schmerztherapie - Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin eV
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SCHMERZTHERAPIE Deutsche Gesellschaft für Schmerztherapie e. V. – DGS 21. Jahrgang 2005 Sonderheft 2005 Ehemals StK Inhalt Editorial Individualität ................................. 2 Zukunft der Schmerztherapie Im Fokus: individuelle Behandlungsziele ...................................... 3 Pharmakotherapie Das Ende des WHO-Stufenschemas? ..................................... 6 Diagnostik und Dokumentation Der Deutsche Schmerzfragebogen 8 Aktuell Global Day against Pain 2005 .... 11 Psychotherapie Individualisierte Psychotherapie oder evidenzbasierte Interventionen? ........................................ 12 Arzneimittelsicherheit Online-Dokusystem für Schmerztherapeuten mit Weitblick und Mehrwert .....................................14 Gesundheitspolitik Integrierte Versorgungsmodelle in der Schmerztherapie – wichtiger denn je! ........................18 Abrechnung Sechs Monate auf Bewährung: EBM 2000plus ............................ 20 Interventionelle Schmerztherapie ISIS-Guidelines ........................... 22 Der Schmerzfall aus der Klinik Schmerzen nach Wirbelsäulenoperationen ................................. 25 Bücherecke Das neue Grundlagenbuch der DGS ............................................ 26 Kasuistik Pseudoradikuläre Rückenschmerzen .................................. 27 Neue Werte in der Schmerztherapie: Individualität www.dgschmerztherapie.de ISSN 1613-9968 Editorial Individualität Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Ausgabe SCHMERZTHERAPIE setzt sich besonders mit Individualität auseinander. A lle Menschen sind gleich“ ist eins der wesentlichen Credos unserer Gesellschaft. Diese Gleichheit führt dazu, dass alle Patienten nach gleichen Kriterien und Leitlinien behandelt werden sollen, dass bei vergleichbarer Erkrankung auch die gleichen Therapiemaßnahmen standardisiert helfen sollen. Die tägliche Erfahrung zeigt aber, dass Menschen nicht alle gleich sind, sie haben unterschiedliche Wünsche, Bedürfnisse, Ziele und Hoffnungen, unterschiedliche Geschichten und Erfahrungen, unterschiedliche Beziehungen, kurz all das, was wir unter Individualität zusammenfassen. Schmerzen messen Die Erfassung der Schmerzintensität wie auch der Zielvorstellung wird nur durch aktive Mitarbeit des Patienten möglich. Anders als bei der Messung von biologi- 2 Haderer Therapieziel Schmerzfreiheit? Das von allen Ärzten angenommene Therapieziel der Schmerztherapie war immer vollständige Schmerzfreiheit. Dieses Ziel ist bei akuten Schmerzen, die als hilfreicher Warner darauf hinweisen, dass ein Organ oder Gewebe gestört ist, durchaus richtig und sinnvoll. Wenn die Störung beseitigt ist, muss der Schmerz auch verschwunden sein. Ganz anderes gilt beim chronischen Schmerz. Die Annahme, Patienten mit chronischen Schmerzen hätten als Behandlungsziel „kein Schmerz“, wurde in einer großen Untersuchung eindeutig widerlegt. Bei mehr als 5100 Patienten zeigte sich, dass die Mehrheit dieser Patienten ein Erträglichkeitsniveau bei Schmerzen angibt, das häufig über 0 liegt. Nur 10% der Patienten stellen sich vollständige Schmerzfreiheit als Behandlungsziel vor. Für alle anderen ist eine Schmerzreduktion auf ein erträgliches Niveau entscheidend, wobei das erträgliche Niveau von jedem einzelnen Menschen unterschiedlich definiert wird. Schmerzempfinden und Schmerzerträglichkeit sind so individuell wie die Menschen selbst. schen Werten wie dem Blutdruck und dem Blutzuckerspiegel, bei denen sowohl die aktuellen Messgrößen ohne Mitwirkung des Patienten erfasst werden können wie auch die Gerhard MüllerZielgrößen bekannt Schwefe, Göppingen sind, erfordert sowohl das Erfassen der aktuellen Schmerzintensität als auch die Definition und Vereinbarung einer Zielvorstellung die aktive Mitarbeit des Patienten. Mithilfe einfacher Skalen wie der visuellen Analogskala, einer 10 cm langen Skala, die von 0 bis 100 (0 kein Schmerz bis 100 stärkster vorstellbarer Schmerz) reicht, lassen sich diese Größen in der täglichen Arbeit einfach ermitteln. Was ist klinisch relevante und signifikante Schmerzreduktion? Eine neue Untersuchung zeigt: Nur wenn Ärzte die Schmerzintensität richtig einschätzen, wird das Behandlungsziel erreicht. Die korrekte Einschätzung der Schmerzintensität des Patienten durch den Arzt ist entscheidend für den Therapieerfolg. In einer Studie mit über 400 Rückenschmerzpatienten schätzten lediglich 19,4% der Ärzte die Schmerzen ihrer Patienten korrekt ein. In dieser Patientengruppe war allerdings die Ansprechrate auf die Behandlung 93%. Im Gegensatz hierzu sind die Behandlungsergebnisse schlechter sowohl wenn Ärzte die Schmerzen ihrer Patienten überschätzen als auch wenn sie diese unterschätzen. Auch die Ansicht, dass starke Schmerzen immer als 50 oder mehr auf der 100-Punkte visuellen Analogskala der Schmerzintensität angegeben werden, ist völlig irrig, wie Michael Überall und ich zeigen konnten. Kein Schmerz war in einer Untersuchung von Patienten mit 0 bis 16 Punkten auf der visuellen Analogskala verbunden, mäßiger Schmerz von 9 bis 75 und extrem starker Schmerz von 26 bis zu 100. Was sind gute Ergebnisse? All diese Daten zeigen, dass die bisher gültigen Messgrößen für Schmerzintensität und Schmerztherapie zwar dem Definitionsbedürfnis der Forscher und Ärzte entgegenkommen, mit dem wirklichen Leben der Schmerzpatienten aber nichts zu tun haben. Die Wissenschaft definiert starke Schmerzen gemeinhin als 50 und mehr auf der visuellen Analogskala. Gute relevante Schmerzreduktion wird als 30%ige Schmerzreduktion bzw. 50%ige Schmerzreduktion auf der visuellen Analogskala bewertet. In einer Studie mit mehr als 5100 Patienten konnten Michael Überall und ich nachweisen, dass eine 50%ige Schmerzreduktion für lediglich 17,5% der Patienten das Erreichen des individuellen Behandlungsziels (IBZ) bedeutet. Mehr als 82% sind mit diesem angeblich signifikanten und guten Ergebnis nicht zufrieden. Nur das Treffen des individuellen Behandlungsziels des einzelnen Patienten gewährleistet eine effektive Schmerztherapie. Deutscher Schmerzfragebogen Ein wesentliches Instrument der Kommunikation wie auch der adäquaten und individuellen Beurteilung der Situation eines Patienten ist der Deutsche Schmerzfragebogen. Dieser hilft nicht nur Patienten besser zu verstehen und Kommunikation zu verbessern, sondern er schützt auch vor allfälligen Regressen wegen zu teurer Medikation oder zu aufwändiger Behandlung, da hier die entsprechende Behandlungsnotwendigkeit vom Patienten selbst dokumentiert und nachgewiesen wird. Wie wichtig solche Dokumentation sein kann, zeigt Thomas Nolte unter anderem in seinem Beitrag „Das Ende des WHO-Stufenschemas?“ auf. Schmerztherapeutisch tätige Ärzte werden hier von einem Institut der AOK und Ersatzkassen auf der Grundlage ihrer Verordnungsanalyse zur Rede gestellt, eingeschüchtert und sollen zu unsinnigen Therapieschemata gedrängt werden. Auch das In-Frage-Stellen eines etablierten Schemas wie des WHONicht nur beim Fernsehen benötigt jeder sein individuelles Stufenschemas zeigt, dass standardiProgramm. SCHMERZTHERAPIE Sonderheft 2005 (21. Jg.) Zukunft der Schmerztherapie sierter Therapie individuelle Therapieansätze vorzuziehen sind, die auf dem Verständnis der Schmerz unterhaltenden Mechanismen beruhen. Individualisierte Psychotherapie Auch Hanne Seemann nimmt in ihrem Beitrag über „Individualisierte Psychotherapie oder evidenzbasierte Interventionen bei Patienten mit chronischen Schmerzen“ (s. Seite 12) standardisierte oder Evidenz basierte Therapien in der Psychologischen Schmerztherapie ins Visier. Elektronisches UAW-Meldesystem Nicht zuletzt in Nebenwirkungen auf Medikamente und Therapien manifestiert sich ebenfalls die Individualität einzelner Menschen. Viel zu selten werden festgestellte Nebenwir- kungen tatsächlich auch dokumentiert und gemeldet, da der Aufwand mit Papierdokumentation und Versand an die Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft umständlich zu handhaben ist. In seinem Beitrag stellt Michael Überall (Seite 14) ein elektronisches UAW-Meldesystem vor, das einfach zu handhaben ist, und das einen wesentlich besseren Überblick über individuelle Wirkung und Nebenwirkung von Substanzen verspricht. stützen und uns gegen den permanenten Versuch einer Normierung nach niedrigsten Standards gemeinsam mit Ihnen wehren. Ich wünsche Ihnen, dass Sie in dieser Ausgabe SCHMERZTHERAPIE viele wichtige Ideen und Instrumente finden, um die individuellen Behandlungsziele Ihrer Patienten zu erreichen und damit auch ein Stück Ihrer eigenen Ziele und Bedürfnisse zu treffen. Ich grüße Sie herzlich Ihr Individuen haben individuelle Behandlungsziele In einer Gesellschaft zunehmender Uniformierung gewinnt es an Bedeutung, individuelle Behandlungsziele der Patienten zu erkennen und ihre Erwartungen zu treffen. Bei dieser Aufgabe werden wir Sie mit aller Kraft unter- Dr. med. Gerhard Müller-Schwefe Präsident Deutsche Gesellschaft für Schmerztherapie. e. V. Im Fokus: individuelle Behandlungsziele Die Berücksichtigung individueller Behandlungsziele (IBZ) ist für die erfolgreiche Therapie chronisch schmerzkranker Menschen essenziell. Ihre Visionen für die Zukunft der Schmerztherapie erläutern Priv.-Doz. Dr. med. Michael A. Überall, Vizepräsident DGS und Regionales Schmerzzentrum DGS–Nürnberg, und Dr. med. Gerhard Müller-Schwefe, Präsident DGS und Regionales Schmerzzentrum DGS – Göppingen. S Überall, Müller-Schwefe chmerz als Sinneserlebnis beinhaltet Schmerz – ein individuelles wie bei anderen Sinnesmodalitäten auch Phänomen Gerhard MüllerMichael A. Überall, Aspekte der Intensität, der Qualität, der Zeit Während der neurophysiologische NozizepSchwefe, Göppingen Nürnberg und des Raumes. Schmerz ist kein „Alles stionsablauf von Nozitransduktion, Nozitransoder nichts“-Phänomen. Quantitativ wird mission und Nozitransformation qualitativ von Schmerz in seiner Intensität abhängig von Individuum zu Individuum erstaunlich konsidentischen nozizeptiven Voraussetzungen den jeweiligen individuellen Erfahrungen und tant ist, weist die Nozitranslation, d.h. das und vergleichbarer struktureller und funktioaktuellen Gegebenheiten unterschiedlich bewusste Erleben von Schmerz, selbst bei neller Ausstattung der hierfür notwendigen wahrgenommen. Qualitativ Strukturen von Patient zu Patiunterliegen seine sensorient erhebliche Unterschiede auf. Schmerzen messen, Ziele vereinbaren, Erwartungen treffen schen und affektiven KompoObwohl dieses Phänomen Empfehlungen zur Wirksamkeitsbeurteilung nenten einer ausgeprägten grundsätzlich unabhängig von Konsequenzen der Zielerreichung intra-, insbesondere jedoch der Ätiologie und der zeitlichen Patienten Patienten Bewertung interindividuell variierenden Dynamik des nozizeptiven Reidie ihr IBZ verfehlt haben die ihr IBZ erreicht haben Wahrnehmung. Gerade der zes ist, komplizieren die adapti10,1 42,9 keine (4) Ausgestaltung der „Bewusstven funktionellen und strukturel31,2 36,7 werdung“ von Schmerzen (die len Regulationsvorgänge der ein wenig (3) sog. Nozitranslation) kommt – Neuroplastizität im Rahmen 38,2 17,7 deutlich (2) als oberste Transfunktion – im chronischer Schmerzen die indistark (1) 9,2 1,8 Prozess der Schmerzwahrviduelle Ausgestaltung der subrelative relative nehmung eine besondere Roljektiven Schmerzwahrnehmung fast völlig (0) 5,1 0,9 Häufigkeit Häufigkeit le zu. Dabei entspricht die erheblich – ein Phänomen, das 0 10 20 30 40 0 10 20 30 40 Nozitranslation gleichsam eizwar in der aktuell gültigen Schmerzbedingte Einschränkung von Tätigkeiten / Bedürfnissen ner Übersetzung zentraler Schmerzdefinition der Task neuronaler Aktivitätsmuster in Force of Taxonomy der InternaAbb. 1: Konsequenzen der Erreichung individueller Behandlungsziele bewusste Empfindung und tional Association for the Study auf die schmerzbedingten Einschränkungen alltäglicher Tätigkeiten und Bedürfnisse. Wahrnehmung. of Pain (IASP) berücksichtigt SCHMERZTHERAPIE Sonderheft 2005 (21. Jg.) 3 Zukunft der Schmerztherapie wurde („Schmerz … eine unangenehme Sinnes- und/oder Gefühlsempfindung, die mit einer akuten oder möglichen Gewebsschädigung einhergeht oder mit Begriffen einer solchen Schädigung beschrieben wird“), welches andererseits jedoch bislang in der modernen Schmerztherapie praktisch keine Rolle spielte. Erwartungen – ein individuelles Phänomen Parallel zur individuellen Wahrnehmung chronischer Schmerzen unterliegen auch die Erwartungen bzw. Zielvorstellungen der Patienten hinsichtlich eines erstrebenswerten/sinnvollen Ergebnisses schmerztherapeutischer Maßnahmen erheblichen interindividuellen Schwankungen. So gaben in einer standardisierten Querschnittsbefragung von 5169 Patienten mit chronischen Schmerzen nur 5,5% als erstrebenswertes Behandlungsziel „absolute Schmerzfreiheit“ an, wohingegen die überwältigende Mehrheit der befragten Patienten eine Schmerzlinderung auf ein für sie persönlich, individuell relevantes Ziel als erstrebenswert angaben. Klinische Relevanz versus statistische Signifikanz Angesichts dieser Daten stellt sich zunächst die Frage, ob derartige individuelle Behandlungsziele für die ärztliche Therapie überhaupt bedeutsam sind. Geht es Patienten mit chronischen Schmerzen, bei denen es gelungen ist, die Schmerzen auf ein von ihnen zuvor festgelegtes Ziel zu reduzieren, wirklich besser als solchen, bei denen die Schmerzlinderung zwar das individuelle Behandlungsziel verfehlt hat, das Ausmaß der Reduktion jedoch – z.B. im Vergleich zur Ausgangssi- Tabelle 1: Demographische Daten und Ausmaß der schmerzbedingten Einschränkungen bei 443 Patienten mit chronischen Rückenschmerzen vor Beginn der Rehabilitationsbehandlung Individuelles Behandlungsziel Erreicht Verfehlt Anzahl Patienten (n) Anteil Frauen (%) Alter in Jahren (MW±SD) Alter über 60 Jahre (%) Erkrankungsdauer über 3 Jahre (%) Chronifizierungsstadium 3 (%) 226 58,4 50,9±11,0 20,8 52,7 69,5 217 46,5 49,6±11,4 20,3 56,2 59,4 Schmerzintensität vor Therapiebeginn (MW±SD; mm VAS) Individuelles Behandlungsziel (MW±SD; mm VAS) 72,4±11,9 34,0±16,3 75,9±12,5 22,5±13,1 Mehrjährige Arbeitsunfähigkeit (%) Arbeitslosigkeit (%) 25,7 16,4 22,1 5,5 Einschränkungen beruflicher/hausfraulicher Tätigkeiten (%) Einschränkungen körperlicher Unternehmungen (%) Einschränkungen geistiger Tätigkeiten (%) Einschränkungen sozialer Aktivitäten (%) Einschränkungen des Appetits (%) Einschränkungen von Lebenslust & Antrieb (%) Einschränkungen der Sexualität (%) 88,1 83,2 60,2 34,2 61,1 32,5 60,6 89,9 83,9 62,2 34,0 63,1 33,1 62,2 SES-Summenscore affektive Items (MW±SD) SES-Summenscore sensorische Items (MW±SD) 16,7±9,9 12,4±6,9 16,2±9,8 13,3±8,0 ADS (MW±SD) 16,6±10,3 15,8±8,1 6,0±2,5 5,8±2,7 5,1±3,0 6,6±2,6 5,3±2,8 5,9±2,7 5,2±2,7 6,6±2,8 3,0±2,5 2,9±2,5 1,8 0,0 Einschränkungen häuslicher & familiärer Aktivitäten (MW±SD) Einschränkungen von Freizeit & Erholung (MW±SD) Einschränkungen sozialer Unternehmungen (MW±SD) Einschränkung von Haus- & Berufsarbeit (MW±SD) Einschränkungen der Selbstständigkeit in Körperpflege & Alltagsverrichtungen (MW±SD) Sehr starke oder starke Schmerzlinderung möglich (%) (Anmerkung: Die Gruppierung der Patienten erfolgte aufgrund der bei Abschluss der Rehabilitationsbehandlung erreichten Schmerzreduktion hinsichtlich eines vor Behandlungsbeginn festgelegten individuellen Behandlungsziels [IBZ]). 