Erkrankungen des Blutes, des blutbildenden und

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Erkrankungen des Blutes, des blutbildenden und
Erkrankungen des Blutes,
des blutbildenden und
lymphatischen Systems
durch Benzol
Wissenschaftliche Begründung für eine neu in die Anlage zur
Berufskrankheitenverordnung aufzunehmende Berufskrankheit
Jana Henry, Thomas Brüning
Seit langer Zeit wird kontrovers diskutiert, ob Benzol grundsätzlich geeignet ist, alle Erkrankungen des
blutbildenden und lymphatischen Systems, insbesondere die verschiedenen Non-Hodgkin-Lymphome
(NHL) zu verursachen. Gegenstand der Diskussion ist auch, ob eine „Schwellendosis“ existiert, unterhalb
der eine Verursachung nicht wahrscheinlich ist (1,2) . Diese wissenschaftliche Kontroverse stellte den
ärztlichen Gutachter vor erhebliche Probleme bei der Begutachtung im Rahmen der BK 1303.
Im Dezember 2008 hat das Bundesministerium für Arbeit und
Soziales einen ersten, noch nicht von der Bundesregierung
gebilligten Referentenentwurf einer zweiten Verordnung zur
Änderung der Berufskrankheiten-Verordnung (2. BKV-ÄndV)
vorgelegt. Der Entwurf sieht die Aufnahme von „Erkrankungen
des Blutes, des blutbildenden und des lymphatischen Systems
durch Benzol“ in die BK-Liste vor.
Im Folgenden werden die wesentlichen Punkte dieser wissenschaftlichen Begründung zusammengefasst und die Umsetzung
anhand konkreter Fälle veranschaulicht.
Krankheitsbilder
Wie bisher sind toxische Schädigungen des Knochenmarks
(Knochenmarkdepression) grundsätzlich anerkennungsfähig.
Dies betrifft sowohl die Verminderung aller (= Panzytopenie)
als auch einzelner Zellpopulationen (Leukozytopenie, inklusive
Verminderung einzelner Subpopulationen, Thrombozytopenie,
Anämie). Diese Erkrankungen sind nach Ende der Benzolexposition meist reversibel. Bei der Bewertung ist hier vor allem
auf konkurrierende Faktoren wie beispielsweise die Einnahme
knochenmarkstoxischer Medikamente, Anämie infolge eines
Eisenmangels oder einer Hämolyse zu achten.
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Grundsätzlich anerkennungsfähig sind nunmehr auch die folgenden malignen Erkrankungen des blutbildenden Systems:
● Myelodysplastische Syndrome (MDS)
○ Refraktäre Anämie (RA)
○ Refraktäre Anämie mit Ringsideroblasten (RARS)
○ Refraktäre Anämie mit Exzess von Blasten (RAEB)
○ Refraktäre Anämie mit Exzess von Blasten in Transformation (RAEB-t)
○ Chronische myelomonozytäre Leukämie (in Abhängigkeit
von der Leukozytenzahl Klassifizierung als MDS oder MPE)
● Akute myeloische Leukämie (AML)
● Myeloproliferative Erkrankungen (MPE)
○ Chronische myeloische Leukämie (CML)
○ Polycythaemia vera (PV)
○ Essentielle Thrombozythämie (ET)
○ Idiopathische Myelofibrose (IF) bzw. Osteomyelosklerose
● Non-Hodgkin-Lymphome
○ Akute lymphatische Leukämie (ALL)
○ Lymphoblastisches Lymphom
○ Chronische lymphatische Leukämie (CLL)
○ Prolymphozytäre Leukämie
○ Lymphoblastozytisches Lymphom
○ Mantelzell-Lymphom
○ Follikuläres Lymphom
○ Marginalzonen-Lymphom
○ Haarzellleukämie
○ Plasmozytom/Multiples Myelom
○ (Diffus) großzellige Lymphome
○ Burkitt-Lymphom
Wissen
Mit Bekanntmachung des Bundesministeriums für Arbeit und
Soziales (BMAS) vom 01.09.2007 wurde eine umfangreiche
wissenschaftliche Begründung für eine neu in die Anlage zur
Berufskrankheitenverordnung aufzunehmende Berufskrankheit
„Erkrankungen des Blutes, des blutbildenden und lymphatischen
Systems durch Benzol“ vorgelegt.
