennt sie nicht. Es muß also Christen erlaubt sein, hierin zu denken wie er. In seinen Reden läßt uns Jesus einen Einblick in das Wesen der Sünde gewinnen, der keiner Ergänzung durch die Lehre von der Erbsünde bedarf. Albert Schweitzer (1875-1965), Jesu Ethik der Vorbereitung auf das Reich, in: ders. Reich Gottes und Christentum, Mohr: Tübingen 1967, 89-98 [in Auswahl] * Die Bezeichnung „Spätjudentum“ war bis in die zweite Hälfte des 20. Jhdts. eine gängige Bezeichnung für das Judentum kurz vor Jesu Auftreten. Sie ist Ausdruck der christlichen Auffassung, dass das Judentum vom Christentum abgelöst wurde. Arbeitsaufgaben: 1. Geben Sie den Gedankengang des Textes wieder und arbeiten Sie Schweitzers – im Rückgriff auf Jesus gewonnene – Auffassung von der Natur des Menschen heraus! 2. Vergleichen Sie das Menschenbild Schweitzers mit dem Luthers! 3. Ziehen Sie Konsequenzen aus dem Menschenbild Schweitzers für die Funktion Jesu, für die Lehre der Rechtfertigung allein aus Gnade und das Verständnis von Sünde! 29 'bb' 118-4/2006 Mischna und Gemarot zu Gen. 1, 27 (P) M6 Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Weib. 1. Gottebenbildlichkeit ist im Sinne der neuplatonischen Emanationslehre zu verstehen: Der Mensch hat mit seiner Vernunft teil an der göttlichen Vernunft (analogia entis). Die Gottebenbildlichkeit aber hat der Mensch durch den Sündenfall verloren. 2. Gottebenbildlichkeit bedeutet nicht Gottgleichheit. Der Mensch ist ein geistiges Abbild Gottes, ihm aber qualitativ und rangmäßig untergeordnet. 3. Neuplatonische Deutung durch 1. ist dem ursprünglichen jüdischen Denken fremd. Mit der Gottebenbildlichkeit dürfte keine stoffliche Entsprechung, sondern eine beziehungsmäßige Entsprechung gemeint sein. Wie Gott Herr über das Universum ist, so ist der Mensch Herr über die nicht-menschliche Natur. 1. Gottebenbildlichkeit kann wegen des Bilderverbots im Dekalog keine körperliche Abbildung meinen, sondern eine geistige Abbildung, aber qualitativ deutlich untergeordnet und wegen des Sündenfalls stark eingeschränkt (Vergänglichkeit). 2. Gottebenbildlichkeit = Göttliche Stellung des Menschen. 3. Verlust der ursprünglichen göttlichen Eigenschaften des Menschen durch den Sündenfall. 1. Der Mensch als „Nachbild Gottes“, ausgestattet mit einem relativ freien Willen. Diese göttliche Eigenschaft verschafft dem Menschen Würde. 2. Der Begriff des „Nachbildes“ bei 1. entspricht nicht der platonischen Stufung der Ebenen. Es müsste „Abbild“ heißen. 3. Der Mensch hat einen absolut freien Willen. Seine Würde beruht jedoch nicht auf menschlichen Eigenschaften, sondern ist dem Menschen von außen zugesprochen. Mischna und Gemarot zu Gen 2, 18. 21-23 (J) Und Gott der HERR sprach: Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei; ich will ihm eine Gehilfin machen, die um ihn sei… Da ließ Gott der HERR einen tiefen Schlaf fallen auf den Menschen, und er schlief ein. Und er nahm eine seiner Rippen und schloss die Stelle mit Fleisch. Und Gott der HERR baute ein Weib aus der Rippe, die er von dem Menschen nahm, und brachte sie zu ihm. Da sprach der Mensch: Das ist doch Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch; man wird sie Männin nennen, weil sie vom Manne genommen ist. 30 'bb' 118-4/2006 1. Schöpfung des Menschen/des Mannes aus Staub. Ebenbildlichkeit des Menschen durch göttlichen Atem. Frau als Gehilfin des Mannes ist dem Mann untergeordnet und ihm nicht ebenbürtig. Sie ist aus dem Mann und ihm zeitlich nachgeordnet. Sie ist zwar identischer Stoff, aber nur aus seiner Rippe. 2. Kritik an 1: „Gehilfin“ muss nicht negativ im Sinne der Minderwertigkeit gemeint sein. Die soziale Verfasstheit des Menschen und seine Geschlechtlichkeit werden positiv gewürdigt. „Odem“ ist Metapher für das produktive Leben, nicht für die Ebenbildlichkeit. 1. Wenn der Mensch von der Erde ist, woher kommt dann die Flüssigkeit? Möglicherweise ist „von der Erde“ nur ein metaphorischer Ausdruck dafür, dass der Mensch Teil der Erde ist. Der Mensch hat die Macht zur Kultivierung der Erde, aber auch zur Ausbeutung ihrer Ressourcen. 2. Die Schöpfung der Frau aus der Rippe des Mannes ist eine ätiologische Erklärung für die anatomische Besonderheit des Mannes. Der Mensch ist ein soziales Wesen a priori. Mischna und Gemara zu Gen 3, 4-5. 22-23 (J) Da sprach die Schlange zum Weibe: Ihr werdet keineswegs des Todes sterben, sondern Gott weiß: an dem Tage, da ihr davon esset, werden eure Augen aufgetan und ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist… Und Gott der HERR sprach: Siehe, der Mensch ist geworden wie unsereiner und weiß, was gut und böse ist. Nun aber, dass er nicht ausstrecke seine Hand und breche auch von dem Baum des Lebens und esse und lebe ewiglich! Da wies ihn Gott der HERR aus dem Garten Eden… 1. Die Unterscheidungsfähigkeit von Gut und Böse ist offensichtlich eng verbunden mit dem Wunsch, wie Gott zu sein. Nicht die Übertretung des Verbots ist die eigentliche Sünde, sondern der zugrunde liegende Wille, Gott zu sein. Sünde ist deshalb nicht das Tun des Bösen, sondern das Vertrauen auf sich selbst, die Selbstvergottung, und das mangelnde Vertrauen auf Gott. Die Unterscheidungsfähigkeit von Gut und Böse ist die Bedingung der Möglichkeit des Verurteilens von Mitmenschen, obwohl nur Gott richten darf. Bleibt die vollzogene Strafe hinter der angekündigten zurück? – Nein, wie angekündigt, muss der Mensch in dem Sinne sterben, dass er sterblich wird, was er vorher im Paradies nicht war. 2. Der Mensch war auch im Paradies sterblich. Der Baum des Lebens ist doch ein Hinweis darauf. Die Strafankündigung, sterben zu müssen, meint tatsächlich den sofortigen Tod und nicht die Sterblichkeit. 31 'bb' 118-4/2006 M7 Wolfgang Prinz: Der Mensch ist nicht frei – ein Gespräch (aus: Christian Geyer, Hirnforschung und Willensfreiheit, suhrkamp: Frankfurt a.M. 2004, S. 20-27, hier: S. 21-23) Frage: Sie gehen von Ihrem Forschungsbereich der Handlungssteuerung immer wieder auch in philosophische Bereiche, beschäftigen sich mit dem Leib-Seele-Problem, also der alten philosophischen Frage, wie Gehirn und Geist zusammenwirken, oder genauer: ob es überhaupt einen Dualismus von Geist und Gehirn gibt, und der Frage nach der Willensfreiheit. In diesem Zusammenhang haben Sie den Satz geprägt: „Wir tun nicht, was wir wollen, sondern wir wollen, was wir tun.“ Was meinen Sie damit? Wolfgang Prinz: Die Formulierung bezieht sich auf die Experimente des Neurophysiologen Benjamin Libet von 1979, die dem Alltagsverständnis unseres Handelns widersprechen. Wir glauben, daß wir, wenn wir handeln, uns erst entscheiden und dann tätig werden. Ich als mentaler Akteur kommandiere meinen physischen Körper: Ich tue, was ich will. Die Wissenschaft erklärt unser Handeln aber anders. Der Interpretation des Libet-Versuchs zufolge findet eine Entscheidung früher im Gehirn als im Bewußtsein einer Person statt. Das kann nur bedeuten, daß unser bewusster Willensimpuls so etwas wie das Ratifizieren einer Entscheidung ist, die das Gehirn schon getroffen hat: Ich will, was ich tue. Allerdings muß man beachten, daß die Libet-Situation einen sehr engen Zeitrahmen hat. Und wie weit man von dieser Situation auf andere schließen kann, ist noch eine offene Frage. Frage: Sind die Libet-Experimente ein Hinweis darauf, daß wir durch unsere Gehirne determiniert sind? Wolfgang Prinz: Ja. Aber um festzustellen, daß wir determiniert sind, bräuchten wir die Libet-Experimente nicht. Die Idee eines freien menschlichen Willens ist mit wissenschaftlichen Überlegungen nicht zu vereinbaren. Wissenschaft geht davon aus, daß alles, was geschieht, seine Ursachen hat und daß man diese Ursachen finden kann. Für mich ist es unverständlich, daß jemand, der empirische Wissenschaft betreibt, glauben kann, daß freies, nichtdeterminiertes Handeln denkbar ist. Frage: Die meisten Menschen sind doch aber davon überzeugt, daß sie freie, autonome Akteure sind. Wolfgang Prinz: Das sind unsere alltagspsychologischen Intuitionen. Die Alltagspsychologie ist dualistisch: Sie unterscheidet zwischen mentalen und physischen Sachverhalten, und sie glaubt, daß der Geist den Körper regiert. Wenn wir wissenschaftlich denken, ist diese dualistische Position unhaltbar. Die Wissenschaft liebt Monismus und Determinismus. 32 'bb' 118-4/2006 M8 aus: Dietlind Fischer / Volker Elsenbast (Hrsg.) Grundlegende Kompetenzen religiöser Bildung, CI Münster 2006, S. 40-43 Von Jesus aus gesehen auf der linken Seite siehst Du diese Frauengruppe: Von Jesus aus gesehen auf der rechten Seite befindet sich diese Gruppe: 33 'bb' 118-4/2006 M8 34 'bb' 118-4/2006 M9 5 10 15 20 25 30 1 1523 richtet Martin Luther an einen zum Christentum übergetretenen Juden, Bernhardus Gibbingnensis, einen Brief, indem er seine Erwartungen an die Missionierung von Juden in einen historischen Zusammenhang stellt und theologisch begründet. Zunächst berichtete er von dem furchtbaren Schicksal eines Hofjuden unter Kaiser Sigismund (141037). [...] Aber als Ursache solcher Infamie sehe ich weniger den Starrsinn und die Nichtsnützigkeit der Juden an als das höchst lasterhafte und schamlose Leben der Päpste, Mönche und Studenten, die weder durch die Lehre noch durch christliche Sitten auch nur einen Funken von Licht oder Wärme den Juden erweisen, sondern völlig im Gegenteil jener (der Juden) Herzen und Gewissen abstoßen durch die Dunkelheiten und Irrtümer ihrer Traditionen und durch Beispiele schlechtester Sitten. Nur den christlichen Namen stecken sie sich an, wie man leider an jenem Wort Christi über sie erkennen kann: “Weh euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, die ihr Meer und Land durchzieht, um einen Proselyten1 zu machen; und wenn er es geworden ist, macht ihr aus ihm einen Sohn der Hölle, doppelt so wie ihr selbst seid.“ (Matth. 23,15) In diesem Sinne beschuldigen sie die Juden, nur zum Schein sich zu bekehren[...] Das ist so, als wenn eine Kupplerin ein Mädchen zum Unzuchtsgewerbe anlernt, sie hernach aber anklagt, nicht als Jungfrau zu leben. Dass unsere Sophisten und Pharisäer fürwahr eine solche Methode zur Bekehrung und Unterweisung der Juden anwandten, das bezeugt wohl deine eigene Erfahrung. Jedoch, da jetzt aufgeht und leuchtet das goldene Licht des Evangeliums, besteht Hoffnung, dass viele Juden sich ernsthaft und gläubig bekehren und so von Herzen zu Christus hingerissen werden, wie du hingerissen worden bist, und auch manche andere, die ihr übrig geblieben seid von der Nachkommenschaft Abrahams, um durch Gnade gerettet zu werden (Röm 11,5). [...] Deswegen schien es mir gut, dir beiliegendes Büchlein (lateinischer Text von Luthers Schrift >Dass Jesus ein geborner Jude sei<) zu schicken zur Stärkung und Festigung deines Glaubens an Christus, den du jüngst aus dem Evangelium kennen gelernt hast. Jetzt aber bist du schließlich auch geistlich getauft und aus Gott geboren[...]. Ich möchte, dass dieser Gott durch dein Beispiel und dein Wirken auch bei anderen Juden allgemein bekannt werde, damit diejenigen, die zuvor verordnet sind, berufen werden und auch hingelangen zu ihrem König David (Röm 8, 29-30; Eph. 1,11). [...] Lebe wohl in Gott und bete für mich ! __________ 1. Zur jüdischen Religion bekehrter Heide 35 Zitiert nach: Walther Bienert; a.a.O. S.72 2 40 Luthers Schrift > Wider die Juden und ihre Lügen< von 1543 [...] Erstlich, dass man ihre Synagoge oder Schule mit Feuer anstecke und, was nicht verbrennen will, mit Erde überhäufe und beschütte, dass kein Mensch einen Stein oder Schlacke davon sehe ewiglich. Und solches soll man tun unserem Herren und der Christenheit zu Ehren, damit Gott sehe, dass wir Christen sind und solches öffentliches Lügen, Fluchen und Lästern seines Sohnes und seiner Christen wissentlich nicht 45 geduldet noch gewilligt haben. Denn was wir bisher aus Unwissenheit geduldet – ich hab’s selbst nicht gewusst – wird uns Gott verzeihen. Nun wir’s aber wissen und darüber frei vor unserer Nase den Juden ein solches Haus schützen und schirmen, darin sie Christen und uns belügen, lästern, fluchen, anspeien und schänden - wie droben gehört - das wäre ebenso viel als täten wir’s selbst, und viel ärger, wie man wohl weiß. 50 Zum andern, dass man auch ihre Häuser desgleichen zerbreche und zerstöre. Denn sie treiben ebenso dasselbige drinnen, das sie in ihren Schulen treiben. Dafür mag man sie etwa unter ein Dach oder Stall tun wie die Zigeuner, auf dass sie wissen, sie seien nicht Herren in unserem Lande, wie sie rühmen, sondern im Elend1 und gefangen, wie sie ohne Unterlass vor Gott über uns Zeter schreien und klagen. Zum dritten, dass man ihnen nehme alle Betbüchlein und Talmudisten2, darin solche Abgötterei, Lügen, 55 Fluch und Lästerung gelehrt wird. 35 'bb' 118-4/2006 60 65 70 75 Zum vierten, dass man ihren Rabbinern bei Leib und Leben verbiete, hinfort zu lehren. Denn solch Amt haben Sie mit allem Recht verloren, weil sie die armen Juden mit dem Spruch gefangen halten [...], sie sollen ihren Lehren gehorchen bei Verlust des Leibes und der Seele, obwohl doch Moses daselbst klar hinzufügt >Was sie dich lehren nach dem Gesetz des Herrn<. Solches übergehen die Bösewichter und gebrauchen des armen Volkes Gehorsam zu ihrem Mutwillen wider das Gesetz des Herrrn, gießen ihnen solch Gift, Fluch und Lästerung ein. Zum fünften, dass man den Juden das Geleit und Straße ganz und gar aufhebe, denn sie haben nichts auf dem Lande zu schaffen, weil sie nicht Herren, noch Amtleute, noch Händler oder desgleichen sind. Sie sollen daheim bleiben. Ich lasse mir sagen, es soll ein reicher Jude jetzt aufs Land reiten mit zwölf Pferden – der will ein Kochab3 werden – und wuchert Fürsten, Herren und Leute aus [...]