4 tuation vor Therapiebeginn – hochsignifikant war? Wir sind dieser Frage im Rahmen einer prospektiven Studie an 443 Patienten mit chronischen Rückenschmerzen nachgegangen, die aufgrund ihrer Beschwerden eine mehrwöchige Rehabilitationsbehandlung erhalten haben – und haben verglichen, welche Konsequenzen bzw. Auswirkungen das Erreichen (n = 226) bzw. das Verfehlen individueller Behandlungsziele (n = 217) für die betroffenen Patienten hatte (s. Tabellen 1 und 2 sowie Abbildung 1–3). Dabei zeigte sich, dass – unabhängig von den zum Einsatz gekommenen medikamentösen wie nicht medikamentösen Behandlungsverfahren – für den Patienten das Erreichen eines von ihm festgelegten individuellen Behandlungsziels mit dramatischen Verbesserungen in allen erfassten Befindlichkeits- und Beschwerdedimensionen einhergeht, wohingegen das Verfehlen selbst vorgegebener Ziele und Erwartungen – trotz zum Teil deutlicher und für die Gruppe statistisch hochsignifikanter Schmerzreduktionen – mit deutlich geringeren Verbesserungen einhergeht. Das erste Problem: Ziel Der Begriff „Ziel“ bezeichnet ethymologisch einen in der Zukunft liegenden, gegenüber dem Gegenwärtigen im Allgemeinen veränderten, erstrebenswerten und angestrebten Zustand. Ein Ziel ist ein definierter und angestrebter Endpunkt eines Prozesses, meist einer menschlichen Handlung, bzw. im vorliegenden Fall der ärztlichen Behandlung. Mit dem Ziel ist der Erfolg eines Projekts (im vorliegenden Fall der Therapie) Arbeit markiert. Dabei erfolgt durch die Festlegung eines Zieles auch eine normative Aussage des Entscheidungsträgers (im vorliegenden Fall des Patienten) über einen zukünftigen Zustand, von dem er annimmt, dass er ihn durch eigenes aktives Handeln beeinflussen kann (und will). Die Frage, ob der Mensch sich vorwiegend selbst Ziele setzt oder ob er mit gleicher Intensität und entsprechendem Engagement auch Ziele verfolgt, die z. B. andere Personen festgelegt haben, war und ist Gegenstand philosophischer Überlegungen. Zusätzlich stellt sich natürlich die Frage, welche Ziele sich der Mensch setzen oder verfolgen soll? Eines der grundlegenden Probleme der Ethik. In der kognitiven Motivationspsychologie wird der Begriff „Ziel“ für zwei verschiedene Sachverhalte verwendet. Erstens kann „Ziel“ einen Zustand bezeichnen, den ein Organismus durch sein Verhalten anstrebt. Zweitens kann „Ziel“ die subjektive Repräsentation ei- SCHMERZTHERAPIE Sonderheft 2005 (21. Jg.) Zukunft der Schmerztherapie Schmerzen messen, Ziele vereinbaren, Erwartungen treffen Empfehlungen zur Wirksamkeitsbeurteilung Konsequenzen der Zielerreichung Bewertung Patienten die ihr IBZ verfehlt haben Patienten die ihr IBZ erreicht haben 9,2 sehr stark (4) 33,2 12,0 stark (3) 37,6 23,0 deutlich (2) Überall, Müller-Schwefe nes solchen Zustands (eigentlich: eine Absicht) bezeichnen. Die Zielpsychologie befasst sich mit den Auswirkungen, welche Merkmale von (subjektiv repräsentierten) individuellen Zielen auf die Leistung und auf das subjektive Wohlbefinden haben und analysiert inhaltstheoretisch, welche Auswirkungen prägnante Zielmerkmale (z. B. fremdgesetzte versus selbstgesetzte Ziele) auf die Zielerreichung haben. ein wenig (1) 18,5 38,0 nein (0) 10,1 0 10 20 8,7 relative Häufigkeit 30 40 relative Häufigkeit 0,0 0 10 20 30 40 Haben Sie das Gefühl auf Ihren Schmerz lindernd Einfluß nehmen zu können? Der Patient notiert mit einem Strich seine subjektiv empfundene Schmerzintensität grafisch, als geometrische Größe auf der VAS, die anschließend in ein nummerisches Korrelat umgewandelt wird. Konsequenterweise fand die Messung der Schmerzintensität unter Verwendung der visuellen Analogskala rasch Eingang in zahlreiche Schmerztagebücher und Schmerzfragebögen, wurden unzählige Versionen an – mehr oder weniger sinnvollen – Hilfsinstrumenten entwickelt, die die Messung der Schmerzintensität noch zusätzlich erleichtern sollen. Das zweite Problem: Abb. 2: Konsequenzen der Erreichung individueller Behandlungsziele auf subjektive Möglichkeiten, Schmerzen lindernd beeinflussen zu Individualität können. Mit dem Begriff „Individualität„ werden im weitesten Sinne Begriffe wie „Einzigartigkeit“ und „Besonderheit“ tienten ein Kontinuum zur Quantifizierung seiassoziiert. Dies hat zur Folge, dass der dabei ner Schmerzen vorgelegt, welches frei von Schmerzen messen! jeweils in Betracht gezogene Gegenstand im sprachlichen Interpretationen jederzeit einfach Heute ist die visuelle Analogskala (VAS) das Gesamten und damit als Gesamtheit betrachanwendbar und kostengünstig einzusetzen ist. zur Messung der aktuellen Schmerzintensität tet, also immer als jeweils Ganzes gesehen werden muss, als einheitliches Ganzes oder kürzer als Einheit. Dieser Ganzheitsaspekt Tabelle 2: Ausmaß der schmerzbedingten Einschränkungen bei 443 Patienten mit wird wörtlich am genauesten durch das chronischen Rückenschmerzen am Ende einer dreiwöchigen Rehabilitationsbehandlung Fremdwort „Individuum“ zum Ausdruck geIndividuelles Behandlungsziel bracht, von dem der Begriff „Individualität“ abgeleitet ist. Individuum bedeutet wörtlich Erreicht Verfehlt „nicht zu Teilendes“, und zwar durchaus im Aktuelle Schmerzintensität (MW±SD; mm VAS) 18,1±14,1 42,1±16,8 vorschreibenden oder vielleicht auch warnenSchmerzintensität halbiert (%) 88,0 49,8 den Sinn. Lebewesen sind beispielsweise Schmerzfrei (%) 34,5 0,5 immer Individuen. Sie beliebig zu teilen wäre Einschränkungen beruflicher/hausfraulicher Tätigkeiten (%) 20,8 47,9 mit ihrer Eigenart, nur insgesamt – im GesamEinschränkungen körperlicher Unternehmungen (%) 19,5 37,8 ten! – am Leben sein und bleiben zu können, Einschränkungen geistiger Tätigkeiten (%) 21,2 26,7 nicht vereinbar; insbesondere würde sie nicht Einschränkungen sozialer Aktivitäten (%) 16,8 30,4 wieder lebendig werden, wenn man die Teile, Einschränkungen des Appetits (%) 20,8 32,3 die man dabei erhalten hätte, wieder zusamEinschränkungen von Lebenslust & Antrieb (%) 15,5 41,5 menfügte. Wegen dieser spezifischen BesonEinschränkungen der Sexualität (%) 33,2 48,8 derheit wird „Individuum“ auch in seiner AdSES-Summenscore affektive Items (MW±SD) 6,1±6,9 6,4±5,6 jektivform „individuell“ praktisch ausschließlich SES-Summenscore sensorische Items (MW±SD) 11,3±9,6 10,2±6,4 auf Lebewesen angewendet. Die Lösung vieler Probleme: das IBZ Die klinische Schmerzmessung ist eine subjektive Schmerzbeurteilung durch den Patienten, die durch individuelle Besonderheiten hinsichtlich Schmerzwahrnehmung und Schmerzerfahrung relativ großen Schwankungsbreiten unterworfen ist. Im klinischen Alltag der praktischen Schmerzbehandlung hat sich für die Erfassung der Schmerzintensität die Verwendung des Instruments der visuellen Analogskala (VAS) – als sog. SingleItem-Verfahren – bewährt. Nur begrenzt durch die individuell in ihrer Bedeutung variierenden Endpunktbeschreibungen „kein Schmerz“ und „maximal vorstellbarer Schmerz“ wird dem Pa- SCHMERZTHERAPIE Sonderheft 2005 (21. Jg.) ADS (MW±SD) Ausmaß der Einschränkungen häuslicher & familiärer Aktivitäten (MW±SD) Ausmaß der Einschränkungen von Freizeit & Erholung (MW±SD) Ausmaß der Einschränkungen sozialer Unternehmungen (MW±SD) Ausmaß der Einschränkungen von Haus- & Berufsarbeit (MW±SD) Ausmaß der Einschränkungen von Selbstständigkeit in Körperpflege & Alltagsverrichtungen (MW±SD) Sehr starke oder starke Schmerzlinderung möglich (%) Vollständige oder sehr starke Schmerzreduktion (%) Wirksamkeitsbeurteilung durch den Arzt (Schulnote, MW±SD) Wirksamkeitsbeurteilung durch den Patienten (Schulnote, MW±SD) 8,0±5,5 9,9±7,4 3,3±1,9 3,2±1,8 2,7±1,8 3,6±2,1 4,0±2,3 3,7±2,2 3,3±2,1 4,6±2,7 1,3±1,5 1,7±1,7 70,8 65,9 21,2 35,1 2,5±1,1 2,2±1,0 2,7±1,1 3,3±1,2 (Anmerkung: Die Gruppierung der Patienten erfolgte aufgrund der bei Abschluss der Rehabilitationsbehandlung erreichten Schmerzreduktion hinsichtlich eines vor Behandlungsbeginn festgelegten individuellen Behandlungsziels [IBZ]). 5 Pharmakotherapie der klinischen Forschung. Scheiterten bisherige Versuche zur Erhebung individualskalierter Deskriptoren Patienten Patienten Bewertung des Behandlungszieles am die ihr IBZ verfehlt haben die ihr IBZ erreicht haben hohen zeitlichen Aufwand 2,0 20,0 normalisiert (4) und der fehlenden Möglichstark keit zum interindividuellen 22,0 36,7 verbessert (3) mäßig Vergleich (wie z.B. im Falle 45,0 20,1 verbessert (2) der individuell skalierten leicht 15,7 12,0 verbessert (1) Schmerzdeskriptoren nach relative relative Scholz [10]), bzw. an ihrer keine Änderung (0) 12,4 2,5 Häufigkeit Häufigkeit Ziele vereinbaren! geringen Sensitivität und 0 10 20 30 40 0 10 20 30 40 Durch Fragen nach einem „erträglider starken Abhängigkeit Änderung der Arbeitsfähigkeit unter Therapie chen Maß der Schmerzen“, „dem von sprachlichen Faktoren erstrebenswerten Behandlungsziel“ (wie z.B. im Falle des geraAbb. 3: Konsequenzen der Erreichung individueller Behandlungsziele bzw. der „Schmerzintensität, mit der de in angloamerikanischen auf die Arbeitsfähigkeit betroffener Patienten mit chronischen Rüsich leben lassen könnte“, eröffnet Ländern beliebten Pain ckenschmerzen. das Arzt-Patient-Gespräch gerade Relief Scores (PAR), einer bei chronischen Schmerzpatienten nicht nur gangswertes vor Behandlungsbeginn) als nominalskalierten Reihe von verschiedenen neue Perspektiven auf realistische BehandResponderkriterium wählen. Die Zukunft wird Begriffen zur Quantifizierung der Schmerzrelungsziele, sondern ermöglicht auch die Forzeigen, ob die gegenwärtig zu beobachtende duktion, die von „keine“, über „gering“, „mämulierung konkreter und konkretisierbarer Tendenz zur Selektion immer abstrakterer Beßig“ und „stark“ bis „vollständig“ reichen), so Zielvereinbarungen für einen virtuellen Behandlungsziele im Rahmen kontrollierter kliniermöglicht der mittels einer konventionellen handlungsvertrag, deren Realisierung von scher Studien (z. B. 30% Schmerzreduktion) visuellen Analogskala erhobene Wert des inbeiden Seiten (Arzt wie Patient) jederzeit rafür die praktische Behandlung der Patienten dividuellen Behandlungszieles (IBZ) auch im tional überprüft werden kann. nennenswerte Konsequenzen haben wird. Rahmen kontrollierter klinischer Studien die Wäre alleine schon das Gespräch um die Definition neuer – nicht nur statistisch, sonErwartungen treffen? Problematik divergierender Zielvorstellungen dern auch praktisch relevanter – Endpunkte. Über die (positiven!) motivationspsychologizwischen betreuendem Arzt und SchmerzUnter Umständen ließen sich durch die Erschen Auswirkungen der gemeinsamen Bepatient hinsichtlich des Ausmaßes einer hebung dieses Parameters auch die zum Teil strebungen von Arzt und Patient zur Erreisinnvollen Schmerzlinderung Anlass genug, beträchtlichen Differenzen zwischen den in chung eines individuellen Behandlungsziels das Instrument der individuellen Schmerzrekontrollierten klinischen Studien berichteten hinaus stellt das Konzept des individuellen duktion in den praktischen Behandlungsalltag großartigen Behandlungserfolgen und den Behandlungsziels jedoch auch die bislang einzuführen, so ergeben sich durch den Vermitunter zum Teil ernüchternden Ergebnissen gängige Praxis der Beurteilung neuer medikagleich mit dem in klinischen Studien bevorzugt im praktischen Alltag erklären. mentöser Therapieverfahren infrage – welche eingesetzten Parameter des standardisierten meist ein standardisiertes Behandlungsziel Behandlungszieles SBZ50 auch neue OptioMichael Überall, Nürnberg (z. B. die Schmerzreduktion auf 50% des Ausnen für den Einsatz dieses Instrumentes in Gerhard Müller-Schwefe, Göppingen Schmerzen messen, Ziele vereinbaren, Erwartungen treffen Empfehlungen zur Wirksamkeitsbeurteilung Konsequenzen der Zielerreichung Überall, Müller-Schwefe (ASI) am besten untersuchte Instrument überhaupt. Trotz ihres Alters eröffnet die VAS – durch die Möglichkeit zur Erfassung des individuellen Behandlungszieles (IBZ) und die hieraus resultierende Festlegung klinisch relevanter Therapieziele – neue Perspektiven für eine individuell angepasste, bedarfsangepasste und patientengerechte Schmerztherapie. Das Ende des WHO-Stufenschemas? In den letzten Jahren wird von den führenden Fachgesellschaften mehr und mehr die Sinnhaftigkeit der Stufentherapie nach dem WHO-Stufenschema von 1986 diskutiert. Kritisiert wird insbesondere, dass viele Patienten zu lange mit Medikamenten der Stufe I, den Nichtopioidanalgetika, behandelt werden, obwohl diese entweder aufgrund ihrer zahlreichen Nebenwirkungen für den Patienten nachteilig sind oder aber ihre Wirksamkeit aufgrund ihrer eingeschränkten analgetischen Potenz zu einer Untertherapie mit dem Risiko einer ungebremsten Chronifizierung beiträgt. Neue Gefahren der Untertherapie drohen durch scheinbar kostengünstige Ratschläge von pharmPRO, die Dr. med. Thomas Nolte, Vizepräsident und Leiter des Schmerz- und Palliativzentrums Wiesbaden, kritisiert. 6 V on besonderer Tragweite ist jedoch die Tatsache, dass gerade die Nebenwirkungen der Untergruppe der NSAR für zahlreiche schwer wiegende bis fatale Nebenwirkungen verantwortlich sind. Dies betrifft insbesondere multimorbide ältere Patienten, die durch ihre eingeschränkten Organreserven besonders häufig von unerwünschten Arzneimittelwirkungen betroffen sind. Dies belegen auch Untersuchungen aus dem Forschungsvorhaben „Arzneimittelrisikoerfassung“ der Universitäten Dresden, Jena und Rostock (http:// www.med.uni-jena.de/ikph/Projekte/uaw/uaw. htm), die als multizentrisches Projekt die „Er- SCHMERZTHERAPIE Sonderheft 2005 (21. Jg.) Pharmakotherapie fassung und Bewertung von unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW), die zu Krankenhausaufnahmen führen“ zum Ziel hat. Dabei gehören NSAR-bedingte Nebenwirkungen (ASS, Diclofenac, Ibuprofen) zu den häufigsten Ursachen von nebenwirkungsbedingten ungeplanten Krankenhausaufenthalten mit häufig fatalen Konsequenzen für die Betroffenen. Analgesie erreichbar sein, wäre nach diesen Empfehlungen eine sofortige und frühzeitige Umstellung auf stark wirksame Opioide indiziert. Argumentiert wird damit, dass entweder aus Gründen der Arzneimittelsicherheit (Tramadol) oder wegen unzureichender Datenlage (Tilidin, Naloxon) der Einsatz dieser mittelstark wirkenden Opioide nicht empfohlen werden kann. Diese Erkenntnisse werden vermittelt in Anschreiben an Kolleginnen und Kollegen in Rheinland-Pfalz, denen im gleichen Atemzug ihre Verordnungskosten von Opioiden derselben Stufe II mitgeteilt werden. Aus dieser Verknüpfung wird deutlich, welche Intentionen sich hinter diesen eher taktischen „start low – go slow“ therapiert werden sollten, selbst bei niedrigster Einstiegsdosis, oft zu hoch gegriffen. Therapieversager wegen opioid-typischer Nebenwirkungen werden auf diese Weise deutlich zunehmen, die Vorurteilsbildung gegenüber stark wirkenden Opioide wird weiter neue Nahrung bekommen. Die Sparwut der Krankenkassen, unterstützt durch die pseudowissenschaftliche Argumentationshilfe eines krankenkassenabhängigen Instituts, illustriert einmal mehr den Irrsinn unseres sektoralisierten Gesundheitswesens. Hier werden Ziele der Kosteneinsparung mit pseudowissenschaftlichen Desinformationen zur massiven Beeinflussung des Verschreibungsverhaltens missbraucht. Schützenhilfe durch pharmPRO Besonders unerwartet haben jetzt die führenden Schmerz-Fachgesellschaften, die auf diese Risiken seit langem hinweisen, Schützenhilfe in ihrer Argumentation gegen das sture Einhalten des WHO-Stufenschemas vom Institut pharmPRO erhalten. Dieses Institut Hohe Folgekosten Modifiziertes pharmPRO erstellt eine daDie Auswirkungen sind WHO-Stufenschema bei chronischen Schmerzen tengestützte Analyse der ganz klar: MedikamenWunsch ambulanten ärztlichen Vertenkosten eingespart, ordnungen, die dann mit der Patient mit unzureiKoanalgetika einem kompetenten Berachend behandelten tungsapotheker der AOK Schmerzen mit hohem und gegebenenfalls zuNebenwirkungsrisiko + sätzlich mit einem Pharmableibt dabei auf der Stufe 1/2/3 als Rescue kotherapieberater der KasStrecke, frei nach dem senärztlichen Vereinigung Motto „Kosten sparen (KV) analysiert und diskuum jeden Preis!“. tiert werden. Die Folgekosten Stufe 2 Stufe 3 Opioide Zitat Deutsches Ärzteunzureichend behanblatt 102, Ausgabe 20 vom delter Schmerzen so20.05.2005, Seite [16]: „ wie die zwangsläufig Diese Pharmakotherapie- Abb. 1: So könnte die pharmakologische Schmerztherapie der Zukunft aussehen. entstehenden Mehrberatung soll den Arzt auf behandlungen, häufig der Basis der durch die Verordnungsanalyse als medizinisch-wissenschaftlich haltbaren eben auch in stationären Einrichtungen, wie erlangten Transparenz bei einer rationalen, Manövern verbirgt. Indem dem Adressaten die bereits zitierte Studie belegt, fallen nicht qualitativ hochwertigen und wirtschaftlichen vermittelt wird, dass sein Verordnungsverhalins Gewicht, da sie ja einem anderen BudArzneimitteltherapie unterstützen. Gleichzeiten im Bereich der Opioide der Stufe II nicht get zugeordnet werden. Diese politisch motig können während einer Beratung leistungswissenschaftlich begründet ist und er darüber tivierten Entscheidungen reihen sich in den rechtliche Änderungen und andere Themen hinaus Kosten in wahrscheinlich nicht unerAbbau, ja die Zerschlagung differenzierter im Zusammenspiel zwischen Ärzten und heblicher Größenordnung verursacht hat, Therapiestrategien und VersorgungsmöglichKrankenkassen diskutiert werden. Die intensoll hier über die Strategie der Verunsichekeiten in der Schmerztherapie ein. Wir sollten sive präventive Beratung kann auch helfen, rung und des vorauseilenden Gehorsams das uns nicht noch mehr daran gewöhnen! spätere Auseinandersetzungen, zum Beispiel Verordnungsverhalten angstgesteuert beeinwegen der Verschreibungsfähigkeit bestimmflusst werden. E-Mail: [email protected] ter Arzneimittel oder der Überschreitung von www.schmerzzentrum-wiesbaden.de Richtgrößen, zu verhindern.