Abzugrenzen ist in diesem Zusammenhang die aplastische Anämie, eine nicht reversible Stammzellerkrankung, die zwar nicht
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bösartig im Sinne einer Tumorerkrankung ist, unbehandelt führt
sie dennoch infolge der Komplikationen in der Regel zum Tod.
Der Begriff ‚Anämie‘ ist hier irreführend, denn es handelt sich
nicht um eine isolierte Erkrankung der Erythrozyten, sondern sie
ist charakterisiert durch ein hypoplastisches Knochenmark und
eine periphere (Pan-)Zytopenie. Auch diese Erkrankung ist im
Sinne der neuen wissenschaftlichen Begründung grundsätzlich
anerkennungsfähig.
Demgegenüber lässt laut wissenschaftlicher Begründung die
epidemiologische Datenlage keine präzise Beschreibung eines
Dosis-Wirkungszusammenhangs für folgende Erkrankungen
zu:
• die übrigen Non-Hodgkin-Lymphome, inklusive multiples
Myelom/Plasmozytom
• myeloproliferative Erkrankungen, inklusive CML (chronische
myeloische Leukämie)
Hodgkin-Lymphome waren nicht Gegenstand dieser wissenschaftlichen Begründung und sind weiterhin als nicht anerkennungsfähig anzusehen.
Exposition
In der wissenschaftlichen Begründung werden die bösartigen
Erkrankungen des blutbildenden Systems unterschieden in:
• anerkennungsfähige Erkrankungen bei denen sich ein
„Grenzdosisbereich“ aufgrund der epidemiologischen Daten
ableiten lässt
• anerkennungsfähige Erkrankungen mit unzureichender
epidemiologischer Datenlage
Für folgende Erkrankungen (8-10) ist laut wissenschaftlicher
Begründung ab einem Bereich von 10 ppm-Benzoljahren von
einer Verursachungswahrscheinlichkeit über 50 Prozent auszugehen:
„Leukämie nach WHO-Definition ohne chronisch myeloische
Leukämie (CML), aber einschließlich chronisch lymphatischer
Leukämie (CLL), aplastischer Anämie, myelodysplastischem
Syndrom (MDS)“.
Somit sind hier folgende Krankheitsbilder erfasst
• ALL (akute lymphatische Leukämie)
• AML (akute myeloische Leukämie)
• CLL (chronische lymphatische Leukämie)
• MDS (myelodysplastische Syndrome)
• Aplastische Anämie
• (Lymphoblastische Lymphome)
Auch wenn die lymphoblastischen Lymphome in der wissenschaftlichen Begründung nicht explizit genannt sind, müssen
sie nach hämato-onkologischen Verständnis hier eingegliedert
werden bzw. werden in der WHO-Klassifikation der Leukämien
entsprechend genannt.
In der Begründung wird darauf verwiesen, dass auch unterhalb von 10 ppm-Benzoljahren in den aussagekräftigen
Studien relevante Risikoerhöhungen gefunden wurden. Dies
betrifft insbesondere die CLL, für die eine Risikoerhöhung um
das 2,76-fache bereits bei einer Benzoldosis von vier bis acht
ppm-Jahren belegt wurde. Insofern ist zu beachten, dass eine
kumulative Benzolbelastung unterhalb von 10 ppm-Jahren kein
Abschneidekriterium ist.