. Zum sechsten, dass man ihnen den Wucher verbiete und nehme ihnen alle Barschaft und Kleinod und lege es zur Verwahrung beiseite. Und dies ist die Begründung: Alles, was sie haben - wie droben gesagt - haben sie uns gestohlen und geraubt durch ihren Wucher, weil sie sonst keine andere Nahrung haben. Solches Geld soll man dazu brauchen – und nicht anders - wo ein Jude sich ernstlich bekehrt, dass man ihm davon ein-, zwei- oder dreihundert Gulden auf die Hand gebe nach den persönlichen Lebensumständen, damit er beginnen könne, eine Erwerbsmöglichkeit zu schaffen, um für sein armes Weib und die Kindlein sorgen zu können. Auch unterhalte man damit die Alten und Gebrechlichen, denn solch böse gewonnenes Gut ist verflucht, wo man es nicht mit Gottes Segen in guten nötigen Gebrauch wendet[...]. Zum siebenten, dass man den jungen starken Juden und Jüdinnen in die Hand gebe Flegel, Axt, Karst4, Spaten, Rocken5, Spindel und lasse sie ihr Brot verdienen im Schweiße der Nasen, wie Adams Kindern (Gen 3, 19) auferlegt ist. Denn es taugt nicht, dass sie uns verfluchte Gojim6 wollten im Schweiße unseres Angesichts arbeiten lassen und sie, die heiligen Leute, wollten es hinter dem Ofen mit faulen Tagen, Festen und Pomp verzehren. __________ 1 in Sinne von >Ausland< 2 Schriften der Talmudgelehrten 3 jüdischer Freiheitskämpfer gegen die Römer 4Hacke 5 Gestell zur Befestigung des Spinngutes 6 verächtlicher Ausdruck der Juden für >Christen< Zitiert nach: Walther Bienert a.a.O. S 149 f aus: Robert Gericke, Beiheft zu: „Die Reformation in Deutschland“, Teil I: „Martin Luther und die Juden“. 36 'bb' 118-4/2006 M10 Die evangelische Kirche und die NS - Judenpolitik Am 10. November 1938 - es ist Luthers Geburtstag - brennen in Deutschland die Synagogen In seinem Vorwort zu einer Neuauflage von Luthers Schrift „Von den Juden und ihren Lügen“, weist der evangelische Landesbischof von Thüringen auf Zusammenhänge hin: Vom Deutschen Volk wird zur Sühne für die Ermordung des Gesandtschaftsrats vom Rath durch Judenhand die Macht der Juden auf wirtschaftlichem Gebiete im neuen Deutschland endgültig gebrochen und damit der gottgesegnete Kampf des Führers zur völligen Befreiung unseres Volkes gekrönt[...]. In dieser Stunde muss die Stimme des Mannes gehört werden, der als der Deutschen Prophet im 16. Jahrhundert einst als Freund der Juden begann, der getrieben von seinem Gewissen, getrieben von den Erfahrungen und der Wirklichkeit, der größte Antisemit seiner Zeit geworden ist, der Warner seines Volkes wider die Juden[...]. Aus:http://www.theologe.de/theologe04.htm o. J. ; S. 57 Evangelische Landeskirchen berufen sich auf Martin Luther Gemeinsame Erklärung zur Anordnung über die Einführung des Judensterns der Landeskirchen Sachsen, Hessen-Nassau, Mecklenburg, Schleswig-Holstein, Anhalt, Thüringen und Lübeck: Als Glieder der deutschen Volksgemeinschaft stehen die unterzeichneten deutschen evangelischen Landeskirchen und Kirchenleiter in der Front dieses historischen Abwehrkampfes, der u.a. die Reichspolizeiverordnung über die Kennzeichnung der Juden als der geborenen Welt- und Reichsfeinde notwendig gemacht hat. Wie schon Dr. Martin Luther nach bitteren Erfahrungen die Forderung erhob, schärfste Maßnahmen gegen die Juden zu ergreifen und sie aus deutschen Landen auszuweisen. Von der Kreuzigung Christi bis zum heutigen Tage haben die Juden das Christentum bekämpft oder zur Erreichung ihrer eigennützigen Ziele missbraucht oder gefälscht. Durch die christliche Taufe wird an der rassischen Eigenart eines Juden, seiner Volkszugehörigkeit und seinem biologischen Sein nichts geändert. Aus:http://www.theologe.de/theologe04.htm; o. J.; S.64f __________ aus: Robert Gericke, Beiheft zu „Die Reformation in Deutschland“ Teil I, „Martin Luther und die Juden. Ein „vergessenes“ Thema ?“ 37 'bb' 118-4/2006 M11 Als Beispiel für einen späten - dafür aber grundsätzliche theologische Fragen nicht ausklammernden - Schritt zur Abkehr von einer verhängnisvollen Tradition kann die Änderung der Verfassung der Landessynode der evangelisch-lutherischen Kirche Braunschweig stehen, die im November 2004 erfolgte. Ihr voraus ging eine >Kundgebung der Landessynode zum Verhältnis von Christen und Juden< Beschluss: Kundgebung der Landessynode Braunschweig zum Verhältnis von Christen und Juden „Hat nicht der mich erschuf auch ihn erschaffen und der Eine uns im Mutterschoß bereitet ?“ (Hiob 31,15) Christen und Juden lesen gemeinsam diesen einen Satz aus dem Buch Hiob; doch verstehen sie dasselbe ? Öffentlich zu lesen ist dieses Zitat an der Gedenktafel am Bunker in der Alten Knochenhauer Straße in Braunschweig. Bis zum 9. November 1938, der „Reichspogromnacht“, stand an diesem Ort die Synagoge Braunschweigs. I. Die Landessynode hat sich mit theologischen Überlegungen zum Verhältnis von Christen und Juden befasst und erkennt folgende Ergebnisse: 1. Die Wurzel des Christentums ist mit Jesus Christus eindeutig im Judentum gelegt. Das Christentum gründet im Handeln desselben Gottes von Juden und Christen. 2. Aus den paulinischen Schriften des Neuen Testamentes erfährt die Kirche von der bleibenden Erwählung Israels, deshalb bedarf es keiner gezielten christlichen Mission im Sinne einer Bekehrung unter Juden., unbeschadet dessen, dass Christen gegenüber Juden Zeugnis ablegen. 3. Christen und Juden unterscheiden sich in der Wahrnehmung der Wirklichkeit Jesu als Christus. Doch die gemeinsame Erwartung des Schalom im Kommen des Messias und in der Wiederkunft Christi beziehen Juden und Christen im Blick auf die Zukunft aufeinander. Die Landeskirche beschreibt in der Präambel ihrer Verfassung ihr Selbstverständnis, das sie mit folgender Erklärung verdeutlicht: „Durch ihren Herrn Jesus Christus weiß sie (die Kirche) sich hineingenommen in die Verheißungsgeschichte Gottes mit seinem auserwählten Volk Israel.“ II. Das Verhältnis von Christen und Juden ist auch historisch zu beschreiben. Wie jede Theologie nicht unabhängig von ihrer historischen Situation geschrieben wird, kann auch die heutige Kirche in Deutschland nicht von ihrer Geschichte im Verhältnis zu den Juden absehen. Die Landessynode der Ev.-luth. Landeskirche in Braunschweig richtet ihren Blick auf die Geschichte von Christen und Juden in dieser Region, wohl wissend, dass die regionale Geschichte in die allgemeine Geschichte eingebettet ist. Mit Dankbarkeit kann die Synode feststellen, dass es im Bereich der Landeskirche im Laufe der Jahrhunderte auch gelungenes Zusammenleben von Christen und Juden gab. [...] 38 'bb' 118-4/2006 Die Landessynode erinnert aber auch an die Geschichte der Ausweisung jüdischer Mitbürger, ihrer Verfolgung und Demütigung – bis hin zur Shoa: der Folterung, Ermordung, Vernichtung. Jedes Wort des Bekenntnisses von Schuld kann übertönt werden von den Tränen und Schreien, auch dem stummen Schrei jener, die aus den Städten und Dörfern, in denen wir heute leben, abtransportiert und in die Lager zum Tod gebracht wurden. Auch nach 60 Jahren muss die schamhafte Erinnerung daran wach bleiben, dass Christen nicht mutig genug geglaubt, geliebt, Widerstand geleistet haben, sondern sich anpassten an den Geist der Zeit. Zur dunklen Geschichte auch unserer Kirche gehört die Tatsache, dass Pfarrer und kirchliche Mitarbeiter, die in der Zeit der Verfolgung für die Juden Partei ergriffen haben, auch von der Kirche beschuldigt und angeklagt wurden. Die Schuld, die auf unserer Kirche liegt, bekennen wir; um Vergebung können wir nur bitten. Zur Umkehr gerufen, suchen wir Versöhnung mit unseren jüdischen Mitmenschen und treten jeder Form von Judenfeindschaft entgegen. [...] __________ aus: Robert Gericke, Beiheft zu „Die Reformation in Deutschland“ Teil I, „Martin Luther und die Juden. Ein „vergessenes“ Thema ?“ 39 'bb' 118-4/2006 M12 Paulinische Neudefinition der Kriterien der Zugehörigkeit zum Volk Gottes Jesus war Jude. Diese beinahe banale Feststellung hat historisch wie theologisch erhebliches Gewicht. Und auch die Jesusbewegung, sowohl zu Lebzeiten Jesu wie nach seinem Tode, war eine jüdische Bewegung. Die ersten Zeugen seiner Auferstehung – und mit dem Glauben an diese beginnt erst eigentlich das Christentum – waren Juden. Und schließlich war auch der Wegbereiter einer heidenchristlichen Kirche, Paulus von Tarsus, ein Diasporajude. Religionswissenschaftlich lässt sich das früheste Christentum in seinen Anfängen als heterodoxe [= abweichende] jüdische Bewegung charakterisieren, die ihr Zentrum in Jerusalem und Galiläa hatte. Daß die Aufnahme von Heiden in die entstehenden christlichen Gemeinden zu einer heftigen Kontroverse führen konnte, ist ja überhaupt nur verständlich, weil das junge Christentum sich als Teil des Judentums begriff. Dieses kannte den Status des Proselyten, Heiden also, welche zur jüdischen Religion übertraten, sich – sofern sie Männer waren – beschneiden ließen und dadurch nicht nur zu Angehörigen der jüdischen Religion, sondern auch zu Gliedern des jüdischen Volkes wurden. Auch in das Christentum führte der Weg für Nichtjuden zunächst nur über das Judentum… Christ konnte nach seinem Verständnis nur sein, wer Proselyt und das heißt ein Angehöriger des jüdischen Volkes wurde. […] Erst der pharisäische Schriftgelehrte Paulus von Tarsus stellte die jüdische Prämisse christlicher Existenz in Frage… Paulus wusste sich zum Heidenapostel berufen, welcher Nichtjuden für den christlichen Glauben gewinnen sollte, ohne diese zum Übertritt zum Judentum zu bewegen… Diese sollten Glieder des endzeitlichen Gottesvolkes werden, ohne zu diesem Zweck sich beschneiden zu lassen und also dem jüdischen Volk beizutreten. Paulus begründete den Verzicht auf die Beschneidung von Nichtjuden damit, daß durch den heilsstiftenden Kreuzestod Jesu von Nazareth das jüdische Gesetz, die mosaische Tora, seine für das Volk Gottes identitätsstiftende Bedeutung verloren habe... So sehr Paulus bis zum Ende seines Lebens um den Zusammenhalt der heidenchristlichen Gemeinden mit dem Judentum kämpfte, war es doch gerade sein Verständnis des endzeitlichen Gottesvolkes und der Bedingungen der Zugehörigkeit zu ihm, welches schließlich zur Trennung der christlichen Gemeinde vom Judentum führte und letztlich führen mußte. Seinem Wesen nach ist das Judentum eine Volksreligion, in welcher die Religionszugehörigkeit auf der Zugehörigkeit zum Volk basiert. Paulus aber behauptete, daß zwischen dem Volk Gottes als einer endgeschichtlichen Größe und dem jüdischen Volk eine grundlegende Differenz bestehe. „Nicht alle“, so erklärte er in Röm 9,6f, „die aus Israel stammen, sind Israel; auch nicht alle, weil sie Nachkommen Abrahams sind, sind deshalb schon seine Kinder.“ Eine solche These mußte zum Bruch mit dem Judentum führen, welches doch die Identität beider Größen voraussetzt… Zwar sind auch für Paulus die Angehörigen des wahren Israels Nachkommen Abrahams, aber die wirklichen Kinder Abrahams sind nicht diejenigen, die von einer jüdischen Mutter geboren wurden, sondern jene, die an Jesus von Nazareth als den Messias bzw. Kyrios [Herrn] und Sohn Gottes glauben, d.h. die Christusgläubigen aus Juden und Heiden. Nicht die Mose am Sinai gegebene und mündlich weitertradierte und weiterentwickelte Tora, sondern Jesus als der Kyrios oder Messias konstituiert nach Paulus das wahre Israel. Nicht Tora-Observanz, sondern das Bekenntnis zu Christus begründet die Zugehörigkeit zum wahren Israel… Das Christusbekenntnis impliziert aber bei Paulus eine Absage an die nach jüdischem Verständnis fortbestehende Heilsbedeutung der Tora. Nicht das Bekenntnis zur Messianität Jesu als solches, sondern das mit ihm bei Paulus verbundene Toraverständnis markiert den Bruch des paulinischen Christentums zum jüdischen Glauben. Christus nimmt bei Paulus die Stelle der Tora ein, was Paulus zu der Behauptung führt, zwischen dem wahren Israel, d.h. dem endzeitlichen Gottesvolk, und dem empirischen Judentum sei theologisch zu unterscheiden. Ulrich H.J. Körtner, Volk Gottes – Kirche – Israel, in: Zeitschrift für Theologie und Kirche, 1/1994, 51-79, hier: 61-64 [in Auswahl] Arbeitsaufgaben: 1. Arbeiten Sie aus dem Text das dargestellte Verhältnis des frühen Christentums zum Judentum heraus! 2. Erläutern Sie den Umfang, den Charakter und die Bedeutung der Tora nach jüdischem Verständnis! 