“ Cave Untertherapie Dieses „unabhängige wissenschaftliche“ Bei der geringen Verbreitung von BTM-RezepInstitut veröffentlichte im Juli dieses Jahres ten in der hausärztlichen Versorgung sind die in Abstimmung mit dem Bundesverband der Konsequenzen fatal: Noch mehr und länger AOK wie auch dem VdAK eine Kosten-NutUntertherapie auf der Stufe I nach WHO, da zen-Nebenwirkungs-Analyse, die zu dem selbst den weniger erfahrenen schmerztheraErgebnis kommt, dass die Opioide der Stufe peutisch tätigen Ärzten klar ist, dass ParacetII nach WHO, und hier insbesondere die reamol-Codein, zumal in der unretardierten tardierten Opioide, gänzlich entbehrlich seiDarreichungsform, einen Rückfall in die en. Empfohlen wird bei der Behandlung von schmerztherapeutische Steinzeit bedeutet. Dr. med. Thomas Nolte, Wiesbaden mittelschweren chronischen Schmerzen ein Außerdem ist der Sprung von der Stufe I auf Behandlungsversuch mit Paracetamol-Codie Stufe III nach WHO-Stufenschema gerade dein initial. Sollte hierbei keine ausreichende für ältere Patienten, die eher nach dem Motto SCHMERZTHERAPIE Sonderheft 2005 (21. Jg.) 7 Diagnostik und Dokumentation Der Deutsche Schmerz-Fragebogen – die Zukunft der Behandlungsdokumentation D ie Betreuung chronisch schmerzkranker Menschen stellt deutlich höhere Anforderungen an Dokumentation und Datenverwaltung als die Behandlung von Patienten mit akuten Schmerzen, bei denen häufig die Angabe von Grund- und Begleiterkrankungen sowie die entsprechenden Kodierungen bzw. Dokumentationen unter Verwendung internationaler Krankheitsschlüssel (z.B. ICD-10) genügt. Chronische Schmerzen mit all ihren Besonderheiten und ihren zahlreichen, in vielen Fällen meist unbekannten pathophysiologischen Veränderungen als eigenständiges Problemfeld anzuerkennen und Betroffene adäquat behandeln zu können, erfordert nicht nur im artifiziellen Umfeld klinischer Studien oder spezieller Laborversuche umfangreiche Dokumentationen, sondern auch – und insbesondere – im praktischen Alltag. Die Qualitätssicherungsvereinbarung fordert: dokumentieren, dokumentieren, dokumentieren … Entsprechend der Qualitätssicherungsvereinbarung zur schmerztherapeutischen Versorgung chronisch schmerzkranker Patienten gem. § 135 Abs. 2 SGB V kann und darf die Betreuung Betroffener „nur von solchen Ärzten gewährleistet werden, die über eine besondere Qualifikation verfügen und bestimmte organisatorische Vorgaben erfüllen“. Dabei ist der an der Qualitätssicherungsvereinbarung teilnehmende Arzt nicht nur verpflichtet, chronisch schmerzkranke Patienten umfassend menschlich und ärztlich zu versorgen, sondern er hat auch für eine umfassende Dokumentation der Befunde seiner Patienten, deren individuelle Besonderheiten, die von ihm getroffenen Behandlungsmaßnahmen und deren Auswirkungen Sorge zu tragen. Abschnitt C (Anforderungen an den schmerztherapeutisch tätigen Arzt), § 5 (Schmerztherapeutische Versorgung), Absatz 1 der Qualitätssicherungsvereinbarung definiert dabei klar die Aufgaben und Pflichten des 8 schmerztherapeutisch tätigen Arztes. Danach umfasst die schmerztherapeutische Versorgung insbesondere • die Erhebung einer standardisierten Anamnese einschließlich Auswertung von Fremdbefunden, • die Durchführung einer Schmerzanalyse • die differenzialdiagnostische Abklärung der Schmerzkrankheit, • die Aufstellung eines inhaltlich und zeitlich gestuften Therapieplans unter Berücksichtigung des ermittelten Chronifizierungsstadiums, • eine eingehende Beratung des Patienten • die gemeinsame Festlegung der Therapieziele, • die Vermittlung bio-psycho-sozialer Zusammenhänge und geeigneter Schmerzbewältigungsstrategien, • den indikationsbezogenen Einsatz schmerztherapeutischer Behandlungsverfahren. Die für den einzelnen Behandlungsfall erforderlichen individuellen Dokumentationsverpflichtungen werden in Abschnitt C, §7 (Dokumentation) Absatz 1 und 2 erläutert. Demnach müssen für jeden Behandlungsfall die folgenden Angaben, einschließlich Schmerzanamnese und Behandlungsverlauf, standardisiert (d.h. unter Verwendung entsprechender Dokumentationsinstrumente) dokumentiert werden und (entsprechend Absatz 2) auf Verlangen der Kassenärztlichen Vereinigung (oder alternativen) Organisationen vorgelegt werden können: • Art, Schwere und Ursache der zugrunde liegenden Erkrankung und der bestehenden Komorbiditäten, • Zeitdauer des Schmerzleidens mit Angabe des Chronifizierungsstadiums, • psychosomatische bzw. psychopathologische Auswirkungen, • der (bisherige und aktuelle) Behandlungsverlauf, • (bisherige und aktuell eingeleitete) therapeutische Maßnahmen, • Kontrolle des Verlaufes entsprechend standardisierter Verfahren. Mit derart umfangreichen Anforderungen an Datenerhebung und Dokumentation setzt die Qualitätssicherungsvereinbarung ein eindeutiges Zeichen und macht damit deutlich, dass eine zielführende Behandlung chronisch schmerzkranker Menschen weder ohne ausführliche Evaluation der bio-psycho-sozialen Rahmenbedingungen noch ohne entsprechende Dokumentationen des therapeutischen Konzeptes und dessen Umsetzung sinnvoll ist. Endlich: gemeinsamer deutscher Schmerz-Fragebogen Umgekehrt müssen derartige Dokumentationsanforderungen jedoch auch in praktikabler und praxisnaher Weise in den täglichen Ablauf einer schmerztherapeutischen Einrichtung integriert werden, um einerseits ihre Nutzung zu erleichtern und andererseits ihren besonderen Stellenwert als essenzielles Managementtool für die Betreuung chronisch kranker Menschen zu unterstützen. Aus diesem Grund haben die beiden großen deutschen schmerztherapeutischen Fachgesellschaften – die Deutsche Gesellschaft für Schmerztherapie (DGS) und die Deutsche Gesellschaft zum Studium des Schmerzes (DGSS) – beschlossen, einen einheitlichen Deutschen Schmerz-Fragebogen zu konzipieren. DGS/DGSS Ab 1. November 2005 haben die beiden großen Schmerzgesellschaften, die Deutsche Gesellschaft für Schmerztherapie (DGS) und die Deutsche Gesellschaft zum Studium des Schmerzes (DGSS), einen gemeinsamen Deutschen Schmerz-Fragebogen. Über dessen Inhalte und welche Vorteile diese praxisnahe Behandlungsdokumentation für Arzt und Patient bietet, informiert Priv.-Doz. Dr. med. Michael A. Überall, Vizepräsident DGS und Leiter des regionalen Schmerzzentrums DGS – Nürnberg. Abb. 1: Startseite Deutscher Schmerz-Fragebogen. SCHMERZTHERAPIE Sonderheft 2005 (21. Jg.) Abb. 2: Fragen zum Schmerz. Ausgangspunkt der gemeinsamen Zusammenarbeit waren die umfangreichen Erfahrungen beider Fachgesellschaften mit entsprechenden Projekten, sodass die Mitglieder der zu diesem Zweck gegründeten Arbeitsgruppe (vonseiten der DGS Dr. med. Gerhard Müller-Schwefe, Dr. med. Oliver Emrich und Frau Dipl. Psych. Hanne Seemann sowie vonseiten der DGSS Prof. Dr. med. Michael Zenz, Priv-Doz. Dr. med. Dipl.-Psych. Michael Pfingsten und Dr. med. Bernhard Nagel) sich rasch auf die Inhalte eines gemeinsamen Deutschen Schmerz-Fragebogens einigen konnten und anschließend dessen Umsetzung für die Mitglieder der jeweiligen Fachgesellschaften vorantrieben. Als Ergebnis dieser Arbeit hat die Deutsche Gesellschaft für Schmerztherapie (DGS) am 30. Oktober 2005 auf ihrer außerordentlichen Mitgliederversammlung in Frankfurt/M. den Deutschen Schmerz-Fragebogen erstmalig öffentlich vorgestellt und angekündigt, diesen ab dem 1. November 2005 allen interessierten und schmerztherapeutisch tätigen Institutionen zur Verfügung zu stellen (Abb. 1–4). Ziel des von der DGS herausgegebenen Instruments des Deutschen Schmerz-Fragebogens und seiner vier Hauptkomponenten (Schmerz-Fragebogen, Schmerz-Tagebuch, Zwischendokumentation und Veranlasste Maßnahmen) ist es nicht, nur die organisatorischen Abläufe bei der Schmerzdiagnostik und -behandlung sowohl innerhalb einer Einrichtung als auch bei Überweisungen zu an- SCHMERZTHERAPIE Sonderheft 2005 (21. Jg.) deren Fachdisziplinen oder für die Fallbesprechung im Rahmen einer interdisziplinären Schmerzkonferenz zu erleichtern, sondern auch – durch die Integration zahlreicher Instrumente zur medizinischen und psychologischen Evaluation – das ganze Ausmaß der Betroffenheit chronisch schmerzkranker Menschen zu erfassen und bei der konzeptionellen Umsetzung neuer Therapiemaßnahmen zu berücksichtigen. Gerade dem letzten Aspekt kommt dabei aktuell angesichts der allerorts drohenden Budgetkürzungen eine besondere Bedeutung zu, bieten doch derartige Dokumentationsinstrumente eine optimale Möglichkeit zum Nachweis der Sinnhaftigkeit und Wirksamkeit getroffener Therapieentscheidungen und liefern gegebenenfalls umfangreiches Datenmaterial für die Argumentation mit Leistungserstattern, Behörden und Ämtern. Klassisches Paper-PencilInstrument Die primäre Ausgestaltung des Deutschen Schmerz-Fragebogens als klassisches „PaperPencil“-Instrument kommt insbesondere den Bedürfnissen der Patienten und den spezifischen Anforderungen des ärztlichen Gesprächs entgegen, bei dem der Patient und seine Beschwerden im Zentrum des ärztlichen Interesses stehen sollten und nicht die elektronische Patientenakte. Unter Nutzung des Deutschen Schmerz-Fragebogens wird nicht nur der Verlauf des ärztlichen Gesprächs operationalisiert, sondern auch dessen Horizont erweitert. Unklarheiten in der Dokumentation können im Gespräch geklärt und standardisiert dokumentiert werden. Vom Papier in die Datenbank – ein Job für die Profis von der GAF Durch die Optimierung seiner Ausgestaltung für Optical-Character-Recognition-(OCR)Verfahren eröffnet der Deutsche SchmerzFragebogen auch neue Perspektiven für die elektronische Datendokumentation und Verwaltung bei der Betreuung chronisch schmerzkranker Patienten. So können die vom Patienten unter Verwendung des Deutschen Schmerz-Fragebogens – oder auch der ergänzenden Instrumente – notierten Angaben und Informationen unter Nutzung spezieller Duplex-Scanner entweder direkt in der Praxis oder durch Nutzung eines speziellen Dienstleistungsangebots der Gesellschaft für Algesiologische Fortbildung digitalisiert wer- Eine Win-Win-Konstellation für Patient und Arzt Durch die Ausgestaltung als Selbstauskunftsbogen werden die meisten Komponenten des Deutschen Schmerz-Fragebogens (d. h. der Schmerz-Fragebogen, das Schmerz-Tagebuch und die Zwischendokumentation) von Betroffenen selbst ausgefüllt und dienen in der ärztlichen Praxis zunächst der Unterstützung des Arzt-Patienten-Gesprächs. Durch die umfangreichen Instrumente des Deutschen Schmerz-Fragebogens erhält der Therapeut einen intensiven Ein- und Überblick über die individuellen Besonderheiten des jeweiligen Patienten. Wesentliche Bestandteile des Deutschen Schmerz-Fragebogens sind Fragen zur Schmerzvorgeschichte, zur aktuellen Schmerzsituation, zum Stadium der Chronifizierung, zu Begleiterkrankungen, zu aktuellen und früheren Therapien, zur Biografie, zum sozialen Status, zu Stimmung, Affekt und Lebensqualität. Dabei erlaubt die Einbeziehung standardisierter Testverfahren für jeden Patienten die Erstellung eines individuellen Chronifizierungsprofils, anhand dessen kritische Konstellationen (z.B. bzgl. Depressivität oder Angst) bei der Erstvorstellung ebenso rasch erfasst werden können, wie sie später im Behandlungsverlauf beobachtet werden können. Abb. 3: Körperschema. DGS/DGSS DGS/DGSS Diagnostik und Dokumentation 9 Diagnostik und Dokumentation DGS/DGSS den und stehen dann in elektronischer Form nicht nur als 1:1-Kopie des Original-Fragebogens, sondern auch als Datenbank für umfangreiche Auswertungen, Verlaufsanalysen, Befund-/Gutachtenerstellungen, etc. zur Verfügung, deren Inhalte um die mit jeder neuen Vorstellung zusätzlich erhobenen Angaben ergänzt werden können. Abb. 4: Bisherige Schmerztherapie/Lebensbereiche. Kaum Kosten, kein Aufwand und dennoch großer Nutzen Aufgrund der fehlenden Anschaffungskosten für teure Praxishardware wie auch der fehlenden Arbeitsbelastung des Praxispersonals durch das mitunter technisch aufwendige Scannen und Bearbeiten der Patientenangaben bietet insbesondere letztgenannte Version des Deutschen Schmerz-Fragebogens der DGS für den Kosten-Nutzen-orientiert arbeitenden Schmerztherapeuten erhebliche Vorteile. So vereint das DGS-Modell doch durch sein Konzept in einmaliger Weise Praktikabilität im Praxisalltag mit höchsten Ansprüchen an Qualitätssicherung und Dokumentation. Umgekehrt entfallen finanziell das Praxisbudget belastende Neuanschaffungen ebenso wie zeitaufwendige PC-Arbeiten der Arzthelferinnen. Unterm Strich resultiert durch die Verwendung des Deutschen Schmerz-Fragebogens der DGS mehr Zeit für das, was schmerztherapeutisch wirklich entscheidend ist, die Arbeit mit und für den Patienten. Damit bietet der Deutsche Schmerz-Fragebogen der DGS eine einmalige Gelegenheit zur Integration moderner Aspekte der Qualitätssicherung nicht nur für die klinische Schmerzforschung, sondern auch und gerade für die patientennahe Versorgung in schmerztherapeutisch tätigen Schwerpunktpraxen und regionalen Schmerzzentren. Michael Überall, Nürnberg TCM-Ausbildung in der DGS/DAfNA akkreditiert schaften (z.B. DÄGFA, DÄGFAN) anbieten. Unter der wissenschaftlichen Leitung von Frau Dr. S. Maurer, Bad Bergzabern, wird das derzeit geforderte Curriculum von 340 Stunden in Zusammenarbeit mit Repräsentanten der TCM der Universitäten Wien und Innsbruck angeboten. Ein Fortbildungsaufenthalt in China ist ebenfalls für das Frühjahr 2006 vorgesehen (www.dafna.de, www.dgschmerztherapie.de). Über die DAfNA kann damit die DGS die vollumfängliche Ausbildung in diesem Segment neben den etablierten Fachgesell- 10 Akupunkturaufwertung im EBM Gleichzeitig wird sich die DGS zusammen mit der DAfNA und den anderen Fachgesellschaften massiv gegen die geplante Abwertung der Akupunktur einsetzen. Basierend auf einer wissenschaftlich/qualitativ sehr fragwürdigen Panelbefragung schlagen offenbar einige Kassen vor, die Akupunktur in den Brunner Die DAfNA, Deutsche Akademie für Neuraltherapie und Akupunktur e.V., hat mittlerweile die Akkreditierung zur Vollausbildung zum B-Diplom Akupunktur über die Ärztekammer Westfalen-Lippe erhalten, berichtet Dr. med. Oliver Emrich,Vizepräsident DGS und Präsident der DAfNA, Ludwigshafen. EBM einzubinden. Vorgeschlagen ist nach nicht offiziell bestätigten Informationen eine Bewertung um 8 Euro pro Sitzung. Damit wäre die Akupunkturbehandlung genauso unwirtschaftlich wie gegenwärtig die spezielle Schmerztherapie. Gemeinsame schnelle Gegenwehr ist hier unverzüglich erforderlich. Oliver Emrich, Ludwigshafen SCHMERZTHERAPIE Sonderheft 2005 (21. Jg.) Aktuell Global Day against Pain 2005 Die IASP widmet den Welttag des Schmerzes 2005 am 17. Oktober den Kindern. Schmerzlinderung ist zwar ein verbrieftes menschliches Recht, dennoch sind Schmerzen von Kindern rund um die Welt untertherapiert. Die Fakten Ursachen des kindlichen Schmerzes reichen von schweren Erkrankungen wie Krebs bis zu Traumen, Verbrennungen, Infektionen, Kriegsfolgen und Gewalt. Auch viele ärztliche Interventionen verursachen Schmerzen und daher leiden eine große Anzahl von Kindern an chronischen und wiederkehrenden Schmerzen. Frühe Therapie tut umso mehr Not, da bei Chronifizierung eine Reihe von Folgeschäden drohen und dies die gesamte soziale und psychische Entwicklung beeinträchtigen kann. Situation in Deutschland Hochrechnungen aufgrund jüngster epidemiologischer Studien der Universität Lübeck ergeben, dass einige hunderttausend Kinder in Deutschland chronische oder immer wiederkehrende Schmerzen haben. Mehr als zehn Prozent dieser Kinder fehlen schmerzbedingt in der Schule oder können wegen ihrer Schmerzen nachts nicht schlafen, berichten deutsche Experten wie Dr. Boris Zernikow, Datteln. Noch immer ist die Versorgung von schmerzkranken Kindern mangelhaft: Unsicherheiten über die Gabe von Medikamenten und ihre Dosierung und die Behandlung von Kindern in Kliniken für Erwachsene sind nur einige Probleme. Warum leiden viele Kinder im 21. Jahrhundert? Schmerzen bei Neugeborenen und Kleinkindern sind oft schwer zu erkennen und daher wurden eine Reihe von speziellen Diagnosetests für Kleinkinder entwickelt. Ein weiterer Grund für die Untertherapie ist, dass die Behandlungsrisiken überschätzt werden und den Kindern wirksame Medikamente wie z.B. Opioide vorenthalten werden. Auch für Kinder gilt aber, dass sie bei einer sinnvollen Opioidtherapie, die die Dosierung nach der Uhr und der Stärke der Beschwerden ausrichtet, keine Gefahr der Sucht besitzt. Ziele Der spezielle Arbeitskreis für Schmerz in der Kindheit der IASP hat sich daher als Ziel gesetzt, die Professionellen im Gesundheitswesen mehr mit den Diagnosemöglichkeiten und SCHMERZTHERAPIE Sonderheft 2005 (21. Jg.) den Therapieformen für kindlichen Schmerz vertraut zu machen. Auch das Bewusstsein der Eltern von betroffenen Kindern dafür, dass auch kindliche Schmerzen therapierbar sind, soll gefördert werden. Die erforderlichen Medikationen sollten ebenso wie die nicht medikamentösen Therapiemodalitäten verfügbar sein, sodass Schmerz gemessen, verhindert und therapiert werden kann. Das verbriefte Recht auf Schmerzlinderung sollte weltweit auch im Kindesalter umgesetzt werden. StK Ein weltweites Anliegen: Schmerz bei Kindern. Hilfreiche Links und Informationen im Internet pediatric-pain.ca/ppl Pediatric Pain Letter provides free, open-access, peer-reviewed commentaries on pain in infants, children and adolescents. www.ppprofile.org.uk Diese Webseite beschreibt die Entwicklung des Pediatric PainT Profils, ein Instrument zur Erfassung von Schmerzen bei Kindern mit schweren neurologischen Erkrankungen und kann heruntergeladen werden. www.ippcweb.org Eine Initiative für Pediatric Palliative Care: interdisziplinäres Ausbildungs- und Qualitätssicherungsprogramm, um die familienzentrierte Versorgung von Kindern mit lebensbedrohlichen Erkrankungen zu verbessern. www.ich.ucl.ac.uk/cpap Children‘s Pain Assessment Project „Ziele: Die Verbreitung der Forschungsergebnisse zur Messung von Schmerzen bei Kindern; Konsensus zu erzielen über die Richtlinien, wie Kinderschmerzen an Krankenhäusern zu behandeln sind.