Fremde Welten - Wolfgang Wiesen

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Fremde Welten - Wolfgang Wiesen
Fremde Welten
Gestaltung Infrarotfotografie
Infrarotfotografie analog und digital
Surreale Landschaften, dramatische Wolkenstimmungen, tiefschwarze Himmel, effektvoll überstrahlte Vegetation und starke
Kontraste sind typische Kennzeichen von Infrarotfotos. Bilder wie
aus einer Traumwelt, die den Betrachter in ihren Bann ziehen.
Physikalisch gesehen arbeitet der Fotograf
im Infrarotbereich mit Lichtstrahlen, die das
menschliche Auge nicht mehr wahrnehmen kann. Sie liegen jenseits des sichtbaren Spektrums im so genannten nahen
Infrarotbereich mit Lichtwellenlängen von
etwa 700 bis 900 Nanometern (nm).
Um diese Strahlung sichtbar zu machen,
benötigt man neben für diesen Bereich
sensibilisierten Filmen oder Bildsensoren
auch Spezialfilter, die das für das menschliche Auge sichtbare Lichtspektrum mit
Wellenlängen von 400 bis 700nm ausschließen.
Ursprünglich für militärische Zwecke entwickelt, wurde der im nahen Infrarotbereich sensibilisierte Schwarzweißfilm
schnell von kreativen Fotografen entdeckt. Spätestens als Anton Corbijn 1984
das Cover des U2-Albums „The Unforgettable Fire“ mit einem schwarzweißen
Infrarotfoto gestaltete, erlangte die Infrarotfotografie einen gewissen Kultstatus.
Analoge Aufnahmetechnik
Prinzipiell sind nahezu alle Kameratypen
mit manuellem Modus und abschaltbarem
Autofokus für die Infrarotfotografie geeignet. Da die längeren Infrarotstrahlen erst
in einem Punkt hinter der normalen Bildebene fokussieren, muss beim manuellen
Scharfstellen eine diesbezügliche Korrektur vorgenommen werden. Viele Objektive besitzen aus diesem Grund einen Infrarot-Indexpunkt (rotes R, Raute oder Strichmarkierung). Fehlt dieser, sollte man mit
Probebelichtungen den optimalen Korrekturwert für die verwendete Filter-Film-
Links: Die Aufnahme entstand um die Mittagszeit – der Himmel ist schwarz, der Asphalt, den das Auge dunkler wahrnimmt als den Himmel,
wird heller abgebildet. Auch der Berg im Hintergrund erscheint heller, als das Auge ihn sieht. Das Bild wurde digital mit der Sony F828
aufgenommen. Es ist feinkörniger als die restlichen Infrarotbilder, die analog fotografiert wurden.
Oben: Die Überstrahlungen der Betonelemente im Vordergrund kontrastieren mit dem schwarzen Himmel. Das Gebäude im Hintergrund
tritt deutlich hervor; die leichte Bewölkung belebt die strenge Betonwelt.
Kombination ermitteln, um scharfe Aufnahmen zu erhalten. Apochromaten sind
auch für den nahen Infrarotbereich korrigiert und benötigen diese Fokusnachführung nicht.
Da alle Infrarot-Filme auch für das sichtbare
Spektrum sensibilisiert sind, benötigt man
für die Infrarotfotografie Hochpassfilter, die
das Licht unterhalb des nahen Infrarotbereichs aussperren und nur Infrarotlichtwellen im Bereich von etwa 720 bis
900nm passieren lassen.
Hervorragend geeignet sind beispielsweise
der Heliopan RG 715 und der Hoya R72 für
Kodak HIE-Filme oder Digitalkameras,
oder Dunkelrotfilter (R25A) für anderes
Filmmaterial. Der klassische Film für
Schwarzweiß-Infrarot ist der Kodak HIE
Infrared. Dieser Film ist ideal für Infrarot
sensibilisiert und zeichnet Wellenlängen bis
920nm auf. Außerdem besitzt er keinen
Lichthofschutz, was zu besonders interessanten Überstrahlungen einiger Motivbereiche führt. Auch die strahlenden
Weißen grüner Pflanzenteile werden fein
akzentuiert wiedergegeben.
Weitere infrarottaugliche Filme sind der
Efke IR 820 (bis 820 nm sensibilisiert; iden-
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tisch mit Maco IR 820c), der Rollei IR 400
(bis 820 nm) und der Ilford SFX 200 (bis
740 nm). Während der Kodak HIE nur als
Kleinbildfilm erhältlich ist, gibt es die anderen Filme auch im Mittel- oder Planfilmformat.