40 'bb' 118-4/2006 M13 1 2 3 4 5 6 41 'bb' 118-4/2006 M14 Texte zur Theodizeeproblematik a. Entweder will Gott das Übel beseitigen und kann es nicht, oder er kann es und will es nicht, oder er kann es nicht und will es nicht, oder er kann und will es. Wenn er will und nicht kann, dann ist er schwach, was auf Gott nicht zutrifft. Wenn er kann und nicht will, dann ist er missgünstig, was ebenfalls Gott fremd ist. Wenn er nicht will und nicht kann, dann ist er sowohl missgünstig als auch schwach und dann auch nicht Gott. Wenn er aber will und kann, was allein sich für Gott ziemt, woher kommen dann die Übel, und warum nimmt er sie nicht weg? Epikur (341-270 v.Chr.) b. Sei wie ein Fels, an dem sich beständig die Wellen brechen! Er bleibt stehen, und rings um ihn legen sich die angeschwollenen Gewässer. Ich Unglücklicher, daß mir dieses Schicksal widerfahren mußte! Nicht doch, sondern glücklich bin ich, daß ich trotz diesem Schicksal kummerlos bleibe, weder von der Gegenwart gebeugt, noch von der Zukunft geängstigt! So etwas hätte ja jedem begegnen können, aber nicht jeder wäre dabei kummerfrei geblieben. Warum nun jenes eher ein Unglück, als dieses ein Glück? Nennst du aber überhaupt etwas ein Unglück für einen Menschen, was doch mit der Natur des Menschen in keinem Widerspruch steht? Oder scheint dir etwas der Natur des Menschen zu widersprechen, was nicht gegen den Willen seiner Natur ist? Was ist aber dieser Wille? Du kennst ihn. Hindert dich nun wohl dein Schicksal, gerecht, hochherzig, besonnen, verständig, vorsichtig im Urteil, truglos, bescheiden, freimütig zu sein und die anderen Eigenschaften zu haben, in deren Besitz die Eigentümlichkeit der Menschennatur besteht? Erinnere dich also, bei jeder Veranlassung zur Unlust die Wahrheit geltend zu machen, dies ist kein Unglück, vielmehr es mit edlem Mute zu tragen, ein Glück. Gerade wie der Ausdruck zu verstehen ist: der Asklepiade [Arzt] habe diesem und jenem Kranken das Reiten oder ein kaltes Bad oder das Barfußgehen verordnet, ebenso auch der: die Allnatur habe diesem oder jenem eine Krankheit oder Verstümmelung oder einen Verlust oder etwas anderes derart verordnet. Denn dort bedeutet der Ausdruck: ‚Er hat’s verordnet’ soviel: ‚Er hat es ihm zur Gesundheit dienlich angeordnet’ soviel als: Was jedem Menschen begegnet, ist für ihn als der Naturnotwendigkeit gemäß angeordnet.’ In ähnlicher Weise sagen wir ja, dieses oder jenes füge sich für uns, wie die Baukünstler von den Quadersteinen in den Mauern oder Pyramiden sagen: ‚Sie fügen sich’, wenn sie durch irgendeine Zusammensetzung ineinander passen. Denn durch alles geht eine Harmonie; und gleichwie aus allen Körpern zusammengenommen die Welt ein so vollendeter Körper wird, so wird auch aus allen wirkenden Ursachen zusammengenommen eine so vollendete ursächliche Kraft, das Schicksal. Was ich hier sage, verstehen auch die allerunwissendsten Menschen; denn sie sagen ja: ‚Das hat sich ihm geschickt’; also wurde jenes diesem zugeschickt und dieses jenem zugeordnet. Lasset uns mithin derlei Schickungen so annehmen, wie die Mittel, die ein Asklepiade verordnet! Schmeckt ja auch unter diesen vieles bitter, und doch heißen wir’s in Aussicht auf Genesung willkommen. Denke dir also dasjenige, was die gemeinschaftliche Natur für vollständige Erreichung des Zieles erklärt, als etwas deiner Gesundheit Ähnliches, und heiße alles, was geschieht, wenn es dir auch als noch so hart erscheint, willkommen, weil es zum Ziel hinführt, nämlich zur Gesundheit der Welt und zum gedeihlichen Wirken und zur Seligkeit des höchsten Gottes! Denn er würde einem Menschen nichts derart zuschicken, wenn es nicht dem Ganzen zuträglich wäre. Schickt ja nicht einmal ein Wesen gewöhnlicher Art einem andern von ihm Abhängigen etwas zu, das demselben nicht förderlich ist. Aus zwei Gründen mußt du also mit deinem Geschicke zufrieden sein: fürs erste nämlich, weil es dich traf und dir verordnet wurde und in Verkettung mit einer langen Reihe vorhergegangener Ursachen auf dich irgendwie Bezug hatte, fürs andere aber, weil es für den Beherrscher des Ganzen Grund seines gedeihlichen Wirkens, seiner Vollkommenheit, ja sogar seiner Fortdauer ist. Denn das Weltganze würde verstümmelt, wenn du am Zusammenhang und Zusammenhalt wie der Bestandteile, so denn auch der wirkenden Ursachen auch nur das Geringste lostrennen wolltest. Du trennst es aber los, soviel an dir ist, wenn du damit unzufrieden bis und es gewissermaßen wegzuräumen suchst. Marc Aurel (121-180 n.Chr.), in: Karl Vorländer, Philosophie des Altertums, Rowohlt: Hamburg 1969, 282 f. 42 'bb' 118-4/2006 c. Überdies haben wir vom Menschen nur, wenn wir abstrakt denken, eine so hohe Meinung. Die meisten von uns halten den weitaus größten Teil der konkreten Menschen für sehr schlecht. Zivilisierte Länder geben mehr als die Hälfte ihrer Einnahmen dafür aus, einander die Bürger zu töten. Betrachten wir die lange Geschichte der Handlungen, die von moralischer Leidenschaft inspiriert waren: Menschenopfer, Ketzerverfolgungen, Hexenjagden, Pogrome bis zur Tötung in großem Ausmaß durch Giftgas… Sind diese Abscheulichkeiten und die ethischen Lehren, von denen sie veranlaßt werden, wirklich Beweise für einen intelligenten Schöpfer? Und können wir wirklich wünschen, dass die Menschen, die sie verübt haben, ewig leben? Die Welt, in der wir leben, läßt sich als das Ergebnis von Wirrwarr und Zufall verstehen; wenn sie jedoch das Ergebnis einer Absicht ist, muß es die Absicht eines Teufels gewesen sein. Ich meinerseits halte den Zufall für eine weniger peinliche und zugleich plausiblere Erklärung. Bertrand Russell (1872-1970), in: Warum ich kein Christ bin – Über Religion, Moral und Humanität, Rowohlt: Reinbek 1968/1989, 99 d. Auf den ersten Blick wirkt es überzeugend, daß das Übermaß des Leidens und die Macht des Bösen in der Welt unvereinbar sind mit der Wirklichkeit eines allmächtigen und zugleich liebevollen Gottes. Dieser Eindruck drängt sich nahezu unabweisbar auf, wenn man Gott als den Schöpfer einer anfänglich vollkommenen Welt denkt, in der dann nachträglich das Böse eingerissen wäre. Die Theologen sind nicht unschuldig daran, daß unter diesem Gesichtspunkt der von Jesus verkündete Gott der väterlichen Liebe immer wieder die steinernen Züge eines Schreckensantlitzes angenommen hat, das ohne Not Leiden und Verzweiflung über die angeblich geliebte Menschheit verhängt. Aber vielleicht hat die Theologie hier die mythische Denkform der Erzählungen von Schöpfung und Sündenfall nicht genügend berücksichtigt und darum Schlüsse aus ihr gezogen, die ihren Sinn verkehren? Vielleicht hat die Theologie in einer allzu abstrakten Weise von der Allmacht Gottes gesprochen, nämlich ohne Rücksicht auf die Kämpfe der Geschichte? Es kommt auf den Ausgangspunkt an, auf die Erfahrungsgrundlage, von der her das Bekenntnis zur Allmacht Gottes und zur Abhängigkeit aller Dinge von ihm als ihrem Schöpfer gesprochen wird. Diese Erfahrungsgrundlage aber existiert nicht jenseits der Kämpfe der Geschichte, in der die Wirklichkeit Gottes noch strittig ist. Es ist die Erfahrung einer Welt, in der das Reich Gottes, die Herrschaft Gottes noch nicht endgültig in Erscheinung getreten ist. In dieser Welt des Kampfes gegen das Leid, gegen die Sinnlosigkeit und gegen das Böse ist Gott die äußerste, die stärkste Macht, mit der der Mensch sich verbinden kann, selbst da noch, wo er allem Anschein nach hoffnungslos unterliegt. So gesehen ist Gott nicht widerlegt durch das Übel in der Welt. Im Gegenteil, das Vertrauen auf seine Wirklichkeit ist das Letzte und Äußerste, was der Mensch der Hoffnungslosigkeit und dem Tod entgegenzusetzen hat. Gott ist die Kraft der Hoffnung gegen alle Hoffnung. Und das Bekenntnis zu seiner Allmacht, das Bekenntnis zu ihm als dem Schöpfer aller Dinge ist nicht einfach Feststellung von etwas, was unbestreitbar vorhanden wäre, sondern Ausdruck der Hoffnung und des Vertrauens auf die Übermacht der göttlichen Liebe über alles Grauen und alle Absurdität dieser Welt, ja auch über den Tod. Wolfhart Pannenberg (*1928), in: Konzepte 2: Gott und Gottesbilder, Diesterweg/Kösel: Frankfurt/München 1977, 20 d. Wenn man die zeitgenössische Erfahrung unter dem Namen Auschwitz vereinbaren will mit der Vorstellung eines Gottes, den man bejaht, dann muss von den Gottesattributen – es sind…vor allen Dingen drei, göttliche Allmacht nämlich, göttliche Güte und Verstehbarkeit (welch letztere an sich gar kein Attribut Gottes, sondern ein Attribut des Verhältnisses von Menschen ist) - eines geopfert werden. Entweder: er ist zwar allmächtig und allgütig – aber völlig unverständlich für uns, oder: man kann es ausprobieren, daß nur zwei von diesen drei Attributen zusammen bestehen können. Ich bin zu dem Schluss gekommen, daß das Attribut der Allmacht das ist, was geopfert werden muss. Das hat bei mir zu der merkwürdigen und keineswegs befriedigenden, aber irgendwie für mich doch wieder akzeptablen Vorstellung eines zwar an der Welt sehr interessierten, aber machtlosen Gottes geführt, der nicht eingreift in den physischen Verlauf der Welt. Hans Jonas (1903-1993), in: Dietrich Böhler [Hg.], Ethik für die Zukunft, Beck: München 1994, 177 f. 43 'bb' 118-4/2006 fachbeitrag: krisenpädagogik – grenzüberschreitungen der schulpädagogik, wenn das konventionelle nicht mehr trägt manfred bönsch Das Problem Die Grundposition Relativ häufig stößt die institutionalisierte Pädagogik an Grenzen. Das heißt, das konventionelle Gegebenheiten z.B. in der Schule als Auffangs- und Stützgerüste nicht mehr tragen. Mitunter wird das etwas stereotyp mit veränderter Kindheit erklärt. Familienerziehung habe nicht mehr genug Gestaltungskraft. Veränderte Familienbeziehungen entstünden in der Breite (Ein-Eltern-Familien, Patchwork-Familien u. a. m.). Primäre Erfahrungen gäbe es zu wenig. Der Medienkonsum ersetze sie zunehmend (Kühe sind lilafarben!) Der ganzheitliche Lebensraum sei Verinselungen gewichen (Kinder seien heute „Inselhüpfer“ (Wohnung, Schule, Ballettstunde, Fußballtraining, Verabredungen mit Freunden im Nachbarort – gut, wer eine Taximutter hat!)). Und wenn die Schule zusätzlich Defizite entwickelt (Schüler/innen kommen mit ihr nicht zurecht, schulisches Lernen wird als sinnlos empfunden, die persönliche Akzeptanz erscheint gering) und sich diese mit schwierigen Lebensverhältnissen in einer negativen Koalition verbinden, ist die pädagogische Krise da und Grenzüberschreitungen z. B. in Gestalt von Schulverweigerung finden statt. Fast erscheint jeder zurückholende Ansatz aussichtslos. Die Frage ist dann, ob die Pädagogik die Grenzen - um im Bild zu bleiben - mit überschreiten kann, um jenseits der Konventionen einen neuen Ansatz zu finden. Eine evtl. Bejahung dieser Frage hängt einmal von Grundeinstellungen ab. Wie weit reichen Kraft und Engagement bei der Verfolgung des Postulates „Keiner darf verloren gehen“ und hält man es überhaupt für wichtig? Und sie hängt dann von den Möglichkeiten ab, die man noch sieht und evtl. gehen könnte. Die vielleicht aufkommende Killerphrase (dafür fehlen Ressourcen personeller und sachlicher Art) soll außer Acht gelassen werden. Vielmehr wird die Frage verfolgt, wie weit pädagogisches Denken und Handeln jenseits der herkömmlichen Grenzen reichen könnte. Der Versuch der Ausmessung einer sog. Krisenpädagogik soll in den folgenden Ausführungen gemacht werden. Bliebe man bei der nicht so seltenen Auffassung „Wer sich nicht benehmen kann, gehört nicht hierher!“ wären die Überlegungen schon hier zu Ende. Kann man bei der Grundannahme verharren, dass jeder Mensch erreichbar bleibt, vielleicht sogar sehnlichst darauf wartet, dass ihm geholfen wird, und dass keiner verloren gegeben werden darf – zum pädagogischem Ethos gehört, dass es die Abschreibung von jungen Menschen nicht geben darf –, dann drängt sich die Frage des „Wie“ in den Vordergrund. Klar muss wohl von Anfang an sein, dass eine individuelle idealistische Perspektive nicht allein ausreicht. Sie würde schnell ohnehin begrenzte Kraft- und Zeitpotentiale überfordern. Die Chance liegt also von vornherein nur in Kooperationsstrategien. Drei Denkansätze sollen verfolgt werden. (1.) Veränderung der Institution, (2.) Kumulative Verdichtung der Beziehungsrahmen und (3.) alternative, nachhaltige Erziehungs- und Lernszenarien. 