“ www.thesufferingchild.net Das Leidende Kind ist eine Online-Zeitschrift über Kinderschmerz, mit Reviews, Originalien, Richtlinien etc. seit 2002. www.ampainsoc.org/advocacy/pediatric.htm Pediatric Chronic Pain: A Position Statement from the American Pain Society www.sch.edu.au/departments/pain_research Pain Research Unit, Sydney Children‘s Hospital. www.pediatric-pain.ca Pediatric Pain: Science Helping Children Pediatric Pain Research Lab located in the IWK Grace Health Centre and the Psychology Department of Dalhousie University in Halifax, Nova Scotia, Canada. www.psych.ubc.ca/kens_lab/painlab Pain Research Laboratory, University of British Columbia – Kenneth D. Craig‘s pain research team in Vancouver, Canada. www.painsourcebook.ca Pediatric Pain Sourcebook of Protocols, Policies and Pamphlets. www.med.umich.edu/1libr/child/child60.htm Pediatric Pain Management: vermittelt Ärzten den Zugang zur verhaltenstherapeutischen Therapie. www.painandhealth.org/pediatric-links.html Mayday Pain Project – viele Links www.childcancerpain.org Cancer Pain Management in Children – From Texas Children‘s Cancer Center, Texas Children‘s Hospital, Houston. Informationen zum Thema „Krebsschmerz bei Kindern“. 11 Psychotherapie Individualisierte Psychotherapie oder evidenzbasierte Interventionen? Die Forderung nach Leitlinien und evidenzbasierten Interventionen hat schon in der somatischen Medizin deutliche Limitationen, in der Psychotherapie stößt sie auf Grenzen, die beachtet werden müssen, will man nicht andere, teils noch größere Probleme provozieren. Insbesondere chronische Verläufe, die mit der individuellen Lebensgeschichte des Patienten verquickt sind, wie bei Patienten mit anhaltenden Schmerzen, können nicht ausschließlich standardisiert und auf der Basis evidenzbasierter Verfahren behandelt werden. Wie der Spagat zwischen Leitlinien und maßgeschneiderter Psychotherapie zu lösen ist, erläutert Dipl.Psych. Hanne Seemann, Heidelberg. Liebermann Standardisierung und fahren wie Biofeedback, Physiotherapie, Generalisierbarkeit progressiver Muskelrelaxation, körpertheraDas Risiko, dass ein bestimmter Patient gepeutischem Training – gelingt die Standardirade nicht zu der Gruppe gehört, für die emsierung für bestimmte Schmerzsyndrome pirische Evidenzen vorliegen, ist zu groß, als dass man es tolerieren könnte. Zum Beispiel haben Patienten, die an Wirksamkeitsstudien teilnehmen, meist ganz andere Merkmale als diejenigen, die uns im klinischen Alltag begegnen – auf die die gewonnenen Forschungsergebnisse dann eben nicht generalisierbar sind. Auch sind z. B. amerikanische Studien auf unseren Kulturraum nicht direkt übertragbar. Die Evidenz für die Wirksamkeit einer psychotherapeutischen Methode leitet sich aus randomisierten kontrollierten Studien her – doppelblinde Kontrolle kann in der Psychotherapie aus evidenten Gründen nicht verlangt werden, aber auch Wartekontrollgruppen sind aus ethischen Gründen oft kaum legitimierbar – und setzt die standardisierte Anwendung detailliert beschriebener Verfahren voraus. Jedoch lassen sich auch in der maßgeblichen Forschungsliteratur, die für Metaanalysen herangezogen wird, kaum einmal nachvollziehbare Verfahrensdarstellungen finden, außer das Therapieverfahren wurde manualisiert. Wenn beispielsweiErhebliche lebensgeschichtliche Verquickung ... se eine Intervention mit „Schmerzbewältigungstraining“ benannt wird, weiß niemand, auch der Psychologe nicht, was dort noch einigermaßen, weshalb wir hier auch konkret stattgefunden hat. eine Forschungslage vorfinden, die es erlaubt, Empfehlungen auszusprechen. Es sei Trainingsverfahren aber an dieser Stelle schon darauf hingewieIn den Übergangsgebieten zwischen somatisen, dass Outcome-Verzerrungen bereits im scher Medizin und Psychotherapie – beiVorfeld der Anwendung entstehen können, spielsweise bei psychophysiologischen Verwenn die Indikationsstellung nur über das 12 Störungsbild vorgenommen und die Patientencompliance nicht beachtet wird. Ich erinnere an die vielen inkonsistenten Ergebnisse über die (Un)Wirksamkeit von TENS, die sich letztendlich daraus Dipl.-Psych. Hanne erklären ließen, Seemann, Heidelberg dass viele Patienten das Gerät einfach nicht regelmäßig angewendet hatten. Analoges ist von allen selbst angewendeten übenden Verfahren zu erwarten, wenn nicht bereits im Vorfeld die Motivation des Patienten und während der Anwendung eine lückenlose Kontrolle gewährleistet ist – was wiederum so manchen Patienten in die Reaktanz, d. h. in den Widerstand führt. Standardisierte Behandlungsprogramme Die nächste Stufe Richtung Psychotherapie stellen standardisierte Programme für die Einzel- bzw. (häufiger) die Gruppentherapie dar, die bei chronischen Kopf- und Rückenschmerzen weite Verbreitung und Beforschung erfahren haben. Diese Programme können unter dem Label Psychoedukation und übende Verfahren zusammengefasst werden. Sie sind inhaltlich meist sehr vielfältig, enthalten aufklärende Informationen, entspannende und körperaktivierende Trainingselemente, die Lebensqualität fördernde und antidepressiv wirksamen Strategien wie das zunächst seltsam anmutende „Genusstraining“ und Übungen zur Gedankendisziplinierung. Hypnotherapeutische Ansätze arbeiten besonders mit stimmungsaufhellenden und -ausgleichenden Trancen und inneren Bildern, die das Transmittermilieu im Körper schmerzinkompatibel beeinflussen sollen. Die Wirksamkeit solcher „Pakete“ ist nachgewiesen. Aus meiner Sicht ist sie vor allem darauf zurückzuführen, dass sich die Patienten mit großem Spürsinn genau die- SCHMERZTHERAPIE Sonderheft 2005 (21. Jg.) Psychotherapie Brunner jenigen Elemente heraussuchen und andualisierte Arztwahl vor, indem sie nicht mehr Brecht feststellen müssen: „Ja, mach nur eiwenden, die sie für sich, entsprechend ihrer den räumlich nächstgelegenen Arzt aufsunen Plan, sei nur ein großes Licht, und mach individuellen und aktuellen Problemlage, am chen, sondern ihn individuell auswählen – sei dann noch nen zweiten Plan – gehen tun sie besten gebrauchen können. Anders gesagt: es nach ihren persönlichen Präferenzen – „er beide nicht.“ Die Patienten individualisieren die therapeunimmt sich Zeit“, „er spricht mit mir“ – oder tischen Angebote für sich und entwickeln für über die Medien, auch Internet, und sonsIndividuelle Beratung erfordert bestimmte Teile des Programms eine hohe tige Empfehlungen. In der Psychotherapie maßgeschneiderte Interventionen Compliance. Den Rest lassen sie weg oder wird dieser Entwicklung mit Probesitzungen Stellt sich also die Frage, wie man in der psyvergessen ihn schnellstens wieder. Das Rechnung getragen, nach denen (besonders) chosozialen Beratung und Psychotherapie geht aus Post-hoc-Befragungen zur Patiender Patient entscheidet, ob ein Therapeut indie Forderung nach empirischer Evidenz und tenzufriedenheit und zur individueller Therapie unter ein Anwendungskontinuität Dach bekommen kann. im Follow-up hervor, die Wenn Ärzte und Psychothemittlerweile ein übliches rapeuten einen vielfältigen Fundus Outcome-Kriterium in der an therapeutischen Interventionen Anwendungsforschung ist, auf Lager haben, wenn sie sich wie zum Beispiel in der laufend genügend GrundlagenStudie zum Göttinger Rüwissen aneignen, um chronische cken-Intensiv-Programm. Schmerzzustände aus möglichst Zieht man dann noch unterschiedlichen Perspektiven in Betracht, dass in der beurteilen zu können – neurophygenannten Studie besonsiologisch, psychophysiologisch, ders diejenigen Patienten psychisch, kognitiv, lebensgevom Therapieprogramm schichtlich –, wenn sie in der Lage profitierten, die eine posind, die Sichtweisen anderer sitive Erfolgserwartung Fachgebiete in Betracht zu ziehen zum Beginn der Therapie und, wenn möglich, zu integrieren mitbrachten (was den – Schmerzkonferenzen sind dafür klassischen Plazeboeffekt ein gutes Übungsfeld – und wenn abbildet), so haben wir es sie auf dieser Basis in der Lage Trotzdem: Maßgeschneiderte, d.h. individualisierte Psychotherapie. mit zwei mächtigen indisind, dem Patienten ein passendes viduellen Kriterien zu tun, Angebot zu machen, dann können die nicht nur in Betracht gezogen, sondern dividuell zu ihm passt. sich beide miteinander im Sinne einer partiziaktiv gefördert werden sollten. Die Besonderheiten des Psychothepativen Entscheidungsfindung damit auseinrapeuten – entgegen landläufiger Meinung ander setzen. Schmerzpsychotherapie mancher Ausbilder diverser Therapieschulen Dann wird sich der Patient mit seiner Geht man noch einen Schritt weiter in Richkommen nach dem Absolvieren der umfangeigenen Entscheidung identifizieren, zu der tung Psychotherapie im „eigentlichen“ Sinn, reichen Curricula doch keine „reinrassigen“ ihm der Therapeut verholfen hat – und dann so geraten wir auf das Feld der „Superindivischulspezifischen Therapeuten heraus, nicht stellt sich die Frage nach der Compliance dualisierung“ bei allen drei Beteiligten: Paeinmal bei der Verhaltenstherapie –, seine nicht mehr. Dann stellt sich in der Therapie tient, Therapeut und Therapieverfahren. Präferenzen und Gewohnheiten, seine perauch nicht mehr die Frage, welches (standarWas den Patienten betrifft, so scheint sönliche Fähigkeit, mit den wesentlichen Andisierte) Verfahren auf jemanden oder auf ein sein Schmerzsyndrom noch am ehesten liegen des Patienten in Kontakt zu kommen, Symptom angewendet werden soll – sozusakategorisierbar zu sein – was allerdings z.B. was wiederum von seiner eigenen Geschichgen die vorgeschriebene Benutzung eines angesichts der über 100 Kopfschmerzkategote bestimmt wird, seine Intuition. Alles sind bestimmten Instruments für ein bestimmtes rien der IHS eben oft nur eine theoretische individuelle Größen, die einen Therapeuten Objekt –, weil wir es hier ganz eindeutig mit Übung ist. Die individuellen Besonderheiten erst zu einem Gegenüber für den Patienten Subjekt-Subjekt-Beziehungen zu tun haben, des Patienten selbst, seine Geschichte, seine machen. Auch ist unzweifelhaft der Fall, dass die sich einer mechanistischen Methode entAnlagen und Dispositionen, sein Umfeld im die Probleme des Patienten der Zeit und ziehen. weitesten Sinn, seine Hoffnungen und Ängsihren wechselnden Einflüssen und Zufällen Wenn wir wissenschaftlich denken te und so weiter entziehen sich trotz vieler außerhalb des Therapieraumes unterliegen. gelernt haben, dann ist die erste zu beachVersuche der Kategorisierung. Ergebnisse Es wäre insofern ein psychotherapeutischer tende Regel, dass die Methode zu ihrem von Persönlichkeitstests z. B. haben nur akaKunstfehler, eine vorformulierte Intervention Gegenstand passen muss. Das heißt nichts demischen Wert für die Forschung und sind „durchzuziehen“. anderes, als dass wir als Individuen für ankeinesfalls praxistauglich für den Einzelfall Psychotherapeuten wird an dieser dere Individuen, wenn wir sie fördern wollen, – man kann aus ihnen keine HandlungsopStelle ein hohes Maß an Flexibilität und individuelle Methoden wählen müssen. tion ableiten. angewandtem Konstruktivismus abverlangt, Während die Versorger sich um größewenn sie in Anbetracht ihrer Kassenanträge re Standardisierung bemühen, nehmen die mit den geforderten detaillierten therapeutiHanne Seemann, Heidelberg Patienten ihrerseits immer stärker eine indivischen Ziel- und Wegbeschreibungen mit Bert SCHMERZTHERAPIE Sonderheft 2005 (21. Jg.) 13 Arzneimittelsicherheit Online-Dokusystem für Schmerztherapeuten mit Weitblick und Mehrwert Die Deutsche Gesellschaft für Schmerztherapie hat mit der Etablierung des Online-Meldesystems für unerwünschte Arzneimittelwirkungen nach dem UAW-Patientenmeldesystem nun den zweiten Meilenstein hinsichtlich einer Verbesserung der Therapiesicherheit für Patient und Arzt gesetzt. Wie dieses zukunftsträchtige Meldeverfahren für unerwünschte Arzneimittelwirkungen aussieht und welche Vorteile es speziell für Schmerztherapeuten bietet, beschreibt Priv.-Doz. Dr. med. Michael A. Überall, Vizepräsident DGS und Leiter des regionalen Schmerzzentrums DGS, Nürnberg. ie Entwicklung neuer Arzneimittel, die zum Teil hochselektiv in Stoffwechselvorgänge und Funktionen des Organismus eingreifen, hat in den vergangenen Jahrzehnten die naturwissenschaftlich begründete Medizin entscheidend geprägt und den Umgang mit Neuentwicklungen wie auch mit neu zugelassenen Medikamenten dramatisch verändert: Spektakuläre Marktrücknahmen Hinzu kommen in steigendem Maße aus ökonomischen Gründen zunehmend restriktivere Interventionsstrategien vonseiten der Leistungserstatter und des Bundes, die vor dem Hintergrund jahrzehntelanger Fehlentwicklungen im Vergütungssystem nun versuchen, der durch Neuentwicklungen verursachten „Kostenexplosion“ Herr zu werden. So wird es erklärlich, warum – trotz umfangreicher klinischer Studien und einer im Laufe der vergangenen Jahre zunehmend besser werdenden und vor allem quantitativ immer umfangreicheren Datenlage vor Zulassung – nach einer breiten Markteinführung in den (aus wirtschaftlicher Sicht) primären Zielmärkten Nordamerika, Europa und Ja- DGS a) So erfolgt die Evaluation ihrer klinischen Wirksamkeit und Verträglichkeit im Rahmen des klinischen Studienprogramms aus Kosten- und Zeitgründen in Form multizentrischer internationaler Studien mit zunehmend höherer Beteiligung von Ländern der so genannten Dritten Welt; b) wurde/wird ihre behördliche Zulassung vor allem unter wir tschaftspolitischen Aspekten national wie international beschleunigt c) und wird ihre Vermarktung durch pharmazeutische Unternehmen aus Wettbewerbs- gründen zunehmend global und aggressiv betrieben. Abb. 1: Landing-Page des Online-UAW-Meldesystems. 