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Problematisch ist in vielen Fällen die vom Gutachter gewünschte
und im Rahmen des Feststellungsverfahrens zu leistende Berechnung der ppm-Benzoljahre. Wichtige Anhaltspunkte und
Einzelheiten zu Belastungen bei verschiedenen Tätigkeiten
können dem BGIA-Ringbuch Arbeitsanamnese (HVBG 2006,
Nr. 9105) „Anwendungshinweise zur retrospektiven Beurteilung
der Benzolexposition“ (3) entnommen werden. In der neuen
wissenschaftlichen Begründung werden verschiedene Expositionsszenarien skizziert, die grundsätzlich geeignet sind, um
einen Ursachenzusammenhang zwischen Benzolexposition und
Erkrankung im Einzelfall zu begründen. Hier fließen nicht nur die
verfügbaren Messdaten, sondern auch Erfahrungen bezüglich besonderer arbeitshygienischer Umstände oder messtechnisch nicht
erfassbarer kurzfristiger extremer Belastungen ein. Es wurden
vier Expositionsszenarien erstellt, die sich wie folgt gliedern:
•extreme Belastungsintensität
•hohe Belastungsintensität
•mittlere Belastungsintensität
•geringe Belastungsintensität
Bei den extremen, hohen und mittleren Belastungsintensitäten
ist unter Berücksichtigung der Hinweise zur Mindestdauer der
Einwirkung davon auszugehen, dass mindestens eine kumulative
Belastungsdosis im hohen einstelligen beziehungsweise unteren zweistelligen Bereich, das heißt in einem Bereich von 8-10
ppm-Benzoljahren erreicht wird. Es wird jedoch explizit darauf
hingewiesen, dass auch bei geringer Belastungsintensität im
Einzelfall eine relevante Exposition vorgelegen haben kann, so
dass hier eine genaue Einzelfallprüfung erforderlich ist.
Für die Erkrankungen, bei denen die epidemiologische Kenntnislage zum Dosis-Wirkungszusammenhang unzureichend ist, wird
eine ausreichende Exposition bei extremer Belastungsintensität
über einen Zeitraum von in der Regel zwei bis fünf Jahren oder
hoher Belastungsintensität über einen Zeitraum von meist sechs
und mehr Jahren bejaht. Unter Berücksichtigung der Aussagen
zu Expositionsszenarien und den dabei zu erwartenden Expositionen muss nach der neuen wissenschaftlichen Begründung
somit davon ausgegangen werden, dass für diese Erkrankungen
von einer BK-rechtlich relevanten Exposition ab einem Bereich
von 16-20 ppm-Benzoljahren ausgegangen wird.
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Arbeitsmedizinische Fallbeispiele
Beispiel 1: Akute myeloische Leukämie (AML)
Im April 2004 wurde bei dem 37-jährigen Versicherten die Diagnose einer akuten myeloischen Leukämie (AML M4) mit extramedullärer Manifestation im Bereich der Haut, der Konjunktiva rechts
und langstreckiger Raumforderung im hinteren Mediastinum mit
Einbruch in den Spinalkanal gestellt. Der Versicherte war seit
1988 zunächst bei der Nationalen Volksarmee der damaligen DDR,
später bei verschiedenen Firmen als Kfz-Schlosser beziehungsweise –Meister beschäftigt. Die zuständige Berufsgenossenschaft
ermittelte, dass der Versicherte während dieser Tätigkeiten in
Höhe von 16,7 ppm-Benzoljahren exponiert war. Der Vorgutachter
kam in seinem Gutachten von 12/2004 zu dem Ergebnis, dass
von einer unfallversicherungsrechtlich relevanten Risikoerhöhung
erst ab einer kumulativen Benzolexposition in Höhe von 40 ppmBenzoljahren auszugehen sei und empfahl die Erkrankung des
Versicherten nicht als Berufskrankheit anzuerkennen.