44 1. Veränderungen der Institution Nach wie vor ist es schwer, sich die Schule anders zu denken als in den herkömmlichen Organisationsmustern. Besonders in der Sekundarstufe I ist die Vorstellung festgemauert, nach der Schule darin besteht, dass 14-15 Unterrichtsfächer in 45 Min. – Rhythmus Tag für Tag angeboten werden. Der Stundenplan kanalisiert unbarmherzig die Abläufe, Fächer- und Lehrerwechsel und die Lernmöglichkeiten. Die Schule ist ein Moloch, der beide Seiten Lehrer/innen wie Schüler/innen – ständig (über-)fordert und entsprechende Reaktionen produziert: burnout auf der einen Seite, Abwehr, Unlust, Verweigerung auf der anderen Seite. Und wenn sich Misserfolge anhäufen, wird es kritisch. Am Beispiel des Phänomens „Schulverweigerung“ kann man exemplarisch die Kumulation negativer Faktoren deutlich machen (Übersicht 1): Die Frage ist dann, ob man mit polizeilichen Mitteln das Problem zu beheben versucht (gewaltsame Zuführung schwänzender Schüler/innen) oder ob die Lernbedingungen zu hinterfragen wären, damit die Institutton „Schule“ sich anders anbieten könnte. Im Bereich „Hauptschule“ gibt es bemerkenswerte Ansätze. Die folgende Übersicht (Übersicht 2 im Anhang) gibt zunächst einen 'bb' 118-4/2006 'bb' 118-4/2006 45 Pfade zum Absentismus Ursachensuche bei Schulverweigerung Überblick, der dann in bezug auf die Ansätze einer Krisenbewältigung untersucht werden soll. Die sog. kleinen Möglichkeiten am Beispiel einer Sekundarschule wären der wöchentliche Projekt- oder Praxistag, der die Schüler/innen in andere Lern- bzw. Erfahrunaskontexte führt, um von ihnen her neue Motivationen für das konventionelle Lernen zu gewinnen. Klassenübergreifender Wahlpflichtunterricht beinhaltet die Chance, durch Interessenorientierung und Neugruppierung zwei Motive zum Lernen zu aktivieren. In der Sekundarschule gäbe es auch die Chance, im Rahmen einer Fachlehrerkette für jeden z. B. im Fach Mathematik die Angebote zu machen, die er erfolgreich bewältigen kann. Da könnte ein Schüler im 7. Schulbesuchsjahr den Stoff des 5. Schuljahres in Ruhe bearbeiten, eine Schülerin im 7. Schulbesuchsjahr aber könnte ihre Stärken im Englischunterricht am Stoff des 9. Schuljahres weiterentwickeln. Natürlich ist der Einsatz des bekannten Subkonzepts offenen Unterrichts immer eine Möglichkeit, dem Lernen neue Impulse zu geben. Aber insgesamt wird die Reichweite dieser Möglichkeiten begrenzt sein. Immer sind noch latent vorhandene positive Anknüpfungspunkte als Voraussetzung anzunehmen. Minimieren sich diese aber gegen Null, muss man den Denkrahmen für eine alternative Schulgestaltung weiter strecken. Die in der Übersicht angeführten Ansätze der Lebensweltinszenierung, des Arena-Kurs-Modells, der Werkstatt-Schule und der Stadt-als-Schule können eine aufsteigende Linie aufzeigen. Der Grundgedanke der Lebensweltinszenierung ist, die Fächer vorbereitend für eine zeitweise andere Lernwelt (Mittelalter, Römer, Indianer, Japan) zu funktionalisieren. Diese andere Lebensweit zur schulischen Mitte zu machen, in der man dann eine Zeit lebt. Aber man muss viel wissen, damit dies gelingt. Und die Hoffnung ist, dass aus diesen so anderen Lernwelten auch wieder die Bereitschaft erwächst, sich den Anforderungen des normalen Unterrichts zu stellen. Ein doppelter Effekt kann sich ergeben. Voraussetzung ist allerdings ein massives Engagement im Kollegium. Das Arena-Kurs-Modell setzt ähnlich an. Die sog. Arenen bieten mit Kunst, Theater, Schreibwerkstatt, Akrobatik, Zirkus – gestaltet und angeregt durch außerschulische Experten außergewöhnliche Lernmöglichkeiten an, die dann das „Schwarzbrot des Lernens“ in den sog. Kursen befruchten sollen. Ein qualitativer Sprung ist bei der Werkstatt-Schule und der Stadt-als-Schule zu konstatieren. Wie der Doppelsinn andeutet, geht es bei der Werk-statt-Schule um ernsthafte Werkprojekte (Ausbau eines Fotoateliers, Bau einer Holzbrücke im Garten) statt herkömmlicher Schule, geht es um Werkstattarbeit statt herkömmlichen Unterrichts. Und die Stadt-als-Schule verlegt die Lernorte konsequent an drei Wochentagen an außerschulische Lernorte (Restaurant, Kindergarten, Kfz-Werkstatt, Krankenhaus u. a. m.), um dann begleitend herkömmliches schulisches Lernen zu organisieren, weil man immer wieder Wissen und Fertigkeiten .draußen“ braucht und weil man Ideen und Notwendigkeiten von „draußen“ mitbringt. 46 Wenn man die Ideen der alternativen Gestaltung bündelt, wird man sagen können, dass entweder neue Handlunasmittelpunkte in der Schule gesucht werden, von denen eine Strahlwirkung im Sinne von Anregung, Motivation, Sinnhaftigkeit erwartet wird, oder sog. Ernstsituationen Herausforderungen darstellen, in denen quasi wie von selbst die bisher trockenen Schulstoffe Relevanz gewinnen und das Lernen neu initiieren. Jede der kurz skizzierten Varianten erfordert ein erhebliches Umdenken in curricularer, organisatorischer, methodischer und personeller Hinsicht. Man muss den „Lernzug“ auf neue Gleise setzen in der zunächst offenen Hoffnung, dass die weit weg liegenden Bahnhöfe (Schulabschlüsse) wieder erreichbar werden. 2. Kommunikative Verdichtungen Es gibt Lebenslagen, die von institutionellen Veränderungen nicht erreicht werden. Nehmen wir hier das Beispiel einer Mädchengruppe in einem Berufsvorbereitungsjahr an einer beruflichen Schule. Die Klasse umfasst sechs Mädchen im Alter von 16 – 18 Jahren, die über Jahre nur Misserfolg erfahren haben, keinen Schulabschluss trotz neun bis zehnjährigem Schulbesuch erlangt haben und in ziemlich verfestigte Abwehrhaltungen gegenüber Schule und Lehrer/innen geraten sind. Dies äußert sich in ostentativ geäußerter Lustlosigkeit, gar in aggressiver Ablehnung jeder Art von Lernangebot. Der Ton ist rüde und schroff und auf Beleidigung und Feindlichkeit hin ausgelegt. Eine Rädelsführerin bestimmt das Verhalten und macht tendenziell Kompromisse unmöglich. Die passiveren Schüler/innen können es nicht wagen, sich zu öffnen und womöglich auf wenigstens kleine Angebote einzugehen. Die Situation erscheint Lehrer/innen wie Sozialarbeitern wie Psychologinnen hoffnungslos. Die negativen Einstellungen erscheinen derart verfestigt, dass es keinen Ansatzpunkt zu Aufweichungen gibt. Der Alltag ist Kampf und Krampf, die Krise sehr ausgeprägt. Ist hier die Schulpädagogik am Ende? Zunächst sei erst wieder eine Gegenstrategie dargestellt und dann auf ihre Chancen hin kommentiert. Das Grundproblem liegt häufig darin, dass sich Lehrer/ innen, wenn der normale, an Unterrichtsinhalten orientierte Unterricht nicht realisierbar erscheint, resignieren und hilflos sind. Das Repertoire intensiver Beziehungsarbeit steht (scheinbar) nicht zur Verfügung und das Herausgehen aus den Konventionen erscheint nicht möglich. Die oben dargestellte Strategie folgt einer Mehrschrittigkeit. die mit den Begriffen Beziehungsarbeit – verdichtete Situationen – Alternativer Unterricht Verantwortung übernehmen – Wichtige Bezugspersonen – zu kennzeichnen ist. Da die Grundprobleme in über längere Zeit entstandenem Abwehrverhalten, verschütteter Motivation, Frustration und Misserfolg liegen, sind nur sehr langsam verlässliche Beziehungen wiederaufzubauen. Verdichtete Situationen im Sinne von besonderer Zuwendung, Doppelbesetzung im Unterricht und außerunterrichtliche/-schulische Aktivitäten wären wichtig. Alternative Lernangebote, wie oben schon dargestellt, und möglichst Aufgaben, die nicht nur Ausführung und Reaktion verlangen, können schrittweise einen Neuaufbau von positiven Einstellungen anregen. Da 'bb' 118-4/2006 'bb' 118-4/2006 47 Alternative Gestaltungen der Hauptschule Denkhilfen für die Arbeit mit einer extrem schwierigen Schülergruppe (Beispiel: 6 Mädchen in einem Berufsvorbereitungsjahr) 1. Beziehungsarbeit: Der erste Ansatz ist wohl der, langsam und geduldig am Aufbau einer verlässlichen Beziehung zu arbeiten (Einzelgespräche, häufige Kontakte in der Schule (vor und nach den Unterrichtsstunden) und auch außerhalb der Schule (Einladung zur wöchentlichen Teestunde u. a. m.), Ansatzpunkte bei einzelnen Mädchen finden (Auseinanderdividieren von Rädelsführerin und Gruppenzwang)) 2. Verdichtete Situationen: Die am Unterricht der Gruppe beteiligten Kollegen/innen arbeiten zusammen, sie sprechen sich ab, sie nehmen verteilt die Betreuung einzelner Mädchen wahr, sie erteilen Unterricht zu zweit (Umorganisation des unterrichtl. Einsatzes). Sie zeigen Interesse an außerschulischen Situationen und Aktivitäten (Konzerte besuchen, Treffs aufsuchen u. a. m.) 3. Wiederaufbau verschütteter, verlorener Motivation: Wenn Misserfolg Desinteresse die Einstellungen bestimmen, ist der langsame, kleinschrittige Aufbau von Regelorientierung, Verabredung, Aufgabenerledigung wichtig. Am Anfang werden dies nur Kleinigkeiten sein können (regelmäßig da sein, wenigstens zusammensprechen können, ganz kleine Aufgaben realisieren). Die Bedürfnisse liegen wahrscheinlich erst einmal in verlässlichen Beziehungen, in der Überwindung dauernd negativer Erfahrungen. 4. Alternativer Unterricht: Wenn zunächst normaler Unterricht kaum/nicht möglich erscheint, ist „buslness as usual“ nicht möglich. Schulisches Lernen ist nur negativ besetzt. Alternative Hauptschulen haben alternativen Unterricht organisiert: Lebensweffinszenierangen (Japan in unserer Schule), Arena-Kurs-Modeil mit Experten (Künstler, Tanzpädagogen u.a.m. realisieren Projekte; parallel dazu gibt es Verpflichtungen in den herkömmlichen Fächern), Werk-statt-Schule (ernsthafte Projekte, z. B. Bauwagen zum Kioskwagen umbauen u. a. m., bei denen man Rechnen, Lesen, Schreiben braucht), Stadt-in-der-Schule (Praktika in Betrieben – ernsthafte Arbeit – und Vorbereitung/Auswertung dazu) 6. Aufgaben, die Verantwortung verlangen: Wenn man alles sinnlos ansieht, kann ein Ansatz sein, Aufgaben anzubieten, die in ernsthafter Weise die Wahrnehmung von Verantwortung verlangen. Der Einsatz z. B. als Helfer in einer Grundschule (Lernhilfe/ Tutorentätigkeit für lernschwache Schüler) lenkt von einem selbst ab und verlangt die Orientierung an einer Ernstsituation (dem Jungen muss ich helfen; gleichzeitiges Übertragungsphänomen: dem soll es nicht so gehen wie mir). Die Einrichtung eines Kiosks in der Schule mit dem ganzen Ernst des Einkaufs, der Öffnungszeiten, der Wirtschaftlichkeit u.a.m. wäre ein anderes Beispiel. 6. Die Kleinsehrittigkeit, Ansatzpunkte zu gewinnen: Wenn man z. B. nur Lust zum Chatten hat, kann man dies durchaus zulassen. Aber eine kleine Auflage gäbe es schon: im gleichen Zeitumfang muss man sich auch auf eine Lernaufgabe einlassen (Prinzip des Gebens und Nehmens langsam realisieren!) 7. Wichtige Bezugspersonen: Sehr wichtig wäre es, wichtige Bezugspersonen zu finden, die Mittler sein können: Eltern, Vater oder Mutter allein, Geschwister, Freunde, Mitglieder der Clique, gar ein früherer Lehrer/ eine frühere Lehrerin. Irgendeinen gibt es bestimmt, der einem Mädchen wichtig ist und Gespräche über die und positive Beeinflussungen gegenüber der total negativ eingeschätzten Institution Schule versuchen könnte. 48 'bb' 118-4/2006 im Grunde die Suche nach personeller Orientierung ein „verstecktes Grundbedürfnis“ ist, wären wichtige Bezugspersonen eine entscheidende Hilfe. Wenn dies Lehrer/innen selbst sein können, wäre dies die beste Lösung. Aber Vermittler zu finden, könnte eine wichtige Hilfe sein. Die Bewältigung einer solchen ausgeprägten Krisensituation liegt, so kann man es theoretisch fassen, in der Auswechslung des Erwartungs- und Verhaltenssets, der die Mädchen zunächst negativ bestimmt (Misstrauen, Ablehnung, Selbstbehauptung durch Aggressivität und rüde Sprache, Demotivation und Verweigerung) und durch einen positiven ersetzt wird. Die Umstrukturierung der Situationswahrnehmung, wieder eine verlässliche Beziehung finden – zunächst frei von schnellen Leistungserwartungen – können die Auswechslung befördern. Aber klar muss sein, dass sich die Aufgaben verlagern: von der Arbeit an Inhalten zur Arbeit an Personen und Beziehungen! 