14 Arzneimittelsicherheit zählt Dies in Verbindung mit der ausschließlich kostenfokussierten Argumentation diverser Institutionen zur Begutachtung von Qualität und Wirtschaftlichkeit in der Medizin hat in den letzten Jahren zu spektakulären Marktrücknahmen geführt, deren Sinnhaftigkeit aus medizinisch-wissenschaftlicher Sicht und nicht zuletzt auch aus Sicht des Patienten bisweilen kritisch(er) hinterfragt werden müsste (als bislang geschehen). Unabhängig von den theoretischen Hintergründen und den praktischen Auswirkungen dieser Vorgänge, haben diese Ereignisse – aber auch gezielte Bemühungen von Fachkreisen, verantwortlichen Institutionen und verschiedenen Fachverbänden – in den letzten Jahren dazu geführt, dass die Arzneimittelsicherheit zu einem auch von der allgemeinen Öffentlichkeit wahrgenommenen Thema geworden ist. Dabei ist insbesondere deutlich geworden, dass nicht nur die Instrumente für die Überwachung der Risiken einer Pharmakotherapie intensiver entwickelt und gefördert, sondern auch Unabhängigkeit und Neutralität der bewertenden Strukturen hinterfragt und evaluiert werden müssen. DGS D pan binnen kürzerer Zeit zahlreiche behandlungsbedingte Nebenwirkungen beobachtet werden und mitunter auch schwer wiegende Krankheiten oder gar Todesfälle resultieren. Abb. 2: UAW-Berichtsbogen, Seite 1 (Patient). SCHMERZTHERAPIE Sonderheft 2005 (21. Jg.) Arzneimittelsicherheit Vorteile und Mängel Das Spontanmeldesystem hat zahlreiche Vorteile: • Diese liegen in der Überwachung des gesamten Arzneimittelspektrums und der dauerhaften, im Vergleich zu Studien zeitlich unbefristeten Beobachtung einer großen Basispopulation, in der alle potenziellen Risikogruppen eingeschlossen sind, wie z. B. alte Patienten mit verschiedenen Krankheiten und Komedikationen, Kinder oder Schwangere. • Es handelt sich um ein relativ kostengünstiges System, das schnell Signale liefern kann, auch im Hinblick auf spezielle Risikofaktoren oder Arzneimittelwechselwirkungen unter den Bedingungen der täglichen Praxis. SCHMERZTHERAPIE Sonderheft 2005 (21. Jg.) • Die Handhabung ist einfach: einmal pro Monat erscheint im Deutschen Ärzteblatt auf der hinteren inneren Umschlagseite der Standardmeldebogen, der auch im Internet (www. akdae.de5050/05UAWBerichtsbogen.pdf) jederzeit abgerufen werden kann. (Anmerkung: Eine Meldung an die AkdÄ kann aber auch zunächst formlos oder telefonisch erfolgen.) DGS Das Spontanmeldesystem hat zahlreiche Mängel: Abb. 3: UAW-Berichtsbogen, Seite 2 (Ereignis). • Der schwerwiegendste Mangel sind die Ärzte selbst: Sie sind „Melde-Muffel“ (selbst für durch Nachfragen seitens der Behörden, Ämschwere UAW liegt die Meldequote nach ter und pharmazeutischen Unternehmungen Schätzungen der Arzneimittelkommission der auch „ein Berg an Arbeit“, den es – neben der Ärzteschaft nur bei 5–10% – wobei Ärzte auf Alltagssprechstunde – zu bewältigen gilt. Nachfragen als Gründe für die ausbleibende Dies alles zusammen hat dazu geführt, Meldung angaben, dass ihnen die UAW bedass die Deutsche Gesellschaft für Schmerzkannt, die Kausalität unsicher oder das Ereigtherapie (DGS) zusammen mit dem Institut für nis zu banal gewesen sei; ein Fünftel der BeQualitätssicherung in Schmerztherapie & Palfragten gab an, die Meldewege nicht zu kenliativmedizin (IQUISP) ein papierloses Onlinenen, der Mehrzahl der Befragten waren die Meldesystem entwickelt hat, um einerseits das Kriterien für eine Meldung völlig unbekannt). Meldeverfahren (zunächst nur!) für schmerz• Die erhöhte Aufmerksamkeit der verordnentherapeutisch tätige Ärzte zu vereinfachen und den Ärzte bei neu eingeführten Arzneimitteln andererseits den teilnehmenden Schmerzführt dazu, dass UAW von neuen Präparaten spezialisten gesellschaftsintern zeitnah und in der Regel häufiger gemeldet werden als von lückenlos Feedback über das quantitative und vergleichbaren länger eingeführten Arzneimitqualitative Spektrum der abgegebenen Melteln (und umgekehrt werden altbekannte UAW dung zu geben (Abb. 1–7). von traditionellen Medikamenten verharmlost, bagatellisiert und nicht gemeldet). • Zum anderen sind die Prozesse der Meldungsverarbeitung bzw. das Bekanntmachungsverfahren (sowohl bzgl. der den einzelnen Fall meldenden Arzt interessierende Bearbeitung als auch die zusammenfassende Rückmeldung/ Veröffentlichung vorliegender Meldungen) intransparent, unvollständig und nicht selten wenig hilfreich. • Zu allem Überfluss droht meldenden Ärzten Abb. 4: UAW-Berichtsbogen, Seite 3 (Medikation). DGS Spontanmeldungen unzureichend Für die Entdeckung neuer Risiken von Arzneimitteln nach ihrer Zulassung ist das Spontanmeldesystem für unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) von zentraler Bedeutung. Seine Funktionalität hängt primär entscheidend von der Mitarbeit der Ärzteschaft ab (leider sind sowohl Qualität als auch Quantität der Meldungen noch immer unbefriedigend, wofür u. a. mangelnde Kenntnisse über die Strukturen und Ziele des Spontanmeldesystems verantwortlich sind), während seine Bedeutung als medizinisches Instrument primär mit Qualität und Transparenz des offiziellen Bearbeitungs-, Interpretations- und Veröffentlichungsverfahrens variiert (und man nicht immer umhinkommt festzustellen, dass das intransparente Bearbeitungs- und Veröffentlichungsverfahren eher gesundheitspolitischen und ökonomischen Interessen folgt als medizinisch-wissenschaftlichen). Im Grunde verfügt Deutschland auch im internationalen Vergleich über ein effektives System der Pharmakovigilanz, das Nutzen und Risiken von Arzneimitteln nach ihrem Markteintritt fortlaufend bewertet. Wichtigstes Frühwarnsystem, um unbekannte und seltene Reaktionen aufzuspüren, ist das Spontanmeldesystem. Dabei melden Ärzte entsprechend § 6 der Musterberufsordnung („Ärztinnen und Ärzte sind verpflichtet, die ihnen aus ihrer ärztlichen Behandlungstätigkeit bekannt werdenden unerwünschten Arzneimittelwirkungen der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft mitzuteilen“) auf eigene Initiative („spontan“) UAW-Verdachtsfälle an eine zentrale Stelle. In Deutschland sind dies unter anderem die pharmazeutischen Hersteller, das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte beziehungsweise im Fall von Sera und Impfstoffen das Paul-Ehrlich-Institut und die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft. 15 Arzneimittelsicherheit DGS eine neue Meldung abzugeben (links), Zwischenberichte aufzurufen oder über den systeminternen E-Mail-Client Anfragen an die Systemadministratoren abzusenden. Wird das System für die Dauer von 15 Minuten nicht genutzt, so erfolgt aus Sicherheitsgründen ein automatischer Session-TimeOut, d.h. der Nutzer verliert seine Zugangsberechtigung, wird auf die Homepage verlinkt und muss sich von dort ggf. erneut einwählen. Fragen zur Praxis Wird eine spezielle Zugangskennung benötigt oder muss neue Software installiert werden? Nein, um das Online-Meldesystem nutzen zu können, benötigen Sie lediglich einen laufenden PC mit funktionierendem Internetanschluss und einen DocCheck-Account (als Arzt oder Apotheker!), über den Sie sich dem System gegenüber ausweisen können. Als Systemvoraussetzungen sollte auf Ihrem PC das Internetbrowserprogramm Microsoft Internet-Explorer (Version 5.0 oder neuer) installiert sein. (Ältere Browser können aufgrund der geringeren Datenverschlüsselungsrate keine Verbindung herstellen!) Abb. 5: UAW-Berichtsbogen, Seite 4 (Anamnese). DGS Wie erfolgt die Nutzung des OnlineMeldesystems? Über http://www.uaw-meldung.de gelangen Schmerzspezialisten unter Nutzung einer gesicherten und verschlüsselten Datenleitung auf die öffentlich zugängliche Homepage des UAW-Meldesystems. Über diese gelangen sie – durch Angabe ihres DocCheck-Usernamens und Passwortes – in den geschlossenen Bereich des Meldesystems (erkennbar am Symbol für die 128-Bit-Verschlüsselung am rechten unteren Bildschirmrand des Browserfensters). Innerhalb des geschlossenen Meldebereichs werden dem Nutzer in einer Übersicht seine bisher erfolgten Meldungen angezeigt. Zusätzlich hat er über die Navigationsleisten am oberen und seitlichen Bildschirmrand links die Möglichkeit, aktiv zu werden und Wie muss/soll ich im Rahmen des OnlineMeldesystems melden? Sobald eine Ärztin bzw. ein Arzt den Verdacht hat, dass zwischen der Anwendung eines Arzneimittels und einer unerwünschten Reaktion ein ursächlicher Zusammenhang besteht, sollte über das UAWOnline-Meldesystem eine entsprechende Meldung erfolgen. Hierzu ruft der Nutzer über die horizontale Navigationsleiste oben das Fenster mit der Kennung „UAW“ auf und aktiviert anschließend links den Button „neue Meldung“. Anschließend wird er auf die erste von insgesamt sechs Seiten geführt, auf der er – analog zum klassischen Meldeverfahren über Papierbogen – seine Angaben zu dem von ihm beobachteten UAW vornimmt. Abb. 6: UAW-Berichtsbogen, Seite 5 (Verlauf). 16 Für die Meldung notwendig sind Informationen zur eindeutigen Zuordnung des Patienten: das Geburtsdatum, das Geschlecht und die Initialen. So können ggf. erfolgte Mehrfachmeldungen ausgeschlossen werden. Außerdem müssen die beobachtete unerwünschte Wirkung und das verdächtigte Arzneimittel aufgeführt sein. Dabei ist es wichtig, nicht nur den Wirkstoff zu melden, sondern auch das tatsächlich eingenommene Handelspräparat, da zahlreiche Nebenwirkungen nicht substanzspezifisch sind, sondern durch Beimengungen in der individuellen Komposition der verschiedenen Handelspräparate ausgelöst werden. Weitere Angaben betreffen das beobachtete unerwünschte Ereignis, dessen Verlauf, eventuell ergriffene Gegenmaßnahmen sowie individuelle Besonderheiten des Patienten. Hierzu gehören die Dosierung, die Applikationsroute und die Behandlungsdauer der verdächtigten Medikation, der Zeitpunkt des UAW-Auftretens, die UAW-Dauer, ihr Verlauf und ihr Ausgang. Angaben zum Schweregrad sind ebenso wichtig wie Informationen über eine ggf. erfolgte Reexposition, über Komedikationen (ebenfalls mit Angaben über die Dosierung, die Applikationsroute und die Dauer) und über Begleiterkrankungen. Um Rückfragen zu ermöglichen, werden den Meldedaten automatisch der Name, die Berufsbezeichnung und die Anschrift des Berichtenden hinzugefügt und anschließend der Bericht an die zuständigen offiziellen Stellen weitergeleitet. Dabei kann der Berichtende grundsätzlich entscheiden, ob er seine Meldung an das Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft und/oder den Arzneimittelhersteller senden möchte. Die Meldung selbst erfolgt anschließend papier- und kostenlos. Die übermittelten Daten werden nach den Bestimmungen des Bundesdatenschutzgesetzes grundsätzlich nur an die vorgenannten und vom Berichtenden ausgewählten Stellen weitergegeben und sind ausschließlich für ggf. notwendige Rückfragen bestimmt. Was muss/soll ich melden? Gerade zunächst nicht gesicherte Fälle können zur Identifizierung bisher unbekannter UAW führen. Aus diesem Grund sollen nicht nur (scheinbar) gesicherte Ereignisse, sondern auch Verdachtsfälle gemeldet werden. Für den Verdacht genügt dabei, dass ein zeitlicher Zusammenhang besteht oder eine andere Ursache nicht erkennbar ist (Anmerkung: Es ist zu beachten, dass im Einzelfall zwischen der Gabe des Arzneimittels und der SCHMERZTHERAPIE Sonderheft 2005 (21. Jg.) Arzneimittelsicherheit DGS unerwünschten Reaktion eine Latenzzeit bestehen kann). Die Vermutung, dass ein Arzneimittel neben anderen Faktoren zu einer Reaktion beigetragen hat, sollte ebenso gemeldet werden wie der Verdacht auf Wechselwirkungen. Dies gilt auch für UAW, die auf Medikationsfehlern wie z. B. der Nichtbeachtung einer eingeschränkten Nierenfunktion oder einer Kontraindikation beruhen. Zu beachten ist, dass idealerweise alle beobachteten UAW gemeldet werden sollten, um auch einen Vergleich der Verträglichkeits- und Sicherheitsdaten zwischen neuen und alten Medikamenten zu ermöglichen. Von besonderem Interesse sind grundsätzlich alle schweren UAW, die tödlich oder lebensbedrohend waren, zur Arbeitsunfähigkeit oder einer erheblichen Beeinträchtigung führten, eine stationäre Behandlung oder deren Verlängerung zur Folge hatten oder zu einer kongenitalen Anomalie führten sowie alle bisher unbekannten (d. h. nicht in der Fachinformation aufgeführten) UAW, alle UAW, die bei Kindern auftreten oder verzögert auftretende UAW. Wenn in besonderen Fällen Arzneimittel außerhalb ihrer Zulassung (»Off-Label-Use«) angewendet werden, sind grundsätzlich alle auftretenden unerwünschten Ereignisse bzw. UAW zu melden. Auch UAW-Verdachtsfälle, die im Zusammenhang mit der Einnahme von pflanzlichen Arzneimitteln stehen, sollten gemeldet werden. Eigenschaften und Vorteile des PC-gestützten Online-Meldeverfahrens, da die meisten Angaben unter Zuhilfenahme entsprechender und regelmäßig aktualisierter Datenbanken direkt auf der Web-Seite des Online-Meldesystems kodiert werden können (wie z. B. die Rote Liste, ICD-10, OPS etc.). Darüber hinaus vermeidet die Eingabe der Daten in intelligente Eingabefelder fehlerhafte oder unsinnige Fehleinträge und erhöht damit die Berichtsqualität. Durch die elektronische Datenerfassung können die dokumentierten Beobachtungen „per Mausklick“ ohne weiteren Aufwand und insbesondere ohne zusätzliche Kosten allen offiziellen Stellen gemeldet werden. Die sonst üblichen Faxkosten oder Ausgaben für Porto und Briefumschlag entfallen vollständig. Vorteile speziell für die Schmerztherapie Die Besonderheiten der speziellen Schmerztherapie zeigen sich auch in den zum Einsatz gelangenden Therapieverfahren. Nicht selten sind Kombinationsbehandlungen und die Verordnung von Medikamenten im Grenzbereich ihrer Zulassung bzw. deren Off-Label-Einsatz notwendig, um chronischen Schmerzpatienten eine zumindest zufrieden stellende Beschwerdelinderung zu ermöglichen. Hierfür sind umfangreiche Informationen nicht nur über die Wirksamkeit der zum Einsatz kommenden Präparate, sondern auch und insbesondere über deren Verträglichkeit dringend erforderlich. Allgemeine Vorteile des OnlineWie in keinem anderen Bereich der Meldesystems Pharmakotherapie werden in der SchmerzBereits bei der Dokumentation aller notwenditherapie auch neue oder alternative Substangen Informationen zeigen sich die besonderen zen genutzt, empfohlene Dosierungsbereiche ausgereizt oder gar überschritten und empfohlene Anwendungsdauern verlängert. Damit stoßen Schmerztherapeuten in pharmakotherapeutische Grenzbereiche vor, die von anderen Fachgruppen nur selten erreicht werden. Dies erfordert spezielle Hilfestellungen und Angebote, um solchermaßen engagierten Kollegen beizustehen und sie in der Betreuung ihrer Patienten maximal zu unterstützen. Das Online-Meldesystem bietet nicht nur einige dieser Möglichkeiten, es erlaubt darüber hinaus auch dem exklusiven Kreis der schmerztherapeutisch engagierten Abb. 7: UAW-Berichtsbogen, Seite 6 (Abschluss). Kolleginnen und Kollegen SCHMERZTHERAPIE Sonderheft 2005 (21. Jg.) den Zugriff auf spezifische Bewertungen der von ihnen dokumentierten Therapien unter Aspekten größtmöglicher Praktikabilität. So werden meldende Ärzte nicht nur direkte (Hintergrund-)Informationen zu den von Ihnen gemeldeten Fällen, sondern alle beteiligten Kolleginnen und Kollegen auch in regelmäßigen Abständen Berichte über die eingegangenen Ereignisse, aktuelle Entwicklungen innerhalb des Meldesystems (z.B. Top 10 etc.) und nützliche Informationen zur Vermeidung bzw. zum Umgang mit unerwünschten Ereignissen im Praxisalltag erhalten. DGS als Vorreiter Mit der Etablierung des Online-Meldesystems für unerwünschte Arzneimittelwirkungen hat die Deutsche Gesellschaft für Schmerztherapie nach dem UAW-Patientenmeldesystem nun den zweiten Meilenstein hinsichtlich einer Verbesserung der Therapiesicherheit für Patient und Arzt gesetzt. Dabei wurden im Rahmen der konzeptionellen Umsetzung des klassischen Spontanmeldesystems für unerwünschte Arzneimittelwirkungen die Vorteile des Papiersystems (einfache Dokumentation, etc.) mit denen elektronischer Meldesysteme (hohe Datenqualität, Einbindung elektronischer Datenbanken, Vereinfachung des Meldeverfahrens etc.) kombiniert. Herausgekommen ist ein System, das die spezifischen Bedürfnisse chronisch schmerzkranker Menschen und ihrer Therapeuten nach höchster Behandlungssicherheit und aktuellsten Behandlungsanweisungen praxisnah umsetzt. Doch wie andere Melde- und Informationssystemen lebt das UAW-Online-Meldesystem der DGS auch von der Beteiligung derjenigen und der Annahme durch diejenigen, für die es geschaffen wurde. Denn eines kann auch ein noch so komplexes elektronisches System unverändert nicht: die menschlichen Schwächen des Anwenders kompensieren. So stehen und fallen – bei allen Vorteilen und Stärken – die Funktionalität und der Nutzen des Online-Meldesystems mit dem Meldeverhalten der teilnehmenden Ärzte. Letztlich soll und kann das vorliegende elektronische Spontanmeldesystem dazu beitragen, die Morbidität und Mortalität aufgrund von unerwünschten Wirkungen von Arzneimitteln zu verringern. Damit hilft es uns allen, die Arzneimitteltherapie für unsere von chronischen Schmerzen geplagten Patienten wirksamer und vor allem sicherer zu gestalten. Ein großer Anspruch und die Zukunft wird zeigen, wie sinnvoll wir ihn nutzen werden. Michael Überall, Nürnberg 17 Gesundheitspolitik Integrierte Versorgungsmodelle in der Schmerztherapie – wichtiger denn je! E ine Erkenntnis ist auf jeden Fall ganz deutlich! Die Schmerztherapie benötigt neben neuen Honorarstrukturen dringend neue Versorgungskonzepte, die sich von der im EBM zementierten kleinteiligen unkoordinierten Leistungserbringung ohne definierte Interventionszeitpunkte und Ergebnisorientierung deutlich abheben. Denn auch die Qualitätssicherungsvereinbarung führt in der Konsequenz zu dem, was sie eigentlich verhindern soll: der zunehmenden Chronifizierung. Mit viel Aufwand definiert sie zuvor in ihrer Präambel den chronischen Schmerzpatienten, vergisst aber dabei durch definierte Interventionszeitpunkte, die prioritär notwendige Vermeidung dieses sich epidemisch ausbreitenden Leidens. Abgestufte Versorgung nötig Nur wenn die hoch gesteckten Qualitätsanforderungen in der Qualitätssicherungsvereinbarung Schmerztherapie auch auf die Vorbehandler angewendet werden, um präventiv eine abgestufte und antichronifizierende Versorgungskette aufzubauen, wäre ein gewisse Ernsthaftigkeit auf der Suche nach angemessenen Lösungen erkennbar. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung erweist sich in diesem Kontext einmal mehr als bürokratischer Sachverwalter ohne Zielund Ergebnisorientierung. Die Vorstellung eines chronischen Schmerzpatienten vor der Schmerztherapiekommission negiert dabei jede Kenntnis über Chronifizierungsmechanismen, die nach dieser Zeit auf höchstem Niveau irreversibel abgeschlossen sind und sich höchstens in einer Einbahnstraße weiter zuspitzen. Darüber hinaus fördern diese Regularien natürlich die Strukturen, in denen 18 sich die Kassenärztlichen Vereinigungen am besten auskennen, nämlich Bürokratie und Geldverschwendung. Rationale Lösungsansätze mit definierten Zuweisungskriterien in schmerztherapeutische Einrichtungen, Verlaufsbeurteilungen über intelligente Dokumentationssysteme wie auch Leistungsanreize über zeitlich abgestufte Honorarstrukturen sind hier ein Fremdwort! Diese Perfektionierung von Fehlentwicklungen lenkt die Aufmerksamkeit umso mehr auf den Bereich der Integrierten Versorgung. Gerade die unstrukturierte und perfekt ergebnisunabhängige Ausrichtung der Regelversorgung wie auch die rigide Kluft zwischen ambulanten und stationären Strukturen hat die Phantasie der Gesetzgeber beflügelt, hier neue Konzepte möglich zu machen! Schmerztherapie und auch Palliativmedizin sind in ihrer interdisziplinären Ausrichtung Paradebeispiele für die Leitidee dieser gesetzlich eingeforderten Innovationen. Interdisziplinäre Schmerzkonferenzen In der Schmerztherapie sind als erste zaghafte Schritte die interdisziplinären Schmerzkonferenzen bereits in der Initialphase nach Einführung der integrierten Versorgung nach § 140 SGB V realisiert worden. Damit ist die multiprofessionelle und interdisziplinäre Schmerzkonferenz endlich von einem angeblichen Instrument der Ärztefortbildung zu einem Forum der Therapieplanung aufgewertet worden. Auch haben einige Krankenkassen früh erkannt, dass diese Förderung sowohl öffentlichkeitswirksam wie auch als Beitrag zu einer Optimierung der Patientenversorgung genutzt werden kann. Die aufwendige Leistung der Schmerzkonferenz in die Leistungslegende der Komplexziffer nach der Qualitätssicherungsvereinbarung Schmerztherapie als Gratisleistung bei insgesamt deutlich reduzierten Komplexziffern einzubauen, belegt einmal mehr die Skrupellosigkeit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung im Umgang mit den Schmerztherapeuten. Mittlerweile ist die Entwicklung integrierter Versorgungskonzepte auch mehr in den Fokus des Interesses beim Bundesgesundheitsministerium gerückt. Bei einem Treffen am 26.07.2005 im Bundesgesundheitsministerium standen die Konzepte (realisiert oder angedacht) im Bereich der Integrierten Versorgung in Schmerztherapie und Palliativmedizin auf dem Prüfstand. Die Deutsche Gesellschaft für Schmerztherapie hatte die Möglichkeit, zwei ihrer Konzepte dort vor einer großen Runde von Experten aus allen Bereichen des Gesundheitswesen, insbesondere auch Politik und Krankenkassen, vorzutragen. Fokus 1: Rückenschmerz Ein Themenschwerpunkt war der Stellenwert der Integrierten Versorgung im Bereich der Rückenschmerzbehandlung. Hier hat die Deutsche Gesellschaft für Schmerztherapie zum 01.07.2005 ein bundesweites Rückenschmerzprojekt mit der Techniker Krankenkasse abgeschlossen, das in fünf Pilotregionen (Bremen, Chemnitz, Göppingen, Köln, Wiesbaden) in der Erprobungsphase bis Archiv Die desaströsen Umsatzeinbrüche bei schmerztherapeutischen Schwerpunktpraxen sind nun nach Vorliegen der ersten Quartalsergebnisse bestätigt. Die von den Fachgesellschaften DGS und DGSS prognostizierten Einbrüche von bis zu 50% haben sich bewahrheitet. Die von der KBV, namentlich von Herrn Weigeldt, zugesagten schnellen Anpassungen, stehen nun unmittelbar an, wenn es nicht vor Ablauf der Übergangsregelungen wiederum zu einer massiven Zunahme von Protestaktionen der Schmerztherapeuten wie auch zu weiterem Abbau qualifizierter schmerztherapeutischer Versorgung kommen soll. Einziger Lichtblick sind, so erläutert Dr. med. Thomas Nolte, DGS-Vizepräsident, die integrierten Versorgungsmodelle in der Palliativmedizin und der Schmerztherapie. Rückenschmerz integriert versorgen. SCHMERZTHERAPIE Sonderheft 2005 (21. Jg.) Gesundheitspolitik Ende 2006 realisiert wird. In dieser Konzeption sind die wesentlichen Merkmale der Integrierten Versorgung verankert. Die Leistungserbringer bieten ein interdisziplinäres dichtes Behandlungskonzept an, das nach definierten Behandlungsschritten Patienten mit Rückenschmerzen aufnimmt und interdisziplinär behandelt. Dabei wird der therapeutische Leistungsumfang patientenindividuell abgestimmt, dem ein eingehendes Screening des interdisziplinären Therapeutenteams vorausgeht. Dieses entscheidet mit ihrem Votum über die Teilnahme des Patienten am Konzept. Der Behandlungszeitraum ist auf maximal zweimal vier Wochen festgelegt. Sollte nach den ersten vier Wochen der Patient anhaltend schmerzreduziert und funktionsgebessert sein und dies für weitere sechs Monate anhalten, wird zusätzlich ein Bonus vonseiten der Krankenkasse bezahlt. Wenn nach Ablauf von acht Wochen der Patient nicht wieder arbeitsfähig wird, entsteht im Gegenzug ein Malus, der zu einer Honorarkürzung führt. Wie mehr und mehr auch in anderen Bereichen der medizinischen Versorgung, hier insbesondere im Krankenhauswesen, werden an dieser Stelle über das Honorar zusätzliche Leistungsanreize für eine effektive Patientenversorgung verankert. Fazit hier: Integrierte Versorgung erweist sich in dieser Behandlungskonzeption als Wegweiser für eine patienten- und problemgerechte Versor- SCHMERZTHERAPIE Sonderheft 2005 (21. Jg.) Fokus 2: Palliativmedizin Ein weiterer Beitrag in dieser Expertenrunde war die Vorstellung einer Konzeption zur Versorgung von Schwerstkranken am Lebensende. Auch hier steht als Präzedenzfall der Integrierten Versorgung die gebündelte, interprofessionelle und multidisziplinäre Versorgungs- Bildquelle DGS Nolte Fallmanager als Zuweiser Ein weiterer wesentlicher Gesichtspunkt in der Entwicklungsphase war das Problem der gezielten Zusteuerung von Patienten in das Konzept zu einem Zeitpunkt, wo die Sinnhaftigkeit der therapeutischen Maßnahmen im Spannungsfeld zwischen Spontanheilung und drohender Chronifizierung sinnvoll gelöst wird. Auch hier beschreitet die Deutsche Gesellschaft für Schmerztherapie mit der TK gesundheitspolitisches Neuland, da erstmalig die Krankenkasse als Zuweiser in das Versorgungsnetz fungiert. Eine wesentliche Motivation für diese Regelung ist die aus der Regelversorgung abgeleitete Erfahrung, dass ansonsten Zuweisungen in dieses integrierte Versorgungsmodell Rückenschmerz weitestgehend nach zufälligen Kriterien ohne gezielte Steuerung verlaufen würden. Die infrage kommenden Patienten werden durch so genannte Fallmanager aus den Versorgungsdaten identifiziert, nach einer Checkliste überprüft und dann gezielt dem Screening zugewiesen. gung sowie eine leistungsorientierte Vergütung, bietet Lösungen an für eine inhaltlich neuartige und notwendige Kooperation mit den Krankenkassen und widmet sich insbesondere darüber hinaus einem medizinisch und versorgungstechnisch ungelösten Gesundheitsproblem, das die Sozialsysteme in grotesker Weise strapaziert. Eine Patientin, die vom Wiesbadener Palliativzentrum betreut wurde und wenige Wochen nach dieser Aufnahme verstarb. struktur im Mittelpunkt der Konzeption. Ein komplexes Leistungsangebot, das alle medizinischen, psychologischen, pflegerischen wie auch administrativen Leistungsinhalte umfasst, wird über eine Behandlungspauschale honoriert, die alle diese Maßnahmen patientenindividuell umfasst. Ambulant betreuen Das Hauptziel ist dabei die ambulante Versorgung dieser Patientengruppe im häuslichen Umfeld. Um dem Wunsch der Betroffenen zu entsprechen, zu Hause betreut werden zu können, wird hier eine umfassende Versorgungsstruktur bereitgestellt. Eventuell not- wendige, unvorhergesehene Krankenhauseinweisungen oder auch die Aufnahme in ein stationäres Hospiz werden ebenfalls über diese Behandlungspauschale finanziert. Die Budgetverantwortung, wie auch bei den DRG-Pauschalen, liegt in den Händen der Leistungserbringer. Für die Krankenkassen ergibt sich der besondere Anreiz, hier in Verhandlungen zu treten, da von vornherein eine kalkulatorische Sicherheit über die Kostenentwicklung besteht, da mit Aufnahme in das Versorgungsnetz keine weiteren Kosten mehr abgerechnet werden. Fazit hier: Auch in diesem Modell sind zwei Kerngedanken der integrierten Versorgung konzeptionell verankert. Zum einen besteht hier über eine hohe Budgetverantwortung der Leistungserbringer eine enorme Motivation zur qualifizierten Leistungserbringung wie auch die ökonomische Verpflichtung, durch ein dichtes Versorgungsnetz unnötige stationäre Behandlungen zu vermeiden. Die Krankenkassen schätzen dabei die Kostentransparenz und kalkulatorische Sicherheit. Die dabei anfallende Kostenpauschale führt außerdem zu keiner Verteuerung der Versorgung, da die ansonsten anfallenden Leistungen entweder nicht mehr notwendig sind oder eben über diese Behandlungspauschale finanziert werden. Insofern ist ein weiteres Qualitätskriterium der Integrierten Versorgung – Verbesserung ohne Mehrkosten – hier realisiert. Konkrete Verhandlungen sind bereits im Gange und es ist eventuell mit einem Vertragsabschluss regional bis Ende des Jahres zu rechnen. Zusammenfassung Gerade aus der Gegenüberstellung der überholten Prinzipien in der Regelversorgung mit den Innovationen in der Integrierten Versorgung wird deutlich, dass die rituell von den Standesvertretern wiederholten Forderungen nach mehr Geld im Versorgungssystem so lange mit Recht abgewiesen werden wie eine Optimierung der medizinischen Versorgung nicht unbedingt mit Mehrkosten verbunden sein muss. Die integrierte Versorgung führt durch die intelligente Vernetzung der Leistungserbringer zu Sektoren übergreifenden Kosteneinsparungen, wenn komplexe medizinische Leistungen in Konzepten gebündelt und qualifiziert nach definierten Kriterien und Zeitfenstern mit Erfolgsorientierung durchgeführt werden. Thomas Nolte, Wiesbaden E-Mail: [email protected] 19 Abrechnung Sechs Monate auf Bewährung: EBM 2000plus und integrierte Versorgungsverträge Längst ist es nicht mehr so, dass die Gesamtbewertung medizinischer Leistungen ausschließlich nach Leistungsverzeichnissen und betriebswirtschaftlichen Kalkulationen (das wird jedenfalls behauptet) erfolgt bzw. „vergütet“ wird: Integrierte Versorgungsverträge als neue Möglichkeiten der Bewertung sind hinzugetreten. Dringend werden hier Konzepte für die Schmerztherapie neben dem EBM 2000plus benötigt, berichtet Dr. Oliver Emrich, Vizepräsident DGS Deutsche Gesellschaft für Schmerztherapie“, Leiter des regionalen Schmerzzentrums Ludwigshafen. F ür gelenkte Versorgungswege und Steuerung von Ressourcen werden für deren Konzeptionierung und Implementierung Gelder aus der „Pro-Kopf-Vergütung“ der eingezahlten Krankenkassenbeiträge herausgebrochen. Solcherart „integrierte Versorgung“ wird in Direktverträgen ohne Beteiligung der Kassenärztlichen Vereinigungen zwischen Gruppen von Leistungserbringern und Krankenkassen ausgehandelt. • In den von der KBV und auch regionalen KVen bisher publizierten Antworten auf die massiven Proteste der Schmerztherapeuten auf die neuen schmerztherapierelevanten Regelungen des EBM 2000plus meint man einen fast trotzig anmutenden Stolz zu erkennen, dass man gemäß der schon von dem damaligen KV Vorsitzenden Richter-Reichhelm formulierten Forderung „Schmerzkranke Patienten müssen ausreichend versorgt werden, und zwar flächendeckend in ganz Deutschland“, fortschrittlich gehandelt habe. Die mit den neuen Bewertungen und Inhalten allerdings tatsächlich verbundenen Verschlechterungen wurden als Übertreibungen der schmerztherapeutischen Fachverbände bagatellisiert. Traurige Realität sind derweil massive Einschnitte. Schmerztherapie wird unattraktiv. Praxen sind bedroht, z.T. insolvent oder können nicht übergeben werden, weil sich niemand mehr dafür interessiert. Auch wenn Über- Brunner Schmerztherapie unlohnend „Chronischer Schmerz ist unter den am meisten behindernden und kostenintensivsten Erkrankungen in Nordamerika, Europa und Australien“ (IASP/EFIC 2004). Nach jüngsten Studien mit hoher Evidenz liegt die Prävalenz von schweren, schwersten und lang dauernden Schmerzen in der Gesamtbevölkerung weit über 20%. Bislang vermisst man aber weltweit, in Europa und ganz besonders in Deutschland, geeignete Antworten der jeweils nationalen Gesundheitspolitik auf z.B. die Forderungen der WHO in Genf anlässlich des Global Day against Pain 2004. Die jetzt gültige Konzeptionierung einer schmerztherapeutischen Versorgung im EBM 2000plus wurde wider besseres Wissen entworfen und ist weder ein in den Konsequenzen durchdachtes Instrument zur Verbesserung der oft verzweifelten Lage von chronisch Schmerzkranken, noch eine ausreichende wirtschaftliche Basis schmerztherapeutischer Einrichtungen für eine suffiziente, im Ergebnis effiziente und insgesamt auch kosteneffiziente Schmerztherapie. Fazit: ein bislang für alle Seiten (Patienten, Kassen und Ärzte) kaum Disease-Management-Programme: der Köder. „lohnendes“ Unterfangen. 20 gangsregelungen wie z.B. in BadenWürttemberg vorerst bis Ende 2005 einen Aufschub bedeuten, so ist dies eben mit hoher Wahrscheinlichkeit eben nur ein Aufschub vor einer generellen Dr. Oliver Emrich, Regelung bundes- Ludwigshafen weit spätestens ab 2006. Dass Regelungen mit besserer Struktur möglich sind, haben uns allerdings die Baden-Württemberger Schmerztherapeuten gezeigt. Die bisherigen „Schmerztherapievereinbarungen“ wurden verlängert und in der Bewertung sogar verbessert (außerhalb des EBM), Schmerztherapieleistungen ausbudgetiert. Dies alles ist möglich, und deshalb muss darin jetzt bundesweit unsere aktuelle Stoßrichtung liegen: Adressaten sind die KBV in Berlin, das Bundesgesundheitsministerium und die Spitzenverbände der Krankenkassen (hier besonders der AOK, Bundesverband BKK und VdAK). Wir fordern Implementierung der Regelungen von Baden-Württemberg in ganz Deutschland als EBM-Leistung oder außerhalb! • Um auf Bundesebene eine Lösung wie in BadenWürttemberg zu erreichen, muss aber mindestens das Versprechen der KBV eingelöst werden, bei auffälligen Umsatzeinbrüchen und Versorgungsengpässen den EBM 2000plus „nachzubessern“. Grundlage unserer Forderungen muss aber eine exakte Analyse der wirtschaftlichen Entwicklung unter dem neuen EBM sein. Die DGS erhebt deshalb derzeit bundesweit Daten aus den Schmerzpraxen. Grundlage sind die Abrechnungen der Quartale 2/2005 und 3/2005 im Vergleich zu den Quartalen 2/2004 und 3/2004. Nur so SCHMERZTHERAPIE Sonderheft 2005 (21. Jg.) Abrechnung werden sich die Verantwortlichen bei der KBV überzeugen lassen. nossenschaften, Medi-Verbund), Fachgesellschaften, Krankenhäusern und Krankenkassen runden die Palette der jetzt neu bestehenden Möglichkeiten neben der KV ab. Deshalb lautet die derzeitige „Kernforderung 3“: Brunner Wir appellieren Stellen Sie uns umgehend Ihre Daten (Anzahl Ziffer 30700 im Vergleich zu Ziffer 8450, Anzahl Ziffer 30701 im Vergleich zu Unser Ziel Ziffer 8451, Pro-Kopf-UmIntegrierte Direktverträge satz Vergleich 2005 zu bundesweit mit Kranken2004 zur Verfügung! kassen neben der „KV“ • Neben den Verwerfungen Es ist natürlich überdeutlich, und Härten in der Neufasdass mit dieser Skizzierung sung des EBM gibt es jemehrere „Baustellen“ gleichdoch auch neue Chancen, zeitig aufgemacht werden. die der Gesetzgeber beEs fällt schwer, hier den wusst geplant hat, um den „Überblick“ zu behalten. Gesundheitsmarkt zu ökoDazu bedarf es bundesweinomisieren: Der § 140 des Einzelverträge: Wohl dem, der die richtige Kasse hat. ter und gebündelter