Grundlage hierfür war die zu diesem Zeitpunkt kontrovers geführte Diskussion um ein „Abschneidekriterium“ von 40 ppmBenzoljahren für diese Erkrankungen, welches im Wesentlichen
auf der Übersichtsarbeit von HOFFMANN et al. 2001 (1) basierte.
Diese Arbeit bezog sich vor allem auf die Veröffentlichung von
HAYES et al. 1997 (4), in der eine Kohorte von 74.828 Benzolexponierten chinesischen Arbeitern untersucht wurde. Hierbei
zeigte sich, dass eine Verdoppelung des relativen Risikos für
Leukämieerkrankungen erst bei einer kumulativen Benzoldosis
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von mehr als 40 ppm-Jahren gegeben war, wobei jedoch Folgendes zu beachten ist: Unter dem Begriff „Leukämien“ wurden
in dieser Studie verschiedene Erkrankungen subsumiert a) akute
myeloische Leukämien (AML), b) akute lymphatische Leukämien
(ALL), c) chronische lymphatische Leukämien (CLL), die beide den
Non-Hodgkin-Lymphomen zuzuordnen sind sowie d) chronische myeloische Leukämien (CML), die den myeloproliferativen
Erkrankungen zuzurechnen sind. Aus diesem Grunde führten
Hayes et al. eine differenzierte Betrachtung durch. Hierbei zeigte
sich, dass für akute nicht lymphatische Leukämien (ANLL bzw.
AML) und MDS bereits ein relatives Risiko von 2,7 unterhalb
einer kumulativen Benzoldosis von 40 ppm-Jahren bestand. Auf
diesen Umstand wiesen HAYES et al. in ihrem Artikel explizit
hin. Zusätzlich lagen zum Zeitpunkt der Begutachtung im BGFA
im April 2006 die Arbeiten von GLASS et al. (5, 6) vor, die auf
ein Verdopplungsrisiko für akute nicht-lymphatische Leukämien schon bei einer Exposition von deutlich weniger als 20
ppm-Benzoljahren hindeuten. Es wurde somit empfohlen die
Erkrankung als Berufskrankheit anzuerkennen
Unter Anwendung der neuen wissenschaftlichen Begründung
wäre dieser Fall jetzt ebenfalls eindeutig als Berufskrankheit anzuerkennen. Nach der wissenschaftlichen Begründung sind diese
Erkrankungen ab einem Bereich von 8-10 ppm-Benzoljahren
anerkennungsfähig, wobei man sich bei dieser Dosisfindung auf
die Arbeiten von HAYES, GLASS et al. (5, 6) sowie die Arbeiten
zur sogenannten Pliofilm Kohorte bezieht.
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Beispiel 2: Chronische lymphatische Leukämie
Im Oktober 1999 wurde bei dem 64-jährigen Versicherten die Diagnose einer B-CLL (chronische lymphatische Leukämie) gestellt.
Der Versicherte war während seiner Tätigkeit als Facharbeiter
beziehungsweise Vorarbeiter für Gas- und Wasserversorgungsanlagen zwischen 1956 und 1978 gegenüber Benzol in Höhe von 34
ppm-Benzoljahren exponiert. Zwischen 2000 und 2004 wurden
im Rahmen des BK-Verfahrens mehrere Gutachten erstellt, in
denen die Gutachter jeweils zu dem Schluss kamen, dass nach
derzeitigem Kenntnisstand ein ursächlicher Zusammenhang
zwischen der Benzolexposition des Versicherten und seiner
Erkrankung nicht hinreichend belegt sei. Durch die zuständige
Berufsgenossenschaft wurde ein ablehnender Bescheid erteilt. Im
Februar 2007 bat der Versicherte um eine erneute Überprüfung
und wurde im Juni 2008 begutachtet.