Ein Nachteil der hochsensibilisierten Infrarotfilme ist ihre Licht- und Wärmeempfindlichkeit: Man kann sie nur in absoluter
Dunkelheit in die Kamera einlegen und
auch wieder herausnehmen. Außerdem
sollten sie gekühlt aufbewahrt und nach
der Belichtung möglichst schnell entwickelt
werden. Weniger infrarotsensible Filme wie
Gestaltung Infrarotfotografie
An den grünen Pflanzenteilen wird der Wood-Effekt deutlich sichtbar. Der Palmwedel und die kugelförmigen Koniferen strahlen geradezu.
der Rollei IR 400 oder der Ilford SFX 200
können auch bei Halbdunkel in die Kamera
eingelegt und entnommen werden.
Über viele Jahre hinweg habe ich nahezu
alle meine analogen Infrarotaufnahmen
mit den Kodak HIE-Filmen nach dem folgenden bewährten Rezept aufgenommen:
– Kamera Minolta XE-1 (Normal- bzw.
Weitwinkelobjektive)
– ISO-Einstellung nicht von Bedeutung
– Manuelle Belichtungseinstellung 1/125 sec
– Blende je nach Sonnenintensität f=11
oder f=16
– ohne Infrarotfilter manuell scharfstellen
und Infrarotkorrektur vornehmen
– Infrarotfilter (Hoya R72) aufschrauben
und auslösen (am sichersten vom Stativ,
kann aber mit etwas Übung auch aus der
Hand erfolgen)
– Entwicklung in Kodak D76 oder Ilford
ID11 Stammlösung 9,5 min; 3 sec
kippen/min;
– stoppen, fixieren und wässern
Ändert man Belichtungszeit bzw. Blendenwerte entsprechend der geringeren
Infrarotsensibilisierung, kann man sicherlich auch für die anderen Infrarotfilme nach
einer Versuchsreihe eine derartige Standardisierung erreichen.
Digitale Aufnahmetechnik
Da prinzipiell alle digitalen CCD-Bildsensoren bis hoch in den nahen Infrarotbereich
sensibel sind, sollte man annehmen, dass
Infrarotfotografie mit digitalen Kameras
keine weiteren Probleme mit sich bringt –
wie so oft liegen aber auch hier die
Schwierigkeiten im Detail.
Für die normale Farbbildfotografie ist
nämlich gerade diese zusätzliche Infrarotsensibilität von großem Nachteil, da sie viele unerwünschte Nebeneffekte mit sich
bringt. Folglich hat man in Digitalkameras
Infrarot-Sperrfilter eingebaut, die meist zu-
sammen mit einem aufgedampften Hot
Mirror nahezu jegliche Infrarotstrahlung
aussperren. Auch moderne Objektive sind
je nach Vergütung nur bedingt infrarottauglich und erzeugen oft einen mehr oder
weniger deutlichen hellen Kreis in der Bildmitte (Center Spot). Eine Ausnahme bei
den Spiegelreflexkameras bildet die Sigma
SD14 mit ihrem Foveon X3 Sensor. Hier
sitzt ein Infrarotfilter direkt vor diesem Sensor und kann leicht manuell entfernt und
wieder eingesetzt werden.
Einen Hoffnungsschimmer bei den Kompaktkameras und DSLRs bietet die unterschiedlich starke Infrarot-Blockierung bei
den einzelnen Modellen verschiedener
Hersteller. Um herauszufinden, wie gut
eine bestimmte Kamera oder ein Objektiv
für Infrarot geeignet ist, bietet sich das
Internet an. Hier findet man detailliert Antworten auf alle Fragen (siehe Kasten).
Grundsätzlich kann man die gleichen Infrarotfilter wie bei der analogen Technik ver-
Die alten Mauern reflektieren die infraroten Lichtstrahlen; die hellen Wolken kontrastieren mit dem schwarzem Himmel.
Auch kleinste Schattenpartien bleiben sehr dunkel.
wenden, aber da das Infrarotlicht nun zwei
Filtersyteme passieren muss, ergeben sich
relativ lange Belichtungszeiten zwischen einer und 30 Sekunden.
Ein Stativ ist also zwingend notwendig;
man erhält Langzeitaufnahmen mit meist
unerwünschten Bewegungsunschärfen
und starkem Rauschen. Auch können manueller Weißabgleich und Fokussieren
Probleme bereiten.