InitiatiSGB V (Sozialgesetzbuch ven innerhalb der anerkannFünf) bietet die Möglichkeit ten Fachverbände (DGS, der „integrierten Versorgung“. Dies bedeutet Artikel Dr. Nolte, S. 18) sein, aber auch StraDGSS und Berufsverbände) bei der KBV, den aus 2% der Gesamtvergütung (je 1% ambutifizierungen antichronifizierender TherapiesSpitzenverbänden der Krankenkassen. lant und stationär) können Verträge für die trategien in der Schmerztherapie überhaupt. Aber auch regional sind gleichzeitig Initi„Anschubfinanzierung“ von Sektoren überKrankenkassen müssen/sollten erkennen, ativen notwendig. Nur ein Beispiel: Die föderal greifend definierten Programmen und interdass sie mit der möglichst exakten Beschreiorganisierten Betriebskrankenkassen (BKK) disziplinären Behandlungsstratifizierungen bung von strukturierten Behandlungsstrategihören nicht unbedingt auf „Empfehlungen“ ausgehandelt werden. Verhandlungspartner en, dem Zugriff auf Heil- und Hilfsmitteldistriihres Bundesverbandes. Sie arbeiten alle als sind hier nicht die KV, sondern die Krankenbution, der Transparentmachung der Arznei„autarke Landesverbände“ und nur sich selbst kassen und die Anbieter von Gesundheitsmittelverschreibung Kosten sparen können. verantwortliche Einzelkassen. Jede einzelne leistungen direkt. Gleichzeitig werden die Patienten zufriedener, Betriebskrankenkasse muss wiederum den Die DGS (Deutsche Gesellschaft für die nun zielgerichtet und schnell die „richtige“ Empfehlungen des Landesverbandes, jede für Schmerztherapie) hat als schmerztherapeuTherapie erhalten. Und zu guter Letzt sind die sich, beitreten. Dies macht die Sachlage noch tischer Verband auf Bundesebene den überSchmerztherapeuten und anderen Leistungsviel komplizierter, als sie sich schon allgemein haupt ersten integrierten Behandlungsvertrag erbringer ebenfalls „Profiteure“: einerseits vom darstellt. Deshalb sind auch regionale Ärzteim Frühjahr 2004 abgeschlossen: den Vertrag gelenkten kontinuierlichen Patientenzugang netze mögliche Vertragspartner. Notwendige über interdisziplinäre Schmerzkonferenzen und andererseits von den zusätzlichen VergüVorbedingung ist hier aber die ausreichende (ISK-Vertrag) mit dem BV der TKK, einigen tungen neben dem EBM 2000plus. Repräsentanz lokaler Schmerztherapeuten in Betriebskrankenkassen und dem BV der BeDiese Anreize müssen allerdings für alle solchen regionalen Netzen („Medi“, Genostriebskrankenkassen. Das Modell ist so attrakbeteiligten Vertragspartner deutlich erkennbar senschaften, Vereine). So kann es gelingen, tiv, dass immer mehr Krankenkassen ihren werden, die Programme sind für die Patienregional und überregional die SchmerztheraBeitritt erklären. Wie es das Gesetz möglich ten freiwillig und die Stratifizierungen müssen pie adäquat in die neuen gesetzlichen Rahmacht, kam hier ein Direktvertrag zwischen „Sektoren übergreifend“ angelegt sein. Dies menbedingungen einzubetten. Ob Letztere einem Fachverband und Krankenkassen zukann z.B. die Einbindung der hausärztlichen sich unter einer neuen Regierung nicht wieder stande, ohne Beteiligung einer KV. AbrechEbene bedeuten, die für ihren Part in der inteändern, steht ebenfalls noch in den Sternen. nungsstelle ist nicht die KV, sondern die GAF grierten Versorgung dann ebenfalls Aufgaben mbH in Oberursel. und Entschädigung erhalten müssen. Örtliche Oliver Emrich, Ludwigshafen Was kann Krankenkassen bewegen, Rahmenverträge zwischen Ärztenetzen ([email protected] solche Verträge abzuschließen? Das ZauberBeispiel: wort ist die Herstellung einer „Win-Win“-Situation, nämlich Vorteile für alle Vertragspartner. Quartal Schmerzpatienten Punktzahlvolumen Anzahl Anzahl Schmerztherapie bietet sich hier „idealiter“ pro Kopf 8450 / 30700 8451 / 30701 in Einzelfacetten, aber auch als Gesamtkon2/2004 zept an. Gegenstand solcher „Extraverträge“ 2/2005 kann eine strukturierte Stratifizierung von Behandlungsabläufen z.B. als Rückenschmerz3/2004 programm (integrierte Versorgung Rücken3/2005 schmerz) oder in der Palliativmedizin (siehe SCHMERZTHERAPIE Sonderheft 2005 (21. Jg.) 21 ISIS-Guidelines ISIS-Guidelines – ein Meilenstein in der minimalinvasiven Schmerztherapie Zu Beginn dieses Jahres hat die ISIS (International Spine Intervention Society) ihre jahrelange Energie- und Innovationsarbeit mit der Erstellung der Publikation der Praxisrichtlinien für diagnostische und therapeutische Behandlungstechniken bei Wirbelsäulenschmerzen gekrönt. Damit ist nicht nur die Basis für eine einheitliche, interdisziplinäre und international anerkannte Praxis dieser Techniken geschaffen, sondern aufgrund der Kooperation mit der DGS auch der Grundstein gelegt für eine systematische Ausbildung in Form eines Curriculums der invasiven Schmerztherapie mit dem Abschluss eines entsprechenden Qualifikationszertifikats. Z tees (Charles Aprill, Radiologie/Nikolai Bogduk, Anatomie/Arnold Graham-Smith, Orthopädische Chirurgie/Mark Kraft, Anästhesie/ Kenneth Rogers, Anästhesie sowie William Wilson, Anästhesie) und weitere kooperierende Mitglieder (Claire Tibletti, Orthopädie/Doug Kennedy, Anästhesie/Robert Wright, Anästhesie/Way Yin, Anästhesie, der jetzige Präsident der Gesellschaft, Stephen Endres, Anästhesie sowie Paul Dreyfuss, Rehabilitationsmedizin) trugen alle wie auch weitere, hier nicht speziell aufgeführte KolleStandard-Komitee gen in beeindruckend beZum Erreichen dieses Zieles harrlicher und engagierter wurde bereits vor sieben Weise zum Erscheinen des Jahren ein Standard-KomiBuches bei. Sie dokumentee etabliert, welches zu- Abb. 1: Das Buchcover. tierten damit auch, dass nächst von Michael Karrainterdisziplinäre und intersek (Neurologie) geführt wurde. Unter seinem nationale Kooperationen über die Grenzen Nachfolger Kevin Pauza (Physikalische Medivon Fachverbandsinteressen hinaus zum Erzin) konnte nun die Arbeit vollendet werden. reichen eines gemeinsam erklärten Zieles Die weiteren aktuellen Mitglieder des Komiführen können (Abb. 1). Teil 1: Etablierte Techniken – Diagnostik Darunter finden wir die diagnostischen lumbalen Spinalnervenblockaden, die lumbale Diskusstimulation (Provokationsdiskographie) (s. Abb. 2), die Blockaden der lumbalen Rami mediales (Facettgelenksnerven), die intraartikuläre ISG-Blockade (s. Abb. 3) sowie einen Algorhithmus der invasiven Diagnostik von Rückenschmerzen. Im zervikalen Bereich sind die zervikale Diskusstimulation (s. Abb. 4), die Blockaden der zervikalen Rami mediales, die intraartikuläre Blockade der lateralen atlantoaxialen Gelenke (s. Abb. 5) sowie ein Algorhithmus über die Durchführung der zervikalen Facettdiagnostik (z. B. beim Schleudertrauma) abgebildet. Danach folgen: Teil 2: Etablierte Techniken – therapeutisch Lumbale transforaminale Kortisoninjektion (s. Abb. 6), die lumbale Radiofrequenzneuroto- ISIS Guidelines 2004; Dr. Paul Dreyfuss ISIS Guidelines 2004; D r. Paul Dreyfuss um selben Zeitpunkt hatte auch die überwältigende Mitgliedschaft der Umbenennung der Organisation und das Ablegen der bisherigen Bezeichnung als International Spinal Injection Society zugestimmt. Diese Namensänderung geschah mit der Absicht, auch in der Außendarstellung die bereits inhaltlich vollzogenen Lehrund Forschungsziele, nämlich der Validierung aller an der Wirbelsäule vollzogenen Diagnose- und Therapieformen nachzugehen, zum Ausdruck zu bringen. Über die Jahre wurden von ihnen Hunderte von Primärpublikationen durchforscht, hinsichtlich ihrer Evidenz validiert und mit der eigenen Praxis bezüglich der Praktikabilität und der Ergebnisse verglichen, im Komitee diskutiert und schlussendlich verabschiedet oder zurückgewiesen. Parallel fand ein Abgleich mit der aktuellen, von vielen Mitgliedern selbst durchgeführten wissenschaftlichen Arbeiten statt. Teils mit dem Ergebnis der zusätzlichen Bereicherung und Untermauerung der vorhandenen Erkenntnisse, teils mit Verwerfen derselben. Das Guidelines-Buch imponiert durch seine einfache Gliederung in zwei Hauptteile, die schnell auf den Punkt kommen: Abb. 2: Diskusstimulation L3–L5 zur Diagnostik lumbaler diskogener Schmerzen. 22 Abb. 3: Intraartikuläre Blockade des ISG. Die Pfeile zeigen die Kontrast- und Gelenkskonturen: A. a.-p., B. seitl. Durchleuchtung. SCHMERZTHERAPIE Sonderheft 2005 (21. Jg.) ISIS Guidelines 2004; Dr. Charles April ISIS Guidelines 2004; Dr. Michael Kaplan ISIS-Guidelines Abb. 4: Diskusstimulation der Bandscheiben C3/4–C5/6 zur Diagnostik zervikaler diskogener Schmerzen. Teil 3: Emporkommende Techniken Mit der thorakalen Diskusstimulation, den thorakalen transforaminalen Injektionen, den intraartikulären, thorakalen Facettgelenkblockaden sowie den Blockaden der thorakalen Rami mediales. Praktisch-wissenschaftliche Darstellung Die Gliederung eines jeden Beitrags folgt in der Form dem gleichen Aufbau: Definition, historische Entwicklung, Prinzipielles, Validität, Indikation, Kontraindikation, Patientenselektion, Darstellung der Technik, Evaluation und Interpretation der Ergebnisse, Komplikationen und postprozedurale Betreuung. Jedes Unterkapitel schließt mit einem Literaturverzeichnis. Obwohl es fragwürdig erscheint, überhaupt einzelne Autoren hervorzuheben, soll hier gestattet sein, zwei Ausnahmen zu machen, die das vorliegende Buch in seiner gelungenen Symbiose aus Praxis und Wissenschaft charakterisieren: Die wissenschaftliche Darstellung zeigt in ihrer Klarheit die Handschrift des Mentors und Herausgebers des Buches, Prof. Nikolai Bogduk/Newcastle, Australien. Wie in seinen Publikationen, Vorträgen und anderen Büchern wird gesichertes Wissen präzise ausgesprochen, fragliches und noch zu erarbeitendes ebenso. Zum anderen sind die hervorragenden Abbildungen zu betonen, die dem Buch durch ihren enormen Informationsgehalt seinen Wertstempel aufdrücken. Hier sei Paul Drey- SCHMERZTHERAPIE Sonderheft 2005 (21. Jg.) fuss, MD/Seattle, USA, hervorgehoben, aus dessen Quellenreservoir ein beträchtlicher Teil entstammt. Warum und wofür Guidelines? Die Problematik der minimalinvasiven Schmerztherapie der Wirbelsäule scheint universal gleich. Diesen Eindruck bekommt man beim Lesen des Vorwortes des Herausgebers. Die Praxis zeichnet sich durch eine zunehmende Anzahl verschiedener auf den Markt gebrachter Techniken aus, deren Anwendung Vieles verspricht, aber wenig Verlässliches erfüllt. Aktuelle Beispiele: epidurale Kathetertechniken mit und ohne gepulste Radiofrequenzläsion, multiple intradiskale Verfahren, teils ablativ, teils thermomodulierend. Als Indikation dienen so ziemlich alle (vermeintlich) pathologischen Zustände der Wirbelsäule vom akuten Bandscheibenvorfall bis zur knöchernen, mehrsegmentalen Stenose. Das Gemeinsame dieser Methoden scheint zu sein, dass sie rasch (z. B. in Wochenendworkshops) zu erlernen sind und praktiziert werden, bevor sie evaluiert sind und ihr Stellenwert wissenschaftlich untermauert ist. Im Gegensatz zum westlichen und skandinavischen Ausland zeichnet sich die Situation in Deutschland noch verschärfend dadurch aus, dass die zur Verfügung stehende, evaluierte Diagnostik mittels entsprechender Blockaden (Facettgelenke, ISG, Atlantoaxialgelenke, selektive Wurzelblockaden, Diskusstimulationen u. a.), sich in keinem Leistungsverzeichnis wiederfinden lässt, schon gar nicht im EBM 2000plus. Sonst nämlich Dr.Bruno Kniesel mie der Rami mediales (Facettdenervation) (s. Abb. 7), die intradiskale elektrothermale Therapie (IDET), die zervikale transforaminale Kortisoninjektion (s. Abb. 8) sowie die zervikale Radiofrequenzneurotomie der Rami mediales (s. Abb. 9). Es schließt sich danach der bisher noch weniger erkenntnisgesicherte, thorakale Teil der Wirbelsäulentechniken an, konsequent tituliert als: Abb. 5: Intraartikuläre Diagnostik des re. lat. atlantoaxialen Gelenkes, ein maßgeblicher Generator zervikogener Kopfschmerzen. Abb. 6: Transforaminale lumbale Kortisoninjektion an die Wurzel L5. Zuvor: Ausbreitung von 0,3/0,8/1,5 ml Kontrastmittel. 23 Dr.Bruno Kniesel ISIS-Guidelines die nur ihre Meinung Ausbildung in der invasiven Schmerztherapie und Erfahrung einbei uns enormen Aufschub verleihen. Sie dobringen, die Augen kumentieren, was wir bereits wissen sollten: aber vor objektiven Es gibt keine anästhesiologische, orthopädiErkenntnissen versche, neurochirurgische oder radiologische, schließen. minimalinvasive Schmerztherapie, sondern ISIS hingegen eine gut praktizierte und eine schlecht praktihat nach einem zierte. Das Wissen über die erforderlichen Qualitätsmerkmale im Bereich der Wirbelsäule Abb 7: Radiofrequenzneurotomie des R.medialis L4 re. (Facettdener- permanenten Abgleich der täglichen liegt jetzt vor im Sinne des „currently best avaivation) mit gebogener Nadel. klinischen Erfahrung lable knowledge“. Es wird demnächst ergänzt würde dort u. a. der Verweis zu finden sein, mit der Wissenschaft gesucht und ihn auch werden um den Bereich der Neuromodulation, dass hierfür die optische Führungshilfe mittels gefunden. Die Organisation profitiert davon, wo ebenfalls eine systematische Aufarbeitung Durchleuchtung oder CT erforderlich ist. Eine eine Reihe hervorragender Kliniker, die auch und Validierung erforderlich ist. Die ersten solchermaßen qualifizierte Leistung müsste anerkannte, wissenschaftliche Publikationen Schritte von ISIS in diese Richtung sind initientsprechend honoriert werden (bei korrekveröffentlicht haben, zu beherbergen (außer iert. Weitere werden folgen. Die DGS kann tem Qualitätsnachweis). Dies beanspruchen N. Bogduk Rick Derby, Charles Aprill, Anthoaufgrund ihrer interdisziplinären Ausrichtung und erhalten derzeit aber nur die CT-Benutny Schwarzer, Way Yin, Kevin Pauza, Paul und der bestehenden Kooperation mit ISIS zer, denen wiederum die diagnostische VorgeDreyfuss, Susan Lord, Claire Tibiletti u. a.). In zum Motor einer solchen fachübergreifenden hensweise nicht abverlangt wird; somit wurde seinem Vorwort betont der Herausgeber aber Ausbildung in der minimalinvasiven Schmerzdie Schleuse zur massenhaften, qualitätsunselbstkritisch, dass die Guidelines keinesfalls therapie werden, wenn ähnlich wie bei ISIS die kontrollierten Anwendung therapeutischer Inden Anspruch erheben, in dem, was sie beKräfte gebündelt werden und das Ziel über den terventionen geöffnet. Demzufolge gilt in der inhalten, Evidenzbasiertes zu verbreiten. VielFachverbandsinteressen rangiert. Bundesrepublik Deutschland: Unser bester mehr stellt es gegenwärtig das „best available Das Guidelines-Buch kann bestellt werStandard ist: Trial and Error. knowledge“ dar, welches darauf wartet, durch den über: [email protected] oder www.spinalZudem unterscheiden wir uns von unseweitere, noch bessere Praxis und Wisseninjection.com zum Bezugspreis von 75 $ für ren Nachbarn durch noch etwas: das IGeLn. schaft fortentwickelt oder widerlegt zu werMitglieder und 225 $ für Nichtmitglieder. Die Wirbelsäule eignet sich hervorragend für den. „In that respect, the present Guidelines nebulöse, „innovative“ Therapieformen, wo are not set in stone … As new results become Bruno Kniesel, Hamburg sich doch 70% der chronischen Schmerzsynavailable, the Guidelines are set drome dort abspielen. to change. To that end they are Ist es also verwunderlich, dass die minia starting point in the pursuit malinvasive Schmerztherapie in den letzten of best possible standards of Jahren eine zunehmend negative Reputation practice. However, if the present erfuhr? Aus diesem Teufelskreis gibt es kein Guidelines had not been pubEntkommen: keine validierte Diagnostik > lished, that starting point would schlechte therapeutische Ergebnisse > keine not have been created, and the Bezahlung von den Kassen (gesetzlich und dilemmas concerning practices privat) und der Politik. Parallel dazu verläuft der in Spinal Pain Medicine would Circulus vitiosus der Wissenschaft: keine Forhave persisted.“ schung > keine Lehre der invasiven Diagnostk und Therapie > keine korrekte Anwendung. Ausblick und Ausbildung Die Verbreitung bleibt also denjenigen Zirkeln Die Guidelines werden sicher und Organisationen überlassen, die für sich den Bemühungen einer systeAbb. 9: Radiofrequenzneurotomie des Ramus medialis C7 re. die richtige Lehre beanspruchen, auch jenen, matischen, fachübergreifenden in Bauchlage. ISIS Guidelines 2004; Dr.Paul Dreyfuss ISIS Guidelines 2004; Dr.Paul Dreyfuss Abb. 8: Transforaminale zervikale Kortisoninjektion an die Wurzel C6 re. Kontrastphase mit 0,8 ml Kontrastmittel. 