Hochsensible Nase und Fingerspitzengefühl

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Hochsensible Nase und Fingerspitzengefühl
Hochsensible Nase und Fingerspitzengefühl
Wie sich der Mömbriser Arno Dirker einen Ruf wie Donnerhall als Brenner von edlen Digestifs erwarb
Von unserer Mitarbeiterin
PAULA GOLL
MÖMBRIS Dies ist die Geschichte
einer brennenden Leidenschaft. Von
Mömbris aus, im Kahlgrund bei
Aschaffenburg gelegen, macht Arno
Dirker den europäischen Edelbrennern
Feuer untern Hintern - und vor so gut
wie keinem, Rohmaterial Halt. Ob
Meerrettich, Haselnuss, Knoblauch,
Zitronengras, Spargel, Zimt oder
Tannenspitzen: Arno Dirker brennt
fast alles. Längst zählt der 40 Jährige
zu den Geist-Reichsten im Land.
Die Flaschen mit dem Hochprozentigen
drin und den farbenfrohen Etiketten außen
drauf leuchten mittlerweile von fast jedem
gut sortierten Digestif-Wagen. In den
besten Restaurants Deutschlands stehen
die
bodenständigen,
dickbauchigen
Gefäße neben den auf nobel getrimmten
Flaschen der europäischen TopBrenner.
Heimat der feinen Dirkerschen Brände,
die einen beispiellosen Siegeszug hinter
sich
haben,
ist
Mömbris
nahe
Aschaffenburg. Von dort kommen auch
fast alle Früchte, deren Geschmack als
Brand, Geist, Wasser, Likör für eine
kleine Ewigkeit - oder zumindest für die
nächsten paar Jahre - konserviert wird.
Ein verwegener Verflüssiger
Jüngst schneite exotische Ware bei den
Dirkers herein. 8000 Kilo Orangen,
ungespritzt und ungewachst, wurden ins
Haus geliefert. Bei so einer Menge fragte
sich selbst der Herr der Brände, Wässer,
Geister: Wohin mit dem ganzen Obst?"
Demnächst wird aus den Neuankömmlingen ein feiner Orangen-Geist, in
kleiner Menge hat's der nicht zuletzt
wegen seiner Kreativität gerühmte 40
Jährige schon ausprobiert. Dabei ist
Orangen-Schnaps eine ziemlich unspektakuläre Sache für Dirker - der
Verwegene verflüssigt fast alles, was als
genießbar gilt. Sein "Wolliger Schneeball" ist vielen noch nicht mal als Frucht
bekannt weshalb er gleich in einem
Büchlein nachschlägt und stolz ein Bild
der Pflanze (sie hat schwarze Beeren und
haarige weiße Blätter, die ihr den Namen
gaben) präsentiert. Am erfolgreichsten ist
nach wie vor sein Haselnussbränd. Selbst
eingefleischte Schnaps-Verächter werden
bei dem intensiv nach Nutella riechenden
Klaren kirre im Kopf.
Ein Brand besteht aus 100 Prozent
Fruchtdestillat. "Er darf laut Gesetz nur
Alkohol enthalten, der aus dem
fruchteigenen Zucker gewonnen wurde",
erklärt der Fachmann. Das kann, je nach
Frucht, sehr wenig sein, was den Preis des
Endprodukts in die Höhe treibt.
Manchmal sind gewaltige Mengen an
Rohmaterial nötig, ehe der Geist in die
Flasche fahren kann.
Bei Dirker halten sich die Preise im
Rahmen. 0,5 Liter Feldzwetschgenbrand kosten im wohnhauseigenen
Laden 14 Euro. Bedenkt man, dass
rund 100 Kilo Obst für fünf Liter
Brand notwendig sind, ist das mehr als
fair. Teure Brände liegen zwischen 20
und 50 Euro, einsamer Spitzenreiter ist
ein Steinweichsel Kirschwasser, von
dem ein halber Liter mit 102 Euro zu
Buche schlägt. Es gibt Kollegen, allen
voran der Österreicher Rochelt, die
selbst das um ein Mehrfaches toppen.
Geiste sind meist Destillate, die aus
Früchten hergestellt werden, die wenig
oder gar keinen Zucker besitzen: Sie
werden in Fremdalkohol eingelegt, bis
dieser den Geschmack angenommen
hat, und dann destilliert. Diese Früchte
können Himbeeren sein, die man in
rauen Mengen für einen Brand
benötigen würde, aber auch Spargel,
Zwiebeln,
Steinpilze,
Knoblauch,
Haselnüsse - oder eben Orangen. Die
hätten zwar genug Zucker, gelten
jedoch nach gestrenger staatlicher
Vorschrift als Exoten. Und alles, was
nicht einheimisch ist, darf Dirker nicht
zu einem Brand machen, nur zu einem
Geist. So weiß die strenge Zollbehörde
genau, wie viel Alkohol dabei
herauskommt. Würde Dirker aufgrund
der höheren Süße der Orangen mehr
Alkohol als geschätzt bekommen, ginge
das Mehr dem Staat durch die Lappen und damit viel Geld: Spirituosen sind
tüchtig zu versteuern.