Besser als Spiegelreflexkameras sind in der
Regel Kompaktkameras für die digitale
Infrarotfotografie geeignet. Zum einen
sieht man das Motiv als Infrarotbild sofort
auf dem Monitor und zum anderen funktioniert der Autofokus meist auch mit aufgesetztem Infrarotfilter problemlos und
man erzielt deutlich kürzere Belichtungs-
zeiten. Bei der Sony F 828 wird der Infrarot-Blocker-Filter weggeklappt, so dass der
hochsensible Sensor durch den aufgeschraubten Hochpassfilter nur noch Infrarotstrahlung aufnimmt. Das Bild wird
live auf dem Monitor abgebildet. Die Kamera nimmt im RAW-Modus gleichzeitig
JPG- und RAW-Dateien auf – die JPGDatei wird auf dem Monitor gezeigt und
ist nahezu identisch mit dem späteren
Infrarotfoto.
Noch vorhandene Farbstiche in den Aufnahmen kann man bei der Bearbeitung am
Computer später leicht korrigieren oder für
weitere kreative Manipulationen nutzen.
Bastler können sogar den Infrarot-Sperrfilter ausbauen und erhalten auf diese
Weise eine vollwertige, reine Infrarot-
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kamera. Besser aufgehoben ist man allerdings bei Spezialanbietern, welche nahezu jedes Modell in eine voll taugliche
Infrarotkamera umbauen können.
Einfacher arbeitet man mit Sony BridgeKameras (Sony DSC-H9 und die ältere F
828), die einen speziellen Nightshot-Modus haben, bei dem der Infrarotsperrfilter
in der Kamera einfach aus dem Strahlen-
Weiterführende Websites
macodirect.de (Filme, Filter, Chemie)
infrarot-forum.de/smf (alles über IR,
u.a. Datenbank zu geeigneten digitalen
Kameras und Objektiven)
imagone.de (IR-Fotogalerien)
Gestaltung Infrarotfotografie
Die infraroten Lichtstrahlen durchdringen die Nebelschwaden, die Flanke des Vulkans im Hintergrund wird sehr gut durchgezeichnet.
gang geklappt wird. Mit einem Infrarotfilter
und einem zusätzlichen Graufilter kann
man in diesem Modus bei Tageslicht wunderbare Infrarotaufnahmen (auch im RAWFormat) machen. Nachteile sind die offene Blende und die fixe Verschlußzeit von
1/30 sec – aber Autofokus und automatischer Weißabgleich sind perfekt. Auch
die Tiefenschärfe ist trotz offener Blende
erstaunlich gut und leichtes Rauschen ist
sogar erwünscht.
Für meine digitalen Infrarotaufnahmen
arbeite ich mit einer Sony F828 wie folgt:
– RAW-Aufnahmemodus mit 8 MP wählen
– mit Stativ oder mit 1/30 sec aus der ruhigen Hand arbeiten
– IR-Filter Hoya R72 plus Graufilter ND 1,8
aufschrauben
– Nightshot-Modus einschalten (man hört
das Hochklappen des IR-Sperrfilters)
– Motiv auf dem Monitor nach Wunsch
einstellen (Zoom Objektiv 28-200mm)
– Bildhelligkeit evtl. über Blendenkorrektur
oder ISO-Einstellung anpassen
Im RAW-Format haben die Bilder einen
Blau-Magenta-Stich. Dieser kann nach
der „Entwicklung“ im RAW-Konverter
im Bildbearbeitungsprogramm korrigiert
werden.
Kreatives Arbeiten mit Infrarot
Obwohl wahrscheinlich niemand bei der
Erfindung von Infrarot-Aufnahmematerial
an den Einsatz in der kreativen künstlerischen Fotografie gedacht hat, eröffnet diese Technik eine Fülle von überraschenden
Möglichkeiten, Motive auf eine faszinierende, ungewöhnliche Weise darzustellen.
Blättert man in Bildbänden und Zeitschriften, oder betrachtet man Infrarotfotos im Internet, stellt man schnell fest, dass
ein großer Teil der Bilder Landschaften mit
viel Vegetation, schwarzem Himmel mit
strahlend weißen Wolken und einem tiefschwarzen Gewässer zeigt. Gründe für diese infrarot-typischen Effekte sind die starke Reflektion der Infrarotstrahlen durch das
Schwammgewebe grüner Blätter und
durch die winzigen Wassertröpfchen in den
Wolken (Wood-Effekt), während Atmosphäre und Wasserflächen nahezu keine Infrarotstrahlung reflektieren. Auf diese
Weise können intensive, traumhaft anmutende Aufnahmen entstehen, die den
Betrachter immer wieder in ihren Bann ziehen. Aber damit ist die mögliche Motivvielfalt noch bei weitem nicht ausgeschöpft. Auch Steine, Beton, Holzteile,
Schilder und Markierungen, Metalle und
sogar die menschliche Haut reflektieren Infrarotstrahlung je nach Sonnenintensität
unterschiedlich stark. Zusätzlich durchdringen Infrarotstrahlen Dunst in der
Atmosphäre sehr gut, so dass Infrarotaufnahmen gelegentlich Details sichtbar
werden lassen, die wir mit bloßem Auge
nicht wahrnehmen.