24 SCHMERZTHERAPIE Sonderheft 2005 (21. Jg.) Der Schmerzfall aus der Klinik Schmerzen nach Wirbelsäulenoperationen Das Failed-Back-Surgery-Syndrom ist eine Crux medicorum, die oft zu zahlreichen Reoperationen und hartnäckigen Schmerzen führt. Oft ist eine Schmerzlinderung erst durch eine Dauertherapie mit Opioiden – ggf. in Kombination mit Pregabalin – zu erreichen. Speziell Hydromorphon hilft mitunter auch dann noch, wenn andere Opioide bereits versagt haben, schildert Dr. med. Thomas Cegla an einem Beispiel aus seiner Klinik. Patientin auf der visuellen Analogskala von 0 (keine) bis 100 (max. Schmerz) mit 70–80 ein. Die Schmerzen sind nach Bewegung (z. B. Laufen) besonders stark. Die Patientin ist in ihrer häuslichen und familiären Aktivität stark eingeschränkt (Erhebung über den Heidelberger Schmerzfragebogen DGS). Im Bereich der paravertebralen Muskulatur sowie der Schultermuskulatur finden sich Myogelosen. Es zeigen sich keine neurologischen Auffälligkeiten: Die grobe Kraft beider Beine ist unauffällig, keine Par- oder Dysästhesien, Lasègue-Zeichen auf beiden Seiten negativ, jedoch ist die gesamte Wirbelsäule von der HWS bis zur LWS klopfschmerzhaft. Die Stadieneinteilung der Chronifizierung nach Gerbershagen ergibt einen Wert von 3. Im Rahmen einer multimodalen Schmerztherapie wird die Patientin orthopädisch, neurologisch, psychiatrisch und psychologisch vorgestellt und in der interdisziplinären Schmerzkonferenz besprochen. Archiv Der Fall Eine 73-jährige normgewichtige Patientin wird vom behandelnden Orthopäden zur stationären Schmerztherapie eingewiesen. Die Patientin Thomas Cegla, war 1978 aufWuppertal grund einer Skoliose mit gutem OP-Ergebnis operiert worden. Sie war dann für 20 Jahre beschwerdefrei. Danach traten sowohl Schmerzen der Lendenwirbelsäule, als auch der Halswirbelsäule auf. Diese haben über die Jahre zugenommen. Im Augenblick bestehen ziehende Schmerzen vom unteren Rücken bds. bis ins Abdomen ausstrahlend sowie ausstrahlende Schmerzen von der Halswirbelsäule in beide Schultern. Die Schmerzintensität stuft die Links: Präoperativ, obere Krümmung 50º nach Cobb, untere Krümmung 72º nach Cobb. Rechts: Postoperativ, obere Krümmung 23º nach Cobb, untere Krümmung 25º nach Cobb (VDS Th11 bis L4 = sechs Wirbel ). SCHMERZTHERAPIE Sonderheft 2005 (21. Jg.) Diagnosen Es bestehen Z. n. Skolioseoperation, mehrere Lokalisationen (M 41.80), eine Spondylarthrose der HWS (M 47.82), Myogelosen (M 79.19) sowie der Z. n. einer Dehiszenz der Operationswunde (T 81.3). Die Gesamtsymptomatik hat zu einem chronischen Schmerzzustand geführt (R 52.2), verbunden mit einer Persönlichkeitsänderung bei chronischem Schmerzsyndrom F62.80. Mehrere medikamentöse Einstellversuche mit WHO-Stufe-I-Analgetika sowie WHOStufe-II-Analgetika führten zu einer unzureichenden Schmerzlinderung. Zuletzt war der Patientin ein Durogesic-Pflaster 25 µg über drei Tage sowie Ibuprofen achtstündlich verordnet worden. Darunter trat jedoch keine genügende Schmerzlinderung auf. Unter Durogesic traten Schwindelattacken auf. Therapie und Verlauf Nach Ergebnis der Schmerzkonferenz wurde auf invasive schmerztherapeutische Verfahren zunächst verzichtet. Zunehmend empfand die Patientin den Schmerz als brennend. Aus diesem Grund erfolgte eine Auftitration mit Pregabalin zunächst zwölfstündlich 25 mg, nach drei Tagen Steigerung auf morgens 25 mg, abends 50 mg, nach weiteren drei Tagen auf zwölfstündlich 50 mg bis zu einer Zieldosierung von zwölfstündlich 150 mg. Gleichzeitig verordneten wir Hydromorphon in einer Dosierung von zwölfstündlich 4 mg und bei Bedarf 1,3 mg auf Abruf. Darunter trat nach drei Tagen eine deutliche Beschwerdelinderung auf. Die Patientin konnte an physiotherapeutischen Maßnahmen teilnehmen. Die Bedarfsmedikation wurde nicht mehr abgerufen und die Schmerzstärke reduzierte sich auf 2. Es traten keine Verträglichkeitsprobleme der Opiate auf, sodass wir die Patientin bald in ambulante Weiterbehandlung entlassen konnten. Diskussion Eine Opioidrotation ist bei Patienten, die auf vormalige Opiattherapien unzureichend angesprochen haben, häufig eine sinnvolle Option. Dabei bietet Palladon durch die Kombination einer retardierten mit einer kurz wirksamen Substanz die Möglichkeit einer Dosisfindung. Gerade bei Rückenschmerzen, die mit einer neuropathischen Komponente verbunden sind, ist darüber hinaus der Einsatz von Pregabalin zu erwägen. Thomas Cegla, Wuppertal 25 Bücherecke Das Lehrbuch zum DGS-Curriculum Hrsg. Uwe Junker, Thomas Nolte: Grundlagen der Speziellen Schmerztherapie – das neue Lehrbuch zum DGS-Curriculum. 752 S. mit zahlr. Abb. und Tab., brosch., € 89,95, ISBN 3-89935-218-1, 2005, Verlag Medizin&Wissen, München. D er Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Schmerztherapie e.V. hat vor etwa fünf Jahren Thomas Nolte und mir den Auftrag erteilt, ein neues Grundlagenbuch zu konzipieren. Die DGS als inzwischen größte Schmerzgesellschaft Europas hat sich zum Ziel gesetzt, Algorithmen für eine effiziente Schmerztherapie zu vermitteln und auf diese Weise die Versorgung von Schmerzpatienten kontinuierlich zu verbessern. Diesem Anspruch soll auch unser neues Grundlagenbuch gerecht werden, dessen Erscheinen im Herbst nun unmittelbar bevorsteht. Neben der vollständigen Berücksichtigung aller nach den Richtlinien der MusterweiterbildungsImpressum Organ der Deutschen Gesellschaft für Schmerztherapie Herausgeber Gerhard Müller-Schwefe, Schillerplatz 8/1, D-73033 Göppingen Tel. 07161/976476 · Fax 07161/976477 E-Mail: [email protected] Schriftleitung Oliver Emrich, Ludwigshafen; Thomas Flöter, Frankfurt; Winfried Hoerster, Gießen; Dietrich Jungck, Hamburg; Uwe Junker, Remscheid; Stephanie Kraus, (verantw.), Stephanskirchen, Tel.: 08036/1031; Thomas Nolte, Wiesbaden; Hanne Seemann, Heidelberg; Michael Überall, Nürnberg Beirat Joachim Barthels, Bad Salzungen; Wolfgang Bartel, Halberstadt; Heinz-Dieter Basler, Marburg; Günter Baust, Halle/ Saale; Klaus Borchert, Greifswald; Burkhard Bromm, Hamburg; Kay Brune, Erlangen; Mathias Dunkel, Wiesba- 26 ordnung geforderten Lehr- und Lerninhalte haben wir großen Wert auf Praxisnähe und die Darstellung beispielhafter Patientenkasuistiken gelegt. Unser herzlicher Dank gilt unseren Mitautoren, die dieses Konzept mit trugen und trotz aller Arbeit in Praxis oder Klinik ihre Beiträge mit großem Engagement erarbeitet haben. Sie gehören alle entweder zum Kreis der Referenten unseres Curriculums und/oder des jährlichen Deutschen Schmerztages. So entstand für bisherige und zukünftige Teilnehmer am DGS-Curriculum ein umfangreiches Begleit- und Nachschlagewerk. Die Autoren: Walter Zieglgänsberger (Grundlagen), Oliver Emrich, Edwin Klaus (Anamnese, Abrechnung, Neuraltherapie, TENS), Hanne Seemann (Schmerzmessung, Schmerzpsychologie), Christof Keller (neurologische Diagnostik), Axel Hoffmann (Bild gebende Verfahren, Fibromyalgie-Syndrom), Klaus Kutzer (Forensik), Michael A. Überall (Nichtopioidanalgetika, Schmerztherapie bei Kindern), Uwe Junker (Opioide, Cannabinoide, Perioperative Schmerztherapie), Ilka Kniesel (Koanalgetika und Adjuvanzien), Hartmut Göbel (Botulinumtoxin A), Johannes Horlemann (Substanzabhängigkeit), Rüdiger Schellenberg (Verhaltensmedizinische Therapieverfahren), Hannelore Müller (Progressive Muskelrelaxation), Roland Wörz (Schmerz bei psychischen Erkrankungen, Plazebo), Friedrich Fischer (Akupunktur), Wolfgang Bartel (manuelle Medizin), Joachim Barthels (Physiotherapie), Mathias Dunkel (Psychosomatik), Winfried Hoerster (Sympathikusblockaden, Myofasziales Schmerzsyndrom), Djamschid Akbarpour (Invasive Therapieverfahren), Günther Bittel (Na- turheilverfahren), Thomas Nolte (Palliativmedizin), Thomas Cegla (Ischämieschmerz), Oliver Kremer (Viszeraler Schmerz), Christoph Baerwald (Rheumatische Erkrankungen), Achim Refisch (Rückenschmerzen), Axel Heinze (Kopf- und Gesichtsschmerzen), Kai-Uwe Kern (Neuropathischer Schmerz), Mechthilde Burst (Tumorschmerztherapie), Joachim Mehler (perioperatives Schmerzmanagement bei Kindern) und Hilmar Hüneberg (Besonderheiten der SchmerztheUwe Junker rapie im Alter). Frau Stephanie Kraus und Frau Carola Herzberg vom Verlag Urban & Vogel danken wir für ihr unermüdliches und von großer Fachkompetenz geprägtes Engagement bei Lektorat und Layout der Beiträge, Herrn Huber aus dem gleichen Hause für seine freundliche Art, uns immer wieder neu zu motivieren, wenn es den einen oder anderen Durchhänger gab. Last but not least danken wir Frau Heike Ahrendt und Herrn Harry Kletzko, Gesellschaft für algesiologische Fortbildung, die durch ihr Engagement wesentlich dazu beitrugen, die Finanzierung dieser ersten Auflage sicherzustellen. Wir wünschen Ihnen viel Freude beim Lesen und hoffen, dass dieses Buch in Ihrem Berufsalltag ein geschätzter Begleiter werden wird. Konstruktive Kritik ist uns jederzeit willkommen, wir verstehen sie als Ansporn, eine zukünftige zweite Auflage noch besser zu machen. Uwe Junker, Remscheid den; Andreas Ernst, Berlin; Gerd Geisslinger, Frankfurt; Hartmut Göbel, Kiel; Henning Harke, Krefeld; Oliver Heine, Limburg; Ulrich Hankemeier, Bielefeld; Stein Husebø, Bergen; Klaus Jork, Frankfurt; Edwin Klaus, Würzburg; Eberhard Klaschik, Bonn; Lothar Klimpel, Ludwigshafen; Bruno Kniesel, Hamburg; Marianne Koch, Tutzing; Bernd Koßmann, Wangen; Peter Lotz, Bad Lippspringe; Christoph Müller-Busch, Berlin; Robert Reining, Passau; Robert F. Schmidt, Würzburg; Günter Schütze, Iserlohn; Ralph Spintge, Lüdenscheid; Birgit Steinhauer, Limburg; Georgi Tontschev, Bernau; Roland Wörz, Bad Schönborn; Henning Zeidler, Hannover; Walter Zieglgänsberger, München; Manfred Zimmermann, Heidelberg erwirbt der Verlag vom Autor alle Rechte, insbesondere das Recht der weiteren Vervielfältigung zu gewerblichen Zwecken mithilfe fotomechanischer oder anderer Verfahren. Die Zeitschrift sowie alle in ihr enthaltenen einzelnen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Bezugspreis: Einzelheft 12,– Euro Abonnement für 4 Ausgaben pro Jahr 40,– Euro (zzgl. Versand, inkl. MwSt.). Der Mitgliedsbeitrag des DGS schließt den Bezugspreis der Zeitschrift mit ein. Die Zeitschrift erscheint im 21. Jahrgang. In Zusammenarbeit mit dem Fachverband Schmerz, Verband Deutscher Ärzte für Algesiologie e.V., Deutsche Gesellschaft für Algesiologie e.V., Deutsche Gesellschaft für Algesiologische Fachassistenz e. V., Deutsche Akademie für Algesiologie, GAF Gesellschaft für algesiologische Fortbildung mbH, Deutsche Schmerzliga e.V., Verband ambulant tätiger Anästhesisten e.V., Gesamtdeutsche Gesellschaft für Manuelle Medizin e.V., Deutsche Gesellschaft zum Studium des Schmerzes e.V. und Deutsche Gesellschaft für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie Mit der Annahme eines Beitrags zur Veröffentlichung Verlag © URBAN & VOGEL GmbH, München November 2005 Leitung Medical Communication: Ulrich Huber (verantw.) Schlussredaktion: Dr. Brigitte Schalhorn Herstellung/Layout: Martin Lipah Druck: Vogel Druck und Medienservice GmbH & Co. KG, Höchberg Titelbild: O. Meany MD&PM GmbH, Nürnberg SCHMERZTHERAPIE Sonderheft 2005 (21. Jg.) Der Fall aus der Schmerzpraxis Pseudoradikuläre Rückenschmerzen Begleiterkrankungen, z.B. eine Niereninsuffizienz, der ursächlich ein Diabetes mellitus zugrunde liegt oder eine Hämophilie A, limitieren bei chronischen Schmerzpatienten häufig die medikamentös konservativen wie auch invasiv schmerztherapeutischen Therapieoptionen. Der frühzeitige Einsatz niedrig dosierter stark wirksamer Opioide wie retardiertem Oxycodon kann hierbei wegen fehlender Organtoxizität sowie fehlendem Ceiling-Effekt Nebenwirkungen reduzieren und zum gewünschten Therapieerfolg führen, erläutern Dr. med. Ilka Kniesel, Muri (CH), und Dr. med. Oliver Emrich, Ludwigshafen. Archiv Praxisfall Ein 54-jähriger mäßig adipöser Patient stellt sich in unserer Schmerzambulanz mit seit Jahren zunehmenden Rückenschmerzen vor. Er berichtet über ziehende und stechende Schmerzen im Bereich der unteren LWS, die teilweise in beide Beine ausstrahlen. Zusätzlich klagt er über Schmerzen der HWS mit zeitweiligem Auftreten von Kribbelparästhesien vorzugsweise in den linken Arm. Die Schmerzintensität stuft er auf der visuellen Analogskala von 0 = kein und 100 = max. Schmerz mit 70–80 ein. Er trägt seit mehreren Jahren ein Stützkorsett, das ihm eine gewisse Linderung verschafft und Sicherheit gibt. Einmalig sei 2001 eine Facettenblockade durch- Ausgeprägte Osteochondrose geführt worden, durch die eine kurzfristige Schmerzreduktion erzielt wurde. Hausärztlicherseits ist der Patient mit Diclofenac 50 mg und retardiertem Tramadol 150 mg bei Bedarf sowie Carbamazepin 200 mg wegen der neuropathischen Komponente anbehandelt. Schwindel und Konzentrationsstörungen lassen laut Patientenangaben nur eine Bedarfsmedikation zu. Des Weiteren berichtet er über depressive Verstimmungen und eine gewisse SCHMERZTHERAPIE Sonderheft 2005 (21. Jg.) Antriebslosigkeit, die sich u.a. mit sozialem Rückzug aus dem familiären Umfeld äußert. Diagnose Bei der körperlichen Untersuchung fällt ein Klopfschmerz schwerpunktmäßig über der HWS und LWS auf. Der Finger-Bodenabstand beträgt 40 cm, es findet sich ein Beckenschiefstand, der Lasègue links ist bei 45° positiv, rechts bei 40° positiv, Hüft- und Kniegelenke sind frei beweglich. Eine MRT-Untersuchung wird veranlasst und zeigt eine mäßiggradige Osteochondrose HWK 5/6 und HWK 6/7 mit flacher Protrusion sowie knöchernen Neuroforaminastenosen bds. HWK 5/6. Zusätzlich zeigt sich eine ausgeprägte Osteochondrose und mäßiggradige knöcherne Stenose in den unteren LWS-Segmenten. Die Vorbefunde beschreiben vergleichbare Veränderungen. Therapie und Verlauf Im ausführlichen Gespräch klären wir den Patienten über ein multimodales Therapiekonzept auf. Medikamentös erhält er zunächst weiterhin retardiertes Tramadol 150 mg Tbl. p. o. 1-0-1, Pregabalin 150 mg p. o.1-0-1, Flupirtin 2 Tbl. abends sowie Celecoxib 200 mg p. o. abends und morgens zeitkontingent im Sinne einer Schmerzprophylaxe. Zur Prävention opioidbedingter Emesis erhält er in der Anfangszeit Metoclopramidtropfen. Die mitverordnete Physiotherapie ist ihm allerdings schmerzbedingt anfangs noch nicht möglich. Anhand der Schmerztagebuchaufzeichnungen mit Schmerzspitzen von VAS 50–60 und immer wieder dokumentierter Schwindelsymptomatik korrigieren wir im zweiten Termin nach vier Wochen das medikamentöse Konzept. Wir ersetzen Tramadol durch 5 mg retardiertes Oxycodon morgens und abends, reduzieren Pregabalin auf zweimal 75 mg p. o.; Flupirtin 2 Tbl. abends bleibt weiterhin Bestandteil der Therapie. Beim Wiedervorstellungstermin berichtet der Patient, der psychisch deutlich stabiler und positiver wirkt, dass er seit ca. zwei Wochen die physiotherapeutische Übungsbehandlung begonnen hat. Die Nebenwirkungen seien vollständig rückläufig und mit der erzielten Schmerzreduktion von ca. 50% sei er ganz zufrieden. Diskussion Begleiterkrankungen und auch Nebenwirkungen zwingen Schmerztherapeuten immer wieder dazu, medikamentöse Bausteine im Therapiekonzept kritisch zu überdenken. Mit der retardierten 5-mg-Oxcycodon-Tablette steht eine galenische Zubereitung zur Verfügung, die sich durch ihre stabile Resorptionsrate (wie auch bei den im Handel bekannten höheren Dosierungen) und andererseits fehlenden Ceiling-Effekt auszeichnet. Eine sichere und wirksame Dosisfindung wird möglich, während zentralnervöse Nebenwirkungen der schwachen Opioide bei Ausschöpfen der Maximaldosierungen minimiert werden. Ilka Kniesel, Muri (CH) Oliver Emrich, Ludwigshafen, Nürnberg Abrechnung (Beispiele) EBM 2005 Beispiele Ersttermin 03211 Behandlung und Betreuung eines Patienten mit chronisch-degenerativer(n) und/ oder entzündlicher(n) Erkrankung(en) des Bewegungsapparats, Prüfzeit 18 Minuten (Quartal), 3 Patientenkontakte 355 Punkte 03311 Ganzkörperstatus, Prüfzeit 11 Minuten (Tag), 300 Punkte Folgetermine 03115 Konsultationsgebühr GOÄ (Nur diagnostische „Basisleistungen“) Ersttermin 34 Erörterung der Auswirkungen einer Krankheit. (Dauer mindestens 20 Minuten) (nicht neben 1, 3, 30) neben Untersuchungs- und Sonderleistungen 300 Punkte 857 Anwendung und Auswertung orientierender Testuntersuchungen (z.B. Fragebogentest nach Eysenck, MPQ oder MPI, RavenTest, Sceno-Test, Wartegg-Zeichentest, HausBaum-Mensch, mit Ausnahme des LüscherTests), insgesamt 116 Punkte Folgetermine 5 Symptombezogene Untersuchung, 80 Punkte oder andere oder weitere Sonderleistungen „31 analog“ algesiologische Folgeanamnese mit einer Mindestdauer von mindestens 20 Minuten, 300 Punkte („A 31“ bislang nur Forderung der Fachverbände, der bislang noch nicht nachgekommen wurde) (Nicht neben 1, 3, 30, 34 u.a.) 27