3. Nachhaltige Erziehungs- und Lernszenarien Der dritte Gedankengang folgt der Idee nachhaltiger Lernszenarien. Diese liegen zum Teil gut ausgearbeitet vor, sind zum anderen Teil in einer kontroversen Diskussionslage. Mit dem Begriff der Nachhaltigkeit wird dabei genau der Gedanke verfolgt, andere als die konventionellen, institutionell verfestigten Strukturen zu erwägen, wenn diese nicht mehr tragen und Krisen im skizzierten Sinn auftreten. Es liegt in der Natur der Sache, dabei über die „Normalität“ hinauszudenken, dies zunächst, ohne die Realisierungsbedenken gleich als „Killerargumente“ zu nehmen. Wieder sei zunächst eine Übersicht als Strukturierungshilfe vorgestellt. Die Kommentierung folgt dem zweigeteilten Schema. Wenn das Denken von der Schule her beginnt, bietet sich der Dreischritt „Eigenverantwortliches Lernen – weitergehende Lernszenarien – besondere Lernszenarien“ an. Für das eigenverantwortliche Lernen liegt – wie gesagt – ein gut ausgearbeitetes Repertoire vor, das vielfach auch eingesetzt wird. Es braucht hier nicht speziell erläutert zu werden. Der einende Grundgedanke ist, dass in dem Maße, wie Lernen die Sache von Lernenden wird, sich andere Einstellungen und Verantwortlichkeiten ergeben und Verhaltens- und Lernkrisen vorgebeugt wird. Der präventive Charakter ist nicht unwichtig. Die weitergehenden Lernszenarien teilen sich in die Bereiche „Simulierte Wirklichkeiten“ und „außerschulische Lernorte“. Ihre Kernidee ist, die Künstlichkeit der Normalstunden abzulösen durch Lernszenarien, die Ernsthaftigkeit, Wirklichkeitsbezug, Komplexität, die Verbindung von Leben und Lernen beinhalten. Von den simulierten Wirklichkeiten im hier gemeinten Sinn war vorn schon die Rede. Die Öffnung zu außerschulischen Lernorten ist ein Komplementärkonzept, das reale Wirklichkeiten, aber eben didaktisch-methodisch aufbereitet, zum Lernanlass nimmt. Die besonderen Lernszenarien gehen darüber hinaus. Sie stellen Herausforderungen dar, die temporär oder auch auf Dauer Situationen schaffen, in denen die Didaktisierung stärker abnimmt und die existentielle Herausforderung zunimmt. Die Geheebsche Kurzschulidee (Seenotrettung, Feuerwehr, Bergrettung) geht über den normalen pädagogischen Schon- und Schutzraum weit hinaus bis zu möglicherweise lebensgefährdenden Situationen. Geheebs Anliegen war es, das Individuum an Herausforderungen wachsen zu lassen, die den Einsatz des eigenen Lebens verlangen und nur mit großer Verantwortung, Umsicht, Können und Kooperation bewältigt werden können. Hier kommt pädagogische Verantwortung an eine Grenze, vor der viele mit guten Gründen zurückschrecken werden. Aber klar ist auch, dass die existentielle Herausforderung, wenn sie denn bejaht und versucht wird, junge Menschen in einer ganz anderen Weise anspricht. Belangloses Gerede weicht Bewältigungsnot wendigkeiten, die den ganzen Menschen fordern. Das Repertoire besonderer Lernszenarien hat sich über die Geheebsche Idee der Kurzschulen hinaus ausgeweitet zur Wahrnehmung sozialer Dienste (im kleinen Rahmen als sozialer Tag, im größeren Rahmen als soziales Jahr – z. B. statt Wehrdienst). Die Grundidee ist hier, über das Eintauchen z. B. in reale Situationen der Krankenpflege, der Altenpflege, des Besuchs von Langzeitpatienten in Krankenhäusern, der Betreuung von Kindern in Kitas und Horten Herausforderungen zu schaffen, in denen sich ein junger Mensch in seinen Grundeinstellungen, in seinem Engagement, im Lebenssinn neu orientieren muss und empfundene Belanglosigkeiten und Sinnlosigkeiten abbauen kann. Partielle Herausforderungen durch sog. Grenzsituationen (Wildwasser Kanufahren, Oberlebenstraining in der Natur, fremde Weiten erfahren/erobern/bewältigen) stellen einen anderen Ansatz dar, folgen aber auch der Grundidee, durch neue Herausforderungen die ganze Person in ihrem Denken und Handeln herauszufordern, und zwar so, dass es immer wieder an die Grenzen der eigenen Leistungsfähigkeit geht (Grenzsituationen). Dies sind dann auch Lebensgrenzen, die im positiven Fall weiter hinausgeschoben werden können oder im kritischen Fall ein Zurückweichen nötig machen. Auf jedem Fall aber gehen sie an den Kern individueller Existenz. Die Künstlichkeit von Lernsituationen wird verlassen, der Ernst von Situationen führt an die Grenze, an der es nur Scheitern oder Bewältigen gibt und von daher den Menschen existentiell fordert. Wenn es intendierte pädagogische Situationen sind, sind sie so zu bemessen und zu bearbeiten, dass ein Gewinn für die Persönlichkeitsentwicklung aus ihnen gezogen werden kann. Die drei Sets „Experimental Learning“, „konstruktive Lernproiekte“ und „Handlungsfelder Alpin, Wasser, Höhle, Luft“ strukturieren noch einmal die Ansatzpunkte die weit über institutionelle Rahmengegebenheiten hinausgehen. - Das „Experimental Learning“ geht von subjektiv bisher fremden Lebenswelten aus, fordert das Eintauchen in sie, ermöglicht völlig neue Erfahrungen und subjektive Bewältigung. Um es exemplarisch zu konkretisieren: wenn eine Gruppe junger Menschen, mit ihrem Alltag nicht sehr zufrieden und insgesamt eher von Misserfol- 49 'bb' 118-4/2006 Nachhaltige Lernszenarien Von der Schule her gedacht Simulierte Wirklichkeit R R R Weitergehende Szenarien R Alternative Unterrichtsstrukturen (WPA, WDU, Stationenlernen) Zusätzliche Lernorte (Lernwerkstatt, Selbstbildungszentrum, Computerstation, -raum) Außerschulische Lernorte Unterrichtsgänge Erkundungen Praktika Exkursionen Reisen - Seenotrettung - Feuerwehr - Bergrettung Besondere Lernszenarien R Lernwelten inszenieren Schule in der Stadt Arena - Kurs - Modell Werk-statt - Arbeit ___________________________ R Eigenverantwortliches Lernen Die Geheebsche Kurzschulidee R Herkömmlicher Unterricht R Q Projektarbeit R 1. - Soziale Dienste - Grenzsituationen (Wildwasser - Kanufahren - Überlebenstraing - Fremde Welten erobern 2. Über die Schule weit hinausgedacht Experimental Learning - in fremden Welten (Sahara Wald- und Seenlandschaft Spiritualität im Kloster Bei Indianer, Großstadtdschungel Bersteiger) Erkunden, Erforschen, Bewältigen 50 Konstruktive Lernobjekte -Vehikelbau - - „Talsperre am Bach“ -u.a.m. Bauen, Entwickeln Handlungsfelder Alpin, Wasser, Höhle, Luft - Wanderung im Hochgebirge -Bergsteigen -Höhlenforscher -Wildwassertour -Segelflug -Kutterfahrt Handlungen in komplexem Feld 'bb' 118-4/2006 gen, Konflikten, Schwierigkeiten geprägt, für eine Woche in die spirituelle Atmosphäre eines Klosters eintaucht, eine ganz andere Welt der Stille, des Meditierens erfährt, ganz andere Wichtigkeiten erlebt, Zug um Zug Hast, Unruhe, Besinnungslosigkeit, die Flucht vor dem Sein aufgeben muss, ist die Chance der Neuorientierung groß. Andere Werte und Normen, Menschen, die sie leben und von ihnen erfüllt sind, werden erlebt. Ein neuer Halt oder zumindest eine Ahnung von anderem Lebenssinn kann sich eröffnen. Der Katharsisgedanke hat hier eine neue Bedeutung: das Sich-Befreien von verfestigten Spannungen, Einstellungen, Verhaltensweisen durch Erfahrung einer ganz anderen Weit und ihrer Ordnungen, Rituale und Sinnbestimmungen. - - Die Idee der „konstruktiven Lernprojekte“ fordert Menschen auf andere Weise. Im Bauen, Entwickeln, Experimentieren und Schaffen eines Werkes erfährt sich der Mensch als Schöpfer, als einer, in dem produktive Kräfte und nicht nur Insuffizienzen liegen. Das Werk spiegelt die bisher unentdeckten Potenzen. Die Selbstvergewisserung durch das Schaffen von etwas Eigenem ist sicher eine Möglichkeit existentieller Neubestimmung. Es hat zudem einen Handlungsrahmen, der leichter zu organisieren ist. Die „Handlungsfelder Alpen, Wasser, Höhle, Luft“ greifen auf einen schon geäußerten Gedanken zurück, nämlich durch bisher unbekannte Naturgegebenheiten Menschen zu konfrontieren mit Handlungsaufgaben; Bewährungssituationen, in denen auf ganz neue Weise reagiert werden muss. Die bisher vorhandenen Handlungsmuster reichen nicht aus und die experimentelle Erprobung des Selbst (Mut, Risiko, umsichtige Planung, Verantwortung, Können, Wissen) fordert sehr intensiv heraus. Oberflächlichkeiten, Laxheit wären fatal. Der schnelle Spruch hilft überhaupt nicht. Die Zumutungen sind massiv und können eine neue Selbsterfahrung in sehr grundsätzlichem Sinn schaffen. Kurze Bilanz Die vorstehenden Überlegungen unter der Überschrift „Krisenpädagogik“ gehen aus von aktuellen Erfahrungen, dass eine Pädagogik der Konventionen, der Ausgang von sog. Normalität an Grenzen stößt. Reagiert sie selbst nicht, erfolgen die Grenzüberschreitungen von Kindern und Jugendlichen selbst und es entsteht der Eindruck der Hilflosigkeit, Überforderung. Schließlich folgt die Verweigerung und die Übergabe an andere Instanzen (Polizei, Strafverfolgung u. a. m.). Die Frage ist, ob sich Pädagogik selbst so schnell aufgeben kann/darf. In einem Dreischritt ist das in der Frage intendierte „Nein“ mit möglichen Ansätzen beschrieben und begründet worden. Die Veränderung der Institution mag schon schwer genug sein, da sie häufig quasi naturgesetzlich als gegeben angesehen wird. Die Beispiele aber zeigen, dass Alternativen denkbar sind. Wenn es um Menschen geht - und dies ist bei Pädagogik immer der Fall –, ist der Ansatz der Beziehungsarbeit, hier unter der zugespitzten Formulierung der kommunikativen Verdichtungen behandelt, ein unaufgebbar zentraler. Pädagogik lebt gewissermaßen von der Hoffnung auf ihre Wirksamkeit. Die Frage aber ist natürlich immer, wie sie zu einem Optimum gebracht werden kann. Der Gedanke der sog. nachhaltigen Erziehungs- und Lernszenarien aber geht schließlich der Frage nach, inwieweit über Veränderungen der Institution, hier am Beispiel „Hauptschule“ erörtert, und der Verdichtungen der Kommunikationen hinaus noch ganz andere Szenarien zu denken sind, die scheinbar nicht mehr Erreichbare doch wieder erreichbar machen. Der Grundgedanke hierbei ist, über Situationen Handlungsfelder/ Aufgabensets eine Pädagogik der alternativen Herausforderungen, Bewährungs-, aber auch Bindesituationen zu skizzieren. Die wahrscheinlich schnell auftretenden Folgefragen der Realisierbarkeit, der finanziellen Konsequenzen u. a. m. sind zunächst einmal nicht beachtet worden. Es stecken in der entwickelten Krisenpädagogik eine Reihe grundsätzlicher Fragen, zu deren Diskussion vorher einzuladen ist! Buchanzeige Manfred Bönsch Die Schule der Zukunft mit historischem Hintergrund Baltmannsweiler: Schneider Verlag, 2006 Erziehung in der Krise? – Soziales Pädagogik in Krisen, Münster, 2006 Beziehungslernen. Pädagogik der Interaktionen, Baltmannsweiler, 2006, 2. Auf. Allgemeine Didaktik. Ein Handbuch zur Wissenschaft vom Unterricht, Stuttgart, 2006 Schüler aktivieren, Hannover, 1994, 3. Aufl. Offener Unterricht in der Primär- und Sekundarstufe I, Hannover, 1993 Nachhaltiges Lernen durch Oben und Wiederholen, Baltmannsweiler, 2005 Selbstgesteuertes Lernen in der Schule, Braunschweig, 2006 (früher erschienen bei Luchterhand) Unterrichtsmethoden kreativ und vielfältig, Baltmannsweiler, 2006, 2. Aufl. Differenzierung (unter Mitarbeit von Astrid Kaiser) Differenzierung in Schule und Unterricht, München, 2004, 2. Aufl. Intelligente Unterrichtsstrukturen, Baltmannsweiler, 2004, 2. Aufl. Schule verbessern, Hannover, 1990 Lerngerüste, Didaktik 2000 für die Primarstufe, Baltmannsweiler, 1998 Schule – Unterrichtsanstalt oder Haus des Lebens und Lernens, Essen, 2000 Praxishandbuch gute Schule, Baltmannsweiler, 2000 Die Schule der Zukunft mit rischem Hintergrund, Baltmannsweiler, 2006 51 'bb' 118-4/2006 fachbeitrag: bildagitation: wort und wunder, predigt und heilige messe eine kunstdidaktische reflexion heino r. möller I. Die querrechteckige Tafel (93 x 233 cm – Abb. 1) aus den vierziger Jahren des 16. Jahrhunderts zeigt das Innere eines Sakralraumes mit Christus am Kreuz, Gemeinde und Prediger auf einer Kanzel. Man sieht einen Raumausschnitt, den eine Lichtquelle außerhalb des Bildes erhellt; Wände und Boden des Raumes sind aus regelmäßigen Quadern beziehungsweise Platten streng gefügt. Die Gemeinde – die Männer, Frauen, Kinder in damals zeitgenössischer Kleidung sind nur Teil einer größeren Menge – führt von links in das Bild ein. Ihr antwortet von rechts der Prediger auf der Kanzel, eine Darstellung Martin Luthers mit aufgeschlagener Bibel auf der Kanzelbrüstung. Er weist auf den Gekreuzigten, dessen Gestalt in auffällig leerem Raum zwischen Gemeinde und Kanzel die Bildfläche mittelaxial teilt. Der Betrachter kann sich in Leserichtung über die Gemeinde in das Geschehen einordnen, oder aber er begegnet unvermittelt der frontalen Christusgestalt; da der Kreuzesstamm vom unteren Bildrand bis zum oberen aufsteigt, scheint der Gekreuzigte dem Betrachter vor dem Bild unmittelbar nahe. Predigers über der Heiligen Schrift auf der Kanzelbrüstung wird Christus inmitten der Gemeinde gegenwärtig. Zugespitzt könnte man sagen: Wenn Luther seine Predigt endet, verschwindet die Gestalt Christi. Das Bild macht deutlich, dass Kirche über die Wortverkündung „als Glaubensakt der Gemeinde Wirklichkeit wird auf den vorgewiesenen Wegen neutestamentlicher Tradition“1. Was immanent im Bild geschieht, bezieht den Betrachter ein. Er selbst wird in einer die Darstellung transzendierenden Anschauung zum begreifend sehenden Zuhörer. Auch er erlebt das Bild des Gekreuzigten als realistische Präsenz, auch er erfährt als Mitglied der Gemeinde die konstituierende Kraft des Wortes in dessen Transzendenz zur Gegenwärtigkeit als Bild. Solcherart thematisiert die Tafel ein zentrales Moment reformatorischer Lehre. Gezeigt wird die Predigt in zweifacher Bedeutung: Ihr Inhalt ist das Heilshandeln Gottes in Jesus Christus, ihre Form das öffentliche Zeugnis der Heilszusage2. Die Predigt Luthers im Bild ist die lebendige und verlebendigende Stimme des Evangeliums inmitten der Gemeinde und mithin Bekenntnis des wahren Glaubens. Insofern ist die sichtbare Präsenz Christi nicht Bild einer „Vision“, vielmehr ist sie das sichtbar gemachte Bekenntnis der Gemeinde als „Leib Christi“. Abb. 1 Es mag befremden, dass Christus am Kreuz nicht als skulpturales Abbild, als Kruzifixus auf einem Altar zeichenhaft dargestellt, sondern in fleischlich realistischer Körperlichkeit den Menschen des 16. Jahrhunderts unrealistisch konfrontiert ist. Der Korpus mit gestreckten Gliedmaßen und dem nach zwei Seiten weit ausflatternden Lendentuch entspricht einem in der ersten Hälfte jenes Jahrhunderts verbreiteten Typus. Die Leere um das Kreuz gibt der Gemeinde Raum, sich geistig unterm Kreuz während der Predigt Luthers zusammenzufinden. Diesem Christus am Kreuz gilt die hinweisende Geste Luthers – seinem Tode und dem hierin begründeten Erlösungswerk die Aufmerksamkeit der Gemeinde. Durch die Worte des 52 Abb. 