Kontrastreiche, dramatische Bilder von alten, mit Pflanzen überwucherten Burgen
oder Grabsteinen können eine geheimnisvolle Stimmung erzeugen, während
Landschaften mit ungewöhnlichem Wolkenhimmel heiter verträumt wirken und
Detail- oder Nahaufnahmen ihren besonderen Reiz durch die extremen Hell-/Dunkel-Kontraste mit ihren Überstrahlungen erhalten. Auch Infrarotaufnahmen von moderner Architektur oder Skulpturen sind einen Versuch wert.
Oft wird behauptet, Infrarotfotografie sei
Schönwetterfotografie. Tatsächlich treten
bei intensiver Sonnenstrahlung die Infraroteffekte am deutlichsten hervor, aber
man kann durchaus auch bei bedecktem
Himmel mit Infrarot arbeiten.
Generell ist die beste Tageszeit für Infrarotufnahmen die Zeit der stärksten Sonneneinstrahlung vom späten Vormittag bis
in den frühen Nachmittag. Pflanzen reflektieren Infrarot am intensivsten, wenn
die Blätter noch frisch und hellgrün sind –
also im Mai und Juni. Aber auch völlig unbelaubte Bäume können, gegen einen
leicht bewölkten Himmel fotografiert,
sogar im Winter lohnenswerte InfrarotMotive abgeben. Für die Aufnahme ist
frontal reflektiertes Licht meist am günstigsten, während Seiten- oder Gegenlicht
in der Regel nachteilig ist, aber in bestimmten Situationen bewusst eingesetzt
durchaus außergewöhnliche Ergebnisse
liefern kann. Der Kreativität sind also keine Grenzen gesetzt – verlassen Sie die ausgetretenen Pfade und lassen Sie sich überraschen. Auch im Studio ist Infrarotfotografie möglich: Hier ist insbesondere die
weiche Wiedergabe der menschlichen
Haut bei Aktfotografen sehr beliebt.
Neben dieser großen Vielfalt an Gestaltungsmöglichkeiten bei Motivwahl und
Aufnahmetechnik eröffnet sich dem kreativen Fotografen bei der Ausarbeitung der
Fotos im analogen und mehr noch im
digitalen Labor eine Fülle weiterer Möglichkeiten, die Bildaussage zu optimieren.
Viele Schwarzweiß-Infararotaufnahmen
eignen sich für Tonungen und Colorierungen aller Art, und auch Solarisationen
ergeben manchmal Überraschendes.
Bei seitlichem Lichteinfall entsteht ein deutlicher Wood-Effekt mit Überstrahlungen.
Das Meer im Hintergund wird schwarz wiedergegeben, mit klar gezeichneter Küstenlinie.
Der Himmel ist nicht mehr tiefschwarz.
Infraroteffekte mit Bildbearbeitungssoftware
Die digitale Entwicklung der Fotografie hat
neben der Aufnahmetechnik auch die
elektronische Bildbearbeitung (EBB) von Infrarotaufnahmen am Computer revolutioniert.
Moderne Bildbearbeitungssoftware bietet
neben der „Entwicklung“ von RAW-Dateien alle Möglichkeiten, schwarzweiße
Infrarotfotos genau nach den Wünschen
des Fotografen zu optimieren und im positiven Sinne zu manipulieren. Ein zunehmender Mangel an analogem Material verstärkt diesen Trend. Die Ankündigung
von Kodak, die Produktion des HIE einzustellen, ist ein eindeutiges Signal.
Vielleicht kann man sich auch in naher Zu-
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kunft die Aufnahme von Infrarotfotos
gänzlich sparen und geeignete Farbaufnahmen direkt per EBB in Bilder verwandeln, die von originalen analogen Fotos
nicht mehr zu unterscheiden sind. Adobes
neueste Photoshop-Version besitzt bereits eine Schwarzweiß-Funktion mit einem
eigenen Infrarotfilter. Auch Nik-Software
hat in der Filtersammlung Color Efex Pro einen Infrarotwandler im Programm. Für anfängliche Experimente kann man kostenlos das „Pseudo-IR“ von Cybia nutzen.
Aber auch hier gilt: Auf Knopfdruck geht
gar nichts. Viel Erfahrung, Fingerspitzengefühl und Finetuning sind vonnöten, um
auch mit EBB gute Resultate zu erzielen.
Letztlich zählt das Bild und nicht der Weg
seiner Entstehung.
Wolfgang Wiesen, www.wwfoto.de