Beispiel 4: Gastrointestinale Lymphome
Die 78-jährige Versicherte wurde im September 2004 mit einem
blutenden Ulcus ventriculi stationär aufgenommen. Hierbei zeigte
sich, dass es sich bei dem blutenden Magengeschwür um eine
Infiltration des Magens durch ein sogenanntes MALT-Lymphom
handelte (MALT = mucosa associated lymphoid tissue). Zusätzlich
zeigte sich der Befund einer Helicobacter pylori-Infektion. Die
Versicherte war während ihrer Tätigkeit als Chemielaborantin
zwischen 1969 und 1984 gegenüber Benzol in Höhe von 0,1
ppm-Benzoljahren exponiert. Zusätzlich bestand jedoch eine
nicht quantifizierbare Exposition gegenüber Benzol während
der Tätigkeit an einem Klebstoffarbeitsplatz in einer polnischen
Schuhfabrik von 1955-1957. Der Technische Aufsichtsdienst (TAD)
führte aus, dass hier jedoch überwiegend mit Ago-Klebstoffen
(benzolfrei) und in geringerem Umfang mit Neoprenklebstoffen
(Verunreinigungen durch Benzol möglich) gearbeitet wurde.
Hierbei wurde ausgeführt, dass nach der neu veröffentlichten
WB auch für die CLL eine Verursachungswahrscheinlichkeit von
mehr als 50 Prozent ab einer Benzolexposition von 8 – 10 ppmBenzoljahren postuliert wird. Es wurde die Anerkennung der
Erkrankung des Versicherten als eine durch Benzol verursachte
Berufskrankheit empfohlen. Dennoch bleibt anzumerken, dass
die Entscheidungen der Vorgutachter nachvollziehbar sind, da
verschiedene große epidemiologische Studien (aktuell SEIDLER
et al., 7) keinen Ursachenzusammenhang zwischen einer Benzolexposition und dem Auftreten von Non-Hodgkin-Lymphomen,
zu denen auch die CLL zählt, belegen. Da die Ableitung des
Dosisbereichs, ab dem die CLL laut wissenschaftlicher Begründung nun anerkennungsfähig ist, im Wesentlichen auf den Arbeiten von GLASS et al. mit nur wenigen Fallzahlen und großen
Konfidenzintervallen beruht, bleibt hier weiterhin eine gewisse
Unsicherheit bestehen.
Beispiel 3: Plasmozytom
Bei dem Versicherten wurde im August 2004 die Diagnose eines
Plasmozytoms im Stadium IIIA mit 80-90 prozentiger Knochenmarkinfiltration und Vorliegen zahlreicher Osteolysen gestellt. Der
Versicherte war als Instandhaltungsschlosser in einer Raffinerie
zwischen 1950 und 1954 in Höhe von 21,8 ppm-Benzoljahren
exponiert. Im Rahmen der Untersuchung von 03/2006 wurde
ausgeführt, dass keine ausreichenden wissenschaftlichen Erkenntnisse vorlägen, die einen Kausalzusammenhang zwischen
der Benzolexposition und der Erkrankung des Versicherten belegen würden. Es wurde empfohlen die Erkrankung nicht als
Berufskrankheit anzuerkennen.
Trotz der im Wesentlichen im Vergleich zur Untersuchung unveränderten Datenlage ist das Plasmozytom,nach der neuen wissenschaftlichen Begründung nunmehr wie alle NHL grundsätzlich
anerkennungsfähig und die vorliegende Exposition wäre ausreichend einen ursächlichen Zusammenhang anzunehmen.
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In zahlreichen Studien wurde eine Assoziation zwischen einer
Helicobacter pylori-Infektion und dem Auftreten von MALTLymphomen des Magens nachgewiesen. Die enge Assoziation
zwischen einer Helicobacter pylori-Infektion und dem Auftreten
eines MALT-Lymphoms zeigt sich insbesondere darin, dass eine
Eradikationstherapie zur Behandlung der Helicobacter pyloriInfektion in mehr als 75 Prozent der Fälle auch zu einer Remission
des Lymphoms führt (8-11). Man nimmt an, dass Entstehung und
Wachstum von MALT-Lymphomen von einem immunologischen
Stimulus abhängig sind, wobei Helicobacter pylori das mutmaßlich verantwortliche Antigen darstellt (12, 13).