2 Die besprochene Tafel ist kein autonomes Bild, sondern die Predella eines großen Altares in der traditionellen Gestalt eines Triptychons. Die bisherige Isolierung der Predella aus ihrem Kontext war durch die ihr hypothetisch zugedachte Bedeutung der Darstellung didaktisch 'bb' 118-4/2006 begründet. Der Altar wurde 1547 in der Stadtkirche zu Wittenberg (Abb. 2) aufgestellt (nach mündlicher Überlieferung am 24. April, dem Tag der Schlacht bei Mühlberg3). Der Altar (Abb. 3) entstand nicht von einer Hand in einem Werkprozess: Die Mitteltafel, vermutlich in den dreißiger Jahren des 16. Jahrhunderts gemalt, wird Lucas Cranach d. Ä. zugeschrieben, die Seitentafeln und die Predella stammen von Lucas Cranach d. J. (oder Werkstatt) aus den vierziger Jahren4. Die knapp hochrechteckige Mitteltafel (256 x 242 cm) zeigt das Letzte Abendmahl, der linke Seitenflügel (255 x 108 cm) eine Taufe, der rechte Flügel (255 x 108 cm) eine Buße. Auch die Rückseite des Altares ist bemalt mit Jüngstem Gericht über der Auferstehung der Toten, mit der Opferung Isaaks auf der einen Seite und der Ehernen Schlange auf der anderen. Auf der Schauseite differiert die künstlerische Gestaltung der Mitteltafel stilistisch von Flügeln und Predella. Deren kompositorische Besonderheiten relativieren jedoch diese Verschiedenheit, so dass das Gesamtwerk formal und inhaltlich geschlossen erscheint. in schrillem Gelb und Rot – rot auch Haare und Bart. Die Anordnung der Tafelrunde erinnert an mittelalterliche Darstellungen und ist möglicherweise bewusst altertümlich, um die Geschichtlichkeit des Geschehens zu betonen; zudem ähnelt das Bildkonzept dem um 1520 entstandenen Entwurf für die Abendmahlstafel der ehemaligen Stiftskirche in Halle als Teil eines umfangreichen Passionszyklus, den Lucas Cranach d. Ä. (Werkstatt) 1520 bis 1525 im Auftrag des Kardinals Albrecht von Brandenburg realisierte (das Abendmahlsbild nicht erhalten)5. Die Historizität der Darstellung wird jedoch aufgebrochen durch die pointiert rote Gestalt eines Mundschenks am rechten Bildrand in zeitgenössischer Kleidung und die Person des Jüngers, dem der Mundschenk einen Becher Wein reicht. Das Gesicht des Jüngers gleicht dem Martin Luthers als bärtiger Junker Jörg zur Zeit seines Aufenthaltes auf der Wartburg (Abb. 4, Abb. 5), wie es das Gemälde Cranachs d. Ä. „Luther als Junker Jörg“ zeigt (ca. 1521; Leipzig, Museum der bildenden Künste). Christus mit dem Brot und ihm gegenüber Luther (als Jünger Jesu) mit dem Wein thematisieren und legitimieren ein zentrales Moment reformatorischer Lehre: das Abendmahl in beiderlei Gestalt. Lutherbildnis und Mundschenk binden die Geschichtlichkeit des Abendmahles Christi an die Gegenwart des 16. Jahrhunderts, begründen die Szenen der Nebentafeln des Altares aus dem Geschehen des Hauptbildes. Durch die axiale Beziehung des Gekreuzigten in der Predella zum Lamm im Abendmahlsbild wird in der Predigt fassbar, dass mit dem Abendmahl der Tod Christi und mithin „die Frucht seines Opfers am Kreuz, nämlich ‚Vergebung der Sünden, Leben und Seligkeit’ (Luther)“ der Gemeinde wirksam geschenkt ist6. Abb. 3 Das Abendmahl im Zentrum des Altares wird als einmaliges, vergangenes Ereignis dargestellt und ist als Historienbild zu verstehen. Demgegenüber thematisieren die drei anderen Tafeln der Schauseite Situationen in der Nachfolge des Hauptgeschehens, welche die reformatorische Gegenwart des 16. Jahrhunderts bestimmen. Das historische Geschehen des Letzten Abendmahles Christi verlegt Cranach d. Ä. in eine lichtdurchflutete, zum landschaftlichen Umraum mit zwei großen Fensterarkaden geöffnete Halle. Die modernen Renaissanceformen des zentralperspektivisch und axialsymmetrisch konzipierten Raumes vermitteln – wie auch die Gewandungen der Jünger – antikische Historizität. Der Raum birgt einen runden Tisch mit umlaufender Bank, in der Mitte des Tisches das Passalamm. Christus sitzt nicht in einer auf den Betrachter bezogenen Scheitelposition, sondern links, Johannes schlafend an seiner Brust, Petrus zur Linken, Judas zur Rechten. Gezeigt ist der Augenblick der Verratsankündigung: Christus führt ein Stück Brot zum Mund des Judas. Christus und Judas sind farbsymbolisch charakterisiert, die Gewandung Christi in tiefem Blauviolett, die des Judas Abb. 4 53 'bb' 118-4/2006 Abb. 5 Konkrete Gegenwart meinen die Darstellungen der Seitenflügel des Altares, denen sich die Predella in den Modalitäten des Szenischen verbindet. Beide Handlungen – Taufe und Buße – sind in korrespondierenden Raumwinkeln eines Sakralbaues lokalisiert, die Wände wiederum in gleichmäßigen Quadern gemauert, die Bodenflächen präzise geplattet; in den bildflächenparallelen Stirnwänden sieht man jeweils ein angeschnittenes Fenster, in den Raumecken die Ansätze einer spätgotischen Rippenwölbung. Im linken Altarflügel wird der Betrachter über eine gedrängte Gruppe wohlgekleideter Frauen in die Taufzeremonie eingeführt. Das riesige runde Taufbecken ist weitgehend unverstellt sichtbar, ein ornamentierter Metallfries ist in die steinerne Wandung eingelassen. Hinter dem Becken steht der Reformator Philipp Melanchthon, der lächelnd die Taufhandlung an einem nackten Kleinkind in Gegenwart der Kindseltern vornimmt7. Ihm assistieren als Taufpaten zwei würdige Männer, einer hält aufgeschlagen das Evangelium, vermutlich mit der Taufforderung Christi entweder nach Matth. 28, 19 oder Mark. 16, 16. Das große Becken mit bronzenem Schmuckreif assoziiert das „Eherne Meer“, ein Bronzebecken im Vorhof des Salomonischen Tempels (3 Kg. 7, 23 – 26, allerdings ohne die zwölf ehernen Rinder, die das Becken trugen); seit dem 12. Jahrhundert gilt das „Eherne Meer“ als Vorbild der Taufe. Die Verbindung der evangelischen Taufe mit dem Becken des Salomonischen Tempels bezieht den „Neuen Bund“ auf den „Alten Bund“ in typologischer Entsprechung (so wie auch die Bilder der Altarrückseite typologisch denen der Schauseite zugeordnet sind). Bedeutsam für den Gesamtzusammenhang hier ist – neben der Formanalogie von Taufbecken und Abendmahlstisch – die Darstellung der Kinder- beziehungsweise Säuglingstaufe: Der „Säuglingsglaube“ entsteht im Hören der Taufverheißung nach Mark. 16, 16 und durch den Glauben der fürbittenden Paten. Das Bild der Säuglings- 54 taufe betont programmatisch den lutherischen Gegensatz zur Erwachsenentaufe. Die Gestalt des Reformators Johannes Bugenhagen, vor einer Beichtwand (oder einem Beichtstuhl) stehend, bestimmt die Mittelachse der rechten Seitentafel. Seine herausgehobene, betrachternahe Position erklärt sich durch sein Amt als Pfarrer an der Stadtkirche und seine enge Beziehung zu Luther als dessen Seelsorger und Beichtvater. Als Beichtvater wird Bugenhagen auch im Bild gezeigt. Aus dem Hintergrund drängen Bußfertige nach Geschlechtern getrennt heran, vorn erteilt Bugenhagen einem knienden Pönitenten die Absolution, während er einen anderen mit gebundenen Händen in rotem Gewand und gelber Hose aus dem Kirchenraum (also aus dem Bild) schickt. Dargestellt ist die gute und die schlechte Beichte, das heißt: die Bereitschaft zur Umkehr von einem sündigen zu einem gottesfürchtigen Leben oder die hierzu fehlende Bereitschaft. Mit einem großen Schlüssel in jeder Hand gewährt oder verweigert Bugenhagen die Absolution: Dem bußfertigen Pönitenten legt er den Schlüsselbart aufs Haupt, dem unbußfertigen stößt er den Griff in den Rücken. In der Ausübung dieser „Schlüsselgewalt“ steht Bugenhagen in der Nachfolge des Apostels Petrus, dem Christus mit den „Schlüsseln des Himmelreiches“ die Macht des Lösens und Bindens verliehen hat (Matth. 16, 19). Die drei Bildtafeln des Altares oberhalb der Predella verbinden in ihren exemplarischen Handlungen die drei ursprünglichen Sakramente des evangelischen Glaubens als Fundamente der neuen Kirche: Abendmahl, Taufe, Absolution. Ihnen ordnet sich die Wortverkündung im ordinierten Predigtamt zu. Diese sakramentale Ordnung löst die der sieben Sakramente in der alten Kirche ab. Allerdings: „Die spätere lutherische Lehre rechnet ein sichtbares Element zum Wesen des Sakramentes und kennt deshalb nur noch die beiden Sakramente Taufe und Abendmahl“8 – im Cranach-Altar bekundet das Hantieren mit den Schlüsseln als sichtbare Elemente die Absolution als „Sakrament“. Die Konzeption des Altares in seiner Gesamtheit, die Ordnung der Teilhandlungen, der architektonisch bestimmte Zusammenhang der Tafeln machen dieses Triptychon zum Bild der neuen evangelischen Kirche und zum Bekenntnisbild des neuen Glaubens. „Kirche“ vermittelt sich sinnlich konkret (wenngleich traditionell) als gegliederte, sorgsam gefügte Architektur: Die Raumbilder der Seitentafeln verhalten sich (in perspektivischer Zuordnung) gleich Seitenschiffen, die sich dem Altarraum eines Hauptschiffes anlegen –, der Tisch der Abendmahlsgemeinschaft wird Altarmensa. Der fensterlose Raum der Predella mit dem toten Christus entspricht einer Krypta in erneuerter Bedeutung der Grabkammer; so wie mit dem toten Christus die Gewissheit der Auferstehung angezeigt ist, sieht man auf der Rückseite der Predella die Auferstehung am Tag des Gerichts. Die Reformatoren Luther, Melanchthon, Bugenhagen stehen in der Ausübung ihres geistlichen Amtes in der Nachfolge der Apostel Christi9. 'bb' 118-4/2006 II. Der Wittenberger Cranach-Altar wurde 1547, ein Jahr nach dem Tode Luthers, aufgestellt. Der Altar ist einerseits Gestalt des konsolidierten Protestantismus, andererseits Ausdruck seiner Behauptung in einer Phase der Bedrohung im Schmalkaldischen Krieg 1546/47; der – möglicherweise nur legendenhafte – Tag der Übergabe des Altares an die Gemeinde am 24. April 1547 ist der Tag der Niederlage des Schmalkaldischen Bundes in der Schlacht bei Mühlberg gegen Kaiser Karl V. Der Sieg des Kaisers bedeutet das Ende des Bundes und für den Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen, einen der Führer des Bundes, den Verlust der Kurwürde. Seit Beginn der Reformation begleiten Kampfschriften und Kampfbilder der Glaubensparteien in großer Zahl die Ereignisse. In den illustrierten reformatorischen Flugblättern werden in polarer und polarisierender Bildagitation die Elemente des neuen Glaubens herausgestellt. Die enorme Produktion und Verbreitung solcher Flugblätter in eindeutiger, drastischer oder grob polemischer Bildsprache zielte auf Wirkung gerade auch bei des Lesens unkundigen Menschen; die Flugblätter sind ein neuzeitlich-modernes Instrument medialer Vermittlung, das die Bedeutung auratischer Tafelbilder bei weitem überschritten haben dürfte10: Die Bildkunst der Flugblätter ist „Waffe“ zur Bewusstseinsbildung. Flammen – die ganze Hierarchie der katholischen Kirche versinkt. Ikonographisch ist die Darstellung am Bildschema des Jüngsten Gerichtes orientiert: auf der einen (vom Betrachter aus linken) Seite die Erlösten, auf der anderen die Verdammten. In dieser Tradition ist Luther zweifellos nicht als Richtergott zu verstehen, aber er verkündet in geläufiger Bildsprache das nur in der neuen Kirche gegenwärtige Heilsgut des Erlösungswerkes Christi. Zugleich weiß Luther sich und die evangelische Sache des Schutzes obrigkeitlicher Gewalt sicher: Über ihm im Rankenwerk der Rahmung, von einem geflügelten Putto gehalten, prangt das sächsische Kurwappen Johann Friedrichs des Gutmütigen; möglicherweise gehören die aufwändig gekleideten Herren unterhalb der Kanzel – wie auch die Damen links – zum fürstlichen Haushalt, zumindest sind sie Angehörige gehobener Stände. Abb. 7 Abb. 6 Zentrales Motiv protestantischer Flugblätter ist immer wieder die Predigt als Verkündung des wahren Glaubens. Exemplarisch macht dies ein Holzschnitt von der Hand Lucas Cranachs d. J. deutlich, der um 1546 – also zeitlich parallel zum Wittenberger Altar – entstand11 (Abb. 6). In einem angedeuteten Sakralraum sieht man bildmittelaxial Luther auf einer Kanzel, die aufgeschlagene Bibel vor sich, am Kanzelkorb die Evangelistensymbole. Predigend weist er mit der rechten Hand auf den Gekreuzigten über einem Altar mit Lamm und Siegesfahne, vor dem zwei Geistliche das Abendmahl in beiderlei Gestalt austeilen, die Empfangenden getrennt nach Geschlechtern. Luthers abgesenkt ausgestreckte Linke zeigt auf einen fürchterlichen Höllenrachen, in dem – umhüllt von züngelnden Georg Pencz schuf 1529 den Holzschnitt: „Inhalt zweierley predig, yede in gemein in einer kurtzen summ begriffen“12 (Abb. 7). Das querrechteckige, von einer Säule mittelaxial geteilte Bild zeigt im linken Sektor einen evangelischen, im rechten einen katholischen Prediger mit ihren Gemeinden. Jedes der beiden Bildfelder wird von drei Schriftblöcken fundiert, welche die Darstellungen nicht erläutern, sondern in Versen von Hans Sachs inhaltlich erweitern: „Summa des Evangelischen Predigers“ beziehungsweise „Summa des Bebstlichen Predigers“. Im Bildfeld links steht der evangelische Geistliche auf einer schmucklosen, polygonalen Kanzel, die aufgeschlagene Bibel vor sich. Der Prediger im rechten Bildfeld auf reich geschmückter Kanzel ist ein feister Mönch, der ohne sichtbaren Bezug zur Heiligen Schrift zu seiner Gemeinde spricht. Die jeweiligen Zuhörergruppen sind nach Alter, Geschlecht und Ständen gemischt, unterscheiden sich aber darin, dass die Menschen links – einige mit Bibeln in den Händen – konzentriert zuhören, die Menschen rechts ohne Bibeln Rosenkränze in Händen halten. Die zentrale evangelische Predigtbotschaft lautet in den Versen von Hans Sachs, verstanden als Aussage Christi: „Deshalb spricht er, wer glaubt an mich / Der wirt nicht sterben ewiglich / Das ist in einer kurtzen summ / Die leer ym 55 'bb' 118-4/2006 Evangelium.