Leseprobe - Nicolai Verlag

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Leseprobe - Nicolai Verlag
dazu nutzt, künstlich die erwünschten Emotionen oder Reaktionen zu
erzeugen. Die umstrittenste und meistdiskutierte Verbindung aus Naturwissenschaft und Design ist aber sicherlich die Gentechnik. Einer ihrer
Pioniere, Craig Venter, verwendet unverhohlen den Begriff Design, wenn
er von der Struktur einer DNA und ihrer Entschlüsselung spricht. Und
auch andere Beispiele zeigen, dass Design heute eine Schlüsselrolle bei
der Verbreitung der Gentechnik spielt.
Allein die Bilder, die in den Medienkampagnen von Gegnern und
Befürwortern der Gentechnik lanciert werden, belegen dies auf eindrückliche Weise. So kursiert im Internet seit Jahren das Bild einer kleinen,
kahlen Labormaus, der ein menschliches Ohr eingepflanzt worden
ist – ein kleines Horrorwesen, das sich selbst Hieronymus Bosch nicht
besser hätte ausdenken können. Für die Gegner der Gentechnik wurde
dieses Bild zum Inbegriff der Verfehlungen, die bei der Nutzung der
Gentechnik zu erwarten wären, auch wenn diese Maus mit Gentechnik
erst einmal nichts zu tun hatte. Die Verfechter der Gentechnik wiederum umwerben die Öffentlichkeit geschickt mit dem Klonschaf Dolly,
einem der niedlichsten und harmlosesten Tiere, die man sich vorstellen
kann. Doch nicht nur bei den Propagandafeldzügen für und wider die
Gentechnik spielt Design eine entscheidende Rolle, sondern auch bei
ihrer Kommerzialisierung. Denn ganz gleich, ob man die Gentechnik
zum Klonen bizarrer Kreaturen oder für Heilzwecke einsetzen wird, muss
sie vermittelt und benutzbar gemacht werden, und auch dazu braucht
man Design. Dies belegt beispielsweise ein kleines Objekt, das man
erhält, wenn man 50 000 € für die Entschlüsselung des eigenen Genoms
bezahlt hat: der Genome Key. Eigentlich besteht er nur aus einer winzigen
Festplatte, auf der der eigene Gencode gespeichert ist. Doch da das für
den stolzen Kaufpreis wohl zu wenig ist, wurde der Genome Key wie
ein iPod gestaltet, der auf einem Samtkissen in einer kleinen Schatulle
liegt, deren Deckel auf der Innenseite verspiegelt ist. In diesen Spiegel
ist bedeutungsschwanger ein Ausspruch aus der griechischen Antike
eingraviert: »Gnothi seauton« – »Erkenne Dich selbst«. Das luxuriösminimalistische Design dieses modernen Zauberschlüssels zeigt, dass
die Popularisierung der Gentechnik am Ende einer jahrzehntelangen
Debatte heute in eine einfache Frage des Produktdesigns mündet. Das
Kalkül ist, dass die Gentechnik ihre Kundschaft schon finden wird, wenn
sie nur angemessen verpackt ist. Dieses Kalkül dürfte aufgehen – vor
allem in der Designgesellschaft.
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Homo aestheticus
Wie sehr die Allianz aus Design und Zukunftstechnologien dem
Menschen heute auf den Leib rückt, zeigen viele weitere Beispiele der
Körpermanipulation, sei es zu medizinischen oder ästhetischen Zwecken.
Künstliche Gelenke im Alter sind heute keine Ausnahme mehr, sondern
fast schon die Regel. Mittlerweile hat die Prothetik ein Stadium erreicht,
in dem künstliche Gliedmaßen dank einer Verbindung aus Nanotechnologie und Robotik immer mehr zu Teilen des belebten Körpers werden.
Sie sehen dem echten Körper nicht nur immer ähnlicher, sondern werden
bald auch die Sensorik echter Körperteile vermitteln können – kürzlich
wurde beispielsweise die erste Hand verpflanzt, die ihrem Träger auch
den Tastsinn zurückgeben soll. Wie wichtig Design für die Entwicklung
und Vermarktung solcher Neuerungen ist, zeigt die Firma Otto Bock,
einer der Weltmarktführer in diesem Bereich. Sie hat 2009 im Regierungsviertel Berlin eine Hauptstadtrepräsentanz eingerichtet, in der ein
»Science Center Medizintechnik« dem Besucher mit allen Mitteln der
multimedialen Inszenierungskunst demonstriert, welch zentrale Rolle
Design bei der Verlängerung des menschlichen Körpers spielt. Auch das
Gebäude, in dem dies stattfindet, kann es hinsichtlich visueller Extravaganz mit den benachbarten Ländervertretungen locker aufnehmen – es
sieht aus wie ein in Mullbinden gewickelter Mies-van-der-Rohe-Bau.