Unter Berücksichtigung dieses starken Confounders und der
eher geringen Benzolexposition konnte eine Anerkennung als
Berufskrankheit nicht empfohlen werden. Auch nach der neuen
wissenschaftlichen Begründung ergäbe sich hier keine andere
Einschätzung.
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Die Experten des BGFA empfahlen die Anerkennung der Erkrankung als Berufskrankheit. Nach der neuen wissenschaftlichen Begründung handelt es sich bei diesem Fall um eine
grundsätzlich anerkennungsfähige Erkrankung. Auch die arbeitstechnischen Voraussetzungen sind mit einer Exposition
von 110 ppm-Benzoljahren deutlich erfüllt. Mit der Helicobacter
pylori-Infektion könnte jedoch ein konkurrierender Faktor vorliegen. Während für die MALT-Lymphome mittlerweile ein klarer
ursächlicher Zusammenhang zwischen Erkrankung und einer
Helicobacter pylori-Infektion angenommen wird, konnte bei den
follikulären Lymphomen, insbesondere des Duodenums und des
Jejunums bislang ein solcher Zusammenhang nicht zweifelsfrei
nachgewiesen werden. Während TOYODA et al. (14) über eine
Tumorregredienz bei duodenalen follikulären Lymphomen nach
Eradikation einer Helicobacter pylori-Infektion berichteten, konnte in anderen Untersuchungen ein solcher Zusammenhang nicht
bestätigt werden (14). Hier ist jedoch einschränkend anzumerken,
dass diese Tumorentität selten auftritt und so die untersuchten
Fallzahlen nur sehr klein sind. Unter Berücksichtigung der sehr
hohen Exposition der Versicherten und der nicht eindeutig gesicherten Rolle einer Helicobacter pylori-Infektion, stand die
Benzolexposition nach Ansicht der BGFA-Experten ursächlich
deutlich im Vordergrund.
Die vorgestellten Beispiele belegen eindrucksvoll wie sich mit
Erscheinen der neuen wissenschaftlichen Begründung die Begutachtung bei einigen Krankheitsentitäten verändert und teils
vereinfacht hat. Dennoch ist in den meisten Fällen die Begutachtung durch einen onkologisch erfahrenen Arbeitsmediziner
erforderlich, da sowohl die Zuordnung der Krankheitsbilder als
auch die Würdigung konkurrierender Faktoren im Einzelfall ihre
Tücken haben können.
Die Autoren:
Prof. Dr. Thomas Brüning, Dr. Jana Henry
BGFA
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Literatur
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Literatur
Beispiel 5: Gastrointestinale Lymphome
Bei der 51-jährigen Versicherten wurde im Oktober 2006 die Diagnose eines follikulären Non-Hodgkin-Lymphoms des Dünndarms
im Stadium II A E gestellt. Eine Helicobacter pylori-Infektion lag
zu diesem Zeitpunkt lt. Aktenlage fraglich vor. Während ihrer
Tätigkeit als Chemielaborantin war die Versicherte zwischen 1972
und 1983 gegenüber Benzol in Höhe von 110 ppm-Benzoljahren
exponiert. Die Landesanstalt für Arbeitsschutz des Landes NRW
stellte im Februar 2007 fest, dass nach der derzeit gültigen Berufskrankheitenverordnung die arbeitsmedizinischen Voraussetzungen für die Anerkennung einer Berufskrankheit im Sinne der
BK 1303 nicht mit der versicherungsrechtlich geforderten Wahrscheinlichkeit gegeben seien. Gegen den daraufhin ergangenen
ablehnenden Bescheid der zuständigen Berufsgenossenschaft
legte die Versicherte Widerspruch ein und stellte sich im Juni
2008 im BGFA zur Untersuchung vor.
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