“ Dagegen ist die Botschaft des päpstlichen Predigers vor allem die Forderung nach Gehorsam und guten Werken: „Ihr Christen hört was euch sagt got / und der heiligen kirchen gepot / Wie sie die Bäbst geordnet han / Die solt yhr halten bey dem Ban / Und vil guter übung daneben / ...“ mentaler Werke, die Protestanten für verwerflich halten: Altarweihe, Messe, Letzte Ölung, Glockenweihe, Wallfahrt. Über allem thront ein zorniger Gott, der Unwetter über die verderbte Kirche niedergehen lässt – vor ihm ein vergeblich fürbittender Franziskus als Ersatzchristus mit den Wundmalen Jesu. Dies dürfte einen Gipfel in der Blasphemie des Antichristen darstellen. Luther sagt: „Daß man also S. Francisci Werk des Herrn Christi Wunderwerken und Leiden gleich gerechnet und geachtet hat; welches eine große Gotteslästerung ist gewesen“14. III. Abb. 8 Eine inhaltsreiche Bilderpredigt über den wahren und den falschen Weg zum Heil vermittelt ein ebenfalls um 1546 entstandener Holzschnitt von Lucas Cranach d. J.13 (Abb. 8): „Unterscheid zwischen der waren Religion Christi und falschen Abgöttischen lehr des Antichrists in den fürnemsten stücken“. Diesmal sind die antithetischen Kanzeln, die eine mit Luther und aufgeschlagener Bibel, die andere mit einem Mönch, beiderseits auf eine wiederum mittelaxial das Bild teilende Säule bezogen – jedoch muss hier die Polemik gegen den feisten Mönch entfallen, da der Leibesumfang Luthers nicht minder gewaltig ist als der des Mönches. Luthers Predigt ist erfüllt vom Heiligen Geist, er weist nach oben auf den Weg des Heils als sichtbares Band, der über das Lamm, den fürbittenden, geschundenen Christus zur Gestalt eines gnädigen Gottes führt; geflügelte Putti in den Wolken vermitteln den Eindruck himmlischer Glückseligkeit. Die diesseitige Welt bestimmen Bildformeln des evangelischen Abendmahles und der Taufe. Vor der Kanzel drängt sich eine aufmerksam lauschende Menge, in betonter Position sieht man den sächsischen Kurfürsten Johann Friedrich den Gutmütigen. Er schultert ein Kreuz, das in Analogie zum Kreuz Christi hinter dem Altar ihn in der weltlichen Verantwortung des christlichen Fürsten für das ihm von Gott anvertraute Volk zeigt. Diese evangelische Welt ist klar geordnet, bezeichnend der sorgsam mit Platten ausgelegte Boden. Dagegen wirkt die katholische Welt unübersichtlich, wüst – der Boden gleicht einem verwilderten Acker. Dem Mönch auf der Kanzel bläst ein Teufel mit dem Blasebalg gottlose Tiraden ein, seine Gesten weisen nach unten auf einen Haufen würdeloser Pfaffen und anderer Zuhörer. Rechts sitzt an einem großen Tisch mit Geldsäcken, Truhen und Ablassbriefen der Papst, der in Missachtung der ihm für die Christenheit übereigneten Verantwortung den Ablasshandel betreibt. Den weiteren Bildraum füllen Stationen katholischer Rituale und sakra- 56 Kritik an der Verfasstheit der römisch-katholischen Kirche und an zentralen Inhalten der Glaubenslehre – Papstkirche, Transsubstantiations-Dogma, Priesterliturgie, Heiligen- und Reliquienkult, Ablasshandel – gewinnt im 14. Jahrhundert an Schärfe. Der Oxforder Theologe John Wyclif (1320 – 1384) und der Prager Theologe Jan Hus (ca. 1370 – 1415) gelten den Reformatoren des 16. Jahrhunderts als Wegbereiter. Das Konzil zu Konstanz (1414 – 1418) hatte Wyclif posthum und Hus in Anwesenheit als Ketzer verurteilt; Jan Hus wurde unter Bruch der kaiserlichen Garantie persönlicher Unversehrheit 1415 in Konstanz verbrannt. Die im 15. Jahrhundert vorgetragenen Forderungen nach einer Reformation der Kirche an Haupt und Gliedern sowie die Entwicklung der konziliaren Theorie (nicht der Papst, sondern die Gesamtheit der Bischöfe vertritt in der Kirche den göttlichen Willen!) nötigten die Papstkirche zu Gegenmaßnahmen (1459 wurde die Lehre, das Konzil stehe über dem Papst, von Pius II. als Ketzerei erklärt!). Die bildnerische „Kulturpropaganda“ (Hans Belting) der katholischen Kirche machte im 15. und 16. Jahrhundert das Thema der „Messe Gregors des Großen“ zu einer wichtigen Aufgabe der Künstler. Abb. 9 Ein Holzschnitt von Wolf Traut, 1510 in noch vorreformatorischer Zeit entstanden15 (Abb. 9), zeigt diese Gregorsmesse, eingebunden in ein umfängliches Bildprogramm. Im Zentrum steht ein großer Kastenaltar, vor dem – auf einer Altarstufe kniend – ein Priester, gemeint ist Papst Gregor der Große (ca. 540 – 604), die Eucharistie fei- 'bb' 118-4/2006 ert. Ihm assistieren zwei Leviten, der eine ein Kardinal. Dargestellt ist der Moment, in dem sich bei der Elevation der Hostie die Wandlung von Brot in Fleisch Christi ereignet. Kompositorisch ist die vertikale Mittelachse des Bildes bedeutsam: Sie verläuft vom unteren Bildrand mit dem von Engeln gehaltenen Schweißtuch Christi, dem vera icon, durch das Kaselkreuz Gregors, die Hostie, den Schmerzensmann auf dem Altar, das Jesuskind auf dem Schoß Marias hin zur Taube des Heiligen Geistes und dem Herz-Jesu-Symbol im großen Rosenkranz, der oberhalb einer Wolkenzone den Himmel mit Gottvater umschließt. Auf dieser christologischen Bedeutungsachse sieht der zelebrierende Priesterpapst im Augenblick der Wandlung Christus als lebendigen Toten, in einem Sarkophag stehend. Durch diese Realpräsenz Christi wird der Altar selbst als „Grab“ bezeichnet. Die im Bild vorgestellte Situation bezieht sich auf ein für wahr geglaubtes Ereignis im Leben Gregors I.: Während einer von ihm in der römischen Kirche S. Croce in Gerusaleme gefeierten Messe bezweifelte ein Anwesender die Wirklichkeit der Wandlung von Brot und Wein in Fleisch und Blut Christi, somit an dessen wirklicher Anwesenheit in der Transsubstantiation. Daraufhin erschien Christus als Schmerzensmann auf dem Altar. Wolf Traut illustriert mit seinem Holzschnitt nicht eine „Vision“ des Papstes, sondern dokumentiert auf ihm verbürgten Quellen, wie eine Vielzahl anderer Künstler, die Wirklichkeit des Geschehens (die 1215 auf dem 4. Lateranskonzil bestätigt und zum Dogma erhoben wurde!). In dieser Transsubstantiation ist im Materiellen der Hostie eine eigentlich nicht sichtbare Substanz gegenwärtig, die aber in der Realpräsenz des Schmerzensmannes auf dem Altar, des so genannten Messopferchristus, sichtbar und gegenständlich wird. Das, was im Bild als Wirklichkeit und Besonderheit begegnet, ereignet sich nach katholischer Glaubenslehre als nicht sichtbare Wirklichkeit in jeder Heiligen Messe. Über die Bedeutung des Messopfers schreibt Gregor I. in seinen Dialogen16: „Bedenken wir [...], was dieses Opfer für uns für eine Bedeutung hat, da es wegen unserer Erlösung das Leiden des eingeborenen Sohnes immerfort nachbildet. Denn wer von den Gläubigen könnte nämlich einen Zweifel haben, daß gerade in der Stunde des Opfers auf die Stimme des Priesters die Himmel sich öffnen, daß bei diesem Mysterium Jesu Christi die Chöre der Engel zugegen sind, dass Oben und Unten sich verbinden, Sichtbares und Unsichtbares eins werden?“ Wolf Traut gibt eine authentische Schilderung der Altarsituation während des Ritus, wobei diese Authentizität die imago pietatis auf eine analoge Realitätsebene hebt. Vor dem Zelebranten liegt ausgebreitet das in neun Feldern gefaltete Korporale, darauf steht im Mittelfeld der Kelch, die Kuppa mit der quadratischen Palla bedeckt; nicht sichtbar, weil vermutlich vom Körper Gregors verdeckt, ist die Patene. Links liegt auf einem Messbuchpult das Missale, aufgeschlagen zu dem die Eucharistie einleitenden Kanon. Statt eines Retabels auf dem Altar erscheint die Leibhaftigkeit Christi zwischen den beiden Leuchtern, begleitet von zwei Engeln mit den arma Christi17. Auf der Altarstufe sieht man links auf der Evangelienseite ein Evangelistensymbol mit geöffnetem Evangelium, auf der Epistelseite rechts die Figurine eines bärtigen Mannes – vermutlich der Apostel Paulus – mit Schwert und dem geöffneten Buch der Apostelbriefe. Vom Bildzentrum aus erweitert sich die Darstellung zu einem umfassenden Lehr- und Bekenntnisbild. Innerhalb der den Altar einfassenden Schranken repräsentieren beiderseits je drei Szenen drei Sakramente – mit der Messhandlung Gregors werden also die sieben seit dem hohen Mittelalter festgelegten Sakramente gezeigt: links Buße, Firmung, Taufe; rechts Ordination, Ehe, Letzte Ölung. Jede der sakramentalen Handlungen hat ihren Ursprung im Leib Christi, kenntlich gemacht mit verbindenden Schnüren – die „Schnur“ zwischen Christus und Gregor ist die Hostie im Augenblick der Wandlung. Das solcherart ganz in Christus gegründete Dasein bezeugen am unteren Bildrand Männer und Frauen als Teilnehmende der Messe; sie bestärken ihre Gebetsandacht mit Rosenkränzen, dem sichtbaren und instrumentalen Bekenntnis zu Lehre und Glaube der katholischen Kirche. Die gegliederte Gebetsform des Rosenkranzes in einer vorbildlichen, gleichsam himmlischen Gestalt halten oberhalb des Altares die Dominikanerheiligen Dominikus und Thomas von Aquin. Innerhalb dieses Rosenkranzes berührt der Jesusknabe auf dem Schoß seiner Mutter kleine Gebetsketten in „Gebrauchsform“. Nach der für wahr geglaubten Legende überreichte Maria selbst Dominikus, dem Gründer des Ordens, den Rosenkranz und lehrte ihn dessen Gebrauch; seit dem 14. Jahrhundert gilt die besondere Fürsorge der Dominikaner der Spiritualität des Rosenkranzes18. Thomas von Aquin ist im 13. Jahrhundert der bedeutendste Gelehrte des Ordens. Kelch und Hostie in seiner linken Hand verweisen auf das von ihm verfasste Fronleichnamsoffizium, die Taube auf seiner Schulter bezeugt – in Analogie zur Taube des Kirchenlehrers Gregor – seine übernatürliche Erleuchtung als „doctor angelicus“. Der von Dominikus und Thomas gehaltene Rosenkranz besteht aus genau fünf mal zehn Blüten, also fünf Dekaden oder 50 Ave Maria mit fünf gliedernden Symbolen der Wundmale Christi. Dieser Gliederung entsprechen in der Gebrauchsform des Rosenkranzes fünf mal zehn kleine und fünf große Perlen. Der Form des Rosenkranzes oben korrespondieren vier runde Bildfelder in den Ecken des Holzschnitts mit Szenen des Alten Testamentes, die typologisch auf das mit der Messe vergegenwärtigte Heilsgeschehen des Neuen Testamentes hindeuten: links unten die Speisung des Elias (1. Kg. 19), links oben Melchisedechs Opfer (1. Mos. 14), rechts oben die Bewirtung der drei Engel durch Abraham (1. Mos. 18), rechts unten die Mannalese (2. Mos. 16). Zwischen den Kreisscheiben der linken Seite weist Mose, ein Brustbild mit Buch und Lamm, auf die elevierte Hostie, ihm gegenüber in gleicher Haltung Johannes der Täufer, das Lamm hier mit der Siegesfahne der Auferstehung. Erläuternde Schriftblöcke ergänzen das Bildprogramm. 