Aber auch jenseits der Hightech-Forschung ist die Bedeutung von Design an unserem Körper enorm gewachsen. So geht man heute statt zum
Friseur zum Hair Designer, und Tattoos und Piercings haben in den
letzten zehn Jahren einen nie gekannten Boom erlebt. Dabei scheint
die Arbeit am eigenen Körper gerade dort besonders beliebt, wo sie die
einzige Möglichkeit der Selbstverwirklichung darstellt – zumindest der
Zahl der Sonnenstudios und Piercing-Läden in den grauen Plattenbausiedlungen und Vorstädten nach zu urteilen. Selbst die plastische
Chirurgie, bis vor kurzem noch ein Privileg wohlhabender Frauen ab
50, ist heute eine Option für die breite Masse geworden. Unterstützt
wird dies dadurch, dass wir Fettabsaugungen, Lippenvergrößerungen
oder Brustvergrößerungen schon im Nachmittagsfernsehen betrachten
können. Wer in den letzten Jahren einmal an einem deutschen Badesee
gelegen hat, der kann die Ergebnisse des neuen Körperkults aus nächster
Nähe begutachten.
Ein Feld, auf dem Design besonders krude Entwicklungen vollzieht, ist das Nail Design, früher Maniküre genannt. Schon seit einigen
Jahren müssen wir uns beim Bäcker unsere Brötchen immer häufiger von
Damen mit ondulierten, mit Strass besetzten oder in Regenbogenfarben
schillernden Nagelkunstwerken einpacken lassen. Wie heiß umkämpft
allein der Markt für Nail Design gegenwärtig ist, lässt sich auf der Web­
site des Bundesverbandes Deutscher Nail Designer verfolgen. Dort tobt
ein Patentstreit zwischen Russland und Deutschland, der mit dem Ernst
eines Wirtschaftskrieges ausgetragen wird. Ausgelöst wurde er dadurch,
dass in Deutschland einige Entwürfe von vier Nail Designerinnen patentiert worden sind, die die russische Seite für längst bekannt hielt. Ein
Aufschrei ging daraufhin durch die russische Nagelszene. Der dortige
Verband der Nail Designer, vertreten durch seine Präsidentin Frau
W. D. Glubokowa, führt entrüstet an, Hinweise auf diese Designs »lassen
sich in der einschlägigen Fachliteratur schon seit ungefähr 2000 finden«.
Außerdem vertritt der Verband die Auffassung, »Nagelform und -Design
gehören zur Weltnagelkultur, bedeuten schöpferische Freude und Streben
nach neuen Entwicklungsformen«. Frau Glubokowa schwant deshalb
Ungeheuerliches: »Beabsichtigen wohl die vorstehend benannten Meister
durch diesen Betrug die Monopolstellung auf dem Weltnagelmarkt zu
erlangen?« 34 Die Antwort bleibt offen, aber wir sind schon froh zu wissen,
dass er überhaupt existiert, der Weltnagelmarkt.
Einer der Gründe dafür, dass Design immer stärker auf unseren
Körper übergreift, ist das zunehmend künstliche Körperbild in Medien,
Musik und Werbung. Dadurch, dass dieses Bild in den Medien technisch
immer raffinierter bearbeitet werden kann, hat es mit der Realität immer
weniger zu tun – und erscheint doch so natürlich, dass viele Menschen
allen Ernstes versuchen, mit ihm Schritt zu halten. Dass der daraus resultierende Verschönerungszwang bis in die intimsten Zonen dringt, liegt
auch an der wachsenden Pornografisierung unserer Gesellschaft. Besonders deutlich wird dies an der steigenden Bedeutung der Intimkosmetik.
So steigt in den USA die Rate der kosmetischen Genitaloperationen um
30 Prozent im Jahr, und eine Studie der Uniklinik Leipzig hat gezeigt,
dass heute etwa 68 Prozent aller Frauen und Männer zwischen 18 und
25 in Deutschland ihren Intimbereich rasieren. 35 Waxing Studios bieten
derzeit für 25 Euro ein Schamhaarstyling an, wobei die Kunden unter
verschiedenen Frisuren wählen können – etwa dem Brazilian Hollywood
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Design als körperteil: Künstliches Herz, Abiomed, 2009
Cut (einer Komplettenthaarung) oder dem Brazilian Landing Strip,
einem kleinen Haarstreifen.