Die Sorgen um das Tafelobst
Ausgebrochen ist Dirkers brennende
Leidenschaft in den Achtzigern.
Damals
machte
dem
gelernten
Schreiner mal wieder der schleppende
Absatz des Tafelobstes Sorgen, das,
den Streuobstwiesen rund ums Haus
entnommen,
der
Familie
einen
Nebenerwerb sicherte. Äpfel und
Zwetschgen ließen sich kaum noch
verkaufen, schließlich versuchte Dirker
es mit Fruchtweinen. Auch die aber
wurden keine Renner.
1987 brachte Dirker das Obst erstmals
zu einem befreundeten Brenner in den
Nachbarort. Die Herstellung faszinierte
ihn sofort. Schnell begriff er, dass ihm
zwei hochprozentige Talente in die
Wiege gelegt worden waren: eine
hochsensible Nase und ein enormes
Fingerspitzengefühl. Dirker roch sofort,
wenn statt eines feinen Hochprozentigen der unangenehme Vor-
„Sie sind der Herr Dirker? Sie müssen kommen“ Der gelernte
Schreiner aus Mömbris hat sich einen Ruf wie Donnerhall erbrannt.
oder Nachlauf ins Glas tröpfelte.
Und nach ein paar Versuchen spürte
er schnell, wie man die Qualität der
Brände steuert, indem man die
Stärke des Feuers reguliert. Der
Erfolg kam aus heiterem Himmel:
Auf der allerersten Verkaufsmesse,
die der Unterfranke besuchte, wurde
sein gesamter Vorrat gekauft, auf
einen Schlag und von einem einzigen
Kunden, den Dirkers Schnäpse ganz
besonders heftig den Kopf verdreht
hatten.
Das machte der Familie so viel Mut,
dass sie den Schritt in die
Selbstständigkeit
wagte:
Arno
Dirker, der alle Voraussetzungen
erfüllte, die die Zollbehörde von
einem zukünftigen Brenner verlangt,
kaufte einem Bekannten das
Brennrecht ab und sich, im Juni
1992, einen gebrauchten Brennkessel. Ein Jahr darauf debütierten er
und seine Produkte auf der berühmten Destillata im österreichischen
Bad Kleinkirchheim. Kunden hatten
ihm Mut gemacht, trotz der teuren
Anmeldung dort mit seinen Bränden
an die Öffentlichkeit zu gehen.
Interessiert besuchte der JungBrenner ein paar Lehrgänge - die
steife Abschlussveranstaltung aber,
bei der das Ticket 100 Mark kostete,
wollte er sich schenken. Das sahen
die Veranstalter anders: "Sie sind der
Dirker? Sie müssen unbedingt
kommen!" In schmuddeligen BrennKlamotten auf eine Gala? Der Wirt
der Pension, in der die Dirkers
übernachteten, half mit einem
Trachtenhemd aus - heute hängt ein
Bild im Hausflur, darauf wird
Dirkers Brust nicht nur von einem
geliehenen Trachtenhemd, sondern
auch von einer riesigen Medaille
geziert. Bei der Siegerehrung
war er, völlig ahnungslos, nach
vorne gerufen worden: Auf
Anhieb hatte Dirker, der damals
noch Namenlose, den zweiten
Platz in der Gesamtwertung der
besten europäischen Brennereien belegt!
Seitdem kamen zahlreiche
andere Ehrungen dazu - und
viele Experimente mit allem,
was geistreich werden könnte.
Gewürze sind Dirkers neue
Leidenschaft. Er stellt jetzt nicht
nur einen klassischen Anisschnaps her, sondern nutzt auch
Zitronengras,
Blaumohn,
Koriander und andere Exoten,
darunter
Meerrettich
und
Maronen, für seine Arbeit. Zwei
würde er niemals brennen:
"Topinambur und Faulbaum".
Das dürfte den Freunden
gepflegter Schnäpse keinen
schweren Kopf machen. Dirker
hat die Klassiker ebenso wie die
Neuschöpfungen drauf - und
Schnaps-Ideen noch genug . . .
Edelbrennerei A. J. Dirker,
63776 Mömbris Friedhofstraße
20
Tel.:(0 60 29) 77 11, Fax 77 44
E-Mail-Adresse: [email protected],
Schnaps-Proben für Gruppen
nach
Vereinbarung,
Laden
geöffnet von Mo bis Fr 9 bis 12
und 14.30 bis 18 Uhr, Sa 9 bis
12 ünd 13 bis 15 Uhr.
lnfos im Internet:
www.dirker.de