57 'bb' 118-4/2006 Abb. 10 Abb. 11 IV. Der Holzschnitt Trauts unterscheidet sich durch die komplexe und systematische Programmatik eines Lehrbildes von der großen Zahl anderer Darstellungen der Gregorsmesse seit dem 15. Jahrhundert, ist ihnen aber durch die detaillierte Schilderung der Eucharistiefeier verbunden. Dies legt den Schluss nahe, dass Bilder der Gregorsmesse den Stellenwert der Messe zu Zeiten kritischer Infragestellung katholischer Glaubensinhalte agitativ im Bewusstsein der Gläubigen verfestigen möchten, um die Position der Kirche zu stärken. Uwe Westfehling fasst es 58 folgendermaßen zusammen19: Die Gregorsmesse „war ein Thema, das wankende Vorstellungen stützte, in strittigen Fragen aussagekräftig die Partei der Tradition ergriff und einem von Zweifeln befallenen Betrachter als Zuflucht und Klärung erscheinen mußte, weil es eben mit einer fast magisch wirksamen Bildsprache den ganzen Gedankenreichtum dieser Tradition zum Ausdruck bringt – freilich auch gerade in ihren damals zunehmend umstrittenen Aspekten“. Solches dürfte besonders für das Programmbild Trauts gelten, bei dessen Holzschnitt auffällt, wie er zum agitierenden Gebrauch die originäre künstlerische Invention einer systematisierten und hierarchisierten Verwendung geläufiger Bildformeln unterordnet. Hiergegen steht die deutlich freiere ästhetische Präsenz von Dürers Holzschnitt der Gregorsmesse aus dem Jahre 1511 (Abb. 10), der bei einer anderen Zielgruppe jedoch eine vermutlich analoge Funktion von Kultpropaganda übernimmt. Der Gregorsmesse Dürers ähnelt im diagonalen Kompositionsschema und in manchen Details eine repräsentative Altartafel, die zwischen 1520 und 1525 in der Werkstatt Lucas Cranachs d. Ä. im Auftrag des Kardinals Albrecht von Brandenburg (Erzbischof und Kurfürst von Mainz) entstand20 (Abb. 11). Die Rückenfigur des am „Bildeingang“ knienden, zu Gregor hinschauenden Leviten und die von links unten raumschaffende Diagonale zielen darauf, einen andächtigen Betrachter der Tafel in das Geschehen aufzunehmen, ihn einerseits über die Gestalt Gregors zum Altar und Schmerzensmann zu führen, ihn andererseits in Verlängerung der Diagonalen auf den Stifter des Bildes zu lenken. Albrecht sitzt mit einem Bischof und einem weiteren Kardinal in einem kunstvoll gestalteten Gestühl. Auffällig ist, dass Albrecht – anders als der Bildbetrachter – nicht auf den Altar schaut, sondern, ein geöffnetes Gebetbuch in Händen, in Gegenrichtung nach rechts ins Unbestimmte. Der Ausdruck seines Gesichtes ist sinnend, so als erfahre er im Augenblick eine geistliche Wahrheit, die ihn geistig erfüllt, ihn seiner zeit- und ortsgebundenen Realität enthebt. Die Physiognomie Albrechts entspricht einem Porträttypus, der – im Gegensatz zu einem Bildnis Dürers aus dem Jahre 1519 mit entschiedenerem Ausdruck – der Darstellung Cranachs d. Ä. von 1520 folgt, einem, so Berthold Hinz, „Bild des frommen, um das eigene Seelenheil besorgten Prälaten, von dem wir wissen, daß er gelegentlich sogar öffentliche Bußfertigkeit und demonstrative Demut an den Tag legte“21. Auch die Künstler der Werkstatt Cranachs d. Ä. beschreiben wie Traut dingliche Elemente der Messfeier mit großer Genauigkeit. Das Besondere der vorgestellten Altartafel ist die sinnliche Intensität, mit der die prunkende Kostbarkeit und Schönheit von Geräten, Gewändern und architektonischen Details in einer gleichermaßen prunkenden Malerei gezeigt werden. Die Malerei evoziert eine Stoff- und Materialheiligkeit als Aura von heiligmäßigen Personen und Geschehen, die in alter Tradition durch die leuchtende Fülle der Farben „illuminiert“ erscheinen in eigenwilliger Spannung zum „Realismus“ des Ganzen. Anders als Dürer erweitern die Künstler die- 'bb' 118-4/2006 ser Tafel das Thema um ein mächtiges graublaues Gewölk über den arma Christi, in das Gerätschaften, Köpfe, Handlungsfragmente, geflügelte Putti eingeschlossen sind, „gewissermaßen abgekürzt gezeigte Szenen der Passion“, wie sie auf einem unmittelbar als Vorbild dienenden Holzschnitt, vermutlich von Georg Lemberger, zu sehen sind22. Im Gegensatz zur Darstellung der Gregorsmesse von Wolf Traut stellt die Tafel der Cranach-Werkstatt keinen genauen Zeitpunkt der Messliturgie vor Augen. Dies bedeutet, wie Christian Hecht überzeugend ausführt: „Es steht das Meßopfer als solches, letztlich der in der Messe geopferte Christus im Mittelpunkt“23; Gregor als Zelebrant der Messe erscheint nicht „als ein ‚Werke’ vollbringender Priester. Gregor betet an“24 – ihm neigt sich der Schmerzensmann mit geöffneten Armen entgegen. Abb. 12 Die Beobachtungen finden sich in einer zweiten Altartafel mit der Gregorsmesse bestätigt25 (Abb. 12), die ebenfalls im Auftrag Kardinal Albrechts in der Cranach-Werkstatt im selben Zeitraum 1520/25 entstand. Nun allerdings ist die Bildkomposition in einer Gegendiagonalen entwickelt, wodurch der Betrachter fast unmittelbar mit dem adorierenden Gregor konfrontiert ist und über ihn auf die Gestalt des Schmerzensmannes mit analoger Armhaltung hingeführt wird. Diesmal steht Albrecht – der Porträttypus wie in der anderen Tafel – hinter der Priestergruppe. Mit verhüllten Händen trägt er die Tiara Gregors. Albrecht zeigt sich hier in anti-reformatorischer Geste als Verehrer des Kirchenvaters und Kirchenlehrers Gregor, seiner geistlichen Autorität, darüber hinaus in aktuellem Bezug als erklärter Vertreter und „tragende Kraft“ von Papsttum und Kirche. Mit seiner Verehrung des Kirchenvaters beruft sich Kardinal Albrecht für seine geistlichen Ämter demonstrativ auf die Tradition der frühen Kirche; dazu schreibt Christian Hecht: „Albrecht von Brandenburgs Tafeln der Gregorsmesse lassen sich vor diesem Hintergrund als visuelle Aufforderung verstehen, bei der alten Kirche und ihrer alten Messe zu bleiben – also bei der gottgewollten vorbildlichen Theologie und Praxis der frühchristlichen Kirchenväter“26. V. Der Altar der Wittenberger Stadtkirche und die Altartafeln für Albrecht von Brandenburg stellen beispielhaft zentrale Glaubensinhalte der evangelischen und der katholischen Kirche ihren jeweiligen Anhängern vor Augen. Die Altäre vermitteln die Inhalte programmatisch und autoritativ als Bekenntnisbilder. Ihre mediale Bedeutung resultiert entscheidend aus ihrer auratischen Funktion als Altäre und ihrer auratisierten Qualität als Kunstwerke aus der Hand angesehener Maler und deren Werkstatt. Das evangelische Abendmahl Christi und die katholische Messe Gregors I. sind „Historienbilder“ – Bilder einer biblischen und einer kirchlichen Historie –, die kompositorisch und inhaltlich auf die (damalige) Gegenwart der Betrachter wie auch auf diese selbst bezogen sind. Die Inhalte der Altäre werden massenwirksam in graphischen Streitbildern und Flugblättern verbreitet. Im Gegensatz zu dieser aktuellen Bildagitation sind die Altäre entweder, wie der Wittenberger Cranach-Altar, beispielhafte Darstellungen der sich konsolidierenden neuen Kirche oder, wie zuvor die Cranach-Tafeln Albrechts, beispielhafte Darstellungen der sich verteidigenden alten Kirche. Die protestantische Seite benutzt zur Behauptung und Durchsetzung ihres Anspruches gleichsam selbstverständlich nicht nur die traditionsreiche Sakralform des Altarretabels, sondern auch die „Pathosformel“ (Klaus Lankheit) des Triptychons. Diese Altarform wird mit (zumindest teilweise) neuartigen oder neuartig interpretierten Inhalten gefüllt. In den vorgestellten Beispielen ersetzt das evangelische Bekenntnisbild des Abendmahls das katholische Bekenntnisbild der Messe. Die Konfrontation des evangelischen Cranach-Altares und der katholischen Cranach-Tafeln macht anschaubar, wie einerseits eine Vergegenwärtigung und Vergegenständlichung Christi aus dem Wort geschieht, sich andererseits als Wunder ereignet: Die realistische Präsenz einer aus dem Wort geistlich zu begreifenden Leibhaftigkeit steht gegen die Realpräsenz des leibhaftigen, wirklichen Christus als eines wirklichen Wunders. Die Darstellung des Schmerzensmannes in der Gregorsmesse ist ein die Wahrheit dieses Wunders bezeugendes „Historienbild“, die Darstellung des Gekreuzigten in der Predigt Luthers ist geistliches Zeugnis der Kraft der Wortverkündung und eine Allegorie. Literatur Thomas Schauerte (Hg.): Der Kardinal Albrecht von Brandenburg. Renaissancefürst und Mäzen. Ausstellung Halle, 2 Bde (Bd. 1 = Katalog; Bd. 2 = Essays), 2006. Harald Marx und Eckhard Kluth (Hg.): Glaube und Macht. Sachsen im Europa der Reformationszeit. Ausstellung Torgau, Katalog 2004 Werner Hofmann (Hg.): Luther und die Folgen für die Kunst. Ausstellung Hamburg, Katalog 1983. 59 'bb' 118-4/2006 Gerhard Bott (Hg.): Martin Luther und die Reformation in Deutschland. Ausstellung Nürnberg, Katalog 1983. Staatliche Museen zu Berlin (DDR) (Hg.): Kunst der Reformationszeit. Ausstellung Berlin (Ost), Katalog 1983. Wolfgang Harms (Hg.): Illustrierte Flugblätter aus den Jahrhunderten der Reformation und der Glaubenskämpfe. Ausstellung Veste Coburg, Katalog 1983. Harald Marx und Ingrid Mössinger (Hg.): Cranach. Ausstellung Chemnitz, Katalog 2005. Andreas Tacke: Der katholische Cranach. Mainz 1992. Oskar Thulin: Cranach-Altäre der Reformation. Berlin 1955. Uwe Westfehling: Die Messe Gregors des Großen. Vision, Kunst, Realität. Ausstellung Köln, Katalog 1982. Arnold Angenendt: Geschichte der Religiosität im Mittelalter. Darmstadt 1997. Erwin Fahlbusch (Hg.): Taschenlexikon Religion und Theologie. 5 Bde, Göttingen 19834 (nachfolgend zitiert TRT 1 – 5). Klaus Ganzer und Bruno Steiner (Hg.): Lexikon der Reformationszeit. Freiburg 2002. Bemerkungen 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. Oskar Thulin o. c. (siehe oben), S. 11. Taschenlexikon Religion und Theologie (= TRT) o. c. (siehe oben), Bd. 4, S. 133 (Stichwort Predigt). Thulin o. c., S. 9; die Maßangaben für die Tafeln des Altares folgen Thulin S. 9. Ingrid Schulze: Evangelische Stadtkirche St. Marien Wittenberg (= Schnell-Kunstführer Nr. 1905). München 19914. Hierzu ausführlich Birgit Ulrike Münch: „Dy nachuolg Christi“ im monumentalen Rahmen. Überlegungen zur Passionsikonographie in Auftragswerken Albrechts von Brandenburg. In: Katalog Halle o. c. (siehe oben), Bd. 2, S. 213 – 227. TRT 1, S. 21 (Stichwort Abendmahl). Melanchthon in Nachfolge beziehungsweise Analogie zu Christus, vgl. zum Beispiel Cranach-Werkstatt: Christus segnet die Kinder, ca. 1540 (Holz 83 x 122 cm). Dresden, Gemäldegalerie Alte Meister. TRT 5, S. 9 (Stichwort Sakrament). Vgl. das Abendmahlsbild von Lucas Cranach d. J., 1565 (Evangelisch-Lutherische Kirchengemeinde Dessau-Mildensee, ehem. Schlosskirche Dessau), mit der Darstellung von elf Reformatoren als Jünger Christi am Abendmahlstisch. Vgl. Wolfgang Harms (Hg.) o. c. (siehe oben) sowie die entsprechenden Kapitel in den Katalogen Hamburg, Nürnberg, Berlin o. c. (siehe oben). 27,8 x 38,8 cm. Dresden, Staatliche Kunstsammlungen, Kupferstichkabinett. Vgl. Katalog Hamburg o. c., S. 196 (Nr. 69). Der Holzschnitt ist vermutlich die Reproduktion eines Gemäldes in der Wittenberger Schlosskirche, das bei deren Zerstörung 1760 vernichtet wurde; möglicherweise handelte es sich um ein Epitaph. 30,5 x 40,9 cm. Berlin SMPK, Kupferstichkabinett. Vgl. Katalog Nürnberg o. c., S. 382 (Nr. 503). – Georg Pencz, Nürnberg ca. 1500 – 1550 Leipzig. 35,1 x 58,5 cm, Holzschnitt von zwei Stöcken. Berlin SMPK, Kupferstichkabinett. Vgl. Katalog Hamburg o. c., S. 194 (Nr. 67). – Lucas Cranach d. J., Wittenberg 1515 – 1586 Wittenberg. Zitiert nach Katalog Hamburg o. c., S. 253 (Nr. 128); unter dem hier abgebildeten Holzschnitt von Albrecht Dürer (um 1505) mit einer Darstellung der Stigmatisierung des Hl. Franziskus steht folgender Text, übersetzt aus dem Lateinischen: „O Franziskus, die Wunden, die du um Christi willen trägst, ruf ich an, damit sie ein Heilmittel für unsere Sünden sein werden“. 27,3 x 37,3 cm. Karlsruhe, Badische Landesbibliothek. Vgl. Katalog Torgau o. c. (siehe oben), S. 42 (Nr. 6). – Wolf Traut, Nürnberg 1480/85 – 1520 Nürnberg. Zitiert nach Christian Hecht: Die Aschaffenburger Gregorsmessen. Kardinal Albrecht von Brandenburg als Verteidiger des Meßopfers gegen Luther und Zwingli. In: Katalog Halle, Bd. 2, o. c., S. 81 – 115, hier S. 85. 60 17. Die Darstellung der imago pietatis bezieht sich auf ein in S. Croce in Gerusaleme von Pilgern verehrtes Gnadenbild, auf das nach der Legende Gregor I. (ca. 540 – 604) einen Ablass aussetzte für jene, die vor dem Bild beten und ihre Sünden bereuen; geglaubt wurde auch, dass Gregor selbst das Bild nach seinem Eindruck von der Erscheinung Christi hat anfertigen lassen. Tatsächlich wurde die kleine Mosaik-Ikone um 1300 in einer byzantinischen Werkstatt angefertigt und kam um 1380/85 nach S. Croce. Vgl. Hecht o. c., S. 84. 18. 1475 gründete Jacob Sprenger OP, Prior des Dominikanerklosters St. Andreas in Köln, eine Rosenkranzbruderschaft. 19. Uwe Westfehling o. c. (siehe oben), S. 22. 20. Holz 150,2 x 110 cm. Bayerische Staatsgemäldesammlungen München, Staatsgalerie Aschaffenburg. – Lucas Cranach d. Ä., Kronach 1472 – 1553 Weimar. Zu diesem Bild und der zweiten Tafel in der Stiftsbasilika St. Peter und Alexander, Aschaffenburg (siehe Anm. 25), vgl. grundlegend und ausführlich Hecht o. c., S. 81 – 115. Hecht vermutet, dass beide Darstellungen der Gregorsmesse ursprünglich für Sakralräume in der Lieblingsresidenz Albrechts in Halle bestimmt waren, nach der Aufgabe dieser Residenz 1540/41 von ihm an den dann bevorzugten Aufenthaltsort Aschaffenburg mitgenommen wurden. Beide Tafeln bezeichnet Hecht als typisch für eine Werkgruppe des Malers Simon Franck aus dem Umkreis Cranachs d. Ä. Vgl. Hecht o. c., S. 87 f. – Vgl. Andreas Tacke o. c. (siehe oben) sowie dessen Beiträge in Katalog Halle, Bd. 2, o. c. 21. Vgl. Berthold Hinz: Des Kardinals Bildnisse – vor allem Dürers und Cranachs. In: Katalog Halle, Bd. 2, o. c., S. 19 – 27. 22. Hecht o. c., S. 92. Abbildung des Georg Lemberger zugeschriebenen Holzschnitts S. 84. 23. Hecht o. c., S. 103. 24. Hecht o. c., S. 105. 25. Holz 147 x 107 cm. Aschaffenburg, Stiftsbasilika St. Peter und Alexander. Vgl. Anm. 20. 26. Hecht o. c., S. 106. Abbildungsnachweis Abb. 1, 2, 3 Wittenberg Stadtkirche; Abb. 4 Thulin o. c.; Abb. 5 Katalog Berlin o. c.; Abb. 6, 7, 8 Katalog Hamburg o. c.; Abb. 9 Katalog Torgau o. c.; Abb. 10, 11, 12 Katalog Halle, Bd. 2, o. c. 'bb' 118-4/2006 inhalt 'bb' 118-4/2006 u-einheit: u-stunde: kursthema: fachbeitrag: liebe leser 1 umgang mit trauer 2 das gleichnis vom barmherzigen samariter 9 hans-georg babke ute-agnes guth mareike ahrens kirche und synagoge 17 krisenpädagogik – grenzüberschreitungen der schulpädagogik, wenn das konventionelle nicht mehr trägt 44 bildagitation: wort und wunder, predigt und heilige messe 52 hans-georg babke manfred bönsch fachbeitrag: eine kunstdidaktische reflexion heino r. möller