Dass bei all den Optimierungsmöglichkeiten unseres Körpers die
Grenzen zwischen Kosmetik und Medizin verschwimmen, zeigt allein
ein Blick in unseren Badezimmerschrank. Die gute alte Nivea benutzen
wir höchstens noch für unsere Hände. Fürs Gesicht bieten Pharmafirmen
lieber sogenannte »Cosmeceuticals« an, also eine Mischung aus Kosmetika und Pharmazeutika. Ähnlich wie im Produktdesign hat hier eine
Innovationsspirale eingesetzt, die die Hersteller dazu zwingt, permanent
neue Kompositionen auf den Markt zu bringen und diese mit immer
neuen, noch stärkeren Wirkstoffen zu versetzen. Was wir auf den Cremeverpackungen im Kosmetikregal eines Kaufhauses lesen können, klingt
heute wie die Zutatenliste eines Chemiebaukastens für Fortgeschrittene:
Die Palette reicht von Hyaluronsäure über Koffein bis hin zu Retinol oder
Polyphenolen. Und wo eine Creme ein »5-Minuten-Facelift« verspricht,
schließt sich auch der Kreis von der Kosmetik zur plastischen Chirurgie
wieder. Beide gehören heute zum Alltag des homo aestheticus, des Idealbürgers der Designgesellschaft.
Dass Design unser Bewusstsein für die natürlichen Grenzen des Körpers
immer weiter verschiebt, zeigt sich auch im Sport. Zu einem einprägsamen Bild verdichtete sich dies bei der Eröffnungsfeier der Olympischen
Spiele in Peking 2008. Schon dass dabei eine allzu hässliche Sängerin
durch ein hübscheres, stupsnasiges Mädchen als Double ersetzt wurde,
offenbart, mit welcher Obsessivität hier die Vermengung von Sport und
Ästhetik betrieben wurde. Noch symptomatischer aber waren die Kernszenen der Veranstaltung, in denen Tausende von Chinesen wechselnde
Formationen bildeten. Jede dieser Personen war mit einem Leuchtmittel
versehen, das per Computer angesteuert werden konnte. Auf diese Weise
konnte man mit den Lichtpunkten, die von den einzelnen Menschen
gebildet wurden, ganze Bilder und Buchstaben auf den Rasen des Olympiastadions zeichnen. Menschen als Pixel, die nach Belieben an- und
ausgeschaltet werden können: Natürlich musste diese Inszenierung jeden
halbwegs sensiblen Betrachter an Militärparaden oder an die Bilder von
Suchstrahlern auf Menschenkörpern erinnern und damit an das, was auf
dem Platz des Himmlischen Friedens geschehen war. Doch auch für die
Situation des heutigen Sports bildet diese Inszenierung eine treffende
Metapher.
Im Zuge ihrer technischen Aufrüstung werden viele Sportdiszi­
plinen mehr und mehr zu Materialschlachten und zum Wettstreit von
Forschungslaboren, ohne deren Innovationen Rekorde kaum noch
zu erzielen sind. Übersät von Logos, wirken viele Sportler heute nicht
mehr wie Individuen im Wettkampf, sondern wie Kunstfiguren mit
passenden Benutzeroberflächen, deren komplette Durchleuchtung mit
Leistungssonden und On-Board-Kameras immer stärker virtuelle Züge
trägt. Wie weit sich das Interesse dabei von den sportlichen Leistungen
auf die Werbewirksamkeit eines Sportlers verschiebt, zeigte sich, als der
Golfstar Tiger Woods 2009 mit seinen außerehelichen Affären Schlagzeilen machte. Von etwaigen sportlichen Folgen war dabei weniger die
Rede – doch schnell drangen Untersuchungen der Universität Berkeley
an die Öffentlichkeit, die die Verluste, die Woods Sponsoren durch dessen
Fehlverhalten erlitten hatten, auf 5 bis 12 Milliarden Dollar taxierten. 36
Zwei andere bekannte Beispiele dafür, wie das Design den Sport überholt,
sind David Beckham und Boris Becker. Beide versuchen fast zwanghaft,
sich als geläuterte, stilsichere Gentlemen der Sportwelt zu inszenieren,
während ihre sportliche Karriere längst durch ihre Bedeutung als Werbeikonen in den Schatten gestellt worden ist.
Mit ihrem Verhalten setzen Einzelphänomene wie Woods, Becker
oder Beckham nur das fort, was im Sport insgesamt zu beobachten ist:
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Doping und DesignerDrogen

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